Ein Moment
Nachdenklich schaut sie auf sein Gesicht.
Sie spricht mit ihm, er hört sie nicht.
Sie hat das Gefühl versagt zu haben,
sie war nicht da, er trägt die Narben.
Der Gedanke an den im Nu versunkenen Laut, lässt sie erstarren.
Warum konnte sie nicht mit ihm fahren?
Nun hält sie ihn fest in den Armen,
und fürchtet die Tränen, die noch nicht kamen.
Sie weiß nicht wohin mit ihren Schmerzen,
Er schläft ruhig, doch wacht laut in ihrem Herzen,
während die Ungewissheit ihr den Atem raubt.
Hat sie wirklich geglaubt, er wäre alt genug.
Lügen
Sie sagen, lügen darf man nicht,
man darf es nicht, weil es die Regeln bricht.
Sie sagen, nur die Wahrheit wäre recht
und jeder der mal lügt, wäre schlecht.
Sie reden von einer heilen Welt
und tun doch so vieles, was ihnen nicht gefällt.
Sie lächeln.
Sie lächeln für Jeden, doch zu selten für sich.
An einigen Tagen lächeln sie auch für mich.
Ich möchte ihnen helfen, drum lächle auch ich.
Und ich frage mich nicht, ob es richtig ist,
da mein leises Lächeln ihr Herz nicht bricht.
Gefangen
Bleib! Geh noch nicht.
Bleib bei mir, bleib hier, nicht nur heute Nacht.
Bleib bis in die Ewigkeit. Nimm Dir die Zeit. Abgemacht?
Zieh Dich schön an, doch bitte trage nicht dieses Kleid.
Ein kurzes Top, nicht zu weit, zeige ruhig deine Weiblichkeit.
Lass mich dich halten und genießen,
lass Blut durch meine Adern fließen,
Lass mich bei Dir zu Hause sein,
Ich habe sonst niemanden,
Ich bin allein.
Höre! Höre was ich Dir sage.
Ich will dir einige Geschichten erzählen, deren Inhalte mich heute noch quälen.
Schon damals war ich allein, jahrelang glaubte ich, dass müsse so sein.
Sicher, ich war unschuldig und klein, doch in meiner Familie kannte man kein ‚Nein’.
Gemacht wurde, was er sagte, ich musste nie antworten, weil er nicht fragte.
Ihr tat es Leid, immer hübsch angezogen mit ihrem Kleid, nahm sie sich doch nie die Zeit,
es zu begreifen.
Und wenn sie sich dann doch mal davon zu schleichen versuchte,
war ich es, der sie später im Krankenhaus besuchte.
Und wenn er schrie und sie weinte, war es einzig der Schmerz der uns vereinte.
Ich kann ihre Ohnmacht und seine Gewalt mehr als erahnen,
Drum möchte ich neu anfangen und mein mit Dir Leben planen.
Schau mich an! Siehst du mich und das was ich sehe?
Ich brauch dich und deine Nähe.
auch wenn ich manchmal unbeholfen vor dir stehe,
die Tatsachen verdrehe und schrecklich unfair zu Dir bin,
so gibst Du meinem Leben doch einen Sinn.
Ich bitte Dich, nimm mich in den Arm und lass mich nicht los,
lege meinen Kopf in deinen Schoß und atme für mich mit.
Lass mich bei Dir zu Hause sein,
Ich habe sonst niemanden,
Ich bin allein.
Familienglück
Zornige Worte schlugen auf mich ein. Ein Hauch von festgesetzter Wut, verbunden mit Hoffnungslosigkeit, umhüllte ihn. Daddy
, hörte ich mich rufen, Daddy hör auf damit!
, doch er hörte nicht auf, er machte genauso weiter, wie er es gewohnt war. Er hatte das letzte Wort, das hatte ich schon gelernt. Mum sah uns nicht. Sie saß in der Küche, mit dem Rücken zu uns, am Fenster und schaute raus. Sie wollte es nicht sehen. Oftmals schmerzt es schon, wenn man etwa weiß, was man nicht wissen wollte. Draußen zog ein Sturm auf, doch hier stürmte es mehr. Es war nicht eine von diesen alltäglichen, kleinen und banalen Auseinandersetzungen, durch welche er sich und seine Autorität zu festigen versuchte. Nein. Vielmehr war es ein Abschied. Schade nur, dass er nicht mehr wusste, wie er ‚Auf Wiedersehen’ zu sagen hatte. Er wollte es nicht wissen. Ich hingegen wusste es noch, denn einst war er derjenige, der mich die Verhaltensregel eines höfflichen Abschiedes lehrte. Du, Du eine Tänzerin? Wo willst Du tanzen?
Spöttisch zog er über mich hinweg, Du hast doch kein Talent. Erst recht nicht zum tanzen, höchstens zum…
er sprach nicht aus was er dachte und doch erahnte ich was er meinte. Ich hätte weinen können,doch mein Stolz verbot es mir. Ich wusste, dass er Unrecht hatte, gab es auch keinen Weg an seinem Schmerz vorbei, der ihm dies hätte beweisen können. Mum sagte noch immer nichts. Wie auch? Schließlich wollte sie noch mit ihm leben, gefahrenlos. Und auch ich entschied mich zu schweigen. Er hingegen hörte nicht auf. Manchmal hörte ich mich lachen. Es machte mich stärker, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Tanzen. Ja, das wollte ich. Den schwer zu erlangenden Studienplatz konnte ich schon mein nennen, ihm war das jedoch egal. Er war nicht breit auch nur einen Funken der Freude in seinen Augen für mich aufleuchten zu lassen. Es waren eben seine Augen, seine Erfahrungen und seine so lang erarbeiteten Erfolgstrategien, die mich nun nicht mehr Anstandsregeln lehren wollten, sondern das Leben. Gib mir doch eine Chance
flehte ich ihn an. Nichts. Schweigen. Nur ein Mal sollte er stolz auf mich sein, nur ein Mal sollte er mir das Gefühl geben, dass er es wäre und das ich die Person sein könnte, deren Nähe ihn einfangen würde. Etwas Bewunderung seinerseits hätte vielleicht schon gereicht um mich zum bleiben zu überreden. Doch es kam nichts. Noch immer Schweigen. Leise liefen die Tränen nun schon übers Gesicht. Wieder ein Mal, war ich nicht stark genug, um gegen ihn anzukämpfen. Es war, als hätte er einen Dolch in der Hand mit welchen er, wenn auch in Form von Worten, immer wieder zu stach. Rein ins Herz. Rein.
Dann klopfte es. Es war ein dringliches Klopfen. Es war, als wenn jemand da draußen in der Kälte unser Inferno hier drinnen fühlen konnte. Mum öffnete sichtlich erleichtert die Tür, und plötzlich entwickelte sich, der in unserem Heim eben noch rasant heraufziehende Sturm in eine schaudererregende Briese der Verlorenheit. Daddy wurde still und der Zorn auf seinem Gesicht verwandelte sich in ein freundliches Lächeln. Wir benahmen uns, wie sich eine intakte Familie zu benehmen hatte. Dem herzliches ‚Hallo’, folgte die Frage nach dem Wohlbefinden unseres Gastes. Wir fühlten uns geehrt. Man besuchte uns.
Und während Mum den von ihr so hoch geschätzten dreiundachtziger Portwein in die Gläser schenkte, und Dad auf seinen ach so wichtigen Geschäftspartner einredete, packte ich meine Sachen und ging, gefangen in dem Glauben, ich könnte allein durchs Leben tanzen.
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Tag der Veröffentlichung: 18.10.2010
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