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Kapitel 1.



Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich in einem dunklen Raum wieder. Zuerst sah ich nichts, meine Augen mussten sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen. Nach ein paar Minuten konnte ich ein kleines Fenster in einer Ecke des Raumes erkennen. Es war vergittert. Sonst gab es nicht viel in diesem kleinen, eckigen Zimmer. 'Ausser vielleicht Mäuse und Spinnen', dachte ich mir und mir wurde plötzlich kalt. Hatte sich da eben etwas bewegt?!
Ja, ich nahm ganz deutlich ein leises Rascheln war. Es kam aus einer Ecke des ohnehin kleinen Raumes. Dann ein Stöhnen-das mir bekannt vorkam. Es konnte doch nicht...? Doch, es musste Melli sein. Warum war sie hier? Ich robbte zu Ihr, erst jetzt merkte ich, das mein Bein höllisch wehtat. Warum, wusste ich selbst nicht. Hoffentlich war es nicht gebrochen. Als ich endlich neben Melli saß, fasste ich ihre Hand. Sie war eiskalt und die sonst dunkle Hautfarbe Melli's wich einen krankhaftem Weiß. Ihr Puls ging nur noch sehr schwach. Melli wirkte schwach und gebrechlich, ganz anders als sonst. Hatte sie Schmerzen? Wunden? Ich nahm ihren Kopf in den Arm, an der Stirn konnte man deutlich eine große Schnittwunde erkennen. Ich riss mir ein Stück meines Pullovers ab, faltete es und verband Melli's Wunde, die immer noch stark blutete. Ich saß schon eine ganze Weile so, Mellis Kopf auf meinem Schoß, als ich plötzlich ein Knirschen hörte. Jemand stand vor der Tür, ich hörte ihn atmen. Da öffnete sich das Guckfenster der Tür. Zu meiner Überraschung war es eine Frau, die durch die Öffnung schaute. Jedenfalls hatte sie lange, blonde Haare. Ihr Gesicht war verdeckt.
Ich spürte ihren Blick auf mir, sie ließ mich nicht aus den Augen. 'Wo ist dein Vater?' fuhr sie mich an. 'Mein Vater?...' entgegnete ich verwirrt. Was hatte mein Vater damit zu tun? *Ja, dein Vater! Wo ist er?' – 'Ich weiß es nicht!...' stotterte ich verängstigt. 'Wie, du weißt es nicht? Sag schon!' Wofür hält die sich eigentlich? Langsam ging sie mir wirklich auf die Nerven. 'Ich weiß es nicht! Ich kenne ihn doch gar nicht!' Ich hätte am liebsten noch ein 'Man!' hinzugefügt, um sie zu provozieren, aber ich lies es lieber. Sie war wütend genug, warum auch immer. Auf meinem Schoß hob Melli ihren Kopf etwas, ließ ihn aber gleich wieder fallen. Sie war wohl noch zu schwach, um sich aufzurichten. 'Kümmer dich erstmal um deine Freundin, wir reden später weiter!' mit diesen Worten verschwand die Frau. Ich und Melli waren wieder alleine. Ich war erschöpft, hatte Wut in mir, aber auch Angst. Vor mir wurde alles Schwarz, und ich fiel in einen Tiefschlaf.

Als ich aufwachte, war es schon hell.Ich konnte Menschen draußen sprechen hören. Sie sprachen in einem hektischen, rohen Ton. Aber es war nicht Deutsch. Es war, glaub ich, Russisch. Ich konnte die Wörter zwar nicht verstehen, aber es klang so in der Art. Ich nahm Mellis Kopf vorsichtig von meinem Schoß und schliff mich zu dem kleinen vergitterten Fenster. Je näher ich dem Fenster kam, desto lauter wurden die Stimmen. Aber sie blieben unverständlich. Man hatte das Gefühl, auf einer Baustelle zu sein. Ich hörte etwas brummen, vielleicht einen Presslufthammer. Manchmal ging auch der Warnton eines LKWs an. Und zwischendurch ertönten die Rufe der Bauarbeiter.Jemand rief gerade etwas, das wie 'Dawai, bistra!' klang. Es hörte sich nicht sehr freundlich an. Leider konnte ich das alles nur vermuten, sehen konnte ich es ja nicht. Ich kam nicht an das Fenster ran, es war zu hoch. Auf mein Bein konnte ich mich noch lange nicht stützen. Es war wohl wirklich gebrochen. Oder zumindest stark verstaucht. Aber das war nun wirklich nicht meine größte Sorge.
'Ey, was machst du da?!' ich schreckte zusammen. Ich drehte mich um, die Frau war wieder da. Diesmal stand sie nicht hinter dem Guckfenster, sondern in der Tür. Und sie war wütender als letztes mal. 'Komm da sofort weg!' rief sie aufgebracht. Richtig, ich lag ja noch unter dem Fenster. 'warum?' fragte ich leise. Ich weiß selbst nicht, warum ich damals so dumm war, es nicht zu verstehen. Sie wollte nicht, das man mich sah und mir womöglich half. 'Warum? Darum!' antwortete sie barsch. 'und jetzt komm da weg!' - 'j-ja warten sie.' ich hielt es für das beste, ihr einfach zu gehorchen. 'Geht das nicht schneller?' meinte die Frau quengelig, als ich mich langsam in bewegung setzte 'Warum robbst du? Hälst du das etwa für lustig?' - ' Ich kann nicht gehen, mein Fuß ist gebrochen.' erwiderte ich genervt. Wie blöd musste man sein, es nicht zu merken? 'Das dauert ja ne Ewigkeit! Schneller!' Irgendjemand schrie auf der Baustelle einen Namen, und die Frau blickte mich scharf an. 'ich komme gleich wieder.' meinte sie und verschwand. 'Tida' hatte der Mann sie gerufen. So hieß sie also.
Ich hörte sie draussen schimpfen, dann kam sie wieder. Sie griff nach meiner Hand und zerrte mich in einen anderen Raum. Das grelle Licht, was mich dort empfing, war ich nicht gewöhnt. Zuerst sah ich den fremden Mann gar nicht, die Lampe leuchtete direkt in mein Gesicht. Die Frau zog mich, nicht besonders zart, hoch, auf einen Stuhl. Vor mir war ein Schreibtisch. Und die Lampe mit dem starken Licht. 'Tida' nahm auf einem Stuhl neben dem Mann Platz. Erst jetzt, wo ich saß, bemerkte ich, das ich auf Toilette muss. Wirklich unpassend. 'Sho snej?' sprach der Mann mich an. Denkt er etwa, das ich ihn verstehe? 'ijo Naga Palominaja.' Achso, die Frau kann auch Russisch. 'ana snajit pathsimu ana tut?' das war der Mann. 'Weißt du warum du hier bist?' fragte mich die Frau. Anscheinend fungierte sie als Dolmetscher des Herren. Wie sie mich ansah. Als müsste ich genau wissen was sie von mir wollen. 'Nein, nicht wirklich.' 'sto?' fragte der Mann. 'ana ni snajit.' antwortete die Frau brav. Man sah ihr an, das sie Angst vor dem Herren hatte. 'gde ijo atez?' - 'Wo ist dein Vater?' Wie in einem Verhör kam ich mir vor, wie in diesen Horrorfilmen. 'wie gesagt, ich weiß es nicht.' Hoffentlich sah man mir meine Angst nicht an.
'ana ni snajit' wendete sich die Frau an den Herren. 'A Sto Ana vabshe Snajit?!?' Der Mann schrie mir richtig ins Gesicht. Ich schreckte zusammen, obwohl ich nichts verstand. Aber die Frau blieb ruhig. 'Hast du den irgendwelche Anhaltspunkte über deinen Vater?' fragte sie betont nett. 'nein, er verließ uns sehr früh.' Der Mann setzte zu einer Frage an, aber die Frau erklärte bereits: 'On ni shiwot u nich ushe dolga.' Er nickte, wenn auch nicht besonders erfreut. 'warum...?' setzte ich leise zu einer Frage an. 'jej skasat? wendete sich die Frau an den Mann. 'moshis, nu ni vso.' meinte der Mann. Es klang irgendwie warnend. 'Du weißt, das dein Vater Polizist war' wendete sich die Frau nun an mich. 'Ja, das weiß ich.' - 'Und das er einen Berühmten Mord aufgeklärt hat?' - 'er hat viele Morde aufgeklärt. Welchen meinen sie?' die Frau sah den Mann zweifelnd an, als hätte sie Angst, schon zuviel gesagt zu haben. Aber dann lächelte sie. 'Ist dir der Name 'Lucie Dellusier' bekannt?' - 'sollte ich ihn den kennen?' Trotz meiner Angst versuchte ich, soviel wie möglich über das, was hier passiert, herauszufinden. Vielleicht würde ich dann endlich verstehen, was sie von mir und Melli wollten.

Kapitel 2



'ja, das solltest du. Sie war eine berühmte Schriftstellerin.' - 'ach?' ich versuchte, möglichst dessinteressiert zu klingen. 'Ja, das war sie. Ihr Gebiet waren Krimis. Eines Tages sah sie, wie wir Drogen schmuggelten. Da mussten wir sie natürlich beseitigen.' meinte die Frau, ohne auch nur ein einziges Mal ihr Lächeln zu verlieren. Wie konnte man nur so Kaltblütig sein. Ich spürte meine ganze Wut gegen solche Leute hochkommen, aber ich zwang mich, ruhig zu bleiben. 'Welch Ironie. Ihre Leidenschaft, ein guter Mord, war auch ihr Tod. Jahrelang suchte man sie, die Örtliche Polizei, Hunderte ihrer Fans, sogar das FBI. Wir hatten unsere Arbeit wirklich gut gemacht, denn niemand fand sie. Aber dann kam uns dein Vater auf die Schliche. Der einzige Hacken, in diesem perfekten, kaltblütigen Plan. Auch ihn mussten wir aus dem Weg räumen...'
'WAS?!' wie konnte diese Frau nur, ohne jede Spur von Reue oder Trauer, einem Kind erzählen, das sie ihren Vater zur Strecke gebracht haben? 'Lass mich ausreden!' fuhr die Frau mich an. Der Mann, der vorher still in der Ecke saß, guckte sie erschrocken an, und auch ich wunderte mich, das sie so reagierte. Wenigstens hatte sie endlich dieses Eiskalte lächeln aus ihren gesicht verbannt. Oder nein, jetzt grinste sie schon wieder. 'leider haben wir es nicht geschafft, ihn zu erledigen. Er tauchte ab, und wir konnten ihn nicht finden. Wie gemein von ihm, ha ha.' Oh, wie ich diese Frau doch hasse. 'und ich bin hier weil...?' fragte ich, obwohl ich die Antwort längst kannte. 'Du, meine liebe - ' ihre Worte trieften nur so vor gespielter Nettigkeit -' du sollst uns helfen, ihn zu finden. 'und wie soll ich das bitte anstellen? Ich weiß nichtmal, wie er aussieht!' 'das ist deine sorge, süße. Solange du dich auf die Suche machst, behalten wir deine kleine Freundin. Wir werden gut auf sie aufpassen, versprochen. Aber solltest du etwas falsches sagen, bekommt sie eine ganz spezielle Behandlug von uns. Und einen kleinen Besuch von 'Bella'.' - 'Bella? Wer ist das?' fragte ich teils verwirrt, teils verängstigt. 'Das wirst du noch früh genug erfahren' zischelte sie mir zu. Dann zerrte sie mich an der Hand wieder vom Stuhl und in den Raum, in den Melli lag. Der Mann folgte uns leise, aber als die Frau mich neben Melli stieß, verschwand er wieder.

Als die Frau endlich weg war, schaute ich nach Melli. Ihr ging es besser, sie war nicht mehr ganz so bleich. Für einen Besuch bei 'Bella', wer auch immer das sein mochte, schien sie trotzdem nicht gesund genug. Aber es wird nicht dazu kommen. Hoffentlich. 'Mädchen!' ich drehte mich um. Die Stimme kam aus dem Guckloch. 'Ja?' 'Komm her!' Ich robbte zur Tür. Sehr viel schlimmer konnte es ja nicht werden. 'Hier! Aber psst!' Die Frau, warscheinlich die Köchin, sprach auch nicht perfekt Deutsch, aber sie war nett. Sie reichte mir einen Verband, warscheinlich für Mellis Wunden, eine Flasche Wasser und einen Teller kalte Suppe, ausserdem zwei Plastikbecher und einen Eimer. Als sie mir den Eimer gab, sah ich sie fragend an. 'toilet' sagte sie nur und verschwand. Naja, wenigstens hatten sich nicht alle gegen mich verschworen.
Es vergingen viele Tage so. Die Frau zog mich abends in den Raum, sie und der Mann verhörten mich, brachten mir die wichtigsten russischen Wörter bei, zeigten mir alte Bilder von meinem Vater, machten mir Druck. Sie versuchten, möglichst nett rüberzukommen, allerdings ohne mich besser zu behandeln. Jede Sitzung, die jeweils ca zwanzig Minuten dauerte, war schlimmer als die letzte. Denn sie fingen an, detaillierter zu erzählen, wie ich meinen Vater denn zu verraten habe. Und was 'dann' mit ihm geschehen sollte. Sie zeigten mir sogar ihr 'reizendes' Schoßtier Bella. Sie hatten Recht, Melli würde sich bestimmt nicht über den Besuch eines Acht-meter-langen Phytons freuen. Dann wurde ich zurück ins Zimmer geschickt. Einmal konnte ich einen Blick auf den Lagerraum erhaschen. Neben dem Käfig der 'süßen' Phyton und zahlreichen Waffen lagen die Einkaufstüten und Handys, die Melli und mir gehörten. Der Akku und die Simkarten waren rausgenommen worden. Hier, in dieser Gruft, hatte man wohl so oder so keinen Empfang.

Nach dem Verhör, wenn alle weg waren, kam die Köchin rein und gab mir und Melli etwas zu essen, etwas zu trinken und die 'Toilette'. Dann hob ich Mellis Kopf an und ließ ihr Wasser in den Mund fließen. Langsam ging es ihr wieder besser, sie konnte wieder schlucken und kauen. Dennoch blieb sie kränklich und schwach. Auch meinem Fuß ging es wieder besser, ich konnte schon fast wieder normal laufen. Es war wohl wirklich nur eine Verstauchung. Doch das ließ ich mir nicht anmerken, denn je schneller ich wieder auf den Beinen war, desto schneller würden sie mich losschicken, meinen Vater zu suchen. Erst wenn ich mir ganz sicher sein werde, das Melli durchkommen wird, werde ich losgehen.
Jeden Morgen, wenn alle noch schlafen, kommt die Köchin abermals und nimmt den Eimer, Teller und Becher, die Flasche Wasser und die Tücher mit. Ich bin wirklich dankbar für ihre Hilfe. Immerhin riskiert sie ihr Leben für uns.

Kapitel 3.



'Du, komm her!' Tida stand wieder in der Tür. 'ja?' - 'Dein Fuß ist wieder Ok. Wir schicken dich noch heute los.' meinte sie, drehte sich um und warf die Tür zu. Oh nein, jetzt schon? Wie sollte ich meinen Vater denn bitte finden? Und- das schlimmste- wie sollte ich es bitte schaffen, ihn auf so grausame Weise zu hintergehen? 'J-jana? Was meinte sie?' flüsterte Melli. Endlich, sie sprach wieder. 'Nichts, Melli. Mach dir keine Sorgen. Ich komme bald wieder. Und dann hol ich dich hier raus.' versuchte ich, sie zu beruhigen. Melli schloss die Augen und sagte nichts mehr.
Aha, und wann ist dieses 'Noch Heute' bitte? dachte ich mir. Ich warte jetzt schon gefühlte fünf Stunden. Wollen sie mich etwa in der Nacht aussetzten? Naja, soo dunkel war es jetzt nun auch nicht. Aber es wäre nett wenn sie sich mal beeilen könnten. Waren sie überhaupt noch da? Die Köchin ist heute auch noch nicht vorbeigekommen. Ich konnte mir nicht vorstellen, das diese Organisation, wie auch immer die hieß, zwei so wichtige Gefangene wie mich und Melli alleine lassen würde. Oder etwa doch? Vielleicht...? nein, das wäre zu riskant. Aber es wäre unsere letzte Chance.
Mit aller Kraft stürmte ich gegen die Tür. Sie knarrte laut. Hoffentlich war wirklich niemand da. Ich nahm wieder Anlauf, versetzte der Tür einen weiteren Stoß. Diesmal war er stark genug, die Tür gab nach. Mit einem grausig quitschendem Geräusch sprang sie auf. Möglichst leise schlich ich den Flur entlang. Melli musste ich wohl oder übel zurücklassen. Ich ließ den Raum, in den ich immer zum Verhören gebracht wurde, hinter mir, und auch die Küche beachtete ich wenig. Mein Ziel war der Lagerraum, das Heim der 'reizenden' Bella. 'Was, wenn sie "Auslauf hat"?' dachte ich voller Angst. Ich weiß nicht wie ich mir meinen Tod vorstelle, aber bestimmt nicht durch die Giftzähne eines Phytons.
Die Lagerraum-tür war einen Spalt breit offen. Weit genug, um hineinzusehen. Gottseidank, Bella war gar nicht da. Leise schlich ich ins Zimmer. Jetzt musste es schnell gehen. Wo waren die...ach ja, genau, hier. In einer der Kisten. Jetzt schnell rausholen und wieder verschwinden, dachte ich mir. Doch gerade, als ich das kühle Eisen mit meinen Fingern umschloss, ließ mich etwas zurückschrecken. Dieses Geräusch, dieses Klappern, war es vorher auch schon da gewesen? Es wurde immer lauter. Eigentlich glich es eher einem Zischen....Bella!

Kapitel 4.


Sie baute sich vor mir auf, schlängelte sich langsam aber sicher geradewegs auf mich zu. Meine Beine bewegten sich von selbst, schoben mich immer weiter nach hinten, bis ich die kalte Wand im Rücken spürte. Mit der Hand umklammerte ich die Schlüssel in meiner Hand. ,Wie schön, das Bella sich direkt vor der Tür aufgebaut hat‘, dachte ich sarkastisch.
Die Phyton sprang auf mich zu, das Maul weit aufgerissen, die Zähne ausgeklappt. Jetzt ist es aus. Ich wollte gerade meine Augen zum letzten Mal schließen, mich still von dieser Welt verabschieden, als mich ein schriller, lauter Pfeifton aufhorchen lies. Was dann passierte, war einfach nur schräg. Mitten im Sprung stoppte dieses Ungeheuer von Schlange, klappte die Zähne ein, drehte sich um, zuerst den Kopf, dann den restlichen Körper, und schlängelte davon. Einfach so. Gute Erziehung hatte die, das musste man ihr lassen. Am Türrahmen erschien kurz die Köchin, lachte über meinen Gesichtsausdruck, und ging wieder. Eigentlich hätte ich mich fürchterlich über sie aufregen sollen, aber sie hatte mir schließlich gerade mein Leben gerettet. Ich hob die Schlüssel, die ich vor Schreck trotz meiner Umklammerung fallen gelassen hab, hoch, und schlich mich leise aus dem Lagerraum wieder zu meiner Gefangenen-Gruft. Ich legte mich still neben Melli, die schon wieder schlief. Arme Melli. Alles meine Schuld. Mit Tränen in den Augen schlief ich irgendwann ein.
‚Nein!! Ich will nicht!‘ schrie mein Körper, mein Verhalten, mein Ich. Aber ich musste. Tida hatte mich an den Schultern aus der Gruft gezerrt und mich einfach vor die Tür gesetzt. Ohne warme Kleidung, ohne Essen, ohne- mir schossen Tränen in die Augen- ohne Melli. Allein. ‚geh deinen Vater suchen! Wenn du auch nur ein Wort über das hier – sie deutete auf das große Gebäude, in dem sie mich und Melli mehrere Monate gefangen hielten- sagst, dann bist du und deine kleine Freundin tot.‘ Sie grinste breit, anscheinend gefiel ihr der Gedanke, uns foltern zu dürfen. Oh Gott, wie ich diese Frau doch hasse! Am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht geschlagen. Stattdessen ging sie wieder in das dunkelrote Gebäude und ich musste mich wohl oder übel auf den Weg machen.

Wie lang war ich schon unterwegs? Eine Stunde? Zwei? Jedenfalls war mir unglaublich kalt und ich fühlte mich eher tot als lebendig. Es hatte zu schneien begonnen, kein Wunder, es war ungefähr mitte Dezember. Als ich und Melli entführt wurden, war es ende August. Dementsprechend war ich auch gekleidet. Meine Leggins hatte mittlerweile mehr Löcher als Stoff, meine Jacke war für leichten Regen gedacht und nicht für tagelanges herumrennen im eiskalten Russland. Meine burgunderroten Stiefel sahen eher aus wie das, wovon `Bella` täglich mehrere Kilos in ihren überdimensionalen Futternapf bekam. Meine Haare, oh gott, zum glück gab es hier keinen Spiegel!, waren fettig, natürlich, schließlich durfte ich mich vor 2 wochen das letzte mal waschen, mit einem kleinen Eimer mit kalten Wasser. So wie ich mich fühlte, so sahen mich die anderen. Die Damen in ihren dicken Daunenjacken sahen mich an, als wär ich das hässlichste, was sie je gesehen haben, die Männer müssten mich in etwa für eine pleite gegangene Prostituierte halten. Die Kinder versteckten sich ängstlich vor ihren Müttern und Vätern. Ich konnte es ihnen nicht übel nehmen.

Kapitel 5.


Ratlos stand ich vor 3 verschiedenen Tunneln. Welchen sollte ich nehmen? Ich entschied mich, dahin zu gehen, wo die meisten hingingen. Durch den mittleren. Ich blieb stehen. Drehte mich wieder um. Nahm den rechten Tunnel. Warum, weiß ich selbst nicht so genau. Ich fand den Weg einfach besser. Also stampfte ich durch den rechten Tunnel. Und landete vor einem kleinen Hotel. Es sah nicht wirklich toll aus. Aber trotzdem, ich hatte eine Bleibe gefunden. Seufzend betrat ich das cremefarbene Gebäude. Es ist nicht das, was ich mir für meinen Urlaub ausgesucht hätte, aber es war akzeptabel. 'Wie schön, niemand steht an der Kasse. Ich darf warten.' dachte ich mir wärend ich genervt die Klingel bearbeitete. 'Da, cichas!' eine kleine, pummelige Frau eilte aus irgendeinem Nebenzimmer. 'wi chochiti komnatu?' fragte sie mich. Ich sagte nichts. Was hätte ich denn auch sagen können? 'Kacuju comnatu vi chochiti?' versuchte sie es noch einmal. So langsam sollte sie merken das ich einfach nur meine Ruhe möchte. Stumm legte ich ihr einen Schein auf den Thresen. Ihre Augen weiteten sich kurz, dann lächelte sie noch einmal doppelt so freundlich. Anscheinend reichte das Geld. Sie rief nach einem 'Maxim', der kurz darauf erscheinte. Er war wohl ihr Sohn. Circa 17 jahre alt, die selben blauen Augen wie seine Mutter. Er begrüßte mich, nahm meine Hand und führte mich vor eine Tür. Er übergab mir den Schlüssel, dann ging er wieder. Ich sah auf den Schlüssel. 'Room 11', darunter irgendwelche russischen Schriftzeichen. Ich betrat den Raum, und war, naja, zufriedengestellt . Etwas Staubig, etwas altmodisch eingerichtet, aber okay für ein, zwei nächte. Sie hatte mir wohl, wegen der menge Geld, das beste Zimmer überlassen. Dumm war nur, das es keine Dusche gab. Aber es gab bestimmt eine gemeinsame. Hoffentlich. Ich wollte einfach nur schlafen, weshalb ich mich sofort aufs Bett legte und einschlief.
Mit einem Stöhnen stand ich auf. Erst jetzt bemerkte ich, das ich ohne Decke geschlafen hatte. Und das mein Hals total merkwürdig gelegen haben müsste, sonst hätte ich jetzt nicht so starke Nackenschmerzen. Da klopfte es an meiner Tür. Für einen Augenblick dachte ich, es wären wieder meine Entführer. Doch es war Maxim, der lächelnd mit einem Essenstablett vor meiner Tür stand. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Wann hatte ich das letzte mal gegessen? Hungrig machte ich mich über Brötchen und Kakao her, bis ich bemerkte, das Maxim mein Tablett nicht minder hungrig musterte. Bestimmt hatte er auch noch nichts gegessen. Ich klopfte auf das Bettende neben mir, als Zeichen das er sich setzen sollte. Irgendwie war er mir symphatisch. Vielleicht konnte er mir Russland ein bisschen näherbringen?

Impressum

Texte: littlestory
Bildmaterialien: weheartit.com
Tag der Veröffentlichung: 10.08.2012

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