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Nie zu spät zu leben

Eigentlich kam ihr das jetzt gerade nicht so recht,war sie doch beruflich so stark eingespannt.
Alles war bis in kleinste Detail durchorganisiert,vom Babysitter bis zum Hausaufgabentrainer für die beiden Mädchen.
Mittags kam die Haushaltshilfe,die dann gleich Mittagessen kochte..alles lief wie am Schnürchen.
Die Kinder sah sie zwischendurch mal, wenn ein Termin den nächsten jagt,da bleibt eben nicht viel Zeit.
Aber sie machte es ja für die beiden,rackerte sich ab,damit es die beiden gut hatten.
Und..sie waren ja gut versorgt.
Aber das jetzt..Vater..musstest du gerade jetzt sterben..jetzt,wo ich doch so viel um die Ohren habe?
Und dann diese Wohnungsauflösung.Meine Güte,das musste ja an ihr hängen bleiben..aber es ging voran.
An sich kann ja alles auf den Müll,wird nichts zu gebrauchen sein.
Am Ende blieben 2 Kartons übrig.
Wenig nach 70 Jahren Leben,nicht wahr?
Bücher,ja klar,was sonst.
Er hatte ja so viele Bücher,hatte immer gelesen.Nichts was sie wirklich interessierte,sie hatte damals schon wenig Zeit..die Schule war ihr immer sehr wichtig.
Neugier siegt dann doch,aufgeschlagen...diese Handschrift kennt sie doch,ja es war seine.
Und drei Stunden später saß sie noch immer und las,las im Leben des Vaters,der nie viel Zeit für sie hatte.Der beruflich so oft von zu Hause weg musste..las und las...
Teilte endlich seine Gedanken,seine Gefühle,lachte mit ihm,weinte in Erinnerungen versunken.
Auf der letzten Seite klebte eine Locke..ihre? Ja, es war ihre,behütet wie ein Schatz.Im Leben hatten sie sich zu wenig zu sagen und jetzt,jetzt war es zu spät...
Aber nicht zu spät für dich,mein Kind..hatte sie das wirklich gehört?
Am nächsten Tag führte sie der erste Weg zum Chef...ja, er war einverstanden,sie reduzierte ihre Stunden und begann endlich mit ihren Mädels zu leben.Und einige Male lasen alle drei zusammen in den Tagebüchern ihres Vaters.


Akkurat zu Ende gebracht

Jahrelang lebte sie einfach,wie es von ihr erwartet wurde.
Schließlich hatte sie es ja so gewollt,diese Rolle hatte sie sich selbst ausgesucht.
Ja gut,im Prinzip kaufte sie die Katze im Sack,ansehnlich verpackt.Er war schon ein gestandenes Mannsbild,wie er da so in ihr Leben stürmte.
Gut aussehend,charmant und so zuvorkommend...aber nur zu Beginn war dies nicht nur Fassade.
Letztlich spielte er die Rolle ziemlich gut,nach außen hin.
Sie kannte die Fratze hinter der Maske des liebevollen Ehemannes und Vaters,ihr Körper legte oft genug Zeugnis dafür ab.
Ließ sich aber alles noch ertragen und vor allem,vor den Nachbarn verbergen.
Wie schön ihr Garten ist,wie sauber sie es immer haben..sie sind wirklich die geborene Hausfrau.
Lächelnd nahm sie diese Komplimente an und in ihr Innerstes auf..das war eben ihre Rolle.
Wie gerne hätte sie auch mal fünfe gerade sein lassen,den Staubwedel mal wegpacken,das Unkraut einfach mal wuchern lassen..aber abgesehen von seiner Hand,die sie immer wieder mal,immer öfter zur Ordnung anhielt..nein,es wurde ja von ihr erwartet.
Abgestumpft,wie ihre Seele im Laufe der Zeit war,war da lange kein Platz mehr für romantische Träume und kein Ausbruchsversuch,sei er noch so lapidar.
Wie man es von ihr erwartete, lächelte sie auch nach getanem Werk,schwer war´s,aber einmal angefangen,ging ihr die Arbeit gut von der Hand.
Pflichtbewusst eben,wie man es von ihr erwartete.
Die Küche glänzte,frisch geputzt..die roten Flecken auf den makellosen Fliesen,die waren hartnäckig..aber sie,als Hausfrau aus (erzwungener) Leidenschaft kannte auch dafür das passende Mittel...
Nein,nein,sauber und ordentlich war es auch jetzt...
Glättete den Rasen vor dem Haus,die Grube,die sie heute Nacht gegraben hatte,war bedeckt mit neuen Pflanzen,hübsch,akkurat,in Reih und Glied.
Stiefmütterchen,seine Lieblingsblumen,mit Liebe ausgesucht und mit Erleichterung gepflanzt...


Zu schnell vorbei...

Freudestrahlend kam sie, ganz außer Atem stand sie vor ihr, ihre Augen strahlten und ihr kleiner Mund sprudelte förmlich über.
“Mami, Mami ... hör mal, ich … ich hab ihn gesehen, ja wirklich!!”
Ihre Wangen waren noch ganz rot von der Kälte, die draußen das Land überzog. Und während sie schon losplapperte, aufgeregt und kaum zu stoppen, zog sie sich aus.
Ihre Handschuhe flogen in hohem Bogen, es folgten Mütze und Schal. Währenddessen blieb sie nicht etwa stehen, nein sie hüpfte hin und her.
Ihre Mutter, die eigentlich schimpfen wollte, wegen der fliegenden Kleidung, sie konnte nicht anders, als lachend zuzusehen.
“Na sag, wen hast du gesehen, Kind mach langsam, du bist ja ganz aus dem Häuschen.”
“Den Weihnachtsmann, ja genau den! Im Wald hab ich ihn gesehen!!”
Wie nett, dachte die Mutter, ein etwas vorzeitig verkleideter Student sicher, der den Kindern eine Freude machen wollte.
“Erzähl, wo war er und hat er schon Geschenke dabei gehabt?”
“Mami, er stand da, mitten im Wald, du weißt schon, dort wo wir immer Schlitten fahren… Geschenke, nein, ich hab keine gesehen. Aber er hatte einen roten Mantel an und einen langen weißen Bart!”
Beide, inzwischen im Wohnzimmer angelangt, setzten sich auf die Couch. Beide hatten sichtlich Freude. Die eine beim Erzählen, die andere beim Zuhören und Zusehen.
Denn ihre kleine Tochter, die redete ja mit Händen und Füßen.
“Aber Mami, er tat mir so leid, der Weihnachtsmann” “Wieso denn das?” “Er stand da, hat uns gesehen und sich gefreut, er fing an zu lachen… aber stell dir vor, der Weihnachtsmann ist ganz arm!”
“Aber wie kommst du denn darauf, Süße?” Ihre Tochter stockte kurz, sollte sie erzählen oder nicht, fasste sich aber ein Herz.
“Mutti, er hatte gar keine Kleidung, er machte seinen Mantel auf, ganz bestimmt hat er nach Geschenken für uns gesucht und… stell dir vor, er war ganz nackt, der Arme!”
Gänsehaut … auf den Armen der Mutter… ”… und dann .. was, was ist dann…”
“Ach Mutti, der arme, da kamen die Eltern von Jens, der von nebenan und der Weihnachtsmann hat sich so geschämt, weil er doch so arm ist, da ist er weggelaufen. Und ich wollte ihm doch noch sagen, er kann mit zu uns kommen, wir haben doch noch Sachen von Opa. Der ist ja jetzt im Himmel und hat sicher nichts dagegen, wenn wir seine Sachen verschenken. Ich werd jetzt einen Brief schreiben, an den Weihnachtsmann, ihm sagen, er soll sich nicht schämen, bis gleich Mami”
“Ja, geh nur, ich muss noch telefonieren”
Nach dem Telefonat mit Jens` Eltern und der Polizei saß sie ein paar Momente auf der Couch, überlegte und es war ihr klar, sie musste es der Kleinen erklären, ihr den kindlichen Glauben an den Weihnachtsmann noch heute nehmen … so schwer es ihr fiel, aber die Kindheit, die unbeschwerte Zeit mit dem Glauben an das Gute … sie war vorbei.
Schneller als ihr lieb war.


Impressum

Texte: Coverbild: ©Nadja Close/erstellt mit Bryce alle Rechte an den Texten liegen beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 26.01.2011

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