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Das Feuer




Ich saß in dem kleinen Lokal und fragte mich, wo ich bloß was zu essen herkriegen sollte. Ja, schon klar. In letzter Zeit hatte ich mich das öfter gefragt, als ich jemals für möglich gehalten hätte. Naja, was war schon zu erwarten gewesen? Schließlich war ich vor zwei Tagen von zu Hause abgehauen. Ich hatte mein komplettes Sparkonto und Sparschwein geplündert, aber es war nicht besonders viel zusammengekommen. Grade mal genug, für zwei Tage. Und ich hatte die Nacht nicht in einem Fünf-Sterne-Hotel verbracht. Aber du hattest einen guten Grund, abzuhauen

, sagte ich mir immer wieder. Sonst wäre ich wahrscheinlich schon wieder längst zurückgelaufen, was den Rest meines Lebens ruiniert hätte. Außerdem bist du achtzehn, verdammt noch mal! Du packst das. Schließlich hast du dich bis jetzt auch ganz gut ohne große Hilfe durchgeschlagen, oder?

, fragte ich mich. Naja. Mir war ja auch nichts anderes übrig geblieben.
Seit ich zwölf Jahre alt war, hatte ich vieles gelernt, das mir wahrscheinlich sehr oft das Leben gerettet hatte und ich hatte alles selbst gelernt, ohne irgendeine Art von fremder Hilfe. Mein Vater war ein verdammtes Arschloch und ich hatte keine andere Wahl gehabt als mich selbst zurecht zu finden, da meine Mutter seit ihrem 13. Hochzeitstag, zwei Tage nach meinem zwölften Geburtstag, tot war. Sie konnte mich nicht mehr gegen dieses miese Arschloch verteidigen, also lernte ich das, wie schon gesagt, selbst. Ich lernte, die Klappe zu halten, wenn es nötig war, lernte, die Wut- und Gewaltausbrüche meines Vaters einzustecken und niemandem davon zu erzählen, ohne daran zu zerbrechen, da es mein Vater irgendwie geschafft hatte, dass ich keine keine Freunde mehr hatte und dass mich jeder für vollkommen verrückt und abstoßend hielt. Ich verbrachte mindestens doppelt so viel Zeit eingesperrt in meinem Zimmer wie in der Schule (und ich hatte oft nachsitzen müssen, weil selbst die Lehrer mich dank meines Vaters für einen Freak hielten) und eigentlich konnte ich mich richtig glücklich schätzen, dass es mir gelungen war abzuhauen. Das Problem war nur, dass ich niemanden hatte, der mir hätte helfen können. Dafür hatte mein Vater bestens gesorgt.
„Hallo. Ich bin Riley.“ Eine wunderschöne Stimme, sie hörte sich an, wie die von einem Engel, riss mich aus meinen Gedanken.
„Ähm…“, sagte ich und schaute fragend auf. Ich sah den schönsten Jungen, den ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Er sah schlicht und einfach … vollkommen aus, ja ich glaube, das war das richtige Wort.
„Du siehst nicht besonders satt aus. Willst du einen Burger, Kleine?“, fragte er und ich konnte noch immer nicht richtig reagieren. Irgendwas in mir schrie Nein! Nein, nein, nein!

. Doch ich achtete nicht besonders darauf. Seine Schönheit war einfach unbeschreiblich und mein Hunger auch.
„Na komm schon. Ich seh‘ doch, wie dir das Wasser im Mund zusammen läuft, wenn du ans Essen denkst.“
„Ähm … ja. Klar hab ich Hunger. Du meinst du hast wirklich was zu essen für mich?“ Ja, schon klar, das war eine dumme Frage, aber so wie ich aussah, glaubte ich kaum, dass mir irgendjemand freiwillig etwas zu essen gegeben hätte.
„Klar. Du musst nur mit mir mitkommen. Es ist nicht weit weg.“ Das hörte sich vielversprechend an und mein knurrender Magen nahm mir den Rest der Entscheidung ab. Ich stand auf und er ergriff meine Hand. Ich zuckte zusammen. Seine Hand war nicht warm, so wie erwartet. Sie war kalt. Eiskalt. Doch dieser Riley schien meine Reaktion gar nicht zu bemerken. Draußen vor der Tür stand ein Wagen.
„Los steig ein“, sagte er und ich gehorchte, obwohl mir irgendwas sagte, dass ich hier ganz fehl am Platz war. Er startete den Motor seines schwarzen Autos (ich glaube es war ein Chevrolet Camero, aber ich bin mir nicht so sicher – mit Autos kannte ich mich noch nie besonders gut aus) und fuhr los.
„Wo fahren wir eigentlich hin?“
„Das wirst du noch früh genug erfahren“, meinte er. „Wie heißt du eigentlich?“, setzte er noch nach.
Ich entschied mich blitzschnell. Ich wollte nie wieder Emma Johnson genannt werden (damit verband ich einfach zu viele schlechte Erinnerungen), also gab ich meinen Lieblingsnamen und den Nachnamen meiner Mutter an: „Monique. Monique Evans.“ Er nickte nur zur Antwort.
Wir bogen um eine Ecke und in eine schmale Gasse. Mein Bauchgefühl fing wieder zu schreien an, Nein! Das ist ganz falsch!


„So. Wir sind da.“
Ich wollte nicht aussteigen. Mein Gefühl sagte mir einfach, dass das hier nicht richtig war.
„Ach. Immer dasselbe“, murmelte er vor sich hin, was wahrscheinlich nicht für mich bestimmt war.
Dann packte er meine Hand und zog mich aus dem Auto. Ein plötzlicher stechender Schmerz in meiner Hand ließ mich erschreckt aufschreien. Er hatte mir doch tatsächlich mit einem Ruck die Hand gebrochen! Das war unmöglich! Zumindest für meinen Verstand.
„Halt die Klappe. Du lockst noch die ganzen Leute hierher!“, fauchte Riley mich an und ich verstummte. Er zog mich in einen Raum der vollkommen dunkel war. Ich konnte überhaupt nichts erkennen. Ich spürte nur noch den stechenden Schmerz in meiner Hand und Rileys eiskalte Finger, die mich immer noch nicht losließen.
„Hallo, Riley“, sagte eine hohe babyhafte Frauenstimme, die meine Nackenhaare zu Berge stehen ließ. „Die ganze Nacht war vollkommen unnötig. Ich habe sie alle umgebracht. Ich konnte einfach nicht aufhören! Nicht eine einzige hat überlebt!“
Das Wort „umgebracht“ gab den Ausschlag. Es löste meinen Selbsterhaltungsinstinkt aus und ich wollte wegrennen. Doch Rileys Griff war einfach zu stark. Es war, als würde er die Kraft die ich aufwandte, gar nicht bemerken. Fast automatisch schrie ich die Worte: „Lass mich los!“ Ich wand mich in seiner Hand doch ich konnte seinem eisernen Griff einfach nicht entkommen.
Als wäre die Frauenstimme erst durch meine Worte auf mich aufmerksam geworden, sagte sie: „Ah, du hast mir wieder eine mitgebracht. Die ist zwar ziemlich klein, aber wenigstens ist sie eine mehr. Vielleicht überlebt diese.“ Plötzlich verschwand Rileys Griff und ich wollte schon irgendwohin rennen, in der Hoffnung es wäre auf die Tür zu, da packten mich zwei, ebenfalls eiskalte Hände an den Schultern.
Dann war da plötzlich etwas Warmes an meinem Hals. Es wurde wärmer.
Heißer.
Viel heißer.
Unangenehm heiß.
Es war viel zu heiß und wenn ich dieses etwas in der Hand gehalten hätte, hätte ich es von mir weggeschleudert, aber da war nichts in meinen Händen. Die Hitze war in meinem Innern. Das Feuer schwoll an und erreichte einen Höhepunkt und wurde einfach über diesen Höhepunkt hinaus noch heißer. Ich wollte wissen von wo dieses Feuer ausging um es im Kern zu ersticken und wusste die Antwort, noch ehe das Feuer weiteranschwellen konnte. Es ging von meinem Herz aus. Ich nahm meinen Puls war der hinter dem Feuer immer schneller zu werden schien. Ich fasste mir an die Brust um mein Herz herauszureißen. Ich wollte endlich diese Qual loswerden! Doch ich konnte es nicht. Ich habe keine Ahnung was, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Also schrie ich. Schrie jemanden an, der vielleicht gar nicht da war. Schrie jemand solle mich töten, um mich von diesen Schmerzen zu erlösen, doch niemand reagierte.
Um mich wenigstens ein bisschen von dem Feuer abzulenken, versuchte ich einen Vergleich zu finden, der diese Schmerzen beschreiben konnte (ja schon klar. Ich weiß, dass man sich dadurch nicht wirklich gut ablenkt, aber mir fiel einfach nichts besseres ein). Als Riley mir vorhin (wie lange war es wohl wirklich her? - Ich konnte nicht einmal mehr sagen wie lange ich das Feuer schon in mir hatte.) die Hand gebrochen hatte, nichts war es im Vergleich hiermit gewesen. Als würde ich auf einem angenehm weichen Federbett liegen. Die nur allzu täglichen Schläge meines Vaters, konnten nicht einmal an die Schmerzen der gebrochenen Hand ran kommen. Offensichtlich war ich mit der Zeit dagegen „immun“ geworden. Dankbar hätte ich hunderttausende Schläge genommen, oder tausend Brüche. Es wäre immer noch tausendmal besser gewesen, als dieses schreckliche Feuer, das immer noch weiter in die Höhe kletterte. Außerdem fand ich einfach nichts, womit ich dieses Feuer vergleichen hätte können. Langsam war ich der Meinung, dass es keinen Vergleich gab. Auf der ganzen Welt hätte ich herumrennen können und ich glaube nicht, dass ich irgendwo einen Vergleich gefunden hätte.
Ich schrie wieder, jemand solle mich endlich töten. Mein ganzes elendes Leben war diesen Schmerz nicht wert. Mal abgesehen davon, dass ich nicht einmal wusste ob es jemals ein Ende geben würde, oder warum mir jemand überhaupt diese Qual auferlegt hatte. Ich schrie und schrie und wand mich in alle Richtungen die mir einfielen, um das Feuer loszuwerden, doch es reagierte einfach niemand! Auch das Feuer blieb davon unbeeindruckt. Also wirklich! Wieso war ich offensichtlich Luft für jeden, der mich möglicherweise hören könnte (ich meine das war ich immer schon gewesen, aber jetzt machte es mir zum ersten Mal etwas aus – schon ein seltsames Gefühl)? Wie war das möglich? Ich musste so laut schreien, dass man mich wahrscheinlich die ganze Gasse rauf und wieder runter deutlich hören konnte, oder etwa nicht? Es gab nur noch einen Wunsch in meinem Kopf, eine Priorität: meinen Tod, der diese Schmerzen endlich gelöscht hätte. Doch ich wusste, dass dieser nicht kommen würde. Ich hatte keine Ahnung warum ich mir da so sicher war, aber ich wusste es einfach. Alles in mir wehrte sich, doch das Feuer wütete einfach weiter.
Vielleicht waren Sekunden, vielleicht Tage, vielleicht Jahre vergangen (ich hatte einfach keine Ahnung), doch endlich passierte etwas! Die Zeit bedeutete plötzlich wieder etwas für mich. Ich wurde stärker, warum auch immer. Ich konnte viel klarer denken. Mein Kopf wurde nicht mehr von dieser einen Priorität beherrscht. Jetzt kam mir auch der Gedanke, dass dies alles irgendeinen Sinn hatte, auch wenn mir bis jetzt noch niemand gesagt hatte, worin dieser bestand. Auch meine Sinne nutzten mir wieder. Ich konnte einige Schritte von mir entfernt leise, regelmäßige Atemzüge hören. Auch meine eigenen schnellen, flachen Atemzüge hörte ich über meine Schreie hinweg. Nun fand ich auch den Geruch, der zu den leisen Atemzügen passte. Er war süß, angenehm und erinnerte mich irgendwie an Riley. Doch wie bei dem Feuer, fiel mir nichts ein, womit ich den Geruch hätte vergleichen können. Er roch … so süß wie … ach ich weiß es nicht. Ich konnte es auf jeden Fall nicht beschreiben.
Aber Riley war offensichtlich nicht der einzige in diesem Raum, denn ich nahm noch weitere Atemzüge war. Direkt neben Riley. Das musste diese komische Frauenstimme sein. Ich konnte sogar ihr Gespräch schon belauschen. Es war das Erste, das mich wirklich von dem Feuer ablenkte. Wenn auch nicht stark genug um dem Schmerz für einige Sekunden ganz zu entfliehen.
Trotzdem: „Aaah. Endlich habe ich es wieder bei einer geschafft. Das wurde auch Zeit in dieser Nacht. Ganz ehrlich, Riley. Die vor drei Nächten war bis jetzt meine schlechteste von allen. Noch nie habe ich es geschafft nur eine durchzubringen“, sagte die Frauenstimme und Riley antwortete verführerisch: „Na wie wär’s? Willst du dich nicht ein bisschen von der Niederlage ablenken?“
Die Stimmen verstummten. Es war nur mehr das Geräusch von zwei Steinen, die aneinander schlugen, zu hören. Ich wollte es nicht mehr hören, es erinnerte mich zu sehr an mein eigenes Liebesleben (und ich meine damit keine glückliche Romanze bis an mein Lebensende) – warum auch immer. Also streckte ich meine Sinne weiter. So weit, bis ich ein Auto um die Ecke biegen hörte. Wie bitte? Mein Gehör reichte bis zum anderen Ende der Gasse?
Außerdem roch ich verschiedene Arten von Holz. Da war Kirschholz, Ahorn und noch viele andere, doch was hatten die hier zu suchen? Ich war doch nur in einem stinknormalen Zimmer, oder? Doch das Feuer ließ sich davon nicht beeindrucken. Es wütete einfach weiter, ohne jedes Anzeichen auf ein mögliches Ende.

Plötzlich veränderten sich die Schmerzen langsam und ich schöpfte Hoffnung auf ein Ende. In meinen Finger- und Zehenspitzen ließ das Feuer langsam (sehr langsam!) nach. Endlich passierte etwas! Doch kaum waren meine Fingerkuppen herrlich schmerzfrei, bemerkte ich, dass sich das Feuer in meiner Kehle verändert hatte. Da war nicht mehr nur mehr das Brennen, jetzt war sie auch noch völlig ausgetrocknet! Trocken wie die Sahara Wüste. So ein Durst. Durst auf Blut. Menschenblut (und ich schwöre, ich war kein bisschen angeekelt). Wieso war da so ein Durst? Brennendes Feuer und brennender Durst …
Das Feuer in meinem Herzen wurde noch heißer! Wie war das verdammt nochmal möglich? Mein Herz schlug noch schneller. Als wollte es vor dem immer heißer werdenden Feuer weglaufen – je heißer das Feuer, desto schneller mein Herz.
„So. Jetzt ist es gleich so weit. Ich gehe dann mal“, sagte die Frauenstimme. Dann war noch ein letztes Mal das Geräusch von Küssen zu hören, ein leichter Luftzug und der Geruch, der zu der Frauenstimme gepasst hatte, war verschwunden. Riley atmete einmal tief durch und mit diesem Atemzug wich der Schmerz aus meinen Armen und Beinen und wanderte weiter zu meinem Herz. Dort wurde es immer heißer – meiner Meinung nach, wäre das nicht möglich gewesen. Aber wenigstens bedeutete das, dass ein Ende in Sich war, auch wenn ich nicht wusste, wie lange ich noch darauf warten musste…
Oh mein Gott!


Mein Herz hob ab. Es fühlte sich an als wollte es aus meinem Brustkorb fliehen und das Feuer loderte genau dort auf, wo vor kurzem noch mein Herz gelegen hatte. Jetzt fühlte es sich an, als würde mein Herz über dem Feuer schweben, welches immer stärker und höher aufloderte, um (wie es schien) mein Herz zu erwischen. Ich hatte vor einiger Zeit aufgehört zu schreien. Es war einfach nutzlos gewesen, doch jetzt schrie ich wieder aus vollen Leibeskräften, auch wenn es sich weiterhin nichts brachte. Das Feuer loderte weiter auf mein Herz zu und erwischte es schließlich, schmiegte sich darum herum, als gäbe es für das Feuer nichts, was es lieber tun würde, als mein Herz zu verbrennen. Mein Herz stotterte zweimal, dann kam noch ein einziger ruhiger Schlag und sowohl mein Herz, als auch das Feuer verschwanden. Na endlich! Jetzt hörte ich schlagartig auf zu schreien und es wurde totenstill. Kein Atemzug, kein Herzschlag, kein Feuer. Einige Momente genoss ich nur die Abwesenheit des Schmerzes, doch dann packte mich die Neugier und ich öffnete die Augen.

Alles neu




Ich sah alles, ich roch alles und als ich durch den Mund einatmete, schmeckte ich alles. Zumindest kam es mir so vor und ich glaube dieser Gedanke war gar nicht so abwegig. „Ah. Du bist wach“, ertönte Rileys Stimme näher bei mir, als ich sie erwartet hätte und das löste zum ersten Mal meinen neuen Verteidigungsinstinkt aus. Ein furchterregendes Knurren stieg aus meiner Brust in meine Kehle und ich wirbelte auf und landete in geduckter Haltung mit dem Rücken zur Wand. Das erste was ich bemerkte war, dass bei meinem Aufwirbeln eigentlich alles hätte verschwimmen müssen, so schnell war ich gewesen. Doch alles blieb mikroskopisch genau. Riley stand mir gegenüber an der anderen Wand und während ich ihn wachsam anstarrte fiel mir noch etwas anderes auf: Der Raum war genau so dunkel, wie beim ersten Mal, als ich ihn beteten hatte, aber ich konnte trotzdem alles sehen. Es war bloß alles mit einem leichten lila Stich versehen, der mich aber nicht weiter störte. Da Riley nicht in Angriffshaltung dastand, richtete ich mit einem Ruck auf und erschrak, weil ich, kaum dass ich es in Erwägung gezogen hatte, auch schon kerzengerade und reglos an der Wand stand. Doch für Riley war das alles nichts überraschendes, das sah ich in seinen Augen. „Du bist sicher verwirrt. Aber keine Angst, ich will dir nichts Böses“, sagte er und ich glaubte ihm. Ich ging einen Schritt auf ihn zu und wieder war da gar kein Übergang. Im einen Moment stand ich zehn Meter von ihm entfernt, im anderen nur noch fünf. „Du weißt sicher nicht was los ist, also erkläre ich dir mal das wichtigste: Du bist ein Vampir. Das knochentrockene Feuer in deiner Kehle nennen wir Durst.“
,Das weiß ich‘ wollte ich sagen, doch irgendwas riet mir den Mund zu halten. Automatisch fasste ich mir mit einer Hand an die Kehle und bemerkte, dass sie immer noch schrecklich brannte. Ein schwacher Abklatsch des Feuer vorhin, aber trotzdem. Er nickte verständnisvoll.
„Ich weiß das ist alles sehr neu, aber ich werde dir helfen, dich einzuleben. Zuerst musst du wissen, dass ich dich jetzt zu anderen deinesgleichen – unsersgleichen – bringen werde. Außerdem musst du dich vor der Sonne in Acht nehmen. Sie kann dich verbrennen wie in den Geschichten, die sich die Menschen erzählen und wenn du mit den anderen auf die Jagd gehst musst du immer vor Tagesanbruch wieder bei der Gruppe sein, um weiter überleben zu können. Versuch außerdem in der Gruppe einfach am Leben zu bleiben, klar soweit?“
Das ,klar soweit?' erinnerte mich an Jack Sparrow (Verzeihung. Es heißt natürlich ,Captain Jack Sparrow') und ich unterdrückte ein Grinsen. Ich war früher ein begeisterter ,Fluch der Karibik'-Fan gewesen und seien wir mal ehrlich: Ich war's immer noch. Ich liebte es einfach wie Johnny Depp den verrückten, schlauen und trotzdem noch hinterhältigen Piraten spielte und auch von Keira Knightly und Orlanda Bloom war ich schlichtweg begeistert. Ich konnte jeden Film fast auswendig, so oft hatte ich sie gesehen… Mannomann, war ich vielleicht leicht abzulenken.
Er hatte Recht. Das war ziemlich viel auf einmal, doch meinem Gehirn machte das nichts aus. Ich nickte schnell und ruckartig und bemerkte dabei, dass ich wirklich alles verstanden und mir gemerkt hatte.
„Ok. So Monique. Jetzt gehen wir auf die Jagd. Das wichtigste bei der Jagd ist, dass du immer ,Abschaum‘ jagst. Du darfst keinen Menschen am Leben lassen, der von der Existenz der Vampire Bescheid weiß. Hast du mich verstanden?“
„Ja“, sagte ich, doch es klang nicht wie ich. Es klang wie ein melodisches Glockenspiel. Eine wunderbare Verschönerung meiner früheren Stimme, die mir im Vergleich hiermit irgendwie plump vorkam.
„Folge mir“, antwortete Riley und verschwand nach draußen. Es war leicht ihm zu folgen. Sein Duft hinterließ eine deutliche Spur und nach nur wenigen Sekunden hatte ich auch schon eingeholt.
„Am wichtigsten ist: Wen du jagen willst, musst du entscheiden bevor du ihn riechst, ok?“
„Mache ich“, war meine Antwort, doch es klang immer noch wie ein wunderschönes aber auch auf irgendeine Weise tödliches Glockenspiel. Ich weiß nicht was, aber irgendwas gab meiner Stimme einen bedrohlichen Beiklang. Mit übermenschlicher Geschwindigkeit folgte ich Riley und nachdem wir genau fünfundfünfzig Sekunden gerannt waren deutete er mit dem Kopf kurz nach rechts und blieb dann ruckartig stehen. Zum Glück konnte ich genauso schnell stehen bleiben wie er, sonst wäre ich vermutlich in ihn hineingerannt. Auch ich wandte mich nach rechts und entdeckte dort zwei Menschen. Allein an ihrer Kleidung erkannte ich, dass sie zu dem gehörten, was Riley als „Abschaum“ bezeichnete. So hatte ich wahrscheinlich auch ausgesehen und schlagartig wurde mir klar, dass ich in ziemlich großer Gefahr gewesen war, wenn auch unbewusst. Schließlich hätte Riley genauso jemand anderen nehmen können und würde mich jetzt irgendwem zeigen und ihn auffordern, mich zu jagen.
Ich warf ihm einen kurzen fragenden Blick zu und er sagte: „Atme einfach ein. Der Rest ergibt sich dann von selbst.“ Ich befolgte seinen Rat und atmete einmal tief durch die Nase ein. Der Geruch der Menschen traf mich mit voller Wucht und das Feuer in meiner Kehle, das sowieso schon verrückt brannte, loderte auf während der Geruch jeden anderen Gedanken auslöschte. Ich knurrte leise um die Beute zu verteidigen. Das Blut war meins!
Mit einem schnellen, leisen Satz landete ich direkt neben dem Mädchen und kaum sah ich das Blut unter der dünnen Haut hindurch fließen, packte ich das überraschte Mädchen bei den Schultern und hörte wie einige Knochen brachen. Das Mädchen wollte aufschreien, doch meine Zähne waren schneller. Sie durchtrennten die Luftröhre und das Blut begann in meinen Mund zu fließen. Es war das Beste, was ich jemals getrunken hatte. Heiß und süß floss es meine Kehle hinunter und das Feuer beruhigte sich. Ich saugte und schluckte, bis der Körper komplett leer war. Mir war das Trinken wie eine angenehme Ewigkeit vorgekommen, doch offensichtlich war ich so schnell gewesen, dass der Junge neben dem Mädchen noch keinen einzigen Laut von sich gegeben hatte. Und bevor er dies tun und die Aufmerksamkeit anderer Menschen auf sich ziehen konnte hatten meine Zähne bereits, ohne dass ich es wirklich registriert hatte, seine Luftröhre durchtrennt und noch mehr Blut floss mit einer angenehmen Wärme meine Kehle hinunter. Als ich auch diesen Körper leergetrunken hatte, schüttelte ich ihn frustriert und warf ihn zu Boden. Ich hatte immer noch Durst! Zwar das Brennen in meiner Kehle deutlich schwächer geworden, doch ganz weg war es immer noch nicht und ich wollte es komplett loswerden. Zumindest für ein paar Stunden.
Jetzt bemerkte ich, dass Riley gerade neben mir gelandet war und sagte: „Mmhh. Das war gut. Aber Riley, wieso bin ich immer noch durstig?“
„Weil du jung bist“, war seine Antwort. „Du kannst gleich weitertrinken, aber zuerst müssen wir diese Leichen im Sund verstecken.“
„Na gut“, maulte ich und schnappte mir die beiden Körper und warf sie mir über die Schultern. Ich schnüffelte einmal und roch ganz im nahen Osten einen breiten Fluss, der sich sicher gut machte als Versteck. Ich sauste los und hörte Riley leise Fluchen. Offensichtlich glaubte er, ich hätte wieder einen Menschen gerochen. Er schaffte es erst beim Fluss mich einzuholen, so schnell war ich und dort bemerkte er auch meine Absicht. Ich hatte keine Ahnung woher, aber plötzlich wusste ich, dass ich unendlich lange die Luft anhalten konnte und sprang ins Wasser. In genau dem Moment, in dem ich mit den Fingerspitzen das Wasser berührte, hielt ich die Luft an und dann war ich auch schon am Grund des Flusses. Die Strömung konnte mich nicht mitreißen und so konnte ich ohne Probleme, die Leichen einbuddeln und einen Stein darauf legen. Dann schoss ich wieder aus dem Wasser und landete elegant neben Riley.
„Gut gemacht“, lobte er mich, doch es war mir egal. Es war mir schon seit meinem zwölften Lebensjahr egal, was jemand über mich dachte oder sagte. Seit mein Vater sich verändert hatte. Es war seltsam sich daran zu erinnern. Es war als würde ich alles durch schlammverschmierte Augen sehen. Ich zuckte nur die Schultern.
Um besser nach weiteren Menschen Ausschau halten zu können sprang ich leichtfüßig auf das nächstbeste Dach. Mein Blick schweifte über die Straßen und Häuser, wie der eines Löwen, der auf der Suche nach Beute ist. Da bemerkte ich eine kleine Bewegung am Rand meines Blickfeldes und drehte den Kopf schnell nach links. Zwei weitere Mädchen bogen gerade in eine Sackgasse ein und kaum, dass ich sie gesehen hatte rannte ich auch schon los. Innerhalb von fünf Sekunden hatte ich die Gasse erreicht und sprang den Mädchen direkt vor die Nase. Während ich das eine packte schlug ich dem anderen kurz auf die Schläfe, damit es nicht wegrannte oder aufschrie. Wieder fanden meine messerscharfen Zähne zielstrebig den Hals des Mädchens und gruben sich in die Luftröhre. Zum dritten Mal an diesem Tag floss das heiße, nasse Blut meine Kehle hinunter und das Brennen in meiner Kehle wurde wieder schwächer. Während ich trank wurde mir bewusst, dass ich nach dem nächsten Mädchen für heute genug haben würde. Also trank ich diesen Körper in gieriger Hast leer und warf ihn beiseite. Er war noch nicht einmal auf dem Boden gelandet, da hatte ich auch schon das vierte Mädchen gepackt und in ihren Hals gebissen. Irgendwie war da ein leicht saurer Nachgeschmack und mein Superhirn sagte mir, dass dieser von Alkohol kam. Doch es interessierte mich nicht sonderlich und so war auch dieser Körper nach einer sechzehntelsekunde geleert. Jetzt war das Feuer ganz weg, doch mein Gehirn sagte mir, dass ich es nach spätestens fünf Stunden wieder spüren würde. Dann würde es wieder stärker werden, bis ich es nicht mehr aushielt, was in etwa drei Tage dauern würde. Mit einem dumpfen, leisen Aufschlag landete Riley neben mir und fragte: „Hast du genug für heute Nacht?“
„Ja.“
„Gut. In drei Tagen gehst du dann mit einer anderen Jagdgruppe mit. Bis dahin musst du es aushalten.“
„Ja. Das schaff‘ ich schon.“
„Ok.“
Riley rannte voraus und ich rannte ihm hinterher. Er schaute ein paar Mal beunruhigt zum Himmel auf, als fürchtete er, nicht rechtzeitig zum Lager zu kommen. Es ging immer weiter raus aufs Land und irgendwann bemerkte ich dann in der Ferne ein Haus. Ich nahm an, dass Riley darauf zusteuerte und überholte ihn locker. Ich war als erste bei dem Haus und wartete dort auf Riley.

Eine unerwartete Freundin




Er ging mir voran durch die Tür und ich folgte ihm. Drinnen war alles abgedunkelt, doch ich konnte immer noch alles bestens erkennen. Ich nahm an, dass die Treppe, die Riley ansteuerte, in den Keller führte und so war es auch. Als wir in den Keller kamen verstummte jeder. Alle starrten zuerst Riley an und dann mich.
„Das ist Monique. Sie ist neu hier.“
Als er mich als die Neue erklärte verloren alle das Interesse und gingen wieder ihren Beschäftigungen nach. Weil ich mich nicht gleich zur Zielscheibe machen wollte, flitzte ich schnell zum einzigen Sofa, um mich dahinter zu verkriechen. Ich war nur noch einen halben Meter vom Sofa entfernt, als mich ein plötzlicher Ekel traf. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Ich wusste nicht woher er kam, aber ich wusste, dass der Ekel jeden traf, der sich hierher wagte, also war es wohl ziemlich klug, wenn ich mich hinter dem Sofa verbarrikadierte. Ich biss die Zähne zusammen und ließ ich mich elegant hinter dem Sofa nieder und aus irgendeinem Grund wurde Ekel schwächer.
So. Jetzt war ich erst mal nicht die Zielscheibe. Aber das Schlechte war, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte, wie ich mir die Zeit bis zu meinem nächsten Jagdausflug vertreiben sollte. Ich beschloss, mich mal unauffällig umzusehen, um herauszufinden, wie das hier so lief. Mein Blick schweifte durch den Raum und blieb an einem Vampir hängen, der ziemlich stark, aber auch sehr dumm aussah. Er stritt sich gerade mit einem blonden Jungen und eine sechzehntelsekunde später, riss er dem Jungen den Kopf ab (mit einem hohen Kreischen) und verbrannte den Kopf und den Körper.
„Einer weniger wird Riley auch nichts ausmachen“, hörte ich ihn sagen und beschloss nebenbei ihm aus dem Weg zu gehen, so gut ich konnte.
Dann war da am anderen Ende des Raumes ein Mädchen, das aussah, als würde es, wenn es richtig wütend war, genau so reagieren, wie der Junge vorhin. Ich beschloss fürs Erste es so zu machen, wie ich es schon bevor ich ein Vampir geworden war gemacht hatte: Kopf einziehen und Mund halten.
Da ging plötzlich die Tür auf und ein Junge mit schwarzen Locken und ein kleines Mädchen kamen herein. Das Mädchen flitzte, so wie ich, sofort hinters Sofa. Sie schien aber eher an der Sicherheit des schwarzlockigen Jungen interessiert, als an mir und deshalb machte ich mich auch erstmal nicht bemerkbar.
„Du hast also überlebt, Diego“, sagte der Vampir, der vorhin den blonden Jungen getötet hatte.
„Ja. Habe ich. Aber es war ziemlich knapp. Ich musste noch dein doofes Chaos beseitigen und wäre deshalb fast von der Sonne erwischt worden“, sagte er mit einem kurzen Seitenblick zu einem anderen blonden Jungen. „Doch zum Glück kenne ich eine Unterwasserhöhle und dort habe ich dann den restlichen Tag mit der Kleinen verbracht. Ich konnte den ganzen Tag nicht atmen, aber wenigstens habe ich überlebt.“
„Du bist also der Held des Tages.“
„Es gibt keine extra Punkte dafür, sich wie ein Volltrottel aufzuführen, Raul“, sagte Diego zu dem Vampir.
„Ach, du willst Ärger? Glaubst du nur weil du Rileys Liebling bist, kannst du alles machen? Riley hält dich für tot und das Mädchen auch. Er würde nichts bemerken, wenn ich euch jetzt gleich umbringen würde.“
Das Mädchen machte sich bereit zum Sprung und an ihrer Haltung konnte ich erkennen, dass sie es genau so machte wie ich hauptsächlich: Kopf einziehen und Mund halten. Aber dieser Diego war ihr so wichtig, dass sie sogar ihr Leben für ihn geben würde. Ich war schon immer gut darin gewesen, zu erkennen was jemand gleich machen würde beziehungsweise jemanden zu überreden, das zu tun was ich will. Aber bevor ich etwas tun hätte können, schnappten alle nach Luft (obwohl sie natürlich niemand brauchte). Der ganze Raum war von einem plötzlichen Ekel erfüllt und die ersten machten sich schon daran in den ersten Stock zu flüchten.
„Ruhe“, sagte eine tiefe Stimme auf dem Sofa.
Das Mädchen gab die Angriffshaltung auf, weil auch Raul gerade in den ersten Stock geflüchtet war.
„Entschuldige“, murmelte dieselbe Stimme und das Mädchen neben mir sagte: „Du musst dich für nichts entschuldigen.“
Erleichtert drehte sich das Mädchen um und blickte mir direkt in die Augen. Wir starrten uns eine endlose Ewigkeit an (zumindest kam es mir so vor). Um die Anspannung zu unterbrechen sagte ich: „Ähm. Hallo. Ich bin … ich bin Monique. Und … und du?“
„Ich bin Bree“, sagte sie.
Ich war noch nie eine gewesen, die lange um den Brei herumgeredet hatte und deshalb fragte ich sie einfach: „Wie wär‘s? Du tust mir nichts – ich tu dir nichts.“
„Ähm. Wenn du meinst. Du bist neu, oder?“
„Ja ich bin heute gekommen. Und du?“
„Ich bin seit drei Monaten hier.“
„Aha. Ähm … erweitern wir das mit dem nichts tun und sagen Freunde?“, fragte ich kindergartenmäßig und sie nickte zur Antwort (wenn auch etwas steif).
„Hey. Ich hab ne Frage: Wer ist das da auf dem Sofa?“
„Oh. Das ist Fred. Obwohl eigentlich nennen ihn alle Freaky Fred. Es hält kaum einer in seiner Nähe aus. Alle trifft dieser Ekel wie vorhin, als er Rauls Gruppe verjagt hat. Deswegen verstecke ich mich auch hinter ihm. Niemand wagt sich hierher. Abgesehen von dir“, fügte sie halb verbittert halb erfreut hinzu.
„Ja, abgesehen von mir“, murmelte ich vor mich hin.
Riley kam herein und sah sich um. Er fand Diego und sagte: „Ich wusste auf dich kann ich immer zählen, Diego. Aber lass es nächstes Mal nicht so knapp werden. Sei den kleineren ein besseres Vorbild.“ Sein Blick huschte zu mir herüber und schnell wieder weg, weil ihn der Ekel traf.
„Klar. Mach ich“, sagte Diego.
Riley teilte die Gruppen ein, die heute zur Jagd dran waren und dann machte er sich wieder auf den Weg. Wahrscheinlich zu ihr (so nannten wir hier unsere Schöpferin – das hatte mir Bree erzählt).
„So. Ich mach mich jetzt mit Diego auf den Weg“, sagte Bree. Ich schaute sie verständnislos an.
„Um Riley das mit der Sonne zu erklären“, sagte sie sehr leise und verschwörerisch. Ach ja. Die Sonne machte uns ja gar nichts aus, sie machte nur Discokugkelglitzermonster aus uns. Das hatten Bree und Diego gestern herausgefunden, als sie in der Unterwasserhöhle gewesen waren. Sie hatte es mir gestern noch erzählt.
„Ach ja. Aber passt auf euch auf“, sagte ich und sie verdrehte die Augen. Es war schon seltsam wie schnell unsere Freundschaft sich verbessert hatte und wie fest sie geworden war und das an nur einem Tag.
Schon war sie hinter Diego hinaus geflitzt, so wie Raul und Kristie, die sich nie an Rileys Regeln hielten. Um mich davon abzulenken, in welche Gefahr sich Bree und Diego meiner Meinung nach begaben, versuchte ich mich an etwas aus meinem früheren Leben zu erinnern. Das war gar nicht so einfach, denn es war als würde ich alle Erinnerungen mit schlammverschmierten Augen sehen.
Ich wusste, dass ich achtzehn gewesen war, als Riley mich verwandelte und dass man sich körperlich nicht mehr veränderte, wenn man mal ein Vampir war. Zwei Tage nach meinem achtzehnten Geburtstag, an dem ich abgehauen war, (ich hatte bereits das ganze Geld aufgebraucht, obwohl ich sehr sparsam damit umgegangen war) hatte Riley mich dann in diesem Lokal gefunden. Die nächsten Erinnerungen waren hauptsächlich Schmerzen, deshalb brach ich ab.
Da war aber noch etwas anderes, was mich von Bree und Diego ablenkte: der Durst. Gestern hatte meine Kehle wieder leicht zu brennen angefangen. Heute war es schon schlimmer und ich glaubte, dass ich in der nächsten Nacht jagen gehen müsste, weil ich es sonst nicht schaffen würde.

Die Gabe und ein unerwarteter Abschied




Die Tür ging auf und Riley kam herein. Bree saß bereits neben mir auf dem Sofa und hatte mir alles erzählt. Wir hatten gehofft, dass Diego hinter Riley mit hereinkommen würde, doch da war nur Riley. Er blickte sich um und sah auf den Aschehaufen am Boden. Einen Moment lang war es toten still, dann flippte Riley komplett aus. Er zertrümmerte eine Stereoanlage und nahm sich dann Raul vor. Er schleuderte ihn zu Kristie und Jen, die gerade noch rechtzeitig auseinander sprangen, um nicht mitgerissen zu werden. Raul hinterließ ein großes Loch in der Wand. Ich wusste sofort, dass das kein normaler Ausflipper von Riley war. Diesmal war er ernsthaft wütend. Doch was er da tat war nicht ungefährlich. Die anderen Vampire stellten sich bereits in lockeren Grüppchen zusammen, alle in Verteidigungshaltung.
Ich

wollte aber nicht, dass hier ein Kampf ausbrach. Möglicherweise wäre Bree und Fred dabei etwas zugestoßen. Plötzlich wusste ich was zu tun war. In meinem Kopf erschien eine Karte, die ungefähr bis zu Riley ging. Jeder Punkt auf dieser Karte war beschriftet und von jedem, der auf der Karte eingezeichnet war, wusste ich, was er als nächstes tun würde. Ich schlängelte meinen Geist zwischen den anderen durch, an Kevin vorbei und direkt auf Riley zu. Kaum eine Sekunde war vergangen, als sich mein Geist endlich um Riley schmiegte. Sofort wusste ich auch, was er am liebsten tun würde, was er in fernerer Zukunft und in näherer Zukunft tun würde. Alle seine Absichten wusste ich. Unter anderen auch, dass er Jen jeden Moment ein Ohr und ein paar Haare ausreißen und dann abfackeln würde, was Jen sicher nicht so leicht genommen hätte. Deshalb dachte ich (und keinen Moment zu spät – er hatte ihr das Ohr schon ausgerissen): Du verbrennst Jens Ohr nicht. Du gibst ihr alles wieder zurück und beruhigst dich wieder.


Tatsächlich, wie durch ein Wunder, atmete er einmal tief durch um sich wieder zu beruhigen und warf dann Jen ihr Ohr und ihre Haare wieder zu. Diese befestigte ihr Ohr wieder, indem sie es ableckte (also es mit Gift benetzte). An den Haaren war nicht mehr viel zu machen – sie würde für immer eine kahle Stelle behalten.
Als nächstes würde Riley uns etwas erklären und da ich wusste, dass die Gefahr vorbei war, zog ich meinen Geist wieder zurück und jetzt war niemand mehr darin. Riley machte mit seinem Plan weiter. Er wusste genau, was er jetzt tun wollte und nahm es als selbstverständlich hin, dass er Jens Sachen doch nicht abgefackelt hatte. Als wäre alles seinem Kopf entsprungen.
Ich versank tief in Gedanken. Sehr tief, so tief, dass ich nicht mehr mitbekam, was um mich herum geschah (und das wollte schon etwas heißen, schließlich war ich ein Vampir!) Ich hatte gerade einen Vampir innerhalb einer Sekunde dazu gebracht, seine Meinung komplett zu ändern (was bei unseresgleichen nicht so einfach war. Vor allem nicht, wenn man furchtbar wütend war) und das ohne, dass er daran etwas seltsam finden würde (so viel war auf jeden Fall klar). Außerdem hatte ich zuvor erfahren, was alle anderen als nächstes tun würden beziehungsweise, was Rileys generelle Absichten waren. Aber was mich immer noch am meisten wunderte war, dass niemand außer mir etwas davon mitbekommen hatte. Nicht einmal Riley selbst! Ich wusste nicht wieso, aber ich beschloss dieses Können Gabe zu nennen. Ich konzentrierte mich noch einmal genau, um herauszufinden, was überhaupt diese Reaktion ausgelöst hatte … Es war offensichtlich geworden, dass Riley einen Kampf auf Leben und Tod provozierte. Ich hatte aber nicht gewollt, dass Fred oder Bree etwas zustieß und hatte wirklich Riley davon abhalten wollen

etwas zu tun, wodurch dann höchstwahrscheinlich ein Kampf ausgebrochen wäre. Und in dem Moment in dem ich mir nichts sehnlicher gewünscht hatte war diese Karte in meinem Kopf erschienen. Der Rest war dann von selbst gekommen und ich hatte auch genau gewusst was ich hatte tun müssen. Also ging es nur darum diese Karte zu „aktivieren“. Nochmals konzentrierte ich mich. Aber diesmal nur darauf, irgendwem zu sagen, was er machen sollte. Und tatsächlich. Nach einer sechzehntelsekunde war da wieder diese Karte mit den beschrifteten Punkten und deren Absichten, zumindest die nächsten. Doch da es diesmal nicht darum ging jemandem auf Zeit meinen Willen aufzuzwingen, schaute ich mir die Karte mal genauer an (schließlich wollte ich mehr über meine Gabe herausfinden). Jetzt ging sie nur bis zu Raul, aber ich wollte Kevin in meinen Geist kriegen. Kaum hatte ich dies gedacht, da ging die Karte auch bis zu Kevin. Was wenn ich niemanden bestimmten als Ziel hatte? Ich versuchte mir vorzustellen, dass die Karte alles, was sich im Umkreis von zehn Metern befand, anzeigte. Wieder wurde die Karte größer zeigte jetzt auch Riley, der ungefähr neun Meter entfernt stand. Jetzt da die Karte so groß war, wie ich sie wollte, konzentrierte ich mich auf meinen Geist. Geradezu zu leicht war es ihn auszudehnen. Ob ich wohl auch ganz genau bestimmen konnte, wen ich hineinzog? Ich probierte es aus. Nur Kevin

, dachte ich. Kaum war ich fertig, da war auch schon Kevin in meinem Geist. Und nur Kevin. So, wie bei Riley vorhin, wusste ich, dass er als nächstes die Augen verdrehen wollte. Ich versuchte den wirklichen Kevin zu sehen (nicht auf der Karte) und bemerkte gerade noch rechtzeitig, wie er die Augen verdrehte. Abgefahren! Außerdem hielt er gerade einen Beutel in der Hand, den er in fünf Millisekunden weiterwerfen würde und ich dachte: Nein. Du wirfst den Beutel erst in zehn Millisekunden weiter.

Und was passierte zehn Millisekunden später? Natürlich. Er warf den Beutel weiter. Triumphierend schaltete ich meine Gabe wieder aus. Einmal wollte ich noch probieren die Karte aufzurufen (Insgeheim konnte ich es nicht so glauben, dass das alles Wirklichkeit war.) Diesmal stellte ich mir nur die Karte vor, aber ohne beschriftete Punkte. Nur die Karte und wie ich meinen Geist ausdehnen konnte. Da war sie wieder! Noch einmal schaltete ich diese seltsame Eigenheit aus und konzentrierte mich wieder auf das, was in diesem Raum vor sich ging.
Ich war so in Gedanken über meine Gabe versunken gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte was Riley gesagt hatte. Ich wusste nur, dass er gerade dabei war, die Jagdgruppen für heute einzuteilen.
Es interessierte mich mächtig, wer heute auf die Jagd gehen würde, also streckte ich meinen Geist nach Riley aus: Er wollte Fred und Bree gemeinsam auf die Jagd schicken. Ich wollte mit ihnen mit, um ihnen ungestört von meiner Gabe erzählen zu können und so dachte ich: Du teilst Monique in die Jagdgruppe zu Bree und Fred ein.


„Bree, Fred und Monique. Ihr seid heute auch wieder dran“, ertönte Rileys Stimme und grinsend zog ich meinen Geist wieder zurück. Ein voller Erfolg. Bree, Fred und ich standen auf und flitzten hinaus.
Wir rannten in Richtung Stadt und flitzten durch die Gassen (zu schnell, als dass stumpfe Menschenaugen uns hätten sehen können). Die Stadt schien wie ausgestorben heute. Zumindest was den „Abschaum“ anging. Niemand lief uns über den Weg! Frustrierend war das. Ah, meine Kehle brannte! Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich bereits den zweiten Tag ohne Jagd verbracht hatte. Es hatte einfach zu viele Neuigkeiten gegeben. Bestes Beispiel: Meine Gabe. Aber ich konnte nicht einmal richtig darüber nachdenken, so sehr brannte meine Kehle. Das Suchen ging mir heute einfach nicht schnell genug und bevor ich mit Fred und Bree über meine Gabe reden konnte, musste ich erst dieses schreckliche Feuer löschen. Plötzlich kam es mir gar nicht mehr wie ein schwacher Abklatsch vor. Um die ganze Sache etwas zu beschleunigen, rief ich wieder diese Karte hervor. Kein Obdachloser weit und breit. Weiter, dachte ich, fast wahnsinnig vor Durst. Zehn Meter weiter, fünf Meter und nochmal drei Meter weiter. Da! Endlich! Drei Obdachlose hatten sich unter einer kleinen Brücke im Osten versteckt.
„Wartet einen Moment“, murmelte ich doch ich wusste Bree und Fred würden es hören also blieb ich stehen. Verwirrt starrten sie mich an. In ihren Augen glitzerte derselbe Ausdruck von Durst, der auch in meinen zu finden sein musste.
„Was ist denn? Können wir das nicht später besprechen? Ich sterbe gleich vor Durst!“ Ich lachte kurz auf, wegen der Ironie, die in Brees Worten lag.
„Nur einen Moment. Kommt euch die Stadt heute nicht auch irgendwie ausgestorben vor? Zumindest was den ,Abschaum‘ angeht? Aber ungefähr vierzehn Meter östlich sind drei Menschen. Lasst und dorthin gehen.“
„Woher willst du das wissen? Wie kannst du wissen, ob vierzehn Meter entfernt ,Abschaum‘ ist, wenn du noch nicht mal atmest. Das könntest du nur mit Sicherheit sagen, wenn du sie gerochen hättest.“ Ich war mir nicht ganz sicher wie viel ich ihnen jetzt erzählen wollte, also sagte ich nur: „Können wir das nicht später klären? Meine Kehle brennt wie verrückt!“
„Na gut. Wenn’s unbedingt sein muss.“
Leichtfüßig sprang ich auf das nächstbeste Dach und atmete einmal tief ein. Kaum hatte ich den Duft gerochen, loderte das Feuer in meiner Kehle noch höher auf (falls das überhaupt möglich war). Ein Knurren, das mich erschreckt hätte, wenn ich nicht so auf das Feuer konzentriert gewesen wäre, drang aus meiner Kehle und warnte somit Bree und Fred. Auch wenn wir Freunde waren. Bei der Jagd gab es keine Freundschaft. Das Blut war Meins! Mit einem lockeren Sprung brachte ich die vierzehn Meter hinter mich und landete direkt neben einer der drei Frauen. Als sie mich sah weiteten sich ihre Augen. Ob vor Schreck oder wegen der Schönheit, über die jeder Vampir verfügte, konnte ich nicht sagen. Da ich die leise Landung von meinen Freunden neben mir hörte knurrte ich sie noch einmal warnend an, doch dann sah ich das Blut unter der dünnen Haut der Frau pulsieren und packte sie gierig an den Schultern. Ein Schlüsselbein brach, aber ich war zu schnell und sie hatte noch keinen Laut von sich gegeben, als meine messerscharfen Zähne ihre Luftröhre durchtrennten und das Blut eilig in meinen Mund floss, als wollte es sich bemühen, mich nicht zu enttäuschen. Das Blut floss weiter meine brennende Kehle hinunter und langsam (sehr langsam) beruhigte sich das Feuer. Ich hatte den Körper gerade geleert (und ihn frustriert geschüttelt – diese Menschen hatten einfach nie genug Blut), als ich mitbekam, dass die Karte, die ich vorhin einfach nicht weiter beachtet hatte, nicht wieder verschwunden war. Immer noch zeigte mir sie jeden Mensch und Vampir, der sich im Umkreis von fünfzehn Metern befand.
Auch Bree und Fred waren mittlerweile fertig also streckte ich die Karte weiter und zum Glück waren achtzehn Meter entfernt zehn Obdachlose. Zehn! Das waren genug für uns alle.
„Hey, Leute. Achtzehn Meter entfernt sind noch zehn Obdachlose. Ich will endlich die Jagd hinter mich bringen also hole ich sie her. Keine Angst jeder von euch bekommt zwei“, fügte ich hinzu, als ich ihre entsetzten Gesichter sah.
„Ich versteh kein Wort mehr.“
„Voll deiner Meinung.“
„Ach das erklär ich euch wenn ich keinen Durst mehr hab“, murmelte ich und streckte meinen Geist aus. Diesmal achtete ich darauf, wie lange es dauerte und stellte erstaunt fest, dass ich einen Meter pro Millisekunde zurücklegen konnte. Die Menschen bewegten sich nicht vom Fleck. Wenn sie sich entschlossen hätten wegzugehen, in den achtzehn Millisekunden, die ich brauchte um sie zu erwischen, hätten sie trotzdem keine Chance gehabt mir zu entkommen, selbst wenn sie gelaufen wären. Ich traute mich sogar zu behaupten, dass sie es nicht geschafft hätten, wären sie Vampire gewesen. Ein halber Meter noch und … sie waren gerade dabei, sich in Richtung Forks aufzumachen. Offensichtlich konnte ich nicht nur wissen, was jemand als nächstes tun würde, sondern auch, was dieser jemand gerade jetzt tat, wenn ich ihn nicht mit meinen Augen sehen konnte.
Ihr dreht sofort um und kommt auf schnellstmöglichem Weg direkt zu uns. Alle.


Sie drehten sich um und begannen alle zu laufen. In menschlicher Geschwindigkeit dauerte das alles natürlich doppelt so lange (sie brauchten fünf Minuten, während wir wahrscheinlich nur fünf Millisekunden gebraucht hätten). Um schon mal vorzusorgen, damit wir keine unnötige Aufmerksamkeit bekamen, dachte ich: Wenn ihr gleich Vampire seht, fallen sieben von euch in zwei zweier Gruppen und einer dreier Gruppe in Ohnmacht und die anderen drei gehen direkt auf jeweils einen von uns zu.

Das seltsame daran war, dass ich wusste, sie würden in Ohnmacht fallen. Eigentlich musste man dafür doch irgendwie verletzt werden, oder? Ich meine, einfach so in Ohnmacht zu fallen, ohne dass irgendwas passiert ist geht doch normalerweise nicht.
„Oh mein Gott“, kam es von Bree und Fred gleichzeitig. Die ersten drei Menschen waren gerade um die Ecke gebogen und ein Mädchen (so wie sie aussah war sie vierzehn) ging direkt auf mich zu. Die anderen beiden verteilten sich auf Bree und Fred.
„Unmöglich“, hörte ich Fred murmeln, als die restlichen sieben in den Gruppen, in die ich sie gewiesen hatte, in Ohnmacht fielen. Doch es war mir bereits egal. Ich hatte gerade das eine Mädchen genauer angesehen und sah den Puls unter ihrer dünnen Haut pulsieren. Jetzt konnte ich nicht mehr denken. Obwohl das Feuer schon gemildert worden war, loderte es wieder extrem auf, als sich meine Zähne in den Hals des Mädchens gruben und endlich süßes, heißes Blut meine Kehle hinunter floss. Ich saugte und schluckte und nach einer angenehmen Weile war ich auch schon wieder fertig. Hastig warf ich den leergetrunkenen Körper des Mädchens beiseite und er war noch nicht auf dem Boden gelandet, da hatte ich das nächste Mädchen schon wieder halb leergesaugt. Es war so angenehm, nicht dazwischen warten zu müssen, bis man jemand anderen fand, dass ich erst wieder richtig zur Vernunft kam, als alle Menschen nur noch als Leichen um uns herum lagen. Suchend schaute ich mich nach Bree und Fred um und fand sie einige Meter von mir entfernt. Sie schauten mich irgendwie seltsam an, fast als hätten sie Angst vor mir.
„Kommt. Lasst uns diese Leichen verstecken. Dann können wir reden“, sagte ich leise immer noch verunsichert wegen ihrem Gesichtsausdruck. Sie nickten nur wortlos. Ich schnappte mir meine drei Leichen (mir viel erst jetzt auf, dass alle Mädchen unter achtzehn waren) und machte mich auf den Weg zum nächsten Fluss, der zehn Meter östlich lag (auf meiner Karte im Kopf konnte ich auch die Landschaft erkennen).
Nachdem auch dies erledigt war, hatte ich keine Ausreden mehr, um meine Erklärung noch zu verzögern also versuchte ich so gut es ging alles zu erzählen:
„Also. Als Riley vorhin so wütend wurde, da hatte ich plötzlich schreckliche Angst um euch. Ich wollte nicht, dass euch etwas zustieß. Genau in dem Moment, in dem ich mir nichts sehnlicher wünschte, als euch zu beschützen, erschien plötzlich eine Karte in meinem Kopf. Ich konnte auf dieser Karte zweiundzwanzig Punkte sehen, alle waren mit Namen beschriftet. Aus irgendeiner Intuition heraus wusste ich, dass ich meinen ,Geist‘ ausdehnen musste. Ich dehnte ihn aus und schloss Riley, nur Riley, hinein. Von da an wusste ich, was er als nächstes tun würde. Er wollte Jen ihre Sachen gar nicht zurückgeben. Er wollte sie eigentlich abfackeln, doch ich wusste, das dies einen waren Krieg ausgelöst hätte, deswegen verhinderte ich es. Ich befahl ihm in Gedanken, etwas anderes zu tun und es funktionierte. Er machte genau das, was ich wollte. Außerdem zweifelte er meinen Befehl nicht an und er wird auch nie auf die Idee kommen, dass das gar nicht seinem Kopf entsprungen ist. Ich weiß nicht warum ich das kann, nur das ich es kann. Und, ich weiß wieder nicht warum, aber ich glaube, dass es eine Art Gabe ist. So in etwa wie bei dir“, schloss ich und schaute Fred direkt in die Augen. Es schien Ewigkeiten her, dass wir darüber gesprochen hatten. Freds Gabe. Dieser Ekel, das war eine Gabe. Eine lange Geschichte. Aber jetzt da ich nochmal darüber nachdachte kam mir in den Sinn, dass manche Vampire vielleicht wirklich Gaben hatten.
„Tja. Also … ähm … Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber das macht mir weniger aus, als ich gedacht hätte. Es ist mir sogar eigentlich egal. Ich will nur, dass wir weiter befreundet bleiben. Zumindest bis wir diese Schlacht in vier Tagen hinter uns haben“, meinte Bree.
„Oh. Okay. Freut mich, dass ihr so darüber … WAS? Wir ziehen in vier Tagen in eine Schlacht?“
„Ja. Hast du das nicht mitgekriegt?“
„Nöh. Offensichtlich nicht. War zu sehr in Gedanken versunken. Über meine Gabe“, fügte ich hinzu, als sie mich komisch ansahen.
„Riley hat es erklärt, nachdem er Jen ihr Ohr wieder zurückgegeben hatte. In vier Tagen ziehen wir gegen einen anderen Zirkel aus Forks in die Schlacht. Außerdem soll dieser Zirkel verschiedene Begabungen haben. Einer soll sogar Gedanken lesen können.“
„Oh. Aber ich will nicht in irgendeine Schlacht ziehen“, sprudelte es aus meinem Mund und kaum hatte ich das gesagt, wusste ich auch schon, was die einzige Lösung war.
„Ich werde weggehen. Noch heute. Ich werde diesen Zirkel warnen und wenn es das letzte ist, was ich tue.“
„Aber ich will mich nicht von dir trennen“, kam es kleinlaut von Bree.
„Ja. Ich auch nicht“, stimmte Fred ihr zu, doch niemand konnte mich aufhalten. Ich würde diesen Zirkel warnen und wenn es mit meinem Tod enden würde.
„Ihr könnt ja mitkommen“, bot ich ihnen an, doch insgeheim wusste ich (und meine Gabe hatte nichts damit zu tun. Ehrlich!), dass sie nicht mitkommen würden und ich bekam es auch gleich bestätigt:
„Ich nicht. Es tut mir wirklich leid, aber ich möchte noch auf Diego warten“, kam es von Bree und auch Fred sagte: „Es tut auch mir Leid, aber irgendwas sagt mir, dass ich auch bleiben soll. Ich weiß nicht was es ist, aber ich bleibe auch.“
„Na gut. Aber wenn ihr schon nicht mitkommt, könnt ihr mich dann nicht wenigstens bei Riley decken, und ihn glauben lassen ich sei tot? Das wär echt nett. Das ist das einzige, was ich noch von euch verlange“, bei dem Wort „verlange“ versagte meine Stimme und ich begann leise zu schluchzen. Ich hatte noch nie geweint in diesem Körper, doch jetzt wusste ich, dass es ein trockenes Weinen war. Schließlich konnte ich ja keine Körpersekrete mehr von mir geben.
„Ich …“, weiter kam ich einfach nicht. Bree und Fred waren mir gleichzeitig um den Hals gefallen und jetzt schluchzten wir alle drei. Niemand vergoss auch nur eine Träne doch unser hartes, stehengebliebenes Herz schien wieder lebendig zu werden und zu bluten. Oder vielleicht war es auch nur das Herz unserer Seele, das zu bluten anfing.
Nach einer größeren Ewigkeit (zumindest kam es mir so vor – in Wirklichkeit waren wir nur wenige Minuten aneinander geklebt) lösten wir uns wieder von einander.
„Dann gehen wir jetzt wohl getrennte Wege“, brachte ich gerade noch heraus bevor mir wieder ein großer Schluchzer entfuhr.
„Ja, da hast du Recht. Ich werde dich vermissen“, sagte Bree mit einer seltsam vom Schluchzen gebrochenen Stimme.
„Ja, du wirst mir auch wahnsinnig fehlen“, kam es jetzt auch ein wenig leise von Fred.
„Ihr werdet mir beide supermega fehlen und ich werde euch nie und nimmer vergessen! Außerdem werde ich die sein, die am meisten trauert, sollte ich je von eurem Tod erfahren.“ Ja, ich geb‘s ja zu das war jetzt ein bisschen sehr kitschig, aber ich wusste einfach nicht, wie ich meiner Trauer mit Worten gerecht werden konnte.
„Na dann.“
„Na dann.“
„Na dann.“
Ich umarmte noch einmal alle beide und dann drehte ich mich Richtung Norden – mit anderen Worten Richtung Forks. Ich rannte und rannte, ohne darauf zu achten, wer mich sah. Und während ich rannte ließ ich meinem Kummer freien Lauf. Schließlich hatte ich gerade freiwillig die einzigen Freunde verlassen, die ich je gehabt hatte. Laut schluchzend rannte ich weiter nach Forks.

Etwas andere Vampire




Nachdem ich eine Weile gerannt war, verkroch ich mich in einem kleinen Loch in einem Baum. Ich wollte noch ein kleines Bisschen meiner Fassung zurückbekommen, bevor ich mich einem anderen Zirkel stellen musste.
Ich versuchte wieder einen Rhythmus zu bekommen. Ein Schluchzer, einmal tief einatmen, fünf Sekunden die Luft anhalten und wieder ausatmen. Ein Schluchzer, einmal tief einatmen, fünf Sekunden die Luft anhalten und wieder ausatmen. So ging es eine ganze Weile und am Ende wusste ich nicht mehr, wie lange ich so da gesessen und um meine Fassung gerungen hatte. Schließlich schaffte ich es mich damit abzufinden und wieder einatmen und ausatmen als Rhythmus zu kriegen.
Außerdem streckte ich meinen Geist aus, um eine ungefähre Ahnung zu bekommen, wo sich dieser andere Zirkel befand und wie viele es wirklich waren. Wie sollte ich ihnen bloß klar machen, dass ich sie warnen wollte? Sie würden mir doch sicher nicht trauen. Ich schob dieses Thema allerdings beiseite und beschloss, mich erst darum zu kümmern, wenn es so weit war.
Komm schon. Hier müsst ihr doch irgendwo sein. Komm Geist. Finde diesen anderen Zirkel!


Fünfzig Meter, hundert, zweihundert und … Ja! Da waren zweihundertdreißig Meter entfernt andere Leute. Es waren keine Menschen. Es waren Vampire! Schnell zählte ich durch und verzweifelte. Einmal, zweimal. Doch es wurden einfach nicht weniger. Es blieb dabei: sieben Vampire (würden sie sich gegen mich wenden, hätte ich nicht mal die Chance mich mit meiner Gabe zu verteidigen) und ein Mensch. Ich wusste nicht, was diese Frau da machte, wusste nur, dass sie da war. Komischerweise konnte ich sie auch nicht in meinen Geist schließen. Ich sah sie zwar auf der Karte, aber mein Geist schmiegte sich nur um sie herum. Egal. Ein Mensch war nicht so wichtig.
Was mir mehr Sorgen machte, waren diese komischen Wölfe. Ich wusste, dass es keine normalen Wölfe waren, weil ich sie in meinen Geist schließen konnte und bei normalen Tieren war das nicht möglich – ich sah normale Tiere nur auf meiner Karte. Aber wenn ich sie in meinen Geist schließen konnte, dann konnte ich sie auch zu etwas zwingen. So viel war schon mal klar. Also ganz hilflos war ich auch nicht.
Ach es brachte doch alles nichts. Ich konnte die Begegnung nicht länger vor mir herschieben. Ich musste einfach darauf hoffen, dass sie mich so lange reden ließen, bis ich sie gewarnt hatte. Dann konnten sie mich von mir aus umbringen. Das war mir egal.
Langsam (sehr langsam für meine Verhältnisse) kroch ich aus meinem Loch und machte mich auf den Weg, den mir die Karte zeigte. Ich lief nicht zu schnell, um sie nicht glauben zu lassen, dass ich sie angreifen wollte.
Als ich noch etwa zehn Meter entfernt war, beschloss ich, dass sie sowieso schon wussten dass ich da war, also würde ich die letzten paar Meter mit einem lässigen Sprung hinter mich bringen.
So elegant, wie nur ein Vampir es konnte, landete ich genau in der Mitte. Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Ich ließ meinen eigenen Blick durch die Runde schweifen, um mir ein ungefähres Bild von meinen Gegnern zu machen (auch wenn ich sie nicht wirklich als diese sah).
Da waren erstmal ein rothaariger Vampir und die Menschenfrau, die sich (ich konnte es kaum glauben) dicht an seine Brust schmiegte. Der Rotschopf war mir auf irgendeine Art und Weise unheimlich, also blickte ich schnell wieder zu der Frau. Sie sah nicht verängstigt aus und sie musterte mich mit einem Ausdruck, den ich nur als interessiert bezeichnen konnte. Wusste sie nicht, was wir waren? Warum war sie, allem Anschein nach, nicht verängstigt? Unbewusst atmete ich ein und roch das Beste, was ich je gerochen hatte. Es war ihr Blut. Es roch so … ich fand einfach nicht die richtigen Worte. Süß und blumig. Das war nur ein schwacher Vergleich und er konnte dem Geruch dieses leckeren Blutes kaum gerecht werden. Ah! Obwohl ich gerade auf der Jagd gewesen war, wollte ich sie unbedingt. Es kam mir vor, als würde ich sterben, wenn ich dieses Blut nicht trinken konnte. Und dann schweifte mein Blick wieder zu dem Rotschopf (ich konnte einfach das Blut nicht pulsieren sehen unter dieser dünnen weichen Haut) und ich wusste, dass ich sterben würde, wenn ich auch nur den Versuch wagen würde, an sie heran zu kommen. Um mich von diesem köstlichen Duft wieder befreien zu können, hielt ich die Luft an und ließ meinen Blick weiter wandern.
Da war ein blonder Vampir. Er schien in etwa dieselbe Aufgabe zu haben, wie Riley bei uns gehabt hatte. Neben ihm stand eine Frau, die wachsam seine Hand hielt. Sie musterte mich ebenfalls, doch ich konnte den Ausdruck in ihrem Gesicht nicht deuten. Noch nie hatte mich jemand so angesehen, deshalb fand ich auch kein Wort, das diesen Ausdruck hätte beschreiben können. Auch der Blonde musterte mich interessiert. Es war ein total unangenehmes Gefühl. Schließlich hatte mich noch nie jemand interessiert angesehen. Höchstens abwertend.
Mein Blick schweifte weiter zu einem weiteren Vampir-Paar. Die Frau war die schönste, die ich je gesehen hatte. Sie war schöner, als jeder Vampir, dem ich je begegnet war. Daraus schloss ich, dass sie schon vor ihrem Leben als Vampir eine enorme Schönheit besessen hatte. An ihrer Seite stand ein Mann, der sehr muskulös wirkte. Ich wusste, dass er stärker war als die anderen auf dieser Lichtung, natürlich außer mir. Ich war die stärkste. Und das war auch ein tolles Gefühl, zu wissen, dass ich wenigstens die Chance hatte mich zu wehren. Ich war erst seit kurzem ein Vampir und hatte somit mehr Kraft, als die anderen. Dieser Vampir mit den dunklen, fast schwarzen, Haaren musterte mich mit einem amüsierten Ausdruck. Er kam mir irgendwie, wie der Clown hier vor. Es schien so, als hätte er immer einen Witz parat und als sei sein Lächeln eingraviert worden.
Wieder wanderte mein Blick weiter und landete jetzt bei dem letzten Paar auf dieser Lichtung. Es waren eine sehr kleine Frau und noch ein blonder Vampir, der schon eher die Reaktion zeigte, die ich mir erwartet hatte. Keiner hatte mich bis jetzt misstrauisch angesehen. Doch dieser blonde Vampir schien mir ganz und gar nicht zu trauen und mein Geist bestätigte diese Meinung nur. Und ich traute ihm auch nicht. Er war über und über mit Narben versehen, die auf mich wirkten, wie ein leuchtendes Neonschild auf dem blinkende Buchstaben Gefahr!

schrien. Außerdem musterte er mich so, wie ich mein ganzes Leben schon angeschaut worden war (auch bevor ich zum Vampir wurde). Die Frau, die an seiner Seite stand, schien sich gar nicht für mich zu interessieren. Sie starrte immer wieder zu diesen seltsamen Wölfen mit einem Ausdruck, den ich nur frustriert nennen konnte. Außerdem warf sie ihrem Gefährten und diesem Rotschopf immer wieder einen besorgten beziehungsweise wissenden Blick zu.
Was mich allerdings am meisten verwirrte, waren die gelben Augen der Vampire. Jeder Vampir, den ich bis jetzt gesehen hatte, hatte rote Augen gehabt. Wieso waren die Augen dieser Vampire gelb? Das ergab überhaupt keinen Sinn.
Mein Blick schweifte weiter zu den Wölfen und ich beschloss, abzuwarten, wie sie beziehungsweise die Vampire reagieren würden (ich wurde aus den Wölfen einfach nicht schlau – so etwas hatte ich noch nie gesehen. Und ihre Denkweise! Als würden sie alle zusammen entscheiden aber trotzdem irgendwie eigenwillig. Sowas von unlogisch!).
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis endlich etwas passierte. Außerdem wurde ich aus dem Ausdruck in dem Gesicht des blonden, den ich für den Anführer hielt, nicht schlau. Da war nichts Blutrünstiges oder ähnliches. Bei allen war nichts Blutrünstiges oder wahnsinniges zu entdecken (der andere Blonde mal ausgenommen). Aber der erste Blonde sah einfach nur ernsthaft interessiert aus. Und dann nach etwa fünfzehn Sekunden (mir waren sie wirklich wie eine Ewigkeit vorgekommen) passierte endlich etwas.
Ich sah es kommen, doch ich ließ es über mich ergehen. Ich wollte sie nicht gleich am Anfang misstrauisch stimmen. Der Blonde, der eben noch neben der kleinen elfenhaft wirkenden Frau gestanden hatte, schob einen mit Narben übersäten Arm unter mein Kinn und den anderen schlang er um meine Taille, so dass er mich jeden Moment hätte vernichten können. Na das war mal eine Reaktion, mit der ich gerechnet hatte. Doch die anderen Vampire schienen überhaupt nicht damit gerechnet zu haben. Der blonde Anführer schaute sogar entsetzt drein, als wäre der andere Blonde verrückt geworden. Nur der Rotschopf schien nicht überrascht.
„Eine falsche Bewegung und du bist geliefert, klar?“, murmelte eine Männerstimme an meinem Ohr. Das war mir eigentlich gar nicht so wichtig, ich hatte diese Worte schon oft gehört. Außerdem hatte ich ja auch damit gerechnet. Eher verwirrte mich die Reaktion des blonden Anführers.
„Jasper, was soll das? Hat sie dir irgendwas getan? Du kannst sie doch nicht einfach so umbringen. Sie hat uns nicht einmal angeknurrt.“ Da hatte er natürlich Recht. Ich hatte bis jetzt noch keinen Mucks von mir gegeben. Aber ich hatte ja mit der Reaktion des narbenübersäten Blonden gerechnet. Bis jetzt hatte ich noch nie so etwas wie Respekt erfahren also was hatte ich getan, dass er mir zu vertrauen

schien? Konnte mich mal bitte jemand aufklären?
Seine Fragen hatten bereits Antworten bekommen. Diese Wölfe, oder was auch immer sie waren, knurrten und auch Jasper hinter mir entfuhr bedrohliches Zischen.
„Carlisle“, sagte Jasper mit nur mühsam beherrschter Stimme. „Wir können nicht einfach eine Neugeborene so nah bei Bella rumlaufen lassen geschweige denn, sie bei uns aufnehmen. Was würden die Volturi denken? Sie würden glauben, dass wir dieses Chaos verursachten und würden uns

bestrafen.“ Ich hatte keine Ahnung wer oder was diese Volturi sein sollten, aber es ärgerte mich ein bisschen, wie er mich genannt hatte. Neugeborene. Als wäre ich ein Baby. Pah!
„Aber Jasper. Ich sage ja gar nicht, dass wir sie aufnehmen. Das überlasse ich ihr. Wir können sie nur nicht einfach kaltblütig umbringen. So würden die Volturi handeln, nicht wir.“ Wieder kam ein bedrohliches Knurren von den Wölfen und Carlisle sagte, in nicht mehr ganz so sanftem Ton, zu ihnen (was ich eigentlich gar nicht so seltsam fand – sie wirkten einfach zu menschlich auf mich): „Ich schlage vor, dass ihr geht. Das ist zwar auch eure Angelegenheit, aber wir werden schon mit ihr fertig. Keine Angst. In drei Tagen bekommt ihr genug zu tun.“ Diese Aussage verwirrte mich. Was meinte er mit In drei Tagen bekommt ihr genug zu tun.

?
„Wir denken gar nicht daran“, sagte nun der Rotschopf mit einer seltsam ausdruckslosen Stimme. Was hatte der mit all dem zu tun? Ich verstand überhaupt nichts mehr. Doch was ich wusste, war, dass diese Wölfe wirklich verschwinden sollten und dass sie nicht vorhatten, dies zu tun. Also wollte ich ein bisschen nachhelfen. Ich mochte diesen Carlisle und war außerdem der Meinung, dass er wusste, was das Beste war. Ich hatte bereits alle in meinem Geist, um ihre Absichten vorauszusehen. Also dachte ich, Die Wölfe befolgen Carlisles Rat und verschwinden.


Ich hatte gerade erst fertig gedacht, da passierte dreierlei gleichzeitig. 1) Die Wölfe machten, was ich ihnen befohlen hatte. 2) Das sorgte für allgemeine Verwirrung. Doch sie nahmen es einfach hin. 3) Dieser Rothaarige schnappte hörbar nach Luft, nachdem ich zu Ende gedacht hatte. Sofort drehten sich alle Köpfe zu ihm, doch er murmelte bloß: „Sie soll es euch selbst erklären.“ Na, toll. Jetzt musste ich schon mal meine Gabe erklären, was sie zu hundert Prozent misstrauisch stimmen würde. Wirklich! Einfach klasse! Ich verdrehte die Augen. Carlisle schien das bemerkt zu haben und er wandte sich wieder an mich.
„So. Nun zu dir“, sagte Carlisle nach einer Weile zu mir und schaute dann sofort zu dem Rotschopf.
„Sie ist von der Armee; kam hierher, um uns vor dem Angriff zu warnen; sie hat nicht vor uns etwas zu tun; wurde bis jetzt kaum mit Respekt behandelt; sie ist jung, sehr jung: nur drei Tage alt und sie mag dich, Carlisle“, spulte er mechanisch und neutral herunter. Jetzt kam ich nicht mehr mit. Wie hatte er das herausgefunden? Ich hatte es doch nicht laut ausgesprochen … aber gedacht

, schoss es mir durch den Kopf. Sofort schlichen sich wieder Brees Worte in mein Gedächtnis: Einer soll sogar Gedanken lesen können.

Dieser Rotschopf war also der Gedankenleser. Deswegen hatte er auch nach Luft geschnappt, als ich meine Gabe angewendet hatte. Das erklärte so einiges. Diese Vampire kamen mir von Minute zu Minute ungewöhnlicher vor.
„Danke, Edward. Wie heißt du, Mädchen?“, wandte sich Carlisle wieder an mich.
Erschrocken zuckte ich zusammen. Ich hatte nicht erwartet, so direkt angesprochen zu werden – auch wenn es ziemlich schwierig war, mich jetzt zu überraschen.
„Ähm. Monique. Ich bin Monique Evans“, brachte ich kleinlaut hervor.
„Versprichst du, uns und besonders Bella nichts zu tun? Dann können wir etwas gemütlicher reden.“ Sein Blick schweifte zu Jasper, der mich immer noch festhielt.
„Ja. Ich verspreche es. Ich will euch nichts tun.“
„Jasper, lass sie los.“
Doch Jasper machte keine Anstalten, mich los zu lassen.
„Jasper“, sagte nun eine Frauenstimme und da sie recht hoch klang, ordnete ich sie seiner feenhaften Gefährtin zu. Ich spürte, wie Jasper zusammenzuckte, als sie ihm eine Hand auf die Schulter legte.
„Sie wird uns und Bella nicht anfassen. Dazu hatte sie eine viel zu schlechte Vergangenheit. Lass sie los. Oder traust du mir und Edward etwa nicht?“ Wieder wurde ich aus ihrer Unterhaltung nicht ganz schlau, aber ich beschloss einfach weiterhin abzuwarten, bis ich in aller Ruhe mit ihnen geredet hatte. Also blickte ich nur verwirrt drein. Auch wenn sie mir offensichtlich nichts tun wollten (Jasper mal ausgenommen), wollte ich ihnen keinen Grund liefern, ihre Meinung zu ändern.
Seufzend ließ Jasper mich los. Seine Lippen an meinem Ohr flüsterten noch: „Ich behalte dich im Auge“, und damit stand ich endgültig alleine da.
„Am besten ist es, wenn wir Bella erstmal nach Hause bringen. Edward, würdest du Bella zu Charlie bringen? Ich glaube, sie kann ein wenig Ruhe gebrauchen“, sagte Carlisle lächelnd zu Mr. Rotschopf-Edward.
„Aber ich möchte nicht …“, der Rest dieses Satzes verschwand in einem lautem Gähnen, dem ein allgemeines Augenverdrehen folgte. Offensichtlich versuchte diese Bella immer alles herunter zu spielen. Ich wagte einen neugierigen Blick und bereute es sofort. Das Feuer, das sich zwischendurch wieder beruhigt hatte, loderte erneut auf und ich konnte mich nur mühsam beherrschen. Denn ich wusste, egal wie sehr sie mir vertrauten, sie würden mich auf der Stelle vernichten, sollte ich es auch nur probieren an diese Bella ranzukommen.
„Komm, Liebste. Charlie wird nicht sonderlich erfreut sein, wenn du in der Früh nicht zu Hause bist, wenn er aufwacht“, sagte Edward. Offensichtlich war ihm bewusst, wie sehr seine Bella in Gefahr war und dass meine Selbstbeherrschung ziemlich an einem seidenen Faden hing, der jeder Zeit reißen könnte. Aber natürlich wusste er das. Er konnte ja in meinen Kopf schauen! Sanft zog er Bella auf seinen Rücken und lief in Richtung Forks davon.
„Du hast dich ja schon vorgestellt, also machen wir das auch: Ich bin Carlisle und das ist meine Frau Esme“, sagte Carlisle und deutete dabei auf sich und die Frau, die neben ihm stand.
„Wir sind Rosalie und Emmett“, sagte da die Blondine und auch Jasper meinte: „Ich bin Jasper und die kleine Nervensäge da ist Alice.“ Die ,Nervensäge‘ kam so liebevoll über seine Lippen, dass ich gar nicht anders konnte, als zu lächeln.
„Zusammen sind wir die Cullens“, sagte Carlisle noch abschließend.
Der Rotschopf kam wieder zurück. Diesmal ohne seine Bella.
„Bella schläft. Jacob und Embry halten vor dem Haus Wache“, sagte dieser Edward und gesellte sich dann neben Jasper und sagte etwas leiser zu ihm (obwohl er natürlich wusste, dass wir alle es hören konnten): „Jasper, Alice und ich sind uns sicher, dass in den nächsten Minuten nichts passieren wird. Entspann dich ein bisschen. Du siehst doch selbst, wie verängstigt sie ist. Und du spürst es auch. Sie wird so bald nichts tun, was uns in Schwierigkeiten bringen könnte.“
Ich spürte, wie Emmett mit dem Gedanken spielte, gegen mich zu kämpfen. Er war sehr stark, das war mir klar, aber ich war neugeboren und damit viel stärker als er. Außerdem war die Aussicht auf einen Kampf zu verlockend. Es war schon länger her, dass ich das letzte Mal gekämpft hatte.
„Dann tu’s doch, Emmett“, entfuhr es mir. Verdutzt schauten mich alle an, doch ich ignorierte sie. Ich ging in eine geduckte Haltung über und schloss alle außer Emmett aus meinem Geist aus. Jetzt gab es nichts mehr, was mich hätte aufhalten können. Ich war schon immer eine gute Kämpferin gewesen, das lag mir im Blut (ja ich weiß, das ist schon ein bisschen ironisch). Meine Mutter war Chinesin (ich sah ihr allerdings kein bisschen ähnlich) gewesen und ihr war es beim Kämpfen genau so ergangen, wie mir: Alle anderen Gedanken verschwanden. Es gab nur noch den Gedanken, wie ich meinen Gegner am besten besiegen konnte. Und dabei konnte mir so schnell keiner was vormachen. Immer schneller fielen mir die verschiedensten Schlagabfolgen ein, die alle damit endeten, dass mein Gegner sich irgendwann nicht mehr wehren konnte.
„Nein!“, hörte ich Edward und Alice gleichzeitig zischen, aber es war schon zu spät. Emmett hatte sich ebenfalls auf den Kampf vorbereitet, immer noch grinsend. Knurrend stürzte sich Emmett auf mich, doch ich war vorbereitet (und dazu brauchte ich meine Gabe nicht einmal) und wirbelte blitzschnell herum. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als ich ihn leise fluchen hörte. Es fühlte sich an, als würden wir in Zeitlupe kämpfen, so war es schon immer gewesen. Eine Weile wich ich ihm nur aus, um herauszufinden, wie er kämpfte und dann genau darauf eingehen zu können und ihn an seinen Schwachpunkten angreifen zu können. Seine Kraft war auf jeden Fall seine größte Stärke (auch wenn das bei mir egal war) und darauf verließ er sich auch. Doch wenn ich schnell und gezielt angreifen würde, dann konnte ich ihn sicher überrumpeln. Ich tanzte immer schneller um ihn herum und schlug immer schneller zu. Seine Augen wurden immer größer: damit hatte er offensichtlich nicht gerechnet. Auch die anderen nicht: Im Augenwinkel sah ich, wie die gelben Augen der Cullens immer größer wurden und ihre Gesichte immer ungläubiger. Und dann… standen wir plötzlich still. Mein Arm ruhte unter seinem Kinn. Jetzt lächelte Emmett nicht mehr. Niemand lächelte, außer mir. Alle starrten mich an und warteten ab, was ich als nächstes tun würde. Ich genoss noch für einen Moment den Sieg und ließ ihn dann los.
Es waren kaum zwei Sekunden vergangen, da stürzte sich auch schon Jasper auf mich. Ich konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen, aber schon nach diesem ersten Angriff wusste ich, dass dies ein weitaus schwieriger Kampf werden würde. Noch ein schneller Satz zur Seite war nötig, um nicht sofort den Kampf zu verlieren. Ein verblüfftes Lachen entfuhr mir. So einen guten Gegner hatte ich nicht mehr gehabt, seit meine Mom gestorben war. Sie war bis jetzt die einzige gewesen, die mir so ergeben war. Immer wieder musste ich ihm ausweichen und kam kaum dazu, seine Taktik zu erfahren. Doch die Zeit war mein Vorteil. Eine halbe Ewigkeit tanzten wir so umeinander herum und es schien nie ein Ende in Sicht zu sein. Dann aus dem Nichts mischte sich plötzlich Mr. Rotschopf in den Kampf ein. Wieder wich ich nur aus, aber sie schafften es trotzdem noch nicht mich zu besiegen, obwohl Edward genau wusste, was mein nächster Zug war. Außerdem wusste ich das ja auch. Meine Gabe war mir extrem hilfreich, auch wenn ich es auch ohne meine Gabe immer schon ganz gut geahnt hatte, was jemand anders tun würde. Emmett hatte sich offensichtlich von seiner Niederlage erholt, denn auch er mischte sich jetzt in den Kampf ein. Jetzt wurde es deutlich schwieriger, doch ich hatte immer noch die Oberhand und das wussten sie. Ihre einzige Chance war, mich exakt gleich und an verschiedenen Punkten anzugreifen. Kaum hatte ich dies zu Ende gedacht, fluchte ich auch schon innerlich. Edward hatte seine Chance natürlich gehört. Ich weiß nicht wie, aber er hatte es auch schon den anderen mitgeteilt. Ich sah es zwar kommen, aber ich konnte es nicht verhindern. Sie waren einfach zu präzise. Jaspers Arm schob sich blitzschnell unter mein Kinn (wieder einmal), Edward schlang seinen Arm um meine Taille und Emmett hielt mir die Arme auf dem Rücken zusammen.
„Na, gut. Na, gut“, sagte ich. „Ich ergebe mich. Aber du musst unbedingt nochmal mit mir kämpfen, Jasper. So einen guten Gegner wie dich hatte ich schon Ewigkeiten nicht mehr und ich kann nichts weniger ausstehen, als einen Kampf, der nach zwei Sekunden beendet ist.“ Jetzt schauten mich alle noch komischer an. Naja, es war ja nichts neues, dass ich komisch angeschaut wurde.
„Wieso kannst du so gut kämpfen?“, fragte Jasper endlich.
„Das … das ist eine lange Geschichte“, wich ich ihm aus. Ich wollt nicht über meine Lebensgeschichte und vor allem nicht über meine Mutter reden.
„Ich denke, wir haben alle Zeit, sie uns anzuhören“, drängte er.
Doch Edward hatte mein Problem natürlich bemerkt und half mir aus der Patsche (zumindest fürs Erste): „Wie wär’s, wenn wir zuerst nach Hause gehen? Monique sieht aus, als könnte sie mal ganz gut eine Dusche vertragen.“ Der Blick den er mir dabei zuwarf, sagte mehr als tausend Worte.
„Ich denke, Edward hat Recht“, mischte sich nun auch Carlisle ein und was Carlilse sagte, war normalerweise zu befolgen, das konnte ich aus dem Ton heraushören, in dem er das sagte. Jetzt musste sich Jasper wohl geschlagen geben.
„In Ordnung.“
„Wenn du mir bitte folgen würdest, Monique!“, forderte Carlisle mich auf und schon rannte er durch den Wald.
Ich tat wie geheißen und folgte ihm, während ich die anderen hinter mir hören konnte. Es dauerte nicht lange. Als wir auf die große Lichtung mit dem riesigen weißen Haus kamen, blieb ich abrupt stehen.
Dieses Haus war riesig. Und es war offen, voller Glasfenster und voller Menschengeruch. Nein, ich muss mich korrigieren: voller Bellageruch. Sofort hielt ich die Luft an in der Hoffnung, der brennende Schmerz in meiner Kehle würde verschwinden, wenn auch der Geruch aus meiner verschwand, doch leider behiel ich nicht Recht.
Als ich schmerzvoll aufstöhnte und mir an die Kehle griff, sahen mich alle außer Edward, Jasper und Alice verständnislos an. Klar, sie wussten ja auch, was der Grund für meine Reaktion war. Edward konnte es in meinen Gedanken lesen, Jasper wusste es wahrscheinlich aus großteils eigener Erfahrung und Alice hatte es natürlich kommen sehen. Carlisle fragte mich natürlich sofort besorgt, was los sei, doch ich antwortete nur mit einem kurzen Nicken in Edwards Richtung. Sollte doch Mr. Rotschopf es ihm erklären. Ich jedenfalls wollte nur von hier weg, doch aus irgendeinem Grund wusste ich, dass ich keine Chance hatte, zu entkommen. Sie würden denken, ich führte etwas im Schilde und würden mich jagen.
Apropos jagen: Wieso hatte ich solchen Durst, obwohl ich erst gestern (verdammt gestern!) fünf Menschen ausgesaugt hatte. Edward sog entsetzt Luft ein, als ich das dachte. Naja, sein Pech - wenn ihm nicht gefiel, wie ich mit meinem Schicksal umging, sollte er sich aus meinen Gedanken raushalten... Aber zurück zum Thema: Normalerweise müsste ich jetzt bis mindestens morgen ohne diesen brennenden Schmerz in meiner Kehle auskommen. Warum war er plötzlich wieder da? Was sollte das? Stimmte etwas nicht mit mir? Lag es womöglich an meiner Gabe? Nein, unmöglich, oder etwa doch? War der Durst, der offensichtlich auf den Gebrauch meiner Gabe folgte, eine Warnung, dass ich sie nicht zu oft einsetzten sollte? Ein Punkt, der mich in Schach hielt, damit ich nicht übermütig wurde und jeden kontrollierte, der mir über den Weg lief? Hmmm, das wäre natürlich möglich. Vielleicht hatte einer der Gelbaugen eine Idee dazu. Die schienen ja alle ziemlich gebildet zu sein.
Plötzlich riss mich Carlisle aus meinen Gedanken: "Du kannst dich auch gerne hinsetzen, wenn du möchtest." Was sollte das denn bitte? War es für sie nicht auch genauso bequem zu stehen? War das bei ihnen anders? Wahrscheinlich nicht, aber bei Vampiren mit gelben Augen war wahrscheinlich alles möglich. Um nicht unhöflich zu sein, antwortete ich knapp: "Nein, danke. Ich stehe lieber." Sie nahmen es wortlos hin.
"Nun, Monique. Ich weiß, dass das jetzt alles ein bisschenn verwirrend ist. Die Sache mit dem Durst und der Armee von der du kommst und so weiter. Aber ich möchte dich im Namen aller bitten, uns alles von dir zu erzählen, was du möchtest. Deine Vergangenheit, deine Gabe, was du nun vorhast zu tun, nachdem du uns gewarnt hast. Einfach alles, das dir wichtig erscheint und das du gerne freiwillig erzählst."
Tja, das konnte Carlisle offensichtlich ziemlich gut: Reden halten. Und natürlich hatte diese Rede auch die erwünschte Wirkung auf mich. Ich beschloss, mich doch hinzusetzen, da ich es noch vom Menschsein gewohnt war und weil das sicherlich ein langes Gespräch werden würde und ich mir seltsam vorkam, wenn ich da so komisch im Weg stand. Dann begann ich etwas stockend damit, meine komplette Geschichte, ohne jede Auslassung (warum ich alles erzählte, wusste ich auch nicht), zu erzählen.

Impressum

Texte: Dies ist eine FanFiction, die auf der Twilight-Reihe von Stephenie Meyer basiert und nicht zu kommerziellen Zwecken von mir geschrieben und hier veröffentlicht wurde. Die aus den Bis(s)-Büchern übernommen Charaktere sowie die Grundidee sind selbstverständlich geistiges Eigentum von Stephenie Meyer oder wem auch immer sie die Rechte übertragen hat. Meine Storyline und meine Idee zu diesem Buch gehören mir und dürfen nicht ohne meine Zustimmung zu kommerziellen Zwecken verwendet werden. Außerdem werden Stephenie Meyers Bücher in meiner Geschichte aufgrund meiner Storyline ein bisschen verändert. Cover von: http://browse.deviantart.com/photography/people/#/d4f4hrp
Tag der Veröffentlichung: 19.12.2010

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