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Leseprobe

ZIMTZAUBER

KATHARINA HERZOG

INHALT

Ohne Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Danksagung

Liebe Leserinnen und Leser!

Über die Autorin

»And above all, watch with glittering eyes the whole world around you because the greatest secrets are always hidden in the most unlikely places. Those who don't believe in magic will never find it.«

ROALD DAHL: THE MINPINS

»Sie sind spät dran, Elisa.« Vivian Hasselbusch schob den Ärmel ihres Pelzmantels zurück und tippte sich auf ihre goldene Armbanduhr.

»Der Laden öffnet doch erst in einer Stunde«, hätte ich gerne protestiert. Da aber schon allein das unerwartete Auftauchen meiner Chefin an diesem vierten Adventssamstag mir den Schweiß auf die Stirn trieb, murmelte ich lediglich: »Der Verkehr … Tut mir sehr leid, Frau Hasselbusch.«

Zum Glück war Frau Hasselbusch mit Besuchen im Fitnessstudio, Dinner-Partys bei ihren High-Society-Freunden oder Reisen mit ihrem stinkreichen Mann so ausgelastet, dass sie nur selten im Buchladen vorbeikam. Hätte das Geschäft nicht zuvor ihrer Mutter gehört, hätte sie es längst verkauft. Elisabeth Lehner lebte zwar mittlerweile im Seniorenheim, war aber immer noch quietschlebendig. Und weil die alte Dame darauf bestand, dass der Laden in Familienbesitz blieb und ihre Tochter sich darum kümmerte, war er meiner Chefin ein steter Dorn im Auge, und sie machte aus ihrer Abneigung gegen ihn – und mich! – keinen Hehl.

Mit zittrigen Fingern durchsuchte ich meine Handtasche nach dem Ladenschlüssel. Ich brauchte vier Anläufe, um ihn ins Schloss zu stecken, und als es mir endlich gelang, wäre ich vor Erleichterung fast in Ohnmacht gefallen.

Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie Frau Hasselbusch die Auslage der Buchhandlung musterte. Ob ihr die mit Schleifen geschmückte Tannengirlande, die schneebedeckten Keramikhäuser, die Strohsterne und die alte Modelleisenbahn, die sich zwischen all den Büchern hindurchschlängelte, genauso gut gefielen wie mir?

»An der Lichterkette ist eine Birne kaputt.« Sie zeigte mit ihrer dürren Hand auf das nostalgische und in die Jahre gekommene Metallschild über dem Schaufenster, das einst ihre Mutter aufgehängt hatte, und auf dem in verschnörkelter Schrift »Lizzies Bücherträume« stand, sanft erleuchtet von bunten Weihnachtslichtern.

Wohl nicht. Ich seufzte leise. Aber vielleicht würde das Innere des Buchladens vor ihren Augen Gnade finden. Ich hatte mir solche Mühe bei der Dekoration gegeben. Die abgewetzten Tische, auf denen die Bücher präsentiert wurden, hatte ich mit dickem Samt überzogen. Kränze mit roten und grünen Kugeln schmückten die Wände. Zimtstangen und mit Sternanis gespickte Orangen verströmten einen köstlichen Duft. Sogar einen Weihnachtsbaum hatte ich eigenhändig ins Geschäft geschleppt und ihn mit Strohsternen, Äpfeln und Lebkuchenfiguren geschmückt. Wenn der Laden gleich seine Türen öffnete, würden Teller mit selbstgebackenen Plätzchen und Lebkuchen für die Kunden bereitstehen, und ein Topf mit Punsch.

»Sie scheinen in der Weihnachtszeit einen ausgeprägten Hang zu Kitsch und Pomp zu entwickeln.« Frau Hasselbusch rümpfte die Nase. »Der fette Kerl dort muss auf jeden Fall weg.« Sie zeigte auf die Figur eines rotwangigen Weihnachtsmanns, der mit einem Sack in der Hand auf einem der Büchertische stand und fröhlich lächelte. »Und diese dicken Engel und den adipösen Schneemann entfernen Sie bitte auch.«

Ich zog unwillkürlich den Bauch ein. Nicht, dass er Frau Hasselbusch noch auf dumme Gedanken brachte, und ich ebenfalls wegrationalisiert wurde.

Elke, meine Mitarbeiterin, betrat den Buchladen. Mit ihrer Knubbelnase und der runden Brille ähnelte sie ein bisschen einem Gartenzwerg. Einem Gartenzwerg, der ganz in Strick gekleidet war. Sie zog sich die Wollmütze vom Kopf, schüttelte den Schnee von ihren halblangen braunen Haaren und schaute Frau Hasselbusch ohne jede Spur von Angst in die Augen.

»Wie kommen wir zu der Ehre Ihres Besuchs?«, fragte sie.

Frau Hasselbusch beachtete sie nicht. »Ich möchte mit Ihnen über das Geschäft reden, Elisa. Mein Steuerberater hat mir gestern die Zahlen des letzten Quartals übermittelt. Sie sind nicht zufriedenstellend.«

»Was haben Sie erwartet? Im Sommer werden weniger Bücher verkauft. Das war schon immer so«, erklärte Elke spöttisch.

»Nun …«, Frau Hasselbusch lächelte zuckersüß, »dann ist es ja gut, dass jetzt Winter ist.« Ihre Stimme wurde um mehrere Grade kälter. »Ich hoffe, Sie haben es geschafft, in der Adventszeit das Minus des Sommerlochs auszugleichen. Sonst werde ich mich im nächsten Jahr wohl nach einer anderen Geschäftsführerin umsehen müssen.« Sie versetzte dem Weihnachtsmann einen Schubs, sodass er nach hinten kippte und wie ein Käfer auf dem Rücken lag. »Wenn ich mit meinen Freundinnen gefrühstückt habe, schaue ich noch einmal bei Ihnen vorbei. Und heizen Sie endlich den Kamin ein. Es ist unfassbar kalt hier drin.«

Sie nickte Elke und mir knapp zu und rauschte von dannen.

»Oh Gott, sie kommt wieder«, jammerte ich, nachdem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war. »Sonst sehen wir sie monatelang nicht. Und heute will sie gleich zweimal vorbeikommen.« Ermattet ließ ich mich gegen die Ladentheke sinken. »Und hast du gehört, was sie gesagt hat? Sie will mich rausschmeißen, wenn die Umsätze nicht besser werden.«

Das durfte auf gar keinen Fall passieren! Ich liebte den Laden, seit ich das erste Mal auf meinem Weg zur Grundschule daran vorbeigekommen war. Ich liebte den Geruch von Papier, und ich liebte die Bücher, die ich verkaufte. Ich liebte die Kunden, von denen ich häufig nicht nur den Namen, sondern auch ihre ganze Lebensgeschichte kannte. Ich liebte sogar Elke.

»Die Umsätze der Adventszeit werden garantiert besser aussehen«, sagte sie beruhigend und drückte mich auf einen Stuhl. »Setz dich einen Moment hin und ruh dich aus, ich werde dir einen Kaffee kochen.«

»Das geht nicht.« Ich stand wieder auf. »Ich muss die Plätzchenteller aufstellen, den Punsch aufsetzen, und den Kamin müssen wir auch noch anfeuern.«

Elke zog eine Schachtel Streichhölzer aus der Tasche ihres knöchellangen Strickkleides. »Das mache ich. Kümmer du dich um die Plätzchen und den Punsch.« Kopfschüttelnd kniete sie vor dem Kamin nieder und fing an, Holzscheite darin aufzuschichten.

Ich steckte eine CD mit Weihnachtsliedern in die Musikanlage und ging dann in den Nebenraum, wo ich einen großen Topf und ein paar dekorative Teller aus einem der Schränke nahm.

Als ich in den Laden zurückkam, kauerte Elke immer noch vor dem Kamin. »Sag mal, hörst du das auch?«, fragte sie und lauschte.

»Was? Die Musik?«

»Nein. Ich meine nicht das Weihnachtsgedudel. Ich meine das Geräusch, das aus dem Kamin kommt.«

»Das bildest du dir ein«, sagte ich abwesend, während ich damit anfing, Plätzchen auf einem Teller zu arrangieren.

»Bist du taub?« Elke stand auf und schaltete die Musikanlage aus. »Da! Schon wieder.«

Dieses Mal hörte ich das Geräusch auch. Es war ein Scharren. Es hörte sich an wie … Oh nein! Bitte nicht. Nicht ausgerechnet jetzt, wo Frau Hasselbusch mir im Nacken saß und wir in einer knappen Stunde öffnen mussten.

»Das ist ein Vogel. Er steckt im Kamin fest«, stellte Elke fest.

»Da ist bestimmt kein Vogel drin«, sagte ich verzweifelt. »Wie sollte der denn hineingekommen sein?«

»Durch den Schornstein natürlich. Du weigerst dich ja, ein Gitter installieren zu lassen.«

»Weil wir kein Geld für solche Extras haben.«

Elke kramte eine Taschenlampe aus der Schublade des Ladentischs und leuchtete damit von unten in den Kamin hinein. »Hm, ich kann nichts sehen.«

Großartig. Was man nicht sah, war nicht da. Ich zückte ein Feuerzeug.

»Was machst du?« Elkes Augen begannen zu flackern.

»Ein Feuer entfachen.«

»Doch nicht, solange das arme Tier noch drinsteckt!«

»Wie oft soll ich es noch sagen? Da ist kein Vogel. Das Geräusch muss von irgendwas anderem kommen. Vielleicht … vielleicht hat sich … ein Blech gelöst und reibt an den Steinen. Also … lass mich zum Kamin. Oder willst du, dass unsere Kunden frieren?«

»Nein.« Elke schob den Unterkiefer vor. »Aber bei den Temperaturen draußen trägt doch sowieso jeder warme Kleidung. Die Leute werden froh sein, sich nicht ständig an- und ausziehen zu müssen.«

»Willst du bis heute Abend frieren?«

»Ich werde mich ebenfalls warm anziehen.« Elke griff nach ihrem Mantel, den sie nach ihrem Eintreten nachlässig auf den Ladentisch gelegt hatte.

Meine Geduld begann zu bröckeln, und die Zeit arbeitete gegen mich. »Elke, du kannst doch nicht vermummt wie ein Maroni-Mann im Laden stehen und Kunden bedienen.«

Meine Mitarbeiterin schürzte die ungeschminkten Lippen. »Doch, bevor ich eine unschuldige Kreatur töte, kann ich das.«

Ich atmete tief ein und aus. »Gut, der Vogel muss also raus …«

»Ha!« Elke hob triumphierend den Zeigefinger. »Du gibst also zu, dass er existiert.«

»Der Vogel muss raus, falls es ihn wirklich gibt«, sagte ich mühsam um Beherrschung ringend. Warum wollte Elke denn nicht einsehen, dass unsere Existenz von den Umsätzen abhing, die wir in den letzten Tagen vor Weihnachten machten? »Hast du irgendwelche Ideen, wie?«

»Wir rufen den Schornsteinfeger.«

Ich trommelte mit den Fingerspitzen auf den Verkaufstresen. »Irgendwelche Ideen, die nicht mit zusätzlichen Kosten verbunden sind?«

»Da fällt mir nichts ein«, gab meine Mitarbeiterin zu.

»Eine von uns könnte aufs Dach steigen und mit einem Besenstiel im Schornstein rumstochern. Vielleicht plumpst der Vogel dann unten raus«, schlug ich halbherzig vor.

»Das kannst du gerne tun.«

»Wir könnten auch eine Katze hineinstopfen und hoffen, dass sie ihn fängt.«

»Nicht witzig.«

Nein, das war es nicht. Verzweifelt warf ich erneut einen Blick auf die Armbanduhr. Nur noch 45 Minuten bis zur Öffnung des Ladens. Entschlossen ließ ich das Feuerzeug aufschnappen und sah Elke fest an. »Geh zur Seite!«

Meine Mitarbeiterin funkelte drohend zurück. »Nur über meine Leiche.«

»Spuck den Schlüssel aus, Elke.« Ich hielt die Hand auf, aber meine Mitarbeiterin presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.

»Ich habe doch den Schornsteinfeger gerufen. Er wird jeden Moment kommen. Was verlangst du denn noch von mir?«

»Ich traue dir nicht«, kam es undeutlich aus Elkes Mund.

So schnell hatte ich vorhin gar nicht schauen können, wie sie auf ihren Birkenstocksandalen in die Krimiabteilung geflitzt war, sich die Deko-Handschellen gegrapscht und sich anschließend an den Griff der Kamintür gekettet hatte. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren! Nur noch eine halbe Stunde, dann würde der Buchladen öffnen, und Elke veranstaltete ein solches Affentheater. Wegen eines Vogels … Von dem noch nicht einmal erwiesen war, dass es ihn überhaupt gab. Auch wenn ich leider zugeben musste, dass das Scharren, das aus dem Kaminschacht kam, kaum eine andere Schlussfolgerung zuließ.

Ein melodisches Bimmeln kündigte an, dass jemand den Laden betrat. Es war ein Mann, riesengroß und muskelbepackt, sein Gesichtsausdruck so düster wie seine schwarze Kleidung. In der einen Hand hielt er einen Werkzeugkoffer, und über seiner Schulter hing ein aufgewickeltes Drahtseil mit einer Bürste am Ende.

»Gott sei Dank sind Sie da«, stieß ich erleichtert aus.

Der Hüne schaute pikiert auf Elke. »Haben Sie am Telefon nicht gesagt, dass Sie einen Schornsteinfeger brauchen? Das sieht mir hier eher wie ein Fall für den Schlüsseldienst aus …« Er schüttelte sich die Schneeflocken aus dem dunklen Haar und stampfte ein paarmal auf den Boden, so dass sich eine kleine Pfütze unter ihm bildete.

Ich verkniff mir den Kommentar, dass sich vor der Ladentür ein Fußabtreter befunden hatte. »Den Schlüssel bitte, Elke.« Ich hielt erneut meine Hand auf, und dieses Mal gehorchte sie.

»Danke.« Mit spitzen Fingern zog ich ein Stofftaschentuch aus der Tasche meiner dunkelbraunen Marlene-Hose, wischte den Schlüssel damit ab und befreite Elke von ihren Handschellen.

Dann wandte ich mich wieder an den Mann. »Angeblich hat sich ein Vogel in den Kamin verirrt.«

»Nicht nur angeblich. Ich habe Flügelschlagen und Scharren gehört. Ganz deutlich. Aber sie …« Elke zeigte mit dem Zeigefinger anklagend auf mich, »wollte den Kamin trotzdem anzünden.«

»Weil es überhaupt nicht erwiesen ist, dass sich wirklich ein Vogel darin befindet«, verteidigte ich mich.

»Auf jeden Fall hättest du seinen Tod billigend in Kauf genommen.« Elke stemmte die Fäuste in die Seiten und reckte das Kinn. Besonders furchteinflößend wirkte diese Pose bei jemandem, von dessen Ohrläppchen gehäkelte Erdbeeren baumelten, jedoch nicht.

»Können Sie jetzt bitte anfangen zu arbeiten!«, drängte ich den Schornsteinfeger. Ich blickte auf meine Armbanduhr. Nur noch fünfundzwanzig Minuten. »Ich gehe davon aus, dass Sie Erfahrung mit Vögeln haben?!«

»Jaja.« Er nickte. »Tot, lebendig, schräg … Hatte ich alles schon.«

Blödmann!

Es bimmelte an der Tür. Hoffentlich war das kein verfrühter Kunde. Doch unsere Aushilfe steckte ihren blondgelockten Kopf in den Laden. Rosalie.

»Oh, ein Schornsteinfeger! Dann habe ich heute wohl Glück.« Sie klimperte mit ihren getuschten Wimpern.

Einen Euro in das Phrasenschwein! Wie oft er diesen Satz wohl am Tag zu hören bekam? Ich musterte den Mann verstohlen, um zu sehen, ob er Rosalie genauso herablassend behandeln würde wie mich. Doch bei ihrem Anblick erhellte sich seine finstere Miene sichtlich. Das war ja klar! Genervt verschränkte ich die Arme vor der Brust. Eine attraktive Frau im kurzen Kleid, die mit ihrer kurvigen Figur, ihren großen Augen und dem Schmollmund wie die Reinkarnation von Marilyn Monroe aussah, konnte sich einen solchen Spruch natürlich erlauben.

»Der Vogel …«, erinnerte ich ihn. »Könnten Sie jetzt endlich …«

»Welcher Vogel?«, wollte Rosalie wissen.

»Später«, wimmelte ich sie ab. »Wenn Sie aufs Dach müssen«, sagte ich zu dem Schornsteinfeger, »dann folgen Sie mir bitte.«

»Nicht nötig.« Er kniete sich auf den Boden und fing an, den Stapel mit den Holzscheiten abzubauen.

»Was machen Sie denn da?«, fuhr ich ihn an. »Sie sollen nicht Bauklötzchen spielen, sondern den verdammten Vogel entfernen.«

»Das habe ich vor«, sagte er, ohne sich nach mir umzudrehen.

»Wenn dieser Vogel wirklich existiert, befindet er sich aber nicht hinter dem Feuerholz, sondern im Kamin.«

»Dieser Vogel existiert«, beharrte Elke.

Der Schornsteinfeger baute weiterhin unbeirrt den Holzstapel ab.

Ich blickte Elke hilfesuchend an, doch die zuckte nur die Achseln. Nur noch achtzehn Minuten. Ich überlegte gerade, ob ich einen der Holzscheite ergreifen und ihn ihm über den Kopf ziehen sollte, als in der Rückwand des Kamins eine kleine, unscheinbare Tür sichtbar wurde. Sie war in der gleichen Farbe wie die Wand gestrichen und war mir noch nie aufgefallen.

Der Schornsteinfeger öffnete sie einen Spalt.

»Hier haben wir sie ja schon«, sagte er triumphierend.

Sie? Ich trat näher, um ihm über die Schulter zu schauen.

Er griff mit seiner Pranke in die Luke und zog eine Taube heraus. Ihr graues Gefieder war von einer dünnen Rußschicht bedeckt. Angesichts ihrer nervös zuckenden stecknadelkopfgroßen Augen überkamen mich tatsächlich Gewissensbisse, dass ich ihren Tod – wie Elke sagte – billigend in Kauf genommen hätte, nur um meine dürre, ewig mürrische Chefin zufriedenzustellen.

»Hab ich es dir doch gesagt«, trompetete Elke mir von hinten ins Ohr. »Im Kamin steckte ein Vogel. Und du hättest das arme Ding angekokelt.«

»Sie sind ein Held«, hauchte Rosalie.

»Sei nicht albern«, fuhr ich sie an, der Schornsteinfeger jedoch lächelte geschmeichelt und drehte sich zu ihr um.

In diesem Moment fing die Taube an, wild um sich zu picken, er fluchte unterdrückt, und der Vogel stob mit hektischen Flügelschlägen davon. Eine Rußwolke folgte ihm.

Entsetzt starrte ich dem Tier nach. Die Bücher! Den Ruß würden wir von dem Papier nie wieder abbekommen. Vom Taubendreck ganz zu schweigen. Ob der Laden gegen so etwas überhaupt versichert war?

»Öffne die Tür! Wir müssen ihn rausscheuchen«, schrie ich Elke zu. Gleichzeitig zerrte ich mir den Blazer vom Leib und schwang ihn wie ein Lasso über meinem Kopf. »Kschschsch, weg da!« Elke zog ihre Strickjacke aus und folgte meinem Beispiel. Doch die Taube flog zu weit oben, als dass wir sie hätten erreichen können. »Wir brauchen einen Besen. Lauf in die Putzkammer, Rosalie, und hol mir einen! – Sofort!«, brüllte ich, als sie nicht reagierte.

»Jetzt bleiben Sie gefälligst ruhig«, sagte der Schornsteinfeger.

»Ist das alles, was Sie zu sagen haben?«, keifte ich. »Eine Taube ist gerade dabei, unser komplettes Sortiment zu zerstören – während des Weihnachtsgeschäfts! – und alles, was Ihnen dazu einfällt, ist Bleiben Sie ruhig! Ganz abgesehen davon, dass Sie an allem schuld sind. Weil Sie viel lieber auf die Brüste unserer Aushilfe gestarrt haben, als Ihre Arbeit zu machen. – Na endlich!« Ich riss Rosalie den Besen aus der Hand und ging damit auf die Taube los, die auf einer der obersten Buchreihen Platz genommen hatte.

»Lassen Sie mich das machen!« Der Schornsteinfeger nahm mir den Besen ab.

»Damit Sie noch mehr Schaden anrichten? Ganz bestimmt nicht!« Ich riss den Besen wieder an mich.

»Sie kommen doch gar nicht richtig ran«, protestierte er.

»Das werden wir ja sehen! Und ich brauche Ihre Hilfe nicht. Machen Sie für heute Feierabend.« Ich sah ihm direkt in die Augen. Sie waren tiefblau. Das einzig Helle an seiner düsteren Erscheinung.

»Ups!«, rief Rosalie. »Die Taube hat auf den neuen Adler-Olsen gekackt!

Sch … ade! Ich wirbelte herum, den Besenstiel fest in meinen Händen – und schlug ihn dem Schornsteinfeger mit voller Wucht gegen die Schläfe. Der Mann taumelte zurück und prallte hart mit dem Kopf auf die Kante des Verkaufstresens, bevor er mit einem leisen Stöhnen in sich zusammensackte.

»Du hast ihn k.o. geschlagen!«, sagte Elke tonlos.

Oh Gott! Ja. Das hatte ich. Fassungslos starrte ich auf den hünenhaften Mann, der ausgestreckt auf dem Boden lag. Seine Augen waren geschlossen.

»Wir müssen ihn ins Büro bringen. Schnell.« Auf gar keinen Fall durfte ihn ein Kunde sehen. Oder, schlimmer noch, Frau Hasselbusch. Ich packte seinen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 17.05.2019
ISBN: 978-3-7487-0411-9

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