Es war einmal ein Mädchen namens Helena. Sie war höflich, nett, klug und bildschön. Manche Leute aus dem Dorf meinten sogar, sie sei schöner als die Königin oder die Prinzessin selbst. Helena konnte auch gut nähen, stricken und sticken. Ihre Mutter war stolz auf sie und Helena war auch die Einzige, die Geld für ihre Familie verdiente, indem sie ihre Decken und Kissen auf dem Markt verkaufte, da ihr Vater nicht mehr auf dem Feld arbeiten konnte. Er war gelähmt und musste rund um die Uhr von Helenas Mutter gepflegt werden.
Helena liebte ihre Familie trotz allem und tat ihre Arbeit gerne. Sie mochte es, am Vormittag auf dem Markt zu stehen um den Leuten ihre wunderschönen Arbeiten zu zeigen.
Alle mochten Helena. Auch einige Bauersburschen hatten Helena schon oft gefragt, ob sie sie denn heiraten möchte. Doch Helena hatte immer wieder abgelehnt. Sie wollte ihre Freiheit noch nutzen, bevor sie an einen Mann gebunden war. Außerdem glaubte sie an die Liebe und wollte niemanden heiraten, den sie nicht liebte.
Eines schönen Sommertages musste Helena in den Wald gehen, da ihre Mutter bestimmte Kräuter brauchte, um ihrem Vater einen Heiltee zu kochen. Helena tat dies gerne und machte sich sogleich mit einem Korb auf den Weg. Singend lief sie hinüber in den großen Wald. Dort suchte sie den Waldboden nach den Kräutern ab. Ein hellgrünes Licht fiel durch die Blätterpracht der Bäume und schuf eine angenehme Atmosphäre.
Plötzlich raschelte etwas hinter ihr. Helena drehte sich um und erblickte einen Hirsch. Mit großen schwarzen Augen sah er sie an.
Helena näherte sich ihm behutsam, da sprach das Tier: "Du musst Helena sein."
"Ja", antwortete Helena und blieb stehen. "Warum kennst du meinen Namen?"
"Ich habe dich schon öfters beobachtet und deiner Stimme gelauscht. Sie ist wunderschön."
Helena lächelte und fragte den Hirsch: "Was willst du von mir, lieber Hirsch?"
"Ich wollte dich fragen, ob du auf mir eine Runde durch den Wald reiten möchtest."
Helena willigte ein und stieg auf das prächtige Tier. Der Hirsch lief los. Wind fuhr durch Helenas langes Haar und eie Welle puren Glücks machte sich in ihr breit. Was für ein wunderbares Gefühl, dachte sie und genoss den Ritt.
Als es dunkel wurde kamen der Hirsch und Helena bei ihrem Korb an. Das Tier hatte Helena eine Stelle gezeigt, wo die meisten der gesuchten Kräuter wuchsen und Helena hatte nun genug für sieben Wochen.
"Danke, lieber Hirsch", bedankte sich das Mädchen und der Hirsch nickte. Dann drehte sich um und lief in den Wald zurück. Helena sah ihm nach, bis sie sein prachtvolles Geweih nicht mehr sehen konnte.
Dann machte sie sich auf den Heimweg.
Zuhause angekommen erwartete sie schon ihre sorgvolle Mutter. Helena erzählte ihr von ihrem Erlebnis, doch ihre Mutter meinte, sie sei wohl auf dem weichen Waldboden eingeschlafen und hätte nur geträumt. Traurig übergab das Mädchen ihrer Mutter den Tee und ging in ihr Zimmer. Der Mond schien durch das kleine Fenster und Helena legte sich auf ihr Bett. Kurz bevor sie einschlief, biltete sie sich noch ein, einen Hirsch röhren zu hören ...
Am nächsten Morgen wachte Helena früh auf. Heute war ein besonderer Tag. Ihr Geburtstag. SIe war aufgeregt und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Der Gedanke an Geschenke und Kuchen hatte das gestrige Erlebnis vollkommen aus ihrem Kopf verdrängt.
Da kam auch schon ihre Mutter zur Tür hinein und hielt einen duftenden Kuchen in den Händen.
"Alles Gute, Helena!", gratulierte sie ihrer Tochter und brachte das Geschenk. Helena konnte ihren Mund nicht mehr schließen. Ihre Mutter hatte ihr ein wunderschönes Kleid genäht. Stoff, der aussah wie Seide, verziert mit Perlen und bestickt mit goldenem Garn.
"Danke, Mutter!", rief Helena fröhlich und probierte das wunderschöne Kleid sogleich an. "Es passt wie angegossen!"
Auch die Mutter war froh und so genoss Helena noch einen schönen Geburtstag.
Am Abend saß Helena am Fenster und starrte in den Sternenhimmel. Ihr sechzehnter Geburtstag. Manche Mädchen aus dem Dorf sind an diesem Tag einem Mann versprochen worden. Helena war froh, dass ihre Eltern ihr diese Freihet ließen. Sie hatten sich immerhin auch kennen und lieben gelernt.
"Hach", seufzte Helena, "wie sehr ich mir doch jemanden wünsche, der mich versteht und ehlich zu mir ist und mich nicht wegen meiner Schönheit will ..."
Da hörte sie ihn.
Den Hirsch.
Sofort erinnerte sich das Mädchen an die Geschehnisse vom gestrigen Abend. Und sofort hatte sie den Drang, das Tier wieder sehen zu müssen. Sie wollte mit ihren Händen durch das weiche Fell fahren und auf seinem Rücken wieder durch den Wald reiten.
Also stieg sie aus dem Fenster, nahm eine Decke mit, die sie sich überwarf, und rannte los.
Im Wald angekommen sah sie ihn. Der Hirsch stand an einem Bach und trank. Leise kam sie näher.
"Hallo Helena."
Das Mädchen erschrak zuerst, dann lächelte sie und begrüßte das Tier.
"Hallo lieber Hirsch."
Der Hirsch bat sie wieder, sich auf ihren Rücken zu setzen, und schon lief er los.
Er zeigte Helena wieder viele schöne Stellen, wunderschöne Lichtungen, duftende Waldblumenwiesen und warme, trockene Höhlen.
Helena genoss seine Nähe und fing an, das Tier tief in ihr Herz zu schließen. Mit der Zeit erzählte sie ihm ihre dunkelsten Geheimnisse, ihre größten Wünsche und von der Sache mit der Liebe.
"Ich glaube auch an die Liebe", meinte der Hirsch eines Tages. "Ich will an niemanden für immer gebunden sein, den ich nicht liebe und beschützen will."
Helena gefiel die Denkweise des Hirsches.
"Meine Eltern haben mich niemandem versprochen, doch ich glaube, sie wollen, dass ich bald heirate ..."
Der Hirsch schwieg.
Dann sagte er: "Helena. Würdest du mir glauben, wenn ich dir erzählen würde, dass ich kein Tier bin?"
Helena sah in die runden, schwarzen Augen.
"Du ... bist kein Tier?"
"Nein, eigentlich bin ich ein Mensch. Ein Prinz, um genau zu sein. Früher lebte ich mit meinem Vater, dem König, hinter diesem Wald in einem Königreich. Ich war machthungrig und geldgierig gewesen. Ich heiratete reiche Königstöcher, um sie später ermorden zulassen und ihr Reich und ihr Geld zu bekommen."
"Das ist ja grausam!"
"Ich weiß. Eines Tages traf ich auf eine Hexe. Sie war als bildhübsches, reiches Mädchen getarnt gewesen. Ich heiratete sie, doch sie verfluchte mich und sagte, wenn ich keine Frau finden würde, die mich liebt so wie ich bin und ich sie liebe, wie sie ist, ohne Rücksicht auf Geld oder Macht zu nehmen, dann würde ich wieder ein normales Leben führen können."
Der Hirsch endete seine Geschichte.
Helena war nachdenklich geworden. Sie glaubte nicht, dass der Hirsch noch so ein schlechter Mensch war. Sie glaubte fest daran, dass er nun wirklich ein reines Herz hatte.
"Lieber Hirsch..."
"Bitte, sag Stephan zu mir ..."
"Gut, Stephan. Ich glaube an dich. Das, von dem du mir die letzte Zeit erzählt hast, das allein sagt schon aus, dass du ein guter Mensch bist!"
"Glaubst du das wirklich?"
"Du hast dich verändert, Stephan. Und ... ich mag dich, so wie du jetzt bist!", gestand Helena und sah den Hirsch an.
"Helena, ich muss dir auch etwas gestehen. Ich habe ... mich in dich verliebt."
Plötzlich erhellte ein glänzendes Licht den nächtlichen Wald. Helena kniff die Augen zusammen. Da berührte etwas ihre Hand und sie konnte eine Stimme hören:
"Stephan, du, der immer nach Macht und Reichtum gestrebt hast, der Menschen tötete, um diese zu erlangen, du hast es eingesehen und die Liebe in deinem Herzen gefunden. Du seist erlöst!"
Helena öffnete die Augen. Vor ihr saß ein wunderschöner Mann in prächtigen Kleidern, der ihre Hand hielt.
"Helena, willst du meine Frau werden?"
Helenas Herz pochte und sie lächelte glücklich.
"Ja, ich will."
Und so heirateten der Prinz und Helena noch am folgenden Tag. Der Prinz Stephan spendete viel Geld an arme Bauern und Witwen. Helena wurde die schöne Prinzessin von Stephans Königreich und beide regierten gerecht und nicht herrschsüchtig, wie Stephan früher.
Sie liebten sich, wie nich niemand anderer liebte, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Texte: Cover by Lisa M. F.
Tag der Veröffentlichung: 08.07.2009
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