Zu Beginn hatte sie sich sofort versichert, dass seine Tasche, die gepackt war für ihr gemeinsames Wochenende, noch da war, wenn er weg ging Brötchen holen zum Frühstück.
Ungläubig hatte sie dann darauf gestarrt und sich gleichzeitig beruhigt und in angespannter Erwartung ob seiner Rückkehr, beruhigt in die Kissen zurück gelehrnt.. Wo sie ihn umfing, wenn er zurückkam: ihre Nase an seinem Hals unterhalb des Ohres, inmitten seiner braunen Locken, eine ihrer absoluten Lieblingsstellen, steckte, seinen Geruch inhalierte und sich fragte, ob es tatsächlich so war, dass sie diesen Geruch - eine Mischung aus Erde, Holz und Gewürzen -, dass sie ihn wiedererkennen würde, wenn sie ihn mit verbundenen Augen, wie im Märchen, erkennen und vor dem Tode retten müsste.
Sie war eine Närrin.
Verunsichert und aufbrausend und hilflos zugleich, verliebt in einen Menschen, der so völlig anders war als sie: das war beängstigend und aufregend zugleich.
Ihre Gedanken kreisten imme wieder, wie um Pole.
Südpol war: Wie kann er nur? Wie kann das gutgehen? Erträgt er mich? Meint er es wirklich ernst?
Südpol war Zweifel, Unsicherheit, Angst.
Nordpol war Sturm.
War: Ich bin wie ich bin! Bin in meiner Haut!
Nordpol war Ausrufezeichen, Südpol war Frage.
Waren sie beisammen, war sie auf eine ihr unbekannte Art ruhig.
Ihre Launen lachte er weg oder nahm sie in die Arme, um ihre Tränen wegzuküssen, was sie nur noch mehr zum weinen brachte.
Oft hilflos vor LIebe und Angst zugleich, erschrak sie vor ihrem großen Bedürfnis nach Nähe und ihrer gleichzeitigen Angst davor, diese Nähe nicht aushalten zu können.
Das war wirklich eine große Aufgabe für sie, diese Balance zu halten.
Ihre Gelassenheit hatte sie weit hinter sich gelassen.
Gefühle wie Liebe, Glück und Vertrauen betrachtete sie lieber aus der Distanz. Aus der Perspektive der Darüberstehenden - das war eine Illusion! Mit einem Wort einer Geste war sie mittendrinn.
Kannte sich nicht mehr aus, verlief sich, fiel hin, stand wieder auf, stolperte weiter.
Grübelte stundenlang über einen Satz, eine Frage, die sie hatte.
Ob sie das Recht habe, diese zu haben und sie am Ende sogar zu stellen. Stellte sie oft nicht, aus Angst vor der Antwort. Schob sie auf, bis sie sich von selbst stellte.
Sie hatte Fragen an die Liebe, die sie in sich trug:
Wenn Dich jemand liebt, bist du sicher, du hälst das aus?
Suchst du dir Zweifel, weil du nicht die Kraft hast zu vertrauen?
Wenn du dich fragst, womit du soviel Vertrauen und Liebe verdient hast, wie lautet die Antwort?
Wenn du dich fragst, ob er dich aushält und ob er immer noch mit dir zusammen sein will, wenn er dich WIRKLICH kennt?
Was bedeutet, jemanden wirklich zu kennen?
WEnn du Angst hast in einem Ozean von Gefühlen kläglich zu ertrinken, baust du dir eine Insel zum ausruhen und lädst du ihn eine, sich mit dir hinzulegen und aufs Meer zu schauen?
Oder schlägst du mit hartem Schlag Pfähle ein, spannst Stacheldraht?
Wenn du spürst, du hast den liebsten Menschen gefunden, den es für dich zu finden gibt, hälst du die Angst aus, ihn zu enttäuschen?
Ihn zu verlieren?
Hast du diese Kraft?
Kommst du klar mit Unzulänglichkeiten, Unvollkommenheit, Ungewissheit?
Mit deiner und seiner?
Schaffst du das?
Wenn du anfängst zu weinen vor Zärtlichkeit, kannst du es zulassen, dass er dich hält?
Wenn dich dein Blick so berührt, dass du vergehst vor Liebe zu ihm, was tusu du dann?
Wie lautet die Antwort und wer kann sie dir geben, wenn nicht du selbst?
Seit einer Stunde saß sie da.
Vorm Spiegel.
Inzwischen war es Mitternacht.
Sie war glockenwach, hatte Lust auf Rotwein und Zigaretten.
Hatte das Gefühl, aus der Zeit gefallen zu sein.
Ein Innehalten.
Eine mentale Pause machen, durchatmen, während die Welt sich draußen in Normalzeit weiterdrehte, war sie selbst in ihrem eigenen Raum-Zeit-Kontinuum und bekam Besuch von lange nicht mehr Dagewesenem.
Sie war in einem Alter, in dem man begann, sich zu verabschieden. Bewusst zu verzichten oder vielmehr, sich darüber bewußt zu werden, dass der Verzicht wichtig war.
Er war ein wesentlicher Bestandteil des Lebens und absolut notwendig, um zu reifen. Leichten Herzens verzichten zu können, war ein Geschenk.
Später sich erinnern und zu denken: es war gut so, nahm die Bitterkeit.
Als sie das dachte, fühlte sie sich alt und weise.
Sie lächelte in den Spiegel.
Fühlte sich Teil eines großen Ganzen und geborgen im Universum, in der großen Leere, im Fluss ihres Lebens, das irggenwie einen Sinn ergab und die Antwort auf ihre Fragen leise flüsternd perlengleich vor ihre Füße spülte, wo sie sie nur noch aufheben und begreifen musste.
Und das, dachte sie, ist der wirklich spannende Teil.
Sie lachte sich an, zwinkerte sich zu.
Dann stand sie auf und löschte das Licht im Bad. Lief barfüssig leise ins Schlafzimmer.
Der Geruch von Schlaf lag in der Luft. Ein bißchen modrig erinnerte er sie immer an Schafe.
Weiße, weiche Flockenwesen auf sattgrünen Wiesen.
Sie glitt ins Bett. Kuschelte sich an seinen Rücken und schlief ein.
Texte: copyright für fotos und text: Andrea und Daniel Campanile
Tag der Veröffentlichung: 16.01.2009
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