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"Was ist?"
Erschrocken blinzelte ich und sah ihn wieder vor mir.
"Was starrst du mich so an?", fragte Jim und fuhr mit seiner Hand vor meinen Augen hin und her.
"N-nichts...", stotterte ich und meine Wangen färbten sich leicht rot.
"Man Angie, wir sitzen jetzt schon ne halbe Stunde hier drinnen und du schweigst wie ein Grab...", meinte er und hob seinen Kaffe um zu trinken.
"Ja, ja, 'tschuldigung...", murmelte ich und fingerte an der Serviette herum, die vor mir auf dem schön gedeckten Tisch lag.
Ja, wir saßen jetzt schon eine halbe Stunde in unserem Lieblingscafé und mein Tee war bestimmt schon kalt. Ich umschloss die Tasse mit meinen Händen, in der Hoffnung, ihn wärmen zu können...
"Wollen wir nachher noch ins Kino?", fragte Jim auf einmal und blickte mich fragend an.
Unvorbereitet wie ich war brachte ich nur ein "Äh..." heraus.
Jim stöhnte. Dann legte er die Ellenbogen auf den Tisch und sah mir prüfend in die Augen.
"Was ist los Angie? Seit einem halben Monat benimmst du dich so eigenartig und ich fange langsam an, mir Sorgen zu machen..."
Ich blickte zur Seite, während sich mein Gesicht noch röter färbte.
Nein, dachte ich, ich kanns ihm nicht sagen...
"Was ist jetzt, gehen wir ins Kino? Da läuft gerade dieser Hitler-Film, den würde ich mir gern anschauen..."
"Gut, wenn du meinst...", sagte ich und lächelte schwach. Ich konnte ja schon gar nicht mehr richtig mit ihm reden! Ohne rot zu werden oder einen Lachkrampf zu bekommen...(den bekomme ich bei Jungs immer, die ich mag, da lache ich so ziemlich über alles, was die sagen...)
"Jetzt gleich?"
"Was?"
"Ob - wir - jetzt - gleich - ins - Kino - gehn?"
"Oh, klar doch!"
Jim schüttelte belustigt den Kopf und stand auf. "Die Rechnung bitte!"
"Es kommt gleich jemand!"
Jim setzte sich wieder vor mich und sah mich wieder an. Ängstlich starrte ich zurück.
"Willst du ganz sicher ins Kino? Ich will dich nämlich nicht zwingen...", meinte er doch ich schüttelte hecktisch den Kopf und sagte schnell: "Nein, nein, ich war eh schon so lange nicht mehr im Kino..."
"Gut, gehen wir. Ach ja, wann kommt denn endlich die Rechnung?!", fief er etwas lauter in Richtung Tresen.
"Gleich, gleich!"
Eine junge Frau kam zu unserem Tisch und legte den Zettel neben Jims Tasse. "Ihre Rechnung, das wären dann fünfundzwanzig sechzig bitte."
"Was, so viel? Aber hallo, wie wärs mit zwanzig?", fragte Jim und sah das Mädchen verständnislos an. Aha, seine berühmte "Aber hallo, wie wärs mit soundsoviel?"-Nummer. Bei senem Blick wurde wirklich jeder weich...
"Na gut, zwanzig bitte. Dafür, dass sie ein so guter Kunde sind...", meinte die Frau und nahm seufzend den Zwanziger entgegen.
"Gut so, dafür komme ich nächste Woche gleich dreimal...", meinte er und klopfte der jungen Frau auf die Schulter.
"Komm Jim, wir gehen...", meinte ich kopfschüttelnd und zog ihn aus dem Café.

"Das war cool, und diese Tussi hat's mir abgenommen!", gluckste Jim und zündete sich eine Zigarette an.
"Man Jim, du weißt, dass ich das nicht mag..."
"Ja, ja, und du findest, dass ich noch zu jung für's Rauchen bin ... ich weiß...", seufzte er und bließ mir den stinkenden Rauch ins Gesicht. Ich musste husten und Jim lachte. Sein wunderschönes Lachen...
"Ey, hör sofort auf damit!", rief ich und versuchte beleidigt zu klingen, was mir aber sichtlich misslang. "Eigentlich habe ich ja auch das mit dem Geldabzapfen gemeint, aber wenn du so nebenbei zum Rauchen aufhören würdest, wäre das nicht schlecht..."
"Angie, du lebst viel zu langweilig. Zum Beispiel warst du noch nie auf einer Party! Ich war schon auf zig Parties!"
Ich schüttelte den Kopf. "Ich bin eben kein 'Fortgehmensch'", seufzte ich. Wir bogen die Straße zum Kino ein.
"Ja, ja, das sagst du immer ... du bist einfach viel zu schüchtern! Du musst dir mehr Selbstvertrauen verschaffen!"
"Man Jim...", seufzte ich abermals. Du verstehst es einfach nicht ...
Jim schüttelte den Kopf. Nein, er verstand es wirklich nicht.

Wir hatten das Kino erreicht und standen vorm Tresen.
"Welcher Film?", fragte der Beamte und starrte in den Computerbildschirm.
"Der, wo Tom Cruise mitspielt, den Hitlerfilm...", versuchte Jim zu erklären, da klingelte das Telefon und der Beamte hob ab. Genervt trommelte Jim mit den Fingern auf das schokofarbene Holz.
"...Vorbestellung kostet fünf Euro mit der Vorteilscard ... Ja? ... Gut, zwei Karten also? ... Gut, noch einen schönen Abend! Auf Wiedersehen!" Der Beamte legte auf. "Hier, ihre Karten, einen schönen Abend noch..."
Jim entriss ihm die Karten und knallte ihm das Geld auf den Plastiguntersatz mit der Colawerbung.
"Ich hasse es, dass die Leute, die Anrufen immer Vorrang haben...!", knurrte er, während wir uns am Popcornschalter anstellten.
"Kann man auch nichts machen...", meinte ich doch Jim seufzte. "Die Leute sollen sich einfach die Mühe machen und selbst hier her kommen!"
Ich kicherte. Jim sah mich vorwurfsvoll an, doch ich konnte den Schimmer Humor in seinen Augen sehen.

Mit einer Portion Nachos mit Salsa-sauce und zwei großen Colas bewaffnet stürmten wir den Kinosaal und belegten unseren Lieblingsplatz. Kichernd unterhielten wir uns über die Schule, bis der Vorspann vorbei war und der Film begann.


Ich lag in meinem Bett und dachte über den Abend nach. Peinlich ... mehr viel mir dazu nicht ein.
Anfangs im Kino war es ja noch lustig gewesen. Da hatte sich Jim die Popcorn in den Mund geschossen und ich hatte gelacht. Dann hatte er über Tom Cruise gelästert und einmal hatte der Film mich so geschreckt, dass ich kurz aufschrie. Das hatte Jim auch amüsiert. Aber dann hatte ich mein Cola über seine Jean ergossen und bin später ins Klo geflüchtet, da ich Durchfall bekommen hatte...
"Verdammt...", murmelte ich und setzte mich auf, um mein Handy vom Nachttisch zu nehmen. Ich wählte "Nachrichten" und begann, eine SMS zu schreiben: Hi ... weiß nicht, ob du noch munter bist, wollte nur sagen, dass es mir um den schönen Abend leid tut...
Ich drückte "Senden", und weg war sie. Seufzend ließ ich mich in die Kissen zurückfallen.
Typisch Angie, dachte ich. Mir muss immer alles passieren!
Plötzlich vibrierte mein Handy und ich las Jims Nachricht: Passt schon, meine Jean ist trocken und ich hoffe, dein Durfall ist besänftigt. Fand ihn lustig, müssen wir wieder machen!
Ich schüttelte den Kopf. Das war Jim. Der nahm einem fast nie was übel, beschwehrte sich aber zu gern über andere Leute hinter ihrem Rücken.
Ich schrieb: Gehn wir morgen spatzieren?
Nach einer Weile las ich: Klar
Lächelnd ließ ich mich ins Bett fallen, und ließ den Schlaf Besitz von mir ergreifen...

"Juchuuu, noch immer Ferien!", rief ich und sprang aus meinem Bett. Jetzt werde ich Jim holen, dachte ich und raste ins Bad. Dort kämmte ich mich, putzte meine Zähne und zog mich an.
"Bist du schon munter, Mäuschen?", rief meine Mutter von unten hinauf. Ich hasste es, wenn sie mich "Mäuschen" nennt! Ich sprintete die Treppe hinunter und stolperte über meine Schuhe. Ich konnte mich gerade noch aufstellen, um mich an der Türklinke festzuhalten.
"Ich hole Jim, wir gehen spatzieren!", rief ich und zog mir schlampig meine Jacke über. Hüpfend schlüpfte ich in meine Schuhe und lief aus dem Haus, ohne auf die Antwort meiner Mutter zu warten.

Bei Jim angekommen drückte ich auf den Klingelknopf. Ich hörte, wie drinnen das schrille Geräusch ertöhnte. Ungeduldig wippte ich mit den Füßen auf und ab. Nichts...
Ich sah hoch zu Jims Fenster. Die Vorhänge waren noch zugezogen. Er schlief also noch...
Schnell griff ich mir ein paar Steinchen vom Straßenrand und warf sie hoch. Klimpernd prallten sie an der Scheibe ab und fielen wieder herunter.
"Jim", rief ich. Keine Antwort. Also ergriff ich einen größeren Stein. "Tack" machte es, als er auf dem Fenster aufkam und wieder hinuntersauste.
"Man Jim, steh auf!", rief ich, lauter als zuvor.
Schließlich griff ich mir das Händy und wählte die Kurzwahl 1.
Jim hatte bei meinem Händy doch tatsächlich die Kurzwahl 1!
Es läutete. Einmal ... zweimal ... dreimal ... viermal...
Geh ran!, dachte ich.
Dann klickte es und ich hörte eine verschlafene Stimme: "Hao...?"
"Hi Jim!"
"Mah, Anschie ... was rufste mich so früh an...?", nuschelte er.
"Ich steh vor deinem Fenster..."
"Wa?"
"Schau Mal aus dem Fenster!"
Ich hörte wie Jim aufstand und zum Fenster ging. Schließlich sah ich ihn, wie er das Fenster öffnete und ich rief: "Hallo!"
"Was machstn du da?", rief er herunter und hielt sich noch immer das Telefon ans Ohr. Ich legte auf und meinte: "Spatzieren!"
Jim lachte und sagte: "Du bist mir eine..."

Eine halbe Stunde später waren wir nun tatsächlich auf dem Spazierweg durch den Park. Nebeneinander schlenderten wir an Apfelbäumen und Wiesen vorbei.
"Seit wann bist du munter?", fragte Jim schließlich und ich musste kichern. (Es hörte sich in meinen Ohren ziemlich hysterisch an...)
"Gleich nach dem Aufstehen bin ich zu dir...", meinte ich und grinste ihn an.
"Oh, ich fühle mich geehrt ... bist du dann während der Schulzeit auch mein persöhnlicher Angie-Wecker?"
Ich lachte. Jim grinste und legte einen Arm um meine Schulter. Ich wurde augenblicklich rot.
Diese Aktion erinnerte mich wieder an meine wahren Gefühle.
"Du Jim..."
"Yo?"
"Was wäre, wenn..."
Er sah mich an. Oh Gott, seine wunderschönen Augen ... Nein Angie!, dachte ich, ernst bleiben!
"Was wäre, wenn was?"
Ich lächelte schon wieder über sein Kommentar.
"Ich wollte dir schon immer Mal sagen, dass..."
"Ja...?", fragte er erwartungsvoll und zog einen Mundwinkel amüsiert hoch.
"...dass..."
"Was denn?"
Plötzlich verzog ich mein Gesicht, da sich mein Magen auf einmal unangenehmst zusammenzog.
"Boah, is mir schlecht!", würgte ich und konnte mich gerade noch auf die Seite lehnen, um mich dann ins nasse Gras zu übergeben...

"Angie, du bist mir eine..." Jim tätschelte mir meine Hand. Er hatte mich den restlichen Weg nach Hause getragen. Nun lag ich in meinem Bett und trank heißen Tee.
"Zuerst hast du Durchfall und kommst trotzdem zu mir, in aller Früh! Und jetzt übergibst du dich...", lächelte er und ich lächelte auch.
"Na ja, ich bin halt ziemlich unvernünftig...", flüsterte ich, da meine Stimme schlussendlich auch nachgegeben hatte. Jim lächelte traurig. Es war schön anzusehen, wie er sich Sorgen um mich machte.
"Was wolltest du mir eigentlich zuerst sagen?", fragte Jim auf einmal. Oh nein, oh nein, nein, nein, nein...
"Jim, ich..." Ich atmete tief ein. "Wir kennen uns doch schon so lange..."
"Klar, schon als Embryos haben wir telepathisch miteinander kommuniziert!"
"Nein, Jim, jetzt sei doch mal ernst..."
Jim seufzte. "Was ist es denn so Wichtiges? Wenn du Aids hast, mir ist das egal, ich kann auch mit halbtoten Menschen leben..."
"Jim, das ist nicht lustig!"
"Ja, ja, sorry..."
Ich seufzte. "Was würdest du sagen, wenn deine beste Freundin dir auf einmal eine Liebeserklärung machen würde?"
Stille.
Jim sah mich an. Ich konnte in seinem Blick keinerlei Emotionen lesen.
Es kam mir vor, wie eine halbe Ewigkeit...

"Ich würde zusagen ... ja, Angie, ich glaube ich würde mit ihr zusammen sein wollen!"

"Ist das ein ja?"
"Ein deutliches ja..."

Und er hat mich geküsst.


.. o~o*~*o~o ..


Liebes Tagebuch.

Ein Jahr ist es nun her, dass Angela an Cholera gestorben ist. Ein Jubiläum sozusagen. Aber kein schönes Jubiläum. Heute habe ich mir vorgenommen, mir die Drogen zu spritzen, die ich gespart habe.
Heroin, 5 Gramm...

Ich hoffe es reicht, um zu ihr zu kommen, für immer.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

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