Die ganze Pampe begann mit einer wundervollen Idee von unseren Lehrern.
„Ich hätte da mal eine Frage zu ihrer neuen Idee.“, Ich redete mal wieder, ohne mich zu melden. Die Lehrer hatten sich inzwischen daran gewöhnt. „Wenn wir eine Schuluniform kriegen, müssen wir sie dann auch wirklich tragen?“ Alle lachten. Nicht, weil es so unglaublich witzig gewesen wäre, nein, ich hatte einfach nur genügend Macht über die Leute. Herr Zimmermann glotzte mich total entgeistert an, am liebsten hätte er wohl gesagt: Also wirklich, Jessica Jacobsen, würden sie bitte anfangen, endlich vernünftige Fragen zu stellen? Das erlaubte er sich natürlich nicht, denn dann hätte er ja die ganze Klasse gegen sich auf gebracht. Stattdessen wurde er mal wieder zur Tomate. Aber ich fand, es war eine sehr vernünftige Frage, denn immer sagten die Menschen, dass man etwas kriegt, aber nie, ob man es auch wirklich benutzen soll. Stattdessen sagte er in seinem üblichen Schleimston, nachdem sein Gesicht wieder eine normale Farbe angenommen hatte: „Natürlich, Jessica. Wenn man eine Schuluniform bekommt, musst du sie auch tragen.“ Schade. Ich hätte gerne zugeschaut, wie sie in meinem Schrank vergammelt. „Wie dem auch sei,“, fuhr der Lehrer fort, „ Die Schuluniform besteht für die Jungen aus Hemd, an kalten Tagen Pullover, Hose, festen Schuhen und natürlich eine Krawatte. Für die Mädchen Bluse, an kalten Tagen ebenfalls Pullover, Rock, Strumpfhose, festen Schuhen und natürlich einer Krawatte.“ Es gab Lautes aufstöhnen in der Klasse. Jemand rief sogar, dass der Schulleiter keinen Geschmack hatte, wo ich insgeheim zustimmte. Lucia, meine beste Freundin raunte mir zu: „ Wenn ich Schulleiterin wäre, würde ich bestimmt einiges besser machen.“ „Ja, ja. Ich werde dich später als Schuloberhaupt empfehlen und sagen, du machst es immer allen Recht. Du würdest Mathe zum Wahlfach machen, Kunst als Hauptfach, die Pausen würden eine Stunde lang sein und wir müssten nur jeden zweiten Tag kommen!“ Zur Strafe bekam ich von ihr einen Knuff in den Arm.
Dann klingelte es endlich und meine beste Freundin Liz hackte sich bei mir ein, während wir nach Hause gingen. „Och menno! Jetzt muss ich ja lernen, wie man eine Krawatte bindet.“, meinte sie. Wir waren auf dem Waldweg, der um diese Uhrzeit viel benutzt wurde. „ Ach Liz, das bringe ich dir schon bei, kleine.“ Ja, Liz war ein echter Zwerg! Ich lachte, während sie stehen blieb, ihre Arme in die Hüften stemmte und sagte: „Ich bin nicht klein, ich bin immerhin schon eins fünfundfünfzig und genau so alt, wie du und— oh!“ Sie hatte mal wieder eine Blume entdeckt. Liz war einfach ein echter Blumenfreak. Ein richtige Gartenzwerg halt, hehe! Ich trödelte schon mal voraus, sie würde sowieso nachkommen. Dann drehte ich mich aber doch um. “Liz, jetzt komm! Wir müssen irgendwann auch noch zum Bus!“ Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie das Auto auf sie zugerast kam. „Lisa!“ Doch zu spät. In dem Moment, in dem sie sich aufrichtete, wurde sie vom Auto mitgerissen. Lisa!! Ich schrie. Ich schrie es so oft, so laut. Doch aus meinem Mund kamen keine Worte. Es war, als habe ich meine Stimme verloren. Ich war wie erstarrt. Nicht mal meine Augen ließen sich bewegen. Ich starrte unentwegt auf das Grauen vor mir. Das Auto war zum stehen gekommen. Der Fahrer schien bewusstlos. Blut. Überall war Blut. Erstaunlich, das ein so kleiner Mensch so viel Blut verlieren konnte. Die Passanten kamen angelaufen. Es wurde geredet. So viel geredet. Sie sollten die Klappe halten, verdammt! Endlich konnte ich mich aus meiner Starre lösen. Ich ging langsam zu
Liz hin. Sie lag halb unterm Auto. Ihre Augen waren geschlossen. Das kinnlange, blonde Haar war mit Blut verklebt. An ihrer Stirn war eine offene Wunde. Ihre Augen waren geschlossen, als würde sie schlafen. Doch ich wusste, das tat sie nicht. Ich sah an ihr hinunter. In ihrer Hand hielt sie immer noch die Blume, die sie eben gepflückt hatte. Ein Finger fehlte. Wo war dieser verdammte Finger? Er konnte doch nicht einfach weg sein! Ich sah mich suchend um, doch der Finger war weg.
Irgendjemand musste einen Krankenwagen gerufen haben. Aber sie brauchte doch gar keinen Krankenwagen! Niemand konnte ihr mehr helfen! Und doch, ich wollte es nicht war haben. Lisa tot. Liz, die kleine, süße, unschuldige Liz. Nein! „Nein!“ Ich schrie es hinaus. Einmal. Zweimal. Dreimal. „Nein! Nein! Nein!“ Verzweiflung. Ich spürte sie in jedem Teil meines Körpers. Ein paar Männer kamen, um mich zu beruhigen. Sie redeten auf mich ein. Nein! Ich wollte es nicht hören, ihr gelaber! Ich werte mich, trat und schlug um mich. Nein! Als letztes sah ich, wie ein Arzt kam, seine Fratze grinste mich böse an und dann jagte er mir eine Spritze in den Arm. Ich wusste, ich würde nicht mehr aufwachen. Dann wurde alles um mich herum schwarz.
Oh, man! Das war aber echt ein schlimmer Albtraum! Ich stieg aus dem Bett und zog mich an. Typisch für mich. Dann ging ich nach unten, zum frühstücken. Auf dem Weg dorthin Begegnete ich wie üblich meinem morgenmuffeligen Bruder Lian.
„Guten morgen, Lian!“ Ich grinste extra-freundlich. „Hmpf.“ Kam die Antwort. Das war ja zu erwarten. Am Frühstückstisch saß bereits Ma. „Guten Morgen!“, Ich war aber heute auch zu freundlich. Weil keine Antwort kam, ging ich zum Kühlschrank. Mist! „Ma, du musst neue Joghurts kaufen.“ „Ja, ja.....“ kam gemurmelt von dem lebendigem Schminkspiegel mit unnatürlich blondierten Haaren, der sich meine Mutter nannte. Ich wandte mich ab. Dann musste heute eben ein Apfel reichen. Herzhaft biss ich rein. Ihhh!!! Oh man!!! Bäh!!! Er war schlecht. Na toll. Und was jetzt? Dann eben heute kein Frühstück. Ich ging zur Spüle und schmiss den verdorbenen Apfel in den Müll. Dabei fiel mein Blick auf die Uhr. Schitt! Ich kam zu spät zur Schule! Also los, Tasche über die Schulter und weg. Als ich die Haustür ranzog, bemerkte ich etwas. In der Luft lag etwas. Etwas kaltes, dunkles. Aber, ich konnte mich auch täuschen. Dieser Herbsttag war besonders kalt, und der Wind blies stark. Ich ging den kurzen Weg zum Tor und trat auf die Straße. Zur Bushaltestelle war es nicht besonders weit, aber ich brauchte trotzdem immer mindestens Zehn Minuten. Als sie in sicht kam, war der Bus schon da und die letzten Personen stiegen ein. Scheiße! Ich sprintete los, vergeblich. Der Bus war weg, bevor ich ihn erreichen konnte. Das hieß: Zwanzig Minuten warten und mein Ipod war zu Hause. Na Super! Ich setzte mich also auf die Bank bei der Haltestelle und schaute mir mal wieder die Umgebung an. Keine Menschenseele in Sicht.Die Beethovenalle sah aus, wie man sich eine typische Einfamilienhausgegend vorstellt. Links und rechts ordentlich geschnittene Bäume, Häuser mit Gärten, einer gepflegter als der andere und Vogelgezwischter. Vorbildlich. Die sicht zum Haus auf der anderen Straßenseite wurde mir von einer dichten Hecke versperrt. Plötzlich bemerkte ich ein blitzen zischen den Bäumen. Ich stand auf, um es genauer sehen zu können, doch es war schon wieder verschwunden. Ein heißer Luftzug streifte meinen Nacken, als würde jemand hinter mir stehen. Ich spürte die Präsenz der Person, so nahe als hätte ich sie berühren können. Doch als ich mich schnell umdrehte war niemand da. Ich schüttelte den Kopf. Du hast eindeutig zu viele Horrorfilme gesehen!! Hmmm, womit könnte ich mir die Zeit vertreiben? Ahh! Ich besah mir den Fahrplan, den ich schon auswendig konnte! Ja das war eine Tätigkeit, die jeder tut und bei der man sich nicht ablenken lassen kann. Ein schöner Zeitvertreib! Ich schaute mir den Plan so lange an, bis ich den Bus kommen sah.
Als ich an der Schule aus dem Bus ausstieg, war der Hof verlassen und alles still. Ich ging die Korridore entlang, in die Richtung, aus der schwaches Gebrüll kam. Je weiter ich zum Klassenraum der 9a kam, desto deutlicher wurde es. „Chris! Chris! Chris!“ und „Tobi! Tobi! Tobi!“ Natürlich mussten sich die zwei größten Vollidioten unserer Klasse mal wieder prügeln. Wahrscheinlich ging es um ein Kaugummi oder eine Colaflasche, von der beide den Pfand haben wollten. „Hey Jessie! Warum so spät?“ fragte mich die tiefe Stimme von Erik. Ich drehte mich zu ihm um und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er zog mich in seine Arme. „Bus verpasst. Wo ist Herr Zimmermann?“, fragte ich „Seit wann kümmerst du dich denn um die Lehrer?“ „Tu ich nicht. Aber er ist noch nie eine halbe Stunde zu spät gekommen.“ Mittler Weile war es halb neun und immer noch kein Lehrer in Sicht. „Stimmt. Aber ist doch egal, oder? Hauptsache keine schule!“ Erik lachte. Er hatte ein süßes Lachen, immer wenn er lachte, blitzten seine braunen Augen auf.
Texte: me and me
Tag der Veröffentlichung: 23.09.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch keinem. Noch nicht.