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Via col vento

Schon seit einiger Zeit war ein Gedanke in mir gereift: Ich stellte es mir schön vor, meinen besten Freund, einen Eisdielenchef, mit meinem Lieblingsneffen, einem Eisdielenmanager, bekannt zu machen.

Wie ich es auch anstellte, es war mir bisher nicht gelungen, dieses Treffen zu arrangieren, von dem ich mir eine honigseimartige, sahnesüße Glückseligkeit versprach.

Klar: Chef und Manager waren zwei Paar Stiefel; sie die zwei Seiten einer Eisdielen-Medaille zu nennen, wäre vermessen gewesen. Und so wurde in meinem Hirn die Frage immer drängender, ob bei den Beiden die Eisdiele an sich wichtiger und prägender sei, oder die daran anschließende Hierarchiebezeichnung.

Das Schicksal griff in diesem Falle – wie so oft mit einem Wink – ein, indem es den Winter über die Gebühr verlängerte und dem Frühling, wann immer es konnte, einen Knüppel zwischen die eiligen Füße warf.

 

Die Erde hielt gegen. Die Vulkane versuchten, ihren Teil zur sprichwörtlichen Erwärmung beizutragen, indem sie spien, was das Zeug hielt.

Auch der Mensch hielt gegen und sonderte soviel Methan ab, wie er nur konnte; und da der Benzinpreis gesunken war, fuhren die stolzen Autobesitzer aus Langeweile und auf der Suche nach einem Kick einfach so in der Gegend herum, immer im Kreis und ohne Ziel.

 

Mein Freund, der Chef, ersann eine Strategie: Er stellte kurzberockte Slawinnen ein, die wie Sklavinnen rackerten. War keine Kundschaft zu bedienen, mussten sie den Boden schrubben; war kein Boden mehr zu schrubben, mussten sie sich in der Tür räkeln, um den im Sturm Vorbeieilenden einzuheizen und die Lust auf ein Eis in die Kehle zu zaubern. Dies gelang nur bedingt.

 

Der Manager hatte weiterreichende Pläne. Nach einer immerhin zehn Tage dauernden Analyse der Lage kam er auf den Trichter, neue Eissorten zu kreieren; der Höhepunkt seiner Inventionen war ein Bier-Eis, das bisher jedoch keinesfalls ein Renner war, denn es blieb einfach zu kühl, um überhaupt daran denken zu können, ein Bier-Eis zu erstehen, geschweige denn zu verschlingen.

 

Der Vielfalt der Klagen bezüglich des Geschäftsmodells stand die Eintönigkeit der Problematik Saisonabhängigkeit und ausbleibende Kllimaerwärmung gegenüber. Hier waren beide einer Meinung, und das sollte mein Trumpf sein. So hoffte ich jedenfalls.

 

Die bereits einladend aufgestellten und hoffnungsvoll aufgespannten Sonnenschirme dienten ausschließlich als Schutz vor dem Regen und moderten vor sich hin, bis ein Tornado sie mitsamt ihren Betonfüßen in die Luft hob und auf das nahe Kirchendach schmetterte, das ihnen keinen Widerstand bieten und sie ungefragt passieren lassen musste, so dass einer ins Taufbecken einschlug und der andere die Kanzel von der Wand rasierte.

Die alten Frauen, die zu dieser Stunde den Mai-Rosenkranz beteten, flüchteten sich in die Beichtstühle in frommer Furcht vor dem Zorn des Allmächtigen. Ihre Enkel, die eher der Häresie anhingen, sprachen dagegen von einem Wink des Schicksals in einer Zeit der pastoralen Verschwendungssucht und der nun offenbarten versteckten Reichtümer der Kirche, die sich in den Jahrhunderten aus Schwarzgeld und Erbschaften angesammelt hatten. Den Meisten war das alles schnurz und piepe.

Offizielle Seiten, wie der Deutsche Wetterdienst, sprachen von einer normalen Lage. Die Versicherungsgesellschaften jedoch wurden langsam nervös und tüftelten an einer Änderung ihrer Vertragsbedingungen.

 

Nun war der Moment gekommen, in dem eine der Bedienungen des Chefs zum Manager wechselte. Dummerweise war sie die heimliche Favoritin des Chefs gewesen und er hatte, um eine zündende Idee zur Verführung verlegen, allzu lange mit einer Avance gewartet. Nun war es zu spät. Er aber fühlte sich von dieser Herausforderung überaus angeregt und war endlich bereit, mit dem Manager über die Herausgabe der Schönen zu verhandeln, notfalls mit Hilfe einer gewissen Summe, die er im Umschlag in seiner Hosentasche trug.

 

Er bat mich, in diesem besonderen Falle zu vermitteln.

Ich tat, als ob es mir unendliche Mühe machte, stöhnte und ächzte und schilderte ihm meine Probleme beim Arrangement dieses Treffens.

 

Es kam der Tag.

 

Und der Tag war der erste, an dem eine plötzlich einsetzende Hitzeperiode das Blut zum Kochen brachte und das Eis zu einem fatamorganaartigen Traum wandelte, der selbst noch aus dem Bier-Eis auf den Schlag einen Kassenschlager werden ließ.

 

Chef und Manager saßen im dunklen Hinterzimmer und hatten von der klimatischen Glückssträhne nichts mitbekommen. Ich moderierte ihre Verhandlung und fühlte mich hin- und hergerissen zwischen familiärer Verpflichtung und Freundesdienst. Draußen tobte das Geschäft, tanzte der Bär.

 

Die Sitzung dauerte nun schon seit Stunden, und mein Freund hatte sich immer noch auf die Stärke seiner Position verlassen und die Hand noch nicht in die Tasche mit dem Bestechungsumschlag geführt. Und das war gut so. Denn:

 

Mittlerweile war es Abend geworden und die Lustwandler und Spaziergänger lenkten ihre Schritte langsam nach Hause. In den Kassen der Eisdielen war so viel Geld, dass sie sich nicht mehr schließen ließen.

 

Die Schöne, das Objekt der Begierde, hatte eine zündende Idee: Sie lief schnell über den Platz an ihre alte Arbeitsstelle – mit der Entschuldigung, ihren Hausschlüssel in der Kasse vergessen zu haben -, räumte diese aus, eilte zurück an ihren neuen Arbeitsplatz – an dem sie bereits zur leitenden Arbeitskraft avanciert war – griff dort ebenso in die Kasse und stolzierte mit ihren atemberaubenden langen Beinen einfach um die Ecke, davon, via col vento.

 

So hatte das Schicksal eines heißen, idealen Eistages die beiden Kleinunternehmer all ihrer Schätze beraubt: ihrer heimlichen Liebe und ihres Geldes.

Meinem Freund war – vielleicht eine Gerechtigkeit des Schicksals – sein Umschlag mit dem Bestechungsgeld im Hosensack verblieben, was er jedoch seiner geschickten Verhandlungsstrategie zuschrieb. Wenigstens das.

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Tag der Veröffentlichung: 17.05.2015

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