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Ich frage Dich wer Du bist-
Du sagst mir Deinen Namen.




1. Von Verlierern und Gewinnern
2. Einzig und Allein
3. Zwei Welten - Ich


Von Gewinnern und Verlierern

Hallo. Mein Name ist Tom. Man sagt, ich bin ein Verlierer. Ich bin also Tom der Verlierer.
Was ich verloren habe? Nichts. Ich war schon immer so, wurde mir gesagt. Ich bin krank. Gelähmt. Doch das ist bei Verlierern normal, sagte man mir. Ich sitze seit neun Jahren im Rollstuhl, habe noch nie ein Mädchen zum Tanzen auffordern können und weiß auch ehrlich gesagt nicht, wie ich es tun müsste. Schließlich habe ich nicht so den Kontakt zu den Mädchen wie du ihn vielleicht kennst. Bestimmt hast du auch schon mal ein Mädchen geküsst. Das würde ich auch gerne mal tun, doch Verlieren ist so etwas untersagt, sagte man mir. Ich habe es also noch nicht versucht.
Meine Mutter ist auch eine Verliererin. Zuerst hat sie ihren Mann und dann ihre Freiheit verloren. Durch Mich. Mich hat sie auch schon verloren, doch das weiß sie noch nicht. Wenn sie mir meine Behinderung vorwirft, was jedoch nur selten passiert, dann weint sie und verliert Tränen. Das ist okay. Verlierer dürfen weinen. Ich weiß, dass es dann für sie besser ist, wenn ich mich zurück ziehe und keine Worte darüber verliere.
Zurück zu mir. Wie schon erwähnt, bin ich Tom der Verlierer. Ich bin mittlerweile 17 Jahre jung und zähle zu den meist beachteten Menschen in unserem Dorf. Vielleicht doch ein Gewinner? Nein. Nein, denn sie beachten mich ja nicht, weil ich es bin, sondern weil ich der Rollstuhljunge bin, der Hilfe braucht. Mitleidig lächeln sie mich an, versuchen mich zu unterstützen, wenn es ihre Zeit erlaubt und spüren innerlich ein behagliches Gefühl von Sicherheit, welches sie sich zu Gewinnern zählen lässt. Sie verlieren also nur Zeit. Durch mich. Sie wissen, mich können sie nicht verlieren, sie haben mich ja nicht. Sie haben mich ja nicht an ihr Herz gelassen.
Ich habe mich an das Leben als Verlierer gewöhnt.
Das war sehr einfach, da ich nichts zu verlieren hatte.
Ich zeichne gern. Am liebsten zeichne ich Portraits, meine Hände kann ich ja noch nutzen.
Einmal im Jahr, in der Vorweihnachtszeit, kommen die Leute zu mir. Sie kenne meine Bilder und bitten mich dann, sie zu zeichnen. Natürlich sage ich da nicht nein. Geld möchte ich jedoch Keines dafür haben, denn soviel hätten sie nicht. Keiner vor ihnen. Ich nehme also für meine Arbeiten nichts und doch alles was sie mir geben können. Denn ich weiß, jeder von ihnen schenkt mir im Nachhinein ein ehrliches, dankbares Lächeln, welches in diesem Moment nur mir gewidmet ist. Oftmals bin ich dann ganz gerührt, manchmal so sehr, dass ich weinen muss. Trotz der Tränen zähle ich mich an solchen Tagen zu den Gewinnern. An solchen Tagen sagt man nicht, schau mal das ist Tom, Tom der Verlierer. An solchen Tagen spiegelt sich Respekt in ihren Augen wieder. An solchen Tagen fragen sie nicht ob sie helfen sollen, denn sie glauben an mich. Und doch, manchmal, kurze Zeit später muss ich feststellen, dass auch sie Verlierer sind. Denn sie verlieren ihre Erinnerung. Vielleicht wollen sie vergessen, denn nur so kann es passieren, dass sie Tage später wieder von Tom dem Verlierer sprechen und mitleidig auf mich herab blicken. Das ist okay. Wirklich. Denn auch dann noch bin ich breit, ihnen ein ehrliches und dankbares Lächeln zu schenken. Mein Gesicht werde ich nicht verlieren.


Einzig und Allein

Noch immer reden wir über Dich. Es hält uns zusammen. Häufig müssen wir dabei lachen, etwas Stolz verbirgt sich hinter jedem Wort. An manchen Tagen weinen wir. Wegen Dir.
Doch öfters lachen wir. Heimlich über uns. Es ist Deine Art zu leben gewesen, die uns schockierte, blockierte und uns Unsicherheit fühlen ließ. Es war so einfach. Zu einfach, dachten wir. Du allein konntest entscheiden ob sie Dich lieben oder hassen würden. Eine Mitte gab es nicht. Du beanspruchtest immer Alles oder Nichts und wusstest, dass sie reden würden. Ich habe Dich geliebt. Meistens. Doch damals wusste ich das noch nicht. Damals habe auch ich geredet. So musstest Du nur den Raum betreten, lächeln, dein Haar nach hinten werfen oder die Augen kurz schließen um sie dann langsam wieder zu öffnen. Du musstest uns nur das Gefühl des Einzigartigen vermitteln und schon warst du einzig. Einzig und allein.
Wenn wir uns erinnern, erfüllt uns Reue. Dachten wir doch immer wie glücklich Du seiest, wussten wir doch nichts.
Auch Deinen Namen kannten wir nicht, wir fragten nicht. Wir nannten dich einfach „ Miss Word“ und redeten uns ein, Du wärst zufrieden damit. Passender ginge es nicht.
Nie, nicht einmal sah ich Dich traurig schauen, wahrscheinlich wollte ich es nicht sehen, wahrscheinlich hätte es mir Angst gemacht. Es hätte nicht gepasst.
Heute weiß ich, dass ich oft weggeschaut haben muss.
Wenn wir miteinander redeten, erkannte ich Weisheit in deinen Worten. Woher du sie hattest, wusste ich nicht. Ich wollte es nicht wissen. Das wäre zu privat gewesen. Freunde waren wir nicht. Ich hörte Dir aber gerne zu. Deine Worte waren stets von Lebenslust und doch erschütternder Realitätsnähe gezeichnet. Nettigkeit und Stolz, Sicherheit und Sittsamkeit umrundeten Gesagtes. Doch wenn ich Dir dann zusah, wie du Dich zum Leben bekanntest, wie du dich bewegtest, fast anbietend durch Straßen liefst, dann vergaß ich Deine Worte und ihren Sinne. Der komplette Gegensatz stand immerhin vor mir.
Du wolltest kein Spiegel sein, dass glaube ich nicht. Und doch machten wir Dich zu Einem. Erkannten wir uns selbst in Dir, so drehten wir uns weg und redeten. Schlecht. Über Dich.
Wir hatten Angst. Du auch. Das wussten wir nicht.
Nur einmal, nur einmal war mir bewusst, dass Du mir ans Herz gewachsen warst, eine Bedeutung für mich hattest und ich Dich auch hassen könnte. Das war gestern. Gestern, nachdem ich die Zeitung aufgeschlagen hatte und den Nachruf für ein junges Mädchen , das sich vor 5 Tagen für den Freitod entschieden hatte, lesen musste. Katarina war ihr Name. Gleich neben dem Text ein Foto von Dir sowie die letzten Zeilen Deines Abschiedsbriefes in dem hieß:“ So war ich einzig und allein das wert, was mir das Leben bis heute schenken wollte. Das ich noch lächeln konnte, lag einzig und allein daran, dass sie mir dann und nur dann das Gefühl gaben, es würde nicht so sein.“




Zwei Welten- Ich

Nur ein kleiner Funken des Vergnügens erinnert mich an das Feuer der vergangenen Stunden. Als ich dir meine Gedanken, meine Gefühle, als ich mich dir offenbarte, gingst du. Herablassend, schmerzend, tötend. Ich sammelte die Tränen, die mich zu überschwemmen versuchten, wollte sie dir schenken. Ich hielt sie für den Beweis, den ich brauchte, um dich von meiner Fähigkeit zu leben zu überzeugen. Doch du wolltest die nicht.
Lachend, verachtend, fordernd nanntest du mir deine Regeln. Ich wollte nach ihnen leben. Für uns. So trank ich meine Tränen um sie auch keinen anderen widmen zu können. Wie schwach könnte ich wohl werden? Du wolltest mein Blut. Warum sollte ich es dir nicht geben, war doch der Druck der sich im inneren meiner Adern befand schon stark betäubend.
Gemeinsam gingen wir ein Messer suchen, reden mussten wir nicht. Redeten wir, so waren deine Worte stärker, deine Inhalte überzeugender und deine Drohungen, welche sich in deiner Betonung versteckten, angsterregender als die Meinen. Drum warst du derjenige der sprach, wenn gesprochen werden musste. Gemeinsam schnitten wir meinen Bauch auf. Ohne Schmerz. Schon warst du wieder stolz auf mich, warst wieder ein fröhlicher Freund und sagtest, es würde uns helfen. Ich glaubte dir und redete mir ein, nun würde es auch mir wieder besser gehen. Leere. Nun erinnert mich nur ein kleiner Funken des Vergnügens an das Feuer der vergangenen Stunden. Ein kleiner Einschnitt noch! Vielleicht würde es mir dann noch besser gehen. Ich würde dann den schon wieder angesammelten Druck innerhalb meines Körpers von mir stoßen, so wie du mich von dir stößt, wenn es mir gut geht.


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Tag der Veröffentlichung: 19.11.2009

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