Zur Herbstnacht
Es malt der Regen runde Perlen
An längst schon trübe Fensterfront
Wo tags sich noch das Licht gesonnt
Tropft nun der Herbst aus hohen Erlen
Das Abendrot tanzt noch zwei Schritte
Auf mondgeschliff’nem Himmelszelt
Und findet leuchtend seine Mitte
Im Kreis der nachtumschlung’nen Welt
Schützend
Gehütet hab ich den Engel mein
In Armen mit wachsendem Spann
Ich wuchs, er aber blieb kindlich klein
Und je mehr ich an Größe gewann
Desto schmaler wirkte sein Scheinen
Des Nachts hört’ ich leise ihn weinen
Und zog ihm den Himmel heran
Dann hielt ich die seidenen Leinen
Und Mondlicht tropfte sodann
In offene Arme hinein
Abgeregt
Im Wald schallt all mein Unmut gegen Bäume
Die so erhaben, großgewachsen stehen
Und nur die lichtdurchflutet’ Zwischenräume
Scheinen ängstlich weiter fort zu wehen
Als alle Wut an Rindenmulch zersplittert
Ist’s nur das Espenlaub, das leise zittert
Die anderen, die keine Rührung zeigen
bedeckt ein stolzbegrinstes Siegerschweigen
Die Füße stampfen Spuren in die Erde
hohnlachend spritzt der Matsch einfach zurück
Und erst unter Protest mit Drohgebärde
Verkündet ein Marienkäfer Glück
Ganz zaghaft setzt er sich auf grüne Planken
Es ist wohl Zeit, bei ihm sich zu bedanken
Und zwischen wildgewachs’nen Rosenranken
Mit ihm den letzten Sonnenstrahl zu tanken
Von dem, der immer wiederkehrt
Seh’ von fern wie er sich brüstet
Harten Blicks eilt er heran
Ich fühle mich nicht ausgerüstet
Zu schützen, die ich liebgewann
Und schon hebt er beide Hände
Und ein Schild: „Du Mensch, gib Acht!“
Und im Lichtschein fahler Wände
Hör’ ich, wie sein Richtpfeil kracht
Ein Siegerlächeln brennt sich breit
Auf seine sonnenferne Haut
Indes flüchtet er schon weit
Mit Schritten, die der Stolz erbaut
Zurück bleibt nur das warnend’ Schild
Und meine schwach erhob’nen Waffen
In zerbroch’nem Spiegelbild
Seh’ ich salzig’ Wunden klaffen
Sein Hohn tropft leise dort hinein
Und jeder Widerstand bricht klein
Grenze
Es steht die Tür
am tosend' Weltenrand
geöffnet
nur einen Spalt, sodass man
dadurch eben schaue
welch Träumerflut sie birgt
Der blaue Hut
Und wie ich leise deinen Namen rufe
An Mutters Hand mit weichgeflocht’nem Haar
Folgest du der nächsten Lebensstufe
Lässt mich zurück, ja, lässt mich einfach da
Die Klänge deiner letzten Blicke stehlen
Im Blätterrauschen heimlich sich hinfort
Sie werden, wie auch du, der Welt hier fehlen
Und mir bleibt nichts als ein versproch’nes Wort
Die Sonne senkt sich leise Richtung Westen
Und lange Schatten streicheln grauen Stein
Ein buntes Blatt löst sich aus wirren Ästen
So gern möcht’ dieses eine Blatt ich sein
Aus Mutters Händen löst sich jeder Mut
Und meine Zöpfe hängen müd’ herunter
Dort auf dem Grabstein liegt dein blauer Hut
Und langsam wird mein Hoffen wieder bunter
Irrgarten
Es steht ein Feld aus tausend gelben Kreisen
die stets entgegen Sonnenstrahlen reisen
am Fuß des Berges, der den Schatten dreht
Ein kühler Wind pfeift leisen Ton und weht
die Blätter sanft im Traume hin und her -
ein ausgelauf'ner Farbtopf malt das Meer
Dort stehend tanze ich mich zu den Sternen
die unentdeckt stets weiter sich nur fernen -
den Augen fehlt schon jegliche Kontur
Und auf dem Boden klebt verwischte Spur
die weder oben mehr noch unten kennt,
die mich vom Weg zu allen Zielen trennt
Spiegelbild
Im Spiegel hängt noch dein Gesicht
ein Abglanz letzter Restbestände
ein Gleiten durch vergilbte Hände
ein Hilfeschrei vor dem Gericht
Ein Blick der tausend Scherben brach
als er zuletzt konnt' aufrecht stehen
ein Aufgebären vorm Vergehen
als gäb' es irgendein Danach
Bildgesplitter auf dem Boden
ein Puzzle, das vom Wind verweht
ein Schreien, das in Zeit vergeht
ein Augenblick nach tausend Toden
Hastig picken Rabenmeere
dort im Erinnerungsgewühl
zerreißen jed'weges Gefühl
und hinterlassen selig' Leere
Auf durchwühlter Seelenerde
wächst schon erstes Hoffnungsbunt
geschund'nes Herz blüht sich gesund -
auf dass es nie mehr traurig werde
Briefchen
Ein Küsschen auf dem Kissen, ohne Lippen
lässt müdes Aug' an Freudenschampus nippen
und lächelt Sehnsucht in den Raum
Es lebt ein langefühlter Traum
in Decken, die von wacher Nacht gefaltet -
von außen wirkt sein Scheinen fast veraltet
Nur das Flüstern, welches leis' ans Fenster pocht
streift Sonnenstrahlen, die der Morgen flocht
und zeichnet schattenhaft mit tanzend Laub
Schmetterlingsgefühl in feinen Staub
Gefühlstrunken
Auf der Wiese sitzend, naschen wir
die taubetrunkenen Brötchen von gestern
und malen mit den Fingerspitzen
den Umriss schuhgeküsster Gräser nach
als suchten wir Beweise für ein Lächeln
das sich nächtens unbemerkt malte
auf gefühlstrunkene Lippen
die, der Worte überdrüssig, schwiegen
und doch dem Mond erzählten, von uns
Lebensherbst
Wo eben noch ein Lächeln
auf tausend Gänseblümchen tanzte
beben Lippen nun über verdorrtem Gras -
längst hat die Sonn' die weichen Regenbögen
in monotones Blau zurückgeschickt
Ein Trugbild malt sich vor die Augen
flüstert leise "Das Leben ist schön"
doch im Hinterkopf wachsen heimlich
Stadtruinen, aus Zweifeln erbaut
und vielgeschmückt mit leeren Bildern
Durch die Räume eines fliehend' Herbstes
jagt ein Kind nach buntem Schmetterling
der große Schatten wirft
Konstrukt
Gedanken hängen spinnengleich
vor großen Scheiben, staubbesetzt
und ziehen durch die Dämm'rung ihre Fäden.
Architektur an blauen Fensterläden.
Das Licht der Sonne längst vorbeigehetzt,
der Mann im Mond erscheint wohl gleich.
Beim Tupfen silberfarb'nen Glanzes
erscheint mein Sinnen mir als Ganzes
und webt sich zwischen müde Sterne,
die neu erwacht von Sehnsucht singen
und dort, in weitgeliebter Ferne
lieblich und zufrieden klingen.
Vergessen
Im Raum steht trauriges Bild -
grauschwarz und ohne Lebenszeichen
brennt ein vergangener Moment
sich immer tiefer ein
und beim Betrachten reisst Verlust
die klaren Kanten fort
Sehnsucht tropft aus rotgeweinten Augen
mischt salzige Flecken
auf längst verflogenes Gefühl
und leise ahnt das Herz
es soll nicht mal ein Lächeln bleiben
Graustufen
Mag die Welt in Regenschleiern liegen
sehnend sich nach letztem Sonnenstrahl
dann sind es deine Worte, die
ein Stück des Regenbogens malen
der schwer vermisst
dort am Gerüst des Himmels haftet
und dem Rohbau dieses Lebens
einen bunten Farbklecks schenkt
Verwandlung
Die Zweige deiner Sehnsucht tragen
heute schwer an voller Frucht
Blätter, die gen Himmel ragen
scheinen auf Gedankenflucht
Vor dem Fenster schleicht ein bunter
Regensommerwind umher
tanzt mit Erinnerung - und munter
trägt dein Fühlen er zum Meer
Zitternd greifen deine Hände
nach verlor'nem Altmoment
Flucht vor eig'ner Seelenwende
du ahnst, dass niemand dich mehr kennt
Das Spiegelbild zerfällt am Holze
des Fensterrahmens, der nun leer,
doch allein mit letztem Stolze
lächelt er
Im wilden Meer
In wilden Wogenwellen tanzend
treibt Erinn'rung leis umher
flüstert Fischen Sehnsuchtslieder
dort, im vielgefühlten Meer
Mondgesplitter spiegelt weich
dein Gesicht auf Tropfenwelten
damals fühlt ich oft dich nah,
doch die Zeit machte es selten
Im Gestürm der tickend' Uhren
rinnt Vergessen durch den Sand
und es kreist, wie jetzt, beizeiten
mir das Herz um den Verstand
Optik
Es scheint die Welt
aus einem neuen Winkel
heut Nacht den Mond
die Sterne anzusehn
ein wenig schräg
krumm hier und da
und dennoch
wunderschön
Vielleicht ists nur
ein Knick im Fenster
ein Faltenglas
vor'm Himmelszelt
sei's drum
es schimmert hoch und weit
ich seh's
- und es gefällt
Der Fliegermann
Ich traf heut vor dem Himmel einen Fliegermann
und fragte ob ich einmal mit ihm fliegen kann
doch er sagte "gute Frau, ich bin alt, ich bin schwach
ich denke immer wieder über jenes Leben nach
in dem ich so hoch flog mit den Wolken im Wind
erfüllte ich Träume, die ich träumte als Kind
doch ich hörte auf zu fliegen, lang ist es her
es erträumten sich einfach keine Träume mehr.
Der Wind wurde kalt, die Farben verblassten
sah Wolken nicht tanzen, sie schienen zu hasten
die Sonne, sie wollte mir nicht mehr scheinen -
und der Regen hörte auf zu weinen.
Nur grau in grau floss der Nebel vorbei
nahm mir die Sicht, nahm mir die Fliegerei"
Und ich sah diesen traurigen Fliegermann
dem stetig die Zeit aus den Augen rann
und Furchen, gar tiefe, in seinem Gesicht
nur glauben, glauben konnt' ich ihm nicht
"Fliegermann, öffne die Augen und schau
die Sonne strahlt herzlich, der Himmel ist blau
kein Nebel liegt heut in den frischen Lüften
sie sind gar gefüllt mit herbstlichen Düften"
Doch der Fliegermann schaute nicht auf und nicht weit
und aus seinen Augen floss weiter die Zeit
Da nahm meine Hand er und sagte ganz leis'
"gute Frau, jeder Traum hat seinen Preis
Ich bin nur ein einstiger Fliegermann
der heute kaum mehr noch sehen kann"
Da rann auch aus meinen Augen die Zeit
ich schaute den Himmel, so hell und so weit
und träumte, und träumte vom Fliegen
Der Steg
dort ist der Weg
er führt zum Meer
schon lange ist es her
der Steg
er ist schon angegraut
schon zu schwach
längst müde, nicht wach
und laut
schlagen die Wellen
an sein Holz
das einst stolz
mit bunten, hellen
Farben angestrichen war
und heute grau
vom Morgentau
steht er da
dort ist der Weg
er führt zum Meer
schon lang nicht mehr
war ich am Steg
der trüb und matt
Besuch empfing
der wieder ging
des Meeres satt
lang war ich fort
der Steg, er blieb
und trieb
im Wasser, stetig dort
du, Steg
es führte mich mein Weg
erneut zurück zu dir
so oft schon war ich hier
und werde etwas bleiben
treiben
mit dir im Meer
ja, lang ist es her
Die letzten Beeren
Es hängen die Johannisbeeren
seit Tagen tief im Rot
und in den Netzen fand man einen
kleinen Vogel - tot
Das Leben scheint darin gefangen
und gleichermaßen zu vergeh'n
'S sind trauig' Blicke welche müde
die Sträucher schauen, die dort steh'n
Die Sonne, heiß, ließ rote Beeren
trocknen, schrumpeln, fallen
daneben Kinder, die mit schweren
Steinen werfen - und mit Ballen
Ohn' Bedenken stürzt das eine
Kind sich auf den linken Strauch
auf der neuen Hose Flecken
und rote Punkte auf dem Bauch
Und voller Freude ahmt das zweite
Kind das erste lachend nach
und so liegen auf der Breite
beide Beerensträuche brach
Ein großes Kind sitzt auf der Mauer
schaut das Spiel, der Kinder Sprung
sitzt nur da, in voller Trauer
und weint um die Erinnerung
Tag der Veröffentlichung: 27.10.2009
Alle Rechte vorbehalten