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Zarin Katharina - Russlands große Herrscherin

Zarin Katharina II.

Russlands große Herrscherin

 

eine Biografie

 

von Gertrude Aretz

 

 

 

 

 

Copyright 2016, Belle Epoque Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Raubkopierer werden strafrechtlich verfolgt.

Text neu bearbeitet durch Christian Reichenbach.

 

 

Kapitel 1 – Jugendjahre

Kapitel 1 – Jugendjahre

 

„Ich war eigentlich niemals schön, aber ich gefiel; darin lag meine Stärke", sagte Katharina von sich selbst. Ja, sie gefiel sogar ausnehmend, besonders den Männern. Aber auch andere, die ihr nahe kamen, mit Ausnahme von, wenigen, wurden von ihrer starken Individualität, ihrer reichen, mitteilenden Natur hingerissen. Und je älter sie wurde, desto mehr Freunde schaffte sich diese außerordentliche Frau, der man, wie selten einer, alle Fehler, alle Leidenschaften, alle Schwächen verzieh. Sie war eitel und koketter als jede andere, sie wechselte ihre Liebhaber so oft sie wollte, und doch sah ihre Mitwelt in ihr nur die große, geniale Herrscherin. Die Nachwelt ist weniger nachsichtig gewesen. Voltaires Weissagung: „La postérité n'aura jamais de démêlé avec l'impératrice", ist nicht in Erfüllung gegangen. Man hat sie scharf verurteilt, ohne ihrem Charakter objektiv gerecht zu werden. Eine der wenigen Zeitgenossinnen, Madame de Choiseul, die schon bei Lebzeiten der Kaiserin nicht verstehen konnte, wie man ein „Scheusal" so hoch verehrte, musste sich im Jahr 1767 von ihrem Freund Voltaire sagen lassen: „Es gibt eine Frau, die sich einen großen Ruf erworben hat. Das ist die Semiramis des Nordens, die 50 000 Mann marschieren lässt, um in Polen Toleranz und Gewissenhaftigkeit herzustellen... Ich darf mich vor Ihnen wohl rühmen, dass ich ein wenig in der Kaiserin Gnade stehe; ich bin ihr Ritter gegen und wider alle. Ich weiß wohl, man wirft ihr einige Kleinigkeiten gegen ihren Gatten vor. Das sind Familienangelegenheiten, in die ich mich nicht einmische. Übrigens ist es auch gut, wenn man ein Übel wieder gutzumachen hat. Da wird es einem nahegelegt, große Anstrengungen zu machen, um sich die Achtung und Bewunderung des Publikums zu erzwingen.

Und sicher hätte ihr gräulicher Gatte nicht eins der großen Dinge vollbracht, die meine Katharina alle Tage ausführt."

Der geistreiche Philosoph von Ferney deutete in diesen Worten nicht nur mit tiefer Wahrheit die Schwächen „seiner Katharina" an, sondern deckte ungewollt die Triebfedern auf, die sie als Weib ihren großen Handlungen zugrunde legte. Sie wollte, sie musste gefallen, denn sie hatte vieles gutzumachen. Ruhmsucht, Eitelkeit und Sinnlichkeit sind ihre stärksten Leidenschaften; Liebenswürdigkeit, Frohsinn und Güte ihre schönsten Frauentugenden. Selbst ihre galanten Zerstreuungen zeichneten sich dadurch aus. Nie hat sie den Männern, die sie näher kannten, Ekel und Abscheu eingeflößt, obschon sie später nicht mehr, wie Ninon de Lenclos oder Diane de Poitiers, geeignet war, physische Bewunderung oder nur Begehren zu erwecken.

Katharinas beinahe männliche Zügellosigkeit ist nicht ganz allein einer Naturanlage zuzuschreiben, sondern auch teilweise die Folge der Verhältnisse und Umstände gewesen, die sie umgaben. Vielleicht wäre sie in moralischer Hinsicht eine ganz andere Frau geworden, wenn sie gleich anfangs eine Liebe kennengelernt hätte, die sie vollkommen erfüllte und ihrem reichen, allen guten Einflüssen zugänglichen Gemüt entsprach. Sie war ganz die Frau, die sich von einer wahrhaft großen und reinen Liebe hätte leiten lassen können, ehe die Leichtfertigkeit sie auf Bahnen brachte, wo sie in anderen Lebensverhältnissen zur Dirne hinabgesunken wäre. Aber sie war Kaiserin, Selbstherrscherin mit unumschränkter Gewalt in ihrem Reich und an ihrem Hof. Das rechtfertigt zwar das moralische Leben Katharinas als Frau nicht, es entschuldigt jedoch vieles. Man denke sich, ein vierzehnjähriges deutsches Prinzesschen, ein Kind, in den strengsten sittlichen und religiösen Grundsätzen, ja in fast bürgerlich bescheidenen Verhältnissen erzogen, wird plötzlich an den halbasiatischen Hof der Zarin Elisabeth versetzt! Verschwenderischer, barbarischer Luxus, wüsteste Sitten, Intrigen aller Art, geheime und öffentliche Liebschaften! Das alles spielte sich vor den erstaunten Augen des unerfahrenen Kindes wie in einem Kaleidoskop ab. Die Sitten der Kaiserin Elisabeth, vor der sich die Menge und die Höflinge wie vor einer Göttin in höchster Verehrung bis zur Erde beugten, waren locker. Sie machte aus ihren unwürdigen Liebschaften kein Hehl und befand sich fast immer im Zustand halber Berauschtheit von ihren Gelagen. Ihre Hofdamen machten es nicht besser. Und das kleine Mädchen aus Deutschland, die Prinzessin Sophie Friederike Auguste von Anhalt-Zerbst, stand mitten drin. Dazu sollte sie einem kaum dem Knabenalter entwachsenen Bräutigam angetraut werden, der schon vor der Zeit verdorben war. Er erzählte ihr gleich alle seine Liebesabenteuer. Als sie seine Frau wurde, setzte er seine Liebschaften fort, war immer betrunken, brutal und kindisch zugleich, spielte mit Puppen und Soldaten und hielt im gemeinsamen Schlafzimmer eine Meute großer Jagdhunde. „Es gibt nichts Schlimmeres, als ein Kind zum Mann zu haben", schrieb Katharina später an Frau von Bielke; „ich gehöre zu den Frauen, die glauben, dass es stets die Schuld des Mannes ist, wenn er nicht geliebt wird; denn wahrhaftig, ich hätte meinen sehr geliebt, wenn er nur die Güte gehabt hätte, es zu wollen."

Ihre Ansicht ist vielleicht nicht ganz und für alle Fälle zutreffend, aber sie schließt eine gewisse Wahrheit nicht aus. So ging denn Katharina ihren eigenen Weg. Der Hof bot ihr wenig geistige Anregung. Die Frauen, die sie umgaben, waren weniger als durchschnittlich gebildet und besaßen ebenso wenig Seelenadel. Die einzige, die ihr geistig nahestand, die junge Fürstin Daschkoff, lernte Katharina erst später kennen. Es blieben ihrem regen Geiste nur die Männer, die am Hofe Elisabeths vielleicht auch nicht viel klüger waren als die Frauen, bei deren Unterhaltung jedoch für Katharina der Reiz des anderen Geschlechts hinzukam. „Von meinem fünfzehnten bis zu meinem dreiunddreißigsten Jahre", schrieb sie 1766 an dieselbe Frau von Bielke, „gab es in meiner Umgebung keine Frauen, mit denen ich mich hätte unterhalten können. Ich hatte nur Zofen um mich. Wollte ich mich unterhalten, so war ich auf Männer angewiesen. So ist es gekommen, dass ich aus Gewohnheit und Neigung es viel besser verstehe, mit Männern zu reden."

In ebenso weiblicher Art erzählt sie in ihren Memoiren, wie sie als Großfürstin den Versuchungen unterlag. „Ich gefiel, und folglich war der halbe Weg zur Verführung schon zurückgelegt. In solchem Falle liegt es in der menschlichen Natur selbst, dass die andere Hälfte folgt. Denn Verführen und Verführtwerden liegen gar nahe beieinander. Trotz der schönsten moralischen Grundsätze, die man sich im Geist vornimmt, ist man schon unendlich viel weiter als man glaubt, sobald Gefühl und Sinne sprechen, und ich weiß bis jetzt noch nicht — als Fünfzigjährige! —, wie man verhindern kann, dass es geschieht. Vielleicht wäre die Flucht das einzige Mittel, aber es gibt Fälle, Lagen, Umstände, wo die Flucht unmöglich ist. Denn wie soll man an einem Hof fliehen, ausweichen, den Rücken wenden? Auch das würde das Gerede der Leute herausfordern. Wenn man aber nicht flieht, gibt es meiner Meinung nach nichts Schwereres als dem zu entgehen, das einem im Grund außerordentlich gefällt. Alles, was man dagegen einwendet, ist nur prüdes Geschwätz, das keine Rücksicht auf das menschliche Herz nimmt. Niemand hält sein Herz in der Hand, und drückt es zu oder öffnet es nach Belieben."

Das ist freimütig gesprochen. Wenige Frauen haben den Mut, sich so zu analysieren und ihre Schwächen einzugestehen. Auch das ist eine Tugend Katharinas, dass sie ihre natürliche Veranlagung nie zu bemänteln sucht, dass sie nicht hypokritisch ist. Sie war kokett, leichtsinnig, ausschweifend, unersättlich in der Liebe, aber niemals heuchlerisch. Sie blieb nie halben Wegs stehen. Die Befriedigung ihrer Sinnlichkeit wurde ihr schließlich zur Gewohnheit. Und da sie als Kaiserin auch darin nur zu befehlen brauchte, so wusste sie am Ende weder die Grenzen des Alters noch die Grenzen ihrer Begierden zu ziehen. Bald war sie so wenig wählerisch, wie es in dieser Hinsicht meist nur Männer sind, für die die Liebe kein Erleben, sondern nur eine Episode ist. Der Unterschied der Anschauung über derartige Dinge liegt nicht in der Verschiedenheit der Naturen beider Geschlechter, sondern in der Erziehung, dem Milieu, den Sitten und Gewohnheiten, den verderblichen Einflüssen. Eine Frau, die einmal die Schranken durchbrochen hat, eine Frau, die keine äußere Rücksicht auf ihr Geschlecht mehr für nötig hält, eine solche Frau wird in den meisten Fällen ganz so handeln wie die Männer. Es hat Herrscherinnen und Fürstinnen gegeben, die das Günstlingswesen öffentlicher, schamloser und ausgedehnter betrieben als der in dieser Beziehung berüchtigste Monarch. Und es waren nicht immer Autokratinnen wie Katharina, die niemand, nicht einmal die öffentliche Meinung, über sich hatte. Russland war das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Katharina war bestrebt, diesen Ruf ihres Landes nicht zu schmälern. Ihr Tun und Handeln kannte keine Grenzen. Vor ihr beugte sich ganz Europa und war des Lobes voll. Inmitten ihres Volkes und ihres glänzenden, prachtliebenden Hofes thronte sie wie eine Göttin, wie ein höheres Wesen, dem Millionen von Untertanen täglich huldigten.

Und dennoch war diese große geniale Herrscherin früher nichts weiter als eine kleine unbedeutende Prinzessin gewesen, die der Zufall in das unermessliche Zarenreich rief und ein Gewaltakt, der ebenso gut hätte missglücken können, auf den Thron erhob.

Wie um alle großen Menschen, so webte die Legende auch um Katharinas Kindheitsgeschichte ihre` geheimnisvollen Fäden. Es wurden die absurdesten Geschichten über ihre Abstammung aufgetischt und verbreitet. Man sprach von einem Vater, der sich zu dieser Rolle nur inkognito bekannte und niemand anders sei als Friedrich der Große. Ein Genie wie Katharina musste doch ein Genie zum Vater haben! Friedrich, der, als Katharina geboren wurde, noch die harte Faust des Vaters kannte und durchaus nicht wie ein Mann behandelt wurde, war bei der Geburt Katharinas noch nicht siebzehn Jahre alt! Ferner nennt man einen jungen Russen, Iwan Betzki, den außerehelichen Sohn des Fürsten Trubetzkoi und Günstling Elisabeths. Katharinas Mutter lernte Betzki in Paris kennen. Er lebte später im Alter an Katharinas Hof und genoss ihre Wohltaten.

Katharinas Mutter, die Fürstin Johanna Elisabeth von Anhalt-Zerbst, war zwar in hohem Maße leichtfertig und nahm es mit der ehelichen Treue nicht so genau. Da sie jedoch erst siebzehn Jahre alt und erst ein Jahr verheiratet war, als sie Katharina gebar, so kann man wohl behaupten, dass in diesem Fall alle Mutmaßungen eben nur Mutmaßungen sind und Katharina die echte Tochter des Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst ist. Wie ein Brief des Vaters vom 2. Mai 1729 beweist, wurde sie an diesem Tag und in diesem Jahr um halb drei Uhr morgens geboren.

Die Geburt der kleinen Prinzessin war kein großes Ereignis. Die prinzliche Familie gehörte weder zu den begüterten noch zu den großen deutschen Fürstenhäusern. Das Haus Anhalt-Zerbst bildete einen Nebenzweig der fürstlichen Linie von Anhalt, die deren acht zählte. Im Jahre 1793 erlosch sie ganz. Katharinas Vater war zur Zeit ihrer Geburt Gouverneur unter dem König von Preußen, und so verbrachte die kleine Prinzessin Sophie den größten Teil ihrer Kindheit in Stettin in der Einförmigkeit des Garnisonlebens. Scherzend gedachte die spätere Kaiserin oft der bescheidenen Verhältnisse, in denen sie aufwuchs. Als der Baron Grimm, ihr eifrigster Briefschreiber und Ratgeber, viele Jahre später einmal' den Gedanken fasste, die Stätte der Kindheit seiner verehrten Herrscherin zu besuchen, schrieb sie ihm sarkastisch: „Was wollen Sie dort? Sie werden dort niemand mehr vorfinden... Bestehen Sie aber unbedingt darauf, so erfahren Sie, dass ich in Greiffenheims Hause beim Marienkirchhof geboren bin, im linken Flügel des Schlosses gewohnt habe und erzogen wurde; ich hatte drei gewölbte Zimmer neben der Kirche inne, und der Glockenturm stieß an meine Schlafstube. Dort unterrichtete mich Mademoiselle Cardel und hielt Herr Wagner seine Prüfungen mit mir ab. Von dort aus hatte ich täglich zwei- oder dreimal in lustigen Sprüngen zu meiner Mutter zu eilen, die am anderen Ende des Schlosses wohnte. Alles das bietet durchaus kein Interesse, wenn Sie nicht etwa auf den Einfall geraten, dass der Ort einen gewissen Einfluss auf die Hervorbringung leidlicher Kaiserinnen habe. In diesem Fall müssten Sie dem König von Preußen empfehlen, dort eine Art Pflanzschule (für Prinzessinnen) anzulegen."

Nichts schien also die kleine Prinzessin Sophie auf ihre große Zukunft vorzubereiten, die niemand, am allerwenigsten ihre Eltern, auch nur ahnen konnten. Wohl verband das bescheidene Fürstenhaus von Anhalt-Zerbst eine gewisse Verwandtschaft mit dem mächtigen russischen Reiche; man dachte jedoch gar nicht daran, dass diese Verwandtschaft einst ausschlaggebend für die Geschichte der Familie werden könnte. Sophies Mutter war eine geborene Holstein-Gottorp. Ein Fürst von Holstein-Gottorp hatte die Tochter Peters des Großen, Anna, die Schwester der nachherigen Kaiserin Elisabeth geheiratet, und ein anderer Holstein, Karl August, der Bruder der Fürstin Johanna Elisabeth von Anhalt-Zerbst, also Sophies leiblicher Onkel, war vor zwanzig Jahren mit der damaligen Großfürstin Elisabeth von Russland verlobt gewesen. Er starb jedoch kurz vor der Heirat an den Pocken.

Unergründlich sind die Wege des Schicksals! Figchen, wie Sophie in ihrer Familie genannt wurde, stand Großes bevor. Vorläufig jedoch hatte es nicht den Anschein, als wenn dieses Kind etwas Besonderes verspräche. Sie lernte zwar gut, aber ihre Erziehung war die Durchschnittserziehung aller Prinzessinnen der kleinen Fürstenhäuser. Sophie war ein „Querkopf und Konfusionsrat", wie sie sich selbst ausdrückte, der dem armen Fräulein Cardel manche schwere Stunde bereitete. Sophies Mutter, jung, leichtfertig und leidenschaftlich, war nicht in der Lage, ihr Kind zu erziehen; von ihr erhielt die kleine Prinzessin mehr Prügel als Liebe. Sie verstand es nicht, die guten Anlagen und Fähigkeiten ihrer Tochter zu vervollkommnen. Die Baronin von Printzen, Sophies späteres Kammerfräulein, zögerte nicht, ganz offen zu erklären, dass sie in der jungen Prinzessin nur einen ganz durchschnittlichen Charakter beobachtet habe, der sich weder durch besondere Eigenschaften noch Talente auszeichnete. Nur einen äußerst ernsten, kalten, berechnenden Verstand habe sie wahrgenommen. Ihre eigentliche Erziehung besorgte Katharina selbst, als sie in Russland war. Später sagte sie nicht ohne einen gewissen Stolz auf ihre Selbsterziehung: „Ich wurde erzogen, um einst irgendeinen kleinen Fürsten unserer Nachbarschaft zu heiraten. Man lehrte mich gerade, was ich brauchte. Ich und Mademoiselle Cardel hätten uns nicht träumen lassen, welches Geschick mir einmal bevorstand."

Dieses Geschick brach plötzlich, unversehens, wie ein Blitz aus heiterem Himmel über die kleine Sophie herein. Ganz unerwartet verbreitete sich am 9. Dezember 1741 die Nachricht über ganz Europa, dass die Tochter Peters des Großen, die Großfürstin Elisabeth von Russland, durch einen Staatsstreich, wie sie dort an der Tagesordnung waren, der Regierung des jungen Iwan von Braunschweig und der Regentschaft seiner Mutter ein Ende gemacht und sich selbst zur Zarin erhoben habe. Aus Pietät für ihren verstorbenen Verlobten hatte sie stets dem Hause Holstein-Gottorp eine gewisse Anhänglichkeit bewahrt. Dennoch staunte die Welt nicht wenig, als sie ein Jahr nach ihrer Thronbesteigung ihren vierzehnjährigen Neffen, den Prinzen Karl Peter Ulrich von Holstein-Gottorp, den Sohn ihrer Schwester Anna Petrowna nach Russland rief und ihn feierlich zu ihrem Thronerben ernannte. Figchens Mutter war außerordentlich stolz auf diese Auszeichnung eines so nahen Verwandten, um so mehr, da auch für die eigene Familie etwas von diesem Glanz abfiel. Friedrich der Große ernannte nämlich im Jahr 1749 den Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst zum Feldmarschall, ohne Frage, um der Kaiserin Elisabeth dadurch angenehm zu sein.

Prinzessin Sophie begleitete in diesem Jahr ihre Mutter nach Berlin, wo der berühmte Pesne ihr Bild malte, ebenfalls auf Veranlassung Friedrichs, der es für die russische Kaiserin bestimmte. Es verging jedoch noch ein ganzes Jahr, ehe Sophies Geschick sich entschied. Inzwischen war das Fürstentum Zerbst an den Bruder Christian Augusts, den Fürsten Johann Ludwig, übergegangen, und die ganze Familie fand sich Weihnachten 1743 dort versammelt. Man feierte fröhlich den neuen Wohlstand. Das neue Jahr wurde ebenso heiter begangen und eröffnete sich für die Familie unter einem guten Stern. Nach dem Morgengottesdienst in der Schlosskapelle geriet das kleine Fürstentum in die größte Aufregung, denn es traf eine Staffette von Berlin ein, die der Mutter der Prinzessin Sophie einen Brief des großfürstlichen Oberhofmarschalls von Brummer überreichte. Der Brief enthielt eine Einladung der Zarin Elisabeth für Mutter und Tochter an den russischen Hof. Sie sollten sich sofort reisefertig machen und sich auf dem kürzesten Wege zuerst nach Petersburg, dann nach Moskau begeben, wo sich Elisabeth und ihr Hof befanden. Für die Kosten der Reise hatte ihnen die russische Kaiserin 10 000 Rubel auf ein Berliner Bankhaus überschrieben. Diese Summe brauchte jedoch nur bis an die Grenze zu reichen. In Russland selbst sollte es den Damen und ihrer Begleitung an nichts fehlen. Übrigens ersuchte man sie, ihr Gefolge so sehr wie möglich einzuschränken. In Riga würde die junge Prinzessin eine Eskorte finden, die sie bis zur Residenz der Kaiserin geleiten sollte. Brummer gebot der Fürstin Johanna Elisabeth das strengste Geheimnis über diese Reise; der Fürst, ihr Gemahl, durfte sie nicht einmal begleiten. Nur mit Friedrich dem Großen war ihr erlaubt, über alles zu sprechen. Er war auf dem laufenden, denn wenige Stunden später langte auch ein Schreiben von ihm an, worin er auf die Möglichkeit einer Heirat der jungen Sophie mit dem Großfürsten Peter hinwies. Friedrich schreibt sich übrigens selbst den größten Anteil zu, die Prinzessin von Anhalt-Zerbst für die russische Heirat vorgeschlagen zu haben. Es lag ganz in seinem Interesse, lieber sie auf dem russischen Thron zu sehen als die Prinzessin Marianne von Sachsen, die Tochter des polnischen Königs August III. Friedrich hätte allerdings auch seine eigene Schwester mit dem Großfürsten verheiraten können, denn dieser Vereinigung wäre Elisabeth nicht abgeneigt gewesen; aber der Gedanke erschien dem preußischen König so absurd, dass er sich nicht enthalten konnte zu bemerken: „Nichts wäre unnatürlicher, als diese Prinzessin auf eine solche Weise zu opfern." Seine geliebte Schwester war ihm für das barbarische Russland zu gut. Irgendeine kleine unbedeutende Fürstin, die froh sein konnte, eine so glänzende Partie zu machen, und die vor allem politisch nicht zu fürchten war, musste das Opferlamm werden. Und so verdankte die große Katharina dem genialsten und größten ihrer Zeitgenossen und Rivalen indirekt ihre Bestimmung.

Es war jedoch keine Zeit zu verlieren. Ein Wunsch der mächtigen Kaiserin von Russland war wie ein Befehl. Brief auf Brief kam von Berlin, von Friedrich und von Brummer, um Mutter und Tochter zur eiligsten Abreise zu veranlassen. Figchens genußsüchtige Mutter hätte am liebsten Flügel gehabt, um so schnell wie möglich an den glänzenden russischen Hof zu gelangen. Sie erlebte schon im voraus alle Feste, Huldigungen, allen Reichtum und Glanz, die sie an Elisabeths Hofe erwarteten. Immerhin mussten doch einige Reisevorbereitungen getroffen werden, wenn auch keine Zeit blieb, um Sophie so auszustatten, dass sie standesgemäß in Petersburg oder Moskau auftreten konnte. Drei Kleider, ein Dutzend Hemden und ebenso viele Strümpfe und Taschentücher war alles, was die junge Prinzessin mitnahm. Da die Kaiserin versprochen hatte, für alles zu sorgen, sobald die Prinzessin russischen Boden betreten hätte, zerbrach man sich auch den Kopf nicht weiter darüber, am allerwenigsten Sophies Mutter. Sie dachte nur an sich und den Erfolg, den sie am russischen Hofe haben würde, zumal sie es sich auch vorgenommen hatte, politisch tätig zu sein, und zwar aus Dankbarkeit zugunsten Friedrichs des Großen.

Der jungen Prinzessin selbst war über den Zweck ihrer russischen Reise nichts Bestimmteres mitgeteilt worden, als dass es eine einfache Einladung sei, wie sie unter Verwandten üblich wäre. In fürstlichen Kreisen sind derartige Reisen indes stets auf ganz besondere Voraussetzungen begründet: auch Sophie wird sich die wahre Ursache gedacht haben. Alles deutete übrigens auf eine lange Abwesenheit, als sie am 12. Januar 1744 Zerbst verließ. Ihr Onkel, der regierende Fürst Johann, schenkte ihr zum Abschied mit vieler Bewegung einen wundervollen silberdurchwirkten Seidenstoff zu einem Hofkleid, und ihr Vater, ein strenger Protestant, drückte ihr mit Tränen in den Augen ein dickes Buch in die Hand, mit der geheimnisvollen Andeutung, sie werde es später wohl brauchen können. Es war eine Abhandlung von Heineccius über die griechische Religion. Christian August glaubte seiner Tochter keinen besseren Schutz gegen alle Einflüsterungen mitgeben zu können. „Der Vater war etwas halsstarrig", schrieb Friedrich der Große später an die große Landgräfin, „ich hatte viel Mühe, seine Skrupel zu besiegen; auf alle meine Vorstellungen antwortete er: ,Meine Tochter soll nicht griechisch werden.' Aber ein Pfarrer, den ich zu gewinnen wusste, war gefällig genug, ihn zu überreden, dass der griechische Ritus dem Lutherischen gleich wäre, und so wiederholte er nun unausgesetzt: ,Lutherisch-griechisch, griechisch-lutherisch, das geht an.'" Christian Augusts Tochter erwies sich später jedoch nicht nur als eine dem äußeren Scheine nach sehr devote Orthodoxe, sondern ihre Bekehrung war so vollständig, dass aus der kleinen Lutheranerin eine der größten Atheistinnen wurde, die je eine Krone getragen.

Sophies Vater hielt es außerdem noch für angebracht, ihr einige gute und wohlgemeinte Lehren mit auf den Weg zu geben, zumal er wenig Vertrauen zu der eigenen Frau hatte. Die Mutter hatte viel weniger Bedenken und war unglaublich glücklich, von der russischen Kaiserin so ausgezeichnet zu werden. Der Vater hatte daher ein langes Schriftstück verfasst, das er „Pro Memoria" nannte. Die junge Prinzessin sollte es lesen, sobald der Zeitpunkt gekommen sei. Er ermahnte sie darin, den größten Respekt und Gehorsam den Personen zu erweisen, von denen ihr künftiges Glück abhinge. Das Glück ihres zukünftigen Gatten solle ihr stets das Höchste auf der Welt sein. Stets solle sie es vermeiden, mit den Personen ihrer Umgebung, sei es wer es sei, in zu vertrauten Verkehr zu treten. Ihr Taschengeld solle sie für sich behalten, um nicht etwa von irgendeiner Hofmeisterin abhängig zu sein. Ferner dürfe sie sich nicht in Regierungsangelegenheiten mischen, oder, wie sich Christian August in dem Kauderwelsch, das sich damals die deutsche Sprache nannte, ausdrückte: „Nicht in Familiarité oder badinage zu entriren, sondern allezeit einigen égard sich möglichst konserviren. In keine Regierungssachen zu entriren, um den Senat nicht zu aigriren." Wie sich das junge Prinzesschen diese väterlichen Ratschläge zu Herzen nahm und sie befolgte, werden wir bald sehen. Im Hinblick auf Katharinas spätere politische Rolle nimmt sich diese väterliche Warnung wunderlich genug aus.

Vorläufig befand sich jedoch Sophie erst noch auf dem Wege zu ihrem Glück. Ihre Reise ging über Berlin, wo sie zum letzten Male den König sah, dann über Stargard, Memel, Mitau nach Riga. Es war eine beschwerliche, lange Fahrt mitten im Winter. Sie reisten unter dem angenommenen Namen zweier Gräfinnen Reinbeck. Figchens Mutter ertrug die Anstrengungen der Reise sehr schwer, während die junge kräftige Prinzessin kaum die Beschwerde fühlte und von dem Neuen, das sie zu sehen bekam, ganz in Anspruch genommen zu sein schien. Endlich erreichten sie Riga und wurden für alle Anstrengungen reichlich durch den glänzendsten Empfang entschädigt, den man ihnen bereitete. Sie reisten von nun an als wirkliche Fürstinnen. Johanna Elisabeth findet in ihren Briefen an den Gemahl kaum genug Worte der Begeisterung, um den Aufwand, die Pracht, die ehrenvollen Huldigungen zu beschreiben, die man ihnen erwies. Inmitten eines ungeheuren Reichtums, der ihr einen Vorgeschmack von dem Luxus des Zarenhofes gab, befand sie sich wie in einem Rausch. Kostbar ausgestattete Gemächer, an allen Türen Lakaien, auf allen Treppen Kuriere und Diener, in den hellerleuchteten und reich geschmückten Salons die ausgewählteste Gesellschaft des russischen und kurländischen Adels, der ganze Apparat eines glänzenden Hofes, bunte Uniformen, kostbare Kleider, diamantengeschmückte, schöne und liebenswürdige Frauen, vollendete Kavaliere, die sich vor Johanna und Sophie, zwei so nahen Verwandten der Zarin, tief verbeugten und ihnen die ritterlichsten Aufmerksamkeiten erwiesen. Wie im Traum schrieb die Fürstin an Christian August: „Es ist mir, als befände ich mich im Gefolge Ihrer Majestät der Kaiserin oder einer hohen Fürstlichkeit. Dass das alles für mich armes Ding, für das man anderenorts kaum die Trommel oder überhaupt nichts rührt, sein soll, kommt mir nicht in den Sinn."

In Mitau schon hatte Elisabeth für ein besseres Reisegefolge der beiden Fürstinnen gesorgt. Sie sandte ihnen äußerst bequeme Schlitten, die von sechs Pferden gezogen wurden. Mit Windeseile flog man über die weiten Schnee-Ebenen Russlands bis nach Petersburg. Hier hielten sich Mutter und Tochter nur drei Tage auf, eben nur die nötige Zeit, um Figchen mit einigen Hoftoiletten zu versorgen, damit sie anständig vor Elisabeth erscheinen konnte, die selbst 15 000 Seidenkleider und 5000 Paar Schuhe besaß. Die Tage in Petersburg waren eine Kette von Festen, Glanz und Aufwand. Johanna Elisabeth schwamm in Wonne und Begeisterung. Auf die junge Sophie hingegen schien alle diese verschwenderische Pracht wenig Eindruck zu machen. Bereits als Fünfzehnjährige sind bei ihr Anzeichen jenes klaren Blickes bemerkbar, der später die große Kaiserin so sehr auszeichnete. „Figchen southenirt die Fatigue besser als ich," schrieb die Mutter an den Gatten. „Die Größe von allem, was sie umgibt, hält ihren Mut aufrecht."

Kapitel 2 – Brautzeit in Moskau

Kapitel 2 – Brautzeit in Moskau

 

Von Petersburg bis Moskau reisten Sophie und ihre Mutter in rasender Eile Tag und Nacht, ohne sich Ruhe zu gönnen, denn die Kaiserin wünschte, dass die junge Prinzessin am 21. Februar, dem Geburtstage des Großfürsten, anwesend sei. Es wurden jetzt sechzehn Pferde vor den Schlitten der Fürstinnen gespannt, und wie ein Pfeil flog das Gefährt über die Steppe, an Dörfern und Flecken vorbei. Es wurden weder Menschen noch Tiere auf dieser rasenden Fahrt geschont. Aber man hatte wenigstens die Genugtuung, rechtzeitig vor dem Holzpalast, dem Galavinski Dvarets, den Elisabeth bewohnte, anzukommen. Die Kaiserin selbst war höchst ungeduldig, die kleine Prinzessin zu sehen, die sie für ihren Neffen bestimmt hatte. Schon von weitem beobachtet sie hinter der Menge ihrer Höflinge die Ankommenden, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Der Großfürst aber ließ in seinem jugendlichen Eifer und seiner Neugier alle Etikette außer acht und stürzte in die Zimmer der Fürstinnen, als sie sie kaum betreten hatten.

Es war nicht die erste Begegnung Figchens mit ihrem Vetter. Bereits im Jahr 1739, als er elf und sie zehn Jahre alt war, begegneten sie sich in Eutin im Haus seines Vormunds, des Erzbischofs von Lübeck. Dort wurde Peter Ulrich nach dem Tode seines Vaters, des Herzogs Karl Friedrich von Holstein-Gottorp, erzogen. Die zehnjährige Sophie mochte schon damals den blassen, hageren, kränklichen Jungen nicht leiden. Er schien ihr wenig angenehm, obschon man ihn bereits, wie sie sich in ihren Memoiren ausdrückt, „als fertigen Menschen auszugeben wünschte".

Der Knabe hatte eine traurige Jugend hinter sich. Er hatte fast gar keine Erziehung genossen, war durch Drohungen und Strafen scheu und unliebenswürdig geworden. Durch viele Schläge litt er an Kopfweh und Erbrechen. Er hasste seinen Erzieher, den Oberhofmarschall Brummer, aufs tiefste. Jemand sagte von diesem Menschenerzieher, er könne allenfalls Pferde dressieren, aber nicht Menschen heranbilden. Der junge Herzog war außerdem schlecht genährt; er hatte oft stundenlang auf sein Mittagessen warten müssen, weil man sich nicht um ihn kümmerte. Dann zwang man ihn, schon frühzeitig an gesellschaftlichen Vergnügungen teilzunehmen; er tanzte bereits auf allen Bällen. Die kleine Sophie hörte damals im Familienkreis von ihm sagen, der junge elfjährige Herzog neige zum Trunk und sei starrköpfig und jähzornig. Jedenfalls machte Peter in Eutin den unglücklichsten Eindruck auf sie, so dass sie absolut nicht mit ihm sprechen wollte. Als Sophie ihn zum zweiten mal in Moskau wiedersah, war es nicht viel besser, aber sie gab sich Mühe, ihre Abneigung gegen den sehr ungesund aussehenden jungen Menschen zu überwinden. Sie war gut und liebenswürdig mit ihm. Schon als kleines Mädchen verstand sie es, sich beliebt zu machen und sich Freunde zu schaffen. Bereits damals begriff sie, dass die Aussicht auf die Kaiserkrone kein geringes Geschenk des Schicksals für sie sei. Als wäre sie von Jugend auf an einem so glänzenden Hofe, wie es der russische war, aufgewachsen, fand sie sich bei aller Bescheidenheit ihres Wesens ausgezeichnet in ihre bevorzugte und künftige Rolle. Trotz ihrer großen Jugend fühlte sie sich vom ersten Augenblick ihres Erscheinens am russischen Hofe den schwierigen Aufgaben und ihrer Lage gewachsen. „Elle se plaît aux grandeurs qui l'environnent", schrieb ihre Mutter an Friedrich, und Katharina selbst bemerkte später in ihren Memoiren, als sie von ihrem Bräutigam sprach: „Er war mir ziemlich gleichgültig; aber die Krone von Russland war es nicht."

Kühle Berechnung, ruhige Überlegung und sicheres Handeln gehen aus ihrem ganzen Verhalten damals hervor. Sie beherrschte von vornherein die Lage. Sie war entschlossen, allen Schwierigkeiten zu begegnen, alle Opfer zu bringen, um der russischen Krone nicht verlustig zu gehen. Es gab allerlei Konflikte und Intrigen, sogar mit der eigenen Mutter, die — selbst noch jung und eitel — rücksichtslos und herrschsüchtig mit ihr verfuhr. Sie sah sich auch gleich anfangs in dem Strudel der Hofintrigen mit fortgerissen. Ihre Ankunft brachte den Kanzler Bestuschew, der für eine Verbindung mit der sächsischen Prinzessin war, in den hellsten Zorn und machte ihn ihr zum Feind. Mit unnachahmlichem Takt wusste jedoch die junge Prinzessin ihren Weg zu gehen und sogar aus ihren Feinden Freunde zu machen.

Die Kaiserin Elisabeth schien sehr zufrieden mit der Wahl der Braut für ihren Neffen und Thronfolger zu sein. Prinzessin Sophie gefiel ihr; sie fand ihre Eigenart entzückend und überhäufte sie mit Gnadenbezeigungen. Bald war auch der ganze Hof von der jungen, frischen Prinzessin begeistert. Weniger Anklang fand die Mutter, weil sie sich gleich anfangs in unvorsichtige und ungeschickte politische Intrigen einließ. Dennoch schrieb Johanna Elisabeth aus Moskau begeistert an ihren Mann nach Zerbst: „Wir leben hier wie Königinnen." Die Heirat Sophies, um die sie sich übrigens herzlich wenig bekümmerte, war für sie vollkommen klar, obgleich sich die Kaiserin noch nicht erklärt hatte. „Es ist eine abgemachte Sache", berichtete sie einige Tage später. „Die Kaiserin verwöhnt sie, der Thronfolger liebt sie." Auch ihr war die Krone Russlands in den Kopf gestiegen. Das Glück ihres Kindes opferte sie gern dafür. Wie es mit der Neigung ihrer Tochter zu dem Großfürsten bestellt war, danach fragte diese Mutter nicht. Das Herz der Fürstinnen hat keine Stimme. Peter war Großfürst und wurde später Kaiser. Zu einem solchen Glück war das der Seele nicht nötig.

Trotz ihrer großen Jugend sah Sophie gleich anfangs, dass dieser junge, krankhafte und infolge einer ganz falschen Erziehung bereits lasterhafte Mensch nicht der Mann war, von dem sie sich in ihrer Ehe Glück versprechen durfte. Er war in jeder Hinsicht ein jammervoller Gegensatz zu ihrem Charakter und zu ihrem klaren Verstande. Peter war heftig, brutal, gleichzeitig aber furchtsam und feig, prahlerisch, lügenhaft, kindisch. Die intelligente Sophie staunte mehr als einmal über seine grenzenlose Unwissenheit und freche Dreistigkeit, mit der er dennoch auftrat und sich der Heldentaten, die er nicht vollbracht, und seiner Liebesabenteuer rühmte. Denn der Sechzehnjährige hatte deren schon viele und scheute sich nicht, sie seiner zukünftigen Braut zu erzählen. Was ihm am meisten an Sophie gefiel, sagte er, sei, dass sie seine Cousine wäre. Infolgedessen könne er ihr alle seine Geheimnisse anvertrauen. Darauf gestand er ihr als erstes, er sei in ein Ehrenfräulein der Kaiserin verliebt, ein Fräulein Labukhin. Er habe sie heiraten wollen, da aber seine Tante wünsche, dass er sich mit ihr, der Prinzessin von Zerbst, vermähle, so habe er auf Fräulein Labukhin verzichtet. Solche und ähnliche Geschichten hielt der junge Prinz für seine Braut bereit. Er brachte ihr kein anderes Interesse entgegen als das der Verwandtschaft. Und doch hatte Sophie alles für sich, was sie in den Augen eines jungen Mannes hätte begehrens- und liebenswert machen können. Sie war für ihr Alter bereits sehr entwickelt, groß und wohlgebaut. Dunkle, weiche Locken, die immer reizend geordnet waren, umrahmten ein angenehmes frisches Gesicht mit einem lachenden Kindermund und schönen ausdrucksvollen grauen Augen. Dieses kluge, frühzeitig entwickelte junge Mädchen versprach einst eine sehr begehrenswerte Frau zu werden. Peters Ansprüche verstiegen sich jedoch nicht so hoch. Er hatte nur seine kindischen Vergnügungen im Sinn, zu denen sich später noch das Laster der Trunkenheit in erhöhtem Maß gesellte. Sophie machte meist gute Miene zum bösen Spiel. Sie hörte wohl zu, wenn er ihr seine Vertraulichkeiten offenbarte, lachte auch über seine Dummheiten, denn auch sie war noch ein Kind, und es fehlte ihr nicht an Übermut und Lebhaftigkeit. Aber im großen und ganzen hielt sie sich ziemlich fern von Peter. Es ist erstaunlich, wie gut sie schon damals die Menschen zu beurteilen verstand. Es war ihr sofort klar, dass sie sich vor allem die Zuneigung der Kaiserin Elisabeth sichern musste und es nicht besser konnte, als wenn sie ganz nach ihren Wünschen handelte. Sie staunte über Peters Unvorsichtigkeit und den Mangel an Urteil über viele Verhältnisse, zog jedoch den Nutzen daraus, dass sie um so besser „die Verhältnisse zu beurteilen" verstand.

Um in Russland festen Boden zu gewinnen und eine Rolle zu spielen, musste Sophie vor allen Dingen Russin werden. Das wusste sie. Peter hingegen wollte weder etwas von der russischen Sprache, noch von den Sitten und Gebräuchen des Landes, noch von der griechischen Religion wissen. Die Russen liebten ihn deswegen nicht, sondern sahen in ihm nur einen Fremden. „Ich sah und begriff", heißt es in Katharinas Memoiren, „dass er sich nicht viel aus dem Volke machte, das er einst regieren sollte. Er hielt zum lutherischen Glauben, liebte seine Umgebung nicht und war ein großes Kind." Um so mehr war sie bedacht, sich bei ihm beliebt zu machen. In ihren kleinen Mädchenhänden hielt sie bereits die Fäden, die sie für immer mit Russland verbanden. Sie war erst acht Tage in Moskau, als sie bereits drei Lehrer hatte. Simon Teodorsky unterrichtete sie in der griechischen Religion, Wasil Adaduroff brachte ihr die russische Sprache bei, und Monsieur Laudé war ihr Tanzlehrer. Auch der Großfürst hatte Lehrer. Besondere Mühe gab sich der Erzieher Stählin mit ihm. Er suchte ihm spielend auf dem Wege der Unterhaltung etwas Geschichte, Staatswissenschaften, Mathematik und Befestigungslehre beizubringen. Aber Peter war dem Lernen völlig abhold. Vom Russischen wollte er überhaupt nichts wissen; es war ihm viel zu schwer.

Die junge Prinzessin Sophie hingegen interessierte gerade diese Sprache am meisten. Während sich ihr zukünftiger Bräutigam mit allen möglichen Kindereien im Kreis seiner Dienerschaft abgab, suchte die kleine Ehrgeizige so viel wie möglich zu lernen. Um recht schnelle Fortschritte zu machen, stand sie sogar nachts auf, wenn alles um sie herum schlief, und studierte barfüßig und im dünnen Nachthemd eifrig die russische Grammatik, die Adaduroff ihr gegeben hatte. Es war mitten im Winter. Die Folge davon war, dass sie sich erkältete und eine gefährliche Brustfellentzündung zuzog. Vier Wochen lang schwebte sie zwischen Leben und Tod. Das Gerücht von ihrer Erkrankung verbreitete sich bald nicht nur am ganzen Hofe, sondern im ganzen Lande und verschaffte Sophie noch größere Sympathien. Man war im Innersten gerührt von diesem jungen Mädchen, das im eiskalten Winter nachts aufstand, um so schnell wie möglich die Sprache des Volkes zu lernen, über das sie einst an der Seite ihres Gemahls regieren sollte. In höchster Besorgnis eilt die Kaiserin Elisabeth aus dem Kloster Troitza, wohin sie sich mit einem zahlreichen Gefolge begeben hatte, an das Lager der jungen Kranken. Ihr eigener Leibarzt muss nun Sophie behandeln.

Nicht weniger als sechzehn mal in siebenundzwanzig Tagen zapft man ihr, nach der damaligen Methode, solche Krankheiten zu behandeln, das Blut ab. Das Fieber und die schrecklichen Schmerzen wollen nicht weichen. Man ist äußerst besorgt um die junge Prinzessin. Sogar der Großfürst beweist seine Gutmütigkeit durch das Geschenk einer prachtvollen diamanten- und rubinbesetzten Uhr. Schließlich glaubt man Sophies letzte Stunde gekommen. Man will einen Geistlichen rufen. Da sie noch nicht genügend in die griechisch-katholische Religion eingeweiht ist, denkt ihre Mutter an einen protestantischen Pfarrer.

„Wozu?" fragt die junge Kranke. „Lassen Sie lieber Simon Teodorsky rufen."

Die berechnendste und erfahrenste Komödiantin hätte nicht besser und politischer handeln können, als diese kleine kranke Prinzessin in ihrem natürlichen Instinkt — sie, die später die glühendste Verehrerin, die begeistertste Freundin und die gelehrigste Schülerin des größten Atheisten, Voltaires, wurde und sich zu ihm in aller Offenheit bekannte! Dieses Geschichtchen verfehlte nicht seine Wirkung. Es kam natürlich in die Öffentlichkeit und wob einen neuen Glorienschein um das Köpfchen der großfürstlichen Braut. In der „Petersburgischen Zeitung" war zu lesen, dass die Prinzessin Sophie sich mehrere Stunden täglich mit der russischen Sprache beschäftigte, und in den Krankheitsberichten wurde stets darauf hingewiesen, welche Geduld und Ergebung die junge Kranke an den Tag lege. Sophies Stellung in Russland war gesichert. Von diesem Augenblick an konnte sie gewiss sein, künftig im Herzen dieses naiven, tief religiösen Volkes Dankbarkeit und Anhänglichkeit zu finden.

Simon Teodorsky brachte ihr nicht die letzte Ölung. Sophies gesunde, junge Natur siegte schließlich vollkommen über die böse Krankheit. Zu ihrem fünfzehnten Geburtstag durfte sie zum ersten mal wieder aufstehen. Als sie einige Tage darauf bei Hofe erschien, war sie so blass, „d'une pâleur mortelle", dass die Kaiserin Elisabeth ihr etwas Schminke schickte. Damals konnte das kleine Prinzesschen sich noch nicht entschließen, ihr zartes Gesicht zu bemalen. Später, als sie älter war, tat sie es in einem Maß, dass man sich bisweilen darüber lustig machte. Die schlanke Prinzessin Sophie gefiel trotz ihrer Blässe und zog alle Blicke auf sich. Ihr liebenswürdiges heiteres Wesen, ihre kindliche Jugend erwärmte die kalte Hofluft um sie herum und gewann ihr alle Herzen. Sie gefiel und zog an, nicht nur infolge ihrer persönlichen Vorzüge, sondern wohl ebenso sehr durch ihre Intelligenz. Die Leichtigkeit und Ungezwungenheit, mit der sie sich in den neuen glänzenden Verhältnissen bewegte, die Schnelligkeit, mit der sie Russisch lernte und sich bemühte, sich in dieser Sprache auszudrücken, der Frohsinn und die Anmut, die in allem herrschten, was sie tat und sprach, nicht zum wenigsten aber auch die große Güte, mit der sie jedermann, besonders die Untergebenen, behandelte, schufen ihr ergebene Freunde. Man bedauerte sie im stillen, dass sie einen so untergeordneten Menschen wie Peter zum Mann erhielt, was nicht hinderte, dass der Welt der Anschein gegeben wurde, als hätte die größte Herzensneigung diese beiden so ungleichen Wesen zusammengeführt.

Beinahe hätte Sophies Glück jedoch eine andere Wendung genommen; die Krone von Russland hätte auf einem anderen als auf Katharinas Haupt gestrahlt! Und schuld daran wäre allein die Mutter gewesen. Es gab stürmische Auftritte zwischen der Kaiserin Elisabeth und der Fürstin Johanna, die sich unkluger-weise in die Intrigen gegen den Minister und Günstling Elisabeths eingelassen hatte. Durch einen Briefwechsel mit dem französischen Gesandten Chetardies hatte sie sich stark kompromittiert. Es wäre dieser unklugen Frau teuer zu stehen gekommen, hätte ihre Tochter damals nicht das ganze Vertrauen der Kaiserin besessen. Elisabeth begnügte sich, die Fürstin mit Verachtung zu bestrafen und sie, sobald die Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber waren, von ihrem Hof und aus Russland zu entfernen. Während einer solchen aufregenden Szene zwischen der Kaiserin und Johanna Elisabeth, die in Tränen gebadet vor der leidenschaftlich erregten Zarin lag, befanden sich der Großfürst und die Prinzessin Sophie in einem nicht weit davon gelegenen Zimmer. Wie echte Kinder saßen sie auf dem Fensterbrett und lachten gerade recht lustig miteinander, als plötzlich der Günstling Lestocq hereintrat und ziemlich barsch zu beiden sagte, diese Heiterkeit werde bald ein Ende haben. Die Prinzessin solle nur anfangen, ihre Koffer zu packen, denn sehr bald werde sie nach Deutschland zurückreisen müssen. „Es war mir klar", schrieb Katharina vierzig Jahre später über diese Szene, „dass der Großfürst mich ohne Bedauern hätte gehen lassen... Mein Herz prophezeite mir nichts Gutes. Nur der Ehrgeiz hielt mich auf recht."

Ehrgeiz, Willenskraft und Eitelkeit waren bereits in diesem Kind stark entwickelt. Mit einer Ausdauer sondergleichen hatte sie sich dem Studium der russischen Sprache ergeben, mit dem gleichen Ehrgeiz nahm die damals noch gläubige Lutheranerin den griechisch-katholischen Glauben an. „Der Religionswechsel", schrieb der preußische Gesandte Mardefeld an seinen König, „macht freilich der Prinzessin große Angst, und ihre Tränen fließen in Strömen, wenn sie allein ist mit Leuten, die ihr nicht verdächtig sind. Indes, der Ehrgeiz gewinnt am Ende doch die Oberhand."

Tatsächlich war Sophie schon im Juni 1744 so weit, dass sie in der kaiserlichen Kapelle des Galavinski Dvarets in Moskau ohne Stocken das Glaubensbekenntnis in russischer Sprache ablegen konnte. Sie wusste es so gut auswendig und sprach es mit so großer Ergebenheit und Frömmigkeit, dass der Metropolit von Nowgorod heiße Tränen vergoss, eine so überzeugte Blagoviernaia (Orthodoxe) in der zukünftigen Großfürstin zu sehen. Und alle Anwesenden weinten mit. Freilich hatten sie ebenso bei dem Übertritt des Großfürsten geweint, der während der Zeremonie Gesichter schnitt und die Zunge herausstreckte! Die Prinzessin war nun nicht mehr die kleine Sophie, die mit zagendem Schritt die Schwelle des Tempels mit den goldstrotzenden Heiligenbildern überschritten hatte: als Großfürstin Katharina Alexeiewna verließ sie die Kirche, und so wollen wir sie auch von nun an nennen.

Dieselbe Katharina, die damals in der Kirche des Galavinski Dvarets so andächtig gekniet und die Worte in heiliger Scheu gesprochen hatte: „Ich glaube und bekenne, dass der Glaube nicht allein zu meiner Rechtfertigung genügt ...", spottete später als Schülerin Voltaires über die Bekehrungen im allgemeinen. Als ihre zukünftige Schwiegertochter erwartet wurde, sagte sie: „Sobald wir sie haben, machen wir uns an die Bekehrung. Um sie zu überzeugen, werden wir wohl vierzehn Tage brauchen, denke ich. Wieviel Zeit nötig sein wird, ehe sie das Glaubensbekenntnis deutlich und richtig auf russisch lesen kann, weiß ich nicht." Jedenfalls nahm es Katharina als Fünfzehnjährige nicht so leicht, wie als Fünfzigjährige. Aber dafür erhielt sie auch zur Belohnung von der Kaiserin Elisabeth eine Halskette und eine Agraffe aus Diamanten, die ihre praktische Mutter auf 200 000 Rubel Wert schätzte.

Am nächsten Tage, den 29. Juni, fanden die Verlobungsfeierlichkeiten in dem Uspienski Sobor statt. Katharina war eine reizende Braut, der alle Herzen zuflogen. Man betrachtete sie als ein äußerst interessantes Kind, dem es nicht an Geist fehlte. Sie war in jeder Hinsicht ein sehr kluges Mädchen, das genau seinen Weg verfolgte. „Ich zeigte nach keiner Seite hin irgendeine Bevorzugung, mischte mich in nichts, war stets heiter, gegen jedermann zuvorkommend, aufmerksam und höflich, und da ich von Natur aus fröhlich war, sah ich mit großem Vergnügen, dass ich täglich mehr die Zuneigung des Publikums gewann... Meiner Mutter bewies ich stets große Achtung, der Kaiserin grenzenlosen Gehorsam, dem Großfürsten Ergebenheit — wenigstens äußerlich —, und ich gab mir die größte Mühe, mich beliebt zu machen." Sie beobachtete in allem die größte Vorsicht, tat nichts ohne Überlegung, während der Großfürst „diskret wie ein Kanonenschuss" war. Eines Tages teilte er seiner Braut ganz harmlos mit, sein Kammerdiener habe ihm geraten, seine zukünftige Frau sehr streng zu behandeln. Sie dürfe sich niemals in seine Angelegenheiten mischen; ein Mann, der sich von seiner Frau leiten lasse, sei ein Tropf. Ein andermal ließ er ihr durch einen Lakaien sagen, er könne sie nicht so oft besuchen, sein Zimmer läge zu entfernt von dem ihrigen.

Die junge Katharina hatte also keine Veranlassung, sich die Zukunft an der Seite eines solchen Mannes schön und glücklich auszumalen. Sie fühlte sich bitter in ihrem Stolz gekränkt, beklagte sich aber gegen niemand. Immer

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 18.01.2016
ISBN: 978-3-7396-3232-2

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