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Prolog

 

Ich rannte so schnell ich konnte, obwohl man mein kraftloses Stolpern durch die düsteren und verschmutzen Gassen kaum als rennen bezeichnen konnte.

Das Einzige, was mich noch nicht ohnmächtig zusammen brechen lies, war das aufgeregte Scharren von den Krallen der Zylokaner, die hinter mir her hetzten.

Ihr Fauchen und Flüstern hallte von den Wänden wieder und schien von überall her zu kommen.

Komm schon! Spornte mich eine leise Stimme an. Sie war ebenfalls schon weit über ihre Schmerzensgrenze hinausgegangen, doch ich durfte nicht aufgeben, sie durften uns nicht einhohlen!

"Es bringt nichts vor uns weg zulaufen, Prinzessin! Wir finden dich und dann gehörst du uns!"

Nein! Niemals würde ich es soweit kommen lassen!

Schnaufend lief ich weiter und geriet ins Straucheln, als ich eine schneidende Klinge meine linkes Bein erwischte.

Schmerzerfüllt schrie ich auf. Sie hatten mich erwischt!

Blau leuchtende Tränen kullerten meine verdreckte Wange hinunter.

Der Schmerz lähmte mich. Unmöglich konnte ich mit dieser Verletzung jetzt noch entkommen.

Meine Kraft, ich spürte wie sie von Sekunde zu Sekunde schwand bis nur noch das bläuliche Aufflackern meiner Tattoos an die, wie ich dachte, kaum ausschöpfbare Energiequelle in mir erinnerte.

Sie kamen näher. Ihre siegessicheren Schreie brannte sich in meine Ohren ein.

Ich war am Ende meiner Kräfte, verzweifelt brach ich an Ort und Stelle zusammen.

Tränen verschleierten meine Sicht. Dunkle Nebelschwaden zogen sich um mich herum immer dichter zusammen. Ungelenk umklammerte ich mein verletztes Bein und versuchte meine Schluchzer zu unterdrücken.

Sie sollten mich nicht weinen sehen. Diese Genugtuung würde ich ihnen nicht tun.

Große Gestalten traten aus dem Nebel. Man hätte sie für Menschen halten können, doch ihr animalisches Knurren, die langen, scharfen Krallen und die weit aufgerissenen Augen, in denen der Hass und die Mordlust von Wahnsinnigen stand, belehrten mich eines Besseren.

Sie waren Zylokaner und die unruhigen Blitze, die in ihren komplett schwarzen Augen zuckten, ließen mich schlucken. Sie hatten den letzten Funken Menschlichkeit längst erstickt.

Panik stieg in mir auf. Was würden sie mit mir anstellen. Ich konnte nur hoffen, dass der Tot schnell kommen würde, aber wirklich glauben konnte ich es nicht.

"Was ist den los Liz, wohl nicht mehr so stark, was", höhnte ihr Anführer und trat mir brutal in die Seite.

Ein ersticktes Stöhnen entwich meinem Mund und ich krümmte mich weiter zusammen.

Wie hatte es nur soweit kommen können? Eine dumme Frage ich wusste wieso und doch war ich immer noch nicht bereit mir das Offensichtliche einzugestehen.

Mein ganzer Körper zitterte vor Schmerz und ich spürte wie mein warmes Blut auf dem Boden schon eine Lache bildete.

Entfernt an Lachen erinnernde Geräusche schlugen auf mich ein. Es gab kein Entkommen aus dem Meer von verzerrten Fratzen und Schlägen.

Verzweifelt versuchte ich bei Bewusstsein zu bleiben und dem Verlangen, endlich nichts mehr zu spüren nicht nachzugeben.

Ich zwang meine geschwollenen Augen offen zu lassen und eine Welle der Erleichterung überschwemmte mich als ich einen Schopf roter Haare in der Menge ausmachen konnte.

Lucy du hattest recht, es ist nicht so wie ich dachte!

Mein Herz schlug mir bis zum Hals.

Doch als ich aufblickte, den Rest der Welt ausblendend fiel ich. Und diesmal war er nicht da, um mich aufzufangen. Nein er war derjenige, der mir mit dem Messer ins Herz stach und damit den letzten Stoß in die Tiefe versetzte. Mein Inneres zeriss und mein geschundener Körper begann unkontrolliert zu zittern. Ich hätte alles ertragen, wenn ich ihn unbeschadet gewusst hätte.

Die physischen Verletzungen der Zylokaner waren nichts im Gegensatz zu der Verachtung in seinem Blick. Alles was er für mich übrig hatte war ein herablassender Blick und meine Welt brach zusammen, schon wieder.

"Raph", schluchzte ich, ehe alles um mich herum schwarz wurde.

 

Aller Anfang ist schwer

 

Ich wischte mir meine feuchten Hände an meiner kurzen Jeanshose ab.

Du schaffst das! Bestimmt ist alles nur halb so schlimm, wie du denkst, versuchte ich mir positiv zu zureden. Es klappte nicht. Um mich abzulenken betrachtete ich mich, heute bestimmt schon zum 10. Mal, kritisch in meinem großen Schrankspiegel.

Meine dunkelbraunen Locken gingen mir fast bis zur Hüfte und meine blau-grauen Augen schauten mir gefasst entgegen.

Sie lagen wie zwei klare Seen eingebettet in meinem Gesicht und wurden von dichten, schwarzen Wimpern umrahmt.

Wohl eher wie schockgefrorene Seen vor einem Schneesturm, flüsterte eine leise Stimme belustigt.

Nein ich war nicht psychisch krank und bildete mir ein, dass eine Stimme in meinem Kopf zu mir sprach. Ok da war eine Stimme in meinem Kopf, die definitiv nicht meine eigenen Gedanken aussprach, aber ich war nicht schizophren.

Davon versuchte ich mich zumindest zu überzeugen. Und hey, solange sie mir nicht sagte, ich solle irgendwelche Leute umbringen war doch alles im grünen Bereich, oder?

Die Pfingstferien waren vorbei und heute war mein erster Schultag an der neuen Schule. Die Sonne strahle übertrieben freundlich in mein Zimmer, als wollte sie mir unter die Nase reiben, was für ein schöner Tag heute war.

Es war früh morgens, ich war dementsprechend nicht ausgeschlafen und in ein komplett neues Umfeld geworfen zu werden machte diesen Montag auch nicht besser.

Missmutig grummelte ich vor mich hin und zupfte abwesend meine Blümchenbluse zu Recht.

Jetzt wird doch nicht gleich so melodramatisch wir sind schließlich wegen uns umgezogen und du weißt genauso gut wie ich, dass es besser so ist!

Meine leicht zitternden Hände fanden in den Taschen meines Strick-Cardigans Schutz. Die Stimme hatte Recht, aber ich würde einen Teufel tun und das zugeben. Ich hatte es wirklich geschaffte, war raus aus München!

Und obwohl dieses kleine Kaff nicht meine Erstwahl gewesen wäre, war alles besser als die Hölle, die ich dort durchlebt hatte.

Schnell verbat ich mir jeden weiteren Gedanken an diese Zeit, das war vorbei und ich hatte nicht vor dieses Kapitel jemals wieder freiwillig zu öffnen.

Innerlich gewappnet trotte ich immer noch müde die Treppen hinunter in die Küche.

Meine Mutter war wie gewöhnlich schon auf der Arbeit und so erblickte ich nur meinen Bruder Rick am Essenstisch.

„Morgen“, murmelte mir dieser zu, während er damit beschäftigt war seinen Toast zu verschlingen. Seine Braunen Locken standen ihm gewohnt in alle Richtungen ab und ließen ihn noch verpeilter wirken, als er es eh schon war.

Schmunzelnd setzte ich mich neben ihn.

Ich hatte schon gefrühstückt, da ich aus Angst verschlafen zu haben viel zu früh aufgewacht war und dann natürlich nicht mehr einschlafen hatte können.

Gähnend erwischte ich mich dabei, wie ich prüfend zur Uhr blickte.

Warum konnte ich die Zeit nicht einfach vorspulen, dann hätte ich alles schon hinter mir, träumte ich vor mich hin.

Leider konnte auch ich nichts an dem lauf der Dinge ändern und so erhob ich mich tief seufzend vom Küchenstuhl und schlurfte in Richtung Haustür.

„Komm schon Rick, beeil dich mal etwas, ich will nicht wegen dir schon am 1. Schultag zu spät kommen!“, rief ich Rick zu, der immer noch in der Küche saß und gerade dabei war seinen 3. Toast zu essen.

Wie bekam er morgens nur so viel runter?

Kopfschüttelnd über meinen jüngeren Bruder schlüpfte ich in meine schwarzen Leder Stiefelletten. In dieser Hinsicht war ich wohl ein typisches Mädchen. Schuhe zogen mich magisch an und ich konnte gar nicht genug von ihnen bekommen. Mittlerweile war Rick auch schon aufbruchsbereit und ich schnappte mir die Haustürschlüssel von der Kommode und ging hinter Rick raus. Der kühle Stoff meiner Tasche drückte gegen meinen nackten Oberschenkel und sorgte für eine prickelnde Gänsehaut.

Ein angenehmer Wind blies mir entgegen und die Sonne strahlt jetzt schon in ihrer vollen Pracht.

Das Wetter war wirklich schön, gut, dass ich mich für die kurze Hose entschieden hatte, dachte ich und schloss die Tür hinter mir. Krachend fiel diese zu und man konnte das leise Klicken der einrastenden Schlössern hören. Das Geräusch hallte in meinem Kopf wieder.

Es hatte so etwas endgültiges. Ja es war nun wirklich endgültig, ich würde auf diese neue Schule gehen, mir ein neues Leben in einem fremden Dorf aufbauen und das Beste daraus machen! Verdammt ich war Liz Kameru und so schnell lies ich mich nicht unterkriegen.

„Hallo, Erde an Liz, ich dachte du wolltest nicht zu spät kommen“, riss mich mein Bruder aus den Gedanken. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und blinzelte Rick an, der abwartend vor mir stand.

Mich meinem Schicksal ergebend setzte ich mich langsam in Bewegung. Bis zur Schule war es zum Glück nicht weit.

Eigentlich war es hier gar nicht so schlimm. Nur etwas zu dörflich nach meinem Geschmack.

Ihr müsst mich verstehen, ich bin mit dem Großstadtlärm aufgewachsen und war es gewöhnt, dass ständig viele Leute um mich herum waren. Hier war das nicht so, keine lärmenden Autos oder laute Musik reizten mein empfindliches Gehör. Und Straßen- oder U-Bahnnetze waren bei der Einwohnerzahl überflüssig.

Die ländliche Stille war fast zum verrückt werden und ich verspürte den Drang laut los zu schreien, nur um die drückende Stille zu durchbrechen.

Irrlicht, hallte es in meinem Kopf wieder.

Sofort erkannte ich Jasons beunruhigend ruhige Stimme. Nein! Bitte nicht jetzt. Wutverzerrte Gesichter erschienen bereits vor meinem Auge und meine panischen Schreie, ließen mich zusammen zucken.

Doch so schnell würde ich mich nicht unterbuttern lassen. Einzelne Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Stirn und meine Hände ballten sich zu Fäusten. Mein ganzer Körper zitterte vor Anstrengung.

Nein! Nicht heute! Zum Glück erblickte ich in dem Moment die Schule, die sich wie eine gewaltige Burg vor mir aufbaute.

Konzentrier dich Liz! Nichts kann dir passieren.

Mit all meiner Willenskraft gelang es mir die Bilder zu verdrängen.

Irrlicht, flüsterte er noch einmal leise in meinem Kopf, bis seine Stimme und die Bilder endgültig verschwanden.

Erleichtert atmete ich aus, ich hatte es geschafft! Verstört warf ich meinem Bruder einen Blick zu, doch der war viel zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, als dass er etwas bemerkt hätte.

Warum waren seine Stimme und die Erinnerungen von damals nach so langer Zeit wieder aufgetaucht? Ich dachte ich hätte sie endgültig verdrängt.

Doch ich hatte keine Zeit mehr mich damit auseinander zu setzten, da das Schulgebäude nun unmittelbar vor uns auftauchte.

Tief durchatmend schaute ich zu Rick rüber.

„Am besten wir treffen uns nach der Schule wieder hier“, sagte ich und deutete auf eine Litfaßsäule, die keine 10 Meter von uns entfernt stand, „dann können wir zusammen nach Hause laufen.“

„Alles klar! Wird schon schief gehen“, schmunzelte er, wobei seine blauen Augen mich schelmisch anfunkelten. Ich liebte meine Bruder von ganzem Herzen und egal wie oft wir uns auch stritten, ich würde alles für ihn tun.

 

 

***

 

 

Die Eingangshalle war in creme und beige Tönen gehalten und ein paar palmenartige Pflanzen standen in großen Kübeln herum. Einige Schüler standen in Grüppchen oder alleine im Raum verteilt da.

Von überall her vernahm ich Stimmen. In solchen Momenten hasste ich mein empfindliches Gehör. Die Meisten bemerken uns gar nicht, was mir absolut recht war.

Ganz unbemerkt kamen wir allerdings nicht durch die Eingangshalle.

Ein paar Schüler drehten sich zu uns um, aber ich ignorierte ihre neugierigen Blicke, die sich in meinen Rücken bohrten, einfach. Hier kam es bestimmt nicht so oft vor, dass neue Leute herzogen Kleinstadt eben, jeder kennt jeden. Was für eine Scheiße.

Zielstrebig setze ich meinen Weg, mit meinem Bruder im Schlepptau durch die Schüler fort und steuerte auf eine verglaste Tür zu. Einem kleinen Schildchen, das neben der Tür angebracht war entnahm ich, dass es sich um das Sekretariat handelte.

Vorsichtig klopfte ich an und wartete bis eine freundlich klingende Frauenstimme „herein“ rief.

„Hallo ich bin Liz Kamaru und das hier ist mein Bruder Rick Kamaru“, stellte ich uns erst mal vor und deutete dabei auf Rick, den ich trotz einem Jahr Altersunterschied nur noch knapp mit meinen 1,73m überragte.

Die Frau erhob sich von ihrem Stuhl und kam zu uns um den Tresen herum. Sie hatte blonde kurze Haare, ich schätzte sie auf Mitte 40. Ihre grünen Augen strahlten so viel Herzlichkeit aus, dass ich mich gleich wohl fühlte.

Sie schenkte uns ein strahlendes Lächeln und schüttelte unsere Hände.

„Hallo herzlich willkommen an unserem Goethe-Schiller-Gymnasium, ich bin Frau Meder, die Sekretärin hier. Frau Berenz, unsere Direktorin, hat mich bereits über eure Ankunft informiert.“

Sie verschwand kurz in dem Nebenzimmer und kam dann mit vier Blättern in der Hand zurück.

„So das sind eure Stundenpläne, sowie eine Liste von Räumen, in denen ihr unterrichtet werdet, plus den dazugehörigen Lehrer. Eure Schülerausweise erhaltet ihr von eurem Klassenlehrer und die Bücher könnt ihr euch morgen in der Bibliothek abholen. So ich denke das Wichtigste ist geklärt. Habt ihr noch Fragen?“, beendete sie ihren kleinen Vortrag und gab uns jeweils zwei Blätter.

Wir verneinten beide und verließen daraufhin das Sekretariat.

Der Unterricht hatte bereits angefangen und Rick und ich eilten in verschiedene Richtungen.

Meine Absätze klackerten auf dem Boden und das Geräusch hallte von den Wänden wieder. Ich musste in Raum 043, wo ich laut dem Plan Geographie bei einem gewissen Herr Schießer hatte. Nach einer 5 minütigen Suche hatte ich den Raum endlich gefunden.

Ich schob meine Schultern zurück und freute mich insgeheim auf die Reaktionen mener neuen Mitschüler, ich wollte nicht eingebildet klingen, aber war mir meiner Wirkung durchaus bewusst. Mein caramell-farbene Haut gab meinem Aussehen etwas exotisches und ließ die eisblauen Augen noch mehr hervorstechen.

10c. Ich hoffte sie würden mich nicht weitgehend in Ruhe lassen, ich hatte mich seit damals verändert und war das ganze oberflächliche Gehabe so satt.

Ich war nicht mehr das Modepüppchen Liz, die bei allen beliebt war, ich war distanzierter geworden. Solange sie mich in Ruhe ließen würde ich zurechtkommen.

Ich holte noch einmal tief Luft und öffnete die Tür, als eine tiefe Stimme mich herein bat.

Wie erwartet lagen alle Blicke auf mir. Ich versuchte es weitgehend zu ignorieren, so weit das eben ging, wenn man vor 28 Schülern stand, die einen alle anstarten, als käme man von einem anderen Planeten.

Ich konzentrierte mich auf Herr Schießer, der mich nun fragend ansah.

„Hallo ich bin Liz Kamaru, ich bin neu hier“, sagte ich mit fester Stimme.

Sofort sah ich Erkenntnis in seinen Augen aufblitzen und er begrüßte mich schnell und wandte sich dann an die Klasse.

„Wie ihr seht wird Liz ab sofort in eure Klasse gehen. Ich bitte euch sie gut aufzunehmen und ihr bei Gelegenheit das Schulgebäude zu zeigen“, fuhr er fort.

Ein Junge mit orangefarbenem Haar flüsterte lüstern grinsend:

„Ich würde ihr auch mal gerne mein Gebäude zeigen.“

Dank meines guten Gehörs hatte ich ihn gehört, obwohl er in der letzten Reihe saß.

Damals hätte mir die Bemerkung vielleicht geschmeichelt, jetzt fand ich sie einfach nur widerlich und primitiv. Ich schaltete auf Durchzug und ließ meinen Blick weiter durch die einzelnen Reihen schweifen, wobei ich zwischen Leuten unterschied, die mir Probleme machen konnten und denen, die ich durch mein fehlende Interesse an ihnen abwimmeln konnte.

Der widerliche Junge schaute mich nur feixend an, als wüsste er, dass ich seinen billigen Spruch gehört hatte. Ich funkelte ihn böse an und wandte mich dann schnell ab. Ich hatte es nicht nötig solchen Leuten meine Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn er nicht aufpasste würde es bald sehr unschön für ihn werden. Sich mit mir anzulegen war ein großer Fehler, den niemand so schnell begeht.

Ein paar Mädchen bedachten mich mit einem „verpiss-dich-in-dein-Loch-wo-du-hergekommen-bist-Blick“ der übelsten Sorte, da sie mich wohl als Konkurrentin sahen. Spöttisch verzog ich meine Lippen zu einem leichten Grinsen ich würde ihnen garantiert keine Jungs wegschnappen. Von denen hatte ich fürs erste genug.

„So Liz, du kannst dich neben Nadine in die zweite Reihe setzen“, erklärte Herr Schießer gerade.

Huch ich hatte gar nicht bemerkt, dass er wieder angefangen hatte zu reden, als ich die Klasse inspiziert hatte.

Er wies mit der Hand auf den Fensterplatz in der zweiten Reihe.

Perfekt, dann konnte ich mir wenigstens die Zeit mit „aus dem Fenster starren“ vertreiben, was nicht hieß, dass ich nicht aufpasste ich beschäftigte mich einfach lieber anders, sobald ich etwas verstanden hatte, was normalerweise sehr schnell ging. Das Mädchen neben mir, Nadine, lächelte mich an, woraufhin ich zurück lächelte.

Man sollte ja nicht gleich mit der Tür ins haus fallen.

Sie war wirklich hübsch mit ihren bronzefarbenen glatten Haaren, die ihr bis knapp zur Tallie reichten. Ihre Aura strahlte Freundlichkeit aus und ich spielte mit dem Gedanken, sie als Ausnahme durchgehen zu lassen, eine Verbündete konnte ja nicht schaden. Ich mochte sie auch wenn ich nicht mehr als ihren Namen wusste.

Der Rest der Klasse war in typische Grüppchen gebildet, die man bei allen Jugendlichen wieder fand. Da gab es die Oberschlauen in der ersten Reihe, die immer alles sehr genau nahmen und alles als Leistungswettkampf ansahen, die Sportler, denen ihre Sportart über alles ging, der Klassenclown, es gab in jeder Klasse einen, fragt mich nicht warum, die hübschen Mädchen, vorsicht meistens sehr zickig, das Mädchen, das mehr männliche, als weibliche Freunde hatte, ein paar religiös fanatisch angehauchte Leute, denen ging man besser gleich aus dem Weg, die Begabten darf man natürlich auch nicht vergessen, halten sich meistens für etwas sehr besonderes und in ihren Elitären Kreis kommt man nur herein, wenn einen individuell von seiner Begabung geprägten Charakter hatte und schließlich noch den vollkommen durchschnittlichen Rest.

Ich gehörte zu keiner dieser Gruppen, zumindest meiner Ansicht nach, ich war zwar begabt, aber mich solchen Hipstern anzuschließen, ne danke, da zog ich es doch vor einen auf Alleingang zu machen.

Schon bald würden sie merken, dass ich lieber für mich blieb und somit zum Außenseiter wurde. Mich störte das allerdings nicht.

Nachdenklich beobachtete ich einen kleinen blauen Vogel, der es sich im Geäst von einem der wenigen Bäume im Pausenhof bequem gemacht hatte.

Die Klasse und Herr Schießer hatte ich schon längst ausgeblendet.

Der kleine Vogel schaute mich mit seinen schwarzen Knopfaugen an und legte seinen Köpfchen leicht schief, als versuche er mein Gegrübel zu verstehen.

Irrlicht, ertönte die bestimmende Stimme in meinem Kopf diesmal lauter.

Das konnte doch nicht wahr sein!

Was willst du schon wieder, giftete ich die nervende Stimme in meinem Inneren an.

Doch diesmal war es anders. Anstelle der Angst einflößenden Bilder von dem wütenden Jason und seinen Freunden, die ich mittlerweile bis ins kleinste Detail kannte, hörte ich eine sanfte Frauenstimme, die ich nicht kannte.

Mein Geist schien wie benebelt, während ich immer noch wie gebannt den kleinen Vogel vor dem Fenster beobachtete.

Er plusterte sein blaues Gefieder auf und ließ mich keine Sekunde aus den Augen. Dieser Vogel war definitiv nicht normal!

Meine Hand begann zu jucken und als die sanfte Stimme anfing zu sprechen, kritzelte ich die Worte, wie unter Zwang auf einem Schmierblatt mit.

Ich schlummere verborgen allein in dir.

Suche ohne zu suchen,

Vergesse dich selbst,

Dann wirst du dich finden,

Blue Fire, was dich erhellt.

Mit weit aufgerissenen Augen sah ich gerade noch aus dem Augenwinkel, wie der kleine Vogel seine Flügel ausbreitete und mit dem Blau des Himmels verschwamm.

Heute war wirklich nicht mein Tag. Es wurde immer schlimmer, erst die schrecklichen Bilder, die gedroht hatten aus ihrer Verbannung wieder auszubrechen und jetzt das!

Vorsichtig sah ich mich um und atmete erleichtert aus, als ich realisierte, dass mich niemand wie eine Gestörte anschaute.

Zu den Psychopathen wollte ich definitiv nicht gehören, eine Kostprobe hatte mir durchaus gereicht. Schaudernd verdrängte ich die herablassenden und misstrauischen Blicke, die mir nur zu oft gezeigt hatten, dass ich nicht normal war. Schnell versteckte ich den Zettel in den Abgründen meiner Tasche.

Darum würde ich mich später kümmern, sollte er doch dort drinnen verrotten. Jetzt galt es erst mal nicht in Panik zu geraten und zu hoffen, dass ich den restlichen Tag etwas mehr Glück haben würde.

Den Rest der Doppelstunde verbrachte ich mir einer meiner Lieblingsbeschäftigungen. Aus dem Fenster starren und auf Löschblättern kleine Kunstwerke erschaffen.

Das schrille Läuten der Pausenglocke befreite mich schließlich und kündigte die Pause an.

 

 

***

 

 

„Hey Liz, kommst du mit in die Pause, ich kann dich ein bisschen herumführen und dir die Schule zeigen, wenn du willst“, fragte mich Nadine, die, wie ich erst jetzt bemerkte, noch als

Einzige mit mir im Raum war. Die anderen waren wohl schon in der Pause.

„Ja danke, das wäre echt nett von dir!“, sagte ich lächelnd.

Auch wenn es mich nicht weiter gestört hätte die Pause allein zu verbringen, nahm ich ihr Angebot gerne an. Das war die perfekte Gelegenheit sie besser kennen zu lernen.

„Normalerweise bin ich in der Pause meistens in der Eingangshallen, das ist der Bereich durch den du wahrscheinlich rein gekommen bist. Wenn es dich nicht stört können wir da hin“, erklärte sie freundlich.

„Ja da bin wirklich rein gekommen, klar können wir da hin“, erfüllte ich ihr ihren Wunsch.

„Wie alt bist du eigentlich?“

„16“

„Oh cool ich bin auch 16!“, freute sie sich.

Wenn sie lächelte konnte man kleine Grübchen auf ihren Wangen sehen, die sie kindlicher wirken ließen.

„Freu dich nicht so sehr ich bin nicht mehr so der Typ der ständig auf Partys geht, dieses ganze alberne Getue ist nicht so meins“, stellte ich gleich meine Position dar.

Etwas enttäuscht blickte sie mich mit ihren Hundeaugen an.

„Aber warum denn nicht?“

Ich konnte ihr die Frage nicht verübeln, sie wirkte im Moment wie ein kleines Kind auf mich, dem man versuchte zu erklären, dass es den Weihnachtsmann nicht gab.

Lächelnd schüttelte ich meinen Kopf, wobei meine schweren Locken Hin und Her wedelten.

„Ich hatte in Frankfurt genug Partys und wie das halt so ist, wenn man zu viel von etwas nimmt wird einem naja sagen wir mal schlecht, aber wenn du unbedingt darauf bestehst kann ich auf die

ein oder andere Party mitkommen“, gab ich unter ihrem Hundeblick nach.

Sofort breitete sich ein Lächeln in ihrem Gesicht aus, was mich vergessen ließ, dass ich solche Partys eigentlich hasste.

„Das wird große Klasse, Liz! Ich war bis jetzt nur zwei Mal auf den Partys hier, aber mit dir zusammen wird das ein der Hammer werden! Mit den anderen aus der Klasse versteh ich mich nicht so wirklich, aber ich glaube wir zwei werden uns verstehen.“

Ich wollte ihr ihre Vorstellung von den tollen Partys mit mir nicht zerstören und nickte deshalb einfach. Doch in einem hatte sie recht, auch ich hatte schon im ersten Moment gespürt, dass wir uns gut verstehen werden.

Als das schrille Läuten ertönte, verschwand Nadine in Richtung Lehrerzimmer und ich machte mich auf den Weg zu den Kunsträumen, welchen Nadine mir vorher erklärt hatte mit der Bitte sie bei der Lehrerin zu entschuldigen.

Die Sonne hatte sich mittlerweile einen Weg durch die Wolkendecke gebahnt und schenkte mir ihre Wärme.

Kurz schloss ich die Augen und genoss für einen Moment das angenehme Kribbeln der Sonnenstrahlen auf meiner hellbraunen Haut. Durch die ausländischen Vorfahren von meinem Vater hatte meine Haut einen leicht südländischen Touch.

Blinzelnd stellte ich fest, dass ich wohl doch etwas länger die Wärme der Sonne genossen hatte, da ich bereits allein auf dem Pausenhof stand.

Mich kümmerte es wenig, ob ich zu spät kam. Hier draußen war es sowieso viel schöner.

Kurz zog ich in Erwägung Kunst zu schwänzen, dachte dann aber an Nadine, die ich entschuldigen sollte und meine Mutter, die wenn sie davon erfuhr nicht erfreut sein würde.

Seufzend setzte ich mich langsam in Bewegung. Ich hatte letztes Jahr schon genug unentschuldigte Fehltage gehabt, damit würde jetzt Schluss sein.

Der Trakt mit den Kunsträumen war direkt gegenüber vom Pausenhof. Um zu dem Eingang zu gelangen musste man allerdings einem kleinen gepflasterten Weg, der um eine Ecke führte, folgen.

Meine Absätze klackerten auf dem Boden, als ich um die Kurve ging und dann stand er auf einmal da.

Obwohl ich strickte Nichtraucherin war, musste ich zugeben, dass es bei ihm echt geil aussah.

Er trug ein offenes Jeanshemd und darunter ein schwarzes Muskel-Shirt mit V-Ausschnitt.

Hatte ich schon erwähnt, dass ich Oberteile von Jungs mit V-Ausschnitt liebte? Jetzt wisst ihr es auf jeden Fall.

Seine Bauchmuskeln zeichneten sich deutlich unter dem Shirt ab, aber nicht so, dass es übertrieben wirkte.

Ich hob meinen Blick zu seinem seitlich von mir abgewandten Gesicht. Er hatte markante Gesichtszüge und seine rötlich-braunen Locken luden gerade dazu ein durch sie hindurchzufassen. Seine alabasterfarbene Haut stand als krasser Kontrast zu den Haaren und sah verdammt weich aus.

Halt was dachte ich denn da! Er war, genauso wie alle anderen Jungen auch ein Arschloch, auch wenn er verboten gut aussah.

Ich war nur noch knapp 15 Meter von ihm entfernt, als er mich, wahrscheinlich durch das Geräusch, dass meine Absätze auf dem Boden verursachten, entdeckte und sich zu mir wandte.

Mir verschlug es regelrecht die Sprache und ich musste aufpassen, nicht sabbernd stehen zu bleiben, als ich direkt in sein Gesicht sah.

Normalerweise war ich nicht so schnell aus der Fassung zu bringen, besonders nicht von einem Jungen, doch er hatte es allein mit seinem Anblick geschafft.

Seine stechend grün-blauen Augen zogen mich in den Bann und ich hatte das Gefühl, dass er bis

tief in meine Seele blicken konnte.

Kurz zuckten blaue Blitze in seinen Augen, doch als ich blinzelte waren sie wieder weg. Als das Bild von Jasons Gesicht vor meinen Augen aufflackerte, zog ich unbewusst meine Augenbraue zusammen und mein Bauch verkrampfte augenblicklich.

Diese blauen Blitze. Ich hatte sie schon mal gesehen. So etwas bildete ich mir sicherlich nicht ein. Nur wo?

Das Glitzern seiner Augen, als er meinen Körper genauer musterte, riss mich aus meinen Gedanken.

Zugegeben ich hatte eine recht gute Figur. Meine langen Beine wurden durch die kurze Hose und die hohen Schuhe noch mehr betont und meine schmale Tallie und mein nicht zu kleiner Busen waren auch nicht von schlechten Eltern.

Ein Fuß vor den anderen setzten, immer schön weiter laufen, versuchte ich mich daran zu erinnern, wie man lief.

Unbewusst hatte ich angefangen zu lächeln, als würde ich einen verloren geglaubten Freund wieder finden. Das war doch Schwachsinn! Kerl ist Kerl, da gibt es keine Ausnahme.

Seine Blicke brannten auf meiner Haut und langsam entspannte sich mein Bauch wieder.

Er anders, er ist bestimmt nicht so wie Jason! Meldete sich die sanfte Stimme wieder.

Woher willst du das wissen? Soweit ich das sehe ist er ein Kerl, also ein Arsch, den ich nicht zu nah an mich ranlassen sollte, blockte ich sofort ab.

 

10 Meter.

 

Trotz meines Sturkopfs konnte ich nicht leugnen, dass ich mich angezogen von ihm fühlte und das war mehr als beunruhigend.

Mein Verstand sagte mir, dass er böse war, genauso wie seine Aura die dunkel um ihn herum flackerte. Mein Herz jedoch gab mir etwas völlig anderes zu verstehen.

Schau in seine Augen, diese Augen gehören keinem bösen Menschen, er ist anders, gib ihm eine Chance, quengelte die Stimme in mir.

 

5 Meter.

 

Halt dich da raus, wem ich eine Chance gebe oder nicht entscheide immer noch ich!

Ha, das ich nicht lache! Du bist ich und ich bin du, wir sind eins Liz, wie soll ich mich denn da bitteschön raushalten?

Darauf erwiderte ich nichts mehr und konzentrierte mich auf den heißen jungen vor mir.

Ein Lächeln seinerseits fegte all meine Bedenken für den Moment weg.

Auch wenn ich ein Außenseiter war, hatte ich das Flirten nicht verlernt. Gegen ein bisschen Spaß war ja schließlich nichts einzuwenden.

Verschwörerisch grinste ich ihn an und wusste, dass meine Augen in dem Moment wie funkelnde Eiskristalle aussehen mussten. Gerade wollte ich an ihm vorbei auf die Tür zugehen, als er meinen Plan durchkreuzte, indem er seine Zigarette auf den Boden warf, sie austrat und mich dann spöttisch fragte:

„Na da ist jemand aber spät dran.“

Oh mein Gott er hat mich angesprochen, freute ich mich insgeheim. Die Freude verflog allerdings, als ich verstand was er gesagt hatte. Wohl noch nie was von Höflichkeit gehört? Typisch Kerl, so von seinem Aussehen überzeugt, dass er es nicht für nötig hielt freundlich zu sein.

Seine tiefe, melodische Stimme ging mir durch Mark und Bein. So eine schöne Stimme hatte ich wirklich noch nie gehört. Wie es sich wohl anhören würde, wenn er meinen Namen sagen würde? Mein Herz begann aufgeregt zu pochen.

Doch so einfach war ich nicht einzuschüchtern. Also gut, wenn er spielen wollte, hatte ich nichts dagegen, aber ich würde sicher nicht als Verlierer herausgehen. Erstaunt zog ich eine Augenbraue hoch und drehte mich zu ihm.

„Aber du etwa nicht?“, konterte ich mit einer nicht überhörbaren Portion Ironie in der Stimmte.

Er schaute mich verdutzt an und für einen Moment entglitten ihm seine Gesichtszüge. Der Anblick dieser ehrlichen Verwirrung stimmte mich etwas milder. Er hatte wohl damit gerechnet, dass ich nur ein kleinlautes „Ja“ von mir geben würde oder gar keine Antwort heraus gebracht hätte. Ich hatte schon immer ein freches Mundwerk gehabt und das würde sich so schnell auch nicht ändern.

„Die Lehrer sind es gewöhnt, dass ich zu spät oder gar nicht komme“, gab er zurück und zuckte mit den Achseln.

Aha ein Schulschwänzer also.

„Bei mir nicht und das sollte auch erst mal so bleiben, so gerne ich dir auch weiter Gesellschaft geleistet hätte“, bemerkte ich sarkastisch. Ich wusste nicht, ob er die Ironie in meiner Stimme nicht gehört hatte oder sie schlichtweg ignorierte.

„Das ist schade, ich hatte gehofft dich besser kennen lernen zu können“, erwiderte er galant.

„Aber was nicht ist kann ja noch werden. Danke für die angenehme Gesellschaft Liz, mein Name ist übrigens Raphael, aber alle nennen mich Raph“, verabschiedete er sich Augenzwinkernd.

„Ja keine Ursache“, brachte ich verwirrt heraus.

Er hatte meinen Namen gesagt, traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag.

Das aufgeregte Kribbeln in meinem Bauch verstärkte sich um das 10-fache und ließ sich zu meiner Beunruhigung nicht mehr so leicht verdrängen.

Doch woher wusste er wie ich hieß? Ich konnte mich nicht daran erinnern ihm meinen Namen gesagt zu haben. Ein unwohles Gefühl beschlich mich und ich setzte meinen Weg schnell fort.

Bis zu einem gewissen Grad verstand ich Jungs ja, aber er war ein einziges Rätsel für mich.

Vor meinen Augen sah ich immer noch diese grün-blauen Augen, die mich so durchdringend angeschaut hatten, wie keine zuvor. Und dann diese blauen Blitze in seinen Augen. Woher kannte ich das nur?

Eins stand fest, so schnell würde ich Raphael nicht vergessen.

Aber irgendwie hatte es Spaß gemacht, sich mit ihm zu unterhalten, stellte ich fest.

Ach quatsch, je schneller du ihn los wirst, desto besser, schob ich den Gedanken weg.

Wie in Trance klopfte ich an die Tür und schlüpfte lautlos hinein.

 

Ade Glück-Hallo Leben

 

Nachdem ich mich auf einen freien Platz in der letzen Reihe gesetzt hatte und Nadine entschuldigt hatte, begann ich, wie jeder hier in diesem Raum, zu malen.

Das Thema war Fantasie.

Ich liebte Kunst und malte auch in meiner Freizeit viel.

Nachdenklich starrte ich die unberührte Leinwand an.

Was sollte ich malen?

Doch die Entscheidung wurde mir abgenommen, als sich ein leichtes Kribbeln von den Fingerspitzen an in meinen Händen ausbreitete.

Es begann.

Super mein Glück hatte wohl mal wieder Urlaub gemacht und mich seinem liebsten Freund dem Schicksal überlassen, dachte ich genervt.

 

 

***

 

 

(Rückblende)

 

Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf das Bild vor mir. Mein Mund war wie ausgetrocknet und ich nahm nichts um mich herum war.

Wie war das möglich? Hatte ich das gemalt?

Meine schmerzenden Hände riefen mich in die Realität zurück, doch nur langsam gelang es mir meine tauben Glieder wieder zu bewegen. Zu groß war der Schock über das eben Geschehene.

Meinen Blick klebte immer noch an dem nackten Mädchenrücken mit den blau leuchtenden Tattoos und ich schaffte es einfach nicht ihn abzuwenden. Ihre dunklen Locken wehten in allen Richtungen auseinander und in der Dunkelheit erkannte man schemenhafte, gekrümmte Gestalten.

Ein Schauer lief mir kalt den Rücken hinunter.

Alter ist das psycho, die gehört weggesperrt, hast du das gesehen?“, raunte neben mir eine männliche Stimme.

Völlig neben der Spur gelang es mir nun endlich mich umzudrehen und meinen Blick abzuwenden.

Als hätte ich einen Bann gebrochen, fingen sämtliche Stimmen um mich herum an wild durcheinander zu tuscheln und zu flüstern.

Ich war immer noch im Kunstunterricht, realisierte ich geschockt.

So eine Irre!“

Meine Augen huschten verwirrt durch den Raum, jedoch ohne irgendetwas fixieren zu können. Die gesamte Klasse stand um mich herum.

Alles verschwamm zu einer bunten Masse und ich spürte ihre verächtlichen Blicke auf mir, die mich nur zu gut spüren ließen, dass ich hier nicht willkommen war.

Hexe!“

Verschwinde von hier!“

Du gehörst in die Klapse!“

Heiße Tränen der Verzweiflung rannen meine Wange hinunter.

Ich wusste doch auch nicht, was da eben mit mir geschehen war!

Mittendrin zogen ein Paar spöttische Augen meine Aufmerksamkeit auf sich. Jason! Warum verteidigte er mich nicht?

Er war doch mein Freund, war das letzte was ich dachte, als die undurchdringliche Schwärze ihre Finger nach mir streckte und mich zu sich zog.

 

 

 

***

 

 

 

Ich unterdrückte die aufkommenden Tränen. Sie waren es nicht wert!

Das Malen gehörte zu mir, auch wenn nicht unbedingt ich selbst es war, deren Ideen ich zu Papier brachte, so war es doch ein Teil von mir. Ebenso wie die Stimme und mein außergewöhnlich gutes Gehör.

Langsam verschwamm meine Sicht und ein mir mittlerweile vertrautes Gefühl nahm von meinem Körper begriff. Es fühlte sich an, wie in ein dickes Polster aus Watte zu fallen und darin langsam zu versinken. Auf eine verdrehte Art fühlte es sich an, als würde ich nach Hause kommen, wenn diese fremde macht von mir Besitz ergriff.

Es war sinnlos sich dagegen zu wehren, dazu war ich viel zu schwach und meine Neugierde auf das Bild war sowieso viel zu groß, als dass ich es versucht hätte.

Vor meinem inneren Auge sah ich dunkle Farben und dann tauchte wieder als starker

Kontrast das strahlende, fast schon laserfarbene Blau auf.

Ich konnte nur erahnen, was man letztendlich auf dem Bild sehen würde.

Es war als wären die Nerven zu meiner Hand abgeklemmt, als würden sie nicht mehr existieren.

Langsam nahm das Bild Gestalt an, auch wenn man bis jetzt nur alles verschwommen erkennen konnte.

Ich hatte die Augen geöffnet und sah doch nichts. So ähnlich musste es einem Blinden gehen. Man müsste eigentlich etwas sehen tut es aber nicht.

Stattdessen lief in meinem Kopf vor meinem inneren Auge ein Film ab.

Wie in Slowmotion sah ich die leere Leinwand in meinem Kopf, die sich von selbst mit Farben füllte.

Das war das Zeichen, dass ich bald wieder „aufwachen“ würde.

Wenn der Film zu Ende war und somit auch das Bild fertig war, würde ich wieder sehen können und das Jucken in meinen Händen würde weg sein.

Blinzelnd kam ich wieder zu mir und rieb mir meine verkrampften Hände.

Das Bild vor mir glich dem das ich in meinem Kopf gesehen hatte wie ein Ei dem Anderen.

Dunkle Wolken zogen sich über den dunklen und verdreckten Gassen zusammen.

Ein Zittern befiehl mich und ich war versucht das Bild einfach wegzuschmeißen.

Sei kein Angsthase und schau dir das Bild ganz an! Du hast es schließlich gemalt und irgendeinen Grund wird das wohl haben, da bringt es auch nichts, wenn du es wegwirfst, räumte die Stimme ein.

Ist ja gut ich schmeiß es schon nicht weg, so bist du jetzt zufrieden?

Mürrisch betrachtete ich mein Bild genauer.

Irgendetwas war anders.

Die Gestalten um das Mädchen verbeugten sich diesmal nicht, im Gegenteil sie hatten eine dunkle Ausstrahlung und es sah so aus als wollten sie sich auf das stolz aufgerichtete Mädchen stürzen.

Mein Herz schlug schneller.

Das blaue Licht um mein zweites Ich flackerte gefährlich und war die einzige Lichtquelle mit den geschwungenen Schriftzügen um das Mädchen und… huch!

Da war ja noch jemand. Wie hatte ich ihn nur übersehen können?

Seine muskulöse Gestalt war in dunklen Nebel gehüllt und seine Konturen waren nur unscharf zu erkennen.

Wer zur Hölle war das? Bis jetzt war es noch nie eine andere Person mit meinem zweiten Ich auf dem Bild gewesen, mal abgesehen von den dunklen Gestalten im Hintergrund.

Doch die Person war anscheinend mit dem Mädchen verbunden, da die verschlungenen blau leuchtenden Buchstaben um die beiden führten.

Te arma Zylokaner Kyna traza”

Ich verstand nur Bahnhof.

Anscheinend reichte es nicht, dass ich die Bedeutung der Bilder nicht verstand, jetzt tauchte schon wieder diese mysteriöse Sprache auf, die Google auch nicht kannte. Irgendwo hatte ich das doch schon mal gelesen.

Denk genau nach Liz, du kennst den Schriftzug!

Und dann viel der Groschen. Mein Rücken! Natürlich der eintatoowierte Schriftzug auf meinem Rücken Klang so ähnlich. Und ja ich hatte Tattoos.

Axt te arma Zylokaner Kyna traza,

asente de Blue Fire,

setare uta ex de nox”

Seit meiner Geburt standen die Zeilen auf meinem Rücken.

Mit 10 und mit 15 Jahren waren noch weitere Verzierungen an meinen Unterarmen und Schulterblättern dazu gekommen.

Sie waren einfach da gewesen, von einem Tag auf den anderen.

Meine Mutter hatte mich zu allen möglichen Ärzten geschleppt, doch die konnten sich die Tattoos auch nicht erklären und stempelten sie als ungewöhnlich genaue Pigmentierungen ab. Ja klar und ich war Gott.

Ich fand meine Tattoos eigentlich ziemlich cool und störte mich nicht an ihnen.

Langsam fuhr ich die feinen Linien und Muster auf meinem Unterarm nach.

Sie waren warm, wie jedes Mal, nachdem ich im Malwahn gemalt hatte.

Ein Blick auf die Uhr lies mich erstaunt aufkeuchen. Ich hatte nur 15 Minuten gebraucht! Das war ja schon fast rekordverdächtig, so schnell hatte ich noch nie gemalt.

Mein Glück schien mich doch ab und zu mal mit seiner Anwesenheit zu beehren, denn seit meinem ersten „unnormalen“ Bild hatte ich nie wieder länger als eine halbe

Stunde gebraucht.

Kopfschüttelnd dachte ich daran, dass ich damals satte 4 Stunden gemalt hatte.

Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Ich spürte immer noch ihre verachtenden Blicke.

Erschöpft und ausgelaugt ging ich zu den Waschbecken an den Wänden des Raums und kühlte meine immer noch warm glühenden Tattos und meine schmerzenden Hände unter dem Wasserstrahl.

Langsam entkrampften sich meine Hände, doch meine Tattoos dachten gar nicht daran abzukühlen. Ade Glück, hallo Leben.

Tolle Scheiße! Wütend ging ich zu meinem Platz zurück und rieb mir unauffällig über die Unterarme.

Erschrocken fuhr ich zusammen, als sich zwei Hände wie aus dem Nichts auf meine Augen pressten.

„Na, hast du mich schon vermisst?“

Sofort erkannt ich Nadines helle Stimme. Ich hatte sie gar nicht kommen hören. Ungewöhnlich.

„Ich dachte schon jemand hätte dich auf dem Weg zum Lehrerzimmer entführt“, witzelte ich.

Sie setzte sich auf den freien Platz neben mich, stockte dann allerdings mitten in der Bewegung.

„Ach du heilige Scheiße, Liz! Hast du das Bild gemalt? Das sieht ja echt der Hammer aus!“

„Sieht wohl so aus“, antwortete ich schlicht.

Ich hatte es nicht so gerne, wenn andere Leute diese besonderen Bilder sahen.

Da hatte ich immer das Gefühl einen Teil von mir zu verraten. Deshalb hatte ich auch eigens für diese Bilder eine kleine Galerie neben meinem Zimmer anlegen lassen.

„Wow, wo hast du gelernt so zu malen und was bedeuten die Schriftzeichen? Es passt irgendwie nicht so ganz zu dem Rest. Ich mein nichts gegen deine künstlerische Freiheit, aber „Fuck you“ um die zwei Personen zu schreiben ist doch etwas hart.“

Verwundert runzelte ich die Stirn und schaute zwischen Nadine und dem Bild hin und her, um mich zu vergewissern, dass ich mich nicht irrte.

„Äh Nadine, da steht nirgendwo „Fuck you“ geschrieben“, stellte ich klar.

„Doch klar siehst du es denn nicht?“, fragte sie und deutete direkt auf die mir unbekannten Wörter auf dem Bild.

Warum zur Hölle sah sie dort etwas anderes stehen, als ich?!

Sag ihr nicht, dass dort etwas anderes steht, als sie sieht! Sie wird es nicht sehen, sie ist nicht wie du, rettete mich die Stimme.

Überfordert folgte ich dem Rat und überspielte mit einem Lachen meine Nervosität. Es klang hohl und viel zu schrill, als dass man es für echt halten könnte.

„War nur ein Scherz, klar hab ich „Fuck you“ da drauf geschrieben, mir war einfach danach, gibt dem Bild eine gewisse Härte und das Malen hab ich mir selbst

beigebracht.“

Nadine nahm es mir trotzdem ab und für sie schien damit das Thema geklärt zu sein. Puh Glück gehabt.

Was hast du damit gemeint, dass Nadine nicht so ist wie ich? Klar ich bin in manchen Dingen etwas speziell, aber ich bin trotzdem ein Mensch, wandte ich mich an die Stimme in der Hoffnung, dass sie antwortete.

Und tatsächlich ließ sie mich nicht allzu lange warten.

Glaubst du wirklich, dass du mit solchen ungewöhnlichen Fähigkeiten immer noch ein Mensch bist?

Mein Puls rauschte ohrenbetäubend laut in meinen Ohren.

Scheiße, was hatte sie da gerade gesagt?!

Schnell versteckte ich meine Hände in den Taschen meines Cardigans, damit Nadine nicht bemerkte, wie sie zitterten.

Du hast schon richtig gehört Liz, du bist kein Mensch, bestätigte sie mir das, was ich einfach nicht glauben konnte, nicht glauben wollte.

Dumme Neugierde, schallte ich mich selber, warum konnte ich nicht einmal die Klappe halten?

Was war, wenn die Stimme Recht hatte? Was war, wenn ich wirklich kein Mensch war? machten sich bereits erste Zweifel breit.

Meine arme Lippe musste unter meinen Launen leiden, doch ich spürte den Schmerz nicht. Meinen Gedanken galt meine volle Aufmerksamkeit.

Nein, das konnte einfach nicht sein, was sollte ich den Bitteschön sonst sein? Ein Alien? Dass ich nicht lache, versuchte ich mich halbherzig abzulenken.

Ich war ein Mensch, Schluss, Punkt!

 

***

 

Die Stunde zog an mir vorbei, während ich Nadine mit einem Ohr zuhörte.

Glücklicherweise gab sie sich mit einem kurzen Nicken zwischendurch zufrieden und ließ mich sonst in Ruhe. Ab und zu warf sie mir einen sorgenvollen Blick zu, fragte aber nicht weiter nach. Für Außenstehende wirkte ich wahrscheinlich ziemlich verstört mit den weit aufgerissenen Augen und der starren, verkrampften Haltung.

Nadines Erzählungen wurden plötzlich von der Lehrerin unterbrochen, die an unseren Tisch gekommen war.

„Du meine Güte Liz, das ist ja ein wirklich gelungenes Bild! Auch wenn ich es etwas bedauere, dass du es mit diesem wüsten Kraftausdruck, betitelt hast.“

Sie konnte es auch nicht sehen.

Verdattert brachte ich nur ein Nicken zustande.

„Es würde sich perfekt in der Kunstausstellung, die jedes Jahr von unserer Schule veranstaltet wird, machen. Andere Schüler von verschiedenen Schulen werden auch daran Teilnehmen und das beste Bild bekommt einen Preis“, Verkündete sie fröhlich.

„Das wäre doch super Liz, so eine Chance bekommt nicht jeder und es werden auch viele Kunstkritiker da sein“, wandte Nadine ein, die meine leisen Zweifel anscheinend sah.

Ob das eine gute Idee war, wenn so viele Leute mein Bild sehen würden.

Bei meinen anderen Bildern war es mir egal, aber bei denen, die nicht wirklich ich gemalt hatte, hatte ich kein gutes Gefühl.

Ach was soll’s so eine Chance bekam ich wirklich nicht alle Tage und wenn alle Leute nur das „Fuck you“ sahen sollte es mich nicht weiter stören.

„Ok“, willigte ich ein, was bei der Lehrerin für Hochstimmung sorgte.

„Bring es einfach nächste Woche Montag vor dem Unterricht zu mir, dann kann ich es schon mal in eine Vitrine stellen“, meinte sie noch und ging dann wieder zu ihrem Pult.

Erneut betrachtete ich das Bild und überlegte wer wohl die männliche Person neben meinem zweiten Ich war. Das Mädchen, das ich so oft gemalte glich mir wie ein Zwilling dem anderen, nur dass meine Tattoos nicht blau leuchteten und ich nicht so viele hatte.

Stechend grün-blaue Augen erschienen wieder in meinem Kopf und ich hätte meinen können wieder dieses kurze Aufflackern von blauen Blitzen in seinen Pupillen sehe zu können.

Ja Raphael geisterte mir auch noch im Kopf herum. Ein kleines Lächeln schlich sich bei dem Gedanken an diesen vollkommenen Jungen auf mein Gesicht. Sobald ich es bemerkte, verfinsterte sich mein Gesicht.

Er ist ein Kerl, mehr als ein bisschen Spaß ist nicht drin, oder willst du, dass er das beendet, was Jason begonnen hatte, erinnerte ich mich.

„Was ist den mit dir los? Erst grinst du fröhlich und dann von einer Sekunde auf die Andere schaust du wie ein begossener Pudel“, fragte mich Nadine verwundert.

In 5 Minuten würde es zur Pause klingeln.

Kurz überlegte ich, ob ich ihr wirklich von meiner Begegnung mit Raph erzählen sollte, entschied dann aber, dass sie vertrauenswürdig war.

„Ich hab, als ich nach der Pause zu Kunst gelaufen bin einen Jungen kennen gelernt. Du musst wissen, ich hab nicht wirklich schöne Erfahrungen mit dem männlichen Geschlecht gemacht und jetzt gehen mir seine beschissenen Augen einfach nicht mehr aus dem Kopf“, fluchte ich leise.

Meine Hand hatte sich zur Faust geballt, am liebsten würde ich auf irgendwas einschlagen.

Ich hatte nicht vorgehabt mich so in Rage zu reden, aber jetzt konnte ich meine aufkommende Wut nicht mehr stoppen.

„Warum gibt es überhaupt Männer? Das einzige wozu sie in der Lage sind ist uns zu schwängern! Ihr scheinheiliges Getue kotz mich so an! Kerle können nicht mal lieben, geschweige denn treu sein. Sie lassen dich glauben etwas Besonderes zu sein, die Einzige, nur um dich dann sitzen zu lassen, zu verletzen und wie den letzen Dreck zu behandeln! Und dieser Raphael ist das beste Beispiel von einem gefühlskalten Arschloch. Solche Leute ändern sich nie“, machte ich meiner Wut luft. Puh, das hatte gut getan. Langsam atmete ich ein und aus um mein erhitztes Gemüt wieder zu beruhigen.

Das schlimmste erwartend schaute ich vorsichtig zu Nadine. Ihre großen Rehaugen schauten mich geschockt an. Ihr Lächeln war verschwunden und die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.

„Hey Nadine, alles ok? Tut mir leid, dass ich so ausgerastet bin, ich wollte dich nicht erschrecken.“

Sie atmete ein paar Mal tief durch und schloss mich dann in eine feste Umarmung. Perplex betrachtete ich die bronzene Mähne in meinen Armen und erwiderte zögerlich ihre Umarmung. Wärme breitet sich in meiner Mitte aus. Ich hatte alles erwartet, wirklich alles, aber das hatte mich total aus der Bahn geworfen.

Vorsichtig, als könnte ich jeden Moment zerbrechen, entließen mich ihre Arme. Voller Sorge schaute sie mich an.

„Ich weiß zwar nicht, was dir damals passiert ist und du musst es mir auch nicht erzählen, wenn du nicht willst, aber wenn was sein sollte, kannst du immer zu mir kommen, ok?“

Berührt von ihren Worten konnte ich nur nicken. Ein großer Knoten hatte sich in meinem Hals gebildet. Sobald ich den Mund aufgemacht hätte, wäre ich wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen. Noch nie hatte mir jemand so bedingungslos seine Hilfe angeboten.

„Aber eins musst du mir versprechen. Lass dich bitte nicht auf Raph ein, er wird dich verletzen, er hat bisher alle Mädchen benutzt und weggeworfen, ich will nicht dabei zusehen müssen, wie du daran kaputt gehst!“

Ich war wie versteinert und ein stechender Schmerz breitete sich in meiner Brust aus.

Warum fühlte ich so? Raph war mir egal, das war nur eine Bestätigung von dem, was ich bereits wusste. Er war wie alle Kerle, vielleicht sogar noch schlimmer. Warum konnte es mir nicht egal sein was er alles mit anderen Mädchen anstellte, ärgerte ich mich.

Ich ignorierte das schmerzhafte Ziehen in meiner Brust und redete mir weiter ein, dass er mir egal war, was ja auch stimmte.

„Versprochen und auf so einen Macho hätte ich mich sowieso nicht eingelassen, mal abgesehen davon, dass ich nicht vorhabe die nächsten Jahre irgendwas, was über kutschen hinausgeht mit einem Kerl zu machen“, erklärte ich ihr ernst, „und so schnell bin ich nicht rumzukriegen, dieses Spiel wird er nicht gewinnen.“

„Na gut, aber wenn er dir auch nur ein Haar krümmt, kann er was erleben“, beteuerte sie.

Ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen und auch Nadine grinst mich wieder so glücklich wie eh und je an.

Ich klemmte mir die trockene Leinwand unter meinen freien Arm, als es gongte und schlenderte mit Nadine in Richtung Pausenhof.

Die Sonne hatte weiter an Kraft gewonnen und die meisten Schüler hatten sich dazu entschieden sich wie Steaks auf dem Grill braten zu lassen.

Nadine zog mich an den Rand zu ein paar Stufen, auf denen wir es uns bequem machten. Das überdreht fröhliche Stimmengewirr war kaum zu ertragen und der Umstand, dass Raph wie ein perfekter Eisengel mitten im Pausenhof stand, half nicht dabei meine Laune zu bessern. Seine helle, so zerbrechlich wirkende Haut, schimmerte in der Sonne wie glatter Marmor.

Mit eiskalter Mine betrachtete ich die Person, die alles durcheinander gebracht hatte.

Warum konnte ich nicht einmal Glück haben, verfluchte ich mein Leben.

Nadine folgte meinem Blick und runzelte die Stirn.

„Warum ignorierst du ihn nicht, wie alle anderen auch?“, fragte sie mich.

Gute Frage. Warum ihn nicht einfach ignorieren? Ich würde ja gerne, aber meine

Stimme, ein Teil von mir, hatte sich in den Kopf gesetzt Raph eine Chance zu geben.

Wie kannst du nur so naiv sein und glauben, dass er anders ist, wies ich die Stimme zurecht.

Ganz einfach! Weil er so ist wie du, naja nicht ganz, aber doch ziemlich ähnlich. Ich weiß wie sehr wir gelitten haben, aber hör einmal auf mich!

Sollte sie sich ihre Märchen doch sonst wo hin stecken!

Schnaubend wandte ich mich an Nadine, die mich immer noch fragend ansah.

Wie sollt ich ihr das sagen ohne, dass sie mich für verrückt hielt.

„Ich würde ihn ja gerne ignorieren, aber ein Teil von mir lässt das einfach nicht zu“, beschrieb ich es.

Wer bist du überhaupt, dass du mir vorschreibst, was ich tun soll und was nicht?!

Das wirst du schon noch früh genug erfahren, es reicht, wenn du weißt, dass ich ein Teil von dir bin.

Tolle Antwort, hilft mir wirklich sehr weiter, gab ich verärgert zurück.

Doch die Stimme hatte sich wieder zurückgezogen. Feigling. Eigentlich mochte ich sie ja, aber in der Hinsicht auf diesen Schleimbolzen Raphael, gingen unsere Meinungen deutlich auseinander.

Eine kühle Brise umwirbelte uns und kühlte unsere aufgeheizte Haut.

„Hast du noch Geschwister?“

Anscheinend hatte Nadine beschlossen das Thema einfach zu meiden. Mir sollte es Recht sein.

„Ja einen kleinen Bruder, er heißt Rick“, antwortete ich ihr, dankbar für den Thema Wechsel.

„Das ist voll cool, ich wünschte ich hätte auch Geschwister, aber dafür hab ich ja meinen Hund Charlie.“

„Glaub mir manchmal hätte ich lieber einen Hund als einen kleinen Bruder“, schmunzelte ich.

Wir plauderten noch eine Weile, bis ich, während einer von Nadines ausschweifender Geschichten, gedanklich abdriftete.

Verärgert erwischte ich mich immer wieder dabei, wie ich mich ab und zu Raph drehte und ihn musterte.

Was hatte die Stimme noch mal gesagt? Er soll so ähnlich sein wie ich?

Sofort verwarf ich den Gedanken wieder und lächelte Nadine zu, damit sie nichts bemerkte.

Ich beobachtete, wie sein Blick verächtlich über die Leute um ihn herum glitt. Er hielt sich wohl für was Besseres. So ein Arsch. Wütend kniff ich meine Augen zusammen.

Genau in dem Moment blieben seine Augen bei mir hängen.

Provokant schoss meine rechte Augenbraue in die Höhe. Doch meine Lippen entwickelten bei seinem Anblick auf einmal ein Eigenleben und verzogen sich zu einem breiten Grinsen.

Verflucht, was soll das! Hört sofort damit auf, befahl ich meinen Lippen.

Doch es war schon zu spät er hatte es gesehen und lächelte, zu meiner

Überraschung, sogar ehrlich zurück.

Vor Schreck entglitt mir mein sorgsam aufgesetztes Pokerface und wich ehrlichem

Erstaunen. Mein Mund hatte sich zu einem perfekten „o“ geformt. Genauso gut hätte man mir sagen können, dass es wirklich Marsmännchen gab.

Wie machte er das nur? Mich mit einem einzigen Lächeln zu entwaffnen?

Peinlich berührt spürte ich, wie eine leichte Röte in meine Wangen stieg. Schnell entzog ich mich dem Bann seiner grün-blauen Augen.

Wer zur Hölle war Raph?

Ich hatte keine Antwort erwartet, doch als nicht mein anderer Teil, sondern die Frauenstimme antwortete, sog ich scharf die Luft ein.

„Alles klar?“

„Ja, ich hab nur gerade vergessen…ähm…,dass wir zuhause nichts mehr zu essen haben“, erfand ich schnell eine Ausrede.

Te arma Zylokaner Kyna taza, flüsterte sie weise.

Was soll das bitte heißen? Du sprechen Deutsch, fragte ich patzig. Ich hatte keine Lust auf eine ewige Diskussion.

Te arma Zylokaner Kyna traza.

Genervt verdrehte ich die Augen, so viel dazu es auf Deutsch zu versuchen.

Damit war die Diskussion für die Stimme in meinem Inneren wohl beendet.

Hey, Moment mal! Das gleiche steht doch auch auf meinem Bild, was hat es zu bedeuten?

Stille. Ich war zu spät, sie war schon verschwunden.

Enttäuschung seufzte ich auf. Soviel zu meinem Glück. Pechmarie lässt grüßen.

Steif vom langen Sitzen streckte ich meine Beine aus und genoss den letzten Augenblick in der Sonne. Die Pause war vorbei.

Ich würde es wohl oder Übel selbst herausfinden müssen, was der Schriftzug auf meinem Bild bedeutete.

Die Leinwand drückte sich beim Laufen in meine Seite, als wollte sie bekräftigen, dass der Spruch auf dem Bild und den auch die Stimme mehrmals gesagt hatte, etwas mit mir und Raphael zu tun hatte. Arma konnte vielleicht so etwas wie Liebe bedeuten, aber nie im Leben würde ich Raphael lieben! Das ergab alles keinen Sinn.

Erschöpft fasste ich mir an die Stirn. Ich hatte genug nachgedacht, beschloss ich und ließ mich neben Nadine auf meinem Platz nieder.

Der kleine blaue Vogel leistete mir vor dem Fenster Gesellschaft. Fast hätte ich damit gerechnet, wieder eine Botschaft von ihm zu erhalten, doch seine schwarzen Augen sahen mich nur wissend an.

 

Blue Fire

 

 

Endlich befreite mich die Schulglocke aus diesem Gefängnis, wie ich es insgeheim nannte, und alle stürmten hinaus ins Freie, als würde ihr Überleben davon abhängen.

Oh du süßer Duft der Freiheit, wie hab ich dich doch vermisst, dachte ich theatralisch und stellte mich lässig neben die Litfaßsäule, um auf meinen Bruder zu warten. Plötzlich machte sich ein stechender Schmerz in meinen Schläfen breit. Es fühlte sich an, als würden tausend kleine, heiße Nadeln in mein Gehirn stechen. Ich presste meine Hand vor den Mund, um den Schrei zu unterdrücken. Halt suchend spürte ich das raue Papier von Plakaten unter meiner zitternden Handfläche. Langsam flauten die Schmerzen ab, nachdem ich schnell mein Headset aufgesetzt und die Musik voll aufgedreht hatte. Erleichtert atmete ich auf. Das war knapp gewesen. Zum Glück hatte ich immer mein Handy und die Kopfhörer dabei, damit ich den vielen durcheinander schreienden Schülern nicht schutzlos ausgeliefert war.

Manchmal war mein Gehör ja gut, aber wenn ich die Stimmen von hundert Schülern um mich herum wahrnahm, hatte ich das Gefühl mein Kopf würde platzen.

Trauben von Schülern versuchten sich durch den viel zu kleinen Eingang raus zu quetschen und alle wuselten durcheinander mit dem Ziel so schnell wie möglich nach Hause zu kommen.

Bushidos Texte schwirrten in meinem Kopf und ich konnte den Drang mich der Musik hinzugeben und zu Tanzen gerade noch unterdrücken.

 

Und wenn sie meinen du stehst nie wieder auf, dann lass sie reden Junge.

Zeig ihnen das ist dein Traum du wirst ihn Leben

und beweis diesen Leuten, die niemals an dich geglaubt haben,

das was sie haben kannst du auch haben.

Denn wenn sie meinen du hast hier nichts verloren,

zeig es ihnen, zeig es allen keiner hält dich mehr auf.

Komm lass dich fallen, heb den Kopf und blick einfach nach vorn

und jetzt versuchs, ich sag versuchs, aber glaub mir alles wird gut!

 

Das Lied ermutigte mich immer wieder und half mir all die verrückten und schlechten Sachen in meinem Leben zu vergessen.

Langsam verebbte der Schüleransturm, doch immer noch war kein Rick in Sicht.

Konnte er nicht einmal pünktlich sein? Schließlich entdeckte ich seinen braunen Lockenschopf in der Mitte von zwei Mädchen.

„War ja klar“, murmelte ich Augen verdrehend.

Rick zog Mädchen wie ein großer Magnet magisch an und er nutze seine Chancen auch.

Früher war ich auch so gewesen. Ein Magnet, eine Sonne die hell strahlte und in deren Anwesenheit jeder schmolz.

Nachdenklich beobachtete ich Rick, wie er die Aufmerksamkeit der zwei Mädchen genoss und unbekümmert Lachte. In gewisser Weiße konnte ich sie verstehen. Mein Bruder war wirklich hübsch und seit dem er letzten Sommer angefangen hatte zu trainieren zeichneten sich deutliche Armmuskeln unter seinem T-Shirt ab.

Langsam wendete ich mich ab und machte mich auf den Weg nach Hause.

Rick würde wahrscheinlich erst spät Nachmittag von seinem kleinen Ausflug zurückkehren.

Vereinzelt begegneten mir Schüler, doch die Musik ließ mich in einem dichten Nebel versinken.

Völlig in den Text vertieft murmelte ich leise mit, als ich plötzlich gegen eine weiche Wand lief und taumelte. Man ich musste wirklich mal aufpassen, wo ich hinlief! Ich war direkt in einen Jungen hineingelaufen. Meine Kopfhörer waren durch den Aufprall herausgerutscht und nur noch ein leises brummen der Bässe war zu hören. Mein Bild war glücklicherweise verschon geblieben.

„Tut mir leid, ich hab dich gar nicht gesehen“, entschuldigte ich mich unbeteiligt und blickte in zwei braune Augen.

„Kein Ding, kann ja mal passieren“

Freundlich lächelte ich und wollte mich gerade wieder in Bewegung setzten als er mir einen Flyer in die Hand drückte. Huch ich hatte gar nicht gemerkt, dass er Flyer verteilte.

„Wenn du Lust hast komm am Samstag auf Bennos Party, mit einer Schönheit wie dir kann man bestimmt viel Spaß haben“

Ich könnte Kotzen, wie ich solche lahmen Anmachsprüche hasste. Typisch Junge mich nur auf mein Äußeres zu reduzieren.

„Pass auf, was du sagst, sonst tritt dir die Schönheit gleich in deinen arroganten Arsch, dann kannst du deine Schleimspur woanders verteilen“, presste ich hervor und legte einen Filmreifen Abgang hin.

Vielleicht hatte ich etwas überreagiert, aber er hatte es nicht anders verdient und so ein kleiner Dämpfer konnte seinem Ego auch nicht schaden, meinte ich achselzuckend.

Unbewusste hatte ich den Flyer in meiner Hand zu einem knittrigen Ball verarbeitete. Vorsichtig faltete ich ihn auseinander und las ihn durch.

Poolparty. Aha.

Ich konnte mir das Desaster schon genau vorstellen. Gaffende Jungs in Badeshorts, die wie unterentwickelte Primaten die Mädchen mit ihren billigen Anmachsprüchen umgarnen würden. Natürlich wäre auch eine Menge Alkohol im Umlauf sein und zwischen betrunkenen Paaren, tanzenden, völlig überdrehten Jugendlichen und eingebildeten VIP-Gästen würde ich mich wie ein schwarzes Schaf fühlen.

Es war nicht so, dass ich mich für etwas Besseres hielt, die ganze Party Sache war einfach nicht mehr mein Ding und erinnerte mich zu sehr an meine Vergangenheit.

Ich konnte nur hoffen, dass Nadine nichts von Bennos Party wusste, ansonsten würde ich höchstwahrscheinlich an diesem Fiasko teilnehmen müssen.

Müde trat ich in den Hausflur und warf meine Tasche in eine Ecke. Ich würde sie später mit hoch nehmen, jetzt musste ich erst mal was in den Magen kriegen.

Auf der Suche nach etwas Essbarem durchwühlte ich das Kühlregal und entschied mich dann für ein paar Frühlingsrollen, die ich nur noch in den Ofen schieben musste.

Ja ja, ich weiß Fastfood ist nicht gesund, aber jetzt noch kochen? Bis ich fertig wäre, wäre ich schon längst verhungert und schmecken würde es am Ende wahrscheinlich auch nicht. Ihr müsst wissen meine Kochkünste waren nicht gerade der Hit.

Pfeifend lief ich die Treppe hoch in mein Reich. Das Bild, das ich in der Schule gemalt hatte, lehnte ich gegen die Wand.

Die Gegenüberliegende Seite von meinem Zimmer war komplett verglast und konnte nur von einem leichten pastellrosa Vorhang bedeckt werden. Von meinem großen Doppelbett aus, das eher wie eine große, flauschige Wolke erinnerte, konnte ich den Sonnenuntergang beobachten. Die Nachmittagssonne erwärmte den Raum, doch ich hatte keine Augen für das schöne Landschaftsbild, das sich mir bot. Ich bahnte mir einen Weg durch die cremfarbenen Kissen auf meinem Bett direkt auf eine unscheinbare Tür an der linken Wandseite zu. Sie lag leicht versteckt hinter meiner heiß geliebten Palme und meinen bequemen Ledersesseln und einem kleinen Sofatisch.

Das glatte Metall schimmerte kühl auf den weiß getünchten Wänden ab.

Neben der Tür war ein kleines Display eingelassen, in den ich eine Zahlenkombination eingab. Die Tür reagierte augenblicklich mit einem leisen Klicken. Erfrischend kalte Luft empfing mich und ließ meinen Körper vor Vorfreude erschaudern. Gierig sog ich den Duft von getrockneter Farbe und das Gefühl endlich nach Hause zu kommen beruhigte meine angespannten Nerven.

Es hatte mich große Überzeugungskraft gekostet meine Mutter dazu zu überreden, neben meinem Zimmer einen Raum extra für meine Bilder zu bauen. Doch es hatte sich definitiv gelohnt.

Ich war immer wieder überwältigt von der knisternden Atmosphäre, die in meiner kleinen Galerie herrschte. Die Wände waren fast vollkommen bedeckt von meinen besonderen Bildern, die ich in zeitlicher Reihenfolge aufgehängt hatte. Auf dem Boden lag ein kuscheliger dunkelroter Teppich mit zwei weißen Kissen.

Ich musste wieder an die Worte denken, die mir der kleine Vogel übermittelt hatte, was hat er noch mal gesagt?

Irgendetwas von einer Suche und ‚Blue Fire’. Es half alles nichts ich erinnerte mich nicht mehr.

Verdammt Liz, warum hast du es dir denn nicht gemerkt?!, schallte ich mich selbst.

Wütend stapfte ich wieder ins Zimmer um mein Bild zu hohlen.

Ich war gerade dabei das Bild an der Wand zu befestigen, als ich, wie vom Blitz getroffen, zusammenfuhr. Wie konnte ich das nur vergessen? Ich hatte es mir ja aufgeschrieben.

Dummerweise bekam so mein Daumen durch den Ruck den harten Hammer zu spüren, der eigentlich ein Date mit dem Nagel hatte.

„Shit!“, entfuhr es mir.

Mein Daumen pulsierte schmerzhaft in meinem Mund, während ich ungeschickt versuchte so schnell wie möglich die Treppe runter zu kommen.

Mein Herz pochte aufgeregt. Vorsichtig, als könnte das Stück Papier in meinen zitternden Händen jeden Moment zu Asche zerfallen, trug ich es nach oben.

Erst als ich den weichen Boden des Teppichs unter mir spürte, entspannte ich mich ein wenig. Das einzige Geräusch war die einrastende Tür. Dunkelheit umhüllte mich.

Man konnte nicht mal die Hand vor Augen sehen, doch sobald ich den kleinen Knopf neben der Tür drückte, begannen unzählige kleine Lichter an der Decke zu funkeln.

Vergessen war der pochende Daumen und der anstrengende Tag.

Ich machte es mir auf den Kissen bequem und flüsterte ehrfurchtsvoll den Text auf dem geknickten Blatt Papier.

 

Ich schlummere verborgen allein in dir.

Suche ohne zu suchen,

Vergesse dich selbst,

Dann wirst du dich finden,

Blue Fire, was dich erhellt.“

 

Gespannt lauschte ich in die Stille. Doch das einzige, was zu hören war, war mein beschleunigter Herzschlag. Schnell atmete ich aus, ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte.

Ich starrte die Sterne über mir an, als würden sie mir die Lösung zuflüstern können.

Etwas schlummerte in mir, das verstand ich ja noch und ich sollte mich finden.

Aber wie bitte sollte ich das anstellen ohne dabei zu suchen?! Frustriert boxte ich in das Kissen neben mir.

Verdammt was sollte das alles? Ich hatte doch auch keine Ahnung, was das alles hier sollte. Niemand hatte mich je gefragt, ob ich das auch wollte.

Prickeln zog sich eine Hitzewelle von meinen Fingern bis hin zu meinen Zehen.

Ich war wütend. Auf wen wusste ich nicht.

Auf Gott? Auf meine Eltern? Auf mich? Irgendjemand musste ja dafür verantwortlich sein, dass seit heute nur seltsame Sachen mit mir abgingen!

Warum ich? Warum suchte MICH eine Stimme in meinem Kopf heim und kein anderes Mädchen?

Ich hatte es ertragen, dass mich alle ausgeschlossen hatten, ich hatte mich auch nach Jasons Mordanschlag wieder aufgerappelt, aber irgendwann war genug! Ich fühlte mich wie eine Fremde in meinem eigenen Körper. Nichts war mehr so wie vorher und dieser Mistkerl Raph sollte sich einfach aus meinen Gedanken verpissen.

Mit einem tödlichen Blick fixierte ich den Zettel, als wäre er an allem Schuld.

Mein Körper bebte vor Zorn und ich stand wie elektrisiert da.

„Du brauchst gar nicht so zu schauen!“, schrie ich das Mädchen auf den Bildern an.

War es denn so abwegig, dass ich auch einmal normal sein wollte?

Aber nein, eine Stimme in meinem Kopf musste mir andauernd unter die Nase reiben, dass ich ja so anders war, ja noch nicht mal mehr menschlich!

Pah, so ein Bockmist!

Wutentbrannt schrie ich auf und schlug mit aller Kraft auf das Plüschkissen ein.

Verzweifelt schluchzte ich auf. Ich wollte doch nur Stückchen Normalität in diesem ganzen Wahnsinn der sich mein Leben nannte!

Ein unbeschreibliches Gefühl fuhr wie ein Ruck durch meinen Körper, es war, wie eine Welle aus purer Energie. Mein Körper bebte wie unter Strom.

Erschrocken keuchte ich auf.

Es war, als hätte es auf einmal Klick gemacht. Ich spürte jeden noch so kleinen Teil

von mir, selbst das feine Kitzeln der Staubpartikel an meinen nackten Beinen nahm ich war. Es war unglaublich. Meine Bandbreite von dem was ich wahrnahm hatte sich wie ein Gummiband ausgedehnt.

Hunderte von Empfindungen stürmten auf mich ein. Überrumpelt taumelte ich nach hinten. Atmen war nicht mehr gleich atmen. Bei jedem Luftzug den ich tief in meine Lungen ein sog, filterte meine Nase die einzelnen Gerüche.

Der herbe Geruch von getrockneter Farbe reizte meine plötzlich so empfindlichen

Geruchsnerven und ich konnte den milden Geruch von Vanille und meinem Körpergeruch wahrnehmen. Verwirrt schüttelte ich meinen Kopf, als ich ein angenehmes Pulsieren in meiner geballten Faust spürte.

Mein Blick senkte sich langsam nach unten. Doch meine Neugier war größer, als die Furcht vor dem Unbekannten.

Erschrocken keuchte ich auf, als ich auf meine Faust herabsah.

„Ach du heilige Scheiße“, entfuhr es mir.

Blau leuchtende Funken hatten sich um meine geballte Faust gesammelt und zuckten aufgeregt, als würden sie erwarten, dass ich zum nächsten Schlag ansetze.

Doch meine Wut verpuffte wie eine Dampfwolke im Wind.

Unbewegt starrte ich die blauen Funken an, die sich nun zu Nebelartigen Schwaben formten und sich behutsam um mich legten. Ich wagte immer noch nicht mich zu bewegen. Mein Gedanken schwirrten wild durcheinander.

Wie war das möglich? War ich so erschöpft, dass ich mir das alles nur einbildete? –Nein, ich war zwar nicht normal, aber einbilden tat ich es mir bestimmt nicht!

Langsam öffnete ich meine verkrampfte Hand und beobachtete Fasziniert wie sich der blaue Schleier direkt um meine Finger legte.

Verwundert stellte ich fest, dass überall wo der blaue Nebel mich berührte eine wohlige Wärme entstand und ich von Kraft durchflutet wurde.

Ein Blick auf meine Unterarme bestätigte meine Vorahnung. Meine Tatoos strahlten blau. Wie bei dem Mädchen auf meinen Bildern. Geschockt sank ich auf meine Knie. Heiße Tränen der Verzweiflung fanden ihren Weg aus meinen weit aufgerissenen Augen. Als würde das blaue Licht meine Angst spüren fing es an zu pulsieren und unruhig Hin und Her zu schweben.

„Was bist du?“

Fast hätte ich eine Antwort erwartete, doch ich vernahm nichts außer meinem gepressten Atem.

Ich kam mir dumm vor, doch in so einer surrealen Situation hätte es wirklich sein können, dass der Nebel mir irgendwie geantwortet hätte. Er reagierte höchstwahrscheinlich auch auf meine Gefühle.

Einen Entschluss gefasst, atmete ich einmal tief durch und verbat mir mich weiter jämmerlich zu beweinen. Wir sind schon mit weitaus mehr fertig geworden, redete mir die Stimme gut zu. Vorsichtig erhob ich mich wieder. Mein klopfendes Herz gesellte sich zu dem laut rauschenden Puls in meinen Ohren.

Komm schon, du schaffst das! Ich kam mir leicht dämlich vor, doch falls ich Erfolg haben sollte, war mir nichts zu peinlich.

Bestimmt hob ich meine Arme und legte alle Kraft in meine Stimme.

„Sag mir was du bist!“

Fast wäre ich vor meiner eigenen Stimme zusammengezuckt. Das klang so gar nicht nach meiner hellen melodischen Stimme. Es erinnerte eher an die schneidende Stimme einer Befehlsgebenden Kommandantin. Kalt wie Eis, dennoch bedacht darauf niemanden in Gefahr zu bringen.

Doch anscheinend hatte es gewirkt, denn das Blaue Licht formte sich direkt vor meiner Nase zu verschwommenen Buchstaben. Mein Herz machte einen freudigen Hüpfer und zischend entließ ich die angehaltene Luft aus meinen schmerzenden Lungen.

Blue Fire

Blaues Feuer. Ein passender Name. Schmunzeln beobachtete ich wie sich die blauen Funken wieder zu einem nebelartigen Schleier verformte und wie kleine Flammen meine Arme und Beine entlang züngelten.

„Hallo Blue Fire, wir werden wohl noch öfter das Vergnügen haben“, flüsterte ich andächtig, fest davon überzeugt, dass mich die kleinen Flämmchen verstanden. Wie zur Bestätigung legten sie sich wie eine zweite Haut an mich.

Wie hatte ich vorher nur Angst haben können? Es war einfach nur berauschend, ich konnte regelrecht spüren wie die Energie durch jede einzelne meiner Blutgefäße schoss.

Gerade setzte ich an noch eine Frage an Blue Fire zu stellen, als mich das schrille Läuten unserer Klingel zusammen zucken ließ. Für einen kurzen Moment verlor ich die Konzentration und beobachtete schockiert wie die blauen Flammen immer kleiner wurden und schließlich einfach erloschen. Schmerzvoll keuchte ich auf. Kaltes Eis kroch durch meine Adern und zischend gefror die Kraftgebende Lava in meinem Körper. Meine Glieder fühlten sich taub und schwer an. Alle Kraft war verschwunden. Auch meine Bandbreite von dem, was ich wahrnahm war wieder auf die ursprüngliche Menge reduziert worden. Ein dünner Schweißfilm hatte sich auf meiner Stirn gebildet.

Hoffentlich musste ich diese Tortur nicht jedes Mal ertragen!

Taumelnd schaute ich mich um. Alles sah so aus wie vorher und nichts ließ darauf schließen, dass bis vor ein paar Sekunden noch blaue Flammen um mich herum geschwebt war.

Worein war ich da bloß geraten?

Du bist kein Mensch Liz, du bist anders, etwas besonderes!

Mein Herz rutschte mir in die Hose und ein mulmiges Gefühl ergriff mich.

Zum Glück hatte ich keine Zeit mehr, um abermals über die Aussage der Stimme nachzudenken, da mich das penetrante Läuten an, die vor der Tür wartende, Person erinnerte.

„Ich komm ja schon!“, schrie ich aufgebracht. Genervt verdrehte ich die Augen und versuchte die Taubheit aus meinen Körperteilen zu verscheuchen. Nachdem ich wie unter spastischen Zuckungen durchs Zimmer gehüpft war, war ein leichtes Kribbeln das Einzige, was noch von der lähmenden Taubheit übrig war.

Fürs Erste würde alles übernatürliche warten müssen, beschloss ich und beeilte mich der ungeduldigen Person die Tür zu öffnen.

 

Every story has a beinning

 

„Na endlich! Ich dachte schon ich würde hier draußen verhungern“, begrüßte mich ein genervter Rick.

Überrumpelt konnte ich ihm gerade noch ausweichen, als er sich an mir vorbei drängte.

Was war dem denn über die Leber gelaufen?

Schulter zuckend schob ich es auf seinen Hunger, es war ja immerhin schon viertel nach drei, wie ich erschrocken feststellte.

Mein knurrender Magen erinnerte mich daran, dass auch ich etwas zu essen gebrauchen könnte.

„Was riecht hier denn so verbrannt?“, ertönte Ricks laute Stimme.

Verwundert runzelte ich meine Stirn und reckte meine Stupsnase prüfend in die Luft.

Tatsächlich ein beißender Rauchgeruch lag in der Luft. Den hatte ich in der Hektik überhaupt nicht wahrgenommen.

„Verdammt Liz, ich hab dir doch schon tausend Mal gesagt, dass du nicht Kochen sollst! Willst du uns alle vergiften oder was?“

Alarmiert folgte ich der wütenden Stimme in die Küche.

Zerknirscht beobachtete ich wie dicke Rauchschwaden aus dem Ofen quollen und an die Decke stiegen.

„Ich hab nicht gekocht!“, verteidigte ich mich trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust, „auf der Verpackung stand, dass man sie einfach in den Ofen tun sollte.“

Der beißende Rauch trieb mir Tränen in die Augen und meine Lungen lechzten nach Sauerstoff.

Während ich die großen Fenster weit aufriss und die frische Luft in meine Lungen pumpte, kämpfte sich Rick zu den Frühlingsrollen vor. Oder besser gesagt, was davon noch übrig war.

„Was auch immer das war, kein Essen hat es verdient auf so grausame Weiße zu sterben“, betrauerte mein Bruder die schwarzen Klumpen auf dem Blech.

„Jetzt übertreib mal nicht! Man muss nur die verbrannte Kruste abkratzen und mit ein bisschen Ketchup geht das schon“, wandte ich angesäuert ein.

Rick musterte erst die schwarzen Brocken und dann mich mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Ein echter Mann hätte keine Probleme damit“, zog ich mein Ass aus dem Ärmel, „aber ist schon in Ordnung, du bist ja noch ein Junge, ich mach dir was anderes, Kleiner.“

Genüsslich beobachtete ich, wie sich seine Mine immer mehr verfinsterte.

Es war einfach zu lustig, wie er wieder und wieder darauf reinfiel und sich in seinem Männerstolz beleidigt fühlte. Ein kleines Grinsen huschte über mein Gesicht, als er sich wie ein kampflustiger Hahn vor mir aufplusterte.

Als könnte mein kleiner Bruder mir Angst machen.

„Was gibt’s denn da zu lachen? Ich bin tausend Mal männlicher, als jeder andere auf der Schule!“, baute er sich wütend vor mir auf.

Um mir zu beweisen, dass er kein kleiner Junge war, schnappte er sich eine verkohlte Frühlingsrolle und bis mit zu Schlitzen verengten Augen hinein.

Sein Mund verzog sich zu einem schmalen Strich und ich konnte sehen, wie er versuchte den aufkommenden Würgereiz zu unterdrücken.

Prustend hielt ich mir den Bauch.

„Du…du bist schon wieder darauf hereingefallen“, brachte ich unter Lachkrämpfen hervor.

Sein verdutzter Blick trieb mir die Lachtränen in die Augen.

Er hatte doch tatsächlich diesen verkohlten Brocken gegessen, wie leicht er doch zu provozieren war.

Ich konnte förmlich die Glühbirne sehen, die über seinem Kopf aufleuchtete, als er begriff.

Beleidigt verschränkte er die Arme vor der Brust und versuchte mich mit seinen Blicken aufzuspießen.

„Wird es nicht langsam langweilig?“

„Es ist einfach zu komisch“, kicherte ich und ahmte ihn übertrieben nach, indem ich meine Brust rausstreckte und mich vor ihm aufbaute.

Mit verstellter Stimme raunte ich ihm zu:

„Ich bin ein echter Mann, ich esse auch verkohlte Klumpen.“

Obwohl Rick mit seinen 14 Jahren zwei Jahre jünger war als ich, überragte ich ihn nur um einige Zentimeter.

„Und jetzt machst du uns was zu essen, damit wir nicht an einer Lebensmittelvergiftung krepieren“, schlug ich versöhnlich vor und strich ihm durch seinen Lockenschopf.

Er versuchte seine wütende Mine beizubehalten, aber seine Augen verrieten ihn.

Sie funkelten mich belustigt an.

„Ich deck schon mal den Tisch“, murmelte ich immer noch mit einem fetten Lächeln im Gesicht, während ich zwei Teller aus dem Schrank räumte und in Richtung Wohnzimmer ging.

Der große Raum erstreckte sich länglich und war in frischen grün Tönen gehalten. Im hinteren Bereich stand Mamas ganzer Stolz, eine Designer Ledercouch, die sie in den USA erstanden hatte. Sie liebte allgemein Leder und hatte sich sofort in das Modell verliebt. Das kühle schwarz des Plasma Fernsehers war ein krasser Kontrast zu der strahlend weißen Wand, an der er angebracht war. Sonst waren alle Wände in ein leichtes hellgrün getaucht.

Versonnen widmete ich mich dem rustikalen Tisch aus heller Buche. Schnell war der Tisch gedeckt. Die Sonnenstrahlen, die durch die verglaste Tür der Terrasse schienen, kitzelten auf meiner Nase.

Rick würde noch eine Weile mit dem Essen brauchen, entschied ich und trat an die frische Luft.

Erleichtert seufzte ich auf, als meine nackten Füße die aufgewärmten Steinplatten berührten. Ein angenehmer Schauer lief mir den Rücken hinunter. Um mich herum war nur das Rascheln der Blätter im Wind zu hören. Friedlich lag der Garten mit seinen großen, knorrigen Kirschbäumen, deren Arme kühlen Schatten spendeten, und den vielen bunten Blumen vor mir. Mum hatte sich wirklich Mühe gegeben, es so wohnlich wie möglich für uns zu machen.

Wehmütig beobachtete ich die kleinen Vögel, die es sich in dem Geäst gemütlich

gemacht hatten. Sie konnten einfach weg, hoch hinaus fliegen, wenn es ihnen an

einem Ort nicht gefiel. Was hätte ich nicht alles darum gegeben, damals auch weg fliegen zu können.

Nein! Falsche Richtung Liz, mahnte ich mich selber.

Du bist kein bescheuerter Vogel und deine Vergangenheit kannst du auch nicht ändern!

Mit gestraften Schultern setzte ich mich langsam in Bewegung. Sanft kitzelten die einzelnen Grashalme meine Fußsohlen und ließen mich unfreiwillig aufkichern.

Meine helle Stimme durchbrach die Stille und ließ den Vogelchor aufhorchen.

Ein besonders vorwitziges Exemplar ließ sich auf meiner Schulter nieder und begleitete mich auf meinem Weg zu meiner großen Hängeschaukel, die zwischen zwei Bäumen gespannt war. Der feste Stoff gab unter meinem Gewicht leicht nach und straffte sich merklich. Vorsichtig um den kleinen Vogel nicht zu verscheuchen legte ich mich hin. Doch dieser hatte anscheinend nicht vor, so schnell zu verschwinden. Sein blaues Gefieder glänzte schillernd im Licht.

„Na, was bist du denn für einer“, fragte ich amüsiert.

Irritiert legte er sein kleines Köpfchen leicht schräg und guckte mich aus schwarzen Augen an.

Berühr ihn!

Mein Herz setzte aus, nur um dann doppelt so schnell weiter zu schlagen.

Vor Schreck wäre ich beinahe aus der Hängematte gefallen. Zum Glück verhinderten meine schnellen Reflexe mein Date mit dem Boden.

Wütend krallte ich mich in dem Stoff fest, sodass meine Knöchel weiß hervorstanden.

Konnte man denn nicht einmal seine Ruhe haben?!

Der kleine Frechdachs hatte anscheinend beschlossen die Sache selber in die Hand zu nehmen und hüpfte selbstbewusst auf meine Gesicht zu.

Mein Atem ging stockend und die schwarzen Augen, die ich mittlerweile nur noch verschwommen wahrnahm zogen mich in seinen Bann.

Als sein spitzer Schnabel meine Nase berührte durchfuhr mich ein Ruck und vor meinen Augen sah ich nichts, als dicke weißen Nebelschwaden, die alles verschluckten.

Verdammte Kacke, was war hier los?

Ein beengendes Gefühl schnürte mein Herz ein und kroch von dort aus durch meinen ganzen Körper.

Nur langsam lichteten sich die dichten Schwaben, doch was ich nun sah, beziehungsweiße nicht sah, ließ mich entsetzt aufschreien. Ich saß nicht mehr in der Hängematte und weit und breit war kein einziger Baum zu sehen.

Ein pochender Schmerz lenkte meine Aufmerksamkeit von der fremden Umgebung ab. Spitze Steine und der raue Untergrund wetzten Hautfetzen von meinen nackten Füßen. Zitternd biss ich mir auf die Unterlippe und versuchte ein Keuchen zu unterdrücken.

Wo war ich hier nur gelandet?

Fröstelnd rieb ich mir meine Arme und schlang meinen kuscheligen Cardigan enger um meinen bebenden Körper, um der eisigen Kälte zu trotzen. Doch mit meiner kurzen Jeanshose hatte ich den Temperaturen nicht viel entgegen zu setzten.

Wut kochte in mir auf und riss alles wie ein gewaltiger Vulkanausbruch mit sich.

„So ein Mist, warum passiert so was immer mir?“, fluchte ich laut und stampfte kräftig auf.

Schmerzerfüllt schrie ich auf. Ein spitzer Stein hatte sich durch mein Auftreten in

meinen linken Fuß gebohrt. Humpelnd tastete ich mit meinen Händen nach irgendwas, was mir Halt geben könnte.

Das klappern meiner Zähne war das einzige Geräusch in der Dunkelheit.

Wie sehr wünschte ich mir die warmen Sonnenstrahlen jetzt auf meiner Haut zu spüren. Eine kleine Träne fand ihren Weg aus meinen nassen Augen und rollte wie brennendes Feuer meine Wange hinunter.

Zum Glück ertastete meine zitternde Hand in dem Moment eine massive Steinwand.

Verwirrt runzelte ich meine Stirn, wo zur Hölle war ich?

Mein schmerzender Fuß erinnerte mich jedoch daran, dass es erst Mal wichtigeres zu klären gab.

Vorsichtig lehnte ich mich an die Wand und versuchte in dem schummrigen Licht den Stein aus meinem Fuß zu ziehen.

All meine Muskeln waren angespannt. Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, doch es half nichts.

Das konnte doch nicht wahr sein!

Verzweifelt legte ich meinen Kopf in den Nacken.

Über mir konnte ich eine schmale Öffnung ausmachen durch die ein breiter Lichtkegel hindurch schien. Das Licht warf gruselige Schatten an die Wände und doch war ich dankbar für die, im Moment einzige Lichtquelle.

Wenn ich nah genug an den Lichtstreifen heran kommen würde, könnte ich den spitzen Stein ohne Probleme aus meinem Fuß entfernen. Denn mit einem verletzten Fuß wäre es unmöglich, die Wand hinauf zu klettern und der Höhle zu entkommen.

Gedacht, getan. Auf allen vieren kriechend, um den linken Fuß so wenig wie möglich zu belasten, bewegte ich mich langsam vorwärts. Schon nach einigen Metern waren meine Knie und Hände wund gescheuert.

Der Lichtkegel war doch weiter entfernt, als ich gedacht hatte.

Tapfer biss ich die Zähne zusammen und ignorierte das Brennen an den wunden Körperstellen.

Mein Blick war starr auf den fahlen Lichtstreifen gerichtet.

Ich musste ihn erreichen!

Meter für Meter kämpfte ich mich voran. Mein Atem ging stockend und trotz der beißenden Kälte bildete sich ein dünner Schweißfilm auf meiner Stirn.

Ich wusste nicht, wie lange ich gebraucht hatte um die Lichtsäule zu erreichen, aber es kam mir vor, als hätte ich mich stundenlang über spitze Steine geschliffen.

Erleichtert blickte ich zurück, aber anstatt der felsigen Wand, verschluckte tiefe Schwärze alles um den Lichtkegel herum.

Hektisch drehte ich mich im Kreis, doch überall bot sich mir der gleiche Anblick.

Undurchdringliche Schwärze und kein Ausgang in Sicht.

Nein, nein, nein! Das konnte alles nicht wahr sein, bestimmt war ich nur weggedöst.

Doch meine blutenden Handflächen lehrten mich eines Besseren.

Das hier war real.

Das Brennen an Händen und Knien ließ mich zischend aufkeuchen, doch war nichts gegen den stechenden Schmerz in meinem Fuß.

Wurde Zeit, dass ich diesen Übeltäter los wurde.

Um den schwarzen Punkt hatte sich meine empfindliche Haut bereits rot und leicht bläulich gefärbt. Entschlossen atmete ich tief durch und zog den Stein mit einem Ruck hinaus.

Ein schriller Schrei entwich meinem Mund. Doch dann war es vorbei und alles was blieb war ein dumpfes pochen. Damit konnte ich leben.

Probehalber richtete ich mich zu meiner vollen Größe auf und belastete den linken Fuß.

Zufrieden glitt ein schwaches Lächeln über mein Gesicht. Der leichte Schmerz hielt sich in einem erträglichen Maß.

Meinen Plan, an den Wänden bis zu der Öffnung an der Decke zu klettern, verwarf ich schnell.

Ich war keine besonders gute Kletterin und die schmale Luke war von den Wänden gar nicht erreichbar, wie ich seufzend feststellte.

Ich saß hier fest.

Mit 16 an Unterkühlung oder mangelnder Ernährung zu sterben war nicht mein Plan gewesen!

Doch so schnell würde ich nicht aufgeben. Es musste einfach einen Ausgang aus dieser unterirdischen Höhle geben. Wenn ich hier rein gekommen war, würde ich auch wieder raus kommen!

Kampfbereit stemmte ich meine Hände in die Hüfte. Vergessen waren die Schmerzen, jetzt gab es nur noch ein Ziel, hier raus zu kommen und dafür würde ich so ziemlich alles in Kauf nehmen.

Immerhin könnte ich sonst nie wieder in diese faszinierenden grün-blauen Augen sehen, dachte ich und sofort erschienen seine stechenden Smaragde vor meinen Augen, die mich so durchdringend angeschaut hatten, wie keine zuvor.

Halt Stopp! Warum dachte ich jetzt an Raph? Ich mochte ihn nicht mal und bestimmt war er nur in meinem Kopf aufgetaucht, um mich daran zu erinnern, dass er etwas mit all dem Wahnsinn hier zutun hatte, versuchte ich mir einzureden.

Ein wildes Flattern unterbrach meine wilden Gedankengänge.

Automatisch spannte sich mein Körper an und mit feuchten Händen nahm ich eine Angriffsposition ein. Wenn es dazu kommen sollte, würde ich kämpfen!

Meine Augen formten sich zu Schlitzen. Prüfend suchte ich meine Umgebung nach der Lärmquelle ab. Da ich nicht weiter als 5 Meter schauen konnte, huschte mein Blick von einem Punkt zum anderen.

Als dann jedoch der kleine blaue Vogel durch den Spalt an der Decke erschien, fielen mir meine Augen fast auf dem Kopf.

„Was willst du denn hier?“, rutschte es mir heraus.

Doch anstatt einer Antwort steuerte der kleine Vogel immer näher auf mich zu.

Im Licht funkelte der aufgewirbelte Dreck, der sich über die Jahre angesammelt hatte, wie hauchfeiner Sternenstaub auf und die Konturen des Vogels leuchteten, wie die eines Engels.

Geduckt und mit verkrampften Muskeln gelang es mir nicht meine Angriffshaltung abzulegen. Meine vor Kälte tauben Füße nahmen noch nicht Mal den steinigen Untergrund wahr.

Mein Herz übertönte fast den leisen Flügelschlag des blauen Vögelchens.

Gegen das Licht blinzelnd beobachtete ich, wie er sacht immer weiter in die dunklen Tiefen hinab flog.

Schon wieder war es ein blauer Vogel, der mich eine mysteriöse Situation brachte, wie heute in de Schule, überlegte ich irritiert.

Seine schwarzen Augen glänzten wie kleine Onixe und ich konnte meine eigenen in ihn widerspiegeln sehen. Weit aufgerissen vor lauter Unglauben starrten sie mich an. Sie wirkten wie gebrochenes Eis über einem seichten Gewässer.

Kurz vor mir flatterte er ein paar Mal hin und her und beschloss dann, schräg von mir weiter in die Dunkelheit zu fliegen.

Auf halber Strecke drehte er sich abwartend zu mir um. Ich stand noch immer wie versteinert da. Meine Sicht verschwamm bereits, da ich die ganze Zeit über nicht geblinzelt hatte.

Plötzlich überkam mich eine tiefe Ruhe, sie verscheuchte die Kälte aus meinen Gliedern und gab mir das Gefühl von Sicherheit. Dankbar lächelte ich dem Vogel zu.

Ich setzte mich Schritt für Schritt in Bewegung. Mein Atem bildete kleine Wölkchen vor meinem Mund und erneut spürte ich die vielen Steine, die sich in meine nackten Füße bohrten.

Doch das war jetzt nicht mehr von Bedeutung. Schnell erhöhte ich mein Tempo, als die schwarzen Schlingen drohten meine einzige Hoffnung aus der Höhle zu gelangen zu verschlingen.

Das leise Flattern hallte von den Wänden wieder.

Wir gingen also durch eine Art Tunnel, schlussfolgerte ich.

Mit weit ausgestreckten Armen, gab ich die Führung komplett an den kleinen Vogel vor mir ab, ich vertraute ihm und, so absurd es auch klang, ich war felsenfest davon überzeugt, dass er mich verstand. Durch meine schnellen Schritte wirbelte ich trockenen Staub auf, der mir die Sicht nahm und wie Motten, die vom Licht angezogen wurden, den Weg in meine Nase und meinen Mund fand.

Hustend versuchte ich die kleinen Partikel aus meinen Lungen zu vertreiben.

Mühsam gelang es mir meine Panik runter zu schlucken und ganz langsam zu atmen. Meine Haare wurden zu einem Atemschutz umfunktioniert und schleppend folgte ich dem blauen Vogel.

Ich mochte die Dunkelheit nie besonders, vor allem, wenn sie so allumfassend war und von keinem Stern oder dem Kegel einer Taschenlampe durchbrochen wurde.

Doch das wohlige Gefühl, dass ich sicher war, pulsierte weiterhin durch meinen Körper, sodass ich tapfer weiter lief.

Schnaufend wäre ich beinahe in meinen Begleiter hinein gelaufen.

Sein Kopf neigte sich fragend zur Seite.

„Ja alles in Ordnung, kann weitergehen“, gab ich ihm nickend das Startsignal.

Meine Lungen schienen sich während des Weges zusammen gezogen zu haben.

Obwohl ich schnell atmete und versuchte so viel Sauerstoff wie möglich in sie hinein zu pumpen, hatte ich doch das Gefühl zu ersticken.

Bei jedem Atemzug schnitt die eisige Luft durch meinen Hals, wie scharfe Klingen.

Röchelnd stolperte ich vorwärts, darauf bedacht, den Vogel, der mittlerweile nur noch ein kleiner Schemen war und sich kaum von der Dunkelheit um mich herum abhob, nicht aus den Augen zu verlieren.

Ich hatte schon seit gefühlten Stunden die Orientierung verloren.

Hektisch schnappte ich nach Luft. Doch egal wie oft ich blinzelte, der klare, helle

Kreis in der Ferne, war wirklich da.

Am liebsten wäre ich vor Freude umher gesprungen, doch meine Kräfte liefen bereits schon mit ihren Notreserven. Hoffnung keimte in mir auf und mit neuer Zuversicht rannte ich schon fast auf das Licht zu.

Die Umrisse des Vogels waren in ein strahlendes Blau getaucht.

Bei genaurem betrachten stellte ich fest, dass das Licht, auf das wir zusteuerten in einem milden blau leuchtete. Ein paar Meter trennten mich von dem der strahlenden Kluft, die sich zwischen den Felsen auftat.

Wie in Trance schritt ich andächtig darauf zu. Abwartend schaute mich das Vögelchen an und flog voraus ins Licht.

Auf einmal kam ich mir zu schmutzig mit meinen verdreckten Händen, Füßen und Knien für so einen schönen Ort vor.

Jetzt sei keine Memme! Jeder sähe fertig aus, nach so etwas, meldete sich meine Stimme zu Wort.

Ich dachte schon ich wäre dich endlich los, schmunzelte ich.

Haha, sehr lustig.

Zitternd rieb ich mir das getrocknete Blut von den Händen und fuhr mir durch die Haare.

Mit zusammengekniffenen Augen und gesenktem Kopf trat ich hinein ins Licht.

Nur zögerlich um mich an das grelle Licht zu gewöhnen öffnete ich die Augen.

Um meine Füße waberte weißer Nebel, der erstaunlicher weiße nicht wie erwartet nass-kalt war, sondern eine angenehme Wärme verströmte.

Vorsichtig hob ich meinen Blick und spürte wie meine Beine nachgaben.

Tränen rannen mir ungehindert über die Wange, doch es machte mir nichts aus.

So etwas wunderschönes hatte ich noch nie gesehen!

Das leise Plätschern war Balsam für meine Ohren und mein Herz zerfloss bei dem Anblick wie Eis in der Sonne. Der Ort berührte etwas tief in mir und gast drohte es aus seinen über die Jahre hinweg gezurrten Ketten auszubrechen.

Um die friedliche Stille nicht zu stören, presste ich meine schwitzige Hand vor den Mund und erstickte jegliches Geräusch im Keim. Einzelne Tropfen vielen auf den glatten Steinboden und wie aus einer fernen Welt hörte ich das kaum wahrzunehmende „Plopp“, als das salzige Wasser auf dem Boden aufkam.

Dafür hatten sich alle Strapazen definitiv gelohnt.

Mit tränenverschleiertem Blick identifizierte ich den handgroßen blauen Fleck, der vor mir Hin und Her hopste, als meinen schlauen Begleiter.

Als ich mir sicher war, dass kein Schluchzer mehr aus meinem Mund kommen würde, löste ich meine erstarrte Hand vorsichtig von meinen spröden Lippen.

Zwinkernd versuchte ich den Tränenfluss zu stoppen.

Normalerweise war ich nicht so nah am Wasser gebaut.

Meine zitternden Finger leisteten ganze Arbeit, sodass ich am Ende wieder scharf sehen konnte.

Der Vogel war es sichtlich satt, sich ständig um meine Aufmerksamkeit zu bemühen und plusterte sich entrüstet vor mir aus.

Sein Anblick brachte mich zum kichern.

Versöhnlich strich ich ihm über das weiche Gefieder.

Der weiße Nebel wabberte immer noch um mich und breitete sich wie ein warmer Teppich in dem Höhlenartigen Raum aus.

Doch die Steine waren nicht wie im Rest des unterirdischen Labyrinths trist und dunkel, sondern erstrahlten in einem blassen, milchigen Licht.

Meine Augen weiteten sich, je genauer ich meine Umgebung in Augenschein nahm. Anfangs hatte es so ausgesehen, als wäre ich in einem verstecken Lichttempel gelandet, doch der Raum wirkte eher wie eine Grotte oder so etwas in der Art.

Hinter dem leicht durchschimmernden Gestein irrten blaue Funken umher.

Fasziniert erhob ich mich langsam. So ganz traute ich meinen Beinen noch nicht.

Ich kam mir vor wie ein betrunkener, der wankend versuchte gerade zu laufen, als ich auf die Wand zu lief.

Kein einziger Kratzer zerstörte das perfekte Bild. Glatte, kühle Fläche schmiegte sich an meine wunde Handfläche und linderte das Brennen. Immer wenn ein kleiner Funke unter meiner Hand hindurch schoss, spürte ich ein sachtes Kribbeln in meinen Fingern und ich konnte die Wärme, die jeder Funke ausstrahlte, selbst durch das dicke Gestein spüren.

Hypnotisiert starrte ich meine kleine Hand an die immer noch auf der Wand lag.

Genug gestarrt, es gibt noch mehr zu entdecken, forderte mich die Stimme auf und brach den Bann.

Sie hatte recht und auch wenn ich anfangs nicht sonderlich begeistert von diesem spontan Trip gewesen war, so überragte meine Neugier die Wut, ungefragt in irgendeiner Höhle gelandet zu sein, mittlerweile um Längen.

Angestrengt versuchte ich mir jedes Detail in mein Gehirn einzubrennen.

Im Zentrum der runden Grotte hatte sich über die Jahre ein kleiner See gebildet.

Aus einer Felsspalte konnte ich das kleine Rinnsal ausmachen, das den See fütterte.

Es bahnte sich einen Weg über die hell leuchtenden Steine und wirkte dadurch wie flüssiges, eisiges Licht.

Ein verzaubertes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.

Es wunderte mich, dass dieser Ort nicht schon entdeckt wurde.

Piepsend machte sich das blaue Vögelchen bemerkbar.

Erschrocken hielt ich in der Bewegung inne und atmete erleichtert auf.

Mein Herz galoppierte und vor lauter Schreck hatte ich mir auf die Zunge gebissen.

Der eisenhaltige Geschmack von Blut breitete sich in meinem Mund aus.

Vor mich hin grummelnd unterdrückte ich den Fluch, der mir auf der Zunge lag.

An so einem Ort kam es mir mehr als unangebracht vor zu Fluchen.

Um ein Haar hätte ich den Piepmatz unter meinen nackten Füßen begraben.

Und das hatte der Kleine nun wirklich nicht verdient. Er forderte es aber auch heraus, indem er vor meinen Füßen herumwuselte, dachte ich leicht genervt.

Grinsend bückte ich mich zu ihm hinunter und ließ ihn in meine Hände hüpfen. Von dort aus verschaffte ich ihm einen ungefährlichen Platz auf meiner Schulter.

„So hier oben ist es doch besser“, flüsterte ich ihm zu.

Stolz schwoll seine Brust an.

Kopfschüttelnd setzte ich meinen Weg auf den See fort, darauf bedacht mit meinen geschundenen Füßen nicht gegen die herumliegenden Leuchtsteine zu stoßen.

Der See übte eine unglaubliche Anziehung auf mich aus. Je näher wir kamen, umso lauter hörte ich mein Herz schlagen.

Es war als würde der See nicht aus Wasser, sondern viel mehr aus reiner Energie bestehen. Das aufgeladene Knistern in der Luft konnte ich mir unmöglich einbilden.

Mein Kopf war wie leer gefegt, nicht mal der Gedanke an Raph konnte mich jetzt ablenken.

All meine Sinne hatten sich auf den See fokussiert.

Als ich nur noch einen Schritt von dem Ufer entfernt war, erkannte ich, dass auch das Wasser von den Steinen unter und um den See hell angestrahlt wurde.

Der Anblick raubte mir den Atem. Trocken klebte meine Zunge an dem Gauben fest.

Prüfend ging ich näher und steckte meine Hand ins Wasser. Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Der See sah gefroren und eiskalt aus. Doch das Wasser schmiegte sich warm um meine Hand. Wohlig seufzte ich auf. Helle, blaue Blitze zuckten über die Spiegelglatte Oberfläche.

Dunkel erinnerte ich mich, so etwas Ähnliches schon gesehen zu haben.

Doch mein Spiegelbild lenkte mich von dem Gedanken ab.

Meine dunklen Haare vielen mir verzaust und verfilzt um das Gesicht. Der kleine Vogel schaute mit seinen schwarzen Knopfaugen ebenfalls in die tiefen des Sees.

Mittlerweile war ich mir sicher, dass es der gleiche war, der mir in der Schule die Botschaft übermittelt hatte.

Meine Haut war leicht verdreckt. An manchen Stellen konnte man die sauberen Bahnen meiner Tränen sehen.

Doch nichts von alledem erregte meine Aufmerksamkeit.

Nüchtern musste ich mir eingestehen, das meine Augen dem See wie ein Ebenbild glich.

Abgesehen von den blauen Blitzen natürlich.

Trocken schluckte ich.

Was hatte das zu bedeuten?

Ein spitzer Schrei entfuhr mir, als der Vogel plötzlich von meiner Schulter sprang und im Sturzflug auf die Mitte des Sees zuflog.

Vögel konnten doch gar nicht schwimmen, dachte ich panisch.

Angst schnürte meine Kehle zu.

Ich hatte das kleine Würmchen mit der Zeit schon in mein Herz geschlossen.

Verzweifelt raufte ich meine Haare und lief nervös auf und ab.

Ich war so damit beschäftigt gewesen, auf die Mitte des Sees zu starrten und auf ein Lebenszeichen des Vogels zu warten, dass ich den aufsteigenden Nebel erst bemerkte, als er mir schon bis zur Hüfte ging.

Er war zwar angenehm warm, aber so ganz allein war mir die Situation nicht geheuer.

Panisch suchte ich nach dem Ausgang, doch den hatten schon die dichten Schwaben verdeckt.

Kalter Angstschweiß benetzte meinen Körper und eine eisige Faust umklammerte mein Herz und ließ kein Fünkchen Wärme zu.

Was war, wenn der Nebel mich verschluckte und ich nie wieder heraus kam?

Jetzt übertreib mal nicht! Immerhin hat der Vogel uns her geführt, wir können ihm vertrauen, entschied die Stimme in meinem Kopf.

Trotzig verschränkte ich meine Arme vor der Brust.

Das ist mir auch klar, trotzdem habe ich keine große Lust Orientierungslos im Nebel herum zu irren, gab ich patzig zurück.

Doch soweit kam es erst gar nicht. Die weißen Wölkchen hatten aufgehört anzuschwellen und hatten direkt vor mir einen schmalen Pfad, auf die Wasseroberfläche zu, frei gelassen.

Die Botschaft war unmissverständlich. Ich sollte in den See steigen.

Bevor die Zweifel überhand gewinnen konnten, strafte ich schnell meine Schulter und rannte direkt auf den See zu.

Ich zwang mich meine Augen aufzulassen, als ich die glatte Oberfläche durchbrach.

Mein erster Impuls war, sofort wieder nach oben zu tauchen, doch irgendetwas sagte mir, dass ich hier untern bleiben sollte.

Wie in einer innigen Umarmung legte sich das klare Wasser um mich. Mein schwerer Cardigan zog mich weiter nach unten. Das warme Nass wusch allen Schmutz von mir. Selbst das getrocknete Blut löste sich von meinen Händen und Füßen.

Von oben hatte der See nicht so tief ausgesehen.

Ich drehte meinen Kopf, doch ich konnte den kleinen Vogel zu meinem Bedauern nicht finden.

Meine Lungen schmerzten langsam und gerade als ich beschloss wieder aufzutauchen hörte ich die sanfte Frauenstimme wieder.

Doch diesmal erklang sie nicht in meinem Kopf. Es war als würde die Stimme von überall her durch das Wasser zu mir schallen.

Keine Sorge, Liz du wirst nicht ertrinken, wie ich sehe hat dich Semir wohlbehalten zu mir geführt.“

Sie hatte mich hergeschickt? Und Semir war dann wahrscheinlich der blaue Vogel. Ihm ging es gut.

Erleichtert wollte ich aufatmen und vergas dabei, dass ich mich immer noch in den Tiefen des Sees befand.

Doch anstatt des brennenden Wassers, das ich erwartet hatte, füllten sich meine Lungen zögerlich mit etwas kühlen, flüssigen.

Es war kein Wasser, aber auch kein Sauerstoff.

Erst zögerlich, dann lechzend atmete ich gierig weiter.

Es war so surreal und ungewohnt, dass ich hysterisch auflachte.

„Warum kann ich unter Wasser atmen?“, fragte ich verstört.

Sofort antwortete sie sanft:

Das hier ist kein normaler See und auch keine gewöhnliche Grotte, wie du dir vielleicht schon gedacht hast. Du befindest dich hier an der Quelle, der Entstehung unserer Kraft. Dein Blue Fire macht es möglich, du atmest pure Energie.“

Mein Mund klappte auf und völlig überrollt brauchte es eine Weile bis ich begriff, was sie sagte.

Blue Fire, sie sprach von dem blauen Licht, das ich in meiner Galerie unbewusst beschworen hatte. Hier war es also entstanden. Aber was meinte sie mit „unserer Kraft“ und wer war sie überhaupt?

Ein leichter Druck in meinen Schläfen kündigt die kommenden Kopfschmerzen an

Meine Locken wehten schwerelos um mich herum.

Nachdenklich wog ich ab, welche Frage ich ihr als erstes stellen sollte, immerhin hatte ich nun endlich die Gelegenheit, dass meine Fragen beantwortet wurden.

Das ganze erinnerte mich ein bisschen an ein Orakel, als die Menschen noch an mehrere Götter glaubten und Kaiser die Welt regierten.

„Wer bist du? Und was meinst du mit ‚unserer Kraft’? Woher weißt du überhaupt, dass ich Blue Fire beschwören kann?“

Ich bemerkte nicht mal, dass ich nicht mehr tiefer sank, sondern wie im All schwerelos umher schwebte.

Meine zu Fäusten geballten Hände fanden in den Taschen meines Cardigans Schutz.

Das alles hier regte mich auf, niemand hatte es je für nötig gehalten mir auch nur eine klitzekleine Antwort zu geben und jetzt taucht durfte ich ein paar Fragen stellen und sie meint alles ist gut.

Meine Lippen pressten sich aufeinander und ich sog gierig mehr Energie ein um meine angespannten Nerven zu beruhigen.

Jetzt war ich aber mal gespannt auf ihre Antwort!

Als sich erst ein kleines weißes Wölkchen, das sich immer weiter ausbreitete und formte, vor mir manifestierte, wunderte ich mich schon gar nicht mehr.

So schnell konnte mich nach dem ganzen, was ich heute erlebt hatte, nichts mehr schocken.

Der hell schimmernde Nebel sammelte sich so lange, bis ich erste Konturen und Körperteile erkennen konnte.

Fasziniert wartete ich ab. Meine Arme bedeckte eine Gänsehaut und ich strich mir genervt meine Locken, die drohten mir die Sicht zu versperren, aus dem Weg.

Letztendlich stand eine weiß leuchtende Frau vor mir. Ihr Haar floss ihr wie flüssiges Porzellan den Rücken hinunter und umfloss ihre schmale Gestalt.

Sie war groß und ihre Aura strahlte Liebe und Güte aus.

Auch wenn mir klar war, dass das nur ein Abbild von der eigentlichen Person war.

Krampfhaft hielt ich an dem letzten Rest Wut fest, dass langsam aber sicher entglitt.

Da konnte man nicht einmal nachtragend sein.

Offen musterte ich sie. Ein kurzes weißes Kleid schmiegte sich um ihre zierliche Figur und ihre vollen Lippen lächelten mich freundlich an.

Das einzige was in Farbe getaucht war waren ihre Augen, die meinen so sehr ähnelten, dass ich meinte in meine eigenen zu schauen, und ihre Tattoos, die sich um ihre nackten Schultern und Arme bis zu den Knöcheln hinab schlängelten und in einem strahlenden Blau leuchteten.

Auf ihrer linken Schulter hatte es sich das schillernde Abbild von Semir bequem gemacht. Seine schwarzen Augen strahlten mich vergnügt an.

Das alles registrierte ich in ein paar Sekunden. Sie war einfach wunderschön!

Wie eine längst vergessene Göttin stand sie stolz vor mir. Abwartend schaute ich zu ihr hoch. Als sich ihr Mund öffnete, klang ihre Stimme wie die eines vergnügten Schulmädchens.

„Wie unhöflich von mir mich nicht vorzustellen. Verzeih mir mein Benehmen, ich bin Lassaira, die erste Blosyx. Hier an diesem Ort habe ich als erste zu Blue Fire gefunden. Das mag jetzt alles etwas verwirrend für dich klingen, am besten ich zeige es dir.“

Stirn runzelnd legte ich meinen Kopf schräg und sah sie verwirrt an.

Sie ignorierte meinen verwirrten Blick einfach und erzeugte mit ihren Händen einen Wirbel aus blauen Blitzen.

Meine Haare wurden von dem Wirbel angezogen und verschleierten meine Sicht auf die Geschehnisse.

Der Strudel wurde immer stärker und riss mich näher heran, als mir lieb war.

Alles drehte sich und mein Magen rebellierte gegen die heftigen Bewegungen.

Halt suchend ruderte ich umher, doch alles was ich damit erreichte, war, dass ich mich kopfüber im Kreis drehte. Der Wirbel hatte mich fest in seiner Hand und ich wurde immer tiefer hinein gesogen.

Kleine Stromstöße durchzuckten meinen Körper und wenn mir meine Haare die Sicht frei gaben, verschwamm alles vor meinen Augen zu einer blau zuckenden Masse.

Fest presste ich meine Lippen aufeinander, als die Welt plötzlich wieder still stand.

Mit weit aufgerissenen Augen erkannte ich, dass ich in der Luft stand.

Schnell wandte ich den Blick nach oben um das Schwindelgefühl erneut zu bekämpfen.

Na das fing ja toll an.

Die hochkommende Gallenflüssigkeit besserte meine Stimmung nicht gerade und nur knapp gelang es mir mich nicht zu Übergeben.

Der bittere Geschmack klammerte sich hartnäckig in meiner Mundhöhle fest.

Wo waren die scharfen Pfefferminzbonbons, wenn man sie mal brauchte?

Meine Haare standen elektrisiert in alle Richtungen ab und alle Versuche, sie zu bändigen waren vergebens.

Missmutig seufzte ich auf und gab meinen Versuch auf.

Ich hatte mich immer noch nicht an das Gefühl gewöhnt ohne Halt in der Luft zu schweben, doch Lassairas anmutiger Anblick ließ mich vergessen, dass ich nicht auf dem Boden stand.

Komischer weiße hatte ihr der Strudel nichts angehabt und sie erstrahlte in gewohnter Schönheit wieder. Auch Semir war unversehrt angekommen.

Toll und ich sah aus, als wäre ich rückwärts durch die Weltgeschichte geschleudert worden.

Lassaira Augen funkelten mich schelmisch an, doch als sie mir mit einer ausschweifenden Handbewegung bedeutete, mich genauer umzuschauen, wich der Spitzbübische Ausdruck einer ernsten Mine.

Wir waren in der Grotte, doch sie sah völlig anders aus, als ich sie in Erinnerung hatte.

Der See lag zwar immer noch im Zentrum, aber alles war dunkel und trist.

Kalte Schauer liefen mir den Rücken runter. In meinem Hals hatte sich ein dicker Kloß gebildet, der es mir fast unmöglich machte zu schlucken.

Wo war die schöne Grotte geblieben, die ich kannte?

„Das ist die Grotte, lang vor deiner Zeit. Ich habe dich in die Vergangenheit mitgenommen. Alles, was du fürs Erste wissen musst, hat sich hier abgespielt.“

Lassairas Blick war nach innen gekehrt. Als sich ihr Blick wieder klärte schaute sie mich liebevoll an.

Wie konnte jemand nur so viel Liebe in sich tragen?

Bewundernd erwiderte ich ihren Blick und streckte meine Hand ihrer entgegen.

„Wenn du wieder aufwachst, vergiss nie was ich dir jetzt zeige“, sprach sie streng.

Ich nickte und schwor mir dieses Versprechen zu halten.

Als ich ihre weiß leuchtenden, von blauen Tattoos umschlungene, Hand nahm, durchfuhr mich wieder ein Ruck.

Mein ganzer Körper erzitterte und brach schwach in sich zusammen. Ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Glieder. Ich spürte noch alles, aber es war, als hätte ich die Fähigkeit mich zu bewegen verloren.

Ein unangenehmes Ziehen in meiner Mitte brachte mein inneres zum Beben.

Aus dem Augenwinkel nahm ich war, wie Lassaira beruhigend ihre kühle Hand auf meine Stirn legte.

Panisch versuchte ich um Hilfe zu rufen, als sich der lebendige Teil in mir meiner tauben Hülle entzog.

Ich wollte nicht aus meinem Körper heraus!

Ich sah meinen schlaffen Körper in Lassairas Armen hängen.

Was sollte das?!

Alles erschien mir größer oder war ich nur geschrumpft?

Mein suchender Blick fand Lassairas klare Augen. Geschockt wich ich zurück.

Das konnte doch nicht ich sein!

Doch das Bild, das sich in ihren Augen widerspiegelte wollte sich einfach nicht ändern. Hauchfeine weiß glitzernde Schlingen wehten um einen so hell strahlenden Lichtball herum, dass ich schon fast geblendet war.

Ich war nicht größer als ein Tennisball und wirkte zerbrechlich und doch wunderschön.

Ist das meine Seele?

Ja Dummerchen, wir sind von unserem Körper getrennt, ohne uns kann er nicht weiterleben, entgegnete die Stimme.

Was willst du denn hier, fragte ich völlig perplex

Wie oft denn noch, wir sind eins Liz.

Ein blauer Funke der von Lassaira auf mich zusteuerte unterbrach unser Gezanke.

Als das blaue Licht mich berührte, umschlang mich tiefe Schwärze.

 

***

 

Langsam klärte meine Sicht sich wieder und erleichtert stellte ich fest, dass ich mich wieder in meinem Körper befand.

Bei dem Versuch meine Beine zu bewegen hielt ich gezwungenermaßen inne. Sie gehorchten mir nicht. Taub standen sie auf kaltem Boden und waren wie festgefroren.

Egal wie sehr ich mich anstrengte, die Verbindungen zu jeglichen Körperteilen waren abgekappt.

Eine melodische Stimme ertönte in meinem Ohr und schockiert stellte ich fest, dass ich dieses Geräusch erzeugte. Meine Lippen bewegten sich und formten Worte, die ich noch nie gehört hatte.

Meine Beine setzten sich in Bewegung, doch es war nicht ich, die das entschied, ich steckte fest in meinem Körper und musste tatenlos zusehen, wie ich im halbdunkeln durch verzweigte Höhlengänge schritt.

Das hier war nicht mein Körper!

Lassaira hatte mich in einen fremden Körper gesteckt.’

Ich hörte das Herz in dem fremden Körper sorglos klopfen und spürte die kribbelnde Vorfreude durch die Adern strömen.

Ich fühlte und sah alles was die Person auch sah, solange die Person nicht tödlich verunglückte, störte es mich nicht weiter, auch wenn das Gefühl befremdlich war und alles in mir schrie, aus diesem fremden Körper zu verschwinden.

Wer zur Hölle war das?’

Vor meinen Augen, besser gesagt ihren Augen, lag die Grotte in ihrer ursprünglichen, tristen Erscheinung.

Die Person musste schon öfters hier gewesen sein, denn sie musterte die Umgebung kaum und ging zielstrebig auf den See zu.

Ich spürte die starke Anziehung, die der See auch auf diese Person ausübte.

Fiebernd blickte ich dem Augenblick entgegen, wenn sich der unbekannte Körper über die glatte Oberfläche beugen würde und ich erkennen könnte, in wem ich mich befand. Die helle Stimme ließ auf eine Frau schließen, aber mehr wusste ich auch nicht.

Ich hatte mit allem gerechnet, aber als ich die zarten Konturen von Lassairas Gesicht erkannte, war ich wirklich erstaunt.

Warum war ich in Lassaira?’

Moment, sie hatte doch gesagt, dass sie die erste Blosyx sei’, auch wenn mir der Begriff wenig sagte.

Ich schätzte sie auf 17, maximal 18 Jahre. Ihr Haar schmiegte sich wie flüssiges Gold an ihren Körper und ihre rosa Lippen waren zu einem glücklichen Lächeln verzogen. Auch die jüngere Ausgabe von Lassaira war wunderschön.

Ich war noch nicht mit meiner Musterung zu ende, als Lassaira urplötzlich zurückwich und ihr erschrockener Schrei von den Wänden widerhallte.

Ihre Muskeln spannten sich an und ihre langen Haare wurden von der Säule aus blauem Licht, die aus dm See geschossen kam, zurückgeweht.

Ich spürte ihre Furcht, die ihr Herz wild schlagen ließ und fühlte die ungebändigte

Kraft, die von der immer größer werdenden Säule zu ihr rüber wehte.

Von der friedlichen Stille war nichts mehr übrig. Die Luft war von einem Zischen und Knarren erfüllt und der sonst so ruhige See brodelte wie kochendes Wasser.

Weg hier!’, schnappte ich Lassairas Gedanken auf.

 Doch ihr Körper gehorchte ihr nicht.

Panik schwoll in ihrer Brust an. Die Luft zum atmen wurde dünn und jedes Fünkchen, das ihre Haut berührte versetzte ihr einen leichten Schlag.

Ihre Füße bewegen sich Schritt für Schritt in Richtung See, genau auf die Lichtsäule zu.

Ihr Widerstand bröckelte. Krampfhaft kämpfte sie gegen das glühende Messer in ihrem Kopf an.

Ihre Hände waren zu Fäusten geballt und ich fühlte wie sie sich schmerzhaft ins eigene Fleisch schnitt.

Schweiß und Tränen vermischten sich, verschleierten die Sicht.

Immer näher kam das Licht und das feurige Brennen auf ihrer Haut war kaum noch auszuhalten.

Ein letztes Mal sammelte sie all ihre Willenskraft, schaffte es einen Moment stehen zu bleiben, doch dann traf das Messer eine ungeschützte Stelle und brachte ihren Schutzwall zu fall.

Ungehalten schmiss sich ihr Körper in das blaue Licht, mitten in den See hinein.

Ihr panischer Todesschrei vermischte sich mit meinem lautlosen Ruf. Es war der schmerzverzerrteste Laut den ich je gehört hatte. Ihr angsterfüllter Schrei brannte sich tief in mein Gedächtnis ein und riss meine Herz in Stücke.

Vor Schmerz krümmte ich mich zusammen.

Ihre Gefühle wurden meine und als ihr Schrei abrupt von den aufgewühlten Wassermassen erstickt wurde, hatte auch ich panische Angst zu ertrinken.

Ein Energieschwall überrollte das junge Mädchen.

Ihre Lungen schmerzten und das stürmische Wasser drückte sie immer tiefer.

Ihr Herz drohte aus ihrem Körper zu springen, so viel Energie strömte auf sie ein. Das blaue Licht tropfte aus ihren Fingern und Zehen. Schwarze Punkte blinkten vor ihren Augen und sie konnte Oben von Untern nicht mehr unterscheiden.

Verzweifelt hob sie ihre Hände und tauchte gerade rechtzeitig aus dem Wasser, bevor ihr der Sauerstoff ausging.

Sobald ihr Kopf die Wasseroberfläche durchbrach lechzte sie nach Luft.

Es war das erfrischende Blue Fire, das durch ihren Hals in die Lungenflügel rauschte.

Bald berührten ihre Fußspitzen die Wellen und ihre Kleidung klebte wie eine zweite Haut kalt an ihr.

Doch das blaue Licht, das jede Pore ihres Körpers mit Liebe, Wärme und Kraft tränkte, verhinderte, dass ihr kalt wurde.

Vergessen war die Angst und der Schmerz. Fast war es so, als wäre das eben erlebte nie wirklich passiert.

Dieser Moment war auf seine Art vollkommen.

Genüsslich schlossen sich ihre Lieder, als ein kaum wahrnehmbarer Juckreiz sie zwang ihre Augen auf ihre Hände zu richten.

Feine Linien pulsierten unter ihrer Haut und mit jedem Zentimeter, den sie in dem Lichtkegel höher schwebte, steigerte sich das Kribbeln.

Auch ihre Fingernägel konnten den Reiz, der sich immer weiter ausbreitete, nicht

stillen. Die pulsierenden Schlieren unter ihrer Haut formten sich zu Spiralen und  filigranen Mustern.

Wie kleine Schlangen überzogen sie schließlich fast ihren gesamten Körper.

Als der heftige Juckreiz sie fast schon in den Wahnsinn trieb und bereits einzelne Tränen über ihre Wange rannen, hörte es auf einmal auf.

Blau strahlten ihre Tattoos und Lassaira schwebte umschlungen von dem blauen Licht anmutig in der Luft.

Erfüllt von Blue Fire verschwamm meine Sicht erneut und die Dunkelheit griff nach mir.

 

***

 

Bitte lass mich wieder in meinem Körper sein!’, betete ich still.

Doch meine Gebete wurden nicht erhört.

Mein Versuch den Arm zu heben lief ins Leere und auch den kalten Hass konnte ich nicht als mein Gefühl identifizieren.

In wie viele fremde Körper wollte Lassaira mich denn noch stecken?’

Ängstlich zog ich mich zusammen. Dieser Körper war mir nicht geheuer.

Kein Fünkchen Wärme brachte das eisige Herz zum Schmelzen und das ganze Wesen war von dunklen Gefühlen erfüllt.

Gespannt, was mich erwarten würde, beobachtete ich, wie meine Sicht sich schärfte.

Die Person stand in der Grotte und diesmal strahlte sie in der hellen Schönheit, in der ich sie kennen gelernt hatte.

Der Anblick durchflutete mich mit Glückseligkeit, doch die Lippen der fremden Person verzogen sich nur zu einem angewiderten Strich.

Ich dachte es sei schier unmöglich diesen Ort zu verabscheuen, doch die Person lieferte mir den Gegenbeweis.

Eine alles verzehrende Wut kroch bei dem Anblick von so viel Reinheit und strahlendem Licht durch die Adern des Körpers.

Der Drang alles zu zerstören wuchs ins unermessliche und ich war erleichtert, dass die Person lediglich die Faust fest ballte und den Kiefer schmerzhaft zusammen presste.

Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit.

So eine Person sollte diesen schönen Ort nicht betreten dürfen, ob das gut ging?’ Wütend spannte ich mich an. Ich konnte nichts tun, außer still zu zusehen und die Gefühle dieser abscheulichen Person zu ertragen.

So ein Bullshit, ich konnte doch nicht einfach tatenlos zusehen!’

Die Augen der Person formten sich zu Schlitzen, als sie Lassaira, wie ich sie kannte entdeckte.

Sie schwebte einen Meter über dem See und schaute die Person ernst an.

Auch wenn sie eine friedliche, liebevolle Ausstrahlung hatte, konnte man dennoch erkennen, dass sie angespannt war.

Lassaira trug sogar das Selbe weiße, trägerlose Kleid, in dem ich sie das erste Mal gesehen hatte.

Es reichte bis zur Mitte ihrer Oberschenkel und entblößte ihre zahlreichen Tattoos.

Der Körper, in dem ich festsaß zog sich bebend vor Wut zusammen und wurde von einem stechenden Gefühl geschürt. Es brauchte ein paar Sekunden bis ich es erkannte. Die Person war eifersüchtig auf Lassaira.

Sie beneidete ihre Macht.

Was zur Hölle ging hier vor sich?’

Die schneidende Stimme der Person triefte nur so vor Spott, als sie sagte:

Die große Lassaira lässt nach mir schicken, was für eine Ehre für eine gewöhnliche Blosyx wie mich! Womit habe ich das nur verdient?“

Lassairas sonst so freundliche Gesichtszüge verfinsterten sich und eine leichte Zornesröte stieg ihr in die Wangen.

Synthia, du weißt genau warum du hier bist! Dein Verhalten kann nicht mehr geduldet werden, du brichst nicht nur sämtliche Regeln, du wagst es auch noch deine Macht für böse Zwecke einzusetzen und Menschen zu töten!“

Ich zuckte bei Lassairas ruhigem Tonfall zusammen, er war viel zu ruhig, angesichts der schweren Vorwürfe. Der Spruch ‚stille Wasser sind tief’ traf die Situation perfekt.

Was war diese Synthia nur für eine grausame Person? Sie tötete Menschen!’

Ich wollte hier raus, ich wollte nicht mehr in ihrem Körper stecken.

Ein finsteres Lachen in Synthias anschwoll und kalt von den Wänden zurück geworfen wurde.

Warum sollte ich meine Macht nur für gutes einsetzen? Ich bin stärker, als diese primitiven Menschen, sie verdienen es nicht zu leben!“, schrie sie zornentbrannt.

Ihr Gesicht hatte sich zu einer hässlichen Fratze verzogen und der Hass gegenüber Lassaira wuchs stetig.

Irritiert von ihrem schnellen Stimmungswechsel wartete ich auf Lassairas Reaktion.

Wir haben nicht das Recht über Leben oder Tod zu urteilen und wenn du meinst, dich über andere Lebewesen stellen zu können, bist du es nicht würdig Blue Fire zu beherrschen!“

Gleichzeitig mit Synthia zuckte auch ich zusammen. Damit hatte sie nicht gerechnet, doch Lassairas kalte Mine ließ keinen Zweifel daran, dass sie es ernst meinte.

Ihr kaltes Herz schlug schneller und ich konnte spüren wie sich die Angst leise um ihre Brust schnürte.

Das wirst du niemals schaffen!“, kreischte Synthia und stürmte in ihrem blinden Hass auf Lassaira zu.

Ihre Gefühle hatten die Oberhand gewonnen und sprengten die Ketten, die sie die ganze Zeit zurückgehalten hatten.

Hass, Wut, Eifersucht und Machtgier vermengten sich und färbten ihr kaltes Herz schwärzer, als jede Nacht.

Ungehindert knallte Synthias angespannter Körper gegen Lassaira, die vor lauter Unglauben wie erstarrt war.

Die umschlungenen Körper fielen unsanft zu Boden.

Immer noch regte Lassaira sich nicht.

Hoffentlich hatte sie keinen Schlag auf den Kopf abgekriegt’, durchzuckte es mich.

Als Synthias krallenartige Hände sich jedoch um Lassairas ungeschützten Hals pressten, kam wieder leben in sie.

Erleichtert atmete ich auf.

Sie traf Sythia brutal in den Bauch, der Schlag hatte gesessen.

Scheiß Gefühle, warum konnte ich nicht einfach nur zuschauen, aber nein lassen wir doch Liz das ganze mitfühlen!’

Schmerzerfüllt krümmte ich mich, wie Synthias Körper zusammen.

Für einen Moment lockerte sich die Hand um Lassairas Hals.

Dieser kurze Moment genügte. Sie befreite sich und schleuderte Synthia blaue Geschosse entgegen. Mit einem grellen Schrei knallte Synthia gegen die Wand und sank geschunden an ihr herunter.

Lassaira baute sich vor dem gekrümmten Körper auf.

Synthias dichtes, schwarzes Haar verdeckte teilweise meine Sicht, doch das, was ich von Lassaira sah, war mehr als nur Furcht einflößend.

Ihre Augen leuchteten Blau und um sie herum brauste ein zerstörerischer Sturm aus Blue Fire, der alles mit sich riss.

Ihre Haare wehten in alle Richtungen auseinander und ihre leuchtenden Tatoos verliehen ihrem Aussehen noch mehr Macht.

Wie kannst du es wagen mich anzugreifen!“, brüllte sie.

Der gebieterische Ton stieß auf puren Hass.

Die schwarzen Schlingen breiteten sich in Synthias Körper immer weiter aus.

Schmerzhaft durchzogen sie jede Zelle und tränkte sie mit Wut und Hass.

Sie war bereit, bereit wieder zu morden.

Ihre blutroten Lippen hatten sich zu einem finsteren Lächeln verzerrt. Langsam hob sie ihren Kopf und ich sah ihren Augen in Lassairas widerspiegeln.

Kalt durchfuhr es mich, als ich in die schwarzen Augen blickte. Sie schienen alles Licht aufzusaugen. Die Schwärze wurde nur von Blauen Blitzen durchbrochen, was den Hass und die Feindseligkeit in ihrem Blick nicht minder trübte.

Was war Synthia? Denn das was hier vor sich ging war eindeutig nicht normal.’

Auf einmal ging alles ganz schnell.

Synthia beschwor unter großem Kraftaufwand ihre Energie, welche im Gegensatz zu Lassairas Blue Fire dunkel, fast schwarz um sie herum wabberte. Wie eine Wahnsinnige stürzte sie sich erneut auf die, diesmal gewappnete Lassaira.

Schmerz durchzuckte mich unaufhörlich, während Synthias Blut warm an ihrem getroffenen Bein hinab rann.

Der Kampf um Leben oder Tod.

Der Boden erbebte, immer wenn die gewaltigen Energieströme aufeinander prallten.

Rotes Blut beschmutzte die leuchtenden Steine.

Angsterfüllt sah ich dem Ende dieses Kampfes entgegen. Lange würden Beide nicht mehr durchhalten.

Die Machtgier stachelte Synthia weiter an und schlussendlich gelang es ihr ihre

blutverschmierten Hände um Lassairas Hals zu schlingen.

Siegessicher beobachtete sie genüsslich wie Lassairas Gesicht an Farbe verlor und ihr Blue Fire immer schwächer wurde.

Nein, das durfte nicht passieren!’

In einem unaufmerksamen Moment jedoch, schnellte Lassairas Energiegeladene Hand hervor und schnürte Synthia die Luft ab.

Ja! Lass Synthia nicht gewinnen’, jubelte ich innerlich.

Gleichzeitig durchfuhr den Körper ein brennender Schmerz am Hals.

Verzweifelt versuchte Synthia Luft in ihre ausgetrockneten Lungen zu bekommen, doch die Hand um ihren Hals war fest wie ein Schraubstock.

Auch ich teilte ihr Gefühl zu ersticken und hörte ihren Puls laut im Ohr rauschen.

Schwach sanken beide auf die Knie und ich konnte Synthias und Lassairas kämpferische Blicke sehen.

Das weiß aus beiden Augen quoll bereits schmerzhaft hervor und ich konnte die feinen Äderchen in ihren Augen ausmachen.

Die Knöchel von Synthias Händen stachen weiß hervor und ihre Muskeln zitterten bereits vor Anspannung. Warm rann das Blut aus ihrem linken Bein auf den Boden und vermischte sich mit Lassairas zu einer dunklen Lache.

Feiner Rauch stieg von Lassairas teilweise versenkten Haaren auf und trieb Synthia Tränen in die Augen.

Die Verletzungen zerrten an ihren Kräften und beide versuchten krampfhaft bei Bewusstsein zu bleiben.

Ein Kampf, den beide nicht gewinnen konnten.

Schwarze Punkte flimmerten vor meinen Augen und ich spürte wie Synthias Körper dem Sauerstoffentzug nicht mehr lange trotzen konnte.

Würgende Geräusche wurden in den tiefen ihres Rachens erstickt.

Verschwommen nahm ich wahr, wie sich Lassairas Körper aufbäumte.

Ihre Augen suchten hektisch nach einem Anhaltspunkt, als könnte sie nichts sehen, obwohl sie mich aus weit aufgerissenen Augen anstarrte. Die blanke Todesangst stand in ihnen. Ich ertrug es nicht sie so leiden zu sehen

Ein Ruck durchfuhr Synthias Körper und sie fiel vornüber, die Hände keinen Millimeter abweichend um den Hals ihrer so verhassten Gegnerin gepresst.

Ich stemmte mich verzweifelt gegen den sterbenden Körper, der mich gefangen hielt. Ich wollte nicht sterben! Jeder Gedanke kostete Kraft, die ich nicht hatte. Wieder und wieder versuchte ich die Mauern um mich herum zum Einstürzen zu bringen. Doch ich war zu schwach.

Ausgelaugt wagte ich einen letzten Blick aus Synthias Augen. Ihr Körper war noch am leben, doch schon bald würde auch der letzte Funken Leben erloschen sein. Es war grausam zusehen zu müssen, wie zwei Menschen starben, obwohl ich Synthias Tod nicht sehr bedauerte. Lassaias Körper war zur Seite gekippt. Ihr Kleid war übersäht mit Blutflecken und Ihr Kopf lag schlaff auf dem dreckigen Boden. Meine Seele hatte schon einiges mitgemacht, doch der Anblick der toten Lassaira ließ mich unkontrolliert zucken und ich hatte das Gefühl in tausend Stücke gerissen zu werden.

Krampfhaft versuchte ich meinen Blick abzuwenden, doch ihr Gesicht zwang mich weiter hin zuschauen. Ihre unnatürlich bleiche Haut hatte alles Leben verloren. Nie wieder würde es in gewohnter Güte und Liebe erstrahlen.

Wimmernd trauerte ich um den großen Verlust.

Sie hatte doch niemandem etwas getan! Im Gegensatz, sie wollte immer nur das Beste für alle und diese widerwärtige Person hatte sie getötet!’

Wütend stemmte ich mich gegen die sterbenden Hüllen, der Mörderin. Ich hasste sie! Sie war eine Ausgeburt der Hölle und hatte den Tod verdient. Dumpf schlug ihr Kopf neben Lassairas auf.

Ihr Herz pochte wild in ihrem Brustkorb, bis es plötzlich stehen blieb.

Die plötzliche Stille ließ mich aufschaudern.

Kein Atemzug durchbrach die Totenstille. Alle Herzen waren zum Stillstand gekommen.

Die rote Flüssigkeit umschlang die beiden Leichen und bette sie zum Schlaf, aus dem sie nie wieder erwachen würden.

Aus weit aufgerissenen Augen starrte Lassaira durch mich hindurch. Sie waren vollkommen leer und ich vermisste den liebevollen Ausdruck in ihren Augen, die meinen so ähnlich waren. In ihrem Spiegelbild sah ich zwei schwarze Löcher, die ausdruckslos ins Leere blickten. Wie zwei tiefe Löcher, die alles Licht und Leben in sich aufsogen. Wenigstens ist die Übeltäterin mit in den Tod gegangen.

Dennoch konnte der einzig tröstliche Gedanke in diesem Schlamassel mein blutendes Herz nicht wieder zusammen flicken.

Das ist doch nicht fair!’

Vor meinem inneren Auge erschien immer wieder Lassairas totes Gesicht mit dem leicht geöffneten Mund aus dem einzelne Bluttropfen flossen.

Sie war tot.’

Mir war zum Heulen zumute.

Und all das an einem Ort der so viel Frieden und Liebe versprühte. Grausam.’

Ich hatte den Versuch, mich selbst aus dem durch und durch bösen Körper zu befreien, aufgegeben.

Die letzten Sekunden waren de schlimmsten gewesen. Mitzufühlen wie ein Lebewesen, egal ob gut oder böse, um sein Leben rang und dann mit der letzten Kraft krampfartig zu zucken und zu beben, nur um danach mit einem Ruck tot umzufallen.

Bitte hohl mich hier raus’, sandte ich mit dem letzten bisschen Energie, die ich aufkratzen konnte, an Lassairas Geist. Und diesmal wurde mein Flehen erhört.

Erleichtert, diesen schrecklichen Geschehnissen entfliehen zu können empfing ich die lang ersehnte Dunkelheit.

 

***

 

„Vergiss nie, was ich dir heute gezeigt habe Liz! Du hast gesehen, wie die erste Blosyx, ich, entstand und mit ihr leider auch die erste Zylokanerin, Synthia.“

Heiße Tränen benetzten mein Gesicht, als ich Lassairas liebevolle Stimme über mir wahrnahm.

Sie hatte es einfach nicht verdient so gestorben zu sein!

Gequält über so viel Ungerechtigkeit schluchzte ich ungehemmt auf. Schutzsuchend presste ich mich näher an Lassairas warme Brust.

Ich war wieder in meinem Körper und Lassairas schimmernde Arme wiegten mich beruhigend Hin und Her.

Es war mir egal, dass ich in dem Moment wie ein schwaches Baby wirkte, auch Eisprinzessinnen durften Schwäche zeigen.

„Ganz ruhig, alles ist gut. Hab keine Angst ich pass schon auf dich auf.

 Ich wollte nur sichergehen, dass du auch wirklich begreifst, wie böse die Zylokaner sind“, begann sie mit gewohnt sanfter Stimme zu erzählen, „leider hat auch Synthias Geist überlebt. Die Blosyx leben immer noch im Verborgenen, aber es gibt nur wenige, die ihre Blue Fire noch beherrschen können. Nach meinem Tod war es mir als Geist nur begrenz möglich mit den Lebenden in Kontakt zu treten, ich wandere auf der Schwelle von Leben und Tod.“

Beim Anblick ihres gütigen, weisen Gesichts, ergriff mich eine tiefe Trauer und noch mehr Tränen quollen aus meinen mittlerweile geschwollenen Augen.

„Aber warum können nur noch so wenige ihr Blue Fire beherrschen?“

Lassairas Blick wurde traurig.

„Du musst wissen Liz, ich war damals die erste meiner Art gewesen und auch sehr stark, ich zeigte den Blosyx, die nach mir erwählt wurden, dass es eine seltene Gabe war über Blue Fire zu verfügen und es ausschließlich für das Gute ein zusetzten.

Leider starb ich früher, als geplant und über die Jahre geriet mein Wissen und die Ideale, für die ich stand, in Vergessenheit.“

Gebannt hang ich an ihren Lippen und sog jedes Wort in mich auf.

Meine Tränen waren getrocknet und mein Gehirn ratterte, um die neuen Informationen zu verarbeiten.

Verwirrt runzelte ich die Stirn.

Sie konnten doch nicht einfach so aufgegeben haben!

Ganz deiner Meinung, immerhin bekamen sie diese Macht einfach so geschenkt und was machten sie, es vergessen, wessen tolle Idee ist das denn gewesen, regte die Stimme sich auf.

„Also haben die Blosxy, die lange nach dir erwählt wurden, ihr Blue Fire einfach so unterdrückt? Da kannst du doch nicht tatenlos zugeschaut haben, immerhin gibst du dein Wissen ja auch an mich weiter“, fasste ich zusammen.

Lassaira lächelte, anscheinend stolz, dass ich ihr so mühelos folgen konnte, an.

„Natürlich habe ich das nicht akzeptiert. Ich zeigte mich wenigen Blosyx und brachte ihnen bei, dass es keine Schande war Blue Fire zu kontrollieren.

Doch die Zeit arbeitete gegen mich. Mit der Hexenverbrennung starben viele Blosyx, die mit ihrer Kraft Menschen heilten, aber auch an den Zylokanern ging diese Zeit nicht ohne Verluste vorüber. Alle Schriften und Bücher waren verbrannt und viele vergaßen.

Es liegt in der friedlichen Natur der Blosyx sich nicht gegen etwas aufzulehnen und in der der Zylokaner Unruhe und Angst zu verbreiten. So kam es schließlich zum Krieg.“

Trocken schluckte ich.

Wie konnte es sein, dass die Menschen nie etwas von der Existenz, geschweige denn von dem Krieg zwischen den Beiden Arten mitbekommen hatten?

„De…der Krieg…von dem du erzählt hast, der ist doch aber schon vorbei, oder?“

Meine Gestotterte ließ sogar die vorlaute Stimme in mir aufhorchen.

Ernst schaute Lassairas Gesicht zu mir hinab. Ihr Mund war zu einem schmalen Strich verzogen und mein Bauch zog sich unwillkürlich zusammen.

„So gerne ich dir sagen würde, dass es vorbei ist und keine Gefahr mehr droht, kann

ich es nicht. Das schlimmste ist vorüber, aber viele Zylokaner treiben immer noch ihr Unwesen und machen Jagt auf Blosyx“, drang ihre Stimme leise an mein Ohr. Alles fühlte sich taub und weit weg an, als hätte man mich in Watte gepackt.

Nur langsam bahnten sich ihre Worte in mein Gehirn.

Von einer Sekunde auf die andere war ich hellwach und schaute geschockt in das farblose Gesicht über mir. Mein Herz drohte mir aus dem Brustkorb zu springen und mein Körper bebte vor Anspannung.

Ach du heilige Scheiße, kommentierte meine Stimme tonlos.

Ungläubig schüttelte ich meinen Kopf.

„Aber, wir sind doch in einer modernen Zeit, hier werden keine Leute einfach so mir nichts dir nichts umgebracht! Und die Polizei kann ich in so einer Situation auch schlecht rufen, entschuldigen sie, ein Monster, das eigentlich gar nicht existieren dürfte, versucht gerade mich umzulegen. Wie soll ich jetzt Bitteschön noch ruhig schlafen, wenn ich ständig Angst haben muss von einem dreckigen Zylokaner angegriffen zu werden.“ Meine Stimme war immer lauter geworden, bis ich schließlich hysterisch geschrieen hatte.

So leicht war ich nicht bereit meine einfache Weltansicht ohne Monster und Krieg aufzugeben.

Verdammt Liz, reiß dich zusammen, sie hat doch gesagt, das schlimmste ist vorüber und so einfach lassen wir uns nicht abmurksen, kicherte meine Stimme.

Toll, dass wenigstens du etwas zu lachen hast, murrte ich beleidigt.

Lassairas mitfühlender Blick besänftigte mein Aufbrausendes Gemüt etwas.

Ein Mädchenhaftes Grinsen zierte ihre Lippen, was meine Augenbraue dazu veranlasste in die hoch zu zucken.

Ihre Augen sprühten vor Tatendrang und hätte sie mich nicht immer noch auf ihre Arme gestützt, wäre sie bestimmt freudig aufgesprungen.

Ist die auf Drogen oder was geht mit der ab?

Kannst du nicht einmal deine Klappe halten, meckerte ich ungehalten. Dass ich mich selber über ihren plötzlichen Stimmungswechsel wunderte, verschwieg ich geflissentlich.

Aber vielleicht ist sie auch schwanger, redete sie einfach weiter.

Innerlich verdrehte ich die Augen.

Wohl kaum, wie soll man denn bitte einen Geist schwängern!

Lassairas helle Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

„Ich werde dich trainieren“, strahlte sie mich begeistert an.

Mein Lächeln gefror in meinem Gesicht.

Ich hasste Sport. Ich und Sport, das ging einfach nicht. Da konnte man genauso gut versuchen einem Wahlross das Fliegen bei zu bringen.

„Du wirst staunen, wie viel man mit Blue Fire anstellen kann, aber du wirst auch etwas lernen, was vor dir noch keine Blosyx gelernt hat. Das Kämpfen.“

Ich war mir sicher, dass sie meinen begeisterten Blick gesehen hatte, doch anscheinend zog sie es vor ihn einfach zu ignorieren.

Du weißt genau, dass das unser Tod ist, beklagte sich die Stimme entrüstet.

Was haben wir denn groß zu verlieren, jedenfalls möchte ich nicht vor so einer

Bestie stehen nur mit einem Pfefferspray bewaffnet.

„Okee, aber bei so was wie Langlauf bin ich draußen“, willigte ich mürrisch ein. Lassaira lächelte milde.

„Semir wird dich holen, wenn es soweit ist. Ich werde dich nun verlassen, meine Zeit in eurer Welt ist um, aber hab keine Angst, ich bin nie weit weg“, verabschiedete sie sich.

Nehmt euch in Acht ihr miesen Zylokaner, bald sind wir so stark wie Buffy, dann habt ihr nichts mehr zu lachen.

Bei dem Gedanken mich sportlich zu verausgaben verzog ich missmutig das Gesicht.

Wie heißt du überhaupt, wenn ich schon nicht mehr wissen darf, als dass du ein Teil von mir bist?

Doch die Antwort blieb aus.

Über mir wurden Lassairas Schultern immer durchscheinender. Schnell stand ich auf, um nicht durch sie hindurch zu fallen. Weiße Wölkchen umschlangen ihre Gestalt und sie war schon fast mit dem schimmernden Dunst verschmolzen, als sich ihr Gesicht zu mir beugte.

Lucy, du kannst mich Lucy nennen, antwortete sie leise.

Doch ich war nicht mehr fähig ihr zu antworten. Kalte Lippen hauchten einen sanften Kuss auf meine erhitze Stirn und eine bleierne Müdigkeit befiel meinen Körper.

Schwer fielen meine Lieder zu und das letzte was ich hörte war ein kaum wahrnehmbares Flüstern.

Vergiss nie. 

Another day- same problems

 

„Liz! Essen ist fertig, beeil dich mal, ich hab auch noch wichtigeres zu tun, als auf dich zu warten.“

Abrupt holte mich Ricks laute Stimme zurück in die Realität.

Mit weit aufgerissenen Augen saß ich kerzengerade in der Hängematt.

Durch meine ruckartigen Bewegungen schwankte sie heftig Hin und Her.

Grübeln rieb ich mir die Augen.

War das alles wirklich passiert?

Prüfend tastete ich meinen Körper nach Wunden ab, doch nichts.

Nicht mal ein kleiner Kratzer war übrig geblieben.

„Liz, wo bleibst du!“

Krachend fiel ich aus meiner heiß geliebten Hängematte.

Wütend schnaubte ich.

„Ich komm ja schon!“, rief ich nicht minder wütend zurück.

Das weiche Gras hatte meinen Sturz wenigstens einigermaßen aufgefangen und hastig kam ich wieder auf die Beine.

Rick stand auf der Terrasse und beobachtete mich lachend.

Pah, wohl noch nie einen fallenden Menschen gesehen.

Mein knurrender Magen erinnerte mich an das Essen, das dort drinnen nur auf mich wartete.

Als wäre mein tollpatschiger Sturz vorhin nie passiert, setzte ich mich eilig in Bewegung.

„Was stehst du hier immer noch rum, ich dachte wir wollen essen“, ignorierte ich sein glucksendes Lachen einfach.

„Man du hättest dein Gesicht sehen sollen, als du gefallen bist!“

Genervt verdrehte ich die Augen und setzte mich an den Tisch.

Der Dampf von den heißen Nudeln stieg an die Decke und ein köstlicher Geruch von würzigen Tomaten verwöhnte meine Nase.

Ich war viel zu hungrig, um mich jetzt von Ricks Sticheleien provozieren zu lassen.

Das Wasser sammelte sich in meinem Mund, als ich meinen Teller großzügig belud.

Die nächsten 15 Minuten herrschte Stille und nur das leise Kauen unserer Münder war zu hören.

Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach und war damit beschäftigt seinen leeren Magen zu füllen.

Zufrieden ließ ich mich auf meinem Stuhl zurücksinken.

Mein Bauch war bis zum Anschlag gefüllt und eine wohlige Müdigkeit schlich durch meinen Körper.

Mit Blick auf Ricks ebenfalls leeren Teller sagte ich schmunzelnd:

„Na los verzieh dich, ich mach den Abwasch.“

Erleichtert stand er auf und verzog sich in sein Zimmer.

Ein „Danke“ war wohl zu viel verlangt gewesen.

Kopfschüttelnd räumte ich das benutze Geschirr in die Spülmaschine.

Wieder erwischte ich mich dabei, meine Hände nach Schürfwunden abzusuchen.

Das war ja wie verhext! Dabei war ich mir so sicher, dass ich nicht bloß geträumt hatte.

Wütend klatschte ich den nassen Lappen auf die Tischplatte.

Es musste doch irgendwas geben, was bewies, dass das alles real gewesen war!

Nachdem ich den Tisch abgewischt hatte schleppte ich mich die Treppe hoch in mein Zimmer. Erschöpft schmiss ich mich in mein Bett und starrte aus dem Panoramafenster in den Sonnenuntergang.

Der heiße Feuerball senkte sich über die zahlreichen Baumwipfel und tauchte den Himmel in schöne orange-rot Töne.

Wunderschön. Fast so schön wie die heilige Grotte.

Mein Körper sank tief in die weiche Matratze ein und gähnend wälzte ich mich hin und her.

Nein, das alles war wahr, Lassaira und auch die Grotte!

Ich konnte meine Lider kaum noch offen halten und kroch schnell aus meinem warmen Bett bevor ich noch geschminkt und in Klamotten einschlief.

Träge kramte ich mein weißes Spitzennachthemd aus dem Kleiderschrank und ging damit bewaffnet aus meinem Zimmer in das gegenüberliegende Bad.

Mein Spiegelbild zeigte mir eine völlig übermüdete Liz.

Dunkle Augenringe und verwischtes Make-up zeugten von dem anstrengenden Tag.

Dabei war es erst kurz vor fünf.

Wenn ich doch bloß jemanden fragen könnte, dann wüsste ich sicher, dass ich nicht geträumt hatte.

Mit der flachen Hand schlug ich mir gegen die Stirn.

Warum war ich nicht schon früher auf die Idee gekommen?

Wieder hellwach lief ich aufgeregt im Badezimmer Hin und Her.

Lucy, bist du da?

Gespannt wartete ich ab, mein Körper war angespannt und ich blendete alles um mich herum aus.

Komm schon, bitte antworte, flehte ich stumm.

Sie war meine letzte Hoffnung und auch nur deshalb war ich über meinen Schatten gesprungen und hatte sie angefleht.

Immer noch war nichts zu hören außer der drückenden Stille um mich herum.

Fast hatte ich es schon aufgegeben und schminkte mich missmutig ab, als ihre mir allzu bekannte Stimme in meinem Kopf auftauchte.

Natürlich bin ich da, obwohl ich auch mal gern Urlaub hätte, ich mein ich werd ja noch nicht mal für diesen Full-time-Job bezahlt!

Erleichtert atmete ich aus und die Anspannung wich augenblicklich aus meinen Muskeln. Ich war viel zu froh über ihre Anwesenheit und überhörte ihren Kommentar einfach.

Du Lucy, wir waren doch wirklich in der Grotte und das, was Lassaira uns erzählt hat, das haben wir nicht bloß geträumt oder?

Natürlich nicht, wir werden wie Buffy ein paar Monster umlegen, lachte sie.

Unwillkürlich breitete sich ein Grinsen auf meinem Gesicht aus, war klar, dass sie nur das im Kopf hatte, aber wenigstens hatte ich jetzt eine Antwort.

Schnell beendete ich meine wasch Aktion und streifte mir das leichte Nachthemd über. Jetzt, wo mich die Ungewissheit nicht mehr quälte, kehrte die bleierne Müdigkeit

sofort zurück.

Auch Lucys Stimme wurde immer leiser. Da viel mir plötzlich etwas ein und ich wandte mich erneut an sie.

Früher hast du nur ab und zu mit mir geredet und seit wir hier her gezogen sind meldest du dich viel öfter, warum?

Schweigen.

Früher hat e mich viel Kraft gekostet überhaupt einen Laut von mir zu geben, aber seit Blue Fire dich erwählt hat, hab ich keine Probleme mehr damit.

Meine Stirn runzelte sich, irgendwas verschwieg sie mir noch, das war noch nicht alles.

Bereit alles aus ihr herauszuquetschen zog ich die leichten Vorhänge über die Fensterfront, löschte alle Lichter und legte mich ins Bett.

Was hatte das zu bedeuten? Seit ich Blue Fire beschworen hatte, wurde sie stärker.

Es musste so etwas wie eine Verbindung zwischen den beiden geben.

Noch eine engere, als ich mit Blue Fire hatte. Aber ging das überhaupt?

Bevor ich nicht dahinter gekommen war, wer sie war, würde ich nicht einschlafen können. Die Frage hatte mich schon oft beschäftigt, aber nun brannte sie mir so heiß unter den Fingern, dass ich es unmöglich noch länger aushielt, keine Antwort darauf zu haben.

Angestrengt spornte ich meine Gehirnzellen an, gefälligst schneller zu arbeiten.

Sie konnte keine engere Verbindung zu der blauen Macht haben, als ich! Es sei den…

Mit klopfendem Herzen hielt ich die Luft an. Konnte das wahr sein?

Meine feuchten Handflächen hatten sich in die weiche Daunendecke gekrallt und unterbewusst nagte ich an meiner Unterlippe.

Ich musste es einfach wissen. Tief holte ich Luft und stellte ihr meine irrwitzige Vermutung dar.

Lucy, bist du…..bist du mein Blue Fire?

Mein Puls rauschte laut in meinen Ohren, als sie immer noch nicht geantwortet hatte.

Trommelwirbel bitte! Und der Sieger ist…..Liz, das ging schneller als erwartete.

Und um deine frage zu beantworten, ja ich bin dein Blue Fire. Jeder Blosyx, deren Blue Fire mächtig genug ist, ist es möglich auch ohne es sichtbar zu beschwören, mir ihm in Kontakt zu treten. Wir sind eins, ich war schon immer da, nur hast du mich nicht heraus gelassen.

Ungläubig schnappte ich nach Luft, doch je länger ich darüber nachdachte, desto logischer erschien mir ihre Erklärung.

Und ich hatte schon Angst ich bin schizophren, kicherte ich erleichtert.

Noch mehr Probleme konnte ich wirklich nicht gebrauchen.

Dann sind wir ja so was, wie die Hexe und ihre sprechende Magie.

Ja, so in etwa. Man bin ich froh, dass du es herausgefunden hast, noch länger hätte ich es wirklich nicht ausgehalten. Ich hasse Geheimnisse.

Ja ich bin auch froh.

 Gähnend zog ich die Decke enger um mich. Die kuschelige Wärme brachte die Müdigkeit und Erschöpfung zurück.

In dem Zustand hätte ich nicht mal mehr meinen kleinen Finger krümmen können.

Morgen würde ein anstrengender Tag werden und ich würde Raph wieder sehen.

Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen fiel ich in einen traumlosen Schlaf.

 

 

***

 

Brummend drehte ich mich auf die andere Seite und zog mir mein Kissen über den Kopf.

Doch es half nichts der Wecker klingelte gnadenlos weiter.

Verschlafen tastete ich nach der Lärmquelle und schaltete sie aus.

Endlich wieder Stille!

Ich kuschelte mich in die Decke ein und war gerade dabei wieder weg zu schlummern, als meine Zimmertür aufgerissen wurde.

„Nicht wieder einschlafen Liz! Du bist gestern doch schon früh ins Bett gegangen, hat mir dein Bruder erzählt“, sagte mein Mutter mit einer viel zu lauten Stimme.

Mit einem Ruck zog sie die Vorhänge auf und ließ die ersten Sonnenstrahlen in mein Zimmer.

„Mach den Vorhang wieder zu, ich will schlafen“, jammerte ich und vergrub mein Gesicht im Kissen.

„Schlafen kannst du abends wieder, ich hab euch Frühstück gemacht.“

Bei dem Wort „Frühstück“ horchte ich auf und blinzelte immer noch leicht verstimmt hinter meinem Kissen hervor.

Meine Mutter stand in einem dunklen Blazer und einem knielangen engen Rock vor mir. Ihre dunklen Haare hatte sie zu einem strengen Dutt gebunden und ihre grünen Augen blickten mich herausfordernd an.

„Wenn du dich beeilst sind die Waffeln noch heiß“, zog sie ihr Ass aus dem Ärmel.

Mit einem Satz war ich aus dem Bett gesprungen und scheuchte meine grinsende Mutter aus dem Zimmer.

So ein Festschmaus würde ich mir nicht entgehen lassen, vor allem weil es extrem selten vorkam, dass unsere Mum morgens noch Zeit hatte für uns Frühstück zu machen.

Die Müdigkeit war verschwunden und auch den letzten Schlaf rubbelte ich aus den Augen.

Die Hände in die Hüfte gestemmt betrachtete ich meinen voll gestopften Kleiderschrank.

Ein Blick auf den wolkenlosen Himmel sagte mir, dass es wieder warm werden würde.

Ich wollte meine Mitschüler nicht schon am Anfang mit meinen Tattoos schocken, die neugierigen Blicke, die sie mir als „Neue“ schon zu warfen, genügten mir fürs erste.

Ich entschied mich für einen roten langarm Pulli, der an den Armen etwas weiter war und einige Zentimeter unter meiner Brust endete.

Vielleicht war er etwas gewagt, aber das interessierte mich im Moment nicht, ich war damit beschäftigt eine passende Hot-pan zu finden, was eindeutig wichtiger war, als sich Gedanken über meine Mitschüler zu machen. Immerhin konnte ich schlecht in Unterwäsche erscheinen.

Meine Hände verschwanden in den Tiefen meines Schrankes, als ich endlich das gewünschte Teil heraus zog.

Mit flinken Bewegungen schlüpfte ich in eine weiße, hochgebundene kurze Hose. Der Stoff war übersäht mit kleinen schwarzen Kreuzen und an den Enden franste sie leicht aus. Mein Bauch war trotzdem noch zu sehen, was ich mit einem frechen Grinsen quittierte.

Zufrieden mit dem Ergebnis packte ich mein Handy und einen Block in eine schwarze Ledertasche.

Der Duft von frischen Waffeln drang in meine Nase und spornte mich noch mehr an.

Im ganzen Flur flogen Geruchsschwaden herum und der leichte Zimtduft verbreitete selbst im Sommer weihnachtliche Stimmung.

Im Bad vollzog ich mein morgendliches Waschprogramm und legte dezent Make-up und Puder auf. Meine Augen schminkte ich heute dunkel und gab meinem Aussehen etwas Verruchtes. Der süßliche Duft von meinem Gucci Black Parfum und das goldene Kreuzkettchen verfeinerten das Outfit.

Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass ich mich in Rekordzeit fertig gemacht hatte.

Mit knurrendem Magen stürmte ich die Treppe runter ins Wohnzimmer.

Auf meinem Teller lagen bereits gepuderte Waffeln die noch leicht dampften.

Das Wasser lief mir im Mund zusammen und ich stürzte mich wie ein ausgehungertes Tier auf das Essen.

Als der Hunger für erste gestillt war drang das Lachen von meinem liebenswerten Bruder zu mir durch.

„Morgen“, grüßte ich ihn kauend, „was lachst du denn so?“

Ich war so auf die duftenden Waffeln fixiert gewesen, dass ich ihn und meine Mum gar nicht bemerkt hatte.

„Schätzchen willst du dir nicht noch schnell die Haare kämen, bevor ihr los zur Schule geht?“

Verwundert fasste ich mir in die Haare. Tatsächlich sie waren struppig und standen in alle Richtungen ab.

„Man…du sahst aus wie eine wild gewordene Furie…’Gebt mir Waffeln oder ich gehe auf euch los’“, lachte mich Rick aus.

„Wenigstens renn ich nicht immer so rum“, konterte ich und beeilte mich ins Bad zu kommen.

Leise vernahm ich noch das belustigte Lachen meiner Mutter. Auch Lucy schien die Situation zu amüsieren.

Die Furie von Wagendorf, versteckt eure Kinder!

Als würde ich den armen Kindern etwas tun, empörte ich mich, höchstens ein paar schleimigen Arschlöchern würde ich einen Besuch abstatten.

Würdest du auch zu Raph gehen?

Ich ignorierte ihre Frage einfach und versuchte das Chaos auf meinem Kopf zu bändigen.

 Ehrlich gesagt wusste ich es nicht.

Also ich finde ja, dass ihr gut zusammenpassen würdet.

Schnaubend band ich meine Haare zu einem Lockeren Dutt zusammen.

Aber was weiß ich schon, ich bin ja nur eine blaue Flamme.

Einfach ignorieren, irgendwann lässt sie das Thema fallen.

Unten angekommen erblickte ich Rick, der noch schnell eine Waffel verdrückte und dann zu mir Richtung Tür ging.

Ich entschied mich für ein paar schwarze High Heels, die an der Seite mit goldenen Nieten verziert waren und meinem rockigen Look das i-Tüpfelchen aufsetzte.

Yeah, lass uns die Scheiße rocken und ein paar Kerlen die Bude einheizen!

Für einen Kerl mach ich mir in Zukunft nicht mal den kleinen Finger dreckig, dämpfte ich Lucys Enthusiasmus.

Mit Schlüssel und Tasche bewaffnet trat ich an die frische Luft.

„Bis heut Abend Mum“, verabschiedeten wir uns.

Die Luft war noch frisch und eine leichte Brise wehte. Auf dem Weg begegneten wir niemandem und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, was mir ganz gelegen kam.

Ich war doch eine Blosyx warum musste ich dann verdammt noch mal in die Schule gehen! Ich verstand das wirklich nicht, warum konnte mir dieses Affentheater nicht erspart bleiben?

Streng doch mal dein kleines Köpfchen an, das würde ja zum Himmel stinken, wenn du nicht in die Schule gehst dein Bruder aber schon, außerdem hast du ja Nadine und wir sehen Raph wieder.

Die Welt dreht sich nicht nur um den Typen also komm mal wieder runter, und ob er in Ordnung ist oder nicht werden wir noch sehen.

Damit war das Gespräch beendet und Lucy zog sich beleidigt zurück.

Das Schulgebäude war schon in sichtweite und in ca. 5 Minuten würde ich das ganze Theater wieder über mich ergehen lassen.

Und da sag einer man hat Vorteile, als übernatürliches Wese. Das ich nicht lache, das bewahrt mich auch nicht vor der überbewerteten Schulhirachie. Gut, dass ich schon lange nicht mehr Teil dieser Ordnung war und das machte, was mir gefiel.

Etwas besser gelaunt schritten wir gemeinsam in die Eingangshalle und eine Welle von Stimmen überrollte mich.

„Wir sehn uns daheim“, wandte ich mich an Rick, der bereits auf dem Weg zu seinem Klassenzimmer war.

„Ja, aber versprich mir, dass du dieses mal nicht den leisesten Versuch startest zu kochen“, grinste er mich gut gelaunt an.

„Jaja mach ich nicht“, murrte ich Augen verdrehend.

Mit einem Lächeln auf den Lippen schlug ich die entgegen gesetzte Richtung ein.

Die neugierigen Blicke, die sich in meinen Rücken bohrten, nervten mich, aber das würde Wohl oder Übel noch eine Weile so bleiben.

Die Gänge waren überfüllt und jeder versuchte sich einen Weg durch die Masse zu bahnen. Verzweifelt versuchte ich mich daran zu erinnern in welchem Gang mein Klassenzimmer lag. Mein Orientierungssinn war gleich null und so gelang es mir auch erst nach 10 Minuten Den Raum zu finden.

Die Gänge waren mit dem Gong wie leer gefegt gewesen und das Klackern meiner Absätze hallte von den Wänden wieder.

Ich vernahm angeregtes Stimmengewirr hinter der verschlossenen Tür.

Hatte der Unterricht etwa noch nicht begonnen?

Laut klopfte ich an und trat ein.

Der Lärmpegel verringerte sich augenblicklich und neugierige Gesichter musterten mich.

„Pünktlichkeit ist wohl nicht ihre Stärke, Miss.“

Eine leicht mollige Dame, die in einem viel zu engen Hosenanzug steckte, musterte mich streng.

Ihr Gesicht war leicht gerötet und einzelne Haarsträhnen hatten sich aus ihrer Frisur gelöst. Die Frau war eindeutig überfordert mit der Klasse, was sie nun leider Gottes an mir ausließ.

„Tut mir leid, ich hab den Raum nicht gefunden“, antwortete ich ehrlich.

Wirsch winkte sie mit der Hand in meine Richtung und watschelte dann mit ihren kurzen Beinchen zum Lehrerpult.

Achselzuckend wandte ich mich ab und begab mich auf meinen Platz neben Nadine.

„Ich hatte schon Angst du tauchst gar nicht mehr auf, eine paar Minuten später und du hättest einen leeren Raum vor gefunden. Schickes Outfit übrigens“, begrüßte sie mich freudestrahlend.

Ich verstand nur Bahnhof und bedankte mich leicht verwirrt bei ihr. Das Gemurmel hatte wieder eingesetzt und ich zuckte erschrocken zusammen, als die Lehrerin mit hochrotem Kopf versuchte die Schüler zu übertönen.

„Ruhe! Ruhe Klasse! Da wir jetzt endlich vollzählig sind bitte ich sie mir leise und gesittet zu folgen.“

Ich hängte mich an Nadine und folgte der watschelnden Ente aus der Tür.

„Hast du ne Ahnung warum wir rausgehen?“

Nadine schlug sich mit der Hand vor den Kopf und hackte sich freundschaftlich bei mir ein, während wir weiter den Gang hinab gingen.

„Ach stimmt ja, du kannst es ja gar nicht wissen, bist ja erst seit gestern hier“, fing sie an zu erklären, „heute fängt die Projektwoche für die 10.-12. Klassen an. Die Partner werden ausgelost und jedes Jahr steht die Projektwoche unter einem andern Thema.“

In dem Moment gelangten wir in die Aula, die bereits von Schülern gefüllt war.

Auf einer kleinen Erhöhung stand eine Frau neben einer mit bunten Zettelchen gefüllten Tombola.

„Und dann haben wir die ganze Woche keinen Unterricht und müssen uns nur mit dem Thema beschäftigen?“, fragte ich Nadine ungläubig. So ganz konnte ich mir das ganze noch nicht vorstellen, aber der Gedanke nicht in den stickigen Klassenräumen sitzen zu müssen gefiel mir durchaus.

„Im Prinzip ja, wie genau das Ganze abläuft weiß ich auch nicht, die Projektwoche ist ja erst ab der 10. Klasse, aber ich hoffe, dass wir nette Partner abbekommen“, grinste sie mich an.

Ihre langen Haare umrahmten ihr hübsches Gesicht und ihre Augen schauten mich offen an.

„Ja das hoffe ich auch, auf eine entspannte Woche!“

 Angesteckt von ihrer guten Stimmung blieben wir gespannt, was als nächstes Geschehen würde, stehen.

Vermutlich war die Frau vorne auf dem Podest die Direktorin Frau Berenz.

Ihre Stimme schallte laut durch das Mikrofon und forderte unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.

„Hallo liebe Schüler, wie jedes Jahr werden die Partner für die diesjährige Projektwoche von mir gezogen und ich bitte die gezogenen Teams den Raum danach zu verlassen.

Für die 10.-Klässler unter euch erkläre ich noch einmal kurz die Regeln.

In der Projektwoche geht es darum, die Gemeinschaft der Schüler auch Klassenübergreifend zu stärken und selbstständiges Lernen zu fördern.

Die ganze Woche seid ihr vom regulären Unterricht befreit. Ihr könnt euch im Schulgebäude, der Bibliothek, aber auch außerhalb aufhalten. Am Ende dieser Woche werden die verschiedenen Teams ihre Ergebnisse präsentieren, dabei ist eurem Ideenreichtum keine Grenze gesetzt.

Falls ihr noch fragen habt wendet euch bitte an euren Klassenlehrer.

Die Woche steht unter dem Thema Energie, worunter sich hoffentlich jeder etwas vorstellen kann. Die Präsentationen fließen mit in eure Noten ein, also strengt euch an. Auf ein gutes Gelingen!“

Energie, da hatte man wirklich viele Möglichkeiten.

Ungeduldig, mit wem ich zusammen arbeiten sollte wartete ich gespannt ab.

Die Direktorin drehte die Tombola und begann dann einen Zettel nach dem anderen vorzulesen. Es folgte eine lange Liste an Namen, die mir allesamt nichts sagten und die Zeit verstrich.

Nach und nach leerte sich die Aula, doch mein Name war immer noch nicht gefallen.

„Nadine Huber……und Michael Schmitt sind die nächsten.“

„Oh, das bin ich“, fiepte Nadine aufgeregt.

Eilig fuhr sie sich durch die Haare und schloss mich kurz in die Arme.

Für einen Moment war ich von dieser plötzlichen Nähe überrumpelt, schloss dann aber zögerlich meine Arme um ihren schmalen Körper.

„Viel Glück dir für deinen Partner und schreib mir nachher, wies gelaufen ist“, verabschiedete sie sich kichernd.

Ich sah sie mit einem hoch gewachsenen Blondschopf durch die Tür gehen und widmete mich dann wieder der Verlosung.

Langsam könnten wir auch mal gezogen werden, moserte Lucy herum.

Ja, meine Beine tun schon von dem langen Stehen weh, die Schuhe waren doch nicht so eine schlaue Wahl gewesen.

Ach quatsch! Die Treter sind total heiß, die paar Minuten werden wir schon noch überleben.

Unwillkürlich schmunzelte ich über ihren Satz, musste aber zugeben, dass ich die Schuhe auch unheimlich schön fand.

Kurz schaute ich mich um und musterte die einzelnen Personen, die im Raum verteilt standen.

„Liz Kamaru….und Raphael Wagner“, klang es durch die Lautsprecher.

Mein Herz setzte einen Moment aus, nur um dann im Galopp weiter zu schlagen.

 Von all den Leuten musste ich ausgerechnet mit Raph zusammen arbeiten!

Meine gute Laune war mit einem Schlag verschwunden und die Stimme von Frau Berenz klang wie durch Watte gedämpft zu mir durch.

Ich stand wie angewurzelt da, nicht fähig auch nur einen Finger zu krümmen.

Mein ganzer Körper zuckte zusammen, als sich eine warme Hand auf meine Schulter legte und die Starre durchbrach.

Warme Schauer huschten über meinen Rücken und ich verspürte einen kleinen Stich, als die Person hinter mir die Hand wieder zurückzog.

Irritiert schüttelte ich den Kopf und drehte mich um. Hinter mir stand niemand geringeres als Raphael Wagner.

Seine Lippen waren zu einem belustigten Grinsen verzogen und seinen grün-blauen Augen, die heute etwas dunkler wirkten, entging nichts.

„So sieht man sich wieder, Liz. Komm lass uns raus gehen.“

Damit drehte er sich um und schritt voraus. Die restlichen Schüler wichen zurück und machten ihm den Weg frei, doch ich ließ mich nicht von ihm einschüchtern.

„Erschrick mich nie wieder“, presste ich zwischen den Zähnen hervor.

Seine Brust bebte und sein tiefes Lachen erfüllte die leeren Gänge.

Es ging mir durch Mark und Bein, so etwas wunderschönes hatte ich noch nie gehört, er sollte eindeutig öfter lachen.

Halt! Er ist immer noch ein Kerl also Schluss mit dem Geschnulze, ermahnte ich mich.

Vorsichtig blickte ihn von der Seite an. Er hatte sich etwas beruhigt und mein Blick haftete sehnsuchtsvoll an seinen roten Lippen.

Nein streicht das! Kein sehnsuchtsvoller Blick! Ich kam bis jetzt auch gut allein klar und daran würde sich nichts ändern.

„Ich wollte dich nicht erschrecken, du standest da wie ein Eisklotz, wahrscheinlich hättest du es nicht mal bemerkt, wenn direkt neben dir etwas explodiert wäre.“

Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust.

Das konnte ja heiter werden, eine ganze Woche mit Mr. Ich-bin-ja-so-toll lag vor mir und darauf hätte ich wirklich verzichten können. Von wegen entspannte Woche, das Problem Raph hatte mich soeben eingeholt.

 

Freakshow der Extraklasse

 

Mein Kopf hatte wahrscheinlich eine rötliche Färbung und meine Augen waren zu stechenden Eiskristallen geworden und das alles nur wegen diesem einen Volltrottel, der mich mit seinem Desinteresse von Null auf 180 brachte!

Wir stritten jetzt schon eine halbe Stunde lang darüber, welches Thema wir nehmen wollten, was hieß, dass ich Vorschläge machte, die er aber alle achselzuckend ablehnte.

Ich hatte mich dazu breit reden lassen, mit zu ihm zu gehen, damit wir anfangen konnten. Selten so blöd gewesen, grummelte ich innerlich.

„Da sich der Herr ja zu fein für alle meine Vorschläge ist, von ihm aber in der ganzen halben Stunde kein einziger gekommen ist, kommst du sicher auch gut ohne mich klar!“

Mein Geduldsfaden war endgültig gerissen und ich gestikulierte wird vor ihm herum.

Obwohl ich Absätze trug, überragte er mich immer noch um einen halben Kopf und ich musste zu ihm auf blicken.

„Ich hab mich wirklich zusammengerissen, ja! Obwohl ich dich nicht sonderlich leiden kann, aber ich hab es versucht und dann kommst du „Mr. Obercool“, bringst nicht einen Vorschlag und ich hab ehrlich keinen Bock mit jemandem zusammen zu arbeiten, der an meiner Person und dem Thema kein Stückchen Bereitschaft zeigt!“, zeterte ich weiter.

Meine Augen durchbohrten ihn, und für eine Sekunde blitze Reue in seinen Augen auf.

Tja, der Zug ist abgefahren Süßer, stimmte mir Lucy zu, die es anscheinend auch nicht ertragen konnte, wenn man uns nicht zuhörte.

Langsam atmete ich tief ein und aus, um mich wieder etwas zu beruhigen. Abwartend verschränkte ich die Arme vor der Brust und blickte ihn düster an.

Doch er schaute mich nur erstaunt an, wobei seine Augenbrauen leicht zusammengezogen waren, als würde er versuchen eine komplizierte Gleichung zu lösen.

Entnervt strich ich mir eine Strähne, die sich aus meinem Dutt gelöst hatte, aus dem Gesicht und kehrte ihm den Rücken zu.

Das schien ihn aus seiner Starre zu lösen, denn er hohle mich schnell wieder ein und zwang mich mit seiner Hand zum Stoppen.

Abermals durchfuhr mich ein angenehmes Kribbeln und ich könnte mich dafür Ohrfeigen, dass ich mich in dem Moment zu ihm hingezogen fühlte.

„Liz, warte“, begann er und drehte mich zu sich um. Ich spürte seinen Atem und war mir der plötzlichen Nähe bewusste. Schnell senkte ich den Kopf, damit er nicht sah, dass ich nicht länger böse auf ihn sein konnte.

Seine Hand sandte immer noch kleine Stromstöße durch meinen Körper und als wäre er sich dessen bewusst, zog er sie abrupt zurück.

„Tut mir leid, wenn ich dir nicht zugehört hab, ich bin nicht immer der Aufmerksamste, nimm das nicht persönlich, schlechte Angewohnheit“, entschuldigte er sich wortkarg. Ich hatte die ganze Zeit über auf seine wunderschön geschwungen Lippen gestarrt und nur langsam drangen seine Worte wirklich zu mir durch, was nicht hieß, dass ich meinen Blick von seinem Mund lassen konnte.

Das leichte rot war ein krasser Kontrast zu der hellen Haut. Er roch männlich und leicht herb, einfach herrlich.

Verdammt, nicht schon wieder!

Eilig brachte ich etwas mehr Abstand zwischen uns und nickte, um ihm zu verstehen zu geben, dass die Sache für mich gegessen war.

Hoffentlich hatte er meine peinliche Starraktion nicht bemerkt, klammerte ich mich verzweifelt an den kleinen Hoffnungsschimmer, der einen Augenblick später verpuffte.

Den Rest des Weges durfte ich mir anzügliche Sprüche von ihm anhören und dass ich ihm ja schon längst verfallen war.

Leicht belustigt von seinem Irrglaube schaltete ich auf Durchzug.

Nein ich würde ihm sicherlich nicht verfallen! Die Männerwelt hatte mir bestens zu verstehen gegeben, dass ich mich zu meiner eigenen Sicherheit von ihnen fern halten sollte.

Es war noch Vormittag, doch bereits jetzt wärmte die Sonne meinen kühlen Körper.

Die Straßen waren wie ausgestorben und die Häuser standen in immer größeren Abständen voneinander entfernt. Am Horizont konnte ich die ersten Baumkronen ausmachen.

„Wie lange dauert es denn noch“, quengelte ich.

Meine Schuhe waren eindeutig nicht für längere Strecken gedacht, was meine armen Füße leider ausbaden mussten.

„Wir sind gleich da“, erklärte er grinsend.

„Will ich auch für dich hoffen, meine Füße begehen sonst gleich Selbstmord.“

Raphael hielt sein Versprechen, denn schon nach der nächsten Kurve blieb er vor der Einfahrt eines Villa artigen Hauses stehen.

„Das ist es?“, fragte ich von dem Anblick völlig überwältigt. Es war groß, sehr groß, wirkte aber dennoch familiär und einladend. Für meinen Geschmack etwas zu protzig, aber unverkennbar schön.

„Ja, meine Mutter hat es damals bauen lassen“, antwortete er nicht mal ansatzweiße begeistert. Er spuckte das Wort „Mutter“ hasserfüllt aus, was mich stutzen ließ.

Ich war allerdings schlau genug nicht weiter nachzufragen.

Schweigend öffnete er das Tor von dem weißen Gartenzaun, der das ganze Grundstück umrahmte und hielt es mir Gentleman-like auf.

Grinsend betrat ich den mit schmalen Ziegelsteinen bepflasterten Weg.

„Ein bisschen Anstand steckt also auch noch in dir Raphael Wagner, ich bin erstaunt“, witzelte ich etwas, um seine ernste Mine etwas auf zu lockern.

Es klappte, denn seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln und in seinen grün-blauen Augen blitze es auf.

„Also bitte Liz, da hast du aber ein ganz falsches Bild von mir, ich bin der Anstand in Person!“

Kopfschüttelnd folgte ich dem hübschen Bad Boy die weißen Stufen hinauf unter das Vordach des Hauses. Dunkelgrüne Säulen stützten das Dach und an der massiven Holz Tür blinkte ein Faustgroßer Messing Türring, in Form eines Schakalkopfes auf.

Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Seine zusammengekniffenen Augen starrten

mich grimmig an.

Trocken schluckte ich und lenkte meinen Blick auf den penibel gepflegten Garten.

Auf den ersten Blick schien das weiße Haus mit den dunkelroten Ziegeln makellos und perfekt. Doch hinter der Fassade des perfekt gepflegten Rasens, schaute mich die Einsamkeit durch die leeren Fenster an. Unpersönlich und hohl. Die Wahrheit sah man nie auf Anhieb, doch auf den zweiten Blick sah man, was der schöne Anschein versuchte zu verbergen.

Mit gedrückter Stimmung und hängenden Schultern trat ich hinter Raph in die edle Eingangshalle.

„Lass deine Schuhe ruhig an, wir gehen hoch, der 1. Stock gehört mir.“

Er ließ mir keine Zeit mich lange umzuschauen, doch was ich sah, ließ mich aufkeuchen.

Da muss man ja bei jedem Schritt Angst haben, was kaputt zu machen.

Ja und schau mal der Fuchs über dem Kamin gruselig. Nachts würden mich keine 10 Pferde da rein kriegen, wer weiß was sich im Dunkeln verbirgt, stimmte ich Lucy zu.

Eine große Eichentür am Ende des Eingangsbereichs, gewährte mir einen Blick in ein antik eingerichtetes Wohnzimmer. Prunkvolle Kronleuchter und Fackelartige Lampen erhellten den in dunklen Tönen gehaltenen Raum. Früher hatte ich mir so das Schloss der bösen Hexe vorgestellt. Vier weitere Türen, zu meiner rechten und linken Seite, erinnerten mich daran, wie groß dieses Haus wirklich war.

Schnell beeilte ich mich Raph zu folgen. Immerhin war er mein einziger Wegweißer in diesen kalten Gängen. Seine leisen, kaum hörbaren Schritten folgend ging ich einen schmalen Gang entlang, den ich vorher noch nicht bemerkt hatte. An den Wänden hingen Bilder von Erwachsenen, die alle streng und erhaben auf mich herab blickten. Vermutlich waren das die Vorfahren von den Wagners gewesen. Mit eiligen Schritten hastete ich den Gang entlang. Diese gruseligen Gesichter würde ich mir nicht länger als nötig zumuten. Das letzte Bild zeigte eine Frau mit roten Haaren und heller Haut. Ich erkannte Raphs Mutter sofort, die beiden ähnelten sich ungemein und wie auch er war sie wirklich hübsch. Nur der kalte, böse Blick in ihren blauen Augen und das schmale Lächeln, das einfach nicht zu ihren verhärteten Zügen passen wollte, warfen tiefe Schatten auf ihre Schönheit und ließen sie gespielt und machtgierig erscheinen.

Verstört wandte ich den Blick ab, doch ihr Gesicht hatte sich schon tief hinter meiner Netzhaut eingebrannt. Jetzt verstand ich warum er sie nicht sonderlich mochte. Sie sah schon auf einem Gemälde aus, wie das Grauen in Person.

Hoffentlich begegnen wir ihr nie, flüsterte Lucy.

Raph stieg gerade eine steinerne Wendeltreppe hinauf, die anstatt einem Geländer aus Eisen, aus Lichtröhren bestand und ein sanftes Leuchten verströmte. Andächtig strich ich über das kalte Material. Sie konnten fast mit den magischen Leuchtsteinen in der Grotte mithalten, aber auch nur fast.

Bei dem Gedanken an die wunderschöne Grotte, in der die klare Energie von Blue Fire nur so strahlte, lächelte ich versonnen auf.

Verwirrt durch die plötzliche Stille blickte ich mich suchend nach meinem Projektpartner um.

Er war mitten im Gehen stehen geblieben und musterte jede meiner Bewegungen misstrauisch. Nichts davon erinnerte mich mehr an den Raph, der mir hinterher gelaufen ist und sich bei mir entschuldigt hatte. Er hatte seine undurchdringliche Maske aufgesetzt und seine Augen blickten mir kalt entgegen.

Welche Laus war ihm denn über die Leber gelaufen?

Ich war in seinem Haus, niemand wusste, dass ich hier war und seine lauernde Haltung, die mich an ein Raubtier auf der Jagt erinnerte, ließ mich ebenfalls die Muskeln anspannen.

Da musst du schon schwerere Geschütze auffahren, um uns einzuschüchtern.

Langsam rollte eine Welle aus prickelnder Kraft durch meinen Körper und ich spürte, wie das Blue Fire in mir versuchte, sich aus seinen Ketten zu befreien.

Erhaben setzte ich einen Fuß vor den anderen, wobei ich Raph nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. Ich war eine Blosyx, ich war stark und kein Junge dieser Welt würde mir je wieder Angst machen!

Lucy bist du das?

Na klar, wer denn sonst, oder hast du irgendwelche bewusstseinserweiternden Pillen eingeworfen, lachte sie spitzbübisch auf.

Selbst jetzt war sie noch für Scherze aufgelegt.

Mit der neu gewonnenen Kraft gelang es mir die Wendeltreppe ohne Furcht zu erklimmen, bis mich schließlich nur noch ein paar Zentimeter von Raph trennten.

Die Luft flimmerte geladen, kein Laut durchbrach die drückende Stille.

Unter seiner schwarzen Lederjacke zeichneten sich deutlich Muskeln ab, Muskeln gegen die ich unmöglich ankommen konnte.

Mist, warum hatte mir Lassaira nicht schon gestern ein paar Tricks gezeigt, wie ich jemand kampfunfähig machen konnte, ärgerte ich mich.

Komm knall ihm ein paar Energie Bälle entgegen, schlug Lucy übereifrig vor.

Seine Kiefer war angespannt und ich fühlte mich nackt unter seinen Augen.

Kommt nicht in Frage! Wenn ich mit Blue Fire um mich werfe, können wir unser bisheriges Leben vergessen. Wir wissen ja noch nicht mal, ob er böse ist, gab ich kleinlaut zu.

Dass ich das ausgerechnet von dir höre, grenzt an ein Wunder.

Ich antwortete ihr nicht mehr und konzentrierte mich wieder auf die gefährlich wirkende Person vor mir. Doch ich hatte keine Angst, fragend reckte ich mein Kinn vor und schmunzelte ihn leicht an.

Sein Atme ging gepresst und auch ich pumpte so viel Luft in meine Lungen wie möglich. Ich hatte das Gefühl in seiner Nähe zu ersticken und doch fühlte ich mich so sicher wie lange nicht mehr.

Ich hatte ihn schon jetzt näher an mich heran gelassen, als jeden Jungen davor.

Ich weiß nicht genau, was mich dazu veranlasst hatte, einem mir fast fremden Kerl in

sein gruseliges Haus zu folgen, aber in diesem Moment war mir egal, dass er mich ansah, wie sein nächstes Opfer, er würde mir nichts tun, hinter diesem eiskalten, berechnenden Blick, lag etwas völlig anderes.

Seine Hand ballte sich zur Faust und er schien verzweifelt mit sich zu ringen, aber

anstatt den Rückwärtsgang einzulegen, rückte ich noch näher an ihn heran, sodass ich seinen herben Duft einatmen konnte.

Verblüfft schaute er mich an. Anscheinend hatte er nicht damit gerechnet und für einen kurzen Moment entglitt ihm seine sorgsam aufgesetzte Maske und gewährte mir einen Blick in sein wahres Gesicht.

In seinen Augen zuckten dunkelblaue Blitze, doch im nächsten Moment war es wieder vorbei und weg war der nette, ja fast schon liebevolle Blick mit dem er mich bedacht hatte. Eine Gänsehaut der guten Art befiel mich und mein Herz setzte einen Schlag aus. Vorsichtig, als würde ich bei der klitzekleinsten Berührung zerbrechen, hob er seine starke Hand. Die Atmosphäre war von einem Augenblick auf den anderen von Feindseligkeit in prickelnde Neugier gekippt.

Die Worte, die als nächstes aus seinem Mund kamen, klangen so ehrlich, dass ich meine angespannte Körperstellung unwillkürlich aufgab. Alles oberflächliche und gespielte war aus seiner samtweichen Stimme verschwunden.

„Wer bist du Liz?“

Ich legte meinen Kopf leicht schräg und versank in dem grün-blau seiner Augen. Sie sahen aus wie das klare Meer, wenn sich der grüne Seetang direkt unter der blauen Oberfläche schlängelte.

Seine Hand schmiegte sich an meine erhitze Wange und es gelang mir zu meiner

Enttäuschung nicht, meine Augen von ihm abzuwenden.

Ja wer war ich? Ich war eine der letzten Blosyx, ich war die vorlaute Liz, die sich nichts gefallen ließ, ich war aber auch, das kleine verängstigte Mädchen, dass verzweifelt versuchte die Puzzleteile ihres Lebens zusammen zu setzten und es nicht wagte je wieder jemanden zu vertrauen, in der Furcht wieder enttäuscht zu werden.

„Ich bin ich“, antwortete ich schlicht und zwängte mich an seinen breiten Schultern vorbei, die Treppe weiter hoch. Es hatte mich meine ganze Willensstärke gekostet, mich nicht in seine starken Arme zu werfen und von seinen roten Lippen zu kosten, doch ich hatte es geschaffte. Jetzt, da wieder mehr Abstand zwischen uns war, kühlte ich wieder etwas ab und mein Herzschlag schlug wieder in gewohnter Regelmäßigkeit.

„Kommst du, immerhin haben wir nicht ewig Zeit“, rief ich der unbewegten Gestalt hinter mir zu.

Seine weichen orange-roten Locken verwuschelten leicht, als er seinen Kopf schüttelte und mir, immer noch in Gedanken versunken, folgte.

Verdammt, das war knapp gewesen, zu so einer vertrauten Situation durfte es nie wieder kommen, irgendwas war hier faul.

Da kann ich dir nur zustimmen, das kalte Haus und der Gang mit dem Familienstammbaum erinnert mich eher an ein Gruselkabinett, in welcher Freakshow sind wir hier nur gelandet.

Ich konzentrierte mich auf die Tür vor mir und verscheuchte alle Gedanken, die nichts mit der Projektwoche zu tun hatte aus meinem Kopf. Die intime Situation von vorhin, würde in den tiefen meines Gehirns schmoren, bis ich irgendwann glauben würde, es mir nur eingebildet zu haben.

Zufrieden mit dem Entschluss drückte ich die Türklinke hinunter und betrat Raphs Reich.

Ich hatte ähnlich antike und prunkvoll eingerichtete Räume, wie im Erdgeschoss erwartet, doch das komplette Gegenteil war der Fall.

An den dunkelblauen Wänden hingen eingerahmte schwarz-weiß Bilder und die weißen Sessel und das gemütliche Sofa ließen den Raum wohnlich, ja fast schon gemütlich wirken.

Vorsichtig umrundete ich das gläserne Tischchen vor der Sitzecke und trat an ein voll geladenes Regal heran, das sich über die ganze Wand erstreckte. Bücher in teilweiße abgewetzten Einbänden und vergilbten Titeln reihten sich dicht aneinander. Mit dem Finger strich ich langsam über die rauen Bucheinbände. Bei einem schmalen, unscheinbar wirkenden Buch hielt ich inne und zog es heraus. Leicht lag es in meiner Hand. Die goldene Inschrift war kaum noch zu erkennen, doch ich meinte so etwas wie „…Kaner Kyna..“ zu erkennen.

Gerade wollte ich das Buch aufschlagen, als es mir aus der Hand gerissen wurde und zurück an seinen Platz gestellt wurde.

Ich wusste auch nicht, was mich zu dem Buch hingezogen hatte, doch ich hatte das undefinierbare Gefühl, dass es von Bedeutung war.

„Ich hätte dich nicht für den Typ Junge gehalten, der in seiner Freizeit viel liest“, lenkte ich von meiner Schnüffelei ab.

Raph lehnte sich lässig an das Regal und beobachtete mich skeptisch.

„Ach nein? Für was einen Typ Junge hältst du mich denn?“

Kurz überlegte ich. Sollte ich ihm wirklich meine ehrliche Meinung sagen?

Abwartend sah er mich an. Ach, was solls. Ich hatte schon immer das gesagt, was ich meinte, warum dann bei ihm nicht auch.

„Ich halte dich für den typischen Aufreiser-Typ, der wahrscheinlich viel Ärger am Hals hat und sich vor wahren Gefühlen fürchtet. Aber da ist noch mehr. Irgendwas verbirgst du“, sagte ich ernst.

Seine Mine verfinsterte sich und sein Kiefer presste sich gefährlich fest zusammen.

Voll ins Schwarze getroffen, jubelte Lucy, die endlich wieder auf meiner Seite stand.

„So jetzt bin ich dran“, überraschte er mich und kam mir näher, als mir lieb war.

Seine rauchige Stimme, ließ meinen Körper erbeben. Verzweifelt rang ich um meine Selbstbeherrschung.

„Du denkst also, ich habe Angst vor echten Gefühlen, ja?“

„Ja,…j..a, die hast du“, stotterte ich wenig überzeugend.

Mein Gehirn hatte sich wieder mal verabschiedet. Seine Nähe tat mir überhaupt nicht gut. Das war unfair, dummer, dummer Körper, du darfst dich nicht gegen mich verschwören!

Er beugte seinen Kopf herunter und ich konnte vereinzelt Sommersprossen auf seinen Wangen erkennen. Mein Atem ging stoßweiße und meine Hände ballten sich zu Fäusten, um das leichte Zittern zu verstecken.

Komm schon streng dich an, du wirst es doch wohl noch schaffen einen Schritt zurück zu gehen!

Doch meine Beine waren wie festgefroren. Was machte er nur mit mir. Ich fühlte mich so unsicher, wie ein kleines Mädchen.

Seine Lippen waren zu einem amüsierten Lächeln verzogen und seine Augen ließen meine nicht los. Er spielte mit mir und ich konnte nicht mal was dagegen unternehmen!

Irgendwas musste ich doch tun, so einfach würde ich ihn nicht gewinnen lassen, forderte ich meine eingeschlafenen Gehirnzellen auf.

Wenn er spielen wollte, würden wir nicht kampflos aufgeben. Am Ende wird er sich wünschen, sich nie mit uns angelegt zu haben!

Die Spiele haben begonnen, das hier wird unsere Freakshow werden, stimmte ich Lucy finster lächelnd zu.

Überlegen blickte er mich von oben herab an. Sein Gesicht trennten nur noch ein paar Zentimeter von meinem und zu meinem Missfallen schrie mein Körper gerade zu nach seinen Berührungen. Schnell unterdrückte ich diese Gefühle und zeigte meinem Körper, wer der stärkere von uns beiden war. Vorläufig zumindest.

Mit einem gekonnten Wimpernaufschlag schaute ich ihm in die Augen. Meine Hand landete ganz zufällig auf seiner harten Brust und malte verschlungene Muster auf seinem Oberkörper.

Als ich seinen überraschten Blick sah, wäre ich fast aus der Rolle gefallen, aber mehr als ein Grinsen rutschte mir glücklicherweise nicht heraus.

Ihm scheinbar verfallen schmiegte ich mich an ihn und musste leider Gottes zugeben, dass das Gefühl in seinen Armen zu liegen, einfach berauschend war.

Sicher, schoss es mir durch den Kopf. Mein Herz klopfte so schnell, dass er es sicher hören konnte und für diesen Moment stand die Zeit still.

Das kühle Leder seiner Jacke senkte meine Körpertemperatur etwas und sein unregelmäßiger Atem verursachte eine Gänsehaut nach der anderen in meinem Nacken.

Noch einmal erlaubte ich mir seinen himmlischen Duft einzuatmen und für diesen einen Augenblick seine Nähe zu genießen.

Dann schaute ich zu ihm auf, stellte mich auf die Zehenspitzen, was mit meinen Mörderschuhen wirklich kein Kinderspiel war und stoppte kurz vor seinen Lippen.

Ich fühlte sein Herz heftig pochen und seine Augen waren weit aufgerissen, als könnte er nicht begreifen, was gerade geschah. Männer waren so berechenbar!

Meine Stimme war tief und sexy, was in seinen Augen das Verlangen auflodern ließ.

„Zeig mir doch was ich von dir halten soll.“

Seine Züge wurden wilder und Besitz ergreifend legte er seine Arme fester um mich.

Für eine Sekunde lagen seine weichen Lippen auf meinen, doch da war ich auch schon unter seinen Armen hindurch geschlüpft und ließ das lang angestaute Lachen heraus.

Dem haben wir es gezeigt!

Ich zwang mich, nicht darüber nachzudenken, wie gut es sich angefühlt hatte und dass ich es nur unter größter Mühe geschaffte hatte die flüchtige Berührung unserer Lippen zu beenden.

Dieses Spiel durfte ich nicht verlieren, mein Herz würde eine weitere Enttäuschung nicht verkraften!

Immer noch lachend hatte ich mich auf das Sofa gesetzt und hielt mir den bereits schmerzenden Bauch.

Raph hatte sich mit verschränkten Armen mir gegenüber gesetzt und schaute drein, wie ein begossener Pudel.

„Hättest du echt gedacht, ich würde freiwillig eines deiner Betthäschen werden?“,

fragte ich ihn amüsiert.

Diesen ungläubigen Blick würde ich nie mehr vergessen.

Immerhin war ich der größere Freak von uns beiden, da konnte er gleich einpacken.

Doch ihr kennt Raphael Wagner nicht, wenn ihr glaubt, er würde beleidigt klein bei geben. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammen gekniffen.

„Oh nein, hab ich etwa dein Ego verletzt?“

Die Schadenfreude triefte nur so aus meiner Stimme. Sein Körper zitterte bereits, wahrscheinlich vor unterdrückter Wut und die gefährliche Aura, die ihn umgab, explodierte förmlich.

„Ich bin mal kurz im Bad“, presste er zwischen seinen Zähnen hervor und verschwand dann blitzartig aus einer schmalen Holztür, die ich bis dahin nicht mal bemerkt hatte. Verwundert über sein plötzliches Verschwinden starrte ich auf die verschlossene Tür.

„Idiot“, murmelte ich vor mich hin und schlüpfte aus meinen Schuhen.

Diese Wohltat! Kühle Luft umschmiegte meine geschundenen Füße und barfuß erkundete ich weiter sein Wohnzimmer.

Schau dir das Buch noch mal an, forderte Lucy mich auf.

Schnell horchte ich noch mal auf, doch keine Schritte waren zu hören und so huschte ich erneut zu dem Bücherregal.

So leise wie möglich zog ich das schmale Buch aus dem Regal und blätterte die erste Seite auf.

Meine Finger zitterten, als ich vorsichtig die brüchigen Seiten umblätterte. Wie alt das Buch wohl sein mag? Wahrscheinlich ein Familienerbstück oder so was.

Die geschwungenen Buchstaben, stammten höchst wahrscheinlich aus einer Feder, doch jetzt war die Schrift kaum noch zu entziffern und manche Absätze waren vollkommen vergilbt.

Mein Herz setzte aus und ich traute meinen Augen nicht. Wieso besaß Raph ein Bild von Synthia? Nicht mal Faustgroß war sie in einer mühevollen Zeichnung dargestellt.

Das Bild war ausgebleicht, doch dieses von Hass und Boshaftigkeit verzerrte Gesicht würde ich überall wieder erkennen.

Das konnte nicht sein! Kein Mensch wusste von der Existenz der Zylokaner oder der Blosyx!

Mein Gehirn arbeitete auf Hochturen, doch es ergab alles keinen Sinn. Die Schrift verschwamm zu einem einzigen schwarzen Brocken und ich lehnte mich entkräftet an das Regal. Was hatte Raph zu verbergen?

Vor nicht mal fünf Minuten war er, wie jeder andere Typ gewesen, naja nicht ganz.

Aber er hatte wenigstens nichts mit dem Übernatürlichen Quatsch zu tun, der mein Leben aus den Fugen gerissen hatte.

Jetzt stand es 1:1, mal sehen, was für Überraschungen er noch auf Lager hatte.

Ich verbarg mein Gesicht schützend hinter meinen Händen und versucht die aufkommende Panik in Schach zu halten.

Das konnte doch nicht wahr sein! Warum er? Warum nicht irgendein anderer Depp?

Ich dachte du kannst ihn nicht leiden, meldete sich Lucy zu Wort.

 Kann ich ja auch nicht, giftete ich sie an. Beleidigt murrte sie vor sich hin, doch ich hatte im Moment mit weit aus schlimmeren Problemen zu kämpfen.

Ich konnte mir einreden, dass ich Raph nicht mochte, ja dass ich ihn hasste, aber tief in mir, sah die Sache leider nicht so simpel aus.

Mein Körper wollte ihn und damit war er nicht ganz allein, wie ich gerne behauptet hätte. Es hatte keinen Sinn meine Gefühle zu leugnen, ich konnte sie nur hinter schweren Türen verschließen, denn irgendwann würde ich es bereuen ihn nicht zu hassen. Jetzt kullerte doch eine einsame Trän meine Wange hinunter. Verzweifelt zog ich die Beine zu mir ran und verstaute das Büchlein hinter mir im Regal.

Warum musste ich auch immer so neugierig sein?

Meine Beine fühlten sich an wie Pudding und mein Dutt hatte sich gelöst.

Ein lautes Krachen ließ mich zusammen fahren.

„Fuck“, schrie eine männliche Stimme gedämpft.

Sofort sprang ich auf und schaute mich alarmiert um.

Gefahr! Alles in mir schrie, mich schnell vom Acker zu machen, doch ich zwang mich langsam auf die Holztür zu zugehen, aus der Raph verschwunden war.

Lucy?

Keine Antwort. Resigniert atmete ich aus. Wahrscheinlich war sie immer noch sauer auf mich, weil ich so pampig reagiert hatte.

Lucy, hör zu, es tut mir leid, aber ich brauch jetzt wirklich deine Hilfe, keine Ahnung, was dahinter auf mich wartet.

Eine Schwall Blue Fire tränkte und stärkte mich. Jede Faser der feinen Holzstruktur nahm ich mühelos war und kein Geräusch entging mir.

Danke!

Leise öffnete ich die Tür und fand mich in einem lagen modern eingerichteten Gang wieder. Wenn ich mich konzentrierte spürte ich die Quelle meiner Energie in meiner Mitte und konnte sie beliebig lenken. Es war ganz einfach, doch das richtige Maß zu finden stellte sich schwieriger heraus, als gedacht.

Berauscht von meinen neuen Kräften versuchte ich das blaue Licht in meine Handflächen zu lenken. Erst passierte gar nichts, doch dann erschienen immer mehr helle Funken, die sich sammelten und zu einem immer größer werdenden Ball wuchsen.

„Stopp!“, schrie ich panisch und fuchtelte mit den Armen herum, als der Ball schon fast den ganzen Gang verstopfte.

Zum Glück reagierte Blue Fire auf mich und hielt abrupt inne. Erleichtert seufzte ich auf und konzentrierte mich abermals.

Einzelne Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Stirn, als der Ball langsam begann wieder zu schrumpfen.

Man Liz! Warum musst du denn gleich so rumschreien?

Zerknirscht schaute ich auf den Boden und knetete meine Hände, die plötzlich so viel interessanter waren.

Ich hab mich so erschreckt, weißt du…

Lass uns einfach schnell nachsehen, was da los ist, ehe jemand bemerkt, dass du eine Blosyx bist.

Wieder auf den eigentlichen Grund, warum ich in diesem verlassenen Flur stand,

fokussiert, schlich ich leise weiter.

 In weiter Ferne hörte ich laute Stimmen, die miteinander stritten. Darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen, das sie auf mich aufmerksam machen könnte, lief ich weiter. Ich passierte viele Türen und kam der Lärmquelle mit jedem Schritt näher.

Meine Muskeln waren zum Zerbersten gespannt und mein Instinkt riet mir, schnell zu verschwinden. Doch die Neugier trieb mich weiter.

Warum war Raph auf einmal verschwunden und wem gehörten die anderen Stimmen?

Fragen um Fragen, auf die ich keine Antwort erhalten würde, wenn ich jetzt kniff.

In meinen Schläfen pochte es leicht, was ich gekonnt ignorierte.

Was ist, wenn Raph etwas passiert ist?

In mir krampfte sich alles zusammen und ich rannte den Gang entlang.

Die Personen waren so vertieft in ihren Streit, die würden es wahrscheinlich nicht mal mitkriegen, wenn ein Laster hier entlang rasen würde.

Vor meinem inneren Auge, sah ich Raph blutend am Boden liegend und auf die unterschiedlichsten Arten sterben. Das würde ich nicht zulassen, er durfte nicht sterben!

Meine schmerzenden Lungen zwangen mich zum Stehen bleiben. Nach Luft hechelnd schleppte ich mich die letzten paar Meter bis zum Ende des Gangs vorwärts. Wie gesagt, Sport war nicht so meins.

Nur noch eine metallene Tür, trennte mich von dem wütenden Geschrei. Meine Hand umschloss den kühlen Griff. In meinen Haaren hing noch der Zopfgummi und ich sah wahrscheinlich völlig verstört aus, doch das war jetzt nicht von Bedeutung. Hoffentlich komme ich rechtzeitig und ihm geht es gut.

Am besten gar nicht so viel darüber nachdenken, komm treten wir in ein paar Ärsche, ermutigte mich Lucy.

Ich bereitete mich auf das Schlimmste vor uns öffnete die Tür mit einem Ruck. Mit einem Poltern stieß sie and die Wand und 4 paar Augen waren sofort auf mich gerichtet. Ich blieb an ein paar grün-blaue Augen hängen, die mich wütend an starrten.

Die eisige Faust, die sich um mein Herz geklammert hatte, löste sich und ich sprang vor Erleichterung auf ihn zu.

„Dir geht es gut!“

Ich hatte ihn in eine innige Umarmung gezogen, die er vorsichtig erwiderte und zog mich nun peinlich berührt wieder zurück. Das Blut schoss mir in die Wangen und ich traute mich nicht ihm in die Augen zu schauen.

„Alter! Da hast du dir aber ne geile Chica gekrallt“, rief eine dunkle Stimme hinter mir. Mit zusammengepressten Lippen drehte ich mich langsam um.

Ein schlaksiger Junge in viel zu engen schwarzen Röhrenjeans warf mir anzügliche Blicke zu. Seine Haare waren schwarz gefärbt und hingen ihm strähnig ins Gesicht. Seine dunklen Augen zuckten immer wieder hin und her, als könnte er einen Punkt nicht länger als ein paar Sekunden festhalten.

Meine Hand ballte sich zu einer Faust und mit eisigen Blicken erdolchte ich sein bleiches Gesicht.

„Hier hat sich niemand irgendwen gekrallt, also halt einfach deine Klappe und verzieh dich! Es ist jetzt schon halb elf, ich wollte heute eigentlich mit dem Projekt anfangen und nachdem mich euer Boss hier auf die Palme gebracht hat und meine Füße kurz vorm absterben waren, bin ich nicht in der Laune mir dumme Kommentare von dir anzuhören!“, redete ich ihn klein.

Ich hatte mich direkt vor ihm aufgebaut und stach ihm mit meinem Zeigefinger in die Brust, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen. Er schien unter meinem Blick geschrumpft zu sein und zufrieden mit meinem Werk kehrte ich ihm den Rücken zu.

Wenn ich wütend war, sollte mir lieber niemand blöd kommen oder ich würde ihn zu Kleinholz verarbeiten.

„Pah Dimitri! Was bist denn du für ein Weichei, lässt dir von der kleinen Schlampe Angst einjagen“, grölte ein kleiner, rundlicher Kerl, der sich neben Raph positioniert hatte. Am liebsten hätte ich ihn bei seinen grünen Haaren gepackt und seinen Kopf gegen irgendwas geschlagen.

Niemand, ich wiederhole, NIEMAND nennt mich eine Schlampe!

Er war wahrscheinlich um die 18 Jahre alt, aber sein pickliges Gesicht erinnerte eher an einen pupertierenden Jungen.

Auch Lucy ließ so was nicht auf sich sitzen und es gelang mir kaum sie in Zaun zu halten. Mein Körper erzitterte und meine Haare waren elektrisch geladen.

Auch der Punk, schien bemerkt zu haben, dass ich kurz vor einem gewaltigen Wutausbruch war, und spielte nervös an seinem Lippenpircing herum.

Auf Raphs anderer Seite stand ein großer Kerl, der sich bis jetzt noch gar nicht zu Wort gemeldet hatte. Er hatte sich bis jetzt noch nicht von mir einschüchtern lassen und beobachtete mich, genau wie Raph neugierig.

Sein blondes Haar war kurz geschoren und seine grauen Augen glänzten hart, wie Stahl.

„Was denkt ihr eigentlich wer ihr seid? Ich hab mir wirklich Sorgen gemacht, als ich den Lärm und die lauten Rufe gehört habe und dann komm ich hier rein und darf mir von ein paar Freaks anhören, dass ich eine Schlampe bin!“, brüllte ich aufgebracht.

„Noch einen Schritt und du bist tot“, knurrte ich, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm.

Dimitri rührte sich keinen Zentimeter mehr, seine Gesichtsfarbe hatte einen ungesunden grün-Ton angenommen und seine Augen waren vor Schreck geweitet.

„Als würden wir uns von einer kleinen Bitch, wie dir, fertig machen lassen! Normalerweise schlage ich keine Mädchen, aber bei dir mache ich gerne eine Ausnahme“, erdreistete sich der Punk und ließ seine Knöchel knacken.

So ein Arschloch!

Mein Kopf lief, soweit das überhaupt noch möglich war, noch röter an und in meinem Blick lag blanke Wut.

„Komm schon Cas, beruhig dich!“, befahl Raph und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Doch dieser schlug sie nur weg und stürmte mit einem bösen Lachen auf mich zu.

Na gut, du hast es nicht anders gewollt, beschloss Lucy.

Ich konnte zwar noch nicht kämpfen, aber mit Lucys Hilfe würde er kein Problem darstellen. Ein Schlag auf den Kopf und er würde mich für die nächste Stunde nicht mehr nerven.

Ich stellte mich breitbeinig hin und lockerte die Ketten, die ich um die Energie in mir geschnürt hatte.

 Sein Schlag kam unerwartet und traf mich in der Seite. Die Luft wich schmerzhaft aus meinen Lungen, als ich stürzte und gegen die steinerne Wand prallte. Wahrscheinlich hatte ich den kleinen Troll doch etwas unterschätzt.

„Das wirst du bereuen, Mistkerl!“, zischte ich und rappelte mich wieder auf.

Warmes Blut rann an meinen Knien herab, doch sonst war ich nicht weiter verletzt.

Du darfst ihn nicht so nah rann lassen, im Nahkampf verlieren wir haushoch!

Der blonde Kerl, hatte es sich auf einem der gepolsterten Sessel bequem gemacht und schien sich sichtlich über das Spektakel, das sich ihm bot, zu erfreuen.

Dein dreckiges Lächeln wird dir schon bald vergehen, wenn dein Kumpel am Boden liegt.

Fieberhaft überlegte ich, mit was ich ihn mir vom Leib halten konnte und erblickte da ein kleines Beistelltischchen aus robustem Holz.

Das Dickerchen kam wieder auf mich zu, doch diesmal war ich vorbereitet.

Schnell sprintete ich auf den Tisch zu. Meine Finger gruben sich in das Holz und mit aller Wut schleuderte ich es ihm entgegen.

Nimm das, jubelte Lucy.

Als er begriff, was ich vorhatte war es schon zu spät, das Tischbein traf ihn am Kopf und er ging rumpelnd zu Boden.

Treffer, versenkt.

Ohne dich hätte ich das nicht geschafft, wir sind echt ein gutes Team!

Sein Körper blieb leblos am Boden liegen und ein rotes Rinnsal floss aus seiner Schläfe und bildete eine Lache auf dem Parkett.

„Cas! Was hast du getan du Monster“, schrie mich nun Dimitri an, der zu dem flach atmendem Körper am Boden geeilt war.

Seine Worte stachen, wie Messerstiche. Und ich kämpfte gegen die Tränen an.

„Ich bin kein Monster! Er ist es, ich habe mich nur verteidigt, er ist selbst dran Schuld“, sagte ich wütend darüber, wie er die Wahrheit so verdrehte.

Doch meine Worte prallten an einer Wand ab.

Ich erkannte Dimitri kaum wieder. Er war immer noch schlaksig und bewegte sich unbeholfen mit seinen langen Beinen und Armen, aber in seinen Augen wuchs etwas, das mein Herz gefrieren ließ.

Langsam entfernte ich mich von ihm und checkte meine Fluchtmöglichkeiten.

Alle meine Alarmglocken schrillten laut, doch um den rettenden Ausgang zu erreichen müsste ich an Dimitri vorbei kommen und der sah im Moment nicht so aus, als würde er mich so schnell gehen lassen. Mein Hals war wie ausgetrocknet.

„Wer hat denn jetzt auf einmal Angst?“, fragte er höhnisch.

Und dann sah ich sie. Angsterfüllt keuchte ich auf. Nein! Bitte, lass das nur ein böser Traum sein! Seine Augen waren schwarz, vollkommen schwarz und die dunkelblauen Blitze, die unkontrolliert in ihnen zuckten, verliehen ihnen einen verstörten Ausdruck. Sein Gesicht war zu einer hässlichen Fratze verzerrt und er streckte seine Krallen lachend nach mir aus.

„Du….du bist ein Zylokaner!“, stieß ich panisch hervor.

Meine Stimme war ganz rau, als hätte ich tagelang nichts getrunken und meine Hände zitterten.

Der Blondschopf, war bei meinen Worten sofort aufgesprungen, sodass der Sessel, auf dem er eben noch gesessen hatte, nach hinten um kippte.

Scheiße, wir sitzen in der Falle.

„Sie weiß es, sie muss sterben, du weißt, dass die Menschen nicht bescheid wissen dürfen“, flüsterte er Raph zu, der seinen Kopf gesenkt hielt und meinen Blick mied, doch ich hörte ihn trotzdem.

Was, die wollten mich umbringen! Hier, jetzt gleich? Ich war doch noch viel zu jung zum Sterben. Warum konnte ich nicht mal meine Klappe halten….Moment hatte er gerade Mensch gesagt?

Die Anspannung hing greifbar in der Luft und die beiden warteten, wie mir schien, nur noch auf Raphs Befehl. Die Ruhe vor dem Sturm. Mein Herz drohte mir aus der Brust zu springen.

Ich war wegen ihm gekommen, ich hatte mir solche Sorgen gemacht, ich war bereit alles dem Erdboden gleich zu machen, um ihn zu retten.

Seine Augen begegneten kurz meinem flehenden Blick, ehe er leicht nickte und mein Todesurteil besiegelte.

Eine Träne bahnte sich ihren Weg über meine Wange, nicht weil ich wahrscheinlich von diesen zwei Monstern getötet wurde, sondern weil es einfach so wehtat zu wissen, dass ich ihm nichts bedeutete.

Ich verbrannte innerlich und kein Wasser dieser Welt könnte dieses alles verzehrende Feuer löschen.

Mein Blick klebte immer noch auf diesem einen Kerl. Er schien zu spüren, dass ich ihn ansah und hob den Kopf. Seine Lippen waren zu einem strengen Strich gepresst und ich erinnerte mich unwillkürlich an die federleichte Berührung, als er meine berührt hatte. Bitter lachte ich auf, ich hätte es wissen müssen, er war genauso wie Jason!

Meine Sicht verschleierte und für einen Moment bröckelte seine Maske und ich blickte in sein trauriges Gesicht.

Dimitri und der Blonde kamen immer näher und als ich einen Blick in ihre Augen wagte, lief mir ein Schauer den Rücken hinunter. Ihre Bösen Gesichter brannten sich in meine Augen ein, die Boshaftigkeit darin erdrückte mich. Es war etwas völlig anderes, das Opfer von zwei Monstern zu sein, als nur eine stille Beobachterin in einem bösen Körper. Hart schluckte ich und zwang meinen Körper keine ruckartigen Bewegungen zu machen.

Das machte man doch bei gefährlichen Tieren und ich stand noch so unter Schock, dass mir mein Gehirn keine bessere Idee lieferte.

Dem Blonden lief Wasser aus dem Mund, während sie mit grotesken Bewegungen näher kamen. Sie hatten nichts mehr Menschliches an sich und ihr wahnsinniges Gebrabbel war kaum noch verständlich.

Ich wich immer weiter zurück, bis meine Schultern die kalte Wand berührten.

Mein Atem ging stockend und mein Puls raste ohrenbetäubend laut in meinen Ohren.

Die Angst griff mit ihren kalten Fäden nach mir und drohte mich zu lähmen.

Doch ich wusste eins, was sie nicht wussten, ich war auch kein Mensch! Mich an diesen einen Gedanken klammernd stellte ich mich gerade hin und blickte meinen zwei Mördern eiskalt entgegen.

Komm Lucy, lass uns ein paar Monster töten, knurrte ich innerlich.

Jedes bisschen Rücksicht und Erbarmen, war verschwunden. Töten oder Getötet werden, hieß es jetzt und in dieser Freakshow würde ich sicher nicht untergehen.

Du weißt ja gar nicht, wie lange ich schon auf diesen Freifahrtsschin gewartet habe, diese Ketten nerven echt, freute sich Lucy wie ein kleines Kind an Weihnachten.

Schmunzelnd löste ich die Fesseln um das Blue Fire in mir und ließ die ganze Energie durch meinen Körper strömen.

Überwältigt sackte ich auf die Knie und für einen Moment tanzten schwarze Punkte vor meinen Augen. Ich wusste ja, dass ich viel Kraft hatte, aber die Wellen hatten mich einfach mitgerissen, wie ein kleines Bötchen im Sturm.

Ich stütze mich an der Wand ab und kam mit zittrigen Knien wieder auf die Beine.

„Wisst ihr war Jungs, ich hab ein kleine Überraschung für euch“, rief ich so laut, dass auch Raph in seiner Bewegung inne hielt und mich skeptisch anschaute.

Überlegen grinste ich sie an und befahl meinem Blue Fire mit aller Kraft, die ich aufwenden konnte, in mir zu wachsen, bis ein Tornado in mir tobte, und drohte mir das Bewusstsein zu rauben.

„Ich bin auch kein Mensch“, schrie ich es heraus und schaute direkt in die grün-blauen Augen, die sich erst weiteten und mich dann zu keiner Reaktion mehr fähig anschauten.

Meine gebieterische Stimme füllte den Raum und ließ die Wände erzittern. Das Blue Fire explodierte förmlich in mir und nahm jeden Zentimeter des Raumes in Anspruch. Mein Herz schien bei dem Tempo kaum noch nachzukommen und trotzdem fühlte ich mich so gut wie noch nie.

Meine Tattoos leuchteten durch den leichten Stoff meines Pullis hindurch und auch meine Haut schimmerte leicht bläulich. Meine Wut und die Enttäuschung schlugen auf das blaue Licht über und es schlängelte sich, wie ein unkontrollierbares Feuer um mich herum.

Den zwei Zylokanern waren die Kinnlagen herunter geklappt und sie schauten mich wie scheue Rehe an. Doch meine Aufmerksamkeit, galt nur Raph, der in dem Chaos wie ein gefallener Engel wirkte. Mein Körper prickelte unter seinen faszinierenden Blicken.

Wegen ihm war ich hier, er hatte mich verraten und sogar töten lassen.

Heiße Tränen tropften auf den Boden. Dort wo sie aufkamen, brannte sich ein kleines Feuer in das Parkett.

Einem Instinkt folgend breitete ich die Arme aus und sprang in die Luft. Mitten in der Bewegung fing ich an mich zu drehen und so vollführte ich Pirouette um Pirouette Einen Tanz um die zwei Zylotaner. Ich war schnell wie der Wind und meine nackten Füße berührten kaum den Boden. Ich legte all meinen Schmerz in diesen Tanz und mein Blue Fire reagierte sofort. Es wirbelte in dem klarsten und hellsten Blau um mich herum und hielt die zwei Zylokaner in einem Wirbel aus Funken und Feuer gefangen. Ihre Schmerzerfüllten Schreie und das animalische Knurren wurden immer lauter, aber ich hatte kein Erbarmen. Tief versunken in diesem berauschenden Gefühl bewegte ich mich leicht und sanft, wie eine Feder weiter.

Frei, das beschreibt es wohl am Besten. Frei und leicht sprang ich ein letztes Mal in die Höhe und blieb dann mit geschlossenen Augen stehen.

Ausgelaugt und leer ging ich neben den Leichen der Zylotaner zu Boden. Die letzte

Träne versickerte in meinem Haar, das wild um mich herum fiel.

Mein Kopf war wie leer gefegt und ich fühlte mich für diesen Augenblick befreit und glücklich, obwohl ich getötet hatte.

Das letzte, was ich wahrnahm, waren ein paar starke Arme, die sich um mich schlossen und von diesem Ort weg brachten. Der frische, Geruch, den man immer kurz nachdem es geregnet hatte wahrnahm und ein herber männlicher Geruch umhüllten mich. Ich barg meinen Kopf an der harten Brust meines Retters. Mein Gehirn versuchte mir etwas zu sagen, doch ich war einfach viel zu müde, um mir Gedanken über die wohlige Geborgenheit zu machen, die ich in der nähe des Fremden verspürte.

Sanft sank ich in den erholsamen Schlaf. Ich hatte meine Kraftreserven wohl doch etwas mehr beansprucht, als beabsichtig, aber jetzt sind wir sicher Lucy, jetzt wird alles wieder gut.

Vertrauen?

 

Verschlafen kuschelte ich mich näher an das warme Kissen unter mir und grunzte zufrieden.

Angestrengt versuchte ich die letzten Bruchstücke meines Traums in Erinnerung zu behalten, doch sie entglitten mir wie feiner Sand im Wind. So gut hatte ich seit unserem Umzug schon lange nicht mehr geschlafen.

Blinzelnd öffnete ich die Augen und versuchte mich daran zu erinnern, wie ich nach Hause gekommen war. Mein Kopf brummte, als hätte ich einen heftigen Schlag abgekriegt und mein Hals war trocken, wie Staub.

Auf einmal begann sich das Kissen unter mir zu bewegen. In letzter Sekunde schaffte ich es mich in der schwarzen Decke fest zu krallen, um nicht Bekanntschaft mit dem Boden machen zu müssen.

Halt, schwarze Decke? Meine Bettdecke war definitiv nicht schwarz!

Hell wach setzte ich mich auf, was der warmen Masse unter mir ein missbilligendes Stöhnen entlockte.

Ich war nicht Zuhause!

Die eingerosteten Räder in meinem Kopf begannen langsam zu rattern. Gestern war ich mit zu Raph gegangen, er ist nach meiner Aktion im Bad verschwunden und dann….

Siedend heiß viel es mir wieder ein und ich hätte am liebsten meinen Kopf in den Sand gesteckt. Ich hatte zwei, wahrscheinlich sogar drei Leute getötet!

Wobei sie streng genommen keine Menschen waren, sondern durch und durch böse Monster, die mich tot sehen wollten, was meine Reaktion nach meinen Ansichten rechtfertigte. Und dann war ich vor lauter Erschöpfung eingeschlafen. Jetzt blieb nur noch die Frage, wie um Himmels Willen, ich in dieses fremde Bett gekommen war!

Ein starker Arm packt mich um die Tallie und zog mich wieder runter in die weiche Matte. Erschrocken schrie ich auf und schlug reflexartig auf den Arm ein.

Oh Gott, hier lag noch jemand im Bett!

Die Person schien meine Befreiungsversuche nicht mal zu bemerken und barg mich im Halbschlaf an seine Brust. Und da war er wieder dieser betörende Duft, der mein Herz höher schlagen ließ.

Scheiße! Ich hatte mich die ganze zeit an Raph gekuschelt, nicht an ein Kissen.

Wie blöd musste man sein, um ein Menschen mit einem Kissen zu verwechseln.

Stopp! Er war kein Mensch, er war der Feind.

Stumm ließ ich zu, dass die Tränen mein Gesicht benetzten und auf seinen nackten Oberkörper tropften.

Seine Haut schimmerte hell im Morgenlicht, das trotz der Vorhänge durch das große Fenster schien. Mit mir ringend biss ich auf meiner Unterlippe herum und lugte vorsichtig nach oben.

Sein Lockenschopf sah aus, als stünde er in Flammen und seine Gesichtszüge waren entspannt, wie die eines schlafenden Kindes.

Lass dich davon nicht einlullen, er ist der Feind, ermahnte ich mich selbst.

Trotz aller guten Vorsätze gelang es mir nicht meinen Blick von ihm zu lösen. Seine Wimpern warfen lange Schatten auf seine Wangen und ich spürte seinen Herzschlag.

Zaghaft robbte ich etwas höher, um sein Gesicht besser betrachten zu können.

„Warum hast du mich nicht getötet, wie du es vorhattest?“, flüsterte ich in die Stille hinein. Er wachte nicht auf und ich wusste nicht so recht, ob ich froh oder traurig darüber sein sollte.

„Eigentlich darf ich das ja nicht, aber ich war noch nie so der Typ gewesen, der sich an Regeln gehalten hatte“, redete ich mit dem schlafenden Raph und barg meinen Kopf an seiner muskulösen Schulter.

Ein Blick an mir herunter zeigte mir, dass ich immer noch die Sachen anhatte, die ich gestern getragen hatte.

Ein bisschen Anstand steckte wohl auch in ihm, grinste ich.

Ich hörte seinem regelmäßigen Herzschlag zu und starrte an die Decke. Jetzt war noch alles gut, aber sobald er aufwachen würde, konnte ich das Offensichtliche nicht mehr ignorieren.

Er wusste, was ich war, ich hatte es gestern selbst hinausposaunt, aber was hätte ich sonst tun sollen. Mich einfach töten lassen? Nein, das war nicht in Frage gekommen.

Grübelnd horchte ich in mich hinein.

Lucy, komm wach auf du Schlafmütze!

Leise hörte ich sie gähnen und war erleichtert, dass sie noch da war. Für einen Moment hatte ich Angst gehabt, dass ich ihr gestern zu viel Kraft geraubt hatte.

Da will man einmal, ausschlafen und wird dann in aller Herrgottsfrühe aufgeweckt! Sonst hat es dich doch auch nicht gestört, wenn ich ab und zu nicht da war. Außerdem hatte ich wirklich einen anstrengenden Tag hinter mir, zu deiner Info, meckerte sie, wie gewohnt.

Schmunzelnd verdrehte ich die Augen, typisch Lucy, dachte mal wieder nur an sich.

Ich weiß, ich weiß, aber falls es dir nicht aufgefallen ist, für mich war das auch kein Zuckerschlecken und wir haben leider noch ein anderes Problem, das sicher nicht mehr lange auf sich warten lässt.

Wie aufs Stichwort gab der eben noch schlafende Raph ein paar unverständliche Worte von sich und schaute mich dann aus halb offenen Augen an.

Ach du heilige Scheiße!

Wir starrten uns eine halbe Ewigkeit an, bis ich genug hatte und das Wort ergriff.

„Du, also…..danke“, brachte ich schließlich hervor und zwang mich in seine Augen zu sehen. Ich hatte meinen Kopf auf meine Hand gestützt und meine Wangen waren, angesichts der unangenehmen Situation gerötet.

Seine Stirn legte sich in Falten und er schüttelte immer wieder den Kopf.

Eine innere Unruhe befiel mich und ich wandte den Blick ab. Langsam löste sich sein Arm, der mich bisher fest umschlungen hatte und mein Herz krampfte sich augenblicklich zusammen. Er bereut es, schoss es mir durch den Kopf.

Gerade wollte ich mich umdrehen, um von hier zu verschwinden und mich so schnell wie möglich in meinem Zimmer zu verbarrikadieren, als er mein Gesicht mit seiner Hand zu sich drehte. Widerwillig schaute ich ihn an.

„Du hast gestern drei meiner Leute getötet und ich weiß nicht, aus was für einem bescheuerten Grund ich dich da raus getragen hab und die Leichen verbrannt habe, aber ich hab es getan und jetzt schau mich nicht so an und lass uns lieber Frühstücken, ich hab einen Bärenhunger“, gab er verschlafen von sich.

Ich viel aus allen Wolken und nur mit Mühe gelang es mir, ihn nicht wie das achte Weltwunder anzustarren.

Raph erhob sich aus dem Bett und gewährte mir einen Blick auf seinen muskulösen Rücken. Seine Haut sah so makellos aus wie helles Porzellan und als er sich durch die Haare führ und sich zu mir umdrehte, huschte mein Blick ganz zufällig zu seinem durchtrainierten Bauch.

„Ähm, ja.. Frühstück klingt gut“, murmelte ich.

Er brachte mich ganz durcheinander und wenn er da auch noch Oberkörperfrei vor mir rumtanzte war es noch mal schwerer einen klaren Gedanken zu fassen.

Himmel noch mal, ich war doch auch nur eine Frau.

„Hast du zufällig was zum anziehen da?“, fragte ich.

Meine Klamotten waren verdreckt und verströmten einen unangenehmen Geruch.

Raph wühlte in einem großen Schrank herum und streckte mir eine rote Boxershorts und einen weiten grauen Pullover entgegen, auf dem „I love Bitches, Party and Rock´n Roll“ in roten Druckbuchstaben stand. Meine linke Augenbraue schoss unbewusst in die Höhe, aber ich nahm die Sachen dennoch ohne einen Kommentar entgegen. Besser, als in diesen Klamotten vor mich hin zu stinken.

„Gleich rechts ist das Bad, ich bin in der Küche“, rief er und ließ mich damit einfach stehen.

Leicht wütend über sein arrogantes Verhalten stapfte ich aus der Tür. Tatsächlich befand sich hinter der Tür zu meiner rechten Seite ein Bad.

Bei dem Anblick der geräumigen Dusche, seufzte ich sehnsuchtsvoll auf und schälte mich aus meiner verdreckten Kleidung. An meinen Knien hatte sich Schorf gebildet und an meiner Seite prangte ein dicker Blauer Fleck. Doch das warme Wasser, ließ mich ganz schnell meine kleinen Wehwehs vergessen. Ich rubbelte mir die Haut wund, bis ich aussah wie ein rosa Schweinchen. Jeder hatte eben seine eigene Art mit Dingen umzugehen und ich versuchte eben den Tod, der immer noch an mir haftete mir viel wohl riechender Seife abzuwaschen. Ich wickelte ein Handtuch um meine Haare und schlüpfte in die Boxershorts und den Pulli. Um mich herum wabberten weiße Dunstschwaden, doch mit einem Handtuch bewaffnet gelang es mir ein Teil des Spiegels frei zu rubbeln.

Mein Ebenbild schaute mir entspannt entgegen. Meine Haut war jetzt wieder sauber und ich wirkte jünger und verletzlicher so ganz ohne Schminke.

Wenigstens war ich nicht eine von den Mädchen, die ohne Make-up nicht auf die Straße gehen konnten.

Ich rückte näher an den Spiegel heran, um meine Augen genauer betrachten zu können. Irgendwas war anders. Sie hatten noch die gleich hellblau-graue Farbe, doch wenn man genau hinsah, bemerkte man das helle Leuchten in ihnen, das von innen heraus zu strahlen schien.

Schulter zuckend schrieb ich es der Menge Blue Fire zu, die ich gestern frei gesetzt hatte und griff nach einem Kamm, der auf der Theke neben vielen Parfum und Cremdöschen lag. Nachdem ich meine Haare entknotet hatte ließ ich sie mir in weichen Wellen über die Schultern fallen. Die Spitzen waren noch nass, aber das juckte mich nicht wirklich.

Als ich die Tür des Badezimmers öffnete, stieg mit der leckere Geruch von auf gebackenen Brötchen in die Nase. Meiner feinen Nase folgend schritt ich den Gang

entlang und betrat eine weitläufige Küche mit einer kleinen Kochinsel und einem Esstisch mit Stühlen. Raph saß bereits am Tisch und ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen setzte ich mich und begann zu essen. Mein Magen wartete nur darauf, endlich gefüllt zu werden. Immerhin hatte ich gestern nur gefrühstückt!

Die Brötchen waren noch warm und ich belud sie mit allen möglichen Köstlichkeiten.

Nach meinem fünften Brötchen lehnte ich mich zufrieden zurück und lenkte meine Aufmerksamkeit auch wieder auf andere Dinge, außer dem Essen.

Jetzt, wo mein Hunger gestillt und mein Körper gewaschen war, fühlte ich mich gestärkt genug, um Raph mit den Fragen zu löchern, die mir unter den Fingernägeln brannten.

„Wie lange weißt du es schon?“, fragte ich ihn direkt und ignorierte den belustigten Blick, mit dem er mich dank meiner kleinen Essattacke anschaute.

„Wie lange weiß ich was?“

Genervt rollte ich mit den Augen. Kerle waren, aber auch immer so furchtbar schwer von Begriff.

„Wie lange weißt du schon, dass du kein Mensch bist?“

„Seit meiner Geburt“, antwortete er ohne zu zögern.

Ungläubig verschränkte ich die Arme vor der Brust und suchte die Lüge in seinen Augen, aber ich fand nichts. Er hatte die Wahrheit gesagt.

„Aber das Blue Fire erwählt einen doch, wie soll den ein Säugling mit den Kräften umgehen können?“

„Ist das so? Bei uns wird die Kraft genetisch vererbt, je stärker und mächtiger deine Elter, desto stärker wird ihr Kind. Meine Eltern haben mich nicht gezeugt, um ein Kind zu haben ich bin für einen bestimmten Zweck da“, erklärte er monoton.

Jetzt hatte ich mitleid mit ihm. Wie schrecklich musste es für ein Kind sein, zu wissen, dass seine Eltern ihn nicht um seinetwillen liebten, sondern nur auf die Macht aus waren, die sie durch ihn erlangen konnten.

Er schaute mich nüchtern an, doch ich erkannte den Schmerz in seinen Augen.

„Das tut mir leid“, flüsterte ich sanft und hätte ihn am liebsten in die Arme gezogen.

„Na endlich, ich dachte schon ich hätte mir nur eingebildet, dass du eine Blosyx bist, aber auch du scheinst gute Seiten zu haben“, lenkte er von dem Thema ab.

Empört rümpfte ich die Nase.

„Was soll denn das bitte heißen?“, fragte ich ihn lauernd.

Er ignorierte meine drohenden Blicke einfach und fuhr fort meine gereizten Nerven auf die Probe zu stellen.

„Naja, normalerweise sind Blosyx ganz anders vom Verhalten her, du bist wirklich die verkorkste von allen, legst einfach drei Männer um.“

„Verkorkst, ich? Glaubst du etwa, ich dreh Däumchen und lass mich einfach so abmurksen? Und das musst du ausgerechnet sagen, immerhin hättest du mich nicht am Leben lassen dürfen“, konterte ich sofort.

Ich war doch nicht verkorkst, also bitte!

„Siehst du das meine ich, irgendwas an dir ist anders, die meisten Blosyx lassen sich

nicht mal auf einen Streit ein, so friedfertig sind sie“, meinte er missbilligend.

 „Hey hör auf so schlecht von meinen….Artgenossen zu reden! Besser etwas lieber, als sich in ein unmenschliches Monster zu verwandeln.“

Ich war aufgestanden und ahmte mit vorgestreckten Armen und steifen Bewegungen seine toten Kollegen nach.

Angestachelt baute er sich vor mir auf. Seine Augen funkelten wütend, doch ich hielt seinem Blick stand.

„Du solltest lieber etwas netter zu mir sein, sonst ändere ich meine Meinung noch, immerhin bist du eine Blosyx und ich ein Zylokaner.“

Seine Überheblichen Worte schürten das Feuer in mir und ich handelte mal wieder ohne vorher nachzudenken.

„Ich rede mit dir wie ich es will und wenn du willst das ich netter bin, dann solltest du vielleicht mal etwas an deinem Verhalten ändern“, zischte ich ihm entgegen.

Dennoch konnte ich nicht leugnen, dass er Recht hatte. Ich war eine Blosyx, er ein Zylokaner. Zwischen uns würde nie so etwas wie Vertrauen herrschen.

Die Spannung stieg mit jedem Atemzug, den wir uns misstrauisch und lauernd beäugten.

Kein Mucks war zu hören und ich traute mich nicht zu blinzeln, um seinen möglichen Angriff nicht zu verpassen.

Warum hat er uns dann nicht gleich getötet?

Ich wusste auch keine Antwort auf Lucys Frage. Konnte ich ihm vertrauen?

Das letzte Mal, als ich einem Jungen vertraut hatte, wurde ich nur enttäuscht und verletzt.

Wieder erschien ein Bild von Jasons wutverzerrtem Gesicht vor meinen Augen und ich begann ungewollt zu zittern.

Nicht mal jetzt konnte mich diese grausame Erinnerung in ruhe lassen. Ich kannte die Szene schon in und auswendig und doch erschrak ich jedes mal zu Tode, als mich ein dunkel vermummter Jason in die dunkle Ecke schleifte und mir das scharfe Messer an die Kehle drückte. Mein Hals schnürte sich zusammen und ich glaubte die scharfe Klinge erneut zu spüren. Panisch hechelte ich nach Luft.

Jemand schüttelte mich und blinzelnd kehrte ich wieder in die Realität zurück.

Prüfend strich ich mir über den Hals, um sicher zu gehen, dass ich mir das nur eingebildet hatte. Langsam beruhigte sich mein Herzschlag wieder und ich spürte Raphs warme Hand auf meiner Schulter.

„Was ist da gerade passiert, geht’s dir gut?“, fragte er angespannt.

Seine melodische Stimme half mir die Bilder abzuschütteln und meine Hände langsam aus ihrer verkrampften Haltung zu lösen. Diese Erinnerung war so lebhaft gewesen. Angsterfüllt zuckte ich zusammen, als mich Jasons hasserfüllter Blick erneut durchbohrte. Seine Augen waren dunkel, viel zu dunkel!

Er….er war auch kein Mensch, wurde es mir plötzlich klar.

Er hatte mich nicht nur die ganze Zeit an der Nase herum geführt, nicht auszudenken was er noch mit mir angestellt hätte, wenn ich nicht entkommen wäre. Jetzt ergaben seine Wortbrocken auch Sinn, er hatte gewusst was ich war, noch bevor ich es wusste!

Ein verzweifelter Schluchzer entwich meinen Lippen und die alte Wunde riss erneut auf. Ich verbarg mein Gesicht hinter einem Vorhang aus dunklen Haaren, Raph sollte mich nicht so sehen. Verdammt, ich wollte nicht, dass Jason noch so viel Macht über mich hatte, ich hatte das hinter mir gelassen! Ich hatte mit allem gerechnet, doch als er mich sanft in seine Arme zog und mir beruhigend über den Rücken strich, vergas ich sogar für einen Moment Jason.

Ich hatte nicht die Kraft mich aus seinen Armen zu befreien und ehrlich gesagt wollte ich es auch nicht. Meine Tränen sickerten in sein frisches T-shirt und ich klammerte mich Halt suchend an ihm fest.

Es tat immer noch weh. Ich hatte ihn geliebt, ihm vertraut, er war mein ein und alles gewesen, bis sich die ganze Beziehung als riesige Lüge herausgestellt hatte.

Ein schmerzerfüllter Laut, der direkt aus meinem Herz kam, erschütterte mich.

Irgendwann kamen keine Tränen mehr und ich lag nur noch zitternd in seinen Armen.

Die ganze Zeit hatte er nichts gemacht, er hatte keine Fragen gestellt und war einfach da gewesen, hatte versucht mit seiner nähe den Schmerz zu lindern, der langsam wieder abflaute.

„Sorry, ich wollte nicht, dass du das mit ansehen musstest. Normalerweise hab ich es einigermaßen im Griff“, entschuldigte ich mich mit brüchiger Stimme.

Er strich mir die Haare aus dem Gesicht und als meine Augen den seinen begegneten, hielt ich die Luft an. In seine Augen spiegelte sich Sorge wieder und sie strahlten eine Wärme aus, die ich wie ein ausgetrockneter Schwamm in mich auf sog.

„Was ist passiert“, fragte er ernst.

Erst schüttelte ich den Kopf. Niemand kannte bis jetzt die Wahrheit und da würde Raph ganz sicher nicht die Person sein, der ich mich anvertraute. Ich wollte es ihm nicht erzählen, wirklich nicht. Zwei lange Jahre hatte ich den Schmerz still ertragen und alleine gegen die Bilder und Erinnerungen gekämpft. Doch in diesem Moment, hier in seinen Armen, riss der Staudamm ein und die Wörter brachen aus mir heraus.

„Ich wusste es nicht, also dass ich anders war“, begann ich erst unsicher.

„Ich habe es erst vor zwei Tagen erfahren, bei uns Blosyx ist es üblich, dass die Kraft in dir heran wächst, bis du stark genug dafür bist, um damit umzugehen. Es kann nicht vererbt werden, das Licht sucht sich diejenigen aus.

Damals vor zwei Jahren, als ich noch in Frankfurt gewohnt hatte, liebte ich jemanden. Ich war jung und naiv und sah durch meine rosarote Brille nicht, was er vorhatte. Anfangs lief alles gut, ich war beliebt und ging mit ihm und meinen Freunden oft aus. Eines Abends wollte er sich mit mir treffen, er schrieb mir eine Sms, dass er unter dem Sternenhimmel mit mir Piknicken wolle.“

Raphs Arme spannten sich an und ich hörte das Knirschen seiner Zähne. Mein Blick ging ins leere, ich war tief versunken in meinen Erinnerungen.

„Ich weiß noch, wie ich mich gefreut hatte und da meine Mutter mich um die Uhrzeit nicht raus gelassen hätte, schlich ich mich davon. Die Straße, in der er sich mit mir treffen wollte, lag abgelegen und die Häuser waren fast ausschließlich unbewohnt.

Aber selbst als ich an betrunkenen Pennern und viel zu aufreizend gekleideten Frauen vorbei kam, kehrte ich nicht um. Ich war 14. Er war dunkel gekleidet und etwas war anders an ihm, als er mich in die dunkle Gasse schob.“

Meine Stimme war mit jedem Wort leiser geworden. Ich nahm nichts mehr um mich herum wahr, doch diesmal war es anders. Die Erinnerung drängte sich mir nicht unfreiwillig auf, sondern ich öffnete selber die Verliestür zu dem dunklen Ereignis.

 

 

***

 

 

Sein Griff um meinen Arm war viel zu fest, als er mich hinter sich herschleifte.

Langsam machte sich ein mulmiges Gefühl in mir breit.

Jason, las meinen Arm los, du tust mir weh!“

Abrupt blieb der muskulöse Junge stehen und drehte sich zu mir um. Einzelne helle Haarsträhnen lugten unter der schwarzen Mütze hervor, die er übergezogen hatte. Ich liebte es, wenn einzelne Sonnenstrahlen sich in ihnen verirrten und sie wie flüssiges Gold schimmerten.

Oh das tut mir aber leid, so besser?“

Schmerzerfüllt keuchte ich auf, als er meinen Arm hinter den Rücken zog und ihn immer weiter nach oben hob, bis ich gezwungenermaßen auf die Knie gehen musste.

Der Boden war dreckig und kalt und mein Herz schlug wie verrückt in meiner Brust.

Jason, was soll das, warum tust du das?“, flüsterte ich mit bebender Stimme.

In meiner rechten Schulter pochte der Schmerz, doch Jason dachte gar nicht daran seinen Griff zu lockern. Ich verrenkte mir den Kopf, um einen Blick in sein Gesicht zu erhaschen. Seine sonst so sanften Züge waren verhärtet und seine Augen schauten mich an, als wäre ich der letzte Dreck.

Nein! Das konnte nicht wahr sein! Warum macht er so was?

Während mein Gehirn verzweifelt versuchte, eine logische Erklärung für sein Verhalten zu finden, rannen mir die ersten Tränen übers Gesicht.

Komm mit!“, befahl er.

Mit verdrehtem Arm hinterm Rücken war es mir unmöglich zu fliehen und ich wollte es auch gar nicht. Bestimmt war er gleich wieder normal und wir würden unter dem Sternenhimmel picknicken gehen.

Mein Herz hielt krampfhaft daran fest, als er mich durch dunkle Gassen schubste und mich immer weiter antrieb.

Mein Rücken war nass geschwitzt und meine Sicht verschleiert.

Mit einem kräftigen Stoß brachte er mich in einer Ecke zu fall. Erschrocken schrie ich auf, als ich an der brüchigen Hauswand herabsank. Die letzte Straßenlaterne hatten wir schon lange hinter uns gelassen, sodass ich im Mondlicht nicht viel sah.

Jason, ich bitte dich, hör auf! Ich liebe dich“, startete ich einen letzten Versuch ihn umzustimmen.

Mein Kopf wurde von der Wucht der Ohrfeige gegen das Mauerwerk geschleudert.

Zitternd betastete ich meine pochende Wange. Er hatte mich geschlagen.

Mit schreckgeweiteten Augen blickte ich zu dem Jungen, den ich liebte, auf.

Mein Herz zerbrach in Splitter und seine schneidenden Worte ließen mich zusammen sacken.

Du redest, wenn ich es dir sage. Und nur, dass du es weißt, ich habe dich nie geliebt, so etwas abscheuliches und minderwertiges, wie du hat nichts anderes verdient!“

Ich hatte ihn noch nie brüllen gehört. Verstört dachte ich an die Momente zurück, in denen er mir süße Liebeserklärungen zugeflüstert hat. Alles eine Lüge!

Mein Schrei hallte von den Wänden wieder und ließ, die Welt für einen Moment inne halten. Tränenbäche fanden ihren Weg aus meinen zusammengekniffenen Augen. Wut, Angst, Enttäuschung und der bittere Geschmack von Verzweiflung vermischten sich zu einem tosenden Sturm in mir. Ich krümmte mich in der Ecke zusammen und versuchte soviel Abstand wie möglich zwischen ihn und mich zu bringen.

Die vielen Küsse, alles gelogen. Jeder Atemzug tat weh, ich hatte das Gefühl innerlich zu sterben und ein Teil von mir starb damals, in der dunklen Gasse, ab.

Ich wollte nichts mehr sehen oder hören. Die Schläge und Tritte, die er mir verpasste, waren nichts gegen die Qualen in mir.

Rede du Schlampe! Ich weiß, dass du es in dir trägst!“

Er zwang mich in seine wutverzerrte Fratze zu sehen. Seine dunklen Augen sogen alles Licht in sich auf. Hass, nichts als Hass stand in ihnen. Verachtend spuckte er mir ins Gesicht und boxte mir in den Bauch.

Ich schrie und wimmerte, doch niemand kam mir zu Hilfe. Bald schon spürte ich die Schmerzen kaum noch und mein Körper lag nur noch schlaff und taub auf dem Boden.

Aus dem Augenwinkel nahm ich eine weitere Gestalt war.

Wortfetzen drangen zu mir durch, doch ich wusste nicht, was sie wollten.

„…Blue Fire“, verstand ich Jasons animalisches Knurren immer wieder.

Brutal zog er mich an den Haaren auf die Beine. Meine Knie drohten einzuknicken, doch ich war noch soweit bei Bewusstsein, dass ich verstand, dass Jasons blinde Wut ihn und seinen Kumpel unvorsichtig werden lassen würde.

Zitternd beobachtete ich wie er ein langes Messer aus seiner Tasche zog. Die Klinge blitze im Mondlicht auf und mein Körper bäumte sich gegen seinen festen Griff auf. Für einen Moment gelang es mir seinen Armen zu entkommen, doch ich hatte nicht mit seinem Freund gerechnet, der mich im nächsten Moment fest umklammert hielt.

Ihre sadistischen Grimassen, als er mir die Klinge in mein zartes Fleisch am Hals drückte, brachen meine Hoffnung auf ein Entkommen endgültig.

Ihre Worte verstand ich schon längst nicht mehr und da ich ihnen nicht geben konnte was sie wollten, machte ich Bekanntschaft mit der heißen Klinge.

Wie Feuer schnitt sie in mein Fleisch und ich spürte wie mein Blut warm in meinem Oberteil versickerte.

Als meine beiden Peiniger mich neben einer Mülltonne zu Boden gehen ließen, um sich mit erhitzten Stimmen zu beraten, hörte ich sie.

Das ist deine Chance, flieh!’

Es war nur ein kleiner Funke, aber es war das einzige, was ich im Moment an Zuversicht hatte.

Ich kam schwankend auf die Beine und rannte dann auch schon Kopflos davon.

In mir schien eine Quelle der Kraft zu sprudeln, die mir half nicht an Ort und Stelle zusammen zu brechen.

Mein Herz klopfte so laut, dass ich Angst hatte meine Verfolger könnten seinem Ton folgen. Meine Kleidung klebte mir, wie eine zweite Haut am Körper. Durchtränkt von Schweiß und Blut. Immer wieder landete ich in Sackgassen und stolperte.

Weiter, nicht aufgeben!’

Das Brüllen und Poltern kam immer näher. Blanke Todesangst hatte sich in meinem Nacken fest gekrallt und nahm mit jedem Schritt zu. Lange würde ich nicht mehr durchhalten. Mein Tempo war durch die Verletzungen schon anfangs nicht sonderlich schnell gewesen, doch wenn ich nicht bald eine befahrene Straße fand, würde ich

durch Jasons Hand sterben, das war sicher.

 Meine Lungen schmerzten und die Blutung am Hals, war immer noch nicht gestillt, als ich um die nächste Ecke bog. Da! Licht! Ich nahm meine letzte Kraft zusammen und humpelte die verlassene Straße entlang dem Leuchten einer Laterne entgegen. Und tatsächlich, als ich die Seitenstraße verließ befand ich mich wieder unter Menschen.

Ich weinte Tränen der Erleichterung und brach nach ein paar Schritten völlig entkräftet zusammen. Ich hatte es geschafft. Ich war entkommen!

 

 

***

 

 

Ich hatte es wirklich getan. Ich hatte ihm alles erzählt. Seine Arme hatten sich immer fester um mich geschlossen, als würde er versuchen mich zu beschützen.

Niemand von uns sagte etwas und ich hing meinen eigenen Gedanken nach.

Wäre Lucy nicht gewesen, hätte ich es nicht da raus geschafft. Ich war dem Tod wirklich nur um eine Haaresbreite entkommen. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und schaute in Raphs Gesicht.

In seinen Augen stand Trauer und Sorge. Seine Lippen waren fest zusammen gepresst und er schien nicht vorzuhaben mich so bald los zu lassen.

Ich war froh, dass er mir die Entscheidung abnahm und ich seine tröstliche Nähe so noch etwas länger genießen konnte.

Bedrückt schmiegte ich meinen Körper an seinen und hob meine Hand zu seinem Gesicht. Sanft strich ich eine Sorgenfalte, die sich auf seiner Stirn gebildet hatte glatt und fuhr dann seine markanten Konturen nach. Seine Haut, war ganz weich und ich spürte wie er erschauderte. Mein Herz schlug höher.

Aber konnte ich ihm vertrauen? Ich hatte ihn näher heran gelassen, als je einen anderen Menschen zuvor. Im Prinzip hatte ich keine andere Wahl.

„Das, was ich dir gerade erzählt habe, muss unter uns bleiben. Ich bin hier, um neu anzufangen und außer dir und mir kennt niemand die Wahrheit. Ich muss dir also Wohl oder Übel vertrauen.“

Meine Stimme war ganz rau vom vielen Reden. Nervös wartete ich auf seine Antwort.

Es war zum schreiend im Kreis rennen. Eine Blosyx, die einem Zylokaner vertraute, weil er ihr das Leben gerettet hatte.

„Du kannst mir vertrauen, dein Geheimnis ist bei mir sicher“, versprach er ernst.

Erleichtert atmete ich auf, auch wenn ich noch nicht völlig davon überzeugt war.

Ich schob mich widerwillig aus seinen Armen und spürte sofort die fehlende Wärme.

„Und jetzt hör auf dir Sorgen zu machen. Sag mir lieber wie ich das meiner Mutter erklären soll, dass ich gestern nicht nach Hause gekommen bin“, wechselte ich das Thema.

Sein sorgenvoller Blick blieb, aber wenigstens seine Mine hellte sich etwas auf.

„Ich denke es ist berechtigt, dass ich mir Sorgen mache und das mit deiner Mum hab ich gestern schon geklärt, ich hoffe es stört dich nicht, dass ich an deinem Handy war“, meinte er achselzuckend.

„Du warst an meinen Sachen“, meinte ich empört.

„Wäre es dir lieber, deine Mum würde nicht wissen, wo du bist?“

Schnaubend gab ich nach und kuschelte mich in Raphs großen Pulli. Unauffällig inhalierte ich den Duft, der sich im Stoff verfangen hatte, während er den Abwasch erledigte. Etwas hatte sich zwischen uns geändert. Ich sah es an den belustigten Blicken, die er mir zuwarf, wenn ich mich wieder von ihm provozieren ließ.

Ich wusste nicht, ob ich ihm vertraute, aber es herrschte eine Art Waffenstillstand zwischen uns.

Siehst du, ich hab dir von vornherein gesagt, dass er in Ordnung ist, rieb mir Lucy unter die Nase.

Zwischendurch schienst du aber nicht so sicher zu sein, neckte ich sie.

Als würdest du deine Meinung nicht auch mal ändern, eine von uns muss ihm ja vertrauen, du wirst schon sehen, kicherte sie.

Schmunzelnd verdrehte ich die Augen.

„Was ist denn so lustig“, erschreckte mich Raphs Stimme.

„Ich hab dir doch gesagt, du sollst mich nicht mehr erschrecken“, fluchte ich.

Sein tiefes Lachen ließ meine Wut verpuffen und bescherte mir stattdessen eine Gänsehaut.

„Das muss man erst mal hinkriegen. Sich von einer Person erschrecken zu lassen, die direkt vor einem steht, du bist wirklich unaufmerksam“, meinte er schließlich amüsiert. Spielerisch beleidigt schlug ich ihm gegen den Arm und zog einen Schmollmund.

„Oh nein, hab ich jetzt etwa dein Ego verletzt?“

Meine Augen verformten sich zu schmalen Schlitzen, doch er schien noch längst nicht fertig zu sein.

Mit einem Knuff in die Seite entlockte er mir ein Kichern. Lachend versuchte ich seine Kitzelattacken abzuwehren, doch er war einfach schneller und stärker als ich.

Er hielt mich mit seinem Körper auf dem Boden fest und kitzelte mich erbarmungslos weiter.

„Bitte….aufhören, ich gebe es ja zu,… manchmal bin ich unaufmerksam“, brachte ich zwischen den Lachkrämpfen hervor. Ich hatte schon Tränen in den Augen, als er endlich von mir abließ und sich neben mich auf den Boden legte.

„War das wirklich notwendig gewesen?“, fragte ich ihn mit hochgezogener Augenbraue.

Erst jetzt bemerkte ich, wie nah wir uns wieder waren. Prompt erhöhte sich mein Puls und ein Schauer lief meinen Rücken hinunter.

„Ja war es“, sagte er schlicht und stand auf. Er reichte mir die Hand und zog mich hoch.

„Ich höre dich gerne Lachen, es klingt schön.“

Verwundert schaute ich ihn an. War das seine Masche oder meinte er es ernst?

Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem Kerl.

Spät nachmittags machte ich mich auf den Weg nach Hause. Wir hatten es tatsächlich geschafft an unserem Projekt weiter zu arbeiten, besser gesagt damit anzufangen.

Ich trug immer noch seinen Pulli und die Boxershorts. Die Blicke, die die Leute mir zuwarfen, ignorierte ich gekonnt. So seltsam sah ich nun wirklich nicht aus!

Mein Handy zeigte mir 5 ungelesene Nachrichten und 2 verpasste Anrufe an.

Die Anrufe stammten beide von meiner Mutter. Da konnte ich mich ja auf was

gefasst machen. Raph hatte zwar gemeint, dass er alles geklärt hatte, aber er kannte meine Mutter nicht. Seit dem Vorfall, wo ich offiziell von ein paar Typen verprügelt wurde, schrillten bei ihr immer alle Alarmglocken, wenn ich ohne ihr Wissen länger weg war.

Ich konnte sie ja verstehen, welche Mutter würde nicht vorsichtiger sein, wenn sie ihr Kind Bewusstlos, mit einem Rippenbruch und übersäht mit Blutergüssen im Krankenhaus finden würde.

Seufzend öffnete ich die Nachrichten. Sie stammten alle von der gleichen Nummer.

Komisch ich konnte mich nicht erinnern, jemandem meine Nummer gegeben zu haben.

 

Hey Liz, dein Bruder war so nett mir deine Nummer zu geben, hab ganz vergessen dir meine zu geben

Mein Projektpartner ist total nett und süß wir verstehen uns echt gut, hoffe du hattest genauso viel Glück wie ich!

Xoxo Nadine :*

 

Erleichtert atmete ich aus, es war nur Nadine. In den nächsten Nachrichten schwärmte sie von ihrem Partner Marko. Mein Grinsen gefror, als ich die letzte Nachricht las. Das hatte mir gerade noch gefehlt! Nadine hatte Wind von Bennos Poolparty bekommen und wollte mit mir hin gehen. Innerlich rang ich mit mir.

Ich hatte eigentlich keine große Lust auf eine Party, aber andererseits hatte ich es ihr versprochen. Meine Finger flogen über den Touchscreen und tippten eine Antwort.

 

Hey Nadine, mein Projektpartner ist Raph…

Aber ich muss zugeben, dass wir uns nach den ersten Streitereien ganz gut verstehen ;)

Wenn du unbedingt zu der Party willst, komm ich mit, hab es dir ja versprochen, aber glaub ja nicht, dass das jetzt zur Gewohnheit wird!

Bestimmt kommt dein Marko auch, bis dann Liz :*

 

Entschlossen drückte ich auf senden. Jetzt gab es keinen Ausweg mehr. Ich würde nach zwei Jahren wieder auf eine Party gehen. Bei dem Gedanke wurde ich leicht nervös, aber die Leute hier kannten nur die taffe Liz und nicht das ausgeschlossene Mädchen, das trotz allen Beleidigungen immer noch den Kopf hoch hielt.

Mal sehen, ob wir die Partylöwin von früher wieder zum Leben erwecken können, neckte Lucy mich.

Kopfschüttelnd öffnete ich unsere Haustür und trat ins Wohnzimmer.

Meine Mutter saß mit verschränkten Armen auf dem Sofa und musterte mich streng.

„Kannst du mir mal bitte erklären, was das gestern sollte?“

Mit gesenktem Kopf trat ich zu ihr und setzte mich neben sie.

„Die Projektwoche hat gestern angefangen und unsere Partner wurden ausgelost, wir haben direkt angefangen und die Zeit vergessen, ich war total erledigt und bin eingeschlafen“, tischte ich ihr eine ziemlich lahme Lüge auf.

Ihre grünen Augen durchbohrten mich und ich zwang mich ihrem Blick nicht

auszuweichen. Sie wusste, dass ich ihr nicht die Wahrheit sagte, doch sie kannte mich gut genug, um zu wissen, dass nachbohren bei mir nichts brachte.

„Muss ich mir sorgen machen?“, fragte sie nun wieder etwas milder gestimmt.

„Nein, wirklich nicht, Mum. Das nächste Mal sag ich dir vorher bescheid, wenn ich über Nacht weg bleibe, versprochen!“

Sie nickte und ließ endlich von dem Thema ab. Mein Aufzug kommentierte sie nur mir einem skeptischen Blick.

„Ich hab gestern früher aufgehört, als ich mitbekommen hab, dass du nicht nach Hause gekommen bist und muss deshalb gleich wieder los, in der Küche steht noch etwas vom Mittagessen, falls du Hunger bekommst“, erklärte sie und stand auf.

„Alles klar, tut mir leid, dass du dir wegen mir Sorgen gemacht hast“, meinte ich ehrlich.

Sie schnappte sich ihre schwarze Handtasche und wandte sich bei meinen Worten noch mal zu mir um.

„Pass nur auf dich auf.“

Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und nach ein paar Sekunden hörte ich auch schon das Krachen der Tür.

Ich liebte meine Mutter und genau deshalb würde ich nicht zulassen, dass sie mitbekam, wer ich wirklich war. Sie würde sich nur noch mehr Sorgen machen.

Schnell verbannte ich das Thema aus meinem Kopf und spielte mit dem Saum des Pullis. Was sollte ich jetzt mit dem angebrochen Tag anfangen?

Unentschlossen trabte ich die Treppe zu meinem Zimmer hoch und warf mich auf mein Bett. Ich schloss die Augen und ließ mich tief in die Kissen sinken.

Morgen würde ich Raph wieder sehen. Ein breites Grinsen schlich sich auf mein Gesicht.

Ja ich gebe es ja zu, ich mochte ihn, aber das lag nur daran, dass er mir das Leben gerettet hatte, mehr nicht!

Jaja und du vertraust ihm auch nicht, wer es glaubt wird selig, meinte Lucy höchst amüsiert.

Ich wollte ihr gerade eine pampige Antwort geben, als ein leises Klopfen meine Aufmerksamkeit erregte. Nach der Lärmquelle suchend blickte ich mich in meinem Zimmer um. Alles stand an seinem Platz, nichts Außergewöhnliches zu sehen.

Das Klopfen wurde immer lauter, bis ich schließlich den kleinen Semir vor der Fensterscheibe erblickte.

„Ist ja gut Semir, ich lass dich ja schon rein“, begrüßte ich ihn und öffnete die Fensterfront durch einen Schiebemechanismus.

Der kleine Piepmatz flog sofort herein und machte es sich auf einem meiner Kissen bequem.

Ich war so mit Raph und seinen (toten) Zylotaner Freunden beschäftigt gewesen, dass ich Lassairas Kampftraining total vergessen hatte.

Wenigstens wusste ich jetzt was ich die nächsten Stunden zu tun hatte. Wehmütig blickte ich auf mein weiches Bett, ehe ich Semirs kleinen Schnabel berührte und die Welt um mich herum wieder verschwamm.

 

 

***

 

 

„Ah wie ich sehe hat dich Semir wohlbehalten her gebracht“, begrüßte mich

Lassairas Geist.

Ich musste mehrmals blinzeln, bis ich endgültig scharf sehen konnte. Prüfend tastete ich meine Körper ab, ob noch alles dran war. Hätte mir jemand gesagt, ich wäre von einem Laster überfahren worden, ich hätte es geglaubt.

„Mehr oder weniger“, brummte ich eine Antwort.

Lassairas glockenhelles Lachen ließ mich verwundert aufschauen.

„Als ich das erste Mal mit Semir gereist bin war mir so schlecht, dass ich mich fast übergeben hätte, aber keine Sorge du wirst dich dran gewöhnen.“

Ein Grinsen huschte über mein Gesicht und auch Lucy fand die Vorstellung einer kotzenden Lassaira sehr lustig.

Semir hatte es sich wieder auf Lassairas Schulter bequem gemacht und putzte geschäftig sein Gefieder.

„Aber jetzt zu dem eigentlichen Grund, aus dem ich dich hergeholt habe.“

Sie machte eine ausladende Bewegung mit der Hand und in der leeren Halle sammelte sich immer mehr weißer Nebel.

Ihre Augen, die meinen so sehr glichen schauten mich an, doch sie nahm mich gar nicht wahr. Weiße Schlieren durchzogen, ihre Augen, sodass ihre Augen bald vollkommen weiß waren. Eine Falte hatte sich auf ihrer glatten Stirn gebildet und auch Semir hielt in seiner Bewegung inne.

Skeptisch musterte ich die Nebelschwaden, die schon fast den ganzen Raum erfüllt hatten. Das war ja alles schön und gut, aber sollte ich nicht eigentlich Kämpfen lernen? Doch ich wagte nicht Lassairas aus ihrer Konzentration herauszureisen und wartete so geduldig ab.

Dann auf einmal ließ meine Mentorin mit einer ruckartigen Bewegung den ganzen Nebel verschwinden.

Ich drehte mich immer wieder um meine eigene Achse, doch das Bild, das sich mir bot war keine Einbildung. Wie war das möglich?

An den vorher kahlen Wänden waren Regale mit den verschiedensten Waffen angebracht und in der Mitte des Raums stand eine auf Holzbalken gestützte Puppe.

Um die Puppe herum lagen Matten verteilt, die den Sturz abfangen sollten.

Ungläubig ging ich zu einem der Regale und berührte es vorsichtig, als könnte es sich jeden Moment wieder in Luft auflösen. Doch nichts der gleichen geschah, das geschliffene Holz fühlte sich unter meinen Fingern alles andere als instabil an.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte ich die Lassaira, die mir zu dem Waffenregal gefolgt war. Ihre Augen hatten ein Glück wieder ihre normale Farbe angenommen.

„Ach nur ein bisschen Hokuspokus“, schmunzelte sie.

„Das heißt ich kann so was auch?“

Die Vorstellung ich könnte Dinge aus dem Nichts erscheinen lassen, war einfach nur abgefahren.

„Ganz so einfach ist es auch nicht, ich erkläre es dir ein anderes mal, immerhin sind wir hier zum Kämpfen“, wandte sie ein.

Mit einem Nicken gab ich ihr zu verstehen, dass ich verstanden hatte, auch wenn ich liebend gerne das Erscheinen lassen von Dingen gelernt hätte.

„Wie du siehst habe ich dir eine große Auswahl an Waffen beschafft aus denen du dir diejenige aussuchen sollst, die zu dir passt“, erklärte sie.

Gedankenverloren ging ich die Wand entlang.

Wo sollte ich da bloß anfangen? An einer Wand hingen schon über 20 Waffen, von denen ich nicht mal alle beim Namen kannte, geschweige denn wusste, wie man sie benutze.

Den Pistolen und Gewehren kehrte ich gleich den Rücken zu. Da musste man nur einmal die Munition vergessen und schon war man aufgeschmissen. Nein, ich wollte etwas beständiges, am liebsten einen Dolch oder doch lieber ein Schwert?

Meine Beine trugen mich immer weiter, bis ich zu den Regalen mit den Messern und Schwertern kam.

Vorsichtig strich ich über die blank polierten Klingen der einzelnen Waffen.

Mein Gesicht spiegelte sich auf den glatten Oberflächen jeder Klinge. Überwältigt lächelte ich meinen 20 verzerrten Spiegelbildern entgegen.

Mein Blick stoppte bei einem mittellangen Schwert, dessen Klinge leicht nach hinten gekrümmt war. Die Welt um mich herum hatte aufgehört zu atmen und ich war nicht fähig meinen Blick von dem Schwert abzuwenden.

Langsam löste ich mich aus der Starre und griff nach der tödlichen Waffe.

Der Knauf war aus schwarzem Leder und schmiegte sich perfekt in meine Hand.

Ein wohliges Kribbeln durchfuhr mich, als ich die scharfe Klinge durch die Luft schneiden ließ. Durch die Lichtreflexion wirkte es so, als würde das Schwert einen Lichtschleier hinter sich her ziehen. So schnell wie der Blitz.

Oh ja das Schwert passt zu uns, wir machen einen auf Execiuter, scherzte Lucy.

Wenn mich Raph so sehen würde, würde er sich bestimmt kaputt lachen.

Mein Versuch den imaginären Gegner mit Herumfuchteln meines Schwert und tollkühnen „Haaa-jas“ zu besiegen wirkte bestimmt alles andere, als gefährlich.

„Wie ich sehe hast du deine Waffe gefunden“, unterbrach Lassaira meinen Kampf gegen die Luft.

Mit einen Lächeln im Gesicht drehte ich mich zu ihr um. Vielleicht würde das Kämpfen doch mehr Spaß machen, als ich erwartet hatte.

„Ja das habe ich.“

„Ich möchte, dass du mit dem Schwert eins wirst, sieh es als deinen verlängerten Arm an, nichts als Fremdkörper. Dein Schwert muss eine Linie bilden, es ist wie tanzen, ein tödlicher Tanz.“

Unwillkürlich erinnerte ich mich an die zwei Zylokaner, die ich auf dem Gewissen hatte. Lassaira hatte recht, es war wie tanzen, aber wie sollte ich das ohne Blue Fire schaffen?

Zweifelnd blickte ich an mir herab. Das eindrucksvolle Schwert in meiner schmalen Hand, wirkte deplaziert an mir. Die Tatsache, dass ich immer noch Raphs Kleidung an hatte, trug nicht gerade dazu bei, dass ich mich der Sache mehr gewachsen fühlte.

„Wir fangen ganz langsam mit Holzschwertern an, du wirst sehen, es ist nicht so schwer, wie es aussieht“, munterte mich Lassaira auf, die mein Zögern wohl bemerkt haben musste.

Ihre Augenlieder flackerten und der mir mittlerweile bekannte Nebel hüllte ihre Hand in dichte Wolken ein. Fasziniert beobachtete ich, wie das klare grau-blau ihrer

Augen langsam immer blasser und verschwommener wurde. Die weißen Schlieren verschluckten alle Farbe. So schnell der Spuck gekommen war, war er auch wieder vorbei. In ihrer Hand lag ein robustes Holzschwert, das sie mir jetzt reichte.

Ich starrte ihr jedoch immer noch gebannt in die Augen.

Wurden sie immer weiß, wenn sie Blue Fire benutzte?

Hoffentlich ist das bei uns nicht so, stell dir vor wir würden jedes Mal, wie erblindet aussehen, uahh gruselige Vorstellung!

Mein Bauch zog sich zusammen und meine Mundwinkel verzogen sich nach unten.

„Alles ok Liz, du wirkst etwas neben der Spur?“

Ihre helle Stimme katapultierte mich aus meiner gedanklichen Krise wieder in die Realität zurück. Man oh man ich musste wirklich an meiner Aufmerksamkeitsspanne arbeiten, dass wurde ja langsam peinlich.

„Ich hab mich nur gefragt, ob deine Augen immer so weiß werden, wenn du Blue Fire verwendest?“, blieb ich bei der Wahrheit.

Ungeduldig kaute ich auf meiner Unterlippe herum und versuchte den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken. Der kühle Ledergriff in meiner Hand rutschte immer wieder leicht aus meiner feuchten Handfläche, sodass ich es schließlich entnervt auf den Boden legte.

Lassaira ließ sich Zeit mit ihrer Antwort und als ihre Stimme dann die angespannte Stille in der Halle durchbrach, zuckte ich vor der ungewohnten Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme zurück.

„Ja, je mehr ich von Semirs Kräften beanspruche, desto mehr Farbe, Lebensenergie wird mir dafür genommen. Es ist ein Preis, den alle Geister zahlen müssen, die sich gegen den endgültigen Tod wehren, um zwischen der Welt der Lebenden und der, der Toten zu wechseln und doch zu keiner zu gehören.“

Ihre Worte spulten sich in meinem Kopf wie eine Dauerschleife immer wieder ab und ein eisiger Schauer lief mir den Rücken hinunter.

Was, das hieß ja, dass sie irgendwann nicht mehr da wäre!

Ja Lucy und ihre Augen fangen jetzt schon an die Farbe zu verlieren!

Verzweifelt schlang ich meine Arme um mich. Verdammte Neugierde, hätte ich doch bloß nie nachgefragt!

Aber was hat Semir damit zu tun, brachte mich Lucy auf andere Gedanken.

Mein Herz hatte den Schock immer noch nicht überwunden, doch mein Gehirn verarbeitete bereits die neuen Informationen.

Ich rang um meine Fassung, während ich in Lassairas Augen blickte, die meinen wie ein Spiegelbild glichen.

„Was meinst du damit, dass du von Semir Kraft nimmst?“

Meine Stimme war kaum mehr, als ein Flüstern und wirkte verloren in den Weiten der Halle.

„Ach, das hab ich ja ganz vergessen dir zu sagen“, sagte Lassaira und schlug sich gegen die Stirn. Die Geste wollte so gar nicht zu ihrem ehrfurchtvollen Erscheinungsbild passen, doch genau dafür hatte ich sie ins Herz geschlossen.

„Der kleine Semir hier ist mein Blue Fire. Die Energie von mächtigen Blosyx ist so stark, dass es in der Lage ist mit dir telepatisch zu kommunizieren und als ich starb und meine Geisterform annahm, nahm auch Semir seine Form an, er ist sozusagen ein Teil von mir, existiert aber eigenständig außerhalb von meinem Körper. Das passiert allerdings nur nach dem Tod“, brachte sie Licht in meine verwirrten Gedanken.

Genauso, wie Lucy, schoss es mir durch den Kopf.

Was für ein Tier, sie wohl sein wird? Oder konnte sie jede beliebige Form annehmen?

„Ich hab auch so jemanden, sie heißt Lucy“, strahlte ich Lassaira stolz an.

Wie ein kleines Mädchen klatschte sie erfreut in die Hände und zog mich in eine feste Umarmung. Ihr glockenhelles Lachen, brachte schließlich auch mich zum Grinsen.

Würde das das letzte Mal sein, dass ich sie umarmen konnte?

Schnell schob ich den Gedanken in den hintersten Winkel meines Gehirns, doch mein Lächeln war bereits erstorben.

Lassaira hielt mich eine Armlänge von sich entfernt, sodass ich von ihrem strahlenden Lächeln fast geblendet wurde.

„Das ist ja fantastisch, dann wird dir das Kämpfen bestimmt nicht all zu schwer fallen, Lucy und auch Semir sind viel älter, sie tragen die Weißheit von der Geburtsstunde der Energie an in sich und weiß Gott, wie lange das schon her ist“, meinte sie übereifrig und drückte mir sogleich das Holzschwert, das sie auf den Boden gelegt hatte, an die Brust.

Warum hast du mir das nicht vorher gesagt, fragte ich Lucy vorwurfsvoll.

Du hast nie gefragt, antwortete sie schlicht.

Meine Hand ballte sich zur Faust und ich spürte, wie es anfing in mir zu brodeln.

Ach und du hattest es nicht für nötig gehalten mir dieses klitzekleine Detail über dich zu verraten?!

„Ich hab die Puppe mit Energie belegt, damit du einen vernünftigen Gegner zum Trainieren hast, mal sehen wie du dich schlägst“, grinste sie, meinen kurz bevorstehenden Wutanfall nicht bemerkend oder ignorierend.

Meine Hand schloss sich fester um das geschliffene Holz, in dessen Maserung schon unzählige Kerben zu sehen waren.

Meiner Wut freien Lauf lassen stapfte ich auf die unförmige Puppe zu.

Lucy kannte mich seit meiner Geburt, sie hatte gefühlt, erlebt und gedacht, was ich dachte, bis sie stakt genug war, um ihre eigenen Gedanken zu formulieren.

Sie konnte mir doch vertrauen, warum also verriet sie mir nichts von sich?

Ein bitteres Lachen kroch meine Kehle hinauf und ich schlug mit dem Schwer auf den Körper meines Gegners ein, der eher einem Boxsack, als einem menschlichen Oberkörper glich.

Mit einem Knall prallten unsere beiden Holzklingen aufeinander und um ein Haar wäre ich von der Wucht des Aufpralls umgehauen worden.

Doch so schnell würde ich nicht aufgeben, ich richtete mich wieder auf und versuchte die Puppe erst von der linken und dann von der rechten Seite aus anzugreifen.

Zusammen wären wir besser, das weißt du oder?

Ich schaffe das schon alleine, zischte ich ihr zu.

„Achte auf deinen Gegner, eine unaufmerksame Sekunde kann dich dein Leben kosten“, rief mir Lassaira vom Rand unseres Schlachtfelds zu.

Ich regierte sofort und konnte den Angriff auf meinen Kopf gerade noch parieren.

„Na warte du Miststück“, fluchte ich ungehalten und setzte zum Gegenangriff über.

„Achte auf deine Beine, sie müssen sicher stehen, damit dein Körper die Kraft des Schlages aushalten kann und nicht umgeweht wird“, wies mich Lassaira an.

Mein Atem ging schwer und die ersten Schweißperlen bahnten sich den Weg von meiner Stirn.

Das einzige Geräusch war das Aufeinanderprallen von unseren Holzschwertern und die Zwischenrufe von Lassaira.

Konzentriert versuchte ich all ihre Anweisungen zu befolgen.

Sicherer Stand, Gegner im Auge behalten, eine Einheit mit dem Schwert bilden, parieren, angreifen und dann wieder ausholen.

Lassaira hatte das Kämpfen mit dem Schwert mit einem Tanz verglichen, doch ich fühlte mich eher wie ein Elefant im Porzellanladen. Meine Bewegungen waren abgehackt und ungelenk, egal wie sehr ich mich anstrengte, es besser zu machen.

Das Holz in meiner verkrampften Hand wog mit jeder Minute mehr und mein Haar klebte mir im Nacken. Erschöpfung machte sich in meinem Körper breit und ließ mich immer langsamer werden.

„Konzentrier dich Liz!“, ermahnte mich Lassaira, doch es war bereits zu spät.

Mein Gegner traf mich mit voller Wucht in meine ungeschützte Flanke. Reflexartig fing ich meinen Sturz mit den Händen ab und ließ das Schwert dabei fallen. Das würde einen blauen Fleck der Größe XXL geben.

Schnaufend rollte ich mich auf den Rücken und berührte mit zitternden Fingern die getroffene Stelle. Stöhnend sog ich die Luft ein. Blödes Ding, das nächste Mal würde er es sein, der am Boden lag.

Mein Herzschlag dröhnte immer noch in meinen Ohren und nur langsam entspannten sich meine Muskeln wieder.

Vielleicht sollte ich nicht so nachtragend sein und Lucy ihre Geheimnisse lassen, überlegte ich. Aus dem Augenwinkel nahm ich war, wie die unförmige Puppe wieder in ihre gewohnte Starre verfiel.

Du kannst mir vertrauen Liz, immerhin sind wir eins, aber manche Dinge kann ich dir nicht sagen, so sehr ich es auch will, ich habe auch meine Vorschriften an die ich mich halten muss.

Mürrisch nuschelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart und schloss meine schweren Augenlieder.

Ich hab noch eine Rechnung mit der Puppe da drüben offen, ohne dich schaff ich es nicht, lud ich sie ein mir zu helfen.

Unser erstes Opfer, aber lass dich bloß nicht ablenken, dann kann ich dir nämlich auch nicht mehr helfen.

Grinsend verdrehte ich meine Augen und quälte mich unter Schmerzen wieder auf beide Beine.

Runde zwei konnte beginnen, aber diesmal war ich nicht allein, ich hatte jemanden an meiner Seite, dem ich vermutlich auch mein Leben anvertraut hätte.

Niemand würde uns so schnell klein kriegen!

Torkelnd ging ich auf mein richtiges Schwert zu. Wenn ich schon kämpfe, dann richtig.

Lassaira schaute mir skeptisch hinterher, doch ich war mit meinen Gedanken schon bei der bevorstehenden Abrechnung.

„Ich bin soweit“, gab ich Lassaira das Startsignal.

Das kühle Leder schmiegte sich in meine Hand und ich musterte die sich langsam regende Puppe vor mir mit zusammengekniffenen Augen.

Ich konzentrierte mich auf meine Mitte und fand schließlich die glühende Quelle meiner Energie.

Wir umkreisten einander, immer auf der Hut vor einem möglichen Angriff.

Beklemmend dachte ich an den riesigen Energieball zurück und betete inständig, dass ich diesmal nicht zu viel Energie frei ließ.

In mir regte sich etwas und ich spürte wie eine Welle von Kraft durch meinen Körper schoss.

Augenblicklich wurde mein Stand sicherer und ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.

Hör auf zu denken, lass dich von dem Schwert führen, wies mich Lucy an.

In meinen Adern pulsierte pure Energie und um mich herum begann die Luft leicht zu flimmern.

Meine rechte Hand mit dem Schwert begann zu jucken und einer Eingebung folgend schoss ich auf meinen Gegner zu.

Ich war schneller als vorher und zufrieden stellte ich fest, dass mein Gegner immer nur knapp meinen Angriffen entwischen konnte.

Es war als wüssten meine Füße und Hände was zu tun war, als hätten sie nie etwas anderes gemacht.

Ein Teil von mir wusste, hatte gelernt zu kämpfen und dieser Teil freute sich gerade, wieder mal richtig die Sau raus zu lassen.

Meine Füße vollführten komplizierte Schrittfolgen und mein Schwert schlug immer wieder blitzschnell zu, bis ich meinen Gegner mit einem gekonnten Schlag entwaffnete.

Schwer atmend hielt ich ihm die Spitze meines Schwertes an die Brust.

Es war als würde ich aus einem Tranceartigen Zustand erwachen. Mein Pulli klebte unangenehm an meiner viel zu warmen Haut und der Schmerz in meiner Seite ließ mich erschöpft aufkeuchen.

War das wirklich ich gewesen?

Oh ja Baby, dem haben wird gezeigt, ich hab dir doch gesagt, zusammen sind wir besser, antwortete Lucy selbstgefällig.

Hinter mir erklang ein lautes Klatschen und ich drehte mich sofort alarmiert um.

Als ich allerdings nur Lassairas geisterhafte Erscheinung entdecken konnte, ließ ich die Klinge langsam wieder zu Boden gleiten.

„Du bist ein wahres Naturtalent Liz, nicht jeder schafft es auf Anhieb, sich von seinem Blue Fire leiten zu lassen und dabei nicht die Kontrolle zu verlieren“, lobte sie mich.

Wir hatten ja schließlich schon ein bisschen Übung gehabt, schmunzelte ich innerlich.

Aber von dem Vorfall mit den beiden Zylokanern erzählte ich Lassaira lieber nichts, denn dann müsste ich ihr auch von Raph erzählen und das schien mir keine so gute Idee zu sein.

Sie würde wollen, dass wir ihn töten, bekräftigte Lucy mein Schweigen.

Allein bei dem Gedanken verkrampfte sich alles in mir und mein Herz setzte einen Schlag aus.

„Ich denke das reicht für heute mit dem Training“, fuhr Lassaira fort.

„Wir leben in einer gefährlichen Zeit Liz, also zögere nicht einen Zylokaner zu töten, wenn du einem begegnest. Sie sind von Grund auf böse, also trage deine Waffe von jetzt an bitte immer bei dir.“

Klar, fällt ja auch gar nicht auf mit so einem riesen Schwert in der Hand rum zu laufen! Da kann ich mir gleich ein Schild vor den Hals hängen: Vorsicht Zylokaner ich bin eine gefährliche Blosyx.

Lassairas weiße Hand berührte die Klinge von meinem Schwert und für ein paar Sekunden verschwand wieder alle Farbe aus ihren Augen.

Mein Hals war mit einem Mal wie ausgetrocknet und eine schwere Hand schien mein Herz fest zu umklammern.

„So das dürfte reichen. In Notlagen, wird sich dein Schwert bei dir materialisieren, nur für alle Fälle“, schmunzelte sie erschöpft.

Besorgt nickte ich, fragte allerdings nicht weiter nach. Sie hatte heute viel Energie verwendet, vermutlich lag es daran. Trotzdem wurde ich das ungute Gefühl nicht los, das sie bald endgültig gehen würde.

„Danke“, flüsterte ich und zog sie in meine Arme. Ohne sie würde ich nicht mal von der Existenz der Zylokaner wissen!

„Es wird Zeit zu gehen Liz, bis zum nächsten Mal“, verabschiedete sie sich und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

Ich spürte wie ein Ruck durch mich ging, meine Sicht verschwamm und ich den Halt unter den Füßen verlor.

An diese Tortur würde ich mich wohl nie gewöhnen.

 

Löwe oder Maus

 

Mein Körper sackte vor Erschöpfung zusammen und ich kroch bewaffnet mit meinem Handy zu meinem Bett.

Mit einem erleichterten Seufzer ließ ich mich in die weichen Kissen fallen. Meine Haare standen in alle Richtungen ab und ich fühlte mich in den verschwitzen Klamotten und meinen schmerzenden Muskeln mehr tot als lebendig.

19.14 blinkte mein Handy auf. Was! Ich war so lange weg gewesen? Als Semir gekommen war, hat die Sonne noch geschienen und jetzt senkte sie sich schon gefährlich tief über die letzten Baumkronen.

Ich zwang meine schweren Augenlieder offen zu bleiben und loggte mich auf Facebook ein.

Die letzten Tage war so viel passiert, dass mache Dinge total auf der Strecke geblieben waren. Nachdenklich überlegte ich, wann ich das letzte Mal etwas gemalt hatte. Und damit meine ich, etwas freiwillig gemalt!

Abwesend bestätigte ich ein paar Anfragen von Mitschülern und scrollte die Neuigkeiten hinunter.

Ich musste ehrlich gestehen, dass mir mein Facebookaccount nicht so sehr gefehlt hatte.

Zwischen unnötigen Posts und dutzenden Gesichtern, die sich mir posierend ins Auge drängten, ließ mich eine Benachrichtigung inne halten. Gequält brummte ich vor mich hin.

Nadine Huber hat dich eingeladen an Bennos Poolparty teilzunehmen

Widerwillig ging ich auf die Veranstaltung und verzog missbilligend das Gesicht. Auf dem Titelbild waren ein paar Mädchen in knappen Bikinis zu sehen. Die eine hielt eine Sektflasche in der Hand und im Hintergrund sah man blaues Wasser blitzen.

In mir sträubte sich alles auch nur eine Sekunde meiner Zeit für eine Horde von testosterongesteuerten Proleten und oberflächliche Mädchen zu vergeuden, aber versprochen war versprochen.

Schnell, bevor ich es mir anders überlegen konnte, drückte ich auf den Teilnehmen Butten.

Samstag. Mein Todesurteil war unterschrieben.

Jetzt übertreib mal nicht du Diva, wir gehen da hin und wer weiß, wenn du dich mal ein bisschen lockerer machst und nicht alles so verkrampft siehst, hätten wir wahrscheinlich sogar etwas Spaß, meinte Lucy erbarmungslos.

Ich bin total locker, allein, dass ich da überhaupt hingehe ist locker genug, empörte ich mich.

Ein ironisches Lachen, ließ mich die Zähne fester zusammen beißen.

Na warte, dir zeig ich es! Nach dieser gottverdammten Party, wird mich jeder, ich wiederhole jeder in diesem beschissenen Kaff kennen! Pah von wegen ich bin nicht locker, erinnerst du dich etwa nicht mehr an die Silvesterparty im Sunsets Hotel?

Ich hatte mich richtig in Rage geredet, das heißt gedanklich natürlich.

Wütend pfefferte ich mein Handy auf die Matratze und stampfte ins Bad.

 Ich hatte zwei Monster umgebracht und konnte kämpfen, mehr oder weniger zumindest, da wäre es doch gelacht, wenn ich es nicht schaffen würde wieder auf eine Party zu gehen!

Ich zog mir die dreckigen Kleider aus und stopfte sie in die Wäschetrommel. Immer wieder redete ich mir die drei kleinen Wörtchen ein, während ich heißes Wasser auf meinen geschundenen Körper fließen ließ.

Ich bin locker! Ich bin locker! Ich bin locker!

Sauber und mit einem klaren Ziel vor Augen betrat ich, eingewickelt in ein trockenes Handtuch, wieder mein Zimmer.

Schnell wählte ich Nadines Nummer und wartete ungeduldig ab, bis eine fröhliche Stimme das nervige Tuten unterbrach.

„Hallo, wer ist da?“

„Hey Nadine ich bins Liz“, begrüßte ich sie.

„Oh hey Liz, cool, dass du anrufst.“

Ich konnte selbst durchs Telefon ihr breites Grinsen sehen und musste unwillkürlich auch lächeln.

„Ich wollte dich nur fragen, ob du Lust hast mit mir morgen Shoppen zu gehen. Ich brauche dringend was zum anziehen für Samstag.“

„Kein Problem, ich bräuchte auch einen neuen Bikini“, willigte sie ein.

„Weißt du wo es hier ein paar gute Läden gibt?“

„Wir müssten mit dem Bus in die nächst größere Stadt fahren, aber ich denke das ist kein Hindernis“, erklärte sie.

„Wann wollen wir uns denn dann treffen?“

„Passt dir 13 Uhr? Dann kann ich vormittags noch mit Marco an unserem Projekt weiter arbeiten. Er ist ja so was von süß Liz und er hat kleine Grübchen, wenn er lacht!“, fing sie an zu schwärmen.

Belustigt verdrehte ich die Augen, was sie zum Glück nicht sehen konnte.

„Na dann lass uns mal hoffen, dass er am Samstag auch kommt. 13 Uhr ist perfekt, am besten wir treffen uns gleich am Busbahnhof.“

„Ja alles klar, ich freu mich schon so, dass glaubst du gar nicht!“

An dem anderen Ende der Leitung war ein lautes Kreischen zu hören.

„Aua Nadine nicht so laut!“

„Oh Entschuldigung, ich bin nur so aufgeregt, das wird sicher große Klasse.“

„Lass uns den Laden rocken“, stimmte ich ihr zu.

Sie Lachte auf und auch Lucy schmunzelte über meine Ausdrucksweiße.

„Woher der plötzliche Sinneswandel, ich dachte du hasst Partys?“

„Ein kleines Vögelchen hat mir gezwitschert, dass ich nicht so feige sein soll, immerhin bin ich eine waschechte Partyqueen gewesen“, gab ich ihr zu verstehen.

„Na dann muss ich mir ja keine Sorgen machen“, witzelte sie.

Wir redeten noch eine Weile, bis wir uns verabschiedeten.

Meine Haare waren mittlerweile trocken und ich zog mir schnell mein Nachthemd über. Ok, Schritt eins war geschafft, jetzt musste ich nur noch Raph bescheid geben.

Da ich seine Nummer nicht hatte schrieb ich ihm über Facebook. Wenn er wieder online war, sah er ja meine Nachricht.

 

Hey Raph :)

Ich wollte dir nur sagen, dass ich morgen nur bis 13 Uhr Zeit hab und wir deshalb schon früher anfangen sollten, damit wir bis Freitag fertig werden.

Bei wem treffen wir uns?

Liz

 

Zufrieden schickte ich die Nachricht ab und räkelte mich auf meinem Bett.

Ich hatte Rick heute noch gar nicht gesehen, fiel mir ein.

„Rick“, brüllte in voller Lautstärke.

Nach einer Minute erschien der verstrubbelte Lockenkopf meines Bruders im Türrahmen.

„Ah du bist auch noch da“, begrüßte er mich.

„Das selbe könnte ich von dir auch behaupten“, grinste ich leicht, „wie war dein Tag so?“

„Ach ganz ok, Schule halt, nichts Besonderes und deiner?“

„Entspannt ich muss ja nicht um 7 aufstehen“, neckte ich ihn.

„Ich hol den Schlaf im Unterricht nach“, gab er achselzuckend zurück.

Belustigt schüttelte ich den Kopf.

„Also bis morgen dann.“

„Ja bis dann kleiner Bruder.“

Ich wusste genau, dass er es hasste so genannt zu werden und der vernichtende Blick, den er mir daraufhin zuwarf, ließ mich leise kichern.

Krachend viel die Tür wieder zu und ich wandte mich wieder meinem Handy zu.

Sie haben eine neue Nachricht.

 

Hey Liz

Ja kein Problem, wir treffen uns dann einfach schon um 8.

Vielleicht gehen wir diesmal lieber zu dir, bevor du noch mehr von meinen Kumpels umlegst ;)

 

Grinsend tippte ich eine Antwort.

 

Ja damit würden wir sicherlich mehr Zeit sparen, ich wohne in der Friedlstraße 7.

Sehn uns dann morgen bye

 

Ich wartete noch bis er zurück geschrieben hatte, ehe ich mein Handy ausstellte.

Es war zwar noch nicht so spät, aber durch die körperliche Anstrengung fiel ich schnell in einen tiefen Schlaf.

 

 

***

 

 

Grelle Lichter blendeten mich und nahmen mir die Sicht. Alles leuchtete in Neonfarben und meine Welt drehte sich gefährlich schnell, doch all das konnte mir nichts anhaben. Ich fühlte mich stark und unbesiegbar. Der Alkohol brannte heiß in meinen Adern und ließ mich immer tiefer in diesen berauschenden Zustand sinken.

Meine Haare klebten an meinem Nacken und ich tanzte bis ich keine Luft mehr bekam. Die Musik trieb mich an, ging durch meinen Körper und erfüllte mich mit ihren verzerrten Tönen. Keuchend ging mein Atem und leuchtende Punkte vor meinen Augen, drohten mir die Sicht zu nehmen. Wo waren die anderen? Panik ergriff mich und auf einmal wirkten die vielen tanzenden Leute um mich herum bedrohlich, als wollten sie mich zerdrücken.

Hell, dunkel, hell, dunkel. So sehr ich mich auch anstrengte ich sah kein mir bekanntes Gesicht. Verzweifelt versuchte ich mir einen Weg durch die Masse zu bahnen, doch meine Koordination war durch den vielen Alkohol nicht mehr das, was sie einmal war.

Schwankend und mich an allem festhaltend, was meine zitternden Hände zu fassen bekamen, hielt ich mich auf den Beinen.

Mit zuckenden Augenliedern startete ich einen letzten Versuch die Panikattacke niederzukämpfen, als sich plötzlich ein starker Arm um meine Tallie legte und mich zu sich heranzog.

Ich erkannte den leicht süßlichen Duft nach Honig und Pfefferminze sofort und ließ mich erleichtert gegen die harte Brust fallen. Jetzt war alles gut, er war da.

Seine Finger malten kleine Kreise auf meinen verschwitzen Rücken und langsam ging meine Atmung wieder normal.

Seine Haare leuchteten im hellen Licht fast weiß und seine Augen schauten liebevoll zu mir herab.

Was ist denn los, Maus?“

Nichts ich bin nur etwas müde“, flüsterte ich träge, „gut das du da bist.“

Die getunte Popmusik, die aus den großen Bässen spielte, drohte meine Stimme zu übertönen, doch er verstand mich.

Das helle Licht beleuchtete für Sekundenbruchteile die ernüchternde Szene. Verschwitzt und völlig am Ende schleppte ich mich mit seiner Hilfe aus dem Club.

Es war vier Uhr morgens und die Morgendämmerung setzte bereits ein.

Das war die zweite Nacht in Folge gewesen und eine kleine Stimme in meinem Inneren fragte sich, wie es nur dazu kommen konnte. Doch mit seiner Hilfe schaffte ich es die Zweifel im Keim zu ersticken. Er war da und das war alles was zählte. Jason.

 

 

***

 

 

Schweißgebadet und mit laut klopfendem Herz fuhr ich hoch. Panisch riss ich die Augen auf und versuchte die letzten Bilder meines Traums schnell wieder wegzusperren. Meine Kehle war trocken und kratzte unangenehm beim Schlucken.

Der Wecker zeigte erst 6 Uhr an, aber ich wagte es nicht mich noch einmal hinzulegen.

Durch die Vorhänge drangen bereits die ersten Lichtstrahlen und so schaltete ich mit zittrigen Fingern meinen Wecker aus.

Es hatte sich alles so echt angefühlt, als hätte ich es noch einmal erlebt!

Ich schlang meine Arme um meine angezogenen Beine. Ich konnte immer noch die Worte hören die er mir zugeflüstert hatte.

 Meine Lippen pressten sich zu einem harten Strich zusammen. Mit einem letzten wehmütigen Blick in Richtung Bettdecke stand ich auf und zog die Vorhänge beiseite.

Der Anblick des rot-gelb leuchtenden Himmels ließ mich langsam wieder ruhiger werden. Der gewaltige Lichtball hob sich über die dunklen Baumkronen und verwandelte die gewöhnliche Landschaft in Felder und Wiesen, wie aus

Märchenbüchern, hell leuchtend und strahlend. Unberührt lag mir alles zu Füßen und von einer plötzlichen Melancholie ergriffen zog ich mir ein paar Kissen auf den Boden und setzte mich vors Fenster.

Leise rann mir eine Träne über die Wange, während sich die Sonne in ihrer vollen Herrlichkeit vor mir erhob.

Warum ausgerechnet jetzt?!

Energisch wischte ich die Träne weg und ballte meine Hände zu Fäusten.

Wir brauchen Jason nicht, das haben wir noch nie, nur die Macht der Gewohnheit hat uns vorgespielt ohne ihn nicht klar zu kommen, murmelte Lucy leise.

Sie hatte recht, aber dennoch hatte ich Angst von meiner Vergangenheit überrollt zu werden. Ich war noch nie ohne Jason auf einer Party gewesen. Keine stützende Hand würde mich mehr halten, wenn ich fiel und vor lauter Trunkenheit den Weg nicht mehr fand.

Stopp! Er war nicht die Rettung, er war das Ende.

Ich war nicht wie früher ich hatte mich verändert. Nie wieder wollte ich so eine alles umfassende Hilflosigkeit spüren.

Lucys Trauer und meine vermischten sich, doch ich war nicht bereit diesem Gefühl nachzugeben. Langsam erhob ich mich und zwang meine Beine still zu stehen.

Ich war bis hier her gekommen, immer noch am Leben und viel stärker als früher!

„Dir werd ich`s zeigen! Schau her du mieses Arschloch! Siehst du mich? Ich bin hier und das habe ich ganz allein mir zu verdanken, ich komme gut ohne dich klar!“

Ich hatte dir Worte voller Zorn hervorgepresst und ein flimmernder Schweif aus Blue Fire hatte sich um mich geschlungen. Ich hatte es wohl unabsichtlich hervorgerufen, doch im Moment war es mir nur recht. Auch wenn Jason nicht vor mir stand, so hatte ich doch die unbestimmte Gewissheit ihm die Nachricht überbracht zu haben.

Irgendwo da draußen lauerte er und wenn ich ihn erst mal in die Finger kriegen würde, werde ich sein Verständnis von Furcht neu definieren.

Die alten Erinnerungen hatten sich in meinem Kopf zurückgezogen und auch der schalte Nachgeschmack eines Alptraums verging langsam.

Von meiner Energie umgeben kehrte ich der aufgehenden Sonne den Rücken zu und verbat mir jeden weiteren Gedanken an Jason.

Jetzt hieß es erst mal tief durchatmen und meinen Plan weiter verfolgen, denn ich würde auf diese verdammte Party gehen. Anfangs hatte ich es nur um Nadines Willen getan, doch jetzt war ich gespannt darauf meine alte Seite nach so langer Zeit wieder aufleben zu lassen. Ich würde mich nicht betrinken, nein. Aber ich würde mich dem Rhythmus der Musik endlich wieder hingeben können und das Gefühl genießen normal und frei zu sein. Wenigstens für einen Abend, wollte ich grausame Monster, Geisterhafte Göttinnen und einen scheinbar endlosen Krieg vergessen.

Fröstelnd öffnete ich meinen Kleiderschrank und zog mir schnell eine weiße Bluse und eine knappe Jeansshort an. Ich wollte nicht, dass Raph etwas von meiner katastrophalen Nacht mitbekam. Er wusste sowieso schon mehr als mir lieb war, aber wie sagt man so schön „Shit happens“. Mit einem Lächeln im Gesicht ging ich ins Bad, um mich frisch zu machen.

Vielleicht, aber auch nur vielleicht freute ich mich ein klitzekleines bisschen, dass er kam, natürlich nur, damit er mich auf andere Gedanken brachte!

Der leichte Stoff der Bluse schmiegte sich an meine kühle Haut. Ich war nicht in Laune mich groß auf zu hübschen und so fuhr ich nur mit dem Kam durch meine Haare und ließ sie in leichten Wellen über meinen Rücken fallen.

Nach meinem täglichen Waschritual schlurfte ich die Treppe runter Richtung Küche.

Außer mir war anscheinend noch niemand wach.

Rick und Mum würden sich bestimmt über Pfannkuchen freuen.

Doch dann fiel mir mein missglücktes Mittagessen wieder ein. Lieber nicht.

Resigniert öffnete ich den Kühlschrank und überlegte was ich den beiden als Frühstück auftischen konnte ohne es vorher in Flammen zu stecken.

Schlussendlich hatte ich Äpfel, Bananen und Trauben in einer Schüssel zerschnitten und mit Joghurt zubereitet.

Stolz auf mich blickte ich auf die Uhr. 6:45 Uhr. Ich hatte noch mehr als eine Stunde bis Raph kam.

Ratlos, wie ich die Zeit totschlagen könnte blickte ich aus dem Fenster in unseren Garten hinaus. Wenn man genau hinsah konnte man den Tau auf den Blättern und der Wiese glitzern sehen.

Komm lass uns ein bisschen üben, komm schon bitte!

Da ich Lucys quengelige Stimme keine Sekunde länger ertragen hätte und mir auch kein besserer Vorschlag einfiel, willigte ich ein und schlüpfte leise auf die Terrasse raus.

Du machst es mir nicht gerade leicht, Lassaira zu glauben, dass du so unglaublich weise bist, neckte ich sie.

Du färbst halt ab.

Ich sog scharf die Luft ein.

Jetzt mach aber mal halblang wer ist jetzt die Diva von uns.

Die kühlen Steinplatten schmiegten sich an meine nackten Füße und eine frische Morgenbrise beruhigte mein erhitztes Gemüt.

Ich bin nur so gereizt, weil ich mich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr richtig ausgepowert hab!

Ist schon gut, schmunzelte ich.

Ich fühlte wie etwas Gewaltiges in mir an den schweren Ketten zerrte und der Druck immer größer wurde.

Lucy jetzt gedulde dich nur noch ein paar Minuten ja, herrschte ich sie an.

Das Ziehen ließ etwas nach und ich beeilte mich in die hinterste Ecke des Gartens zu gelangen. Die knorrigen Stämme und Äste der Kirschbäume verdeckten mich, sodass man mich von der Terrasse aus unmöglich sehen konnte.

Einzelne Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch das dichte Blätterwerk und ich setzte mich trotz leichter Nässe an Ort und Stelle hin.

Unser Garten war durch eine dichte Tunika Hecke von dem unserer Nachbarn getrennt.

Vorfreude auf das berauschende Gefühl, dass ich jedes Mal hatte, wenn ich Lucys Kräfte frei ließ, ergriff mich.

Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich ganz auf das erwartungsvolle Prickeln in meiner Mitte. Vorsichtig um nichts zu überstürzen öffnete ich die Ketten und überließ es Lucy jede Zelle meines Körpers mit Energie zu tränken.

Komm schon Liz, das war gerade mal ein Fingerhut von dem was wir drauf haben!

Ein breites Lächeln erstreckte sich über mein Gesicht und ich schlug die Augen auf.

Wie du meinst.

Mein Herz klopfte wie wild, als ich den leuchtenden Ball in meinem Inneren vollkommen aus seinem Käfig ließ.

Ein Ruck durchfuhr mich und ich begann am ganzen Körper, wie unter Strom zu beben. Mit weit aufgerissenen Augen versuchte ich das Zittern unter Kontrolle zu bringen. Eine Welle nach der anderen tränkte mich mit Kraft und das überwältigende

Hochgefühl, unbesiegbar und so leicht wie eine Feder zu sein, erfüllte mich.

Mein Brustkorb hob und senkte sich schneller als gewohnt und ich nahm jedes noch so kleine Geräusch in meiner Umgebung wahr.

Na komm schon worauf wartest du noch, lass uns mal testen wie stark wir wirklich sind!

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Vergessen war die Gefahr entdeckt zu werden, das einzige, was zählte war die glühenden Kraftwellen, die meinen Körper zu verbrennen drohten.

Schwungvoll erhob ich mich und bemerkte erstaunt die feinen Funken, die um mich herum schwebten und im Sonnenlicht wie blaues Wasser strahlten.

Ich dachte nicht mehr nach, ich handelte. Es war als wüsste ich, was zu tun war.

Ich ging in die Knie und sprang mit Leichtigkeit über die mannshohe Hecke. Selbst die doppelte Höhe wäre für mich kein Problem gewesen. Mit einem dumpfen Aufprall rollte ich mich gerade noch rechtzeitig auf dem Boden ab.

Für einen kurzen Moment war ich tatsächlich geflogen! Mein Lachen kam aus vollem Herzen.

Auch Lucy schien jetzt erst richtig aufgewacht zu sein und stimmte mit ein.

Überschwänglich sprintete ich, gefolgt von einem Schweif aus blauen Funken, los. Der Garten der Hansens und die leere Straße, die ich mit einem weiteren Sprung erreichte, flogen schemenhaft an mir vorbei.

Das ist ja der Wahnsinn! Jetzt verstehe ich, warum du unbedingt üben wolltest.

Ohne ihre Antwort abzuwarten rannte ich über die unberührte Wiese immer der Sonne entgegen.

Die weiche Erde gab sofort unter meinen Füßen nach und innerhalb weniger Sekunden war ich am Waldrand angekommen.

Ich musste meine Beine beinahe zwingen stehen zu bleiben. Als ich mich umdrehte, entwich mir ein leiser Schrei.

Was das konnte nicht wahr sein!

Unser Haus war von hier aus nicht mal mehr so groß wie der Nagel meines großen Daumens! Und ich hatte mich nicht mal wirklich anstrengen müssen. Der Boden ist unter meinen Füßen regelrecht davon geflogen.

 Haben wir es drauf oder haben wir es drauf, fragte Lucy kichernd.

Wir haben es definitiv drauf, antwortet ich immer noch unfähig zu begreifen, wie ich diese Distanz in so kurzer Zeit zurückgelegt hatte.

Ich trat aus dem Schatten der Kiefern heraus und legte meinen Kopf in den Nacken, um die Wipfel der Bäume erspähen zu können.

Kurz entschlossen Sprang ich erneut senkrecht in die Luft und krallte mich reflexartig an dem kratzigen Stamm der Kiefer fest. Ich spürte keinen richtigen Schmerz. Die raue Rinde des Baums verursachte eher ein leichtes Kitzeln, als dass es mir wehtat. Nur noch ein paar Meter trennten mich von der Spitze. Der Stamm wurde immer dünner und ich fühlte wie sich die Baumkrone unter meinem Gewicht leicht bog. Oben angekommen reckte ich mein Gesicht gen Himmel und schrie aus vollem Hals.

Nie wieder würde ich mich unterkriegen lassen!

Ein Schwarm Vögel flog, aufgeschreckt durch meinen Schrei, tiefer in den Wald hinein.

Von hier oben hatte man einen fantastischen Ausblick. Der Wald erstreckte sich fast bis zum Horizont und für diesen einen Moment fühlte es sich an, als würde die Sonne nur für mich scheinen.

Ein Blick nach unten genügte, um mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu bringen. Rauf ging es einfach, aber bei dem Gedanken aus dieser Höhe zu springen wurde mir ganz mulmig zumute.

Es half nicht gerade, dass sich die Baumspitze, an der ich mich verzweifelt festkrallte, durch den aufkommenden Wind immer stärker bewegte.

Ok Augen zu und durch, so schlimm wird es schon nicht sein, redete ich mir gut zu.

Ich war nicht mehr das ängstliche Mäuschen, das sich immer verkroch!

Ich atmete tief ein, um meine Nerven zu beruhigen und konzentrierte mich darauf den Schleier aus Blue Fire immer dichter und größer werden zu lassen, bis mich das gleißende Licht bis zu den Zehenspitzen umhüllte.

Meine Fingernägel gruben sich in das Holz und durchdrangen es wie Butter.

Auf drei springen wir, zählte Lucy ab.

Eins.

Mein Herz drohte mir aus dem Brustkorb zu springen.

Zwei.

Das Blue Fire reagierte sofort auf meine steigende Panik und züngelte hektisch, wie zischendes Feuer, um mich herum.

Drei!

Ich kniff die Augen zusammen und stieß mich kraftvoll ab. Mein Magen fühlte sich an, als hätte ich eine Tonne fauler Eier gegessen und ich schrie in Erwartung auf den schmerzhaften Aufprall auf.

Doch nichts dergleichen geschah. Vorsichtig öffnete ich erst ein Auge, dann das andere. Als ich sah, dass ich einen halben Meter vor dem Boden zum stehen gekommen war, konnte ich mein Lachen nicht mehr zurückhalten.

Die Flammen schmiegten sich immer noch an meinen Körper und vorsichtig wagte ich es einen Schritt nach vorne zu machen. Und tatsächlich ich lief in der Luft!

Glucksend wurde ich schneller und schneller. Doch dieses Mal lief ich nicht auf direktem Weg nach Hause sondern schlug Hacken und steigerte und drosselte meine Geschwindigkeit.

Ich machte Luftsprünge und Saltos in der Luft. Freiheit unendliche Freiheit war wohl das, was dieses Gefühl am besten beschrieb.

Es erinnerte mich ein bisschen an meine erste Begegnung mit Lassaira im See der heiligen Grotte. Es war pures Blue Fire, was mich im Bruchteil einer Sekunde in die höchsten Höhen beförderte und schneller, als es jedem Mensch möglich war, zu laufen. Ich sprang immer höher hinauf bis die Luft zu dünn zum Atmen wurde.

Mein Atem ging schnell und ich spürte wie auch Lucy langsam müde wurde.

Ein letztes Mal ließ ich mich fallen und sog die Luft um mich herum tief ein, als hätte ich Angst, nie wieder die Gelegenheit zu bekommen, mich so frei und unbesiegbar zu fühlen.

Die Flammen züngelten nur noch leicht schimmernd über meinen Körper, als meine nackten Füße wieder den weichen Boden berührten und die leicht feuchten Grashalme meine Waden freudig empfingen.

Siedend heiß fiel mir ein, dass ich mich um 8 Uhr mit Raph treffen wollte.

Mist er war bestimmt schon da!

Ohne nachzudenken lief ich so schnell ich konnte. Meine warmen Muskeln spannten sich blitzschnell an und zogen sich wieder zusammen.

Von der Ferne konnte ich bereits eine dunkle Gestalt ausmachen, die vor unserem Hauseingang saß und direkt auf mich schaute.

Na das hab ich ja schön vermasselt, zog ich innerlich den Kopf ein.

In einem Sekundenbruchteil kam ich einen halben Meter vor ihm zum stehen und blickte in ein weniger gut gelauntes Gesicht.

Seine orange-roten Haare wirkten wie Flammen durch den Schein der Morgensonne.

Für einen Moment war ich so in den Anblick des funkelnden Lichtspiels in seinen Haaren versunken, dass ich erst ein paar Sekunden später realisierte, dass er mich verwundert und misstrauisch betrachtete.

Konzentrier dich Liz, du benimmst dich wie ein kleines verknalltes Mädchen, fehlt nur noch, dass du anfängst zu stammeln!

Ertappt zwang ich mich ihm mit festem Ausdruck ins Gesicht zu schauen, ohne in seinen dunkel schimmernden Augen zu versinken.

Halt du deine Klappe, sonst kannst du dir das Üben nächstes mal gleich abschminken!

Pff, als würde mich das abhalten.

Doch meine Drohung hatte gewirkt, denn sie gab ruhe und verkniff sich unnötige Kommentare.

„Sorry, dass du warten musstest, ich war.. ähm.. noch schnell Blumen pflücken“, rettete ich mich mit der dümmsten Ausrede, die ich je gehört hatte.

Ungläubig schoss seine rechte Augenbraue in die Höhe. Und ich hätte mir am liebsten die Hand gegen die Stirn geschlagen.

Blumen pflücken? Wie kam ich Bitteschön darauf?!

„Und deine Blumen sind wo?“

„Ich hab sie nicht gepflückt, das ist nur so eine Redewendung, ich schaue sie mir nur an. Was bringt es mir sie mitzunehmen und in einer Woche einen Welken Strauß zu haben? So blühen sie den ganzen Sommer und jetzt stell nicht so blöde Fragen und komm rein“, würgte ich ihn ab.

Schmunzelnd registrierte ich wie sich sein Mund wieder schloss und seine Mine sich verfinsterte.

Schnell, bevor er es sich anders überlegen konnte, holte ich den versteckten Schlüssel unter der Fußmatte hervor und schloss auf.

Schon im Flur vernahm ich die brummende Stimme von meinem Bruder und das fröhliche Geplapper meiner Mutter.

„Liz bist du das?“

Nein ich bin Batman! Na klar war ich es wer denn sonst.

„Ja“, rief ich stattdessen zurück.

Raph schaut mich fragend an aber ich bedeutete ihm mit Handzeichen einfach weiter den Flur entlang und die Treppen hoch zu gehen.

Leider deutete er mein Händefuchteln falsch und steuerte direkt das Wohnzimmer an.

Kopfschüttelnd folgte ich ihm direkt in die Höhle des Löwen. Ihr müsst wissen, dass meine Mutter seit der Sache mit Jason, von dem was sie mitbekommen oder sich zusammengereimt hatte nicht sonderlich begeistert von Jungs war. Zumindest von denen mit denen ich zu tun hatte, denn seitdem hatte ich keinen männlichen Besuch mehr.

„Das Müsli ist dir wirklich sehr gut gelungen Schatz, vielleicht steckt doch noch eine K---“, sie brach mitten im Satz ab, als sie Raph sah, der ungeachtete ihres immer finster wirkenden Gesichts weiter auf sie zukam.

„Wer ist das?“, fragte sie.

Ihre Stimme hatte nichts mehr von der Leichtigkeit und Wärme. Beinahe hätte ich das Lachen angefangen. Ich fühlte mich wie in einem dieser Teeniefilme, in denen das Mädchen einen dieser „bösen“ Jungs datet und ihre Eltern total ausrasten und ihnen den Kontakt verbieten. Ich war allerdings schlau genug, um meine Gedanken für mich zu behalten und anstatt zu lachen dem stechenden Blick meiner Mutter Antwort zu geben, doch Raph kam mir zuvor.

„Ich bin Raphael Wagner und ihre Tochter und ich müssen wegen eines Schulprojekts zusammenarbeiten sie müssen sich also keine Sorgen machen, dass sie sie vergewaltigt im Wald wieder finden“, kam mir Raph zuvor, wobei er mir schmunzelnd zuzwinkerte.

Na warte, der kann was erleben!

Das Gesicht meiner Mutter erbleichte und ich wusste, dass es jetzt an der Zeit war zu verschwinden.

„Wir sind dann mal oben.“

Der einzige, der ungerührt von der ganzen Situation sein Frühstück weiter as war Rick. Wenigstens einer nahm es gelassen hin!

Ich packte Raph am Arm und zog ihn hinter mir die Treppe hoch.

Dort wo die Wärme seiner Haut durch die Sweatshirtjacke drang zogen sich kleine Blitze über meine Hand durch meinen ganzen Körper. Das war ja zum verrückt werden!

In meinem Zimmer angelangt ließ ich ihn sofort los und schloss die Tür hinter mir.

Ich hatte Mühe den Unglauben und die aufkommende Wut über sein Verhalten in Schach zu halten. Aus zusammengekniffenen Augen erdolchte ich ihn mit Blicken.

„Was fällt dir eigentlich ein, so was zu meiner Mutter zu sagen?!“, fuhr ich ihn an.

Er schaute sich erst aufmerksam in meinem kleinen Reich um bevor er mir mit einem Schulterzucken antwortete:

„Sie ist ein Mensch.“

Wie aus allem Wolken fallend starrte ich den viel zu hübschen Kerl vor mir an.

Das meint er doch nicht ernst oder?

Doch anscheinend war es sein voller Ernst und nicht ein Fünkchen Reue war in seinen Augen zu sehen.

„Natürlich ist sie ein Mensch, wie die ganze Weltbevölkerung auch!“

„Wir sind keine Menschen“, war seine nüchterne Antwort darauf.

Langsam ging mir ein Licht auf und ich hatte das dringende Bedürfnis ihn zu schütteln.

„Ja, aber nur weil wir keine Menschen sind, heißt das nicht, dass wir sie so behandeln können! Ich mein musste es gleich so was sein, sie hat doch sowieso schon angst—“, schnell verschluckte ich den Rest meines Satzes doch ich konnte die Neugierde buchstäblich in seinen Augen sehen.

Fuck, Liz, kannst du nicht einmal deine Klappe halten?

Als hätte ich nie etwas gesagt ließ ich mich auf einem der Ledersessel nieder und fuhr meinen Laptop hoch.

„Wir sollten langsam anfangen, sonst werden wir nicht fertig bis Ende der Woche“, versuchte ich die Tatsache zu ignorieren, dass ich wieder einmal mehr gesagt hatte, als ich wollte.

„Wovor hat deine Mutter angst?“, fragte er lauernd und rückte den anderen Sessel so heran, dass sich unsere Knie unter dem kleinen Glastisch berührten.

Aus der Nummer kommen wir nicht mehr so einfach raus….

Die feinen Haare an seinen Beinen kitzelten an meinem Knie und machten mich ganz kirre. Nervös knetete ich meine Hände und meinen Augen huschten von einer Ecke des Zimmers in die andere, bloß nicht in das Gesicht von Raph.

„Und warum bist du barfuß und erzähl mir jetzt nicht, dass du dann besser Blumen pflücken, ach nein „anschauen“ kannst“, drängte er mich immer weiter in die Enge.

Er beugte sein Gesicht nach vorne und macht es mir unmöglich seinem Blick noch länger auszuweichen. Warum interessierte ihn das alles? Hat der kein eigenes Leben um das er sich kümmern kann?!

„Ich muss dir gar nichts sagen und vielleicht lässt es sich ohne Schuhe besser Blumen anschauen!“

Ich schaute jetzt direkt in seine Augen.

Ein Gemisch aus blau-grün traf auf gefrorene Eiskristalle. Wären wir jetzt in einem dieser japanischen Comics wären sicherlich Blitze zwischen uns zu sehen gewesen.

Mein Herzschlag erhöhte sich und ich nahm unwillkürlich seinen herben männlichen Duft wahr.

„Aber wenn du es unbedingt wissen willst, ich war trainieren und ich hab vergessen meine Schuhe anzuziehen“, gab ich leicht genervt nach.

Entgegen meiner ungerührten kühlen Erscheinung klopfte mein Herz immer noch als hätte ich einen Marathon hinter mir. Seine Anwesenheit warf mich einfach aus der Bahn.

Ein leichtes Lächeln umspielte seine schmalen Lippen.

„Und ich dachte schon ich hätte mir das schwache glitzern um dich eingebildet.“

„Schwach? Ich bin eine verdammte LED-Lampe, sei froh, dass ich damals nur deinen Kumpels im Visier hatte“, schnaubte ich gekränkte.

Ja ich muss zugeben er hat mein Ego leicht angekratzt.

Ein Lachen, das ein Kribbeln in mir auslöste, zerstörte allerdings gleich darauf meinen Konter.

Sein Gesicht erstrahlte, wenn er lachte und zog mich in seinen Bann. Kurz war ich abgelenkt, sodass ich seine Worte erst später wahrnahm.

„Gegen mich hättest du nie eine Chance, Kleine!“

Seine Worte ließen die Luftblase, die sich angesichts seines Anblicks um meinen Kopf gebildet hatte platzen und pumpten feurige Wut durch meine Adern.

Der Kerl hält sich ja echt für den Größten!

Ein wohlbekannter Druck schwoll in mir an und ich merkte nur zu gut, wie Lucy mit ganzer Kraft versuchte, die Ketten zu sprengen.

Da ist aber jemand angestachelt

Pff der Typ hat doch keine Ahnung mit wem er sich anlegt! Dem zeigen wir es!

Ein breites Lächeln schmückte mein Gesicht, als ich seine Hand über den Glastisch hinweg ergriff und festhielt.

Seine Augen wurden groß und für einen Moment konnte ich hinter die sorgsam errichtete Maske blicken. Doch der Moment verstrich so schnell, dass ich den Ausdruck in seinen Augen nicht lesen konnte.

„Findest du mich etwa so heiß, dass du nicht die Finger von mir lassen kannst?“, fragte er mit rauchiger Stimme.

Heiß lief es mir den Rücken herunter und ich versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen, was angesichts, dass seine warme Hand ständig Blitze durch meinen Körper schickte, nicht gerade leicht war.

„Tut mir leid du bist einfach nicht mein Typ.“

Lüge.

Und mir einem Ruck öffnete ich die Türen zu der verborgenen Kammer in meinem Inneren. Dieses Mal war ich gewappnet und die starken Wellen der Energie drohten mich nicht mehr mitzureisen.

Ich lenkte die gesamte Kraft in meine Hand, die seine immer noch fest umschlossen hielt. Zuckend und bebend schlängelten sich die bläulich fast weiß schimmernden Flammen um unsere Hände und ich fühlte das euphorische Gefühl der Kraft erneut in mir empor steigen.

Für eine Sekunde flackerte Schmerz in seinem Gesicht auf und es tat mir schon fast wieder leid, dass ich ihn ungewarnt angegriffen hatte, obwohl man das wohl kaum als Angriff werten konnte.

„Du hast dir den falschen zum Spielen ausgesucht!“, flüsterte er grimmig, doch in seinen Augen las ich etwas völlig anderes.

Er genoss es, ich sah es in seinen Augen, er nahm die Herausforderung an.

Vor Schreck hätte ich beinahe meine Hand zurückgezogen, als sich etwas Kühles um meine Hand schmiegte und Lucy zu verdrängen drohte.

Der kalte Samt breitete sich unaufhaltsam aus und erst jetzt begriff ich, dass das von Raph kam.

Es fühlte sich unglaublich an, ganz anders als meine pure reine Kraft.

Seine Augen waren dunkler, ja fast schwarz geworden und dennoch schreckte ich nicht vor ihm zurück. Ich fürchtete ihn nicht, hatte ich nie und werde ich auch nie und auf eine verdrehte Art und Weiße machte ihn die Macht, die er nun ausstrahlte nur noch anziehender.

Ich war so vertieft in den ungewohnten Anblick, den mir die schwarzen, rauchartigen Schlingen boten, dass ich mit einem Haar nicht bemerkt hätte, wie meine Kraft immer weiter zurückgedrängt wurde.

Ein Siegessicheres Lächeln lag in Raphs Gesicht und erinnerte mich daran, dass ich eigentlich vorgehabt hatte ihn in seine Schranken zu weisen.

Auch schon bemerkt, dass wir nicht mehr allein sind, na los streng dich mal ein bisschen an, so schnell wird der uns nicht los!

Sofort kam ich Lucys Aufforderung nach und konzentrierte mich auf den pochenden Energieball in meiner Mitte.

Ohne die Schwarzen Onixe aus den Augen zu lassen ließ ich meine Kraft anschwellen, immer weiter und weiter und mit einem triumphierenden Grinsen stellte ich fest, dass meine feurigen Zungen die schwarz glitzernde Flut wieder zurückdrängten.

Ein Spiel zwischen Licht und Schatten entstand.

Angestrengt versuchte ich meine Kraft aufrecht zu erhalten und auch Raph presste mittlerweile seinen Kiefer fest zusammen.

„Wohl doch nicht so einfach, wie du dachtest, was?“

Meine Hand war fest in seiner verkrallt und um sie herum tanzten mein Blue Fire und seine Energie einen ineinander verschlungenen Tanz.

Ich erinnerte mich an das was Lassaira mir gesagt hatte. Vergiss nie, dass alle Zylokaner böse sind!

Aber gerade jetzt in dem Moment konnte ich nichts Böses oder Hinterhältiges in den dunklen Tiefen von Raphs Augen erkennen.

Lediglich meine hellen Augen spiegelten sich in ihnen wieder und der Schalk blitze mir entgegen.

Ich hatte Synthias Blue Fire gespürt, als sie Lassaira angegriffen hatte. Es war wie Eissplitter, die sich in eine Wunde bohrten, nichts im Vergleich zu der angenehmen Kühle, die sich um einen Teil meiner Hand schmiegte.

Ob es sich für Raph auch so angenehm anfühlt?

Seine Lippen formten Worte doch ihr Sinn erschloss sich mir nicht. Die Melodie war so fremdartig und doch meinte sich ein Teil von mir an ihre Bedeutung zu erinnern.

Der Samtene Teppich umschloss mein gleißendes Licht immer stärker und mir gelang es trotz größten Anstrengungen nicht ihn weiter zurück zu drängen.

„Wie gesagt, du weißt nicht mit wem du spielst“, erklang seine tiefe Stimme.

Na warte!!

Mein Kampfgeist mobilisierte meine letzten Reserven und die Wut halt mir seine Schlieren in Schach zu halte.

Wäre doch gelacht, wenn er uns besiegen würde! Lucy alles klar bei dir?

Ich wertete den Ruck der durch meinen Körper ging und Raphs rauchartige Fäden bis zu seinem Ellebogen stießen, als ja.

Sein erstaunter Blick war Gold wert. Anscheinend hatte ihm wirklich noch niemand die Stirn geboten.

„Und du hast keine Ahnung wer ich bin!“

Lucys und meine Stimme erklangen zusammen und die Macht und Würde, die ich ausstrahlte, ließ selbst mich erschaudern.

Doch Raph wäre nicht Raph, wenn er sich davon beeindrucken und geschlagen geben würde. Insgeheim hatte ich allerdings den Verdacht, dass er sehr wohl beeindruckt von meiner Stärke war, nach allem was ich von Lassaira über die nicht gerade kampfeslustigen Blosyx gehört hatte.

Mittlerweile krallte ich mich nicht nur an seiner Hand fest, um unser Kräftemessen fortzuführen, sondern viel mehr, weil ich ohne diese Stütz, wie eine Feder zu Boden segeln würde. Auch Raphs Schweißflimmer auf der Stirn zeugte von seiner Anstrengung.

Wenn nicht bald einer aufgeben würde, konnte ich das Shoppen später vergessen, so ausgelaugt, wie ich dann wäre.

„Gleichstand?“

Ich schaute ihn fragend an und bemerkte erleichtert, dass auch sein Atem beschleunigt ging.

„Auf 3“

Sein Gesicht kam näher und ich versank in den schwarzen Ozeanen.

„1“

Ein letztes Mal sog ich das prickelnde Gefühl unserer beiden so verschiedenen Kräfte ein, die immer noch fest umschlungen miteinander rangen. Niemand wollte aufgeben.

„2“, flüsterte ich.

Ich wagte es kaum mich zu bewegen, aus Angst er würde sich wieder von mir entfernen.

Synchron holten wir Luft und mit dem „3“ sickerten unsere Energien langsam zurück an ihren Ort und erst jetzt realisierte ich, wie geladen die Luft um uns herum war.

Man sah immer noch ein leichtes Flimmern, wie nach einem großen Brand nur ohne den Rauch und ein erwartungsvolles Knistern, wie in den letzten Sekunden vor Beginn des neuen Jahres, erfüllte den Raum.

Gebannt starrte ich in seine Augen, die sich langsam wieder klärten bis sie wieder ihre gewohnte blau-grüne Farbe hatten.

Mein Herz klopfte so laut, dass ich dachte, er würde es hören und die Wärme seiner Hand löste ein Kribbeln in mir aus.

Wir saßen da wie festgefroren und für Außenstehende würde diese Szene bestimmt lachhaft wirken, aber genau jetzt hier in dem Moment wollte ich nur seine weichen Lippen auf meinen spüren.

Meine Augenlieder flackerten und ich spürte seinen heißen Atem in meinem Gesicht. Immer noch bedeckt ein feiner Schweißfilm seine helle Stirn und ließ seine Lippen noch roter erscheinen.

Verdammt, wieso sah dieser Typ auch so gut aus!

 

Be mine?

 

Unfähig meine Hand aus seiner zu lösen flirrte mein Blick zwischen seinen Augen und seinen Lippen hin und her.

Reis dich zusammen! Du verhältst dich wie ein hormongesteuertes Tier in der Paarungszeit!

Ein leiser Seufzer entglitt meinen Lippen, als ich meine Hand vorsichtig aus seiner löste.

Nur langsam, als wollten selbst meine Finger diesen Moment festhalten, entkrampften sie sich und ich hatte nicht länger das Gefühl meine Hand würde aus festgefrorenen Stäben bestehen.

Ein Blick in Raphs Gesicht zeigte mir, dass er sich ebenfalls aus der Starre löste.

Sein Arm, der bis vor wenigen Augenblicken noch mit dem Ellebogen auf die Glasplatte gestützt gelegen war, zog sich zurück und verwundert als könnte er nicht glauben, was gerade passiert war, blinzelte er mich an.

„Wie….ich meine wie hast du das geschafft?“

Schmunzelnd über seine gestotterten Worte beugte ich mich vor, sodass unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter von einander entfernt waren.

„Was hätte ich deiner Meinung denn nicht schaffen sollen?“, stellte ich eine Gegenfrage.

Ich war wirklich gespannt auf seine Antwort, denn ehrlich gesagt hatte ich wirklich keinen blassen Schimmer, wovon er gerade sprach.

Auf Raphs heller Stirn bildeten sich leichte Furchen und sein Blick war in die Ferne gerichtet.

Seine stechenden Augen schauten mich an und zum ersten Mal glaubte ich ihn ohne seine Maske zu sehen.

Natürlich sah er immer noch so aus wie vorher, doch der Ausdruck in seinem Gesicht war ein anderer. Als hätte man den unsichtbaren Schleier von seiner Gestalt gezogen, der ihn die ganze Zeit eingeschnürt hat.

„Du….das ist eigentlich nicht möglich verstehst du was ich meine?“

Jetzt war es an mir die Stirn zu runzeln.

Konnte er sich nicht mal verständlicher ausdrücken?!

„Nein, aber ich denke, wenn du aufhören würdest in Rätseln zu sprechen würde ich dich sicherlich verstehen“, murrte ich leicht angenervt.

Seine Mundwinkel zuckten und ließen die restliche Anspannung aus seinem Gesicht verschwinden.

„Ich vergaß, du hast deine Kräfte ja noch nicht lange. Ich hab einen Zauber gesprochen, der es dir eigentlich unmöglich gemacht hätte meine Energie erneut abzuwehren. Außer du hättest ihn umgangen, aber das ist nicht möglich, in deinem Anfängerstadium.“

Und da war er wieder Mr. Eingebildet wie er im Buche steht.

Es war als würde er mit seiner arroganten mir-gehört-die-Welt Art auf einen roten Knopf in meinem Inneren drücken, der sowohl mich, als auch Lucy sofort zum Explodieren bringen konnte. Seit ich Bekanntschaft mit Raph gemacht hatte, war ich rekordverdächtig oft an die Decke gegangen.

Ein Wunder, dass mein Wutvorrat noch nicht aufgebraucht war, doch das Gefühl von brennender Hitze, die sich durch meine Adern fraß, belehrte mich wieder eines besseren.

Solange Raphael Wagner auf dieser Erde weilte, würde mein Wutvorrat nie aufgebraucht sein!

„Tja dieser Anfänger hier hat gerade das Unmögliche geschafft, also führ dich mal nicht so auf! Und im Gegensatz zu dir habe ich dazu keinen ach so tollen Zauberspruch gebraucht!“

Meine Augen hatten sich automatisch zu schmalen Schlitzen zusammengezogen und Lucys Anwesenheit war deutlich spürbar.

Meine offenen Haare knisterten, als wären sie unter Strom, doch es war mein Blue Fire, das ich in meiner Wut unbeabsichtigt hervorgerufen hatte.

Ungeachtet meiner Worte berührten seine Finger vorsichtig, ja fast zärtlich, eine meiner Haarsträhnen, über die hellblau leuchtende, beinahe weiße Funken huschten, sodass es den Anschein hatte, dass mein Haar benetz von Sternschnuppen wäre.

„Sag mal hörst du mir überhaupt zu?!“, verbarg ich meine Verwunderung über Raphs Handlung hinter den rauen Worten. Völlig versunken zwirbelte er meine Strähne zwischen seinen Fingern und beobachtete wie die Funken auf seine Hand übersprangen und dort erloschen.

Bei meinen Worten zuckte er zusammen und zog seine Hand ruckartig zurück, nur, um sich dann damit durch die Haare zu fahren und wie ein Verrückter in meinem Zimmer auf und ab zu laufen.

„Alles klar bei dir?“, fragte ich vorsichtig nach.

Was war denn so schlimm, dass er so neben der Spur war, normalerweise hatte er sich doch immer unter Kontrolle.

Hier hast du deinen offenen Raph, gab Lucy trocken zu bemerken.

Ich wollte, dass er sich etwas verständlicher ausdrückt, nicht dass er total am Rad dreht..

Er drehte sich zu mir, als wäre ihm gerade wieder eingefallen, dass er nicht allein war und kam langsam auf mich zu.

Sein Verhalten warf Fragen über Fragen auf und keine einzige konnte ich auch nur ansatzweise lösen. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht und wenn er nicht gleich seine Zunge dazu bringt mir zu sagen, was nicht stimmt, würde das nicht gut für ihn ausgehen!

Mit fahrigen Bewegungen, die so gar nicht zu seiner sonst so kontrollierten Art passen wollten, ging er vor mir in die Knie.

Wäre die Situation nicht so seltsam, hätte ich wahrscheinlich damit gescherzt, dass ich seinen Heiratsantrag leider nicht annehmen könnte.

Meine Fingernägel bohrten sich in die Hand und mit scharfen Augen verfolgte ich jede Regung auf Raphs hellem Gesicht besorgt.

Seine schwere Hand kam auf meinem Knie zu liegen und lenkte mich für einen Augenblick von meiner eigentlichen Frage ab.

Die Gänsehaut, die sich sogleich bildete, nicht bemerkend schenkte er mir immer noch keinen Blick. Seine wirren Locken standen durch das ständige Raufen in alle Himmelsrichtungen ab und verwandelten ihn in einen feurigen Engel.

Erst als er sein markantes Gesicht zu mir emporhob, stieß ich die angehaltene Luft aus. Seine Augen wirkten trüb und am liebsten hätte ich ihm seine sorgenvolle Falte von der Stirn gestrichen, doch ich wagte es nicht mich auch nur einen Millimeter zu bewegen.

„Liz du musst lernen das zu verstecken, verstehst du, du bist in großer Gefahr, in größerer als ich bis jetzt gedacht habe“, redete er eindringlich auf mich ein.

Seine Hand verstärkte den Druck auf meinem Knie und die Blitze ließen mein Herz höher schlagen.

Doch das, was Raph mir sagte, war nichts Neues für mich.

Es war Krieg.

Soviel dazu, mich von ihm ablenken zu lassen. Der Plan ging ja wohl nach hinten los.

Erstaunt darüber, dass er sich deshalb solche Sorgen machte, legte ich meine Hand auf seine.

„Ich weiß, du und ich wir müssten uns jetzt eigentlich abschlachten, es ist Krieg, aber mach dir um mich keine Sorgen, ich komm schon klar!“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

Ungläubig schaute er mich an, sodass ich mir ein leises aufkichern nicht verkneifen konnte.

„Aber wie…du hast deine Kräfte doch erst seit ein paar Tagen? Also hast du meinen Zauber umgangen? Das ist erstaunlich, was weißt du noch?“

Er schaute mich nun teils fasziniert teils fragend an. Unsicher ob es mir gefallen sollte wie ein seltenes Kunstobjekt angestarrt zu werden, lenkte ich mein Augenmerk auf unser beider Hände, die immer noch übereinander lagen.

Raphs Daumen strich behutsam über meine Haut.

Helle fast Alabasterfarbene Haut traf auf meine natürlich karamellfarbene Bräunung. Blosyx und Zylokaner. Licht und Dunkel.

Was sollte ich ihm sagen? Durfte ich ihm überhaupt vertrauen?

Doch ich wusste schon bevor ich mir die Fragen gestellt hatte die Antwort.

Ruhe legte sich über mich und ich realisierte nur beiläufig wie Lucy sich mit jedem Herzschlag um mich schlang. Unsere Gedanken und Gefühle verschmolzen und die Worte, die aus meinem Mund kamen, waren unsere.

„Ich bin anders Raph. Ich bin keine gewöhnliche Blosyx ich bin zwar noch Anfang, aber du wirst sehen, mir passiert nichts, wir sind stark.“

Und es stimmte, was ich gesagt hatte. Ich war anders, wir waren anders.

Sogar so anders, dass wir einem Zylokaner vertrauten ohne mit der Wimper zu zucken.

Meine Stimme hallte in meinen Gedanken nach. Mächtig und stolz hatte ich das ausgesprochen, was auch mir erst in dem Moment wirklich bewusst wurde.

Raphs Augen verdunkelten sich und schwarzer Dunst schimmerte über seiner knienden Gestalt.

Wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal Schnee erblickt, bewunderte ich Raphs Veränderung.

Seine dunklen Augen schienen bis in meine Seele blicken zu können und der schwarze Nebel an seiner Hand kühlte meine blau schimmernde Haut.

Sein Gesicht kam meinem immer näher. Mein Atem ging stockend, während sich meine Augenlider, in Erwartung auf den lang ersehnten Kuss, schlossen.

„Die Blosyx, die einem der mächtigsten Zylokaner vertraut“, erklang seine tiefe rauchige Stimme, bevor er seine kühlen Lippen auf meine presste.

Wenn unser Kräfte vorher noch miteinander gefochten hatten schienen sie in diesem Kuss miteinander zu verschmelzen.

Heiß erwiderte ich den Kuss und kostete gierig von seinem sinnlichen Mund, den er so oft zu einem abschätzigen Lächeln verzogen hatte.

Seine Lippen waren hart und weich zugleich und als seine Zunge fordernd um Einlass bat, tanzten unsere Zungen einen elektrisierenden Tanz.

Meine Hände fuhren durch sein samtenes Haar und zogen ihn noch näher zu mir heran.

Immer mehr wollte ich von ihm schmecken, fühlen. Mein Körper lechzte geradezu nach ihm und der Kühle seiner Energie auf meiner erhitzten Haut.

Seine Arme schlangen sich um meine Tallie und zogen mich zu ihm auf den Boden, bis ich auf seinem Schoß zum sitzen kam.

Nach Luft schnappend beendeten wir den Kuss. Verklärt und immer noch schwer atmend versank ich in den schwarzen Onixen, die mich liebevoll betrachteten.

Vorsichtig als fürchte er ich könnte mich wie in einem Traum in Luft auflösen, legte er seine Lippen erneut auf meine.

Nie wieder wollte ich dieses Gefühl der Vollkommenheit missen. Um uns herum hatte sich eine Kugel aus blau-schwarzen Schlieren gebildet, die sich freudig knisternd erkundeten und unsere Gefühle widerspiegelten.

Ja ich war DIE Blosyx, die einem Zylokaner vertraute und ihm ihr Herz geschenkt hatte, egal was der Rest der Welt darüber dachte, ich wollte im Moment nichts lieber, als die Lippen dieses einen Kerls zu spüren.

„Wer bist du nur?“, flüsterte Raphs heisere Stimme zwischen unseren Küssen.

Schmunzelnd zog ich ihn in einen letzten Kuss bevor ich antwortete.

„Ich bin die, die dir sagt, dass wir nie mit unserem Projekt fertig werden, wenn wir so weiter machen.“

Schwermütig löste ich mich von ihm und rief Lucy zurück. Immerhin hatten wir schon kurz vor 10 und noch nichts gemacht.

„Jetzt schau nicht so, was dachtest du denn, was wir jetzt machen? Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, wies ich ihn schmunzelnd zurecht.

Seine Augen waren mittlerweile wieder im gewohnten blau-grün doch der liebevolle Ausdruck war nicht gewichen.

„Vielleicht“, begann er und stahl sich einen Kuss von meinen Lippen, „lassen wir die Arbeit einfach sein und gehen gleich über zum Vergnügen.“

„Das hättest du wohl gerne!“

„Du willst es doch auch, ich sehe es in deinen Augen du kannst nicht genug von mir kriegen“, schnurrte er und zog mich wieder in seine Arme.

Schnaubend schlug ich ihn, so gut das eben ging, wenn man in den Armen eines viel größeren und stärkeren Kerls, stand.

„Das hättest du wohl gerne, vergiss es wir machen jetzt an unserem Projekt weiter“, wies ich ihn erneut ab, doch meine Selbstbeherrschung bröckelte mit jedem Kuss, den er in meinem Nacken verteilte.

Die nächsten zwei einhalb Stunden waren ein Mix aus Arbeiten und Kuscheln und als Raph sich um kurz vor 13 Uhr verabschiedete stand ich noch lange an der Tür und starrte seiner großen muskulösen Gestalt hinterher.

Mein Mund kribbelte immer noch und wenn ich die Augen schloss, fühlte ich seine kalten Lippen wieder auf meinen.

So ein mist, ich hatte mir aber auch den größten und gefährlichsten Arsch zum verlieben ausgesucht!

Doch mein Ärger war nur halbherzig. Die Schmetterlinge in meinem Bauch lenkten mich einfach viel zu sehr ab.

 Wahrscheinlich lag es an meinem dämlich breiten Grinsen, dass die Leute mich mit einem dünnen schmallippigen Lächeln bedachten, wenn ich an ihnen vorbei ging. Jenes Lächeln, das man sich für Oma aufhebt, wenn sie schon zum dritten Mal fragt, wie dein Tag war oder eben für verliebte Teenager, die dazu neigten dich mit jeder Einzelheit ihres Angebetteten halb tot zu reden. Hätte ich mich selber gesehen hätte ich wahrscheinlich auch nur die Augen über mein überschwänglich fröhliches Verhalten verdreht. Zuhause hatte ich mich noch zurück gehalten, doch jetzt auf dem Weg zur Shoppingtour mit Nadine hatte ich das Gefühl die ganze Welt umarmen zu können.

Ein Blick auf mein Handy sagte mir, dass ich schon 5 Minuten früher eingetroffen war. Der nach Schulende überfüllte Busbahnhof erweckte um 13:25 Uhr eher den Eindruck einer leeren Horrorfilmkulisse bei Tag zu sein. Ein paar verkümmerte Gestallten auf den Bänken und zwei Busse waren meine einzige Gesellschaft, aber mich kümmerte es nicht weiter. Ich brannte darauf Nadine von Raph und zu erzählen, auch wenn ihre Reaktion wahrscheinlich nicht so ausgelassen, wie meine sein wird. Immerhin hatte sie mir in der Schule schon versucht klar zu machen, dass Raphael nicht der Typ ist, dem man sein Herz schenken sollte. Aber noch war ja nichts geschehen. Wir hatten uns nur geküsst. Mehr nicht.

Dass ich nicht lache, wenn übereinander herfallen deine Definition von nichts ist, dann bin ich ja mal gespannt, wie es aussieht, wenn es ernst wird, kicherte Lucy.

Ok, dann war es vielleicht doch etwas mehr als nichts, aber ich an deiner Stelle würde meinen Mund nicht so weit aufreisen. Für den Kokon aus unseren Energien war ich schließlich nicht verantwortlich, konterte ich grinsend.

Ein leichtes Kribbeln ließ mich ahnen, dass ich einen Treffer gelandet hatte. Grübelnd stellte ich ihr eine Frage, die mir erst jetzt kam.

Sag mal wie ist er eigentlich so, also nicht Raph sondern seine Energie, ist das genauso wie bei uns?

Ich glaubte schon fast keine Antwort mehr zu bekommen, doch als ein leises murmeln in meinem Kopf erklang war meine Neugierde geweckt.

Tyson ähnelt ihm sehr.

Warum denn so wortkarg, sonst nörgelst du mir doch auch wegen jedem bisschen die Ohren voll, schmunzelte ich. Tyson also, schöner Name, dunkel und mächtig, passt zu den schwarzen Schlieren.

Wenn hier jemand ständig und wegen jedem bisschen am jammern ist, dann wohl du!!

Lenk nicht ab Lucy! Du weißt schließlich genauso viel über Raph wie ich, also ist es nur fair, wenn ich Tyson auch kenne, drängte ich sie in die Enge.

Ein genervtes Schnauben verkündete meinen Sieg und ich verkniff es mir gerade noch so, meine Faust in die Luft zu heben. Schließlich war ich nicht alleine in meinem Zimmer, auch wenn die Gestalten sich wahrscheinlich wenig um ein Mädchen scheren würden, das ohne ersichtlichen Grund Siegstänze vollführt.

Es ist schwer zu beschreiben, wir kommunizieren nicht so wie Raph und du oder du und ich es sind eher Gefühle, über die wir uns verständigen. Er kann wie kühlendes Wasser, aber auch wie spitze Eiszapfen, die sich in dein Fleisch bohren, sein.

Schwer schluckte ich und mein Herz schlug schnell gegen meinen Brustkorb. Das klang unberechenbar. Es klang nach Raph.

Wir wissen nichts über sie, gestand ich mir ein.

Mit einem mal war mir kalt und ich schlang meine Arme um mich. Die Zweifel ließen mich von innen gefrieren. Wollte ich überhaupt, dass mehr aus Raph und mir wurde? Erneut das Risiko eingehen verletzt zu werden? Körperlich und psychisch.

Ich wusste es nicht. Aber wenigstens war ich nicht alleine und wenn ich ehrlich war, wusste ich, welche Wahl mein Herz treffen würde.

Doch bevor ich weiter gedanklich spekulieren konnte, was alles möglich wäre, schob sich Nadines zierliches Gesicht in mein Blickfeld.

„Und bereit sämtliche Läden unsicher zu machen?“, quietschte sie fröhlich.

Lächelnd hackte ich mich bei ihr unter, während sie mich in Richtung Bus mitzog.

„Ich werde nicht eher ruhen, bis wir schöne Sachen gefunden haben“, ging ich auf ihren unbekümmerten Ton ein. Es war lange her, seit ich mit einer Freundin zusammen einkaufen war. Es fühlte sich gut an, normal, genau das, was ich jetzt brauchte.

„Wie kommst du eigentlich mit Raph zurecht? Ich mein euer Start war ja nicht gerade das, was man als Beginn einer Freundschaft bezeichnen könnte.“

Schmunzelnd lehnte ich mich tiefer in den Sitz und betrachtete die grünen Wiesen und Felder, die an uns vorbei zogen. Außer uns saß noch eine alte Dame weiter vorne im Bus, die den rundlichen Busfahrer bei jedem Ruckeln lautstark darauf aufmerksam machte, vorsichtig zu fahren.

„Wir haben uns geküsst“, ließ ich schließlich die Bombe platzen.

Kichernd musterte ich Nadines Gesicht, das sich zwischen schockiert und verwirrt nicht entscheiden konnte und dabei einfach nur komisch aussah.

„Entspann dich, ich bin schließlich keine von diesen Tussen, die man einfach so ausnutzen und wegwerfen kann und außerdem war es wirklich nett“, beschwichtigte ich sie immer noch amüsiert über ihren Gesichtsausdruck.

„Also…also das hätte ich jetzt wirklich nicht erwartet, ich dachte du reißt ihm den Kopf ab, aber ich glaube da ist küssen wohl doch ungefährlicher, ich will dich schließlich nicht im Jugendknast besuchen kommen müssen“, gewann sie langsam wieder an Fassung.

Spielerisch knuffte ich ihr in die Seite.

„Ich doch nicht, was denkst du denn von mir!“

„Nur gutes natürlich!“, kicherte sie, „Mach dich darauf gefasst am Samstag mit Blicken getötet zu werden, manche Verflossenen von ihm neigen dazu, ihn immer noch für sich zu beanspruchen. Ich werde dafür sorgen, dass er nur Augen für dich hat!“

„Mit ein paar eifersüchtigen Diven werd ich schon fertig und ich bin mir sicher Marko wird dich den ganzen Abend nicht alleine lassen.“

Prompt erröteten ihre Wangen und sie lächelte verlegen.

„Meinst du?“

„Ich bin mir sicher!“

Für die Nächsten Stunden galt unsere volle Aufmerksamkeit den vielen Läden in den Straßen Flaars und ihren Kleidern.

Die Sonne hatte schon dem silbernen Licht des Mondes platz gemacht, als ich voll beladen die Haustür hinter mir zuwarf.

Nadine wusste definitiv, wie man richtig shoppte! Müde und zufrieden schlurfte ich die Treppen hoch und verschwand in meinem kleinen Reich.

Vorsichtig, als könnte es jeden Moment kaputt gehen zog ich ein dünnes weißes Kleid aus einer der Taschen. Der gestickte Stoff lag samten in meiner Hand. Es ging mir bis zur Mitte meiner Oberschenkel und ließ sich durch einen Bund um meinen Hals im Nacken zubinden. Es war sommerlich und durch das lose Stickmuster würde man meinen rosefarbenen Bikini erkennen können. Ich hatte zwar nicht vor im Wasser zu landen, aber es war ja immerhin eine Poolparty. Meine freie Rückenansicht perfektionierte dieses Kleid und ich war versucht, es trotz schmerzender Beine und einem fordernden Schrei meines Körpers nach Schlaf anzuziehen.

Schlussendlich schlüpfte ich aber doch lieber in mein Nachthemd und brachte meine neu errungenen Schätze in die Wäschetruhe.

Bettfertig und zufrieden mit mir und der Welt schlüpfte ich unter die Decke. Ich war wirklich glücklich stellte ich erfreut fest. Was Shoppen und ein Kuss von einem Kerl, den ich laut meiner Abstammung eigentlich hassen sollte, alles bewirken können.

Der letzte Gedanke bevor ich in die Traumwelt glitt galt einem Engel mit lodernden Haaren und Augen, die mich um den Verstand zu bringen drohten. Er war ein Engel und zwar meiner, auch wenn er für andere nur Verderben brachte, mein Herz glühte nur in seine Anwesenheit. War das gut?

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.02.2016

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