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Das Etwas


Etwas war anders als sonst.
In einer lauen Vollmondnacht beschloss der junge Nereus, am Kanal fischen zu gehen.
Der Mond spiegelte sich im glatten, grün-schwarzem Wasser.
Es war, als zeigte sich ein zweiter Himmel im Kanal.
Die Sterne funkelten hell und es roch nach nassem Gras.
Nereus ging den Kanalweg entlang und setzte sich auf eine Bank nahe am Ufer.
Er lauschte dem Zirpen der Grillen.
„Einsamkeit ist kein schönes Gefühl“ dachte er und warf die Angel aus.
Nachdem sich das Wasser wieder geglättet hatte, tauchte plötzlich ein Oval auf.
Nereus sah verwundert zu, was sich in der Mitte des Mondabbilddes zeigte.
Was auch immer es sein mochte, es stieg langsam immer höher aus dem Wasser.
Nereus wurde kribbelig und er beugte sich vor, um mehr zu sehen.
Als er dann den Ansatz einer Stirn erkannte, wurden seine Augen groß und er atmete schneller.
Jetzt waren Augenbrauen zu sehen, dann geschlossene Augen mit langen Wimpern, eine gerade Nase und ein voller Mund.
Die feuerrot-gelockten Haare sahen wild aus und waren durchzogen von schimmernden Perlmuttstücken.
Die Fremde öffnete ihre weiß strahlenden Augen, blickte in den Himmel und rekelte sich.
Nackt stand sie bis zum Bauchnabel im Wasser, und der Mond leuchtete auf ihrer feuchten Haut.
Nereus stammelte “Das gibt´s doch nicht.“
Er wünschte sich, unsichtbar zu sein, um unbemerkt diese sonderbare Gestalt beobachten zu können.
Dann entdeckte sie ihn.
Sie schnellte bis zum Hals ins Wasser.
Fragend schaute sie ihn an und schwamm nach ein paar Sekunden des Betrachtens auf ihn zu.
Nereus zögerte, schritt dann aber wie hypnotisiert auf sie zu.
Die Nixe schmunzelte und fragte ihn, wie er heiße.
„Nereus“ stotterte er. „Wie heißt du?“
Die Nixe rückte ein Stück näher an ihn heran und flüsterte: „ Lillith.“
Von da an wartete Nereus täglich sehnsuchtsvoll auf ein erneutes Auftauchen Lilliths.
Am dritten Tag erschien sie wieder.
Sie kam lächelnd an das Ufer.
Ihre Münder näherten sich langsam.
Lilliths blütenweiße Haut färbte sich rosa.
Nereus Lippen berührten leicht Lillith`s halb geöffneten Mund.
Er küsste sie.
Tausend Glücksgefühle wurden in ihm wach, seine Hand glitt erst zu ihren Arm, dann hinauf zur Schulter und in die nassen Seidenhaare.
Er küsste sie, und Lilith zog ihren schuppigen Unterleib aus dem Kanal, um Nereus damit zu umschlingen.
Die Schuppen glänzten in allen Regenbogenfarben.
Pulsierend fingen die Schuppen an, sich nach und nach aufzulösen.
Elfenbeinweiße Beine zeigten sich und legten sich eng um Nereus Hüften.
Er beugte sich nach hinten und zog Lillth mit ins kühle Gras.
Sie liebten sich.
Als dann der Nachthimmel sich orange-rot färbte und der Mond verschwand, stöhnte die Nixe traurig auf.
Sie sagte Nereus, sie müsse gehen.
Er ergriff ihre Hand und band ihr ein Grashalm um den Finger.
Nereus sagte: „Ich will nicht, dass du gehst.
Bleibe doch bei mir.“
Sie erwiderte: „Es geht nicht.
Sei morgen zur gleichen Zeit wieder hier.“
Er küsste sie noch einmal.
Dann verschwand sie im Wasser.
Erst leuchtete ihr Körper noch, wurde immer dunkler und schien sich dann in der Tiefe aufzulösen.


Die Mutter


Lillith tauchte ins dunkle Wasser.
Die Sonne ging auf, und die Strahlen ließen die Schwärze grün werden.
Verschwommen zeigte sich ein Korallenriff, mit bunt-glänzenden Wänden.
Lillith verschwand in einem Loch im Riff.
Der Tunnel wurde von winzigen Strahlen erhellt, die durch die Poren der Korallenwand drangen.
Sie kam in einen großen Saal, gesäumt von weichen Unterwasserpflanzen.
Marea, Lilliths Mutter: „Lillith, mein Herz!
Ich habe alle Wassergärten nach dir abgesucht, auch die Nachbarn suchten mit.
Wir verbrachten so den halben Tag!“
Lillith: „Ist ja gut Mama!
Jetzt bin ich ja hier.“
Marea: „Jetzt bin ich ja hier?
Kannst du nicht einmal Bescheid geben, wenn du weggehst?!
Du bist doch das Einzige, was ich noch habe.
Wo warst du denn bloß?“
Lillith: „Ich habe einen hübschen Mann getroffen“
Marea: „Oh, du hast Bau getroffen?!“
Lillith: „Ähm, nei...“
Marea: „Ich wusste doch, dass ihr zwei noch zueinander findet!
Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, dachte ich: Der und meine süße Lill, das Traumpaar schlechthin!
Ein Meermann, so klug und gebildet.
Aus so gutem Hause!“
Lillith: “Er ist hässlich, Mutter!“
Marea: „Na gut, wenn das so ist, bewundere ich dich, dass du vernünftig bist und dich nicht von Äußerlichkeiten lenken lässt“
Lillith: „Nein Mutter, es war nicht Bau, mit den ich mich traf.“
Marea: „ Schön, dann war es Oceanos.“
Lillith: „Mutter!
Jetzt höre doch endlich mal zu!“
Marea: „Ist ja gut, ist ja gut, bin ganz Ohr.“
Lillith: „Schön.
Nun, dieser hübsche Mann, er ist anders, als alle, die ich davor kannte.
Marea: „So sprach ich auch, als ich deinen Vater kennen lernte.
Lillith: „Mutter, jetzt schweig doch endlich und lass mich berichten.
Marea: „Gut!“
Lillith: „Also, dieser wunderbare Mann, er ist so anders, das man sich als Außenstehender erst an ihn gewöhnen muss.
Marea: „Was soll denn das heißen?
Hat er eine Flosse zu wenig oder ist er behindert?“
Lillith: „Nein, was denkst du dir denn bloß?“
Marea: „Ja, was soll ich sonst denken, wenn du mich hier so im Unklarem lässt?!“
Lillith: „Er ist ein Mensch.“
Marea: „Was?!
Ein Mensch!
Lillith, ein Mensch mit dem kannst du nichts anfangen!
Das sind Sterbliche!
Willst du so enden wie Uhrgroßmutter und schon mit 240 Jahren sterben?!
Ich glaube nicht!“
Lillith: „Ich liebe ihn!“
Marea: „Wenn du unbedingt jemanden lieben willst, dann nehme Bau.
Wenn der dir zu hässlich ist, nehme von mir aus auch Oceanos.
Aber ein Mensch kommt nicht infrage!
Ich will nicht mein Kind verlieren.“
Lillith: „Wieso denn verlieren?
Ich kann die Nacht doch bei ihm sein und Tagsüber hier bleiben!“
Marea: „Menschen machen uns verletzlich.
Jede Berührung macht dich anfällig und öffnet deine Schuppen.
Wenn ich an deinen lieben Papa denke, Gott habe ihn selig.
Der ließ sich täglich von neugierigen Leuten betasten, verrückt waren die nach seinen Schuppen.
Und was ist passiert?!
Seine Haut wurde immer durchlässiger.
Zum Schluss ist er von ekligen, schwarzen Menschenzeug vergiftet worden.
Behalt dir bloß deine Schuppen zusammen!
Lillith: „Behalt du dir doch deine Schuppen zusammen!“
Marea: „Wie sprichst du eigentlich mit mir?!
Triff dich nie wieder mit ihm!
Du wirst auf das Werben von Bau eingehen und ihn morgen zum Manne nehmen.“
Lillith: „Lieber sterbe ich, als einen Mann zu nehmen, den ich nicht liebe!“
Marea: „Rede kein dummes Zeug.
Du kannst nicht sterben.“
Lillith: „Dann lass ich die Menschen eben an mich heran, um mir die Haut vom Hai zerfetzen zu lassen!“
Marea: „Sei ruhig!
Du nimmst Bau, oder Oceanos!
Komme mir bloß nicht noch mal mit den Menschen!
Jetzt schwimm auf dein Zimmer“
Lillith: „ Bitte Mama.
Stoß dein Kind doch nicht so von dir weg.
Es ist doch nur eine Schwanzflosse, die uns unterscheidet!
Bitte Mama, bitte.“
Marea: „Sprich nicht mit mir.“
Marea schwimmt weg.
Lillith: „Ohne Liebe will ich nicht leben.“

Die Entscheidung


Marea erzählte Bau, dass Lillith den Verbindungswünschen nun zustimme.
Während sie die Vorbereitungen für das Fest trafen, schlich sich Lillith davon.
Sie entkam unentdeckt.
Immer höher aus dem Wasser tauchend erkannte sie den Mond als hellen, großen Punkt, dem viele kleine Punkte verschwommen folgten.
Ölgeruch stieg ihr in die Nase.
Lillith hörte Lärm und Schreie aus der Ölfabrik nahe des Kanals.
Ein gelbliches Leuchten huschte über die Ufer und Lagerhallen.
Aus dem Wasser schreitete sie auf ihren Geliebten zu.
Traurig sah Lillith Nereus an und fiel ihm in die Arme.

Lillith: „Ich bleibe bei dir!
Versprich mir, immer mit mir zusammen zu bleiben.
Denn sobald eine Nixe länger als einen Tag vom Wasser abgewandt verbringt, wird sie sterblich.“
Nereus: „Das Versprechen hast du schon.
Warum weinst du?
Lillith: „Ich erzählte meiner Mutter von dir.“
Nereus: „Und sie fand es schlimm?“
Lillith: „Sie will mich morgen mit einen Meermann verbinden.“
Nereus: „Heiraten sollst du?! Willst du fliehen und mit mir leben?“
Lillith: „Wenn du es auch willst?“
Nereus: „Das wäre ein Traum“
Lillith: „Also ja?“
Nereus: “Ja!
Gebe mir nur die Nacht noch Zeit alles vorzubereiten.
Bei Tagesanbruch nehmen wir mein Boot und fahren Richtung Süden.
Dort lassen wir uns auf einer kleinen Insel nieder.
Ernähren uns von Fisch und Kokosnuss.
Kein Mensch und keine Nixe die uns stören würde.“
Lillith: „Gut.
Ich werde mich solange im Wasser verstecken und an der Oberfläche auf dich warten.“
Nereus: „Ich beeile mich!
Was sind das nur für Lichter bei der Ölfabrik?“

Lillith sprang ins Wasser.
Sie wurde von etwas schleimig-klebrigen überzogen.
Die eklige Flüssigkeit drang tief in ihre Schuppen ein.
Sie wurde schwerer und konnte sich nur noch sehr langsam bewegen.
Sie strampelte kräftig und versuchte, die Flüssigkeit aus ihren Körper zu bekommen.
Die schwarze Schmiere drang in ihre Augen.
Lillith verlor die Orientierung.
Vom weiten erleuchtete etwas die Nacht.
Das Licht schien auf sie zu zu rennen und wurde immer heller.
Eine Hitzewelle erfasste sie.
Sie entflammte, sie schrie.
Die klebrige Masse, die sich in ihre Schuppen festgesetzt hatte, brannte unter Wasser weiter.

Nereus hatte vom weitem das große Leuchten am Kanal beobachtet.
Es war ein Feuer, das in der Ölfabrik wütete.
Der gesamte Kanal stand in Brand.
Die Flammen schienen turmhoch und zündeten einige der umher stehenden Bäume an.
Er hörte Lillth kreischen.
Nereus sprang ins Flammenmeer.
Er schwamm zu Lillith und versuchte sie an Land zu bringen.
Seine Haut loderte.
Er schrie und schwamm so schnell er konnte.
Nereus erfasste Lillith`s Leib und versuchte sich durch die Flammen zum Ufer zurück zu kämpfen.
Seine Haut verschmolz mit Lillith`s.
Am Ufer wälzte Nereus Lillith und sich selbst durchs Gras.
Grashalme und kleine Steine blieben in der verkohlten Haut stecken.
Aus dem Wasser befreit lösten sich die Schuppen der halbtoten Lillith auf.
Bei jeder von Nereus Bewegungen, rissen die verkohlten Stellen.
Aus dem verbrannten Nixenkörper befreite sich die hübsche Frauengestalt.
Mit letzter Kraft nahm Nereus sie in die Arme.
Lillth hielt ihn, bis er nicht mehr atmete.
Sie küsste seine Lippen und ging.

Impressum

Texte: Photo by Yannick Reimers
Tag der Veröffentlichung: 29.11.2011

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