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1. Kapitel

Es war schon Nacht, als der Weihnachtsmann kam. Und Jane, die doch eigentlich auf ihn hatte warten wollen, schlief schon. Ein Glück, dass sie schlief, denn der Weihnachtsmann kommt bekanntlich erst, wenn alle schlafen. Er kam, und landete auf dem Dach. Das Trappeln der Rentiere drang durchs ganze Haus. Davon wachte Jane wieder auf. Schnell sprang sie auf, und schlich leise die Treppe hinunter. Das Weihnachtszimmer (das eigentlich das Wohnzimmer war), lag genau neben der Treppe, die hinauf zum Dachboden führte. Jane wartete. Ihr war klar, dass der Weihnachtsmann genau diese Treppe herunterkommen musste.

Und es dauerte nicht lange, da kam er. Aber er sah komplett anders aus, als Jane ihn sich vorgestellt hatte. Es trug nicht etwa einen roten Anzug mit einer Bommelmütze, oh nein! Er trug eine grüne Kordhose, und dazu eine braune Lederjacke. Er war ziemlich gewaltig, er passte kaum durch die schmale Tür. Er sah sich misstrauisch um, und schlich dann in das Weihnachtszimmer. Obwohl schleichen übertrieben war; es war mehr ein kriecherisches poltern. Wenn er so weiter machte, würde noch das ganze Haus aufwachen! Als er dann auch noch die Tür so laut ins Schloss fallen lies, dass ihre Mutter wahrscheinlich gerade aus dem Bett fiel,
konnte sich Jane nicht mehr beherrschen. „Du weckst ja das ganze Haus auf!“, rief Jane. Der Weihnachtsmann fiel fast hintenüber vor Schreck. „Du... du bist ja wach!“, rief er erstaunt. „Wie kann das sein?“ „Wie das sein kann?“, ärgerlich sah Jane ihn an. „Eine ganze Elefantenhorde würde nicht mehr Krach machen als du!“ „Krach? Ich?“ Der Weihnachtsmann sah sie erstaunt an. „Ja, natürlich! Glaubst du, die Bewohner dieses Hauses sind stocktaub?!“, antwortete Jane. Der Weihnachtsmann runzelte die Stirn und rieb sich die Nase. „Sollte es möglich sein, dass der Geräusche-Schlucker-Automat kaputt ist?“, grübelte er laut. So musste es sein! Und nun stand da dieses kleine naseweise Mädchen, das aufgewacht war. Eine echte Katastrophe! Unglaublich! Er, der Weihnachtsmann, hatte sich sehen lassen! Er schloss die Augen, aber als er sie öffnete, stand da immer noch dieses Mädchen. Er seufzte tief. Das Beste wäre es wohl mit dem Mädchen zu reden. Aber da sagte sie auch schon: „Du bist der Weihnachtsmann, oder?“ „Natürlich bin ich das! Hältst du mich für das Monster von Loch Ness?“, polterte er. Zu seiner Entschuldigung müssen wir sagen, dass dies sein erstes Gespräch seit 120 Jahren war, und er nicht so genau wusste, wie man mit kleinen Kindern spricht. Jane aber, war nun nicht im geringsten beleidigt. Falls ihr das gedacht haben solltet, so liegt ihr falsch. Sie sah ihn nur mit gerunzelter Stirn an, und fragte: „Was ist das, ein Geräusche-Schlucker-Automat?“ Der Weihnachtsmann seufzte. „Ich hab keine Zeit“, brummelte er. „War schön dich kennen zu lernen. Tschau!“ „Nichts da, tschau!“, rief Jane. „Ich möchte doch so viel von dir wissen! Wie heißen deine Rentiere? Heißt das eine wirklich Rudolf und hat eine rote Nase? Wie kommst du immer in die Häuser rein? Wie schaffst du es alle Menschen in einer Nacht mit Geschenken zu versorgen? Wie...“ „Stop! Stop!”, rief der Weihnachtsmann beschwörend. „Ich kann dir das doch nicht einfach so erzählen! Was glaubst du eigentlich, warum ich mich nachts in die Häuser schleiche? Damit ich nicht für einen Hausierer gehalten werde?“ Der Weihnachtsmann wurde rot im Gesicht, was ihm sehr gut stand. „Du glaubst wohl, dass ich jedem dahergelaufenen Kind...“, er verstummte. Sein letztes Gespräch war zwar (wie schon erwähnt) schon an die 120 Jahre her, aber so langsam dämmerte ihm, dass man so etwas nicht zu Kindern sagt, weder zu Kleinen noch zu Großen. Also stellte er seine Wortwahl auf: „Guter, netter Onkel“, und sagte: „Du gehörst ins Bett, meine Kleine.“ Tatsache war aber, dass die Tonstufe: „Guter, netter Onkel“, bei Jane nicht das Geringste nützte. Sie sah den Weihnachtsmann nur kühl an, als ob sie sagen wollte: „Mit der Nummer erreichst du bei mir rein gar nichts, Alter!“ Dem Weihnachtsmann entrang sich ein tiefer Seufzer. „Also gut.“, sagte er. „Bei so vielen Fragen gibts nur eins. Du begleitest mich ganz einfach ein Stück.“ Jane sprang begeistert in die Luft. Dann flitzte sie in ihr Zimmer, und zog sich einen Pullover an. Als sie wiederkam lachte der Weihnachtsmann. „So geht das bestimmt nicht!“, gluckste er. „Ein Schneeanzug wäre angebrachter!“ Jane überlegte kurz, dann lief sie in den Keller. Als sie wiederkam, hatte sie einen knallroten Schneeanzug an. Dann schlang sie sich noch Mamas guten Schal um den Hals, der sich mit seinem quitschenden Orange (sie hatten vor allem laute Farben) ganz fürchterlich mit dem Schneeanzug biss, und stellte sich vor den Weihnachtsmann. „Ich bin bereit!“, sagte sie mit gedämpfter Stimme durch Mamas guten Schal hindurch. „Gut so!“, rief der Weihnachtsmann aus. „Wir steigen durch die Dachluke aufs Dach zu meinen braven Rentieren.“ Und mit diesen Worten fing er an, die schmale Treppe die auf den Dachboden führte, zu erklimmen. Ohne zu zögern kletterte Jane hinterher.


Die Rentiere stampften schon ungeduldig mit den Hufen , als Jane und der Weihnachtsmann aus der Dachluke kletterten. Der Weihnachtsmann öffnete seine braune Lederjacke. Dabei wurde sichtbar, dass seine Jacke anscheinend nur aus Taschen bestand. Aus einer dieser unzähligen Taschen zog er jetzt ein Paar dicke Fäustlinge heraus. „Ein bisschen leiser, bitte. Soweit ich das sehe, ist nämlich der Geräusche-Schlucker-Automat kaputt“, mahnte er die Tiere. Jane sprang schon in den Schlitten, der mit Fellen und Decken wunderbar weich und gemütlich war. Der Weihnachtsmann zog eine kleine Karte aus der Jacke und seufzte. „Und zuwenig Zeit haben wir jetzt auch“, muffelte er. „Wir werden Gevatter Zeit einen extra Besuch abstatten müssen.“ Der Weihnachtsmann ließ sich in den Schlitten plumpsen, und schlang sich noch einen riesigen Schal um den Kopf. „Wer ist das, Gevatter Zeit?“, fragte Jane neugierig und kletterte in den Schlitten. „Das wirst du schon früh genug merken“, brummte der Weihnachtsmann und nahm die Zügel auf. Und mit Hü und Hott gings in die Nacht hinaus. Die kalte Nachtluft vertrieb den letzten Rest Müdigkeit, und Jane starrte gebannt in die Tiefe und in die Nacht. „Auf zu Gevatter Zeit!“, schrie der Weihnachtsmann und schnalzte mit den Zügeln. Die Rentiere galoppierten umso schneller, aber ihre Hufe machten keinerlei Laut. Schließlich galoppierten sie ja in der Luft, und so war das Schnauben der Rentiere das einzige Geräusch in der schwarzen Nacht. Nun ja, so ganz stimmte das nicht. Der Weihnachtsmann, der neben Jane saß, ließ ein Knistern ertönen, und bot Jane dann ein himbeerfarbenes Bonbon an. „Was ist das denn?“, fragte Jane und nahm das Bonbon entgegen. „Eine Weihnachtsmann-Spezialität?“ „Das ist ein Himbeerbrausebonbon. Ich bin ganz verrückt danach“, klärte der Weihnachtsmann sie auf. „Ein Himbeerbrausebonbon? Die gibts doch auch an unserem Kiosk zu kaufen!“ „Na und? Darf ich sie dann vielleicht nicht lutschen?“, fragte der Weihnachtsmann beleidigt. „Nein, nein, ich dachte bloß als Weihnachtsmann hast du einen...exklusiveren Geschmack.“ Nachdem Jane diese Erklärung abgegeben hatte, steckte sie sich zufrieden das Bonbon in den Mund und begann zu lutschen. Der Weihnachtsmann knurrte etwas in seinen weißen Bart und schnaubte verächtlich durch die Nase. Das kann ja heiter werden, dachte er, ein kleines, neugieriges Mädchen, dass auch noch an meinen Himbeerbrausebonbons herummäkelt! Was hab ich mir da bloß eingebrockt... Und dann verschluckte die kalte Nachtluft seine letzten Gedanken.

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Tag der Veröffentlichung: 25.02.2011

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