Unsterblichkeit
Es war ein ruhiger Abend auf Schloss Kyrion. Die Kolkraben flogen über die
Dächer der hohen Türme, in denen die Königsfamilie und die Hofleute sich
langsam auf die Nacht vorbereiteten. Die Sonne würde bald hinter den Gipfeln
der weit entfernten Berge verschwinden, deren Konturen man gerade noch so am
Horizont wahrnehmen konnte. Der Himmel war rot vom letzten Tageslicht und auch
die Wolken gaben ein wunderschönes Farbenspiel wieder. Wenn man gerade hoch zum
Himmel schaute, konnte man die ersten Sterne erblicken und den Vollmond, der der
Nacht sein fahles Licht gab.
Im Thronsaal saß, allein, der König und blickte auf die lange Tafel, die sich
durch den Saal zog und an der in wenigen Stunden all seine Gäste wortwörtlich
königlich speisen sollten. Doch noch war sie leer und Halgar lenkte seinen
Blick auf die großen Gemälde seiner Ahnenreihe. König Flavius III., König
Hasgan I. und mehr und mehr Namen, an die sich im Volk wohl doch keiner mehr
erinnerte. Halgar war jetzt König. Er allein, doch er hatte sich fest
vorgenommen, seinen Namen unsterblich zu machen. Jeder Mann und jedes Kind
sollte sich in tausenden von Jahren immernoch an ihn erinnern. "An König Halgar
II.", flüsterte er, "Der König, der-", dann hielt er inne. Er wusste nicht,
aus welchem Grund man sich an ihn erinnern würde. "Wie kann ich unsterblich
werden, wenn ich noch nicht einmal weiß, womit ich das erreichen kann?", sagte
er lauter als beabsichtigt und erhob sich von seinem Thron. Er lief an der Reihe
seiner Vorväter vorbei und überlegte wiederenmal. Wie lange hatte er dieses
Spiel schon getrieben? Stundenlang war er durch seinen Saal gewandert, ohne zum
Schluss mehr zu haben, als hämmernde Leere in seinem Kopf.
Vor dem Bild seinen Urururururgroßvaters Walgenard XXVII. blieb er stehen. "Der
Siebenundzwanzigste...", brummte er leise in seinen Bart. Es gab in seiner
Familie siebenundzwanzig Könige namens Walgenard, dreiundvierzig namens
Flavius, einige Hasgans, Flaviuse, Berengards und zwei Halgards. Keiner von
denen hatte etwas wirklich Gedächtnisprägendes geschaffen. Der Erste hatte das
Schloss gebaut, andere hatten Kriege ausgefochten, der Nächste hatte versucht
sich die Liebe des Volkes zu erkaufen und so weiter und so fort. Doch an keinen
erinnerte man sich länger als bis zu seiner Beerdigung. Halgard seufzte und
drehte sich wieder zu seinem Thron um, als er an der Thronsaaltür ein Klopfen
vernahm. Einen kurzen Moment später öffnete sie sich einen Spalt breit und
eine der Wachen trat hinein.
"Verzeiht, eure Majestät. Euer Sohn, Prinz Lyef wünscht euch zu sprechen."
"Schick ihn herein.", entgegnete Halgar und winkte den Wachsoldaten wieder
heraus. Die Tür schloss sich und flog kurz darauf wieder auf und ein schlanker,
hochgewachsener Mann in Lederrüstung trat herein, seinen grünen Umhang
zurückwerfend. Sein langes braunes Haar war sorgfältig gekämmt und zu einem
Pferdeschwanz gebunden. Mit einem Lächeln auf den Lippen trat er zu König
Halgar heran und umarmte ihn kurz und kräftig.
"Ist schon alles für die Feier vorbereitet, Vater?", fing Lyef die Unterhaltung
an. Halgar war wirklich stolz auf seinen Sohn. Aus ihm war ein stattlicher
junger Mann geworden. Stets freundlich und voller Pläne. "Gewiss mein Sohn,
gewiss.", antwortete der König. "Mein Sohn, wieso wolltest du mich sprechen? Du
kündigst dich doch sonst nie an, nur, um nach einer Feier zu fragen. Setz dich
zu mir und erzähl deinem alten Herrn was dir auf dem Herzen liegt.", bot ihm
Halgar an und rückte einen Stuhl am Ende der Tafel für ihn zurecht. Lyef
setzte sich und stützte seine Ellenbogen auf dem Tisch ab. Als sich auch Halgar
gesetzt hatte, fing Lyef an zu sprechen. "Nun, Vater, ich bin nun fast 25 Jahre
alt und habe nie weiter geblickt, als ich es hier von Fala X´Nar konnte. Es
drängt mich danach, die Welt zu sehen, Geheimnisse zu ergründen, Drachen zu
bekämpfen und schöne Frauen zu retten und mit Schätzen und Reichtum hierher
zurück zu kehren!" Er machte eine Pause, um die Meinung seines Vaters zu
hören. "Und du meinst, durch so etwas wirst du berühmt werden, gar unsterblich
im Land?", fragte Halgar mit skeptischem Unterton. "Ich will nicht berühmt
werden und unsterblich wurde nie ein Mensch. Doch Abenteuer will ich erleben,
die große Liebe erfahren. All das kann ich nicht, so eingesperrt hier im
Schloss. Ich jage keine Drachen, sondern streunende Hunde und die einzigen
Frauen, die ich hier retten kann sind Mägde vor dem Hungertod. Das sind keine
Heldentaten, das sind Beschäftigungen eines Knechtes und der bin ich nicht,
Vater!"
"Ich verstehe dich, mein Sohn, doch die Welt ist gefährlich, fremd und
unergründlich.", fing Halgard an, doch Lyef fiel ihm ins Wort: "Nicht für
jemanden, der weiß, was er will!-" "Und du glaubst zu wissen, was du willst?",
entgegnete der König scharf. "Ja, das weiß ich! Ich werde der mächtigste Mann
der Welt, denn ich werde derjenige sein, der den Stein findet, der unendliche
Kraft enthält und mich unbesiegbar macht!"
"Alles nur Märchen, Lyef! Und mein eigener Sohn glaubt an solche
Bauerngeschichten!" Halgard erhob sich, das Gesicht rot vor Zorn.
"Ich werde es beweisen, Vater. Ich gehe fort und werde erst zurückkehren, wenn
ich gefunden habe, was ich suche. Lebe wohl, alter Mann!" Lyef stand auf, machte
auf dem Absatz kehrt und im Gehen rief er seinem Vater zu: "So wirst du niemals
unsterblich, Vater, indem du dein ganzes leben im Schloss verharrst und nicht
weißt, was deinem Lande fehlt und was ihm wichtig ist! Lerne du von deinen
Beratern, ich lerne vom Leben!" Mit diesen Worten schlug die Tür ins Schloss.
Halgard blieb allein am Tisch zurück.
Mit Kopfschmerzen.
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Fiala konnte es kaum glauben: Ihre Mutter hatte ihr endlich zugesagt, mit ihr
einen Ausflug in die ferne Ebene von Khrar zu unternehmen. Hier im Gara-Gebirge
war gerade der Winter eingezogen und Fiala freute sich, der Kälte und den
grauen Wolken zu entfliehen.
Sie beschleunigte ihren Schritt in Richtung Stall und sattelte ihr Pferd,
welches ebenso aufgeregt schien, wie sie selbst. Der kalte Wind peitschte ihr um
die Ohren und auch der schwarze Hengst schritt unruhig auf der Stelle um den
Frost aus seinen Gliedern zu vertreiben. "Ganz ruhig, Caelo. Bald wird es
wärmer.", beruhigte Fiala ihn. Caelo hielt still und blickte das junge
Menschenmädchen mit flehendem Blick an. Sie strich ihm durch sein Fell und
machte sich dann wieder daran, die Satteltaschen fest zu zurren.
"Fia, bist du fertig?", unterbrach sie ihre Mutter, die schon vorm Stalltor mit
ihrer weißen Stute wartete. "Ja, einen Moment noch.", entgegnete Fiala und
schwang sich gekonnt auf ihr Pferd, doch eh sie sich versah, stürmte Caelo zum
Tor hinaus und galoppierte in wilden Kreisen durch das teilweise vom Schnee
bedeckte Langhalmgras, welches Fiala unangenehm gegen die Schenkel schlug. Sie
machte sich also eifrigst daran, Caelo zu beruhigen, obwohl ihr das doch mehr
Schwierigkeiten einbrachte, als sie ursprünglich dachte. Wenigstens schaffte
sie es, ihren wildgewordenen Hengst aus dem Gras heraus zu lenken, doch ihr Hof
hinter ihnen wurde kleiner und kleiner. Ihre Mutter Fyede hatte schnell
geschalten, hatte schon etwas zu ihnen aufgeschlossen und winkte Fiala zu. Caelo
wurde zu Fialas Glück, wieder etwas langsamer, als ihm die Kälte in die
Nüstern kroch und Fiala hatte keine Probleme mehr, ihr Pferd zum Stehen zu
bringen. Sie zog sich ihr Tuch über die Nase und ihre Lederkappe tiefer ins
Gesicht, um für die weitere Reise möglichst nicht zu frieren. Sie blickte sich
in der Landschaft um. Caelo war weit gelaufen ohne ihr die Chance zu lassen,
ihren Heimathof noch einmal betrachten zu können, aber das störte sie wenig.
Zwar würde sie die hohen, schneebedeckten Berge vermissen, doch lang würden
sie ja nicht unterwegs sein. Spätestens wenn im Gara-Gebirge der Frühling
anfing, so hatte Fiala sich vorgenommen, würde sie wieder hier sein, die Felder
bestellen und ihrer Mutter behilflich sein, die Schafe wieder auf die Wiesen an
den steilen Berghängen zu treiben. Caelo würde sie dabei nicht sehr
tatkräftig unterstützen, sondern freudig neben den Schafen umhertollen. Fiala
mochte den Frühling, denn dann wurde es im Gebirge wieder richtig warm. Im
Allgemeinen mochte sie die Wärme. Alles wurde bunt und die Berge füllten sich
mit jeder Menge Getier, das aus seinem Winterschlaf erwachte. Ein munteres
Pfeifen schallte von den Steilhängen wider und der Adler zog am Himmel seine
Kreise. Im Sommer lag Fiala oft auf der Wiese und beobachtete die Natur um sich
herum und wenn sie nachts das Glück hatte, so konnte sie in der Ferne noch
leise das Heulen der Wölfe hören, die den Wald für eine kurze Zeit verließen
und im flacheren Teil des Gara-Gebirges nach Wühlkrapas suchten, etwa
fuchsgroße mausähnliche Wühlratten mit großen Vorderkrallen und einem langen
fellbesetzten Schwanz mit einem lustig aussehenden flauschigen Büschel an der
Spitze. Mit ihren großen Mäusezähnen knackten sie mühelos die großen
Kowanüsse, die eine so harte Schale besaßen, dass kaum ein anderes Tier in der
Lage war, sie zu öffnen. Wühlkrapas waren nur eine Art Bewohner, die im Gara
ihr zu Hause fanden. Es gab noch unzählige andere seltsame Tiere und ihr
Großvater hatte Fiala früher immer erzählt, dass es ganz oben auf den
allerhöchsten Bergen, auf denen noch niemals ein Mensch gewesen sei, noch Tiere
gab, die noch garnicht entdeckt wurden. Doch hatte Fiala dann gefragt, woher er
das wissen könne, so wechselte er immer das Thema und ließ "seine kleine
Neugier" in dem Glauben, es sei einfach so und man müsse das einfach wissen.
Fiala schmunzelte bei dem Gedanken an den alten Tatterkreis, wurde jedoch jäh
aus den Gedanken gerissen, als ihre Mutter endlich zu ihr aufschloss. Vor lauter
Gedanken an Sommer und an ihre Kindheit, hatte Fiala völlig die Kälte
vergessen, die ihr nun umso heftiger wieder in die Glieder zog. Caelo schnaubte
verärgert, als Fiala immernoch nicht das Zeichen zum Weiterreiten gab. Der
schwarze Hengst scharrte mit seinen großen Hufen in Schnee und warf seinen Kopf
signalisierend nach hinten. Wenn es darum ging, nicht in der Kälte stehen zu
müssen, war Caelo ein sehr unruhiger Begleiter, doch Fiala und er waren so gut
wie unzertrennlich. Sie vermochte es immer wieder, den wilden Kern in ihm mit
ihrer freundlichen Art zu bändigen. Im Grunde ließ Caelo niemand anderen auf
seinen Rücken. Das war auch der Grund, warum der Pferdehändler das junge Tier
damals an den Schlachter verkaufen wollte, doch Fiala, die damals noch ein
ziemlich kleines Mädchen war, war einfach auf ihren schwarzen Traum zugegangen
und Caelo hatte von Anfang an Vertrauen zu ihr aufgebaut. Nun war sie eine
willensstarke junge Frau, der ihr Pferd nicht von der Seite wich und die gerade
auf dem Weg in die große Ebene war, von der sie schon immer geträumt hatte.
Fiala gab ihrer Mutter ein Zeichen, nachdem sie vergeblich versucht hatte, ihr
zuzurufen, dass sie doch weiterreiten sollten, denn der Wind verschluckte jedes
Wort. Gemeinsam ritten sie wieder weiter und ließen Kälte, Haus und Hof im
Gara zurück. Je mehr sie nach Süden kamen, desto wärmer wurde es und desto
mehr ließ auch der harte, peitschende Wind nach und machte einem viel
angenehmeren leichten, milden Hauch Platz.
"Nurnoch über den nächsten Hügel, Fia!", rief ihre Mutter Fiala zu, die
sofort ihr Pferd dazu antrieb, schneller zu laufen. Als sie die Spitze des
Hügels erreicht hatte, zeigte sich dem jungen Mädchen ein überwältigender
Anblick. Wo sie auch hinblickte, überall wiegte sich das lange Gras sacht im
Wind. Fiala zog ihr Tuch nach unten und nahm ihre Lederkappe ab. Sofort spürte
sie, wie der Wind mit ihrem braunen Haar spielte. Sie strich sich eine Strähne
aus dem Gesicht und drehte sich zu ihrer Mutter um. "Wow!", brachte sie mit
aller Anstrengung heraus und ihre Mutter nickte. "Warum waren wir nicht eher
schon einmal hier?", fragte Fiala, sichtlich enttäuscht, dass sie ihr Leben
lang noch nichts von dieser Schönheit gesehen hatte. "Wir mussten uns doch um
deinen Großvater kümmern. Er war doch viel zu alt für lange Reisen.",
entgegnete Fyede, den Blick etwas zu Boden geneigt. Fiala wusste, dass ihre
Mutter den Alten Khyrr trotz seiner Vergesslichkeit immer sehr gemocht hatte.
Schließlich hatte er sich immer rührend um seine Enkelin gekümmert. Auch sie
hatte den Verlust des lieben Alten nur schwer verkraftet.
"Auf geht´s!", rief Fiala um ihre Mutter aus ihren Gedanken zu holen und
galoppierte mit Caelo den Hang hinunter, dicht gefolgt von ihrer Mutter. Beide
sahen sich an und lächelten sich zu. Jetzt sollten sie endlich einmal die
Freiheit genießen können, die ihnen im Gara durch ihre harte Arbeit immer
verwährt gewesen war.
Eine Weile ritten sie gerade hin auf einen kleinen idyllischen Feldweg. Nur ab
und zu kamen ihnen ein paar Menschen entgegen, die im Gegensatz zu ihnen auf
großen Raubkatzen ritten. Fiala bewunderte diese Tiere im Vorbeireiten immer
wieder. Sie waren größer als normale Katzen und ihr rotes Fell glänzte auf
wunderbare Weise, wenn die Sonne darauf fiel. Sie hatten sehr große
krallenbewährte Pfoten, mit denen sie mehr als doppelt so schnell vorankamen,
wie Fiala und ihre Mutter, denn der Boden hier in der Ebene war zum großen Teil
Morast und bot den Pferden kaum halt. Sie sanken zu sehr ein. Diese Katzen
hatten irgendeine spezielle Art zu laufen, sodass sie sich mühelos fortbewegen
konnten.
Als sie noch eine weitere lange Weile unterwegs waren, konnten sie vor sich
endlich die große Stadt Fala X´Nar erkennen. Der Weg wurde auch zunehmend
fester und so machte es Fiala, ihrer Mutter und den Pferden wieder mehr Spaß,
ihren Weg fort zu setzen. Sie wollten jedoch nicht gleich nach Fala reiten, denn
sie hatten ihre Unterkunft ein paar Meilen außerhalb bei einem älteren Ehepaar
auf einem Hof gefunden. Die beiden waren Bekannte ihres Großvaters gewesen, die
sie eingeladen hatten, zu ihnen zu kommen, um dem Alten eine Weile zu gedenken.
Und natürlich um zu feiern. Khyrr hatte Fiala früher immer erzählt, dass es
in Khrar nichts besseres gab, als eine lange ausgedehnte Feier. Es musste dafür
nicht einmal ein Anlass da sein.
Die beiden Reiterinnen trabten nun langsam den kleinen Weg zum Hof entlang an
dessen Ende die beiden Alten schon auf sie warteten. Wie Fiala vermutet hatte,
hatten sie vor ihrem Haus schon einen großen Tisch und zwei Bänke aufgestellt.
Der Tisch war bedeckt von lauter Speisen, die sie aber noch nicht genau erkennen
konnte. Das Haus war alt und einfach. Eben ein Bauernhaus, wie es sie auch im
Gara gab. Ganz aus Holz und mit bunten Blumenkästen an fast jedem Fenster.
"Fiala, Fyede, wie schön euch zu sehen!", rief die kleine alte Frau, als Fiala
und ihre Mutter von ihren Pferden stiegen. "Neka. Du und Barko seht wunderbar
aus. Khrar tut euch gut. Ihr habt ja richtig Farbe im Gesicht.", entgegnete
Fyede und umarmte die freudestrahlende Neka wie eine alte Freundin, die man seit
langem nicht gesehen hat. Das war sie ja auch. Fiala kannte Neka nicht mehr. Sie
und Barko waren aus dem Gara gezogen, noch bevor sie geboren wurde. Sie hatte
immer nur von ihnen gehört, wenn sich ihre Mutter und ihr Großvater über sie
unterhalten hatten. Fiala kannte im Grunde genommen sehr wenige Bekannte und
Verwandte. Solang sie denken konnte, hatte sie immer nur Khyrr, ihre Mutter und
ihren Vater gekannt. Dieser war jedoch als sie 4 Jahre alt war vom König in den
Krieg gerufen worden und war nie wieder zurückgekehrt. Ihre Mutter hatte ihr
gesagt, er sein gestorben, doch Fiala wollte sich damit nicht zufrieden geben.
Sie war sich sicher, dass ihr Vater irgendwo da draußen noch lebte, vielleicht
ein besseres Leben führte, als Fyede und sie.
"Das ist Fiala, meine Tochter.", riss ihre Mutter sie wiedereinmal aus ihren
Gedanken. Fiala lächelte und begrüßte Neka und Barko herzlich. Neka schloss
sie gleich fest in ihre Arme, sodass Fiala kaum noch atmen konnte und eine Weile
verzweifelt nach Luft rang. Sie zwang sich, weiter zu lächeln. "Freut mich,
euch kennen zu lernen, Neka. Und euch auch, Barko. Ich habe von meinem
Großvater viel über euch gehört. Ich-", begann sie, doch Neka unterbrach sie
sofort wieder. "Dann bestimmt auch, dass wir den besten Khagi in ganz Khrar
herstellen!" Sie zog Fiala am Arm in eine kleine Hütte hinter dem Haus, die
Fiala von vorn garnicht aufgefallen war. Sie wirkte von außen schäbig und
winzig, war jedoch überraschend groß, als sie und Neka hineingingen. Drinnen
standen jede Menge großer Fässer. Khyrr hatte diesen Fakt wirklich nie außer
Acht gelassen. Der Khagi hier sollte wirklich sehr gut schmecken. Khagi war ein
süßlich schmeckendes Getränk, fast wie Wein, enthielt jedoch aber eine ganze
Menge mehr Alkohol und war das beliebteste Getränk der ganzen Ebene. Sogar in
Gara kannte man den "Süßen Teufel", wie er auch genannt wurde.
"Wir stellen seit kurzem auch alkoholfreien Khagi her und Khagi mit Schuss, da
haut´s dir alle Ohren vom Brett.", prahlte Neka stolz und zeigte auf ein paar
Fässer ganz hinten. "Stell dir vor, sogar die Waldelfen wollen unseren Khagi,
von den Zwergen mal ganz abgesehen, den alten Saufnasen!", lachte Neka und
grunzte dabei. Fiala wusste, dass sie eine ziemlich seltsame Sprache an den Tag
legten, aber sie hätte nie gedacht, dass diese mit einem solchen Grunzen so
ulkig klingen konnte. Fiala konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Neka
verstand dies wohl, als gefalle ihr, was sie erzählte und so fuhr sie ungeniert
fort. "Dein Großvater", fing sie an, grunzte kurz vor Lachen, und fuhr
fort,"Dein Großvater konnte was vertragen, sag ich dir! Gesoffen hat er, bis
zum nächsten Morgen mit Barko. Den nächsten Tag hatt´ich dann keine ruhige
Minute! Im Bett lagen sie, alle beide!" Wieder grunzte sie. Fiala fragte sich
langsam, ob ihr Hals das überhaupt aushalten würde. Langsam verstand sie,
warum ihr Großvater immer so von den beiden geschwärmt hatte. Er war genau wie
sie, nur dass er nicht nach jedem Wort grunzte. Doch Fiala hatte inzwischen
genug über Khagi und ihren Großvater gehört, sodass sie Neka nicht mehr
zuhörte, sondern nurnoch stumm abnickte und einfach lächelte. Als Neka endlich
mal eine Pause eingelegt hatte und Fiala der Khagi-Geruch schon die Sicht
vernebelte, nahm sie die Gelegenheit beim Schopfe. "Ich sollte Caelo wohl
langsam mal in den Stall bringen.", versuchte sie so beiläufig wie möglich zu
erwähnen. "Richtig, richtig, Kindchen. Der Arme ist bestimmt ganz schmutzig und
erschöpft vom langen Ritt und-", den Rest hörte Fiala schon garnichtmehr. Sie
rannte so schnell sie konnte raus aus dem dunstigen Khagi-Schuppen. Langsam
fragte sie sich, ob Neka den ganzen Aufenthalt lang so weiterreden würde oder
vielmehr könnte. Sie führte Caelo in den großen Stall, der bestimmt fast
doppelt so groß war, wie der auf ihrem Heimathof. Drinnen fauchten sie einige
der roten Reitkatzen böse an. Wahrscheinlich waren sie noch nie einem
lebendigen Pferd begegnet. Caelo schien sich davon nicht beirren zu lassen, was
Fiala ein wenig beruhigte. Barko hatte angeboten, ihr Pferd sauber zu machen und
den Stall herzurichten, was Fiala dankend angenommen hatte. So nutze sie die
Zeit, die ihr bis zum geplanten Abendessen noch blieb und wich Neka aus, die
schonwieder mit Fragen und zu vielen Informationen auf sie zurannte, mit der
Begründung, sie sei erschöpft von der Reise und wolle sich etwas umsehen. Als
sie Neka dann nach einiger Diskussion erklärt hatte, dass sie alt genug sei,
den Weg zurück allein zu finden, konnte sie sich endlich die Umgebung etwas
genauer ansehen.
Der Weg war sumpfig und Fiala hatte Mühe, vorwärts zu kommen und nicht stecken
zu bleiben. Doch bald hatte sie sich an das Laufen im Moor gewöhnt und stapfte
schnellen Schrittes davon, weg vom Haus und vor allem von Neka. "Zwar
freundlich, aber doch ganz schön nervig.", flüsterte Fiala leise in den Wind
hinaus. Alles hier war, wie ihr Großvater es ihr erzählt hatte und trotzdem
hatte Fiala sich Khrar immer ganz und gar anders vorgestellt. Ihr Großvater
hatte zwar von einer ganz guten Landschaft gesprochen, doch was Fiala hier zu
sehen bekam war besser, als in ihren kühnsten Träumen. Das Land war zwar
sumpfig, doch grün und das aufmerksame Mädchen entdeckte lauter Insekten und
Frösche. Außerdem krochen hier Tiere durch das Wasser, die Fiala noch nie
gesehen hatte. Sie sahen aus wie Eidechsen, doch sie hatten kleine Flügelchen
auf ihrem Rücken. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie zum Fliegen
geeignet waren, doch sie hatte beobachtet, dass die Flügelechsen sie benutzten,
um kurze Strecken zu gleiten, um sich im matschigen Sumpf besser vorwärts zu
bewegen. Als Fiala dichter an einen heran trat, fauchte er kurz und flüchtete
ein paar Meter weit. Fiala konnte nicht anders, als ihm hinterher zu laufen.
Bald hatte sie ihn eingeholt. Die Echse fauchte weiter und stieß dann eine
kleine Flamme aus. Fiala zog die Hand schleunigst zurück, die sie aus Neugier
nach ihm ausgestreckt hatte und beschloss, doch einen kleinen Bogen um diese
merkwürdigen Tierchen zu machen. Sie ließ ihren Blick eine Weile
herumschweifen. Fast die ganze Ebene war von einem Teppich aus langen grünen
Halmen überzogen, die sich leicht im Wind neigten und an deren Spitzen sich
einige Insekten klammerten. Fiala entdeckte verschiedenste Käfer, Libellen und
zu ihrem Übel auch Unmengen von Mücken, die begannen, um sie herum zu
schwirren und sie zu stechen. Sie hatte Mühe, die nervenden Insekten zu
vertreiben, doch dann sah sie hinauf zum Himmel und entdeckte schwarze Wolken,
die sich ziemlich schnell auftürmten. "Auch das noch! Regen.", flüsterte Fiala
und machte sich flugs daran, einen Unterstand zu suchen. Nicht weit von ihr
stand eine kleine Hütte. So wie es aussah war sie unbewohnt. Sie überlegte, ob
sie das Grundstück einfach so betreten durfte, aber es regnete und sie brauchte
einen Unterstand, also stapfte sie auf das kleine Häuschen zu. Es schien
wirklich leer zu sein, denn als sie es erreicht hatte warf sie einen Blick durch
eines der Fenster. Drinnen war alles dunkel und staubig. "Perfekt!", dachte
Fiala und schmunzelte. Sie lief um die Hütte herum. Nach der dritten Runde
fragte sie sich, warum das Häuschen keine Tür hatte. "Hm, wohl oder übel muss
ein Fenster dran glauben." Sie drehte sich um, auf der Suche nach einem Stock
oder Stein, doch schon bekam sie die ersten Regentropfen hier in Khrar ab. "Es
scheint also doch sehr regnerisch zu sein hier. Schade. So ein schöner Tag
dahin.", dachte sie und griff nach einem nahe gelegenen Ast.
"Was zum-?", flüsterte sie atemlos, als sie sich wieder zur Hütte herumgedreht
hatte und sich direkt einer kleinen, aber doch normal aussehenden Tür
gegenüber sah. "Die Reise war wohl einfach zu anstrengend, Fia.", dachte sie
und drückte die Klinke nach unten, woraufhin sie die Tür mit einem lauten
Knarren und einiger Mühe nach innen aufschieben konnte. "Garnicht
verschlossen?", fragte Fiala halblaut, als erwatete sie irgendeine Antwort. Das
Haus war ihr unheimlich, doch sie konnte sich entweder darin unterstellen und
den Regenschauer abwarten oder draußen von oben bis unten durchnässt werden.
Langsam trat sie ein. Ihre Entscheidung stand fest: "Reingehen, abwarten und
schnell wieder raus." Als hätte etwas auf diesen Satz gewartet, flog die Tür
der Hütte mit einem Knall wieder ins Schloss. Fiala versuchte die Tür
aufzuziehen, doch auf einmal war sie verschlossen. "Was ist das für ein Haus?",
fragte sie mit leicht zitternder Stimme. Doch sie bekam keine Antwort. Sie sah
sich im Raum um. Er war eingerichtet, wie ein normales Wohnzimmer. In der Ecke
stand ein Tisch mit mehreren Stühlen. In der Mitte lag ein teuer aussehender,
runder kleiner Teppich. An den Wänden standen Regale voll mit Büchern. Fiala
pustete den Staub von einem der Bücher und las die Schrift auf dem Buchrücken.
"Mythen Ephilia´s". "Was ist Ephilia?", fragte sie sich, als ihr Blick, als
würde er gelenkt, auf eine alte Karte fiel, die sauber eingerahmt und ohne ein
Krümelchen Staub darauf, an der Wand neben dem Regal hing. Fiala staunte. Die
Karte zeigte eindeutig das Gara-Gebirge. Darunter den Khrar und den großen
Wald. Ganz im Westen waren das tiefblaue Meer und der Misaki-Sumpf. "Eine Karte
von ganz Nagidia!", stelle Fiala fest, doch auf der Karte stand groß 'Ephilia'.
Auch die Namen der Städte und der Gebiete waren anders und es gab Städte, von
denen Fiala garnichts wusste. Das Merkwürdigste war jedoch, dass es die große
Hauptstadt Fala X'Nar auf der Karte nicht gab. Weil sie wissen wollte, was es
mit der Karte auf sich hatte, nahm sie den Rahmen von der Wand und holte die
Karte sorgfältig heraus. Kurz überlegte sie, ob das nicht Diebstahl wäre,
doch dieses Haus war eindeutig unbewohnt und so machte sie sich darum keine
Sorgen. Sie rollte die Karte zusammen und steckte sie in ihren Gürtel.
Am Ende des Raumes führte eine Treppe nach oben, doch Fiala wollte nurnoch so
schnell wie möglich nach draußen und weg von diesem Ort. Sie überlegte sich,
die Tür ganz einfach einzutreten, doch als sie ihren Blick über die Wand
schweifen ließ, konnte sie nirgends mehr eine Tür erkennen. Sie war hier
eingesperrt! Sie ging zu einem Fenster und schlug mit dem Ast, den sie immernoch
in der Hand hatte, dagegen, doch außer einem dumpfen Knacken, den der morsche
Stab von sich gab, passierte garnichts. Sie holte noch einmal aus und schlug
gegen die Scheiben, musste sie jedoch sogleich wieder ducken, da das vordere
Ende des Astes nachgegeben hatte und ihr entgegenflog. Fiala schaffte es gerade
noch so, dem Geschoss auszuweichen und überlegte, einen der Stühle zu
benutzen, doch irgendetwas sagte ihr, dass auch diese Idee nach hinten losgehen
würde. Irgendwer oder irgendetwas wollte sie nicht gehen lassen. Sie wusste nur
noch nicht, warum. Also ging sie zur Treppe. Oben war es dunkel und Fiala
fröstelte bei dem Gedanken, hinauf zu gehen. Also blcikte sie sich erneut im
Erdgeschoss um. Auf dem Tisch entdeckte sie schließlich eine kleine Öllampe.
Jetzt fragte sie sich nurnoch, wie sie sie anzünden sollte, doch als sie die
Hand danach ausstreckte, entzündete sie sich von selbst und warf einen warmen
gelblichen Schein auf den Raum. Zögernd nahm sie die Lampe in die eine und den
Rest von ihrem Ast in die andere Hand und schlich zur Treppe. Sie schluckte noch
einmal, bevor sie, fast den Atem anhaltend, die Treppe nach Oben hinauf ging.
Sie war ein wenig erleichtert, als sie dort nur zwei Betten und ein paar Kisten
vorfand. Also ließ sie den Knüppel sinken und schaute sie weiter um. In der
Ecke stand ein Kinderbettchen. Es war, wie alles hier, über und über von einer
Staubschicht bedeckt. Im fahlen Licht der Lampe wirkte trotzdem alles hier etwas
schwummrig und unheimlich. Fiala zuckte unweigerlich zusammen, als ein Blitz den
Raum erhellte und der Donner den Boden unter ihr erzittern ließ. Das Gewitter
musste sich unmittelbar über ihr befinden. Ihre Mutter, Neka und Barko machten
sich bestimmt schon große Sorgen. Fiala ging ein paar Schritte nach vorn und
zuckte gleich noch einmal zusammen, da die Tür hinter ihr ebenfalls zufiel.
Wieder überprüfte Fiala ob sie abgeschlossen war. "Eindeutig versperrt.",
stellte sie fest und drehte sich wieder in den Raum um. Sie war eigentlich
garnicht überrascht, dass nach jedem Schreck in diesem Haus gleich ein
nächster folgte, denn als sie sich umgedreht hatte blickte sie in ein kleines
runzliges, mit Warzen übersäätes Gesicht, dass sie finster ansah. Sie wich
nach hinten, stand jedoch sofort an der Wand wo eben eine Tür gewesen war und
blickte starr geradeaus. Erst jetzt erkannte sie, dass es sich um einen Goblin
handelte, der von der Decke hing. Fiala bekam keinen Ton heraus. Sie umklammerte
fest ihr Stück Holz und hielt es dicht vor ihrer Brust, bereit im Falle eines
Falles zuschlagen zu können.
Auf einmal ließ sich der Goblin von der Decke fallen und landete auf seinen
kurzen krummen Beinen vor ihr. Fiala atmete erleichtert auf. Der Goblin war nur
etwa halb so groß wie sie und wirkte ziemlich bescheiden, wenn man auf ihn
herab sehen konnte.
"Glaubst du wärst überlegen, dummes Menschenmädchen?!", schnaubte sie der
Goblin unfreundlich an. "Was willst du mit deinem Meter Zwergenwuchs schon
machen?", konterte Fiala scharf. "Jetzt wird sie auch noch frech, wird sie,
dummes Menschenmädchen, dummes.", stammelte die kleine Kreatur zu sich selbst,
schnippte kurz mit den Fingern und von einem Dachbalken flog ein dickes altes
Buch direkt auf Fialas Kopf. "Autsch, wie zum Henker-", begann sie, doch der
Goblin schnitt ihr das Wort ab. "Lesen, dummes Menschenmädchen, lesen.", sagte
er und deutete mit seinen langen krummen Fingern auf das Buch, dass nun auf dem
Boden lag. Fiala bückte sich und hob es auf, woraufhin sie einen Schlag mit
einem stumpfen Gegenstand ertragen musste, den ihr der Goblin unsanft auf den
Kopf schlug.
"Au, du mieser kleiner-", begann sie wieder, doch der Goblin schlug ihr mit dem
provisorischen Knüppel, wie Fiala jetzt erkennen konnte, in die Magengrube.
"Nicht meckern! Lesen! Überschätzt sich, das dumme kleine Menschenmädchen,
überschätzt es sich, jawohl."
"Ich würde ja dein verdammtes Buch lesen, wenn du endlich aufhören würdest,
mich zu-". Und wieder schlug sie der Goblin mit dem Knüppel. Fiala versuchte
diesmal, die kleine Kreatur zu ignorieren und sah sich den Buchdeckel genauer
an. "Das Herz der Götter", zitierte sie halblaut, um dem Goblin zu
demonstrieren, dass sie wirklich las. "Richtig, richtig. Schlag es auf, mach
schon, dummes Menschenmädchen, mach schon!", drängte dieser sie weiter.
Fiala öffnete das Buch, doch sie Seiten waren leer. Sie starrte ungläubig auf
das Buch, blätterte es durch, um sicher zu gehen, dass sie sich nicht
getäuscht hatte, doch die Seiten waren und blieben weiß. Der Goblin blickte
auf einmal noch düsterer drein, als er es die ganze Zeit über schon getan
hatte. "Dummes kleines Menschenmädchen ist nur so dumm wie alle anderen, ist
sie, so dumm ist sie. Gewöhnliches dummes Menschenmädchen." Er drehte sich um
und starrte die Wand gegenüber an. Plötzlich wirbelte er herum und blickte wie
erstarrt auf Fialas Öllampe, die neben ihr auf dem Boden stand. "Wo hat dummes
Menschenmädchen Feuer her? Antworte, feuriges dummes Menschenmädchen!"
"Die Lampe, ähm, die stand unten auf dem Tisch und als ich sie nehmen wollte,
da-", stotterte Fiala und wurde sogleich von dem Goblin zur Seite gestoßen, der
sich vor der Lampe niederkniete und mit seinen krummen Fingern die Kerze
löschte. Ringsher breitete sich Dunkelheit im Raum aus. Fiala bemerkte erst
jetzt, dass es draußen schon finster war. Ihre Mutter und die beiden anderen
waren bestimmt schon voller Sorge um sie.
"Nicht denken, dummes Menschenmädchen!", schnaubte der Goblin wieder, riss ihr
das Buch aus der Hand und hielt es ihr vor´s Gesicht. Fiala starrte mit weit
aufgerissenen Augen auf die einst weißen Seiten, auf denen sich jetzt, trotz
Dunkelheit gut sichtbare Zeichen ausbreiteten und sich zu Wörtern und Sätzen
zusammenfügten, die Fiala jedoch nicht entziffern konnte. Es musste eine
Sprache sein, die sie nicht kannte.
"Was siehst du?", flüsterte der Goblin mit seiner rauhen Stimme und ein
unheimlich kühler Wind wehte auf einmal durch das Zimmer. Die Wände und der
Boden unter ihr begannen zu zittern. Der Goblin starrte Fiala ungläubig an.
"Verstehe.", flüsterte er und sank augenblicklich auf die Knie. "Verzeiht mein
Verhalten, Herrin."
"Herrin?", wiederholte Fiala ungläubig. "Was geht hier vor?", dachte sie sich
und blickte den Goblin fragend an. "Ihr könnt es sehen, Herrin.", sagte der
Goblin demütig und war anscheinend darauf bedacht, in seiner Verneigung zu
bleiben, denn er drehte nur den Kopf nach oben, als er mit ihr sprach. "Was kann
ich sehen? Und ich heiße Fiala, nicht Herrin."
"Das Herz der Götter, Herrin-" er brach aprupt ab und korregierte "Fiala." "Du
meinst das Buch, richtig?", hakte Fiala nach und schaute es sich nochmal näher
an. "Nein, nein, dummes kleines, ich meine Herrin, also, Fiala.", stammelte er
sichtlich überfordert. "Ich meine das.", hauchte er heraus und zog ein kleines
Stoffbündel aus seiner Ledertunika. Er öffnete es und Fiala erkannte einen
wunderschönen roten Edelstein. Der Goblin hielt ihn ihr hin, blieb aber
immernoch auf den Knien. Fiala nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn, als er
sich plötzlich blau färbte. "Kann wirklich nur ich den Stein sehen?", fragte
sie und blickte dann den Goblin an. "Nur ihr, Herrin.", bestätigte er ihr.
"Und was soll ich damit machen?", fragte sie, da sie nicht wusste, was ihr ein
Edelstein bringen würde, den keiner sehen kann. "Hüten wie deinen Augapfel.",
sagte der Goblin knapp. "Gibt viele Leute, die ihn haben wollen, unheimlich
mächtiger Stein, unheimlich mächtig. Er hat euch gespürt, Herrin.", erklärte
er und erhob sich dann. "Stein voll Macht sucht seinen Meister, euch Herrin. Ihr
seid jetzt der Meister. Letzter Meister schon lange tot, lange tot, dummer alter
Narr, alter Narr." Fiala sah ihn noch immer fragend an. "Der Stein hat magische
Kräfte?" Sie wusste garnicht, was sie tun sollte. "Ganz recht, ganz recht,
Herrin. Grausame, furchterregende Kräfte, aber auch Gutes, liegt ganz am
Träger, Herrin, an euch." Der Goblin nickte. Fiala war perplex. Sie findet
zufällig wegen eines Gewitters eine alte Hütte und ein Goblin, der aus dem
Nichts erscheint, gibt ihr einen Stein mit magischen Kräften, den nur sie sehen
kann. Das alles schien ihr ein wenig eigenartig, aber was hatte sie schon für
eine Wahl. Sie musste dem Goblin glauben, da es ja die einzige Erklärung für
die ganzen Ereignisse war, die man ihr bieten konnte. Fiala seufzte. Sie hatte
noch so viele Fragen an den Goblin, doch als sie den Mund aufmachte, um die
Nächste zu stellen, schnippte der Goblin mit den Fingern und verschwand in
einer kleinen schwarzen Rauchwolke.
Texte: (C)opyright 2010 by Dennis Waldhauser und Melanie Enders
Tag der Veröffentlichung: 24.06.2010
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