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ich entschuldige mich für ohne zweifel vorhandene
rechtscheibfehler... tschuldigung;)


Ich quetsche mich in eine alte Telefonzelle und wähle mit tauben Fingern die Nummer meines Bruders.
„Ja.“ Höre ich ihn mürrisch murmeln. Im Hintergrund scheppert seine Sperrholzanlage träge Rockmusik. Er räuspert sich grimmig. Mein Bruder, der alte Polemiker. Ich seh ihn da hocken, die Stirn konzentriert gerunzelt, den angespanntem Blick unstet schweifen lassend.
„Ich bin's.“ Sag ich nervös.
„Oh du.... hab gar nicht an dich gedacht.“ Sagt er dumpf, weniger deutlich als sonst. Seine Stimme hat nichts begeistertes, nicht mal etwas entrüstetes an sich. Er klingt müde und breit.
„Was ist mit dir los?“
„Was? Tja, eigentlich, ich mein, ich, ich, ich hab ich drauf gewartet das du mal anrufst. Endlich.“ Sagt er tonlos.
„Ja, klar aber was ist denn los Hollis? Du klingst-.. krank.“
„Ja.“ Krächzt er und atmete schwer aus. „Ich weiß nicht.“
„Komm schon, sag mir was du hast. Sag's mir.“
„Mir geht es nicht besonders.“ Murmelt er.
„Gott, Hollis. Mir kannst du's sagen. Bist du krank? Hollis?“
„Ich weiß es nicht.“ Sagt er mit rauer Stimme.
„Warte mal kurz.“ Ich nehme den Hörer vom Ohr, sehe mich hilflos um und fluche.
„Hollis? Erklär mal näher.“
„Frag nicht. Ich weiß es nicht. Es dreht sich alles um diese Stadt.“
„Ist dir schwindelig? Nein ernsthaft, hast du was genommen oder ist was passiert...?“
„Ich kann nicht sprechen, ich fühl mich wie'nen Haufen Müll.“
„Seltsam. Hör mal, könnte es sein, das du bloß'nen bisschen schlechte Laune hast heute? Ich meine um es vorsichtig auszudrücken, du weißt was ich meine.“
„Ja, könnte sein.“
„Einen deiner Anfälle?“
„Nein.“ Er pustet ungehalten den Rauch seiner Zigarette in den Hörer. „Sag nicht Anfall.“
„Okay, hör mal Hollis, mach bloß nichts Dummes, ja?“
„Nein, sag das nicht.“
„Was soll ich nicht sagen?“
„Red nicht davon. Okay?“
„Bis du allein?“
„Klar.“
„Soll ich dich an Weihnachten mal besuchen kommen?“
„Besuch mich, ja. Ich besorg dir'n Geschenk.“
„Immer noch in Hamburg?“
„Du könntest mich nicht anrufen wenn nicht.“
„Oh Mann, ja, natürlich. Also bis dann, pass auf dich auf.“
„Du auch, bis dann.“ Er legt so schnell auf, das die folgende Stille einen gereizten Unterton hat. Ich sehe ihn grimmig den letzten Rest Gin trinken und die leere Flasche in die Ecke rollen lassen. Ich bin steif gefroren und wandere mit eingezogenem Kopf und zusammen gebissenen Zähnen nach Hause, welches eine schicke Jugendherberge ist. Unten in der Halle sitzen immer noch die jungen Leute, laut, wütend und fröhlich. Sie machen es sich gemütlich im Neonlicht, denken sie hätten Glück, benehmen sich als wären sie in der Schule. Eine Schule ist schlimmer als die andere. Ich ziehe es vor mich selbst zu unterrichten und nicht zu wissen warum ich etwas kann. Wenn ich etwas kann. Ich mach's nicht schlecht vielleicht, ich vermisse die Schule nicht. Seelenloser Müll, sagt mein Bruder, hab mich nie lebendiger gefühlt. Ich frag mich nicht wie ich nach Hamburg kommen soll. Seh da kein Problem, für so was gibt’s immer'ne angenehme Lösung. Nein, das wäre übermütig, aber was soll's. Hab noch nichts verloren an meinem Übermut. Das Selbstbewusstsein der Jugend. In meinem Zimmer hat sich ein Typ mit Hornbrille eingenistet. Er meditiert auf dem Ikea-Teppich. Das ist Schicksal, schätze ich, hab schon auf so was gewartet. Er scheint nichts bei sich zu haben, außer ein paar kleine Schellen. Er schlägt sie in einem taktlosen Rhythmus zusammen, sie scheppern laut. Faszinierend.
Ich nehme mir die Weihnachtszeitung vom Tisch und setze mich. Er unterbricht seine Sache nicht, sieht mich nur kurz und interessiert an. Er hat naive, braune Augen. Ein naives Gesicht. Er wirkt weich und intelligent. Sehr wach. Die Zeitung meint ich solle zum Arzt gehen. Unbedingt. Erhöhtes Hautkrebsrisiko. Sicher nicht, denk ich.
Er lässt die Schellen sinken und sieht ziemlich entspannt aus.
„Freut mich sehr. Wie geht’s, wie geht’s? Das war bloß eine Meditation, eine kleine Meditation.“ Sagt er erklärend. Seine Art zu sprechen ist aufgeregter als er aussieht. Er ist niemand, der immer das Gleiche sagt. Niemand der sich rechtfertigen muss.
„Hab ich mir gedacht.“ Sag ich und leg die Zeitung weg.
„Ich bin Piet, Piet Thies.“ Er macht eine ungezwungene Pause. „Und...was machst du so?“
„Ich will meinen Bruder besuchen.“
„Ja? Das ist schön, sehr gut.“
„In Hamburg.“
„Oh, Hamburg, die Stadt der Träume, wenn er hier sein würde, ich dachte eben, das er dann vielleicht im Gefängnis oder im Krankenhaus sei.“
„Ja, weil...“
„Weil du sonst nicht hier wärst.“
„Ja, stimmt, ja.“
„Ja. Wie kommst du nach Hamburg? Willst du trampen?“
„Also wenn's nicht anders geht dann muss ich, oder?“
„Oh, das ist wahr, überleg dir was, bei dem Wetter zu trampen ist grauenvoll. Sehr hart.“
„Ja, bestimmt.“
„Oh ja. Ich hab mir drei Zehen abgefroren auf dem Weg nach Russland.“ Er fuchtelt mit dem Arm in Richtung Russland und grinst verschmitzt.
„Abgefroren?“
„Abgefroren ja, ja.“ Er nickt fröhlich und geht nicht weiter drauf ein. „Ich kann etwas für dich tun.“
„Was denn?“
„Ich denke, ich kann dich mit nach Hamburg nehmen.“
„Sie, fahren nach, nach... Hamburg?“
„Nein, nein.“
„Nein?“
„Nein, nein, du …fährst..nach Hamburg.“ Er kichert unbekümmert.
„Einfach so?“
„Nein. Nicht einfach so, nicht einfach so. Ich kenne jemanden, der nimmt dich mit.“
„Wirklich? So viel Glück kann man doch gar nicht haben...“
„Sag das nicht. Man kann grenzenlos Glück haben. Grenzenlos.“ Er nickt ernst.
„Und Pech, nich wahr?“
„Ganz richtig, das stimmt.“
In 2 Tagen sollte ich in Hamburg sein.
Piet geht raus und ich schlafe bis 10 Uhr Morgens. Draußen zieht sich der Himmel zu, es wird schneien, vielleicht stürmen. Piet hockt schon wieder auf dem Elchteppich und haut seine Glocken zusammen. Singt buddhistische Psalme.
Hypnotisierend.
Hinter ihm auf dem Sofa, was eher einer Parkbank ähnelt sitzt einer mit lockigen schwarzen Haaren und lehm-farbender Haut. Er hat Augenringe und schweren Lider. Starrt rauchig und kühl ins Leere.
„Copil?“ Piet legt die Schellen beiseite und Django hebt die Augenbrauen.
„Vrei să spui mine? “ Sagt er auf rumänisch.
„Ja, du.“ Sagt Piet und lächelt nachsichtig.
„Ce?“
„Ja, also, wann willst du los? Hast du das Auto?“
„Leri.“ Er nickt lächelnd.
„Naja, was? Oh, hör auf, also wann?“
„Acum, egal...“
„Ja, so schnell wie möglich. Sie dir denn Himmel an. Nimm sie mit nach Hamburg.“
„Fata aia acolo?“
„Sie, ja. Sie besucht ihren Bruder in Hamburg.“
„Da, bun .“ Er steht auf, geschmeidig und schlaksig.
Ich nehme meine Sachen, Kopil nimmt seine seltsame, proppenvolle Tasche und wir winken zum Abschied.
„Du heißt doch Copil?“ Frag ich ihn auf dem Weg die Treppe runter.
„Django Marou.“ Sagt er.
„Was? Nicht Copil?“ Sag ich.
„Nu contează.“ Sagt er und schüttelt gleichmütig den Kopf.
„Also Copil?“
„Copil, Django,..în cazul în care este diferenţa? Nu contează.“
Das Auto ist mehr ein Pferdekarren, als'n Auto. Eigendlich ein Pik-up, einer der schon einiges mit gemacht hat. Sieht aus als wäre er damit'n paar mal über den Himalaja geschoben. Und zwar nicht auf der Hauptstraße. Wir steigen ein, Kopil schmeißt das Ding an und wir fahren raus aus der Stadt. Er sagt nichts, ich sage nichts, er macht das Radio an. Klassik. Er beginnt mit dickfelliger Miene den Regler zu drücken. Die Scheiben sind völlig beschlagen, aber das macht nichts, Copil sieht sowieso nicht raus. Als er wieder bei dem Klassiksender angekommen ist nimmt er eine Kassette vom Armaturenbrett und schiebt sie in den Rekorder. Ich bin mir ziemlich sicher das, das Django Reinhart ist. Er sieht mich flüchtig und reserviert an bevor er sich eine Zigarette anzündet. Ich lehne mich zurück und schlafe.
„Was meinst du, wann sind wir da?“ Frag ich ihn als es draußen schon dämmert und der Sturm längst verschwunden ist, vielleicht Richtung Hamburg.
„Cred Maine.“
„Was?“
Er hält an einer Autobahnraststätte dreht sich zu mir und macht eine allumfassende Geste. „Astăzi ...“ Sagt er erklärend.
Dann lässt er seine Hand kreisen, als würde er Wolle wickeln.
„Maine .“ Er macht beide Gesten hintereinander.
„Astăzi . ... Maine.“
„Hier und da?“ Sage ich, nachdem ich lange genug überlegt habe.
„Nu esti foarte inteligent. “ Sagt er Kopfschüttelnd.
„Heute und Morgen?“
„Da.“ Sagt er und nickt.
„Und wann sind wir in Hamburg?“
„In Cateva zile.“ Sagt er.
„Morgen?“
„Nu cred. Cred Sambata sau Duminica sau...poate ca nu. Masina este curând mort .“
Ehrlich gesagt, manchmal ist es besser nicht zu wissen was er sagt, das hab ich so im Gefühl. Unheil sickerte durch Copils Miene. Und draußen ist alles dumpf und still.
„Vino cu mine.“ Er bedeutet mir das ich mitkommen soll und wir stapften durch den Schienbein-tiefen Schnee zum Tankstellensupermarkt. Dunkel und Grau.
„Întrebare du.“ Er schiebt mich vor sich in den Laden. „Eu nu vorbesc germana. Niciodată.“
„Wir wollen tanken.“ Sage ich unsicher, weil Copil neben mir den Kopf schüttelt. „Tanken und...“
Copil zeigt auf ein Schild neben der Theke. Da steht: Wir reparieren ihr Auto, vor Ort, schnell und günstig.
„Ja und unser Auto ist kaputt, könnten sie uns da weiterhelfen?“
„Jaa, das wäre möglich. Was ist das Problem?“ Der Typ und beobachtet Copil mit misstrauischer Miene.
„Werkzeug ausleihen.“ Sagt Copil befor ich den Mund aufmachen kann. Er wirft mir einen herausfordernden Blick zu.
„Was? Sie wollen selbst...“
Copil nickt geduldig.
„Also, naja, ich wüsste nicht warum nicht aber..“
„Geben sie's ihm einfach.“ Sag ich.
Der Typ schielt zum Fenster und holt schließlich eine Werkzeugkiste unter der Theke hervor. Copil schnappt sie sich und verschwindet nach draußen.
„Stimmt irgendwas nicht? Kann ich dir helfen?“ Sagt der Typ mit gedämpfter Stimme zu mir.
„Was meinen sie damit?“
„Naja, er, kann es sein, das er...“
„Oh, verstehe, nein, nichts dergleichen.“
„Na gut.“
„Warum?“
„Kam mir verdächtig vor. Man kann nie wissen, hab schon so einiges erlebt.“
Hinter mir kommt ein Gammler rein, mit intellektueller Miene, glasigen Augen, rosiger Haut und läuft rüber zu uns, mir und dem Typ, welcher verstummt und ihn anstarrt.
„Hi.“ Sagt der Gammler mit'ner seltsamen Betonung und schmunzelt nervös in die Runde.
„Ja, Hallo.“ Sagt der Typ, ich grinse nur. Der Gammler zwinkert nochmal in die Runde, schürzt die Lippen und runzelt die Stirn.
„Was..kann ich für sie tun?“ Sagt der Typ und etwas in seiner Stimme verrät überdrehte Anspannung.
Der Gammler macht ein kleines, nachdenkliches Geräusch und sagt: „Nichts? Ja, nichts, leider....leider keine Kohle.., kein Geld mehr.“ Er nickt mitteilsam und wendet sich mit konzentrierter Miene mir zu.
„Allein unterwegs?“
„Hast du den da draußen gesehen?“
„Ich bin mir nicht sicher, der Lockige?“
„Mit ihm.“
„Und, wo, wo, wo hin wollt ihr denn?“
„Ja, nach Hamburg.“
„Tja, ...wirklich?“ Ich nicke, er grinst breit, seine John-Lennon-Nickelbrille beschlägt. „Kann ich mit?“
„Klar, ich schätze das geht.“
„Knorke.“ Sagt er, mit leuchtenden Augen und rosa Wangen. „Hotte.“ Er reicht mir seine etwas weiche Hand. „Hotte ----- ...ja, nur, nur Hotte.“
„Aus Berlin?“ Sagt der Typ undeutlich, Hotte putzt abwesend pfeifend seine Brille und hört ihn nicht.
In diesem etwas gedämpft stehendem Moment schiebt Copil sich in den Laden, voller Schnee, mit verbissener Miene, wegen der Kälte.
„Tag.“ Sagt Hotte.
Copil sieht ihn an, nickt und knabbert gleichmütig an seiner Unterlippe.
„Alles klar?“ Sag ich, Copil lässt den Kasten neben sich fallen.
Er murmelt etwas unverständliches, ruckt mit dem Kinn zu Hotte rüber, dreht sich um und geht zurück zum Auto.
„Ist das tschechisch oder so was?“ Sagt Hotte.
„Rumänisch.“
„Er versteht dich oder?“
„Ja, scheint so. Aber, er ist nicht so einfach.“
„Nich?“ Hotte spitzt nachdenklich die Lippen.
„Ich glaube, er hat was dagegen Deutsch zu sprechen.“
„Hm.“
Copil lehnt an der Kühlerhaube und sieht uns mit versteinerter Miene entgegen. Was immer er hinter sich hat, er sieht wettergegerbt aus, hat bläulich, schorfige Stellen an den Wangen, wie die Kinder am Himalaja. Werd's wohl nie raus finden. Hamburg ist nicht mehr weit, wirklich nicht mehr weit und ich frage ob jemand ein Handy hat.
„Nee, nee.“ Sagt Hotte selbstgefällig. „Sowas brauch ik nich.“ Auch er ist kein Mensch, bei dem es dir leichtfällt ihn zu lieben, wie einen Bruder.
Copil antwortet gar nicht. Vielleicht hat er eins und will es mir nicht geben. Hat keine Lust den Mund aufzumachen. Ich verfalle in Schweigen und nur Hotte redet und redet auf dem Rücksitz. Mit leuchtenden Augen erzählt er von Hamburg und der Seefahrt, vom Kiez und einer Zeitung namens die „Blues News“. Nein, nein, es ist nicht so, dass er stört oder besonders störend spricht. Es gibt Leute die reden weniger als er und stören doppelt so viel. Trotzdem bin ich nicht in Stimmung für Konversation. Nachdem ich ihm eine Weile zugehört habe schlafe ich ein.
Ich träume etwas seltsames. Ich stehe mit Copil und Hotte vor Hollis Tür. Er öffnet sie, starrt uns an ohne die Miene zu verziehen und macht die Tür seelenruhig wieder zu ohne ein Wort gesagt zu haben. Ich erzähle den Traum Hotte und er lacht als würde er mehr darin sehen, eine versteckte Pointe, als wäre es ein lupenreiner Gag in einer Sitcom im Fernsehn, mit eingespielten Lachern.
„Wo willst du hin an Weihnachten.“ Frag ich ihn.
„Ich geh nach Hamburg um zu arbeiten. Hab Semesterferien.“
„Keine Verwandten?“
„Nein, nich in Hamburg.“
„Freunde?“
„Naja, nich an Weihnachten.“ Hotte grinst sorglos.
Ich beschließe ihn nicht einzuladen. Ich setze Vertrauen in meine Träume. Das hat mir schon oft Glück gebracht. Schicksal is Schicksal.
Wir fahren die Nacht durch. Besser gesagt Copil fährt. Hotte schläft hinten zusammengerollt, tief und fest. Ich könnte nicht fahren, hab weder Führerschein noch, Handy.
Hamburg liegt unter Eis und Schnee, Heute ist Heilig Abend.
Nein, ich habe wirklich nichts, als nutzlosen Klamotten. Tja, auch kein Geschenk für Hollis. Ich krame in meinen Jackentaschen und finde meine Mundharmonika, die ich leider nicht spielen kann, eine winzige Buddhastatue, die ich leider nicht verehren kann und eine ramponierte Chuck Berry CD, die ich leider nicht mehr hören kann, weil ich sie zu oft gehört habe. Das Buch Grüne Tomaten muss man nur einmal gelesen haben. Ich finde es in meiner Tasche, in einem Innenfach, zerbeult und wellig. Das macht ihm nichts aus, das weiß ich.
„Kann ich auch was dazu tun?“ Sagt Hotte, nachdem ich ihm von Hollis erzählt habe.
„Was?“
„Müll. Das ist doch dein Mülleimer, oder?“ Er unterdrückt ein breites Grinsen. Was für ein Glück, das er was besseres zu tun hat. Sogar Copil lächelt ein bisschen. Die beiden lassen mich vor Hollis Wohnung raus.
„Was machst du jetzt?“ Frag ich Copil.
„Piet treffen. Hier, am Hafen.“ Sagt er.
„Weihnachten mit Piet, ja?“
„Weihnachten....ich kenne keine Weihnachten.“ Sagt er nachdenklich.
„Ich verstehe, ihr medietiert ne Runde?“
„Meditieren ist ein falsches Wort. Geh lieber zu deinen, ähm zu deinem Bruder. Er wartet schon.“
Beide fahren los, zum Hafen. Hotte wird sich Arbeit suchen.
Ich geh in eine Telephonzelle und rufe Hollis an.
„Hm? Ja, was?“ Sagt Hollis in nicht gerade freundlichem Ton.
„Ich bin's.“
„Oh. Na, du.“
„Na.“
„Kalt, was? Bei dir auch?“
„Ich bin hier. In Hamburg.“
„Nein, wirklich?“
„Ja...schätze schon. Ich bin vor deiner Tür.“
„Welcher Tür? Die Wohnung hab ich schon lange nicht mehr.“
„Echt?“
„Ne.“ Er lacht höchstens innerlich und tonlos, obwohl es ein Witz war. Vielleicht raucht er auch schon wieder beim telefonieren. „Du kannst ruhig hochkommen, oder bleib da, wie du willst.“
Das Treppenhaus stinkt, die Tapete blättert von den Wänden und aus den Wohnung dringen unheilvolle Geräusche. Ich klopfe an seine Tür, die Klingel funktioniert nicht. Außerdem klebt ein Kaugummi drauf. Hat er's selbst hin geklebt? Er war noch nie sehr gesellig.
Er öffnet die Tür, trägt T-Shirt mit der Aufschrift: Sag Nein zu verstrahlter Suppe, wenn er sich umdreht steht da: Ich hab kein Handy und bin trotzdem ein Mensch.
„Schick.“ Sag ich.
„Ein Geschenk.“ Er zupft an dem T-shirt rum. Er hat sich richtig in Schale geschmissen, trägt seine Lieblingsschuhe. Rote, aus Leder, mit kleinem Absatz. „Komm rein.“ Sagt er und klopft mir auf die Schulter.
Wir gehen in die Küche.
„Soll ich kochen?“ Frag ich.
„Nein, ich hab schon gekocht.“ Er zeigt ein bisschen zu herausfordernd auf den Tisch. Wodka, ne Melone und etwas das ich nicht definieren kann. Eine Schale mit Suppe?
„Und was soll das da sein?“
Er sieht mich stirnrunzelnd an. „Das ist nichts zum essen. Das ist..., das ist alt.“ Er nimmt und wirft es ungeduldig in den Müll. Mitsamt der Schale.
„Das ist doch kein Essen, Hollis.“
„Was soll das heißen? Was ist den so schlecht daran? Natürlich ist das Essen.“ Er verschrenkt kopfschüttelnd die Arme.
„Ich meine..“
„Ich hab nichts besseres. Ich finde es gut.“ Er nimmt ein Messer und hackt die Melone in grobe Stücke.
„Was hast du gegen Melonen, verdammt nochmal.“ Er stopft sich demonstrativ ein Stück in den Mund. „Probier doch erstmal.“ Er wedelt mit einem Stück vor meiner Nase.
„Oh, ja, sehr lecker. Schmeckt wie verfaulter Schwamm. Wie lange hast du die schon?“
„Sehr witzig. Die ist so frisch, frischer geht’s nich.“ Er rauft sich die Haare, meiner Meinung nur aus einem Grund. Er muss seinen Kopf festhalten, würde ihn sonst so sehr schütteln, das er weg fliegt. Sich im Kreis dreht. Er könnte nicht mehr aufhören.
„Na schön.“ Sagt er lässig, Kaugummi kauend. „Wenn du meinst. Koch doch. Wenn ich wieder komme, steht da was vernünftiges, hoff ich. Ich bin kurz frische Luft schnappen.“ Er schnappt seine Jacke und verschwindet. Ich schlender in seiner Wohnung rum und guck mir seine Sachen an. Ich mach keine Scherze, er hat alles gelb-rot angestrichen. Sogar den Plattenspieler. Alle Möbel. Das Wohnzimmer sieht absolut wahnsinnig aus. Alles gestreift und an der Wand hängen Tiere. Ausgestopfte Tiere. Ich erkenne Erbstücke, von unserem Onkel im Schwarzwald. Ein verdammt verrückter Onkel. Sonst hat sich nicht viel verändert. Die seltsam, Knopfmaschine in der Ecke. Er hat sie mal von mir geschenkt bekommen. Auf dem Tisch steht neben, Aschenbechern, Kaffeetassen, CD's und Zeitungsausschnitten seine inzwischen ebenfalls gestreifte Schreibmaschine. Und in der Ecke steht tatsächlich ein riesiger, buschiger Weihnachtsbaum. Er ist mit Äpfeln, Knöpfen und echten Kerzen geschmückt. Auf die Spitze hat er einen goldenen Kerzenständer montiert. Die Kerze darin ist gelb-rot gestreift.
„Gefälltes dir?“ Fragt er plötzlich erwartungsvoll. Er steht hinter mir, mit einem kindlich, begeistertem Gesichtsausdruck starrt er auf sein Werk.
„Ja, irre. Das sieht toll aus.“
„Ja, stimmt.“ Er nickt aufgeregt. Er drückt mir eine Tüte mit Essen in die Hand. Gutes Essen. Fleisch, Torte, Wein, Pastete. Großartiges Essen. Er rennt in die Küche und kocht und lässt mich nicht einmal einen Finger krumm machen.
„Nicht anfassen.“ Sagt er.
Lächelt mir zu, aus allen Richtungen, zärtlich und stürmisch, reist die Sachen aus den Schränken, ohne Umschweife, sieht strinrunzelnd rüber zum Fenster, über Häuser und Straßen, über Hamburg. Konzentriert und ernst. Und ich bleibe.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für meinen vater zu weihnachten

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