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Prolog




Ich rannte.
Dabei wusste ich noch nicht einmal wohin, aber das spielte auch keine Rolle.
Ich war in einem Wald und es war stockdüster. Überall raschelte es in den Büschen und von irgendwoher kamen Stimmen. Dann fielen Schüsse. Ich begann noch schneller zu rennen.
Es war mir ein Rätsel, warum mich diese Leute jagten. Ich wusste nur, DASS sie es taten.
Ich lief immer weiter. Hinter einem dichten Gestrüpp ging ich in die Hocke und lauschte mit angehaltenem Atem. Ich konnte nichts hören. Ich musste meine Verfolger abgehängt haben. Erleichtert holte ich Luft und versuchte meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich saß noch eine Weile da und merkte, wie sich mein Körper allmählich wieder entspannte. Leise stand ich auf und schlich, darauf bedacht keinen Lärm zu machen, ein Stück von meinem Versteck weg.
Niemand war zu sehen oder zu hören. Ich richtete mich wieder zu voller Größe auf, drehte mich um - und erstarrte.
In wenigen Metern Entfernung sah ich eine Person, die durch den Wald schlich und ein Gewehr vor sich hielt. Ich gab keinen Mucks von mir und ging langsam und vorsichtig einen Schritt nach dem anderen nach rückwärts - weg von der Person. 
Meine Angst wuchs immer mehr. Was sollte ich nur tun ?
Gerade als ich mich umdrehen und wieder davonlaufen wollte, drehte der Fremde ruckartig seinen Kopf in meine Richtung. Stocksteif blieb ich stehen. 
Der Fremde kam genau auf mich zu. Ich wollte wegrennen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Es war als wäre ich nicht mehr in Besitz meines eigenen Körpers.
Auf einmal wurde ich an meinem Arm nach hinten gezogen, weg von dem Fremden. 
Ich drehte mich um, konnte aber niemanden erkennen. Und doch spürte ich den Druck einer Hand um mein Handgelenk. Ich wurde durch den Wald gezogen. Mir kam es vor, als würde ich immer tiefer in den Wald rennen, doch schon nach wenigen Minuten stolperte ich auf eine Straße. Ich blickte mich um nach meinem Verfolger, doch er war nirgends zu sehen. 
Wie ich so auf der Straße stand, fiel mir auf, dass der Druck um mein Handgelenk nicht mehr da war. Er war in dem Moment verschwunden, als ich einen Fuß auf die Straße gesetzt hatte. Ich sah hinunter auf meine Hand – und stutzte.
Auf meinem Handrücken prangte ein Mal. Es war ein Vogel, der in einem Ring eingeschlossen war. Dem Aussehen nach könnte es ein Adler sein. Aber wo kam es auf einmal her ?
In meine Gedanken versunken war ich weiter auf die Straße gegangen und wurde nun jäh aus ihnen herausgerissen. Ruckartig hob ich meinen Kopf. Gerade bog ein Auto um die Ecke und ich sah die Scheinwerfer auf mich zu kommen. Das Auto näherte sich rasend schnell und ich hob abwehrend die Arme vor mein Gesicht, obwohl ich wusste, dass es so gut wie gar nichts nützen würde. Würde dieses Auto mich jetzt erstmal erfassen, würden keine Arme oder gar Hände mich wieder in Ordnung bringen können.
Das Auto fing an zu schlittern und es ertönte ein schrilles Kreischen. Mit fest geschlossenen Augen wartete ich auf den Aufprall.

Kapitel 1




Schweißgebadet schlug ich meine Augen auf. Ein Traum, schon wieder so ein Traum. Seit Wochen quälten mich Alpträume und ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie wie eine Botschaft an mich gerichtet waren. 
Schnell warf ich einen Blick auf meinen Handrücken. Da war nichts. Kein Anzeichen eines Mals oder ähnlichem. Erleichtert ließ ich mich zurück in meine Kissen sinken.
In letzter Zeit träumte ich oft von diesem Mal, doch noch nie konnte ich erkennen, wie es genau aussah. Es waren bisher immer nur wage Umrisse zu erkennen gewesen.
Ich beschloss mir nicht weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, immerhin gab es das Mal ja nicht wirklich. Es existierte nur in meinen Träumen. Ich stieg aus meinem Bett und lief geradewegs ins Badezimmer. Als ich unter der Dusche stand, dachte ich dann doch noch mal über den Traum nach. Ich glaube ich wurde langsam verrückt. Die Träume schienen mich wahnsinnig zu machen.
"Shira, bist du eingeschlafen oder was? Beeil dich! Du kommst noch zu spät zur Schule."
Meine Mum hämmerte an die Tür und riss mich so aus meinen Gedanken. Schnell machte ich mich fertig und ging die Treppe hinunter in die Küche, wo meine Mum schon mit dem Frühstück wartete. Ich hielt mich gerne in der Küche auf. Nicht weil ich gerne esse, sondern weil sie schlicht gehalten und doch modern war. In der Mitte einer Wand war eine große Arbeitsfläche mit einer Herdplatte. Zu beiden Seiten der Fläche standen große Schränke. In einem der beiden war ein Ofen eingebaut wurden. Der andere diente als Kühlschrank. Vor den Schränken war in einer Halbkreisform ein Tresen aufgebaut, in dem sich zwei Spülbecken befanden. Rings um den Tresen waren Stühle aufgereiht. Bis auf die Arbeitsfläche war alles in einem hellen weiß gehalten, was die Küche freundlich und einladend wirken ließ. Ungefähr mittig der Küche stand ein großer Esstisch, an den ich mich gerne setzte. Die Wand gegenüber des Tisches war keine Wand sondern ein riesengroßes Fenster, mit eingelassener Schiebetür. Durch dieses große Fenster konnte man unseren ganzen Garten überblicken. Meine Mum liebte es im Garten zu arbeiten und neue Pflanzen zu pflanzen. Deswegen war die Aussicht auch wunderschön. Ich setzte mich also an den Tisch und frühstückte zusammen mit meiner Mum.
"Was war denn heute Nacht los? Ich hab dich schreien hören..",
fragte mich meine Mum, genau in dem Augenblick, als ich mir ein großes Stück von meinem Rosinenbrötchen in den Mund stopfte. Ich würgte es schnell runter und bekam auch promt einen Hustenanfall.
"Nichts. Ich habe nur schlecht geträumt.",
brachte ich schließlich heraus. Ich nahm mir einen Schluck von meinem Kakao und hüstelte noch einmal kurz. Schweigend aßen wir zu Ende und ich wunderte mich langsam, wo meine Freundin Caila blieb. Seit der zweiten Klasse gingen wir jeden Morgen zusammen in die Schule. Sie wohnte ein paar Häuser die Straße runter und wenn sie an meinem Haus vorbei kam, klingelte sie und ich schloss mich ihrem Weg an. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass sie bereits zehn Minuten später dran war als gewöhnlich. Sie achtete doch eigentlich immer auf Pünktlichkeit.? Ich ging ins Badezimmer, um mir die Zähne zu putzen und als ich fertig war, war sie immer noch nicht aufgetaucht. Ich beschloss noch fünf Minuten zu warten, doch dann musste ich wirklich los. Ich zog mir meine Schuhe an, meine Jacke über, hängte mir meine Tasche um und verkabelte mich mit meinem Handy. Begleitet von meiner Lieblingsmusik machte ich mich auf den Weg in die Schule. Kurz vor dem Stundenklingeln hastete ich in die Klasse. Ich ging auf die vorderste Sitzbank zu. Caila war nicht da. Irgendetwas stimmte nicht. Wenn sie krank wäre, dann hätte sie mir doch eine SMS geschrieben. Also was war los? Es sah ihr gar nicht ähnlich, dass sie zu spät kam. Als der Lehrer einige Minuten später in den Klassenraum kam, sahen wir alle überrascht auf. Cailas Mutter stand hinter ihm und sah sich angespannt im Zimmer um. Als sie meinem Blick begegnete sah sie etwas erleichtert aus, aber auch nur etwas. Sie kam auf mich zugestürmt und blieb kurz vor meinem Tisch stehen.
"Shira, sag mir bitte, dass du Caila gesehen hast?!",
gab sie völlig hektisch und außer Atem von sich. Verdutzt sah ich sie an.
"Nein, hab ich nicht. Wieso denn? Ich dachte, sie ist heute krank. Immerhin hat sie mich heute auch nicht abgeholt, wie sie es sonst immer macht."
Panisch sah sie mich an.
"Aber...aber...wenn sie nicht bei dir ist...wo ist sie denn dann? Sie ist seit gestern Abend verschwunden."

Kapitel 2




Cailas Mutter und ich riefen alle möglichen Leute an, doch niemand konnte uns sagen, wo sich Caila befand.
Mein Lehrer hatte uns, nachdem sich Cailas Mutter wieder etwas beruhigt hatte, nach draußen geschickt. Ich war zum Direktor gegangen und nachdem er von dem Vorfall erfahren hatte, den wir ihm geschildert hatten, gab er mir eine Schulbefreiung, damit ich mit bei der Suche nach Caila helfen konnte.
Wir kamen jedoch nicht voran.

Mittlerweile war es abends.
Noch immer hatten wir keine Spur von Caila.
Ich machte mir wirklich Sorgen um sie, immerhin war sie meine beste Freundin.
Warum meldete sie sich nur nicht ?
Ich wollte mich gerade in mein Bett legen, als mein Handy klingelte.
Schnell sprang ich auf meinen Tisch zu und griff nach meinem Handy, doch meine Hoffnung, es könnte Caila sein, verpuffte augenblicklich.
"Hey, Liz. Was gibt's ?"
Liz war in meiner Jahrgangsstufe und ebenfalls eine gute Freundin von mir. In letzter Zeit hatten wir nicht mehr oft miteinander geredet, weswegen ich mich auch wunderte, warum sie jetzt anrief.
"Hi, Shira. Ich hab das mit Caila mitbekommen. Ist sie denn mittlerweile wieder aufgetaucht ?"
"Nein, wir haben immer noch keine Ahnung wo sie steckt.. Das passt doch gar nicht zu ihr. Sie würde doch anrufen. Ihr muss irgendetwas passiert sein !"
Ein kleinen Moment blieb es still am anderen Ende der Leitung.
"Naja, ich kenne sie nicht wirklich, aber wenn du reden willst, bin ich für dich da. Ich kann jederzeit vorbei kommen, wenn du magst.."
Ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Das passte mal so gar nicht zu der Liz, die ich kannte. Sie war das typische 'gefühlskalte' Mädchen, das sich nicht um die Sorgen andere schärte. Sie war immer komplett in schwarz gekleidet und schien immer so gut wie jedem aus dem Weg zu gehen.
"Nein, lass mal. Du musst nicht extra hierher kommen. Sollte Caila bis morgen, und ich hoffe es bewahrheitet sich nicht, immer noch nicht wieder aufgetaucht sein, können wir ja morgen in der Schule über alles reden."
"Ja, okay. Sag mir bescheid, wenn sie wieder auftaucht.. Bis morgen.",
verabschiedete sie sich und wir legten auf.

Am nächsten Morgen wachte ich auf und mein erster Gedanke war Caila.
Sie war noch immer verschwunden.
Ich war so in Sorge um sie, dass ich diese Nacht noch nicht einmal geträumt hatte.
Es war eine traumlose, unruhige Nacht.
Ich stand auf, machte mich soweit für die Schule fertig und ging nach unten, um mit meiner Mum zu frühstücken.
Nach dem Frühstück lief ich in die Schule und traf auch sogleich auf Liz.
"Hey, L.."
Weiter kam ich nicht, denn sie stürmte auf mich zu und rief mir schon von wenigen Metern Entfernung entgegen:
"Wusstest du, dass wir neue Schüler bekommen ?"
"Nein. Woher weißt du das ?"
Verwundert sah ich sie an. Sie schien ja ganz aufgeregt zu sein.
"Ich habe, gerade als ich am Lehrerzimmer vorbeikam, mitbekommen, wie der Direktor mit ein paar Lehrern geredet hat. Soweit ich verstanden habe sind es sechs Jungs und drei Mädchen."
"Weißt du auch wann sie kommen ?",
wollte ich dann wissen.
"Nein, leider nicht. Aber allzu lang kann es nicht mehr hin sein, sonst hätte sich der Direktor ja nicht aus seinem Bürosessel erhoben..",
meinte sie grinsend.

Die Stunden vergingen wie im Flug.
Es stellte sich heraus, dass die neuen Schüler schon in den nächsten Tagen eintreffen würden.
Ich erkämpfte mir gerade mit Liz einen Weg durch den überfüllten Schulflur zu meinem Spind, als mein Handy anfing zu klingeln. Es war ganz unten in meiner Tasche vergraben, sodass der Anruf schon wieder beendet wurden war, als ich es dann endlich in der Hand hielt. Der Anrufer war unbekannt. Ich dachte mir nichts weiter dabei und lief weiter zu meinem Spind. Dort angekommen schmiss ich alle Bücher, die ich nicht für die Hausaufgaben brauchte, hinein und knallte es mit einem Ruck zu.
Dann bekam ich wieder einen Anruf. Wieder unbekannt.
"Hallo ?",
meldete ich mich, doch niemand antwortete.
"Hallo ? Wer ist denn da ?"
Es war ein leises rascheln und rauschen zu hören und schließlich eine weibliche Stimme.
"Shira...",
war alles was sie sagte. Ich musste mich anstrengen dieses eine Wort zu verstehen, da es immer noch gerammelte voll in dem Gang war.
"Ja, hier ist Shira. Wer ist denn da ?",
schrie ich schon fast in mein Handy.
"Shira, bitte..."
Ich konnte kaum noch was verstehen. Die Stimme wurde immer leiser, doch ich wusste sie kam mir irgendwoher bekannt vor.
"Caila ? Caila, bist du das ?",
rief ich hoffnungsvoll.
Ein rauschen und knacken, und die Verbindung war tot.

Kapitel 3




Völlig außer mir starrte ich auf mein Handy. Tausende von Gedanken schossen mir auf einmal durch den Kopf.
Caila.
War sie es wirklich gewesen ?
Wenn ja, warum hatte sie dann aufgelegt ?
Wie hypnotisiert stierte ich auf das Display.
Warum nur hatte sie nichts gesagt, wenn sie schon anrief ?
Es klang so, als hätte sie mich um Hilfe gebeten. Doch wie sollte ich ihr helfen, wenn ich nicht wusste, wo sie war .?
Der Anruf war unbekannt gewesen, also konnte man ihn wohl nicht zurück verfolgen.
Die Sache wurde immer kniffliger.
"Hey, Shira. Alles in Ordnung ?",
holte mich Liz zurück aus meinen Gedanken.
"Ja, ...ja. Alles okay. Es ist nur...ach nichts. Komm, lass uns gehen."
Wir machten uns auf den Weg hinaus aus der Schule, wurden aber auf der Treppe von Connor, Cailas Freund, aufgehalten.

Sie und Connor waren jetzt schon seit knapp zwei Jahren ein Paar, was bei Caila schon ein Rekord zu sein schien. Sie war dafür bekannt gewesen, aller zwei Wochen einen neuen Typen an der Angel zu haben. Bis sie dann Connor kennen gelernt hatte. Anfangs war es so wie immer. Sie waren zusammen gekommen und nach ein paar Tagen hatten sie sich wieder voneinander getrennt. Doch dann hatten sie wieder angefangen sich zu treffen. Erst an vereinzelten Tagen in der Woche, dann immer regelmäßiger. Niemand konnte so wirklich glauben, was da vor sich ging, doch die beiden wirkten so glücklich miteinander. Wenn Caila traurig war, brauchte sie ihn nur flüchtig zu sehen und schon hatte sie wieder besser Laune und ihre Augen strahlten mit der Sonne um die Wette.
Auch jetzt, nach gut zwei Jahren, waren sie noch so verliebt ineinander wie am ersten Tag.

"Na ihr beiden ? Habt ihr schon was Neues gehört ?",
wollte Connor nun wissen. Ich und Liz sahen uns an. Was sollten wir ihm denn darauf antworten. Man sah ihm deutlich an, dass er ein paar schlaflose Nächte hinter sich hatte. Anscheinend hatte sich Caila längere Zeit nicht mehr bei ihm gemeldet.
"Nein, bis jetzt noch nicht. Aber wir sagen dir bescheid, falls wir was wissen..",
antwortete Liz ihm. Sein Gesicht schien, wenn überhaupt möglich, noch mehr an Farbe zu verlieren. Er tat mir richtig leid, auch wenn ich nie wirklich gut auf ihn zu sprechen war.
Seit er und Caila ein Paar waren, hatte sie mich total vernachlässigt. Wenn wir dann mal wieder etwas zusammen unternahmen, hing sie entweder die ganze Zeit an ihrem Handy oder erzählte von ihrem, ach so tollen, Connor. Was er doch nicht alles für sie gemacht hatte. Ich fteute mih ja für sie, dass sie endlich jemanden gefunden hatte, mit dem sie glücklich war. Aber musste man deswegen seine beste Freundin vergessen ?


Connor ging seiner Wege und Liz und ich machten, dass wir aus der Schule kamen.
Ich lief noch mit ihr bis zur Bushaltestelle und wartete bis ihr Bus kam.
Als ich den Weg nach Hause antrat, verlor ich mich wieder in meinen Gedanken. Wie so oft überlegte ich, was mit Caila passiert war. Warum nur war sie noch immer nicht wieder zurück ? In welchem Schlamassel mag sie wohl stecken, wenn sie mich um Hilfe bat ? Wenn sie es denn überhaupt war. Doch wer sonst .? Niemand anderes würde anonym anrufen, um mich dann völlig grundlos um Hilfe zu bitten. Wenn ich doch nur wüsste, wie ich ihr helfen könnte.

Gerade als ich über die Straße gehen wollte, hörte ich den Ruf eines Vogels. Erschrocken blieb ich stehen, gerade noch rechtzeitig. Schon hörte ich das kreischende Geräusch eines bremsenden Autos. Direkt vor meinen Füßen kam es schließlich zum Stehen. Es war wie ein Déjà-vu. Ein heranrasendes Auto, was mit quitschenden Reifen zum Stehen kommt. Wäre ich nicht vor Schreck stehen geblieben, hätte es mich erfasst. Ich blickte in den Himmel und sah einen großen Vogel dort seine Kreise ziehen... War das Zufall ? Schicksal ? Eine vorhergesehene Bestimmung ?

Endlich zu Hause angekommen, ging ich sofort in mein Zimmer. Ich schmiss meine Tasche in die Ecke und startete meinen Laptop. Aus irgendeinem Grund, der mir ein Rätsel blieb, hatte ich plötzlich das Bedürfnis, mehr über Adler zu erfahren. Es war doch kein Zufall, dass ich geträumt hatte, fast von einem Auto überfahren zu werden und mich jetzt, vor wenigen Minuten, ein Adler davor bewahrte. Und überhaupt. Seit wann gab es hier in der Gegend Adler .? Ich hatte noch nie zuvor einen hier gesehen. Mein Laptop war an und ich fing an zu suchen... Am Ende hatte ich folgendes, mehr oder weniger hilfreiches, heraus gefunden und auf einem Zettel notiert:

Adler
-König der Lüfte -> mit starken Schwingen der Sonne

-in Antike Vogel des griechischen Gottes Zeus und Symbol für Macht und Sieg
-Eigenschaften wie Mut, Kraft, Weitblick und Scharfblick, auch Würde
-mächtige Greifvögel, die fast überall auf der Welt vorkommen
-ihr kräftiger Schnabel, ihre Läufe mit den scharfen Krallen und ihre Flugkünste machen
sie zu einem gefährlichen Raubtier, das nur einen Feind kennt: uns, die Menschen



Wir waren ihre Feinde.
Doch warum beschützte er mich dann immer in meinen Träumen .?
Gab es vielleicht irgendeinen Zusammenhang zwischen meinen Träumen und dem Beinahe-Unfall ?

Kapitel 4




Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich nicht wahr nahm, wie es an meiner Zimmertür klopfte. Als mir meine Mutter die Hand auf die Schulter legte, fuhr ich in mich zusammen und stieß einen spitzen Schrei aus.
"Mum ! Erschreck mich doch nicht so ! Hast du schon mal was von 'anklopfen' gehört ?!?",
schrie ich sie an. Mein Herz pochte noch immer wie verrückt und wollte sich einfach nicht wieder in den Ruhezustand begeben.
"Doch doch. Davon habe ich schon gehört. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe diese Methode sogar angewendet. Aber Madame ist mal wieder so tief in ihren Gedanken versunken, dass sie mich glattweg ignoriert..",
gab meine Mutter mal wieder einen ihrer Sprüche zum besten. Wie ich es hasste, wenn sie so mit mir sprach.
"Was ist denn los ? Gibt es einen Grund warum du mich so erschreckst ?",
wollte ich dann, in einem ruhigerem Ton fragend, wissen.
"Das Essen ist fertig. Kommst du bitte runter bevor es wieder kalt ist ?!"
Unten in der Küche hörten wir es scheppern. Ich sah meine Mutter verwirrt und auch ein wenig verwundert an. Hatten wir Besuch bekommen, von dem ich nichts wusste ? Oder war mein Vater vielleicht schon zurück ? Er war seit Anfang der Woche auf Geschäftsreise und es wäre doch ein wenig ungewöhnlich wenn er jetzt schon wieder zurück wäre. Klar, es ist mittlerweile Ende der Woche aber sonst war er immer um die zwei Wochen unterwegs. Meine Mutter sah wohl die vielen Fragezeichen in meinem Blick und winkte ab.
"Dein Bruder ist von seiner Klassenfahrt zurück. Und ich soll dir ausrichten, du sollst dich beeilen. Er hat hunger .!",
meinte sie schmunzelnd. Das war ja mal wieder typisch mein Bruder. Anstatt sich zu freuen seine große Schwester wieder zu sehen, dachte er nur an sein Essen. Seufzend verdrehte ich meine Augen und stand schließlich auf. Zusammen mit meiner Mutter machte ich mich auf den Weg nach unten. Wir mussten noch auf der Treppe gewesen sein als mein Bruder die Entscheidung getroffen hatte, schon mit dem Essen anzufangen. Als wir nämlich in die Küche traten, saß er schon am Tisch und schob sich eine große Portion Nudeln in den Mund. Meine Mutter fing auch schon gleich an zu meckern, das schien ihre Lieblingsbeschäftigung zu sein.. Wir setzten uns und aßen. Mein Bruder redete ununterbrochen, wie schön es doch gewesen sei und was sie alles gemacht hatten. Klassenfahrt war doch so eine tolle Sache.

Mein Bruder hieß Tyilo und war frische sieben Jahre jung. Er erfüllte die typischen Kleiner-Bruder-Eigenschaften. Er war nervig, hatte ein vorlautes Mundwerk und platzte in jeder noch so ungelegenen Situation in mein Zimmer. Aber es gab auch Momente, in denen ich ihn über alles liebte. In denen ich mir nichts anderes wünschte, als dass ich ihn in den Arm nehmen und nie wieder los lassen musste.

Meine Eltern sind gerade in einer ziemlichen Krise, weshalb die Tatsache, dass mein Vater auf Geschäftsreise musste, gar nicht so schlecht war. Jeden Abend fingen sie aufs neue an zu streiten. Wir hörten es krachen und scheppern, hörten alle möglichen Gegenstände durch die Luft fliegen und wie sie ein abruptes Ende an der Wand fanden. An jedem dieser Abende war Tyilo zu mir ins Zimmer geschlichen und hatte sich zu mir ins Bett gelegt. Ich hatte ihn fest in meinen Arm genommen und versucht seine Tränen aus seinem kleinen Gesicht zu wischen. Doch immer wenn sie weg waren, folgten neue, frische Tränen, die sich ihren Weg bahnten. Mir tat er so unheimlich leid, doch mehr als ihn trösten konnte ich nicht tun. Er konnte nicht wie ich einfach aus dem Haus gehen und Abends wieder kommen. Sich in seinem Zimmer verschanzen, die Musik auf drehen und Mum und Dad so gut es geht ignorieren. Alles in allem könnte man es auch so ausdrücken: Ich konnte meinen Bruder in manchen Situationen nicht ausstehen, aber ich war wahnsinnig froh ihn zu haben.

Mittlerweile waren wir fertig mit dem Abendessen und meine Mutter fing auch schon gleich an den Tisch abzuräumen. Tyilo und ich wollten gerade dazu ansetzen ihr zu helfen, doch bevor wir auch nur unsere Teller anheben konnten, schickte sie uns hoch in unsere Zimmer.

Spät am Abend, als ich noch wach in meinem Bett lag, dachte ich noch einmal über den Tag nach. Dieser merkwürdige Anruf machte mir noch immer zu schaffen. Ob ich jemanden davon erzählen sollte ? Aber selbst wenn, was sollte ich dann sagen ? Mich hat eine unbekannte Nummer angrufen und mich um Hilfe gebeten ? Das waren ja sehr viele Informationen.. Aber irgendetwas musste ich doch machen können. Ich konnte doch nicht tatenlos zusehen, wie meine beste Freundin verschwindet und nicht wieder auftaucht, ja sich noch nicht mal bei ihrer Mutter meldet. Ich beschloss am nächsten Tag zu dem Vertraunslehrer der Schule zu gehen und ihm um Hilfe zu bitten. Er hatte mir schon in vielen Situationen geholfen, was meine Familie betraf. Ich bin mir sicher, er wird mir auch mit diesem Problem helfen können.

Mit dem Gedanken, dass bald wieder alles gut werden würde, schloss ich meine Augen und schlief auch bald ein.

Kapitel 5




Gleich am nächsten Morgen bekam ich zu spüren, dass mein Bruder wieder da war.
In der letzten Woche war es üblich geworden, dass mein Wecker klingelte, ich verschlafen meine Hand ausstreckte und so lange auf meinen Nachtschrank einhämmerte, bis ich das verdammte Ding zum Schweigen gebracht hatte. Doch das war jetzt anders.
Jetzt war Tyilo wieder da.
Mein geliebtes Brüderchen kam in mein Zimmer gestürmt, stürtzte sich auf mein Bett und sprang am unteren Ende der Matratze auf und ab. Das machte er so lange bis ich mich aufsetzte und ihn packen wollte. Lachend sprang er von meinem Bett, rief mir zu, ich solle aufstehen und weg war er.
Verschlafen stand ich auf und machte mich für die Schule fertig. Die übliche Prozedur: duschen, Zähne putzen, anziehen (nach gefühltem stundenlangem Suchen), Haare machen und nicht zu vergessen schminken. Ich schnappte mir meine Schultasche und mein Handy und machte mich auf den Weg nach unten.

Meine Mum war bereits weg. Sie hatte heute Frühschicht, weswegen ich dafür verantwortlich war, meinen Bruder fertig zu machen und rechtzeitig in die Schule zu schicken. Ich war mächtig froh darüber, dass unsere Schulen in den entgegengesetzten Richtungen lagen, ansonsten hätte ich womöglich noch mit ihm zusammen zur Schule laufen und ihn dort abliefern müssen. Doch zum Glück war dem nicht so.

Meine erste Stunde war Biologie - mein absolutes Hassfach !
Bevor ich in den Bio-Gang einbog, ging ich noch schnell an meinen Spind, um mir mein Buch zu holen. In den letzten Wochen kam es öfter vor, dass ich es nicht dabei hatte und ich hatte genug Stress in den letzten Tagen gehabt, dass ich jetzt gut auf einen Vortrag von meinem Lehrer verzichten konnte.
Als ich das Zimmer betrat, hatte ich ein merkwürdiges Gefühl. Ein Gefühl der Vertrautheit und Geborgenheit. Ich fühlte mich plötzlich so warm und auf eine gewisse Weise geliebt. Es war, als würde mich eine für mich wichtige Person in den Arm nehmen und nie wieder los lassen. Ein Gefühl der Glücksehligkeit überkam mich. Doch so schnell und unerwartet dieses Gefühl gekommen war, so schnell war es auch wieder verschwunden.
Verwirrt kämpfte ich mir einen Weg durch das Gedränge meiner Mitschüler zu meinem Platz - doch der war schon besetzt.
Normalerweise kam es nie vor, dass wir mitten im Schuljahr die Sitzplätze wechselten, weswegen ich noch verwirrter wurde als ich ohnehin schon war. Ich wollte gerade dazu ansetzen etwas zu sagen - dass der Typ, der es sich auf meinem Platz bequem gemacht hatte, verschwinden sollte - als mir auffiel, dass es keiner meiner Mitschüler war. Jedenfalls war er mir unbekannt.
Er hatte kurze blonde Haare, die ihn in alle Richtungen abstanden. Dazu blaue Augen, die mich amüsiert anblitzten als er zu mir auf schaute. Mit offenem Mund stand ich vor ihm und starrte ihn an. Womöglich nicht die beste Art einen guten ersten Eindruck bei einer fremden Person zu hinterlassen.
"Hey.. Sprache verschlagen ?"
Mit einem frechen Grinsen im Gesicht beugte er sich vor, streckte seinen linken Arm aus und legte seinen Zeigefinger an mein Kinn. Sanft aber bestimmt drückte er mein Kinn nach oben, sodass sich mein Mund wieder schloss. Noch immer konnte ich mich nicht rühren. Ich war unfähig auch nur den kleinsten Finger zu bewegen, was dem Typen vor mir nicht entging.
"Na, was ist jetzt ? Willst du jetzt die ganze Zeit hier stehen und mich anstarren ? Ich weiß ja, dass ich gut aussehe aber ich glaube die Stunde fängt gleich an...also..."
"Kyon, spiel dich nicht so auf ! Hi, ich bin Kyra. Stimmt was nicht ?"
Hinter dem Jungen saß ein ebenfalls blondes Mädchen. Sie war mir bisher noch gar nicht aufgefallen, da ich nur Augen für den Typen hatte. Genauso wie er hatte sie strahlend blaue Augen, mit denen sie mich freundlich ansah.
Kyra. Was für ein Name. Er klang so außergewöhnlich, aber dennoch hübsch. Und der Junge hieß dementsprechend Kyon. Genauso ein merkwürdiger Name. Sie hatten etwas mystisches an sich aber das spielte jetzt keine Rolle.
"Naja, normalerweise sitze ich dort. Die Plätze wurden am Anfang des Jahres festgelegt und..."
"Oh, das wussten wir nicht. Komm Kyon, steh auf !",
sagte sie mit so strenger Stimme, dass es schon fast wie ein Befehl klang.
"Wie heißt du denn ?",
fragte sie wieder an mich gerichtet. Kyon war währenddessen aufgestanden, hatte es sich jedoch nicht nehmen lassen noch ein paar abwertende Worte in Richtung Kyra zu murmeln.
"Shira.",
antwortete ich und ließ mich auf meinen Platz sinken. Genau zu dem Zeitpunkt als die Klingel den Stundenbeginn ankündigte.
Mein Lehrer, Herr Tonkin, stand neben seinem Pult und sah sich im Zimmer um. An den beiden hinter mir blieb sein Blick schließlich hängen.
"Ah...da seid ihr ja ! Kommt doch bitte vor. Leute, das sind Kyon und Kyra Pirson, eure neuen Mitschüler. Sie werden ab heute in eure Klasse gehen. Seid nett zu ihnen !"
Damit schickte er sie auf die letzte freie Bank im Raum, die sich ganz zufälligerweise direkt neben meiner befand.
Kyon und Kyra Pirson.
Zwei neue Schüler an meiner Schule.
Zwei von neun.

Kapitel 6




Die Bio-Stunde zog sich dahin.
Ich war mir der Gegenwart der beiden Pirsons am Nachbartisch sehr wohl bewusst, doch es gelang mir wirklich gut, sie zu ignorieren. Jedoch galt das nur für die erste der beiden Doppelstunden. In der zweiten war ich wohl oder übel dazu gezwungen mit Kyon zusammenzuarbeiten, da er noch kein Buch hatte und, wie er sagt, noch nicht richtig mit dem Stoff hinterher kam. Seine Schwester arbeitete mit Erek zusammen.
Er wohnte in der selben Straße wie ich und als wir noch klein waren, haben wir immer im angrenzendem Wald gespielt. Manchmal sind wir auch einfach nur auf Entdeckungsreise gegangen und haben einen auf große Forscher gemacht. Später, in der achten Klasse, waren wir zusammen gekommen, doch unsere Beziehung hatte nur ein Jahr gehalten. Wir hatten beide das Gefühl, dass das, was wir taten, nicht richtig war. Seitdem sind wir die besten Freunde. Gemeinsam mit Caila bildeten wir ein unschlagbares Dreiergespann.

Jetzt saß ich also da, mit niemand anderem als diesem arrogantem Schnösel namens Kyon neben mir. Auch wenn ich die ganze Zeit nach vorn zu unserem Lehrer sah, wusste ich genau, dass er mich anstarrte. Wie gerne hätte ich ihm gesagt, er solle das lassen aber sobald ich ihm auch nur in die Augen sah, brachte ich kein Wort mehr heraus. Und jedes Mal schien er sich aufs Neue darüber zu amüsieren. Ich konnte dieses fiese Grinsen langsam nicht mehr sehen.
Mikroskopieren. Das war unsere Aufgabe bis zum Ende der Stunde.
Okay, ich hasste Bio aber mikroskopieren war eines der wenigen Dinge, die ich hinbekam. Das dürfte also schnell gehen, vorausgesetzt Kyon kam mir nicht in die Quere und ließ mich machen. Noch schneller würde es natürlich gehen, wenn auch er mitmachen würde aber ich war mir in Bezug auf ihn nicht so sicher, weswegen ich ihm nur einen meiner Killerblicke zuwarf und mich daran machte ein Mikroskop zu holen. Doch Kyon war schneller. Bevor ich auch nur aufstehen konnte, hatte er seinen Stuhl zurückgeschoben, was ein hässliches kreischendes Geräusch verursachte, und war zu dem Schrank gesprungen, vor dem nun schon die Hälfte der Klasse stand. Herr Tonkin beeilte sich mit dem Aufschließen des Schrankes, damit wir auch schnell genug mit unserer wunderbaren Arbeit anfangen konnten.
Dass Biologie mein Hassfach war, lag nicht an meinem Lehrer. Ganz und gar nicht. Ich hatte ihn nicht nur in Bio, sondern auch in Sport. Noch dazu war er der Vertrauenslehrer meiner Schule und ich wusste, dass manche Mädchen nicht zu ihm gingen, weil sie Probleme hatten. Sie dachten sich vermutlich irgendetwas aus um ihn dann stundenlang anzuglotzen und anzuschmachten. Zugegeben, Herr Tonkin sah nicht schlecht aus mit seinen braunen Locken und den ebenfalls braunen Augen. Er war gut gebaut, was man ja auch irgendwie von einem Sportlehrer erwartete. Aber Lehrer waren für mich grundsätzlich tabu. Wer war schon scharf darauf, sich freiwillig an Wochenenden oder Ferien schulisches Zeug anzuhören ? Ich definitiv nicht.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Kyon nicht gerade leise das Mikroskop auf unserem Tisch abstellte. Genervt sah ich zu ihm auf und stellte fest, dass auch er ziemlich gut gebaut war. Unter seinem T-shirt zeichneten sich deutlich seine Muskeln ab. Plötzlich überkam mich wieder dieses merkwürdige Gefühl der Geborgenheit, doch es war so schnell wieder weg, dass ich mir nicht sicher war, ob ich es wirklich empfunden hatte.
"Ist alles okay ? Du siehst aus, als hättest du noch nie zuvor einen hübschen Jungen vor dir stehen sehen."
Ich hatte gerade mit dem Gedanken gespielt, wie nett es doch von ihm war, dass er sich um mein Befinden erkundigte, da zerstörte er mit einem Schlag diese Illusion wieder.
"Ja, alles bestens. Und, doch ! Es standen schon viele - viel hübschere Typen als du - vor mir. Und stell dir vor, die waren nicht so schrecklich selbstverliebt wie eine gewisse andere Person hier.",
schoss ich also zurück. Kyon grinste mich nur wieder frech an und wir machten uns an die Arbeit.
Auch wenn ich es ungerne zugab, mit ihm zu arbeiten war doch besser als mit so manch anderem Schwachmaten aus meiner Klasse. Kyon wusste, was er tat und das führte dazu, dass wir eher fertig waren als alle anderen. Nachdem wir bei Herrn Tonkin unsere Ergebnisse abgegeben hatten, räumten wir unseren Platz wieder auf. Dann saßen wir schweigend nebeneinander und wussten nicht, was wir machen sollten. Schon wieder spürte ich den starrenden Blick auf mir. Unfähig die Frustration aus meinem Blick zu verbannen, sah ich auf und begegnete seinem Blick.
"Was ist ?",
fragte er mit einer solchen Unschuldsmiene, dass ich fast angefangen hätte zu lachen, trotz meiner Wut. Doch ich riss mich zusammen.
"Könntest du vielleicht mal aufhören mich immer so anzustarren ?!",
fuhr ich ihn an, doch der Mistkerl fand meinen kleinen Ausbruch wohl sehr unterhaltsam.
"Bist es wohl nicht gewohnt von Jungs begafft zu werden, was ? Jetzt mal im Ernst, Schätzchen, du solltest froh darüber sein, dass ICH dich anstarre.."
Mit wichtiger Miene sah er mich an und erwartete sicherlich sowas wie Dankbarkeit in mir aufkeimen zu sehen. Doch da konnte er lange warten ! Gerade als ich zu einer, nicht sehr freundlichen, Antwort ansetzen wollte, kam Herr Tonkin zu uns an den Platz und gab uns unsere Ergebnisse wieder.
"Vorgesehen war es, das als Übung zu betrachten aber da ihr das so super hinbekommen habt, bekommt ihr beide eine Eins ! Das habt ihr wirklich toll gemacht !",
lobte er uns, gab uns unsere Blätter und ging wieder zurück an seinen Pult.
"Na da scheinen wir ja ein gutes Team zu sein !",
meinte Mister Perfect lächelnd. Ich sah ihn an - und konnte nicht mehr wegschauen. Seine Augen faszinierten mich. Sie waren von einem so intensiven blau, ich fand keinen passenden Vergleich für sie. Wenn seine Augen so strahlten wie jetzt, dann konnte man einfach an nichts mehr denken. Mein Verstand sagte mir, dass ich wegschauen sollte, doch ich konnte es nicht. Er nahm mich gefangen, fesselte mich mit seinen Augen und ließ mich nicht mehr los.
Letztendlich war das Pausenklingeln meine Rettung. Kyon wandte sich ab, nicht ohne mir noch einmal zu zuzwinkern, und packte seine Sachen in seine Tasche. Verwirrt tat ich es ihm nach und machte, dass ich Abstand von ihm gewann.

Draußen auf dem Flur holte Erek mich ein.
"Hey, was war denn das eben bei dir und dem Neuen ? Läuft da etwa schon was zwischen euch oder warum habt ihr solche bedeutenden Blicke gewechselt ? Kennt ihr euch irgendwoher ? Also ich finde ja er und seine Schwester haben ein paar merkwürdige Name, meinst du nicht ?",
fragte er und schaute mich dabei neugierig an. Ich kannte ihn nun schon wirklich lange aber noch nie war es vorgekommen, dass er sich für was anderes als Fußball und Musik interessiert hatte. Dementsprechend erstaunt sah ich ihn an und überlegte, was mit ihm passiert sein könnte.
"Also, was ist nun ?"
Vielleicht hatte ich ihn ein wenig zu lange angesehen, denn jetzt stellte er sich vor mich und wippte ungeduldig auf seinen Fußballen.
"Nein, ich kenne ihn nicht und da läuft auch nichts zwischen uns. Und da wird auch nie was laufen, so arrogant wie der ist ! Ich kann nur hoffen, da.."
"Wer ist arrogant ?"
Erschrocken drehte ich mich um, doch das war eigentlich gar nicht nötig. Schon an der Stimme hatte ich erkannt, wer da hinter mir stand. Kyon hatte eine interessierte Miene aufgesetzt, die jedoch nicht das spitzbübische Funkeln in seine Augen verstecken konnte. Ungewollt breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Ich versuchte, es zu verhindern aber es klappte nicht.
"Ach niemand. Nur so ein Typ. Der ist neu hier auf der Schule. Ist mit seiner Schwester heute den ersten Tag hier..",
antwortete ich auf seine Frage. Er tat so als würde er überlegen und runzelte seine Stirn. Er schien angestrengt nachzudenken, doch kam zu keinem Schluss. Schließlich fragte er:
"Kenn ich den ?"
Dabei machte er so ein ratloses Gesicht, dass ich nicht mehr an mir halten konnte und anfing zu lachen. Eins musste man ihm lassen, Grimassen schneiden konnte er !
Ich wandte mich ab um nach Erek zu sehen, doch zu meinem Erstaunen, war er nicht mehr da.
"Wenn du deinen Freund suchst, der ist gerade dort hinten um die Ecke gebogen.",
meinte Kyon.
"Er ist nicht mein Freund. Ich muss jetzt los, ich will nicht zu spät kommen.",
erwiderte ich verwirrt.
"Was haben wir denn jetzt ? Kyra hat den Stundenplan und sie ist schon weg.."
"Englisch. Die Treppe dort vorn hoch, Zimmer 242.",
sagte ich leise und machte mich in Richtung Spind davon.
Auf halbem Weg traf ich auf Liz, die ganz aufgeregt auf mich zukam als sie mich entdeckt hatte.
"Hast du schon den Neuen gesehen ? Der absoluten wahnsinn !",
stieß sie auch schon hervor, kaum dass sie bei mir angekommen war.
"Ja, hab ich. Und ich weiß ja nicht, was du an ihm wahnsinnig findest aber ich hoffe 'wahnsinnig arrogant' !",
gab ich zurück. Liz sah mich leicht irritiert an, plapperte dann aber auch schon weiter.
"Die Haare sind der Hammer ! Nein, nein...die Augen ! Die Augen sind das Beste !",
schwärmte sie weiter. Ich fand ja auch, dass die Augen von Kyon faszinierend waren aber ich flippte deswegen doch nicht gleich so aus und verfiel in Schwärmereien.
"Ja, die sind ganz okay.."
"'Ganz okay' ?!? Die sind mehr als nur okay. Hast du sie dir mal richtig angesehen ? Diese Farbe, so intensiv."
"Ja, ich weiß wie 'intensiv' sie sind.."
So langsam war ich genervt von ihr. Konnte sie nicht mit jemand anderem über diesen 'Traumboy' reden ?!
"Ich glaub, ich hab noch nie so ein schönes grün gesehen !"
"Ja, ist gut jetzt. Ich hab's verstanden. Toller Typ, tolle Haare und tolle grüne Au...Moment mal. Grüne Augen ? Kyon hat blaue Augen !"
Jetzt geriet ich vollkommen durcheinander. Ich war mir sicher, dass Kyon blaue, und keine grünen, Augen hatte. Dieser Tag war voller Rätsel.
"Kyon ? Wer ist denn Kyon ?"
Auch Liz schien nicht ganz hinterherzukommen.
"Na der Neue. Er geht in meine Klasse und ich musste mit ihm in Bio zusammenarbeiten.."
"Ja aber...der Neue heißt doch Cathan !"
Und da war es passiert.
Ich hatte nun völlig den Faden verloren.

Kapitel 7




Ich war auf dem Weg nach Hause und dachte mal wieder über Gott und die Welt nach.Es hat sich am Ende herausgestellt, dass schon fast alle neuen Schüler da waren. Wo der Letzte abgeblieben war, konnte sich keiner erklären. Außer vielleicht die anderen Neuen. Irgendwie schienen sie miteinander verwandt zu sein oder soetwas in der Art. Jedenfalls hatten alle solche strahlenden Augen und blonde Haare wie Kyon und Kyra.Sie gingen auch nur im "Rudel" herum. Nie sah man einen von ihnen alleine herumlaufen. Außer Kyon. Der nervte mich noch immer wann immer er konnte.Aber ehrlich gesagt, machte das mir gar nicht so viel aus.. Er war schon ein ganz cooler Typ. Hatte seine Macken, wie sich erst heute herausgestellt hatte, aber er war vollkommen in Ordnung. Ich kam dadurch auch auf andere Gedanken. Ich musste nicht immerzu an Caila denken, von der ich immernoch nichts Neues wusste.

Mittlerweile war ich zu Hause angekommen, hatte meine Schultasche in die Ecke geschmissen und mir was zu essen gemacht. Ich hatte noch nicht einmal darauf geachtet, was ich mir da zu essen genommen hatte. Der Teller, der abgedeckt im Kühlschrank stand, war, so dachte ich, für mich bestimmt. Jetzt wo ich den ersten Happen im Mund hatte, wurde mir schnell klar, dass das nicht der Fall. Meine Mum wusste genau, dass ich keine Pilze aß. Dennoch hielt sie es wohl nicht für Notwendig auf die Abdeckfolie zu schreiben um was es sich handelte. Oder zumindest eine kurze Notiz auf den Küchentisch. War das zu viel verlangt ?Angeekelt entleerte ich meinen Mund über dem Mülleimer und den Rest des Essens schmiss ich gleich hinterher. Ich nahm mir einen Orangensaft aus dem Schrank und ging zurück in mein Zimmer. Dort nahm ich mir meinen Zeichenblock und fing an drauflos zu kritzeln. Ich hatte schon lange nicht mehr gezeichnet, dementsprechend schrecklich sahen meine Versuche etwas Ordentliches hinzubekommen auch aus. Frustriert nahm ich mir mein Handy und meine Kopfhörer, stellte die Musik laut und zeichnete drauf los.Strich um Strich wurde das Blatt voller. Ich achtete gar nicht wirklich darauf, was ich zeichnete. Aber als ich dann endlich doch meinen Blick auf das Blatt fokusierte und aus meinen Tagträumen und Gedanken aufwachte, ließ ich den Kohlestift fallen unnd starrte fassungslos, verblüfft und ängstlich zugleich auf die Zeichnung.


Es war ein Vogel. Die Flügel spannten sich von einer Ecke des Blattes bis zur gegenüberliegenden. Es war keine oberflächliche Zeichnung. Sie war so sehr ins Detail gezeichnet, dass ich mir nicht sicher war, ob wirklich ich sie gemalt hatte. Doch wer sonst ? Ein kurzer Blick durch das Zimmer verriet mir, dass ich alleine war. Wie gebannt starrte ich auf die vor mir liegende Zeichnung. Der Schrei eines Vogels vor meinem Fenster ließ mich erschreckt zusammenzucken. Noch während ich mich auf meinem Stuhl umdrehte, fragte ich mich warum der Schrei so laut war. Mein Zimmerfenster war immerhin den ganzen Tag über schon geschhlossen gewesen. Als ich dann einen freien Blick auf mein Fenster werfen konnte, ertönte ein hoher, spitzer Schrei. Erst nach ein paar Sekunden wurde mir klar, dass ich geschrienen hatte. Das Fenster war sperrangelweit offen und mitten auf dem Fensterbrett saß ein Vogel. Nicht irgendein Vogel. Sondern ein großer, wunderschöner Adler.
Es schien mir als blickte er mir direkt in die Augen. Ich wusste nicht sonderlich viel über Adler, dennoch glaubt ich zu wissen, dass ihre Augenfarbe irgendetwas zwischen gelb und braun ist. Dieser Adler auf meinem Fensterbrett hatte jedoch keine gelben Augen. Sie waren pechschwarz. Ich konnte nicht erkennen, wo die Iris aufhörte und die Pupille anfing. Das könnte aber auch daran liegen, dass ich mittlerweile bis an meine Zimmertür zurückgewichen war. Ich weiß noch nicht einmal genau warum, aber seit Kindtagen hatte ich schon riesige Angst vor Vögeln. Nicht diese kleinen süßen, die man sich zu Hause in Käfigen hält, Wellensittiche oder Kanarienvögel. Nein, die großen. Es fängt schon an mit den Papageien bis hin zu wild lebenden Greifvögeln. Adlern eben.Doch dieser schien mir harmlos zu sein. Ich traute mich dennoch nicht wieder zurück in den Raum.
Irgendetwas an dem Vogel kam mir merkwürdig vor. Nicht, dass er schwarze Augen hatte. Auch nicht, dass er einfach so auf meinem Fensterbrett saß als wäre das das natürlichste auf der Welt. Nein, da war etwas in seinem Blick. Als wolle er mir etwas zu verstehen geben.
Ich nahm all meinen Mut zusammen und ging Schritt für Schritt wieder zurück in mein Zimmer. Als ich ungefähr in der Mitte angekommen war, stieß der Adler wieder einen Schrei aus. Ich erschreckte mich so sehr, dass ich ein paar Schritte zurück stolperte und über meine Tasche fiel. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt ich mir meinen Knöchel. Doch gleich darauf schrie ich los wie am Spieß.Der Adler war in mein Zimmer geflogen und hatte sich auf der Lehne meines Stuhls nieder gelassen. Von dort aus sprang er auf meinen Tisch. Ich wollte noch die Zeichnung retten und sie vom Tisch ziehen, doch ich traute mich nicht näher an ihn heran.Wie von weit hörte ich wie die Haustüraufgeschlossen wurde und gleich darauf die Stimme meiner Mum. Ich robbte raus in den Flur und begrüßte sie.
Als ich mich wieder umdrehte, sah ich mich verwundert im Zimmer um. Mein Tisch war leer, bis auf die Zeichenutensilien und mein Fenster war fest verschlossen.

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Texte: Alle Rechte liegen bei mir
Bildmaterialien: Cover von Evelyn Kerschmann
Tag der Veröffentlichung: 12.02.2013

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