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Ein Auftrag ist ein Auftrag… oder?

(Sicht Charleen)

 

Ich schlüpfe in meine dunkle Leinenhose und ziehe mir ein schwarzes Wams über. Dann befestige ich meine Messer an den vorhergesehenen Stellen mit Lederriemen. Anschließend ziehe ich mir noch meinen schwarzgrauen Kapuzenumhang über und schlüpfe in die dunklen Stiefel und stecke einen kleinen Dolch zwischen die Lederschichten. Ich überprüfe nochmals ob alles gut sitzt, dann verlasse ich die Kammer. Um die Treppe zu erreichen gehe ich den langen Gang entlang. Lautlos bewege ich mich über die Treppe hinab und trete durch eine große Holztür in das Arbeitszimmer von Azoth, der nicht nur mein Master ist, sondern auch die Vaterfigur in meinem Leben eingenommen hat. Hinter einem prunkvollen Schreibtisch sitzt ein etwas dicker Mann. Sein Haar wird von einigen silbernen Strähnen durchzogen und auch rund um seine Augen und den Mund lassen sich die Falten nicht mehr verbergen. Als ich mich räuspere schreckt er auf. Er blickt mich ehrfürchtig an. Wir beide wissen, dass ich mit einem Handgriff seinem Leben für immer ein Ende setzen könnte.

            „Heute habe ich nur einen Auftrag für dich. Du bist die einzige, die ihn jetzt noch zu Ende ausführen kann.“ Abwartend und zugleich erwartungsvoll blicke ich ihn an.

            „Aris hat seinen Auftrag nicht zu Ende führen können, irgendwie hat der Graf mitbekommen das er auf unserer Liste ganz oben steht. Nun weiß Graf Danges von unserem Vorhaben. Er muss sterben Carleen, jedoch hat er jetzt seine Leibwachen rund um die Uhr um sich. Du bist die Beste Assassine. Erledige ihn für mich.“

            „Was ist für mich drin?“ Er hält mir einen Lederbeutel unter die Nase, der mit Gold gefüllt ist. Ich nicke kurz, ziehe meine Kapuze tief ins Gesicht, dann drehe ich mich um und betrete durch eine unscheinbare Holztür, die jedoch rund um die Uhr bewacht wird, in die dunkle Gasse, immer darauf bedacht das mich keiner erkennen kann. Sicher gehe ich in die Richtung des Anwesens von Graf Danges. Die wenigen Menschen denen ich begegne nehmen mich nicht bewusst war und ahnen nicht warum ich heute auf der Straße bin. Mein Schwarzer Umhang verdeckt meine Waffen und lässt mich mit der Nacht verschmelzen. Bevor ich jedoch um die letzte Ecke biege um meinen Auftrag zu erfüllen vergewissere ich mich, wo die Wachen Position bezogen haben. Zwei erblicke ich vor dem Tor und an jeder Ecke steht ein Weiterer, insgesamt mussten es also mehr als sieben Mann sein. Wenigstens wenn ich davon ausging das um das Gebäude noch weitere Wachen positioniert worden waren. ‘Der Graf muss wirklich um sein Leben fürchten‘ ging es mir durch den Kopf, was mir ein schwaches Lächeln kostet. Ich suche eine Möglichkeit um in das Haus  zu kommen und entdecke einen alten Baum, der eine Überbrückung zwischen einem der niedrigeren Stadthäuser und der Mauer rund um das Herrenhaus bildet. Ich ziehe mich wieder etwas zurück und klettere auf eines der Häuser und springe dann geschickt von Dach zu Dach, ohne auch nur einen Mucks zu machen. Das Adrenalin pochte bereits in meinem Körper und gemischt mit der ständigen Angst entdeckt zu werden setzt es meinen Körper nur noch mehr in freudige Erwartung.  Ich überquere noch zwei weitere Dächer, bis ich auf jenen ankomme, über das ich zum Baum gelange. Ich blicke nochmals zu den Wachen, die mich wie vermutet nicht bemerkt haben. Keiner dieser einfältigen Krieger rechnete damit das sich jemand über ihren Köpfen vorbeischleichen würde, für diese Narren hatte ich wirklich nichts weiter als puren Hohn übrig.  Mit Schwung springe ich vom Dach und lande auf einen dicken Ast, der unter dem Druck dem er plötzlich ausgesetzt war leicht Nachgab und die Blätter zum rascheln bringt. Ich verharre ohne auch nur zu atmen in meiner Position und blicke auf den Wachen nur wenige Meter neben mir hinab, diese jedoch schienen das Rascheln der Blätter nicht einmal gehört zu haben. Langsam bewege ich mich durch das Geäst bis ich dem Ast erreiche der über die Mauer führt, noch immer hat mich keiner der Wachen bemerkt, und springe dann von dem Ast auf das feuchte Gras. Kaum habe ich Boden unter den Füßen schon blicke ich mich um und suche das Gelände nach Potentiellen Gefahren ab, diese lässt sich jedoch auf zwei Wachen eingrenzen. Die mich zum Glück beide nicht bemerkt zu haben. Der eine steht vor dem Eingang, der andere vor einem Fenster, eigentlich dürfte es mich nicht wundern das mir so genau das Ziel vorgezeigt wird, tat es aber dennoch. Das muss wohl sein Gemach sein, das Adrenalin rauscht jetzt so schnell durch meinen Körper das ich es sogar in meinen Ohren hören kann. Leise und mit der Dunkelheit fast verschmelzend schleiche ich zu der Wache am Fenster und schneide ihm die Kehle durch, ehe er dem anderen auch nur ein eine Silbe zurufen kann. Leise ließ ich ihn zu Boden sinken und mit einem letzten Blick nach hinten klettere ich die Hausmauer empor. Vorsichtig öffne ich das verschlossene Fenster und schwinge mich ins Innere des Hauses. Ich verharre einen Moment in meiner hockenden Stellung und versuche mir dabei ein Bild des Raumes zu machen. Durch das kleine Kaminfeuer, das den Raum mollig warm macht, fällt mir das umsehen ausgesprochen leicht. Ich kann den prunkvoll verzierten Tisch, die Truhe und das große Masterbett mit den reich verzierten Decken und Kissen und dem Menschen der darin liegt gut erkennen. Dann fällt mein Blick auf die kleine Wiege in der Ecke des Zimmers. ‘Das kann nicht das Zimmer des Grafen sein. Ein Kind schläft niemals bei seinem Vater. ‘, kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht verfluchte ich mich selbst auch schon dafür vorhin noch angenommen zu haben das dieser Wachposten vor dem richtigen Zimmer gestanden hatte. `Na mal sehen in wessen Zimmer ich gelandet bin`

Ich gehe zum Hauptbett und blicke ungläubig in das schlafende Gesicht des Grafen. Ich ziehe mein Messer aus der Halterung und halte es an seine Kehle, als er plötzlich die Augen aufschlägt. Kurz liegt in seinem Blick entsetzen, wechselt aber zu Erkenntnis das er nun sterben wird. Als ich gerade dazu Ansetzen will seinem Leben ein Endgültiges Ende zu setzen löst sich ein leises „warte“ von seinen Lippen und ich halte kurz inne, einen letzten Wunsch würde ich ihm gewähren ob ich ihn annehmen würde oder nicht, würde ich erst später Entscheiden. Seine letzte Gelegenheit ergreifend fing der Graf sogleich flüsternd an zu sprechen.

            „Ich weiß, dass du mich jetzt töten wirst. Aber dennoch bitte ich dich um einen letzten Wunsch.“ Abwartend schweigt er einen Moment bis ich schließlich nicke

„Könntest du deine Kapuze abnehmen, ich mochte das Gesicht meines Mörders sehen.“

Nach kurzem Überlegen komme ich zu dem Entschluss das ich ihm diese Bitte gewähren kann, da er niemanden mehr von mir erzählen würde können. Mit einer Hand immer noch das Messer haltend zog ich mit der anderen meine Kapuze über den Kopf und brachte damit mein Gesicht und meine volle Lockenpracht zum Vorschein.

            „Du bist ja einMädchen.“, kommt es ungläubig über seine Lippen.

            „Na und? Ich bin dennoch hier um dich zu töten.“ Ich erhöhe den Druck des Messers an seine Kehle ein wenig, sodass eine rote Linie an seinem Hals zum Vorschein kommt und das Blut langsam beginnt seine Kehle hinab zu laufen.

            „Einen Wunsch habe ich noch.“ Sagt er ruhig. „Nimm mein Mädchen, meine kleinen Evolet, in deine Obhut und lehre ihr sich zu verteidigen, sie ist sie ist die einzige die mir noch etwas bedeutet und ich möchte nicht, dass sie schutzlos ist. Die Welt ist nicht mehr sicher und schon gar nicht für ein kleines Kind. Ich weiß, dass sie es bei dir gut haben würde.“ Ich sehe ihn ungläubig an und nicke, dann schneide ich ihm mit einem raschen, tiefen Schnitt die Kehle durch. Der letzte Blick den ich aus seinen Augen lesen konnte war Erleichterung. Ich blicke ihn noch einen Moment an, das Blut hatte schon fast das gesamte Laken durchweicht. Ich kann nicht nachvollziehen, warum er seiner Mörderin sein kleines Mädchen anvertraut hatte, aber ich habe es ihm versprochen und meine Versprechen breche ich niemals. Noch nie bin ich bei einem Auftrag um einen derartigen Gefallen gebeten worden. Die Meisten wollten nur am Leben bleiben und wollten dafür ihre Lieben opfern oder versuchen mich zu bestechen. Der Graf war anders gewesen und das musste ich ihm einfach anrechnen, nicht viele Menschen schaffen es mich in einer solchen Situation noch zu überraschen.

Ich wische das Blut von meiner Klinge und wende mich dann von dem Toten ab um mein Versprechen einzulösen. In der Wiege liegt, wie er es gesagt hatte, ein kleines Mädchen. Ihr Gesicht wird von kurzen blonden Haaren umrahmt. Sie war erst ein paar Wochen alt und wirkte noch so zerbrechlich und hilflos. Vorsichtig wickle ich sie in die Decke, die an ihrem Bettchen hängt,  und nehme das kleine Mädchen aus ihrer Wiege. Ich betrachte ihr friedliches und noch immer schlafendes Gesicht. Ich trete zum Fenster und überlege, wie ich mit der kleinen von diesen Anwesen komme könnte, als mir eine kleine Tür in der Mauer auffällt. Ich gehe zurück zum Bett indem ihr toter Vater ruht und reiße einige Stoffstreifen aus dem unteren Teil des Lakens. Ich lege das Kind auf meine Brust und binde es mir den Stoffsteifen Fest. Ich überprüfe die Knoten nochmals, schließe meinen Umhang über ihr und ziehe mir meine Kapuze wieder tief ins Gesicht, bevor ich mich an den Abstieg durch das Fenster mache. Geschickt klettere ich hinab, achte darauf das das Kind nicht an der Steinmauer streift und lande sicher in gehockter Haltung neben der Leiche der Wache, die zum Glück noch niemand bemerkt hatte. Kurz blicke ich mich um, dann laufe ich los in Richtung Tür. Ich spüre wie das Kind langsam an meiner Brust aufwacht und sich zu bewegen beginnt. Ich bin mir sicher, dass sie gleich zu weinen wird. Ich lege meine Arme schützend um sie und laufe so schnell ich kann und erreiche die Holztür, noch bevor auch nur ein Mucks über ihre Lippen kommt.

            „Sei bitte noch ein bisschen leise, meine Kleine.“ Flüstere ich ihr zu. Meine Kleine, diese Wörter sind mir fremd und es fühlt sich eigenartig an, sie auszusprechen. Ich spähe nur kurz aus der Tür und laufe dann hinaus. Evolet fängt an zu weinen und Panik erfasst mich. Ich habe die ersten Häuser fast erreicht, als plötzlich ein Schmerz meine Schulter durchbohrt. Ich stöhne auf, laufe jedoch weiter. Wenn ich jetzt stehen bleibe, werden sie mich erwischen.

            „Sei doch bitte still.“ Sage ich immer wieder zu Evolet, doch sie hört nicht auf zu weinen. Bei jeder Bewegung schmerzt meine Schulter mehr und das Kind an meiner Brust beginnt noch lauter zu schreien. Ich merke wie wenig ihr das Laufen gefällt, dennoch kann ich nicht langsamer werden bis ich mein Ziel erreiche. Ich biege um die Ecke und kann die Tür erkennen, die zu Azoth führt. Schwer Atmend bleibe ich vor der Tür stehen und klopfe. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit bis sie endlich aufschwingt und ich mit dem weinenden Baby hineinschlüpfe. Der Junge der mir die Tür geöffnet hat, Jojen, blickt mich mit großen Augen an, doch ich gehe einfach an ihm vorbei und betrete Azoth’sKammer. Er blickt mit einem Fragenden Blick von seiner Liste zu mir auf als ich mit dem schreienden Mädchen an der Brust den Raum betrete. Dann werden seine Augen größer, als er den Pfeil entdeckt der mir aus dem Schulterblatt ragt. Er springt auf und eilt zu mir. Als erstes schneidet er die Laken streifen durch  und legt das Baby vorsichtig auf seinen Tisch, darauf bedacht das genügend Platz da ist und sie nicht vom Tisch fallen kann. Dann wendet er sich wieder mir zu. Kaum das das Mädchen nicht mehr an meiner Brust liegt und das Adrenalin langsam nachlässt fangen auch schon die  Schwarze Punkte an vor meinen Augen zu tanzen und das Zimmer beginnt sich zu drehen. Dann verliere ich mich in vollkommener Schwärze und das letzte was ich mitbekomme sind die starken Arme die mich auffangen und dieser Vertraute Geruch der mich an eine Zeit erinnerte in der ich noch glücklich war. Aus weiter Entfernung vernahm ich noch Stimmen, bevor ich in der tiefen Dunkelheit versinke.

Ich hocke in einem kleinen Schrank und spähe durch den dünnen Lichtstrahl in die Küche. Meine Eltern stehen mit dem Rücken zu mir als eine dunkle Gestalt den Raum betritt. Ich sehe etwas silbernes was in der Hand der Gestalt schimmert, kann jedoch sonst keine Details erkennen. Ich will vor Angst schreien, jedoch kommt kein Ton über meine Lippen. Mir schwirren immer noch Mutters Worte durch den Kopf. „Egal was auch passiert mein Kind, du musst still sein. Du musst jetzt stark sein und vergiss niemals das wir dich Lieben.“ Die Tränen laufen wie kleine Bäche über meine Wangen, als die Gestalt vor meinen Eltern zu stehen kommt und nach einer kleinen Bewegung sinken sie zu Boden und bleiben regungslos liegen. Ich sehe wie sich das Blut auf den Fußboden zu kleinen Pfützen bildet und sich die Gestalt abwendet und durch die noch immer offene Tür verschwindet.

Ich schrecke hoch und blicke mich suchend um. Ich befinde mich in einer mir fremden Kammer worin sich nur ein Schrank und das Bett, in dem ich liege, befinden. Das kleine Fenster wird von Schweren leicht vergilbten Leinentüchern verdeckt, die anscheinend das Licht abschirmen sollten. Langsam setze ich mich auf, als der Schmerz in meiner Schulter wieder erwacht, der Pfeil, das Kind – genau. Leise stöhnend lehne ich mich an den Kopfteil des Bettes um meine Kräfte noch ein wenig länger zu schonen. Nach einigen Minuten, und tiefer innerer Meditation,  schaffe ich es mich aus dem Bett zu hieven. Der Schmerz in der Schulter war durch ein ständiges Pochen anwesend, jedoch verglichen mit anderen Wunden noch erträglich. Ich blicke an mir hinunter und erstarre kurz. Ich trage nur eine sehr knappe Hose und mein Oberkörper ist mit Stoffstreifen eingebunden, jemand hatte mich ausgezogen und meine Wunde versorgt. Ich konnte nur hoffen das es keiner dieser Lüstlinge war die sich manchmal hier in dem Haus von Azoth aufhielten. Langsam gehe ich zu dem Schrank und öffne ihn, um mich mehr vor den Blicken der anderen zu schützen. Darin befinden sich Kleidungsstücke, die eindeutig einen jungen Mann gehören. Ich nehme mir ein Hemd heraus und ziehe es vorsichtig an, was meiner verletzten Schulter überhaupt nicht gefällt. Danach gehe ich zur Tür hinaus und stehe ratlos in einem langen Gang.

            „Na, auch schon munter“ höre ich eine männliche Stimme hinter mir, eine Stimme dir mir bekannt vorkommt ich aber nicht ganz zuordnen kann. Erschrocken und irgendwie ertappt zucke ich zusammen, wodurch mich wieder ein stechender Schmerz durchzuckt und mich leise aufstöhnen lässt.

„Du brauchst dich doch nicht zu erschrecken“ höre ich ihn sagen und drehe mich langsam um. Hinter mir steht ein Mann Mitte zwanzig. Er hat blondes kurzes Haar und seine grünen Augen sehen mich forschend an. Seine Augen verwirren mich. Die kenne ich doch.

„Joël, bist du es?“ frage ich verlegen und auch ein bisschen ängstlich, all die Jahre habe ich mir immer wieder gewünscht das wir uns wieder sehen würden. Da schleicht sich ein Grinsen auf seine Lippen und ich kann dem Drang nicht widerstehen und umarme ihn stürmisch, dabei ignoriere ich den stechendenSchmerz völlig. Ich bin so froh ihn endlich wieder zu sehen und ihn wieder in meinen Armen zu haben.

            „Was machst du denn hier? Ich dachte ich würde dich nie wieder sehen.“ Freudentränen laufen mir über die Wangen.

„Ich versprach dir damals, dass ich wieder kommen werde.“ Sagt er ruhig. „Aber anscheinend hast du dein Versprechen nicht gehalten.“ Meint er ernst. Ich blicke ihn verwirrt an. Er erwidert meinen Blick dann hält er mich mit einer Armlänge weg, um mich betrachten zu können. Dann schließt er mich wieder in seine Arme und drückt mich  fest gegen seine Brust was mir ein schmerzvolles Keuchen entlockt. Er lockert seinen Griff um mir nicht weh zu tun. Seine Lippen sind nahe an meinem Ohr und ich kann seinen Atem auf meiner Haut spüren als er flüstert: „Du hast damals versprochen, dass du auf dich achten wirst und sieh dich nun an. Dein Körper ist übersät mit kleinen Narben und ein Pfeil hat dein Schulterblatt gespalten. Nennst du das Acht geben?“ Ich bleibe regungslos in seiner Umarmung als mir der Tag des Abschiedes wieder vor Augen erscheint.

 

Ich klammerte mich ängstlich an Joël. Beruhigend strich er mich durchs Haar.

            „Ich verspreche dir, dass ich wieder komme. Wenn ich eine andere Wahl hätte würde ich bleiben. Vergiss niemals, dass du meine einzige Familie bist die ich habe.“ Ich konnte sein Handeln damals noch nicht nachvollziehen und ich wollte nicht wahrhaben, dass er einfach so gehen wird.

            „Versprich mir eins, Carleen, gib auf dich acht während ich nicht bei dir sein kann, ich könnte es mir nie verzeihen, wenn dir etwas zustößt.“ Ich nickte kurz und er drückte mich nochmals fest an sich und gab mir einen Kuss auf die Stirn ehe er sein Bündel nahm und in der Morgendämmerung die Stadt verließ.

 

            „Tut mir leid.“ Sage ich leise und vergrabe mein Gesicht an seiner Brust, sein Geruch war noch immer undefinierbar, irgendwie süßlich und doch mit einer herben Note die auch irgendwie Freiheit versprach. Wie damals fährt er beruhigend mit seinen Fingern durch mein Haar. ‘Ach, wie ich ihn doch vermisst habe‘ ich seufze, dann lasse ich ihn los.

            „Lass uns später weiterreden, ich muss meine kleine Evolet finden.“ Verwirrt sieht er mich an als ich mich von ihm abwende und weiter den Gang entlang gehe. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er mir folgt. Suchend blicke ich in jeden Raum, kann jedoch die Kleine nirgends entdecken. Ich werde etwas nervös. Was wenn ihr etwas zugestoßen ist? Verzweifelt bleibe ich stehen und atme einmal tief durch. Dann vernahm ich ein leises Glucksen aus dem unteren Stockwerk. Mit neuer Hoffnung stürme ich die Treppe hinab, wobei ich stolperte. Ich sah den Boden schon immer näher kommen als mich zwei Arme von hinten packten und mich kurz, bevor mein Knopf auf dem Boden aufschlagen konnte festhielten. Bei dieser Bewegung durchzuckt erneut ein stechender Schmerz meine Schulter. Taumelnd fand ich mein Gleichgewicht wieder und werfe Joël einen dankbaren Blick zu, der daraufhin seine Hände wieder von meinen Hüften gleiten ließ.  Dann fällt mein Blick in die Richtung der lieblichen Laute. Als ich die Kleine sehe fällt mir ein Stein vom Herzen und ein warmes Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus. Sie liegt in den Armen von Azoth’s Tochter und sieht sie mit strahlenden Augen an. Langsam gehe ich zu ihr rüber, Alaïs sieht mich freundlich an und legt die kleine Evolet in meine Arme. Glücklich lächle ich das kleine Baby an. Ich weiß nicht warum oder wann es passiert ist, aber ich habe sie schon in mein Herz geschlossen. Vorsichtig streiche ich über ihr Wange und sie sieht mich mit ihren großen, unschuldigen, braunen Augen an. Dann steckt sie ihren Daumen in den Mund und fängt an zu nuckeln. ´Ich muss eine Amme für sie finden`, schoss es mir durch den Kopf und ich drehe mich um. Erschrocken zucke ich zusammen als ich fast gegen Joël laufe. Er hat meine Arme gepackt damit das Baby zwischen uns nicht zerquetscht wird. Erneut macht sich meine schmerzende Schulter bemerkbar. Schnell wurde aus der Schutz Reaktion gegenüber des Babys ein sanftes streicheln meiner Arme.  Unsicher blicke ich zu ihm auf und mein Blick bleibt an seinem Lächeln hängen. Dann senkt er seinen Blick und sieht zu dem Baby in meinen Armen. Kurz ändert sich sein Gesichtsausdruck, von dem seligen Lächeln in einen distanzierteren Fragenden Gesichtsausdruck, dann lässt er meine Arme los, das warme Gefühl das sich in meinem Körper ausgebreitet hatte war verschwunden und hinterließ nur leere. Dann fragte er niedergeschlagen: „Ist das dein Kind?“ Er blickt mir dabei nicht in die Augen, fast so als würde er sich schämen solch eine Frage zu stellen.

„Ähm, nicht so ganz. Ihr Vater hat sie in meine Obhut gegeben.“ Er blickte auf und in seinen Augen erkannte ich Erleichterung. Ich setzte zum Sprechen an jedoch kam kein laut über meine Lippen und ich verlor mich in seinen grünen Augen, die all meine Übrigen Gedanken verwischen. Als Evolet jedoch zu weinen beginnt zucke ich zusammen und wende mich von Joël ab. Als ich den Raum verlasse vernahm ich noch das kichern von Alaïs, das ich nicht ganz deuten kann. Um die Kleine zu beruhigen steckte ich meine Fingerspitze in ihren kleinen Mund und sie beginnt sofort daran zu nuckeln, das Gefühl von ihr gebraucht zu werden ist schier überwältigend und bringt mich für einige Sekunden völlig aus dem Konzept. Vorsichtig stoße ich die Tür zu Azoths Zimmer auf und er schreckt von seinen Dokumenten auf. Sofort steht er, ganz der fürsorgliche Familienvater, auf und kommt auf mich zu.

„Wie geht es deiner Schulter?“, behutsam blickt er mich an. „Ist nicht so schlimm, aber ich habe eine Bitte an dich.“ „Sicher, was brauchst du?“

„Eigentlich brauche nicht ich etwas, sondern Evolet hier. Sie braucht eine Amme und etwas frische Kleidung und noch ein paar zusätzliche Windeln währen auch nicht schlecht. Könntest du mir das besorgen? Für die Kosten komme natürlich ich auf.“ fragend blicke ich zu ihm auf.

„Eine Amme habe ich schon für sie Organisiert. Sie müsste bald kommen, die anderen Dinge werde ich gleich in Auftrag geben.“, kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen geht er auch schon zur Tür und ruft nach Alaïs. Sofort kam sie angerannt. „Was kann ich für dich tun Vater?“

„Schicke mir bitte Jojen und sag ihm es ist wichtig.“ Alaïs nickte uns lief los, ohne auch nur eine weitere Frage zu stellen. Dann wendet sich Azoth wieder mir zu. „Hast du schon unseren Gast begrüßt?“ Ich nickte unsicher und er lächelt mir zu. Ich konnte in seinen Augen sehen, dass er unsere gemeinsame Vergangenheit kannte.

„Du solltest dich jetzt etwas ausruhen. Deine Wunde muss noch heilen. Ich werde die Amme dann in deineKammer hochschicken. Ich nicke und machte mich auf den Weg nach Oben. Ich

merke wie die Kleine in meinen Armen unruhig wurde und beeile mich noch mehr, damit wir beide endlich unsere Ruhe haben konnten. Kaum habe ich die Kammer erreicht mache ich auch schon die Tür auf und lasse den Blick schweifen. Es stand nur ein Bett an der hinteren Wand und daneben befindet sich die Kleider True. Durch die drei kleinen Fenster dringt das Sonnenlicht in den Raum und man kann die Geräusche von der Straße hören, wodurch es für mich einen Sinn ergibt, dass ich in einen Fremden ruhigen Zimmer erwacht bin. Ich setze mich vorsichtig ins Bett und lehnte mich an das Kopfteil und versuche dabei meine verletzte Schulter nirgendwo zu belasten, auch wenn ich schon viel schlimmere Dinge durch gestanden hatte, so tat mir dennoch schon das bloße Berühren weh. Dann fängt Evolet an zu weinen, noch nie in meinem Leben war ich allein für ein so kleines Kind verantwortlich und die Situation war mir sofort unangenehm und fremd. Ich versuche sie mit meiner Stimme zu beruhigen und zu trösten.

„Ich weiß ja dass du Hunger hast. Du bekommst ja bald etwas.“ Vorsichtig wiege ich sie in meinen Armen, was meine Schulter immer wieder von Schmerzen durchzucken lässt, mich jedoch in diesem Moment nicht weiter kümmert. Als es an der Tür klopfte blicke ich hoffnungsvoll auf, doch anstatt einer Amme steht Joël in der Tür.

„Darf ich reinkommen?“ fragte er vorsichtig. Ich nickte nur und er trat ein und schließt die Tür hinter sich. Er blickt mich eine Zeit lang nur an, dann setzt er sich zu mir aufs Bett. Unsicher was ich sagen soll, oder wie ich anfangen sollte, blicke ich die weinende Evolet an, die sich langsam zu beruhigen schien. Dann spüre ich eine Hand die mir vorsichtig das Haar hinters Ohr streift. Ich blicke zu ihm hinüber, er war fast so nah bei mir das ich seinen Atem auf meiner Wange spüren kann, und lächelt mich liebevoll an. Nicht mit dem Liebevollen Blick von damals, der gezeigt hatte das ich so etwas wie seine kleine Schwester war, sondern mit einem Blick den ich an ihm noch nie zuvor gesehen habe und mich verunsichert.

„Du musst deine Schulter schonen“, sagt er leise und nimmt mir vorsichtig das Baby aus den Armen. Immer noch sehe ich in sein Gesicht und beobachte ihn dabei wie er mit der Kleinen redet und ihr beruhigende Worte zuflüsterte. Ohne nachzudenken lehne ich mich an seine kräftige, breite Schulter, die mir immer schon ein gewisses Gefühl der Sicherheit vermittelt hat. Ich warte auf seine Reaktion und als er seinen Arm um meine Schulter legte, merkte ich erst, dass ich voller Angst vor einer Abweisung die Luft angehalten hatte. Ich atme seinen männlichen Duft ein und schließe für einen Moment meine Augen, dieser Moment was der schönste seit Tagen, vermutlich sogar seit Jahren in meinem Leben.

 Ein Klopfen lässt mich hochschrecken und ein Schmerz durchzuckt wieder meine Schulter, die ich aus alter Gewohnheit mitbewegt hatte.

„Ja bitte“, rufe ich und zaghaft öffnet sich die Tür, einen Spaltbreit. Eine junge Frau streckt den Kopf bei der Tür herein und als sie schließlich nach einem kurzen Blick bemerkte, dass sie keine Situation gestört hatte, betritt sie den Raum. Schnell stehe ich aus dem Bett auf um ihr die Sachen für Evolet abzunehmen und sorgfältig auf die True zu legen. Dann gehe ich zu Joël und nehme ihm das immer noch leicht quengelnde Baby aus den starken Armen und reichte es der Frau. Sie blickt die kleine liebevoll an, dann wandert ihr Blick jedoch zu Joël. Unsicher blickt sie ihn an. Ich begreife sofort, dass es ihr unangenehm ist, dass ein fremder Mann ihr dabei zusieht wie sie das Kind stillt.

Schnell gehe ich zu Joël hinüber und flüsterte ihm zu, dass er kurz den Raum verlassen sollte und bei der Gelegenheit auch nach einer Kinderwiege fragen könnte. Er nickt nur lächelt mich noch einmal an, dann steht er auf und geht mit schnellen, eleganten Schritten aus dem Raum. Sichtlich erleichtert setzt sich die Frau auf den Stuhl und öffnet das Oberteil ihres Kleides und ließ das kleine Mädchen trinken. Ich setze mich wieder auf mein Bett und beobachte sie eine Zeitlang, dann stand ich auf und setze mich zu Füßen der Frau auf den Boden, um die kleine noch besser dabei sehen zu können wie sie ihre kleinen Hände an die Brust der Frau legte. Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich dieses Gefühl als Mutter ein Kind ernähren zu können so sehr vermisst wie in diesem Augenblick.

„Wie heißt du?“ frage ich vorsichtig. „Doreah“, entgegnete die sanfte Stimme der Frau, ihr Blick war noch immer auf die kleine Evolet gerichtet, was ich ihr nicht einmal verübeln konnte.

„ Ich bin Carleen.“ Etwas unsicher blickt sie mich an. „Ist das dein Kind?“ fragt sie mich zurückhaltend.

„Nicht direkt“, antworte ich ihr, der Wahrheit etwas ausweichend entgegnete ich,  „Ihr Vater hat sie in meine Obhut gegeben als er starb.“ „Oh“ kam es von ihr. Liebevoll blickt sie wieder auf die immer noch trinkende Evolet. „ Wie heißt sie?“ fragt sie mit ruhiger Stimme. „Evolet.“ antwortete ich mit liebevollem Blick auf die Kleine. „Was für ein schöner Name.“ meinte sie. Meine Gedanken schweifen ab zu den Moment wo ich vom Grundstück des Grafen geflohen bin. Mir wurde bewusst, dass ich dieses Haus verlassen muss um die kleine zu schützen. „Ich werde aus diesem Haus ausziehen und dir bekanntgeben wenn ich eine neue Unterkunft gefunden habe. Ist das in Ordnung?“ „Natürlich.“ antwortet Doreah. Dann schwiegen wir wieder, bis die Kleine fertig war. Dann legt sie Evolet wieder in meine Arme und schnürt sich ihr Oberteil zu. Sie zögert einen Moment und sah mich schüchtern an, ehe sie zu sprechen begann.

„Wir hätten noch ein kleines Zimmer in unserem Haus frei. Wenn dich  der Lärm meiner Kinder nicht stört könntest du einziehen. Dann müsste ich die kleinen nicht alleine lassen und wäre zur stelle wenn Evolet Hunger bekommt. .“ Unsicher blickt sie mich an, sofort spüre ich was für eine Überwindung es sie kostet mich das zu fragen.. Auch wenn ich nicht allzu viel über die Vergangenheit dieser Frau weiß, so spüre ich doch das sie ihre Kinder mehr liebt als ihr eigenes Leben.

„Ich würde dein Angebot gerne annehmen. Aber bevor muss ich noch ein paar Angelegenheiten klären. Ist es in Ordnung wenn ich mit zu ihnen komme, wenn die am Abend kommen um die kleine zu versorgen?“ Erfreut sieht sie mich an „Das ist in Ordnung.“ Dann lächelt sie mich an und verlässt den Raum. Kurz darauf betrat Joël wieder den Raum. „Na, ist die kleine endlich satt.“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Er nimmt mir Evolet aus den Armen und half mir auf. „Eine Wiege war leider nicht auffindbar, aber ich werde mich gleich morgen früh darum kümmern, für heute Nach jedoch wird sie wohl mit meinen Armen vorlieb nehmen müssen.“

„Das wird leider nicht möglich sein Joël. Ich werde noch heute aus diesem Haus ausziehen, damit die Kleine in Sicherheit ist.“ verwirrt blickt er mich an. Bevor er jedoch noch etwas fragen kann unterbreche ich ihn. „Mehr kann ich dir leider noch nicht sagen.“ Traurig blicke ich ihn an, Joël nickn verständnisvoll, wofür ich ihm sehr dankbar bin. „Wann wirst du denn weg gehen?“ fragt er leise. „Am Abend, wenn Doreah kommt um Evolet zu stillen werde ich mit ihr mitgehen. Sie hat ein Zimmer für mich. Ich muss es noch Azoth mitteilen.“ Ich wollte an ihm vorbeigehen, doch Joël drückt mich auf mein Bett. „Du wirst dich jetzt ausruhen. Ich werde es Azotherzälen.“ „Aber,…“ „Kein aber. Du wirst dich jetzt ausruhen.“ Mit einem schelmischen Lächeln verlässt er meine Kammer und ich lege mich aufs Bett und schlafe wenig später auch schon ein.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.04.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch meinen Mädls, die ich mit meinen Etwürfen quäle. Sie kennen meine Geschichten schon mindestens so gut wie ich ;)

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