Prolog
Die Sonne schien hell durch die dreckigen Fenster und erhellte das kleine Zimmer. Sam seufzte und setzte sich im Bett auf, sie hatte schon lange dagelegen und nichts gemacht, jetzt war es Zeit aufzustehen.
Vorsichtig stand sie auf, trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass das Bett knarrte. Schnell schaute sie zum Bett auf der anderen Seite des kleinen Zimmers.
Sie machte sich umsonst sorgen. Ihre Mitbewohnerin, Sarah, lag genauso im Bett wie immer, sie hatte nichts gemerkt. Wenn Sarah erst einmal eingeschlafen war, konnte sie so gut wie nichts wecken. Sie nahm ihre Kleider und verschwand in Richtung Bad, das sie sich mit fünf anderen Mädchen teilte.
Noch niemand war da. Das war die gute Sache wenn man so früh aufstand, man hatte das ganze Bad für sich alleine.
Es war wahrscheinlich gerade mal sieben Uhr und dabei war Sonntag.
Sie seufzte, spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht und ärgerte sich darüber, dass sie so einen leichten Schlaf hatte. Sie versuchte immer, wieder einzuschlafen, konnte es jedoch nicht. Wenn sie erst einmal wach war, dachte sie über alles Mögliche nach, was es ihr unmöglich machte wieder einzuschlafen.
Sie strich sich durch das lange, gewellte, bronzefarbene Haar, dann ging sie in die Gemeinschaftsdusche und duschte kurz und kalt.
Sie trocknete sich ab, wobei das raue Handtuch ihre Haut rötete. Schnell zog sie sich an, bürstete sich die Haare mit der altersschwachen Bürste und betrachtete sich schließlich im Spiegel, welcher bereits einen Sprung hatte und wie die Fenster dringend geputzt werden musste. Zufrieden stellte sie fest, dass sie hübsch aussah. Soweit das möglich war in den alten Kleidern, die mindestens schon zwei Vorbesitzer gehabt hatten. Doch es waren ihre besten und sie gab sich damit zufrieden.
Sie hatte sich daran gewöhnt alte Kleider zu tragen, sie kannte fast nichts anderes mehr. Früher, vor fast fünf Jahren, als sie hier hergekommen war, hatte sie noch die schönen Kleider getragen, die ihre Mutter für sie gekauft hatte.
Mit der Zeit war sie aus ihnen herausgewachsen und nun trugen die anderen, jüngeren Kinder sie. Hin und wieder erkannte sie eins ihrer T-Shirts wieder, nur dass es jetzt genauso aussah wie die anderen Kleider, nicht mehr neu und schön, sondern ausgewaschen, und mit mindestens zwei genähten Stellen.
Sie erinnerte sich kaum noch an die Zeit vor dem Waisenhaus, nur das sie in einem schönen, großen, weisen Haus gelebt hatten und ihre Eltern sehr viel mit ihr gemacht hatten. Sie wusste, dass sie sie geliebt hatten. Gedankenverloren spielte sie mit der Kette um ihren Hals. Es war ihr wertvollster Besitz, und das einzige dass sie noch von ihren Eltern hatte. Ein Lederband an dem ein schöner Stein hing.
Früher hing er an einer Goldkette, diese hatte sie jedoch Verena geschenkt, als Dankeschön. Das wichtige war ja der Stein, nicht das Band an dem er hing.
Er hatte eine eigenartige Form, wirkte, als wäre er aus einem Stein herausgebrochen. An den abgebrochenen Stellen hatte er dieselbe Farbe wie ihre Augen – sie hatte sich schon immer gefragt, woher ihre Eltern diesen Stein hatten, es war genau die gleiche Farbe wie die ihrer Augen, nicht einmal eine Nuance unterschied -, jedoch nicht dieselbe Eigenschaft.
Ihre Augen waren geheimnisvoll und unglaublich schön – genau wie der Stein. Jedoch schimmerten ihre Augen im Gegensatz zum Stein je nach dem was sie trug.
Der Stein war grau, schimmerte im Licht.
Ihre grauen Augen schimmerten im Moment leicht lila, da sie ein lila Top trug. Sie mochte ihre Augen, sie faszinierten die Menschen. Sie stand nicht gerne im Mittelpunkt, fiel nicht gerne auf.
Die einzige Ausnahme machten ihre Augen, sie mochte es wenn den Leuten ihre Augen auffielen, da hörte es jedoch auch schon auf.
Leise öffnete sie die Tür ihres Zimmers, ging zum Fenster und öffnete es. Der Wind der ihr ins Gesicht wehte war keinesfalls kühl, eher warm. Die Klimaerwärmung war schuld, noch war es angenehm, doch spätestens, wenn es Mittag wurde, würde es unangenehm heiß werden – und dabei war noch Frühling.
Sie schüttelte traurig den Kopf, die Menschen hatten es sich selbst eingebrockt. Als wenn das nicht genug war, hatte sich vor zwanzig Jahren auch noch das Land geteilt.
Nach großen Katastrophen wie zum Beispiel Vulkanausbrüchen und Erdbeben, hatte die Menschheit sich auch noch gegenseitig bekriegt – sie stritten sich um die letzten Rohstoffe und bewohnbaren Orte.
Durch den Krieg und die Katastrophen waren die Kontinente auseinandergebrochen – sowohl örtlich, als auch im Geiste - und jetzt gab es nur noch viele Inseln.
Doch es hatte sich gebessert. Wie durch ein Wunder waren alle die den Krieg nie beendet hätten gestorben, und neue, bessere Menschen hatten ihren Platz eingenommen.
Die Kriege wurden beendet und statt sich die ganze Zeit zu bekriegen wurde alles wieder aufgebaut, die Menschheit wuchs wieder zusammen. Man kam zwar nur noch per Boot von einem Ort zum anderen, doch alle lebten in Frieden, halfen sich gegenseitig und erfanden neue Dinge, die Krankheiten heilten, das Leben erleichterten oder einfach nur das Wohlbefinden verbesserten. Das einzige was noch an die alten Zeiten erinnerte war die Klimaerwärmung, sie war geblieben.
Sie riss sich aus ihren Gedanken los und machte stattdessen ihr Bett, bevor sie das Zimmer verlies und hinunter ging um Verena beim Kochen zu helfen. Verena war eine nette, rundliche Frau, die man einfach mögen musste. Sie war die Leiterin des Waisenhauses in dem sie wohnte und unglaublich gutmütig, konnte jedoch schnell beleidigt werden, wenn jemand ihr Essen kritisierte.
Sie trat in die Küche und räusperte sich. Erschrocken drehte Verena sich um, doch als sie Sam sah lächelte sie sofort wieder und sagte mit ihrer lauten Stimme: „Ach Sam, du bist es. Wäre auch merkwürdig gewesen, wenn schon jemand von den anderen wach wäre.“ Den letzten Satz sagte sie enttäuscht und eher zu sich selbst. Sie hoffte immer noch darauf dass irgendwann jemand außer Sam so früh aufstehen würde um ihr zu helfen. Sams Ansicht nach konnte sie da noch lange warten.
„Kann ich dir helfen?“ Fragte sie und meinte es damit ehrlich. Sie war kein Mensch, der seine Hilfe nur anbot, wenn dabei voraussichtlich etwas Nützliches heraussprang. Sie wusste es zu schätzen was Verena für sie und die anderen Mädchen tat. Immerhin ernährte sie zwölf Mädchen von ihrem eigenen Geld und hin und wieder einigen Spenden und lies sie auch noch in dem Haus wohnen, das sie für ihre eigene Familie gekauft hatte.
Ihr Mann und ihre drei Kinder waren im Krieg gestorben.
Während sie kleine Brötchen formte fragte Sam sich zum bestimmt hundertsten Mal, warum ein so gutherziger Mensch wie Verena so ein Schicksal erleiden musste. Wahrscheinlich war es einfach nur Pech gewesen. Grausamer Weise war ihr Pech nun das Glück für sie und die anderen elf Mädchen.
Erst Verena riss sie wieder aus ihren Gedanken, indem sie fragte: „Bist du fertig?“ Sam starrte hinab auf das letzte Stück Teig, das sie jetzt bestimmt schon eine Ewigkeit in der Hand gerollt hatte, lief rot an, legte es auf das Blech und nickte verlegen.
Verena schaute weg.
„Du bist ein gutes Mädchen, deine Eltern wären stolz auf dich“, sie klang ehrlich und nahm Sam somit die Peinlichkeit.
„Könntest du bitte die anderen Mädchen wecken. Bis die aufstehen ist das Frühstück bestimmt schon kalt.“ Sam nickte, lächelte und ging zur Tür hinaus, durch den großen Speisesaal hindurch ins Treppenhaus.
Zuerst ging sie ihn ihr Stockwerk, nach ganz oben, wo die vierzehn bis achtzehnjährigen lebten und dann ein Stockwerk weiter hinunter zu den zehn bis vierzehnjährigen. Es gab keine jüngeren, da Verena die kleineren Kinder auf die Nerven fielen. Das behauptete sie zumindest, Sam vermutete das der wahre Grund war, das ihre Kinder alle jünger als zehn gewesen waren und sie sie sonst zu sehr an ihre eigenen Kinder erinnern würden.
Die Trennung war deswegen da, da sie so größtenteils in den unteren Stockwerken bleiben konnte. Da sie Probleme mit dem Treppensteigen und laufen allgemein hatte, war dies die einfachste Lösung, da die älteren nicht ständig jemanden brauchten der auf sie aufpasste.
Als sie alle geweckt hatte, hörte sie dann auch die ersten Duschen laufen. Die einzige die noch nicht wach war, war Sarah.
Sam versuchte noch ein letztes Mal sie zu wecken, bevor sie hinunter ging, und sich eines von den noch heißen Brötchen zu holen.
Sie wickelte es ihn ein sauberes Tuch, schaute Verena kurz fragend an, worauf diese nur leicht genervt sagte: „Sarah.“
Sie grinste und nickte, ehe sie die Treppen wieder hinaufging. Sie lief an zwei Mädchen aus ihrem Stockwerk vorbei, die, nachdem sie das Brötchen gesehen hatten sofort wussten was los war und wie aus einem Munde lachend „Sarah“ sagten.
Als Sam das Zimmer betrat, schlief Sarah immer noch, Beziehungsweise wieder.
Bei ihr konnte man sich da nie so sicher sein. Manchmal stand sie auf, kam hinunter zum Frühstück, um direkt danach wieder nach oben zu verschwinden. Wenn man dann hoch kam, lag sie wieder im Bett und schlief.
Falls man sie dann weckte und nach dem Grund fragte, warum sie so schnell verschwunden war, schaute sie einen nur verständnislos an und fragte wann es etwas zum Essen gab. Essen war somit auch das einzige, das sie noch mehr liebte als zu schlafen. Wenn sie nicht musste, stand sie meist erst gar nicht auf, sondern schlief bis zum Mittag, schlug sich dann den Magen voll um direkt danach wieder einzuschlafen. Wegen diesen Gewohnheiten wurde sie am Esstisch oft geneckt, jedoch immer im Guten.
Meist erinnerte sie sich danach nicht einmal mehr daran und konnte mittlachen, wenn die anderen ihr erzählten, wie sie sich über das Essen hergemacht hatte.
Langsam schlich sie an Sarahs Bett heran, um dann mit verführerischer Stimme anzufangen auf sie einzureden und ihr mit dem gut duftenden Brötchen unter der Nase herumzufuchteln. Augenblicklich war sie wach und fragte: „Gibt es denn schon Frühstück?“
Lautes Lachen erfüllte den Raum. Sam drehte sich um, nur um zu sehen, das eine Schar Mädchen vor der Tür stand und sie lachend beobachteten. Sam seufzte.
„Los richte dich, oder es ist nichts mehr für dich übrig.“
Kaum hatte Sam das gesagt, stand Sarah schon leicht schwankend da, was nur noch mehr Gelächter hervorrief.
Sam zerbrach das Brötchen und warf Sarah die eine Hälfte zu. Sie schaute nicht nach ob Sarah es gefangen hatte, sondern verlies einfach die andere Hälfte essend den Raum und ging in den Speisesaal.
Der Tisch war bereits gedeckt.
Die Mädchen boten zwar nicht freiwillig ihre Hilfe an, wenn es ihnen jedoch zugeteilt war, machten sie es sofort. Sam lächelte in die Runde und setzte sich auf ihren Platz. Es war zwar nie eine Sitzordnung festgelegt worden, und sie hatte es weder gewollt, noch darum gebeten, doch allen war klar, dass der Platz rechts neben Verena Sams war.
Als alle da waren, und selbst Sarah es irgendwie geschafft hatte auf einem Stuhl Platz zu nehmen, schauten alle zu Verena, bis diese nickte und damit allen zu verstehen gab, das sie anfangen durften. Selbst Sarah hielt sich an diese Regel, auch wenn man sah, wie kurz sie manchmal davor stand einfach anzufangen.
Als alle bis auf Sarah fertig waren, erhob Verena sich um ihnen wie üblich das neueste zu erzählen und die Aufgaben zuzuteilen.
„Nun da ihr fast alle fertig seid, wollen wir die Aufgaben verteilen. Heute bekommt leider keiner einen freien Tag, da uns etwas Besonderes bevorsteht. Ich habe es euch bis jetzt noch nicht erzählt, da ich es bis gestern selber nicht wusste. Eigentlich dürfte ich es nicht wissen, daher bitte ich euch darum es niemandem zu erzählen.“ Sie räusperte sich kurz, ehe sie fortfuhr. „In den nächsten Tagen, wird jemand von den Pazanern kommen, um zu überprüfen, ob ihr hier angemessen lebt, was ich doch sehr hoffe. Auch wenn ich denke, dass es euch hier gut geht, könnten sie anderer Ansicht sein, daher ist eure Aufgabe in den nächste Tagen einfach alles, wirklich alles zu putzen. Gut das war es erst einmal. Ansonsten weiß jeder wer Küchendienst hat, ansonsten fragt mich.“ Sie lächelte, dann schickte sie die Mädchen mit einer Handbewegung hinaus und rief ihnen noch zu: „Na los, an die Arbeit.“
Sam wusste was als erstes geputzt werden musste und suchte sich drei von den jüngeren Mädchen, die ihr helfen sollten.
Es dauerte eine Ewigkeit auch nur ein Fenster zu putzen, daher war sie auch unglaublich froh, als sich zwei weitere Mädchen zu ihnen gesellten.
Die nächsten drei Tage verbrachten sie größtenteils mit putzen. Sie mussten zwar auch in die Schule gehen, doch trotzdem war bald alles sauber.
Der Pazaner musste bald kommen, daher stieg auch die Spannung zwischen den Mädchen.
Am Abend, bevor der Pazaner kommen musste, war Verena nicht da, daher übernahm Sam die Verantwortung. Noch am selben Abend klingelte das Telefon und eine tiefe, unheimliche Stimme teilte ihr mit, dass Verena mit einem gebrochenem Fuß im Krankenhaus lag, sie sei hingefallen. Er erklärte ihr auch, dass sie noch eine Weile zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben musste. Sie hatte zwar ein ungutes Gefühl dabei, doch lies es letztendlich doch auf sich beruhen.
Da Verena es jetzt ja nicht mehr tun konnte, erklärte Sam sich bereit auch die Führung für den Pazaner durch das Haus zu übernehmen.
Am Nachmittag klingelte es an der Tür und Sam öffnete. Ein kleiner Mann stand vor ihr und musterte sie von oben bis unten.
„Gehört dir das Haus?“, fragte er mit hoher Stimme.
„Nein, aber die Eigentümerin ist aus gesundheitlichen Gründen zurzeit nicht anwesend.“ Der ekelhafte Kerl nickte und meinte nur: „Soso, ob es erlaubt ist seine Kinder ganz allein zu lassen? Nun, da muss jetzt aber etwas ganz besonderes kommen, wenn ihr das wieder reinholen wollt.“ Er machte eine kurze Pause in der er sich umsah.
„Ich hab gehört ihr seid nur Mädchen?“ Bei seinem Unterton lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter, daher erwiderte sie ebenso eiskalt: „Ja, haben sie ein Problem damit?"
„Nein, keinesfalls, ich finde das sogar sehr angenehm.“
Am liebsten hätte sie ihn sofort wieder hinausgeworfen, tat es jedoch nicht - zu viel stand auf dem Spiel. Stattdessen führte sie ihn im Haus herum. Nach einiger Zeit jedoch ärgerte sie sich, dass sie es nicht doch getan hatte.
Er achtete nicht sonderlich auf das Haus, wie sie lebten, sondern eher auf die Mädchen, wobei er jedes mit einem Grinsen bedachte.
Als sie dann mit der Führung fertig waren meinte er, immer noch mit einem Grinsen auf dem Gesicht: „Nun, wenn du mir noch einen klitzekleinen Gefallen tun könntest … wenn du verstehst was ich meine …“ Sie verstand Augenblicklich.
Er war keinesfalls ein Pazaner wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Bei dem Blick der auf ihr ruhte wurde ihr übel, und eine ungebändigte Wut machte sich in ihr breit. Sie war zwar ein friedliebender Mensch, doch dieser Kerl…
Sie packte ihn am Kragen und hob ihn einige Zentimeter in die Luft. Überrascht von ihrer eigenen Stärke, hätte sie ihn fast fallen gelassen, sie fasste sich jedoch gerade noch und fing an zu sprechen: „Wir haben uns die größte Mühe gemacht, das es hier schön aussieht und ich werde nicht zulassen das nur, weil sie ein Schwein sind, Verena alles verliert was ihr wichtig ist, haben sie das verstanden?!“ Zu spät wurde ihr klar was sie da tat.
„Nun Süße, du hast dir gerade eben alle Möglichkeiten selbst verbaut. Schönen Tag noch.“ Er löste sich aus ihrem Griff, fiel mit einem dumpfen laut auf die Füße und klopfte seinen Anzug ab. Gerade als er die Tür öffnen und gehen wollte, griff Sam nach ihm und zog ihn zurück. Er wollte sich wehren, doch sie hatte ihn im festen Griff.
Sie wusste nicht warum sie es tat, aber sie holte die Kette mit dem Stein daran hervor, hielt ihm den Stein vors Gesicht und starrte ihm in die Augen.
„Siehst du den hier? Das ist das einzige das ich von meinen Eltern noch habe, und Verena ist die einzige die je erkannt hat was mir wirklich fehlt. Sie ist die erste nach meinen Eltern die mir das Gefühl gibt, geliebt zu werden. Du wirst das nicht zerstören. Also, ich sag dir was du jetzt tun wirst: du wirst nach Hause gehen, morgen eine gute Bewertung abgebeben und nachdem du dies getan hast, vergessen, das ich dir je den Befehl dazu gegeben habe. Verstanden?“
„Ja“, seine Stimme klang tonlos, während er wie in Trance in ihre Augen starrte.
„Gut, dann geh jetzt.“
Er nickte hektisch und wollte gerade gehen, da hielt sie ihn noch einmal fest, schaute ihm ihn die Augen und sagte: „Bevor ich es vergesse, du wirst nie wieder irgendwelche Gefälligkeiten einfordern, sondern einfach das machen wozu du gekommen bist.“
Noch einmal nickte er und ging.
Sam stöhnte auf. Aus irgendeinem Grund hatte das mehr Kraft gekostet als erwartet.
Eigentlich sollte sie sich fragen wie sie es geschafft hatte ihn zu überzeugen, doch sie war zu müde. Erschöpft schaffte sie es gerade noch hinauf in ihr Bett, fiel hinein und schlief sofort ein.
Wenige Tage später kam auch schon der Brief von den Pazanern, in dem stand, dass sie bestanden hatten und zusätzlich auch noch Fördermittel bekommen würden, die Mädchen machten den ganzen Tag lang Luftsprünge.
Am selben Tag sollte auch Verena zurückkommen, sie würde sich unglaublich freuen. Niemand konnte wissen, dass dies nie geschehen würde.
KAPITEL 1
Luke wachte auf. Ein Blick auf die Uhr. Er stöhnte, es war schon nach zwölf.
Er hoffte dass sein Vater noch nicht da war, das würde Stress geben.
Eilig stand er auf, zog sich ein Shirt über und ging hinunter.
Er hatte Glück, sein Vater war noch nicht da. Stattdessen traf er seine Stiefmutter in der Küche an. Sie bemerkte ihn sofort.
„Luke, bist du auch endlich wach?!“
Zur Antwort brummte er nur.
„Du solltest dich richten, du weist wie dein Vater ist.“
Luke seufzte. „Was will der denn immer noch von mir, ich meine ich hab meinen Abschluss und sogar einen sehr guten.“ Das stimmte, von hundert Möglichen, hatte er neunzig Punkte.
Jetzt seufzte auch sie.
„Ich weiß, aber du weißt auch, dass er will, dass du einen guten Job hast. Er will doch nur das Beste für dich.“
„Das Beste? Denkst du das wirklich? Er will doch nur dass ich ein Pazaner werde und für Frieden und Gerechtigkeit kämpfe, dabei sind sie alle Schweine.“
Also Luke, willst du behaupten dein Vater sei ein Schwein?“
„Nein, natürlich nicht, aber fast alle anderen.“
"Ach wirklich“, sie zog eine Augenbraue hoch „nenn mir doch mal ein Beispiel.“
Er überlegte nur kurz, dann sagte er: „Kurt Auers“
Seine Stiefmutter lachte und stimmte ihm zu.
„An die blöde Anmache werde ich mich wohl mein ganzes Leben lang erinnern müssen.“ Sie lachten, dann meinte sie: „Na los, richte dich, bevor dein Vater kommt.“
Luke fehlte die Kraft zu wiedersprechen. Er nickte einfach und ging die Treppe zu seinem Zimmer hinauf.
Eigentlich war es mehr als ein Zimmer. Es war ein riesiger Raum, Dachschrägen machten ihn gemütlich. Ein einzelner Raum war davon abgetrennt. Es war sein Trainingsraum. Sein Vater bestand darauf, dass er jeden Tag trainierte, einige der wenigen Sachen, bei denen er seinem Vater nicht wiedersprach.
Neben dem Trainingsraum hatte er auch noch ein eigenes Bad.
Eigentlich konnte er sich nicht beschweren. Er hatte alles was er brauchte. Trotzdem regte es ihn auf, dass sein Vater ihn so sehr bevormundete. Schließlich war er achtzehn und damit Volljährig.
Schnell zog er sich an, sein Vater musste gleich kommen, er kam eigentlich immer pünktlich.
Genau zum richtigen Zeitpunkt verließ er sein Zimmer. Sein Vater betrat gerade das Haus. Luke begrüßte ihn mit einem kurzen Nicken und setzte sich an den bereits gedeckten Tisch. Innerlich machte er sich bereits auf den folgenden Streit gefasst. Heute tat er das umsonst. Als er fast mit essen fertig war und nichts passiert war, fragte er seinen Vater: „Wo bleibt der Streit, bist du endlich zur Vernunft gekommen und lässt mich in Ruhe?“
Dieser lächelte ihn nur an und meinte: „Nein, aber ich habe beschlossen, das wir uns nicht mehr rund um die Uhr streiten sollten, stattdessen mache ich dir ein Angebot.“ Er ließ das eben gesagte kurz wirken ehe er weitersprach.
„Wenn du mir bei meinem Aktuellen Fall hilfst, lasse ich dich einen ganzen Monat in Ruhe.“
"Einen ganzen Monat?“, fragte er misstrauisch geworden.
„Ja, einen ganzen Monat.“
„Worum geht es?“ Immer noch misstrauisch beäugte er seinen Vater.
„Ich werde dich nicht dazu zwingen, es ist nur ein Angebot…“
"Das habe ich verstanden, sag mir einfach worum es geht."
Sein Vater nickte.
„Nun ja, es geht um ein Waisenhaus, bei dem die Besitzerin gestorben ist. Da sie keine Nachkommen hat, müssen wir jetzt entscheiden, was mit ihnen geschieht.“
„Und was ist meine Rolle dabei?“
„Du wirst mir dabei helfen.“ Luke verdrehte die Augen, so langsam hatte er wirklich das Gefühl sein Vater hielt ihn für minder intelligent.
„Ja schon, aber wie?“
„Du wirst einen geeigneten Platz für die Mädchen suchen und zwar einen guten, dabei werde ich dich an nichts hindern, damit wirst du hoffentlich lernen wie man mit Verantwortung umgeht.“
„Gerne, wen´s nur das ist.“
„Bitte, nimm das nicht auf die leichte Schulter.“
„Natürlich nicht“, meinte er, doch seine Stimme ließ etwas anderes vermuten.
Sein Vater musste gänzlich verrückt sein, dass er ihn das ganz allein machen ließ. Glück für ihn, er konnte einfach die erst beste Lösung nehmen, die Mädchen dort hinein stecken und hatte dafür einen ganzen Monat seine Ruhe.
Er täuschte sich. Wie sehr er sich doch täuschte.
Nach dem Mittagessen sollte es losgehen. Sein Vater bat ihn, etwas Offizielleres anzuziehen, als das einfache, T-Shirt.
Er mochte es zwar nicht, doch für einen Monat lang Ruhe tat er es dann doch. Nachdem er sich umgezogen hatte, betrachtete er sich im Spiegel. Das Hemd stand ihm gar nicht schlecht.
Er hatte es offen gelassen, nicht in die Hose gesteckt, trug darunter immer noch das T-Shirt und dazu Jeans. Es wirkte offizieller, war jedoch trotzdem noch lässig, nicht so wie es bei denen aussehen würde, die sich bis oben zu geknöpft hatten und dazu auch noch Maßgeschneiderte Hosen trugen.
Das war seine Ansicht, seine Stiefmutter hingegen mochte es anders lieber, sagte jedoch auch, dass es bei ihm besser aussah, so wie er es trug.
Er ging zu seinem Vater hinunter, der wie fast immer seine Arbeitsuniform – ein dunkelblaues Hemd mit dem Wappen der Pazaner und dazu eine schwarze Hose – trug.
„Ist dir das förmlich genug?“ Lukes Stimme war eiskalt, herausfordernd.
„Für deine Umstände ist das in Ordnung."
Ein Moment der Stille folgte, in dem sie sich herausfordernd in die Augen starrten, ohne mit der Wimper zu zucken. Seine Stiefmutter unterbrach sie, indem sie kurz in die Hände klatschte, um sie auf sich aufmerksam zu machen, und sie dann einen rechts, einen links zur Tür zog, diese öffnete und beide mit einem Klaps auf den Rücken hinausschickte.
Wiederwillig verließen sie das Haus und gingen gemeinsam zur Anlegestelle ihres Bootes.
Luke bestand darauf zu fahren - seitdem er es durfte machte er es wann immer er konnte. Sein Vater sagte ihm hin und wieder wohin er fahren sollte, ansonsten sprachen sie nicht miteinander.
Luke verschwand total in sich selbst, außer ihm, dem Wasser, dem Boot und hin und wieder der Stimme seines Vaters schien nichts zu existieren.
Erst sein Vater, der ihm sagte, dass sie da waren, beförderte ihn wieder in die Wirklichkeit. Vorsichtig lenkte er das Boot an die dafür vorgesehene Stelle und stieg aus. Die Insel auf der das Haus stand war größer als ihre eigene, dies lag keinesfalls daran das sie arm waren, nein das Gegenteil traf zu. Sie hatten die ganze Insel für sich allein, während das Waisenhaus sich den Platz mit mindestens drei anderen heruntergekommenen Häusern teilen musste.
Das Waisenhaus war nicht sonderlich schön, war jedoch ansonsten vollkommen in Ordnung. Nirgends schien etwas undicht zu sein, auch war keine einzige Scheibe kaputt. Es machte nicht den Eindruck als wäre es ein Waisenhaus. Als er sah wie gut sie gelebt hatten, bekamen ihn auf einmal Schuldgefühle, bei dem was er vorhatte. Diese Kinder, die nach dem Tod der Eltern in einem so schönen, neuen zu Hause leben durften hatten etwas besseres verdient… er wollte nicht derjenige sein, der es ihnen wieder wegnahm, immerhin wusste er wie es war einen geliebten Menschen zu verlieren - seine Mutter war gestorben als er fünfzehn war.
In Gedanken wiedersprach er sich selbst.
Diese Kinder hatten eine Zeitlang hier gelebt, sie sollten sich damit zufrieden geben.
Zusammen mit seinem Vater stand er vor der Tür, noch konnte er einen Rückzug machen… seine Hand fuhr wie fremdgesteuert zur Klingel, er wollte sie gerade zurückreisen, doch es war zu spät. Er hatte bereits gedrückt.
Während er wartete drückte irgendetwas auf sein Herz. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, offensichtlich mussten sie sich erst einigen, wer die Tür öffnen sollte. Dann endlich, ging sie auf.
Es hatte geklingelt. So langsam ging es ihr auf die Nerven.
Ständig kamen irgendwelche Leute, entweder um sie zu bemitleiden oder weil sie irgendwelche rechtliche Fragen klären wollten. Daher bat sie auch Sarah die Tür zu öffnen. Zuerst wiedersprach sie, doch dann nahm sie das Brötchen, das sie gerade aß und stand auf um die Tür zu öffnen. Sie hörte Sarahs Stimme, verstand jedoch nichts – wahrscheinlich sprach sie mit vollem Mund. Kurz darauf hörte sie Sarah – anscheinen ohne das etwas in ihrem Mund war – sie rufen. Seufzend stand sie auf und fragte: „Was gibt es.“
„Hier sind zwei Pazaner die dich sprechen möchten.“
Innerlich stöhnend ging sie zur Tür und setzte ein nettes Lächeln auf.
Nein, Sarah hatte sich geirrt, es waren keine zwei, es war nur ein Pazaner, zwar zwei Männer, jedoch nur ein Pazaner. Das erkannte sie an der bescheuerten Uniform die nur der eine Mann trug. Misstrauisch beäugte sie den Mann der im Vordergrund stand, den der kein Pazaner war.
„Was wollen Sie?“ Ihre Stimme war voller Hass, die Erfahrung, die sie mit dem letzten Pazaner gemacht hatte war ihr keinesfalls gut in Erinnerung geblieben.
Er ist kein Pazaner, sagte sie zu sich selbst. Doch trotzdem, irgendetwas an ihm war merkwürdig, er zog sie auf eine Merkwürdige Art und Weise an und das verunsicherte sie. Er wirkte ebenfalls leicht verunsichert, jedoch kannte sie seinen Grund nicht.
Nun ja, andere Leute hätten ihn nicht gekannt. Sie hingegen wusste ungefähr was in ihm vorging, zumindest ahnte sie es.
So wie er aussah war er bestimmt ein Frauenheld und wurde noch nie so angesprochen. Sie wollte ihm gerade sagen, dass es ihr Leid tat, das sie so unhöflich gewesen war, doch er war schneller.
„Also… ich bin Luke Cymes… und das ist mein Vater William Cymes.“ Sie zögerte einen Moment, ehe sie seinem Vater kurz und dann ihm die Hand schüttelte. Als sie Lukes Hand berührte lief ihr ein warmer Schauer über den Rücken.
Zumindest war er höflicher als der andere Kerl, der letzte Pazaner, Luke hatte sich wenigstens vorgestellt - er musste eine sehr gute Mutter haben, denn von seinem Vater hatte er es sicherlich nicht.
Wobei… der Mann hinter ihm wirkte nett und sah keinesfalls so aus als wäre er ein Schwein, trotzdem, man kann sich nie sicher sein…
In dem Moment wurde ihr klar, dass sie sich noch nicht vorgestellt hatte und Lukes Hand immer noch hielt. Peinlich berührt zog sie die Hand zurück und stellte sich vor.
„Ich bin Samantha. Ich trage solange… Ich trage die Verantwortung hier.“ Sie starrte ihm in die grünen Augen. Es waren echt schöne Augen…
Wie aus weiter Ferne drangen seine Worte an ihr Ohr.
„Samantha… und wie heißen sie weiter?“ Sie erstarrte kurz bei der Frage. Was sollte sie sagen? Noch bevor sie antworten konnte, sah sie wie der Vater dem Sohn einen leichten Schlag in die Rippen versetze.
Dieser verstand sofort, lief rot an und stotterte: „Tu…tut mir leid… ich wollte nicht…“ Sie unterbrach ihn – sie wusste nicht warum – indem sie anfing zu prusten. Sie lachte und bekam sich gar nicht mehr ein. Dann wusste sie warum.
Es war einfach absurd, das sie so einen gutaussehenden, selbstbewussten Mann in Verlegenheit gebracht hatte und das nur, weil sie ihren Nachnamen nicht wusste.
"Das muss ihnen nicht peinlich sein“, brachte sie unter lautem Lachen hervor. Sie hörte wie er offensichtlich zu sich selbst sagte: „Spätestens jetzt ist es mir peinlich.“ Das brachte sie nur noch mehr zum Lachen.
Sie sah die anderen Mädchen überrascht in der Tür zum Speisesaal stehen.
Eigentlich sollte ich doch ein Vorbild sein, überlegte sie sich, doch als sie die verdutzten Blicke der Mädchen bemerkte, bekam sie sich beim besten Willen nicht mehr in den Griff.
Als sie sich dann doch wieder ein wenig beruhigt hatte und die Herren gerade hineinbitten wollte, sah sie den Pazaner der sie amüsiert beobachtete, und noch schlimmer, seinen Sohn, wie er sie entsetzt anschaute. Lachend brachte sie nur ein „Sorry“ hervor, bevor sie davon lief um sich wieder zu beruhigen, sie würden es bestimmt auch einen Moment ohne sie aushalten.
Sie war länger oben als sie gebraucht hätte. Bereits vor einer Weile hatte sie sich wieder beruhigt und fragte sich gerade nur, was eigentlich der Grund für ihren Lachanfall gewesen war. Der Grund, den sie sich vorhin überlegt hatte, war absurd, nur weil jemand verlegen war, fing man doch nicht plötzlich zu lachen an!
Sie kam zu dem Ergebnis, dass sie völlig ohne Grund angefangen hatte zu lachen. Eine Entschuldigung war wohl angebracht.
Hoffentlich würde er es ihr nicht übel nehmen, denn er wirkte nicht wie jemand, der oft ausgelacht wurde.
Als sie sich die Tränen aus dem Gesicht gewischt und die zerzausten Haare gekämmt hatte, atmete sie ein letztes Mal tief durch und ging hinunter zu den anderen. Als sie in den Speisesaal trat und Luke ins Gesicht sah, konnte sie gerade noch einen zweiten Lachanfall verhindern.
Er schaute sie an, als wäre sie verrückt.
Einen Moment dachte sie darüber nach, ob sie Möglicherweise wirklich verrückt war, musste den Gedankengang jedoch unterbrechen um sich zu entschuldigen.
Er nickte nur kurz und schaute sie weiterhin an, als wäre er anstatt in einem Waisenhaus, im Irrenhaus gelandet.
Schnell drehte sie sich dem Pazaner zu, um keinen Reiz mehr zu haben loszulachen. Sie versuchte eine ernste Miene aufzusetzen, was ihr vermutlich nur sehr schlecht gelang und fragte ihn die wichtigste Frage die es im Moment gab: „Warum sind sie hier?“
„Frag nicht mich, frag meinen Sohn, er hat hier die Verantwortung“ seine tiefe Stimme klang freundlich, sie ließ ihre schlechte Erfahrung etwas in den Hintergrund rücken. Stattdessen wurde ihr Eindruck von Luke schlechter, denn als sie sich umdrehte, sah sie, wie er mit Janine einem der Mädchen flirtete, welches etwa in Sams Alter war. Sie sah zwar, dass er etwas wiederstrebte, trotzdem ließ es ihren Zorn aufblitzen. Als sie es merkte wunderte sie sich zwar, ließ es jedoch zu.
Er würde ihr helfen.
Sie ging langsam hinüber zu ihnen, stellte sich groß neben die beiden und räusperte sich. Janine schenkte Luke noch ein Lächeln, dann drehte sie sich langsam zu Sam um und zischte ihr durch die Zähne hindurch zu: „Sam, siehst du nicht das wir beschäftigt sind?“ Sam starrte auf Janines Oberkörper. Sie hatte ihr Top ein Stück hinuntergezogen, so, dass man mehr sah als Sam sich je trauen würde zu zeigen.
Von ihrem Zorn getrieben sagte sie: „Oh doch, glaub mir, dass sehe ich“ dann atmete sie einmal tief durch, setzte ein Lächeln auf und sagte wieder im normalen Tonfall: „Könntest du bitte wie die anderen Mädchen - die es falls du es noch nicht bemerkt hast schon getan haben – das Zimmer verlassen, wir haben etwas wichtigeres zu tun.“ Sie fixierte Janine lange, bis diese wütend den Raum verlies.
Das muss ich mir wahrscheinlich noch öfters anhören, dachte sie und ein leiser, aber deutlich vernehmbarer Seufzer entfuhr ihr.
„Und nun, da wir endlich ungestört sind, können wir damit beginnen, ihnen ihre Freiheit zurückzugeben“ ihre Stimme war eiskalt.
Sie wusste sehr genau was für ein Typ Mensch er war. Er bot niemandem etwas an, ohne eine Gegenleistung zu erwarten und nach den gelegentlichen, feindseligen Blicken die er mit seinem Vater gewechselt hatte, ging es wahrscheinlich um irgendeine Angelegenheit zwischen ihnen beiden.
Sie sah die Überraschung in Lukes Blick und bemerkte den hasserfüllten Blick in Richtung seines Vaters.
Aha, er denkt also sein Vater hätte es mir verraten.
Sie grinste in sich hinein, dieser Mann hatte entweder keinerlei Menschenkenntnis oder er hasste seinen Vater so sehr, dass er alles andere übersah - beide Möglichkeiten waren keinesfalls gut.
Sie klatschte kurz mit den Händen um ihn wieder auf sich aufmerksam zu machen. Als er das sah, erkannte sie ein Glitzern in seinen Augen, wusste jedoch Ausnahmsweise nicht was es zu bedeuten hatte.
Er nickte zur Bestätigung.
Sie begannen über langweiliges Zeug zu faseln. Erst jetzt merkte sie, wie wenig Ahnung er wirklich hatte. Als er dann eine Liste machte, in der er die Kriterien sammelte, fing sie an zu grinsen.
Er musste wirklich blöd sein, das er sich das nicht merken oder von alleine denken konnte, war er denn kein Mensch?
Zum Schluss fragte er dann noch leicht unsicher: „Wer es leitet ist egal, oder?“ Sie starrte ihn fassungslos an.
„Um Gotteswillen, nein! Würden sie denn irgendwo wohnen wollen, wo man sie die ganze Zeit nur anmotzt?“
Sie bemerkte denn verstohlenen Blick den Luke seinem Vater zuwarf und verstand auf einmal, worum es zwischen den beiden ging.
„Nein, natürlich nicht.“
„Gut, dann schreiben sie es bitte ganz oben auf ihre bescheuerte Liste. Den Mädchen ist die Umgebung weniger wichtig als die Menschen dort. Haben sie das verstanden?“
Luke nickte kleinlaut. Auch wenn er nicht wirkte wie ein Mann der sich schnell kleinkriegen ließ, so hatte sie es heute Abend doch geschafft.
Sie schaute aus dem Fenster, es dämmerte schon.
„Ich denke Sie wissen jetzt alles, notfalls rufen Sie halt noch einmal an. Es ist schon spät, denken sie, das sie es bis morgen schaffen, einiges rauszusuchen?“ Ihre Stimme klang genauso, wie sie es meinte, sie glaubte nicht daran.
Er bemerkte es.
Mit herausfordernder Stimme sagte er: „Wetten dass ich es schaffe?“ Sie setzte ein schiefes Grinsen auf und entgegnete: „Ich wette nicht."
Sie meinte es auch so.
Einen Moment lang starrten sie sich in die Augen, er schien geübt darin und sie war die erste die wegschaute.
Sam führte die beiden Männer zur Tür und sie verabschiedeten sich voneinander. Als sie gerade die Tür schließen wollte fiel ihr noch etwas ein und sie rief Luke etwas hinterher.
„Bitte machen sie etwas aus ihrem Leben, es wäre schade darum, wenn sie es einfach so lassen wie es gerade ist.“
Er drehte sich nicht um, doch sie wusste dass er es gehört hatte. Zufrieden schloss sie die Tür und ging ins Bett.
Ihr viel auf, das sie noch nie so viel gelacht hatte. Während sie das dachte schlief sie ein.
Sie würde so gut schlafen wie schon lange nicht mehr.
Tag der Veröffentlichung: 07.04.2011
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