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Harry Jones wandert durch das knirschende Unterholz und sucht nach leicht zu fällenden Bäumen. Nadeln rieseln. Krähen kreischen. Über ihm tut sich ein klarer, horizontloser, amerikanischer Himmel auf. Von Nord-Westen ziehen dunkle Wolken heran. Der Wald liegt in gedämpfter Stille. Sein wolfartiger Schäferhund hält sich dicht an seine Fersen. Harry schnüffelt, die frostige Luft. Er erwartet Schnee. Über der Schulter trägt er seine verrostete Holzfälleraxt, an den Händen hat er dicke Fellhandschuhe. Die Schrotflinte hängt hinter der Tür. Er hat sie vergessen. Sein Gesicht ist wettergegerbt, die Augen stahl-grau und misstrauisch blinzelnd. Der Wald riecht nach Schnee, schon seid vier kalten Wochen und hier, nicht weit von der nächsten Siedlung riecht es nach Kohleöfen und Viehmist.
Er flucht nicht, aber er sieht ganz danach aus, als würde er es gleich tun. Warum auch immer, mit den Leuten da unten hat er keine gute Beziehung.
Harry Jones ist ein Einzelgänger. Ein Typ den, auch ohne besonderen Grund niemand mag.
Ranger in einem Gebiet, zwischen drei Ortschaften. Rocks Corner, Walnut Grove und Sleepy Eye.
Er lebt in einem kleinen Blockhaus ziemlich weit draußen in der Wildnis.
Hohe Tannen umgeben die Hütte. Im Winter brechen die Schneebrocken von ihnen ab und krachen herunter auf sein Dach. Er springt jedes Mal aus dem Bett und entsichert seine Schrotflinte wenn das passiert. Und dabei sieht er nicht aus als hätte er Angst vor dem Schießen.
Er schärft seine Ohren, denn er glaubt etwas gehört zu haben. Das Unterholz unter seinen Füßen übertönt alles und jeden. Das Jaulen eines Hundes?
Er bleibt stehen und hebt seinen Kopf in den eisigen Wind. Eine Stimme scheint zu rufen. Der Wind trägt sie von ziemlich weit her.
Klingt nach einem dieser Söhne vom alten Gilles, denkt Harry.
"Wieder am wildern, was." Murmelt er.
Viele junge Leute gibt es nicht in der Gegend. Er ist sich ziemlich sicher, den jüngsten der drei Brüder an der Stimme erkannt zu haben. Ein ziemlich schmieriger, unverschämter Kerl. Johlt wie ein Cowboy und schießt auf junge Elche.
Wird sich ja wohl nicht verlaufen haben, denkt er und kann ein grimmiges Lächeln nicht verbergen.
Er geht weiter. Folgt den Rufen nicht.
Endlich kommt er in den Teil des Waldes, wo die Tannen noch kein halbes Jahrhundert alt sind. An die dreißig Meter sind nicht wenige und er muss gute zwei Stunden laufen bis er auf handlichere Bäume trifft. Zwei Meter, nicht größer. Er ist nicht mehr der jüngste. Sein Rücken raubt ihm die Kraft.
Er fällt seinen Baum, langsam und sachkundig. Er zieht ihn hinter sich her. Zwei Stunden zurück nach Hause und der Boden ist uneben. Seine Schäferhündin, Carrie springt plötzlich vor und verschwindet hinter einigen niedrigen Fichten. Kommt nicht mehr zurück.
Harry ruft nicht. Er sieht ihr nur nach und blinzelt. Es hat begonnen zu schneien. Große, trockene Flocken. Dicht an dicht.
Ein undurchdringlicher Schwall. Die Zigarette, die Harry sich eben in den Mund schieben wollte ist nicht mehr zu gebrauchen. Der Boden wird glitschig und die Tanne in seinen Händen widerspenstig und schwer.
"Verdammte Scheiße." Flucht Harry laut. "Verfickte Scheiße."
Irgendwo in der Ferne hört er dumpfes Hundegebell. Es ist sein Hund, das weiß er.
"Komm her!" Krächzt er aber der Schnee verschluckt sein Rufen.
"Komm!" Schreit er. "Komm! Hier! Her!"
Harry bleibt stehen und reibt seine dunkelrot gefrorenen Hände aneinander. Stille. Große taube Stille. Er schweigt und lauscht. Kein Laut ist zu hören und kein Meter weit ist zu sehen.
Harry sieht besorgt aus. Der Boden ist inzwischen fast völlig mit einer armdicken Schneeschicht bedeckt.
"Njargh." Seufzte Harry und setzte sich wieder in Gang. Die Tanne wurde schwerer. Er kann sie nicht mehr hinter sich her ziehen. Er dreht sich um. Rückwerts ist es einfacher. Sein Gesicht ist vor Schnee geschützt und er hat einen besseren Griff um den Stamm der Tanne. Sehen kann er so oder so nichts.
Etwas stimmt nicht mit dem Boden. Er schreit nicht auf. Ein strauchelnder Schritt ins Leere und er fällt lautlos in eine kleine Kuhle in der Erde. Er kennt diese Kuhle. Sie ist flach und klein. Aber er fällt. Sein Bein knickt ein und er liegt auf dem Rücken.
Schmerzen. Große Schmerzen. Er dreht sein Bein mit letzter Kraft in eine gesündere Position. Mehr nicht. Zu große Schmerzen. Er wartet und atmet schnell ein und aus bis der Schmerz langsam abklingt. Er bewegt sich nicht. Er spürt wie Farbe und Kraft aus seinem Körper weichen. Wartet. Der Wunsch sich nie wieder zu rühren geht, der Schmerz bleibt.
Harry Jones geht die Sache langsam an. Er denkt an sein Bein. Dann betastet er sein Bein mit der Hand. Nichts. Kein plötzlicher Stich, nichts überraschend schmerzhaftes. Alles bleibt ruhig. Er spannt ein paar Muskeln an, so sachte wie möglich und rückt sein Bein zur Seite. Er kann aufstehen, glaubt er. Aber Laufen ist eine andere Sache. Mit Hilfe der Tanne und seinem gesunden Bein rafft er sich auf. Das Kniegelenk scheint verstaucht zu sein. Er kann nicht auftreten. Ein Windstoß bläst Schnee und Eis in sein Gesicht. Noch eineinhalb Stunden bis nach Hause. Ohne Hund. Ohne Tanne. Harry benutzt seine Axt als Krücke und humpelt sehr langsam und sehr ungeschickt davon. Von weitem betrachtet muss er einen unheimlichen Anblick abgeben. Ein alter, einbeiniger Mann, schemenhaft, umwirbelt von Schnee und einsam im Wald. Allein im Wald. Er dreht sich alle paar Meter um und späht hinter sich. Glaubt jemanden in der Stille zu hören. Die Anwesenheit eines zweiten Menschen im Wald zu spüren. Und die Stille ist so groß, dass er denkt er ist taub. Halb blind vom Schnee in den Augen.
Die Minuten vergehen zeitlos, ohne das Harry lange über seine paranoiden Gefühle grübelt. Harry ist ein grimmiger, alter Mann geworden. Jetzt, da er ein alter Mann ist, mit fünfundsechzig Jahren. Er hält sich für einen. Früher war seine Miene unschuldig, seine Augen glänzend und sein Lachen jung und naiv. Das steht geschrieben in dem Abschiedsbrief. Seine Frau schrieb ihn vor fünfzehn Jahren und verlies ihn. Mit Sohn und Pferd. Sohn und Pferd.
Sie ging, das weiß er, weil sie ihn hasste. Sie hasste ihn, sozusagen, so wie er war.
Im Gegensatz zu früher. Harry war ein netter Typ, in seiner Jugend. Sensibel, ja wirklich sensibel und auch sonst fast so wie seine Frau ihn in ihrem Brief beschrieben hat. Jetzt ist sie in Tennessee, glaubt er. Ihre Heimat.
Er erreicht die Hütte und wirft einen letzten misstrauischen Blick über die Schulter bevor er die Tür hinter sich schließt. Jetzt sind seine Augen grimmig und blinzeln weder naiv noch unbekümmert. Gelacht hat er schon lange nicht mehr. Seine Hütte ist jetzt ungeheizt und dunkel. Seid seine Frau und das Kind weg sind, sind Bett und Tisch fast alles an Möbeln in der Wohnstube, die gleichzeitig auch Schafzimmer ist. Altes Holz und rostiger Messing. Daraus besteht seine Einrichtung. Er lässt sich aufs Bett fallen und umwickelt sich mit zwei Decken. Nichts mehr für Heute. Nichts. Während Harry in einen tiefen, rauen Schlaf fällt trabt seine Hündin durch die Hintertür ins Haus. Sie springt zu Harry aufs Bett und rollt sich neben ihm zusammen.
Der Junge folgt in der Dämmerung den Hundespuren im Schnee. Sein Körper ist steif gefroren. Das schleichen fällt ihm schwer. Er steigt so leise wie möglich die Verandatreppe hinauf. Durch das Fenster sieht er Harry, den Hund und die Schrotflinte an der Vordertür. Seine bläuliche Hand bewegt sich in Richtung Tür. Er traut sich nicht. Mit einem leisen Wimmern wendet er sich zur Treppe und rollt sich unter dem Fenster zusammen. Er zieht sich seine Mütze über die Augen und wartet.

***


Harry braucht lange um aufzustehen. Sein Knie ist über Nacht angeschwollen. Steif und unbeweglich. Er wirft einen Blick aus dem Fenster. Es schneit weniger stark. Er hinkt zur offenen Hintertür und hinaus auf die Veranda.
Im silbrigen Licht der Dämmerung steht er da, auf einem Bein und starrt den Jungen an. Er sieht ihn lange an. Mustert ihn von oben bis unten und besonders sein Gesicht. Beugt sich vorsichtig zu ihm runter. Ungläubig. Als hätte er noch nie einen Menschen gesehen. Schließlich hebt er seine Jacke, um sicher zu gehen das er unbewaffnet ist. Er ist unbewaffnet. Harry richtet sich auf. Er ist plötzlich überfordert und kratzt sich im Nacken.
"Wo kommt der plötzlich her", murmelt er und humpelt wieder in die Hütte. Die Tür lässt er offen. Bevor der Ofen an ist, bringt die geschlossene Tür auch nichts.
Harry flucht. "Verdammte Scheiße," knurrt er und verschwindet hinterm Haus um Holz zu holen. Auf einem Bein. Seine Hündin nähert sich inzwischen leise knurrend dem Jungen.
Harry nimmt ein paar Stücke Holz und kehrt zurück. Lautes Gebell von der von der Veranda her lässt ihn das Holz vor dem Ofen fallen lassen.
"Lass den Hund in Ruhe." Brummt er und sieht um die Ecke. Der Junge steht auf dem Verandazaun, seine Hündin starrt zu ihm hoch.
"Rein." Sagt Harry zu dem Hund. Der Hund dreht sich nicht mal um.
"Komm her." Er zieht ihn am Halsband ins Haus und schließt die Tür.
"Danke, Sir," sagt der Junge. "Nett von ihnen." Seine Knie zittern.
Harry mustert ihn. "Angst vor Hunden?" Sagt er feststellend.
Der Junge springt runter und landet auf allen Vieren.
"Vorsichtig." Sagt Harry stirnrunzelnd.
Er versucht aufzustehen. "Sir, haben sie vielleicht was zu essen? Für mich?"
"Wer bist du?" Harry zieht den Jungen an der Jacke hoch.
"Woody," sagt der Junge lang gezogen. Er hat einen deutlichen Südstaatenakzent.
"Woody." Sagt Harry und hebt die Schultern. "Na ja, Woody. Bohnen hab ich."
Woody lächelt vertrauensselig.
"Ja, Bohnen," knurrt Harry. "Wie alt bist du?"
"19 Jahre?"
Harry nickt langsam und geht rein. Er holt eine Dose Bohnen aus dem Regal und hält sie hoch.
"Du machst den Ofen an. Dafür kriegst du Bohnen."
"Was haben sie mit ihrem Bein gemacht?"
"Kannst du den Ofen an machen?"
"Ja! Ich kann, ich kann..."
"Gut." Er lässt sich auf einen Stuhl am Tisch nieder. "Gut."
"Aber was ist mit ihrem, mit ihrem Bein los?"
"Vielleicht gebrochen."
"Gebrochen?"
"Ja."
"Und wie ist das passiert?"
"Hingefallen." Harry schüttelt missmutig den Kopf.
Woody grinst. "Das tut mir leid."
"Tut dir leid." Harry blinzelt zu ihm hoch.
"Wirklich," sagt Woody.
"Draußen ist Holz," sagt Harry.
Woody geht und macht dabei einen ängstlichen Bogen um den Hund neben dem Bett.
Harry starrt auf den Tisch. Starrt auf den Tisch. Starrt auf den Tisch.
"Der Ofen da?" Woody steht in der Tür.
"Ja." Sagt Harry.
"Es sollte gehackt werden." Sagt Woody.
"Ja." Sagt Harry.
"Kann ich die Axt hier nehmen?"
Harry schweigt. Woody nimmt die Axt und geht.
Harry bückt sich und holt einen Schuhkarton unter dem Tisch hervor. Er hat ihn seit Jahren nicht mehr geöffnet. Er sucht nach einem Brief. Seine Frau hatte ihn vor zehn Jahren geschickt. Mit Fotos von seinem Sohn. Dean bei der Einschulung zwischen einem Haufen anderer Kinder, Dean mit 13 auf dem Sofa und Dean, mit zehn, beim Fotografen. Harry nimmt das Foto und sieht es an.


Sieht aus wie seine Mutter, hat er gedacht, als er das Foto zum ersten Mal sah. Heute ist er sich nicht mehr sicher. Er denkt gar nichts. Woody kehrt zurück, mit den Armen voller Holz. Er lächelt Harry im Vorbeigehen zu und beginnt den Ofen mit Scheiten auszulegen.
"Schnee," sagt er. "Bestimmt ein halber Meter. Was machst du wenn du hier eingeschneit bist?"
"Schlafen." Sagt Harry.
"Ja?" Woody dreht sich grinsend um. "Ja, würd ich auch machen."
"Bist du aus Tennessee?"
"Ja, aber -" Sagt er. "Hört man das?"
"Hab selten was so deutlich gehört. Da hinten sind Streichhölzer.
In der Schublade. Nein. Rechts."
"Hab sie."
Harry fragt nicht was der Junge hier will, wie sein Nachname ist oder wie es ihm so geht. Es liegt in seiner Natur solche Dinge nicht anzusprechen. Seine Natur ist Schweigen. Großes, stumpfes Schweigen. Als hätte man ihn darum gebeten zu schweigen. Als hätte er einen Vertrag unterschrieben. Seine Frau sagte solche Dinge. Sie hasste dieses Schweigen und sie drückte es so aus. Harry weiß es noch. Trotzdem schweigt er weiter. Es gibt nichts, das typischer für ihn wäre. Harry sieht zu, blinzelt misstrauisch und schweigt grimmig.
Er nimmt sein Messer raus und schnitzt an einem Stück Holz.
"Haben sie einen Dosenöffner?" Fragt Woody und betrachtet die Bohnenkonserve von allen Seiten. Ohne jede Ahnung.
"Nein. So was hab ich nicht." Sagt Harry langsam. So was brauch ich nicht, denkt er natürlich. Er denkt es unfreiwillig aber er denkt es. Die Jugend von Heute und so weiter. Dieser Junge ist kein Cowboy. Kein Mann. Niemand der hier überleben könnte.
"Nimm das Messer." Sagt er und reicht es ihm.
Woody setzt das Messer an und strengt sein Gehirn an. Nein, er weiß nicht wie. Er macht einen hilflosen Eindruck.
"Gib her." Sagt Harry. Er öffnet die Dose mit ein paar unsanften Griffen.
Woody sieht mit verschleiertem Blick zu. "das ist -," sagt er. "ja, das -"
"Hm?" Brummt Harry und gibt ihm die Dose.
"In Ordnung." Woody nimmt sie und lächelt traurig. Die Verlierer-Dose.
***
"Danke," sagt Woody und beginnt zu essen. Schnell. Hastig. Ohne Hunger. Als müsste er etwas verschlingen. Er isst nicht, er muss essen.
Harry hat keinen Hunger. Er sieht dem Jungen zu und ihm vergeht der Appetit. Nicht wegen der schlechten Tischmanieren. Wegen der bloßen Existenz des Jungen.
Er siehst hungrig aus und blass. Dünn. Seine Hunde-Augen haben traurige Ringe. Er ist kein normaler Junge. Dieser Junge ist ein verdammter Flüchtling.
Das denkt er nicht aber er weiß es.
"Bohnen sind so gut," sagt Woody mit überzeugter Miene. "Fast so gut wie Maiskuchen. Essen sie Maiskuchen? Aber Bohnen sind wirklich -"
Harry brummt zustimmend.
"Wenn ein Atomkrieg ausbricht werden wir praktisch alle nur noch von Bohnen leben, wussten sie das? Die Regierung hat riesige Lager nur mit braunen Bohnen. Genau solche wie die hier."
"Ach ja?" Harry sieht Woody mit verständnisloser Miene an.
Kein normaler Junge, denkt er.
"Aber Bunker haben sie keine. Der Präsident und seine Freunde, die wären sicher, die haben Bunker aber wir? Helfen auch keine Bohnen mehr."
"Bohnen." Sagt Harry leise und schüttelt den Kopf.
"Ist das ihre?" Woody zieht eine seltsame Strickmütze unter dem Tisch hervor.
"Hm? Nein."
"Nein? Nicht? Die ist sehr schön..." Er befingert und betrachtet die Mütze.
"Kannst sie haben."
"Wollen sie sie nicht selbst tragen?" Fragt er ungläubig.
"Sicher nicht."
Woody zieht die Mütze mit faszinierter Miene über den Kopf. "Vielen Dank!"
"Nimm sie mit."
Woody grinst breit. Die Mütze macht ihn noch einfältiger. Milchgesicht. Greenhorn. Was für ein seliger Träumer.
Schenk ihm die Flinte dazu, denkt Harry. Er kommt sonst nicht weit.
Die Mütze gehörte mal seinem Sohn. War ihm immer zu groß.
Die Beiden am Tisch machen einen komischen Eindruck. Als würden sie zusammen gehören.
Sein Knie wird schlimmer. Bevor der Tag zu Ende ist, ist es so sehr angeschwollen, dass Harry sich nicht mehr vom Küchentisch aufstehen kann.
***
Woody steht in der offenen Tür und starrt selbstvergessen hinaus in den Wald. Der Himmel über dem Mount Jordan ist tiefschwarz und sternenüberseht. Der Schnee schimmert silbrig im Licht des Mondes. Nur die Tannen sind undurchdringlich. Plötzlich, ein Schuss. Der hallende Klang in der Ferne. Woody starrt in die Dunkelheit zwischen den Bäumen. Spürt etwas näher kommen. Etwas großes, schleichendes.
Er stolpert keuchend zurück ins Haus wie ein Verrückter und verriegelt die Tür hinter sich.
"Was?" Brummt Harry vom Tisch her.
Woody entfernt sich mit ein paar hastigen Schritten von der Tür.
Wieder Schüsse. Zwei Schüsse in der Nacht.
Woody lässt sich mit einer instabilen Bewegung neben dem Tisch auf den Boden sinken.
"Eine Fuchsjagd, mehr ist das nicht. Mach dir nicht ins Hemd." Harry sieht aus dem Fenster und stutzt. "Was wollen die hier?" Er löscht die Öllampe.
"Bitte nicht. Nicht, bitte." Woody verschwindet vollends unter dem Tisch.
Harry sieht Lichter. Drei Taschenlampen tanzen die verschneite Strasse hinauf zu seinem Haus.
Er runzelt die Stirn und greift nach seiner Schrotflinte hinter der Tür. Mit einem Ruck zieht er sich in eine stehende Position und hingt zur Tür.
"Bleib da unten", zischt er in Richtung Woody. Keine Antwort.
"Was wollt ihr?" Schreit er ihnen entgegen.
"Guten Abend, Harry!" Drei bewaffnete Männer mit Handschuhen erreichen die Veranda und lüften ihre Hüte. "Städtische Bürgerwehr, wie du wahrscheinlich weißt."
Harry brummt nur.
"Wir suchen einen Verbrecher." Die Männer lachen. "Einen Schwachkopf!"
"Was?"
"Der Junge hat versucht einen Drugstore in Sleepy Eye zu überfallen. Mit'na Plastikwaffe..."
Der Kerl hält Harry in der Dunkelheit eine kleine, schwarze Wasserpistole entgegen.
"Achja? Und?" Sagt Harry.
"Kein Geld abhanden gekommen aber er hat ein Auto gestohlen. Wir haben es am Waldrand gefunden."
"Naja, Harry, du bist Ranger, also pass auf das er nicht durch die Wälder abhaut." "Klar? Harry? Aber er gehört uns."
Harry brummt.
"Gut. Irgendwas verdächtiges gesehen? Lohnt es sich für uns noch ne Runde zu drehen?"
"Desto schneller wir ihn kriegen, desto besser."
"Der Bursche gehört nach Texas, da lohnt es sich noch bei der Bürgerwher zu sein."
"Einer dieser verkommenen Nachkommen von einer dieser Hinterwäldnerfamilien! Jede Wette!"
Harry blinzelt. "Ich hab nichts gesehen, Freunde aber mein Hund hat vor ein paar Stunden eine Spur in diese Richtung verfolgt." Er zeigt mit dem Arm in Richtung Wildnis.
"Harry, du machst ja doch was hier oben außer fetter und hässlicher werden."
"Das nenn ich Glück, Harry. Kriegen wir ihn noch?"
"Ja." Sagt Harry und sieht den Männern mit einem schiefen Lächeln nach wie sie im Wald verschwinden. Es schneit wieder. Er humpelt zurück und lässt sich umständlich am Tisch nieder.
"Harry?"
"Hey Junge", sagt er und lehnt sich unter den Tisch. "Sie sind weg. Du kannst rauskommen." Woody hockt unter dem Tisch, hält sich die Hände vors Gesicht und wimmert.
"Komm da raus jetzt." Er flucht und reicht ihm eine Hand.
Woody nimmt die Arme vom Gesicht und sieht hündisch unter dem Tisch hervor. Harry erwidert den Blick widerwillig.
"Ganz ruhig." Sagt er und versucht väterlich zu klingen. "Komm raus. Diese Vollidioten können froh sein wenn sie wieder nach Hause zurück finden."
Woody kichert aufgelöst. Eine Art Kichern, das nicht von Freude rührt. Dünn, schrill und unkontrolliert. Er greift nach Harrys Hand und kriecht auf allen Vieren hervor.
Das verzweifelte Kichern jedoch bleibt in Harrys Kopf hängen wie ein böser Traum. Es hallt nach, schockiert ihn, wie ihn schon lange nichts mehr schockiert hat. Für einen Moment sieht es tatsächlich so aus als würde Woody ihm um den Hals fallen wollen. Harry krampft innerlich zusammen und löst damit einen stechenden Schmerz in seinem Knie aus. Er verzieht das Gesicht.
"Hey was haben sie denn?", sagt Woody leise. Er sitzt immer noch nervös zitternd auf dem Boden. "Haben sie Schmerzen? Harry?" Sagt er mit dünner Stimme und hebt eine dünne Hand in Richtung Harry.
"Bein", sagt Harry. "Also, Junge. Du überfällst also Drugstores, was?"
"Ja", sagt Woody in einem Tonfall, als wäre ihm sehr übel. "Es war keine gute Idee."
"Das ist wahr."
"Ich weiß, es war keine gute Idee. Ich weiß es -" Er stockt und gibt ein plötzliches, ersticktes Schluchzen von sich. Harry zuckt unmerklich zusammen.
"Du -"
"Ich weiß es - ich- aber-," heult Woody. Er presst seine Stirn gegen den Tisch und umklammert mit beiden Händen ein Tischbein.
"Okay, warum heulst du?" sagt Harry mit wachsamer Miene.
Woody kann nicht antworten. Jedenfalls nichts verständliches.
Harry hat eine plötzliche Eingebung. Seine Miene entspannt sich. Er erinnert sich an früher. Klar, der einzige Weg diesen Jungen zu beruhigen ist reden.
"Weil du ne Bank ausgeraubt hast? Ich wär stolz drauf gewesen, kannst du mir glauben," brummt er überzegt.
Woody schüttelt verwirrt den Kopf und gibt , verkrampfte, hicksende Schluchzer von sich.
"Wie alt bist du? 19? Nicht schlecht. Ich schätze, das war eine ziemlich mutige Geschichte. Kennst du Butch Cassady?"
"Er is 1878 gestorben," würgt Woody mit brüchiger Stimme.
"Ah, du kennst dich aus," Harry grinst. "Jetzt beruhig dich. Du hast nichts besonderes verbrochen, schätze ich."
Woody starrt zu ihm auf. "Ich hab niemanden verletzt, nichts geraubt."
"Das ist gut, Woody. Das weißt du ja wohl. Butch Cassady hätte auch niemanden abgeknallt und es wäre nicht das erste mal gewesen das er nichts abgestaubt hätte. Der Kerl hat sich ständig in den Bergen versteckt."
Der Vergleich scheint nicht zu hinken. Woody klappt langsam der Mund auf. Sein Blick verschleiert sich, er lässt ihn abwesend von oben bis unten über Harry schweifen.
"Was is?" Harry muss wieder grinsen. Dieser Junge sieht einfach genau aus wie ein räudiges Eichhörnchen wenn er so auf dem Boden hockt. Eins von den roten mit dem manischen Blick. Vielleicht liegt es an dieser Orangen Pudelmütze. Er hat sie nicht mehr abgenommen, seid Harry sie ihm geschenkt hat.
"Nett von ihnen, solche Sachen zu sagen," sagt Woody. "Sundance Kid hätte schon geschossen."
"Ich weiß. Jetzt: Komm von da unten weg, setz dich hier hin und trink 'nen Schluck Rum. Ich trink auch'n Schluck."
Harry trinkt zwei Schlucke, dann erinnert er sich an die Morphium Tabletten im Küchenregal.
"Hol die grüne Packung aus dem Schrank," sagt er.
Woody bringt die Packung an den Tisch und öffnet sie.
"Sind das Schmerztabletten?"
"Ja."
"Morphium, hm?" Woody grinst schräg.
Harry nimmt eine Tablette und schluckt sie.
"Soll ich dir helfen?" Woody reicht ihm eine Hand und hilft ihm auf.
"Ich schlafe," brummt Harry und drückt Woody in Richtung Bett.
Und er schläft.
Woody bleibt stehen und sieht ihn abwesend an. Er nimmt seine Mütze ab und wiegt sie rastlos in den Händen. Harry schnarcht auf. Dean wendet sich mit neugieriger Miene den Tabletten zu.
***
Harry erhebt sich aus dem Bett. Er fühlt sich besser. Sein Knie ist abgeschwollen. Er steht langsam auf und bemerkt Woody.
Er hängt auf dem kleinen Sesseln neben dem Ofen und sieht alles andere als gesund aus. Seine Arme und Beine hängen schlaff in alle Richtungen. Er hat Mühe den Kopf aufrecht zu halten. Seine Miene ist die eines leicht Behinderten.
Eines leicht Behinderten, der gerade sein Gehirn verloren hat.
"Alles klar." Murmelt er und starrt selig ins Leere.
"Woody." Harry tritt auf ihn zu und mustert ihn.
Woody verzieht keine Miene. Das gleiche selige Grinsen und die halb geschlossenen Augen. Er fängt leise an zu singen. "Miiiiississiiiiippiiiii! I reeeemember yoooouu!"
"Woody, was hast du?"
Keine Antwort. Obwohl er Harry genau in die Augen blinzelt. Mit diesem milde überraschten Lächeln. Leicht schielende Augen.
"Woody!" Sagt Harry laut und hockt sich ächzend auf den Boden. "Antworte! Sofort oder -"
Sein blöde Grinsen weicht einem überforderten Stirnrunzeln.
Harry schlägt ihn leicht auf die Schläfe. Woody blinzelt und sein Mund klappt auf.
"Ich?" Lallt er. "Du hast mich - du hast mich -," er kichert dümmlich und schüttelt unkontrolliert den Kopf.
"Mein Gott, was ist los mit dir, Junge? Woody." Harry schüttelt ihn an den Schultern, denn er droht einzunicken.
Woody bricht in albernes, nein nicht bloß albern, in völlig beschränktes Kichern aus. Ohne dabei so auszusehen als wüsste er genau worüber er lacht. Das Lachen ist nicht laut und schräg. Es ist kraftlos und nervös.
"Was?" Harry greift ihm an die Stirn und fühlt kalten Schweiß auf glühender Haut.
"Oh man," Quietscht Woody unterdessen heiser. "Hör auf. Ich versteh das nicht!" Seine Stimme schwankt zwischen Lachen und Weinen. "Harry! Ich versteh's wirklich nicht."
"Was verstehst du nicht, Woody."
"Schon wieder." Woody sieht Harry an, mit der plötzlichen Ernsthaftigkeit eines Klein-Kindes.
"Was denn?"
"Du nennst mich Woody. Wieso Woody? Ich bin nicht Woody, ich versteh das nicht -" die Pausen zwischen seinen Sätzen werden plötzlich immer länger. "Ich bin Dean!"
"Was?" Zischt Harry scharf.
Ein leichter Schauder schüttelt Woodys Körper. "Ich heiße nicht Woody. Ehrlich, Harry. Ich bin nicht -" seine Lider flattern, sein Kopf sinkt immer wieder nach hinten.
"Harry? Wo sind wir? Wo sind wir noch mal? Harry?" Und er ist weg.
Harry steht da wie ein Ausländer, der kein Wort von dem versteht, was dieser Junge sagt. Mit vorgeschobenem Kopf und angespannten Armen starrt er auf ihn hinunter und kneift konzentriert die Augen zusammen. Wenn dieser Junge Dean heißt, muss er sein Sohn mein, nicht wahr? Harry beißt die Zähne zusammen, vor lauter Anstrengung. Er sieht wütend aus. Wenn das Zufall ist, was ist das dann für ein verdammter Zufall? Der da oben hat sie nicht mehr alle. Diesen Jungen schicken und ihm einen Namen geben, der nicht der Richtige sein kann. - Niemand, der auch nur ein bisschen Verstand hat würde -. Es is kein Zufall, das wäre Wahnsinn. Es ist Fügung oder so was. Gott weiß es, oder er ist nicht viel heller als der Junge selbst, ich weiß es trotzdem nicht. Scheiße. Ein Haufen Huren wäre leichter zu hüten als er.
Harry schließt die Augen.
Er hat die gleichen Augen, wie seine Mutter, denkt er. Ich könnte darauf schwören. Idiotisch, das ich es nicht früher gewusst habe. Und er spricht genauso wie sie.
Er sagt "schlaf schön", bevor er schlafen geht, hat keine Ahnung von der Welt, weiß nur unwichtiges Zeug. Offensichtlich, dass er ohne Vater und Brüder aufgewachsen ist. Und das gleiche anhängliche Grinsen. Die selben grünen Augen, die Hände, das Milchgesicht. Er sieht ihr so verdammt ähnlich, er könnte glatt als ihr Zwillingsbruder durchgehen. Warum hab ich ihn nicht gleich auf dem Foto erkannt.
"Jesus," sagt Harry und schlägt sie Augen auf. Ein Schuss.
Dean stöhnt im Schlaf und murmelt. "Was war das, Harry. War das nicht ein Hund?"
"Kein Hund," sagt Harry und sieht auf ihn hinunter. "Bloß der kleine Randy, wenn ich mich nicht schwer irre."
Er deckt ihn zu, mit einem Schafsfell, packt seine Axt und geht.


***

"Shit." Dean erwacht mit einem heftigen Stolpern seines Herzens.
"Harry?" Er sieht sich um. Stille. "Carrie?" Stille.
Er kann seinen Atem sehen. An den Fenstern ist Frost. Der Ofen ist schon lange aus. Die Hütte ist eiskalt. Er tritt ans Fenster und späht mit verlorener Miene hinaus. Niemand. Er öffnet das Fenster und ruft hinaus. Nichts. Harry ist weg.
Dean lässt sich fröstelnd auf den Stuhl am Tisch sinken, steht wieder auf und sucht seine Mütze. Sie liegt unter dem Küchentisch, auf einer kleinen Holzkiste. Dean hebt die Augenbauen und öffnet die Kiste. Er greift nach einem Packen Fotos, Briefen und einer Polaroid-Kamera. Er öffnet einen Briefumschlag nach dem anderen und überfliegt mit betäubter Miene die Zeilen.


Lieber Harry,

Dein Sohn ist 10Jahre alt. Ein wirklich toller Junge.
....Sensibel, zärtlich. So liebenswert Harry.

Das hat er von mir, hab ich Recht? .....
....Harry, ich bin glücklich hier......

....Ich schreibe dir nur wegen Dean. ...Nur wegen deinem Sohn.......
............ ............. ........
Er ist jetzt 12. Die Mädchen lieben seine blonden Haare .....
Harry, tut mir leid aber, wir sind glücklich ohne dich.....

.... Dean macht mir Sorgen. Er kann so weltfremd sein. ...Labil.. Aber ich bin nicht enttäuscht von ihm und ich komme trotzdem nicht zurück, falls du das gehofft hast
..................... .............. ........... ....... .... ..
Er ist Gestern 16 geworden... Dean hat ein paar falsche Freunde aber er ist immer noch sehr fantasievoll.... wir verstehen uns sehr gut.... ein Herz und eine Seele, HARRY, ja wirklich....

Ich schreibe dir zum letzten Mal.... Ich dachte ich wüsste was Dean von dir hat, Harry... ANTIMORAL, HARRY das ist es.... er ist wie ein Kind .... immer wie ein Kind.... Harry, nicht wie du. ich habe mich geirrt....Du warst immer ein alter Mann. .. ... ein ALTER MANN....

Penny


Dean steht ruckartig auf und schwankt dabei ein wenig. Er zieht sich Harrys alte Lederjacke über. Schwarz mit Stehkragen und Reisverschluss. Darunter hervor schauen seine bunten, unzusammenpassenden Hemden und Pullover. Die zerbeulte Jeans und die billigen Arbeitsschuhe. Er nimmt die Kamera und geht hinaus in den Schnee, vors Haus. Er stellt die Kamera auf Harrys morschen Holzzaun und fotografiert sich selbst. Das Foto legt er vorsichtig in seine Mütze und die Mütze auf Harrys Fenstersims.
Als er sich wieder umdreht sieht er den Indianer, ein paar Meter weit weg, da stehen wie eine Statue.
"Hey!" Sagt Dean, lächelt fasziniert und schießt, ohne zu zögern, ein Foto von ihm.
Der Indianer kommt näher und sieht ziemlich interessiert aus.
Er fixiert die Kamera.
"Willst du's haben?" Dean grinst leutselig.
"Ja," sagt der Indianer und greift nach der Kamera.
"Das Foto kommt da raus," sagt Dean und zeigt mit dem Finger hin.
Der Indianer zieht die Kamera fast unmerklich weg von Dean und betrachtet sie von allen Seiten.
Dean blinzelt. "Die kann ich dir leider nicht geben, sie gehört mir nicht."
Der Indianer ignoriert seine Worte und starrt mit stoischer Miene in die Spalte aus der die Fotos kommen.
"Naja, tut mir leid, ich würde sie dir gerne schenken aber -"
Der Indianer nickt langsam und stoisch. "Danke für das Geschenk." Er dreht sich um und geht in zügigem Tempo davon.
Dean sieht sich verwirrt um, lächelt verwundert und folgt ihm.
****
Währendessen nicht weit entfernt.
Frankie, Jim und Randy, geborene Gilles laufen so schnell sie können durch das schneebedeckte Unterholz. Randy, die kleine, wilde Ratte ist mit Abstand der Schnellste und übrigens auch ein kleiner Bastard. Sein Vater ist ein junger Wanderarbeiter, der die Familie einmal bei der Mais-Ernte unterstützte. Randy schießt in die Luft und johlt wie ein Wahnsinniger. Jim, der Fettsack und Frank, der Trottel, Randys geheime Halbbrüder versuchen ihm zu folgen.
"Whoooo!" Brüllt Randy schrill, springt und knallt unkontrolliert in den Himmel.
Carrie ist ihnen dicht auf den Fersen und Harry folgt mit etwas Abstand ihren Spuren. "Whoooooo, ein Hund, Jim! Jim! Hör dir das an! Den kenn ich, Jim! lahme Töle, komm her!"
Harry horcht auf und humpelt einen Schritt schneller. "Dreckiger, kleiner Spinner."
Er kann die drei genau hören. Besonders Randys Unheil verkündende Stimme.
Dieser ist inzwischen stehen geblieben, stellt sich in den Wind und springt auf der Stelle. "Harry! Harry! Harry!" Brüllt er. "Ranger-Schlappschwanz-Harry ist hinter uns her! Ahuuuu!"
Harry holt sie ein. Randys auf und ab springende Silhouette ist in Sichtweite. Er pfeift Carrie zu sich und pirscht sich auf etwa zwanzig Meter weit heran.
Jetzt kann er Randys impertinentes Grinsen bis ins letzte Detail sehen.
Seine Brüder stehen dumm herum und brabbeln unverständliches Zeug, in tiefsten Südstaaten-Akzent.
"Komm her Hundi, komm doch!" Randy bückt sich, wie zum Sprung bereit. Seine Augen leuchten manisch. "Hey Harry, süßen Hund hast du da. Lass ihn doch mal von der Leine!"
"Leg das Gewehr weg," sagt Harry im kalt.
"Ja, klar. Gerne, Harry." Randy entsichert seine Schrotflinte und kommt mit zielsicheren Schritten näher.
Carrie macht knurrend, einen Satz nach vorne.
Randy schießt sofort. Schießt daneben und legt grinsend von neuem an.
Harry packt die Hündin am Halsband und hält sie fest.
"Du," sagt der. "Dafür wirst du bezahlen, glaub mir."
"Ja?" Randy verengt die Augen. "Ja? Wirklich?"
"Noch Heute."
"Ach nein, ja?"
"Keine Angst, ich finde euch."
Randy gackert wie ein Kind das gekitzelt wird, nickt genüsslich und verstummt abrupt. "Schön," sagt er leise und legt den Kopf schief. "Dann sehen wir uns ja noch mal."
Harry stapft mit grimmiger Miene davon.
Randy starrt ihm verträumt nach, in seinen Augen glänzt so etwas wie Vorfreude.
"Randy?" Sagt Frank langsam.
"Was is Frank." Randy wendetet nicht den Blick von Harry.
"Knall ihn doch ab, Randy. Jetzt." Frank zieht ernst die Augenbrauen hoch.
"Halt die Klappe, Frank," zischt Jim.
"Wieso, kann doch nichts passieren."
Randy lacht los, so unkontrolliert und albern, dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten kann, einknickt und mit Tränen in den Augen zu Frank aufsieht.
"Schlauer Frankie, richtig clever!"
Harry bleibt 1oo Meter weiter nicht stehen, um Randys durchdringender Stimme zu lauschen.
"Er wäre tot, du Trottel." Sagt Jim. Randy hört auf zu lachen und nickt.
"Mausetot, Jimbo."

Harry kommt nach Hause und keiner ist da. Das Erste was ihm auffällt ist die Mütze auf dem Fenstersims. Das Foto in der Mütze sieht verdammt nach "auf nimmer Wiedersehen" aus. Harrys Gesicht wird noch ne Nummer grimmiger.
Er steht da, zwanzig Minuten auf der selben Stelle und schweigt. Dann nimmt er seine Schrotflinte und geht. Carrie lässt er im Haus. Stattdessen nimmt er den Hanschlitten mit, mit dem er sonst das Holz aus dem Wald bringt. Ohne überlegen zu müssen läuft er los, hinein in den Wald. Seine Miene ist Rache. Randy muss Heute bezahlen, wenn er nicht aufpasst.
Die Stelle an der er die drei Gilles-Brüder verlassen hat ist verlassen. Eine frische Spur führt nach Westen. Harry folgt ihr mir entschlossener Miene.
"Harry!" Hört er eine Stimme. "Scheisse, bist du das?"
Harry indentifiziert die Stimme im ersten Moment als Randys. Aber es ist nicht Randy. Er kann es nicht sein, das kann Harry jetzt klar und deutlich sehen.
Randy liegt auf dem Boden, gefesselt und geknebelt, nach Indianer-Art, wie Harry verblüfft feststellt, das Gesicht halb im Dreck und nicht fähig so laut und deutlich zu rufen. Dean kniet über ihm und versucht den komplizierten Knoten hinter Randys Kopf zu öffnen. Randy sieht ein wenig rampuniert aus, nicht das Harry das Sorgen machen würde.
"Dean, verdammt. Was ist hier los?" Sagt er. "Was soll das?"
"Er erstickt!" Dean gibt auf und lässt von dem Knoten ab.
"Ich ersticke," würgt Randy.
"Tut er nicht. Er hat verdammt nochmal eine Nase, oder?" Harry runzelt die Stirn.
Randy hustet astmathisch und reckt den Kopf in die Höhe.
"- auf den Rücken," faucht er giftig. "Gott verdammt, jetzt!"
Dean dreht ihn auf den Rücken. Er muss sich umständlich mit den Beinen vom Boden abstemmen, da seine Hände auf dem Rücken gefesselt sind.
"Na, ist das bequemer so?" Harry grinst schief zu ihm hinab.
Randy beginnt zu fluchen. Seine Augen spucken Feuer. Er macht eine wilde Bewegung, eine Art Aufbäumen seines gesamten Körpers und schafft es, beachtlicher Weise, fast sich auf die Beine zu bringen. Harry lässt ihn mit einem leichten Fingertippen zurück plumsen. Er fällt hart auf den Hinterkopf und schreit wütend auf.
"Gott," sagt Dean betroffen. "Das sah schmerzhaft aus."
"Ich bring dich um! Sack! Flachwichser!" Randy schreit erneut und es hallt dreckig und unangenehm schrill durch den Wald.
"Dean, wie kam das zustande, verdammt?" Harry seufzt halb erleichtert, halb besorgt.
"Der Indianer war das," sagt Dean. "Der hier wollte irgendwas abknallen, irgendein Tier, da hat er ihn zur Strecke gebracht. Karate oder sowas, hat ihm einfach von den Füßen gerissen. Ich weiß nicht warum er diesen Seil-Kram mit sich rum schleppt. War sehr zielstrebig. Er konnte gar nichts machen. Seine Flinte hat er mitgenommen."
"Nett. Wo sind die zwei andern hin?"
"Abgehauen. Sofort abgehauen. Aber er wollte gar nicht weg, ist dem Indianer wie so 'n Rammbock in die Arme gelaufen."
"Weiß nicht was gut für ihn ist, der Junge." Harry blinzelt grimmig. "Aber jetzt ist es zu spät, Randy. Jetzt bist du dran."
"Romantisches Angebot, Esther-Sue, ich freu mich schon. Bin schon ganz aufgeregt."
"Hab ich mir gedacht."
"Jeah, ich hab nichts gegen Blondinen. Wann gehts den endlich los, Honigbiene?"
"Warte erst bis es soweit ist. Dean -?"
Dean, der Randy fixiert wie ein exotisches Insekt, zuckt zusammen und sieht mit offenem Mund zu Harry. "Ja?"
"Geh nach Hause und schmeiss den Ofen an wenn's geht. Ich mache mit Randy einen kleinen Ausflug nach Walnut Grove."
"Picknic! Das ist nett!" Randy lacht sein, auf unheimliche Weise sonniges Lachen und scheint dabei fast an seinem Seil zu ersticken. "Ich hoffe es gibt Pancakes. Wirklich. Ich hoffe wirklich es gibt Pancakes."
Harry ignoriert Randy und sieht weiter den etwas verstört wirkenden Dean an. Sicher die Nachwirkungen von den Pillen.
"Ich komme bald nach und bringe was zu essen mit."
"Und schon geht sie fremd!"
"Ja, na gut." Dean wendet sich zum Gehen.
"Ja," knurrt Randy. "Und das mit so einem Schlappschwanz."
Sobald Dean außer Hörweite ist, reisst Harry den Gefesselten Randy auf die Füße.
"Randy?" Er packt ihn am Kragen und zieht ihn hoch zu sich. "Weißt du was wirklich lustig ist?"
"Ja -"
"Das du diesem Schlappschwanz da hinten so verdammt ähnlich siehst. Auf den ersten Blick zumindest."
"Achja? - wie schön für dich, nich wahr?"
"Du weißt gar nicht wie schön."
Harry drückt Randy auf den Schlitten, ohne seine Fesseln zu lockern.
"Sitzen bleiben," knurrt er und macht sich auf nach Walnut Grove. Esther-Sue's heutiger Begleiter verfällt, hinsichtlich seiner auswegslosen Lage, rasend schnell in ernstes Schweigen, könnte man sagen.

Wie Randy endete erfuhr Dean sein Leben lang nicht. Im Jugendknast, für ein Verbrechen, dass er nie begangen hatte und er hatte schon viele begangen, in seinem kurzen Leben. Seine Ehre war hinüber. Raubüberfall, mit 'na Plastikwaffe. Randys einzige Verteidigung war, dass er nie eine Spielzeugknarre in die Hand nehmen würde. Er hatte schließlich genug echte. Das war nicht sehr überzeugend. Im Gegenteil.
Harry kaufte einen goldgelben Maiskuchen, mit Schokoladenüberzug und ging nach Hause. Seine Frau Penny hätte ihn nicht wieder erkannt, für diese kleine Aufmerksamkeit.

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Tag der Veröffentlichung: 20.07.2012

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