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Sanfte Abendröte umspielte den Himmel, als Merina der Duft von mit Tau benetztem Gras in die Nase stieg. Vor ihr breitete sich eine riesige Blumenwiese aus und kurz vorm Horizont konnte sie bereits die schwarzen Baumwipfel ihres Zieles erkennen: den sagenumwobenen Wald Brocéliande. Sanft schob sie sich eine Strähne ihrer blonden langen welligen Haare aus dem schmalen schönen Gesicht und entblößte eines ihrer Spitz zulaufenden Ohren. Ein leichter Schauder des Verlustes durchfuhr ihren Körper, denn nur ungern hatte die Lichtelfe ihre Welt über den Wolken verlassen und ihr so für immer den Rücken gekehrt. Aber sie hatte einen Auftrag von ihrer Königin erhalten, denn sie war die Auserwählte, die stärkste, klügste und schönste ihres Stammes, die ihren Art schützen durfte. Stolz reckte sie ihr Kinn und setzte ihren Weg in ihren weißen kunstvoll bestickten Gewändern fort.


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Währenddessen schritt ein Schwarzalb auf der anderen Seite des Waldes Brocéliande verdrossen einen Pfad nahe eines Sees entlang, in dem sich die untergehende Sonne spiegelte. Sein Name war Juran, sein Körper kräftig und seine groben Gesichtszüge spiegelten Verbissenheit und Ernst wieder. Die wundervolle Landschaft, die ihn umgab, interessierte ihn kaum, statt dessen ging ihm die Frage im Kopf herum, warum es ausgerechnet ihn getroffen hatte. Warum musste ausgerechnet er diese entscheidende 'Prüfung' verlieren, welche ihn zum 'Auserwählten' machte. Pah, Auserwählter, von wegen. Jetzt durfte er, Juran, den Kopf für den Unsinn hinhalten, den sein Volk vor Jahren verbrochen hatte. Ausgerechnet er musste seiner wundervollen Welt unter der Erde voller Spiel und Versuchungen auf ewig aufgeben.


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Die Zeit verstrich und als die Sonne schließlich ganz verschwunden war und man nur noch den vollen, runden Mond am sternenklaren Himmel erkennen konnte, betraten die Beiden Elfen den Wald, nichts ahnend, dass sie das selbe Schicksal treffen würde. Mit federnden, leichten Schritten schien Merina fast über all die Stöcke, Wurzeln und Steine zu schweben, die sich ihr in den Weg stellten. Guten Mutes folgte sie ihrem Instinkt in Richtung der heiligen Quelle zu den Feen, die dort wohnten, und die ihr ihren weiteren Weg erklären würden. Genaueres wusste sie nicht, denn die Bestimmung der Auserwählten war in ihrer Welt nur der Königin der Lichtfeen bekannt. Doch sie war sich bewusst, das es eine Ehre war, diese Aufgabe auszuführen und das auch die Schwarzalben einen Vertreter ihres Stammes schicken würden, den ärgsten Feinden der Lichtelfen. Vielleicht würde sie ihn ja treffen. Merina war gespannt wie er aussehen würde, da man sich viele Geschichten im Reich der Lichter über diese seltsamen Zeitgenossen erzählte...


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Zur selben Zeit stapfte Juran missmutig dem Ort der heiligen Quelle entgegen, ohne eine Ahnung, wo sich diese überhaupt befinden sollte. Na ja, konnte denen da Unten ja egal sein, ob ihr 'Auserwählter' sein Ziel fand oder nicht, früher oder später würden die Feen ihn schon aufgabeln und fertig machen. Mürrisch trat er auf einen Stock, der zerbrach und ein lautes Knacken durch den Wald schallen lies. Verdammt aber auch, langsam verlor er die Lust daran, hier herum zu laufen. Obwohl, hatte er überhaupt je Lust gehabt, die er verlieren konnte? Sarkastisch seufzte er, als er plötzlich eine wunderschöne Elfe in weiten, weißen Gewändern durch den Wald schweben sah. Ein schelmisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Wenigstens war er in guter Gesellschaft.


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„Na du hübsche!“, erklang es auf einmal hinter Merina. Erschrocken fuhr sie zusammen, da tauchte neben ihr schon eine große, kräftige Gestalt mit dunkler Haut auf. Das musste der Schwarzalb sein. Er war schön, zuckte es durch ihren Kopf. „Ich schätze ich darf annehmen, das du der Schwarzalb bist!“, meinte sie bewundernd, den faszinierten Blick auf seine dunkle Haut gerichtet.
„Oh ja, schon ein beschissenes Los, das wir gezogen haben, nicht?“, entgegnete er munter.
Entsetzt von seiner vulgären Ausdrucksweise rümpfte sie die Nase. „Es ist eine Ehre für seine Königin einen Auftrag auszuführen!“
„Findest du? Naja, also wenn man dabei nicht unbedingt draufgehen würde, hätte ich ja nichts dagegen, aber so...“
Der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie würde... sie würde sterben? Nein, sie würde sich für ihr Volk opfern, für ihre Ehre. Entschlossenheit erfüllte sie erneut, wodurch sie ihre Fassung wiedererlangte.
„Sag nur sie haben es dir nicht erzählt“, Juran lachte, „und das nennt sich das Volk der 'guten und tugendhaften' Lichtelfen. Aber Lügen ist in Ordnung, alles klar...“
Von einer Sekunde zur anderen stand die Lichtelfe vor ihm und packte ihn am Kragen seines Wamses. „Beleidige nie wieder mein Volk, dreckiger Abschaum!“, spuckte sie ihm ins Gesicht. Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Alb sie an. Damit lies sie ihn los und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Dreckiger Abschaum? Ein besseres Schimpfwort hast du nicht drauf?“, er schmunzelte, „aber worauf ich eigentlich hinaus wollte, meine schöne auserwählte Kriegerin, weißt du zufällig wo diese verdammte Quelle ist?“
Spöttisch lächelte sie. „Natürlich, wir Lichtelfen haben den Weg zu heiligen Orten im Blut. Folge mir. Aber sag, was weißt du noch alles über das Ritual?“, fragte sie so beiläufig wie möglich.


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Unbeholfen stolperte Juran seiner anmutigen Begleiterin hinterher. „Ah ja, bist du jetzt neugierig geworden, hm? Was deine ach-so-geliebte-Königin dir alles verschweigt? Also früher, vor vielen tausenden Jahren, haben unsere beiden Stämme noch zusammen auf der Erde gelebt und wir haben uns eigentlich ganz gut verstanden. Wir haben uns sogar vermischt, daraus ist dann ein dritter Stamm geworden, die Menschen. Doch nach und nach haben sich Licht- und Schwarzelfen angefangen zu bekriegen, bis die lieben guten Feen für Ordnung gesorgt haben – ihr in den Himmel, wir in die Hölle, die Menschen auf die Erde. Doch die Feen erwarten für diese kleine 'friedensstiftende' Maßnahme eine kleine Gegenleistung von unseren Arten: Aller hundert Jahre müssen wir einen unseres Stammes für sie opfern. Und da kommen wir ins Spiel. Wir sind Wort wörtlich die Opfer... Hey warte, ich kann nicht so galant über den ganzen Dreck hier schweben wie du“, rief er ihr hinterher, weil sie sich inzwischen schon einige Meter vor ihm befand. Da blieb sie abrupt stehen. „Wir sind gleich da.“ Bildete er sich das ein, oder zitterte ihre Stimme tatsächlich ein wenig?


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Fast so, als würde er ihr Unbehagen spüren, tauchte im nächsten Augenblick Juran neben ihr auf und nahm ihre Hand. Unter anderen Umständen hätte sie ihn weggestoßen, doch grade freute sie sich sogar ein wenig über die Nähe und die Kraft, die er ihr spendete. „Komm schon, das schaffen wir. Wir tun das ja schließlich für den Weltfrieden, nicht? Damit die Feen uns nicht wieder aufeinander loslassen“, versuchte der Nachtalb sie zu beruhigen.
„Ich habe Angst“, meinte die Lichtelfe monoton mit einem unangenehmen Kribbeln im Bauch, machte jedoch einige Schritte vorwärts und trat Hand in Hand gemeinsam mit Juran durch das Gebüsch, das sich vor ihnen befand. Sofort richteten beide den Blick auf das kleine Rinnsal zu ihren Füßen, das plätschernd aus dem Boden wuchs, sich in einen kleinen See ergoss und von dort aus durch den ganzen Wald schlängelte. Am Ufer dieses Sees saß eine kleine Fee, von der Größe eines etwa 10 Jahre alten Kindes, mit silbernem Haar, die sie bereits zu erwarten schien. „Da seit ihr ja, meine lieben Elfen“, meinte sie mit glockengleicher Stimme. „Ich habe für den einen von euch eine gute Nachricht, für den anderen eine schlechte“, ernst blickte sie von Merina zu Juran. „Es wird nur einer von euch sterben müssen, der andere kann versuchen sein Glück unter seinen Brüdern, den Menschen, zu finden.“ Ein schiefes Lächeln zierte ihr Gesicht. Der Schwarzalb blickte finster drein. Wahrscheinlich würde er abgeschlachtet werden, schließlich galten die verruchten Erdalben, die sich den Versuchungen hingaben, als böse, und die Bösen schienen grundsätzlich den Ärger ab zu bekommen. Komischer Weise blieb er trotz der für ihn nervenaufreibenden Situation zu seiner Überraschung ruhig und gelassen. Jedoch war statt dessen Merina angespannt bei dem Versuch, ihre Panik zu unterdrücken und ihren rasenden Puls zu ignorieren. Sie wollte nicht sterben, auch wenn es das richtige war. Konnte sie das wirklich für ihre Art über sich bringen? Aber ihr Volk zählte auf sie... „Dieses Jahr sind es die Lichtalben, die ihren Zoll zu zahlen haben“, meinte die Silberhaarige nach einem prüfenden Blick. Die Worte trafen sie wie eine Pfeilspitze ins Herz. Mit gestrafften Schultern und wild klopfendem Herzen trat die Lichtelfe zitternd vor, die Hände zu Fäusten geballt. „Ich bin bereit, den Zoll zu zahlen“, meinte sie schwach, aber bestimmt.
Die erste Reaktion des Schwarzalben war, dass er sich komplett entspannte und erleichtert seufzte. Mehr Glück als Verstand, so wie immer, hatte er eine 2. Chance bekommen, auch wenn er sein ganzes Leben eher unehrenwert geführt hatte. Doch als er die zitternde, mutige Gestalt vor sich sah, die trotz ihrer misslichen Lage ihre Anmut nicht verloren hatte, fasste er einen Entschluss.


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Gefasst schritt sie auf die Fee zu, versuchte, sämtliche Gedanken aus ihrem Kopf auszublenden. Sie tat das für den Frieden, für die Elfen, für die Ehre – es war das Richtige. Langsam trat die Fee vor sie und zog ein silbernes, mit seltsamen Symbolen überzogenes Opfermesser hervor. Merina schluckte. „Ich tue das für meine geliebte Königin“, dachte sie immer und immer wieder, als sie sich vor die kleine Gestalt kniete und die Augen schloss, bereit ihrem Schicksal entgegenzutreten. Sacht zückte die Fee die Klinge und legte sie an den Hals der Elfe. Merina biss die Zähne zusammen, als sie die schneidende Kälte an ihrem Hals spürte. Es war vorbei, dessen war sie sich bewusst, ihr letzter Augenblick wurde nun kommen und ihr hektisch pochendes Herz schien in denen ihr noch wenigen verbleibenden Minuten die Schläge eines Ganzen Lebens nachholen zu wollen.


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Doch plötzlich, bevor die scharfe Klinge ihren Hals durchtrennen konnte, ertönte hinter den Beiden Frauen eine männliche, ernste Stimme. „Hey, stopp!“, scheiße, was tust du hier grade Juran? Jetzt ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um den Helden zu spielen! „Ich muss zugeben, dass mir die Kleine da mit ihrem hochgestochenem Getue teilweise etwas unsympatisch ist, aber irgendwie hat sie es nicht verdient zu sterben. Immerhin wusste sie noch nicht mal etwas davon, als sie losgeschickt wurde und hatte keine Zeit es zu verarbeiten. Sie hat die ganze Zeit über ein ehrenhaftes Leben geführt, sogar jetzt, wo sie dem Tot ins Angesicht sieht, ist sie ihrer verdammten Lügenkönigin treu. Auch wenn ich das jetzt vielleicht bereuen werde – ich habe mit dem Leben eh schon abgeschlossen, macht doch eine Ausnahme und tötet mich, ich bin es eh nicht wert zu leben.“ Scheiße, verdammt, was machst du hier? Bist du noch ganz dicht? Du opferst dich hier grade für sie! Aber es ist das Richtige – er wollte einmal im Leben das tun, was sie ihr ganzes Leben getan hatte, damit er stolz auf sich sein konnte.
Die Elfe und die Fee starrten ihn überrascht an. „Macht schnell bevor ich es mir anders überlege!“, grummelte er da. Augenblicklich lies die Fee von Merina ab, welche sofort zu Juran rannte und ihm um den Hals fiel. „Vielen Dank, doch ich erwarte nicht von dir, das du das tust“, meinte sie ernst, aber glücklich. Hingegen war Juran so geschockt und gelähmt von der großen Masse an Gefühlen, die auf ihn einstürmten, dass er kaum in der Lage war zu atmen.
„Wenn ich euch kurz stören darf“, unterbrach sie die Fee da mit einem Lächeln, „Ich bin ehrlich überrascht, dass ihr den Test bestanden habt, ich hätte nicht gedacht, dass das noch einmal vorkommt, in den vielen tausend Jahren.“
Verblüfft schauten die Beiden die Fee an, Merina mit großen Augen, Juran mit offenem Mund.
„Ja, das ganze war ein Test, um zu sehen, ob Schwarzalben und Lichtelfen wieder dazu in der Lage sind, sich friedlich dem anderen Stamm gegenüber zu verhalten, und diesen Test habt ihr bestanden. Ihr dürft nun gemeinsam in der Welt der Menschen glücklich werden und tun was euch beliebt. Wenn ihr ihn nicht bestanden hättet, - nun dann wärt ihr letztendlich beide gestorben. Aber so ist die Vergeltung, die wir für unsere frühere Tat wollten, gezahlt“, die Fee grinste Breit. „Endlich sind die Zeiten der Opferungen vorbei, ich werde euren Völkern die frohe Botschaft verkünden.“ Mit diesem Satz war sie von einer auf die andere Sekunde verschwunden und lies Juran und Merina ratlos, jedoch nicht grade unglücklich über ihr Verschwinden auf der Lichtung zurück.


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„Vielen Dank, dass du das für uns getan hast, du bist der mutigste Elf den ich kenne“, flüsterte sie fröhlich in sein spitzes Ohr. Voller Stolz streckte sich der Schwarzalb, ergriff ihre Hand und spazierte mit ihr den Bach entlang. „Endlich einmal habe ich das Richtige getan“, schmunzelte Juran.
„Ich muss gestehen, dein Volk hat in dir einen würdigen Vertreter gefunden, du musst sicher schwere Prüfungen bestanden haben, um hier zu landen“, seufzte Merina bewundernd. „Um ehrlich zu sein, habe ich im Kartenspielen verloren“, lachte Juran und schlenderte fröhlich Hand in Hand mit Merina in ein neues Leben.

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Tag der Veröffentlichung: 27.09.2011

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