Ich träume und lebe mein geheimes Leben. Aber nur bis mein scheiß Wecker klingelt. Ich wache auf und bin erregt. Positiv erregt. Dieser Traum was anders. Anders als die Anderen. Er war schöner, intensiver. Ich träumte wieder von ihr.
Ich stehe auf, mache mich fertig und gehe zu dieser Schule, in der ich mich in sie verliebte. Ich hasse diese Schule. Dieser Traum geht mir nicht mehr aus dem Kopf, dass macht die ganze Sache etwas erträglicher. Ich komme an und sehe sie. Sie, mit ihrem schwarzem Haar und den grünblauen Augen. Ich vergesse alles um mich herum, selbst den Traum von heute Nacht. Sie steht da, so schüchtern und natürlich. Ich gehe auf sie zu und würde gern über sie herfallen, doch ich kann es nicht. Wenn die Wahrheit ans Licht kommt, bin ich ihnen Allen ausgeliefert. Mein ganzes Leben ist eine einzige Lüge und die Wahrheit muss verborgen bleiben. In der Nacht, wenn ich allein und ungestört bin, kann ich mein echtes Leben leben. Mit all meinem Phantasien und Wünschen. Dort bin ich mit der zusammen, die ich so sehr liebe.
Als sie mich sieht, fängt sie an zu lächeln und kommt mir, mit ihrem offenen, bis zur Schulter langen Haar entgegen. Wir begrüßen uns wie ganz normale scheiß Freunde. Und niemand weiß, was wirklich in meinem Inneren vor sich geht.
Wir gehen hoch in unseren abgefuckten Klassenraum und der Unterricht beginnt. Plötzlich fällt mir der Traum von heute Nacht wieder ein. Und sofort durchlebe ich ihn noch einmal.
Es war schön, wir waren auf dem Weg zum Strand. Als Freunde. Scheiß gute Freunde. Auf dem Weg dahin gestand sie mir, was sie für mich empfand. Anstatt mich zu freuen, wurde ich sauer, doch ich lies mir nichts anmerken.
Auf einmal blieb sie stehen und ich drehte mich wundernd zu ihr um. Sie kam auf mich zu, legte die Arme auf meine Schultern und schaute mir in die Augen. Ich wusste nicht, was sie von mir wollte und trotzdem schaute ich ihr in die Augen. Ich konnte meinem Blick nicht von ihr lassen, sie fesselte mich immer und immer wieder. Sie flüsterte mir ins Ohr:
„Komm doch, ich weiß was mit dir los ist. Du willst es doch auch…“ Der letzte Satz verschwamm wie einer meiner Tropfen Blut im Wasser. Sie kam mit ihrem Kopf genau auf mich zu und küsste mich. Obwohl ich es nicht wollte, erwiderte ich doch diesen Kuss. Ich schloss meine Augen und genoss diesen wunderbaren Augenblick. Es war mein erster Kuss von einer Frau und dazu auch noch von meiner besten Freundin.
Es war ein sehr langer, leidenschaftlicher Kuss. Ich wollte von ihren zärtlichen Lippen loskommen, doch ich kam nicht. In diesem Augenblick wusste ich, dass sie mich schon wieder in ihren Bann gezogen hat.
Wir gingen zum Strand und schauten uns den Sonnenaufgang an, doch ich konnte mich nur auf sie konzentrieren. Ihre Lippen, ihre Augen, ihr Ich fesselten mich. Irgendwann schliefen wir, Arm in Arm, ein und wachten erst auf, als Besucher kamen, die am Strand ihre frühen Spaziergänge machten.
Wir gingen zurück und sie brachte mich nach Hause. Vor meinem Haus, eine wunderschöne, große und in blutrot angestrichene Villa, verabschiedeten wir uns mit einem sehr intensiven Kuss, der nie enden zu wollen schien. Danach flüsterte sie mir zu:
„Hier werden wir später unsere Kinder großziehen…“ wobei die letzten Worte wieder zu verschwimmen schienen, wie ein zweiter Tropfen meines Blutes um Wasser. Ich war glücklich…
Schlagartig bin ich wieder in diesem scheiß kalten und kahlen Klassenzimmer und die Schlampe, die sich Lehrerin nennt, labbert ohne Punkt und Komma. Ich kann mich noch genau an jedes Detail erinnern. An die schwarzen Haare, die in der frühen Morgensonne nach schwarzer glänzten. An die wunderschönen grünblauen Augen, aus denen kein Leid, sonder nur pure Lebensfreude sprach. Im Gegensatz zu mir. Und sie ist schuld daran, dass ich mich so scheiße fühle.
Ich drehe mich um und schaue sie mir wieder einmal an. Dort sitzt sie, so unschuldig und schön. Ich wünschte dieser Traum würde nie zu Ende gehen. Warum hat Gott, wenn es ihn wirklich gibt, so einen verdammten scheiß namens Liebe überhaupt gemacht? Und warum hat man Rasierklingen, Schraubenzieher, Messer und anderen scheiß spitze Gegenstände erfunden, mit denen ich mir jeden Tag den Körper aufschneide? Warum macht er sowas? Will er mich gern leiden sehen?
Ich melde mich und frage, ob ich auf Klo gehen kann. Natürlich kann ich, selbst wie sie es mir verboten hätte.
Also gehe ich diesen scheiß Schulgang entlang, Richtung Klo. Ich schaue mir die beschmierten Wände an. Ich wollte von Anfang an nicht auf diese Schule, doch ich musste. Warum habe ich auch diese verdammten Drogen schmuggeln müssen, von denen ich nicht mal ein Drittel hätte behalten dürfen, selbst, wenn ich nicht erwischt worden wäre. Seit dem bin ich hier, und ich hasse sie, seit der ersten Minute. Sie ist gefährlich, nicht nur für mich, sondern auch für meine Schönste.
Ich bin im Klo angekommen, suche mir das letzte Klo und der Reihe von bestimmt noch nie geputzten Klos aus. Schließe die Tür hinter mir, klappe den scheiß räudigen Deckel runter und setze mich. Ich hole mein Messer aus der Tasche. Langsam schiebe ich sie abgenutzte Klinge raus und sehe sie mir genau an, bevor ich mir damit über den Arm gleite. Immer und immer wieder lasse ich sie über meinen Arm rutschen, solange bis der Boden unter mir voll Blut ist. Ich schaue meinen blutigen Arm an, drehe mich um und kotze mein Frühstück an die keimige Wand. Jetzt geht es mir besser. Ich rolle mein Pullover wieder runter und gehe zurück in die Klasse
Dort angekommen, krame ich in meinem Rucksack nach meinem Tabletten, ein Cocktail aus Antidepressiva, Schmerzmittel, irgendwelchen Aufputschmitteln und Drogen und die blutdruckerhöhenden Mitter meiner Oma, raus und spüle ein paar von ihnen mit etwas Alkohol, runter. Ich brauche Schlaf und Ruhe.
Meine Göttin schaut besorgt auf meine schon fast vollständig von Blut durchnässten Ärmel. Ich spüre ihren Blich auf mir. Sie fragt, was ich gemacht habe und warum ich schon wieder diese Tabletten nehme. Ich schaue ihr in die Augen und sage ihr, dass ich in Ordnung bin. Am liebsten würde ich ihr sagen, wie sehr ich sie liebe und auch wie sehr ich sie dafür hasse. Doch das kann ich nicht. Dann würde alles ans Licht kommen. Meine Probleme, meine Liebe, mein Leben.
Dann würde der ganze Scheiß wieder von vorne anfangen. Erst die scheiß Psychologen, die eh keine Ahnung davon haben, wie es mir geht. Die schicken mich dann auf Entziehungskur, wo die auch keine Ahnung von mir haben und danach wieder ewig die täglichen Besuche beim scheiß Seelendoktor, der mir probiert weiß zu machen, dass es keinen ersichtlichen Grund gibt, mich zu verletzen, Drogen zu nehmen und wenn es doch Probleme gibt, soll ich zu meinem scheiß Vater gehen, dann hat er angeblich ein offenes Ohr für mich. Doch wenn es so wäre, dann hätte ich diese Scheiße hier nicht und hätte sie auch nicht schon hinter mir. Irgendwann kommt es wieder raus, aber nicht jetzt.
Ich fange wieder an zu träumen. Ich lege meinem Kopf auf den Tisch und schließe die Augen. Ich träume wieder diesen Traum. Doch diesmal ist etwas anders. Ich weiß zwar nicht nicht was, aber ich merke es. Vielleicht liegt es auch am Blutverlust, den die tiefen Wunden hören einfach nicht auf zu bluten. Oder vielleicht liegt es auch an den Tabletten und dem Alkohol, die jetzt zu wirken beginnen. Vielleicht liegt es auch daran, dass meine Königin neben mir sitzt. Vielleicht auch alles zusammen. Ich weiß es nicht, ich fange an richtig zu träumen…
Ich ging mit meiner Liebsten wieder an den Strand. Der Traum war genauso wie heute Nacht. Genauso real und intensiv. Doch als wir vor meiner Villa standen, hörte er nicht auf, sondern ich ging in das große Haus. Überall an den Wänden war Blut. Ich wusste nicht warum. Plötzlich hörte ich eine Stimme. Ich überlegt von wo sie kam. Ich drehte mich im Kreis, doch ich sah niemanden. Irgendwann wurde mir klar, dass meine so sehr Geliebte nach mir rief. Ich rannte im ganzen Haus umher, um sie zu suchen. Aber ich fand die nirgends. Langsam wurde die Stimme lauter, aber ich verstand nicht, was sie mir sagen wollte. Plötzlich riss das Dach auf und es kam mir eine Flut von Regen entgegen. Alles verschwand um mich herum…
Langsam komme ich zu mir. Ich denke zumindest wieder. Ich probiere etwas zu erkennen, doch ich sehe alles verschwommen und undeutlich. Meine Göttin ruft nach mir, doch ich kann sie nicht erreichen. Sie kippt mir noch mehr Wasser ins Gesicht. Jetzt werde ich richtig wach. Ich sehe ihr in die wunderschönen grünblauen Augen. Ich spüre im gleichen Moment, wie sich in meinem die Kotze vermehrt. Ich schubse sie weg und kotze einmal quer durch den Raum. Erst jetzt merke ich, dass ich mir ihr allein im Raum bin. Sie sagt mir, dass schon lange Schluss wäre und sie mich nicht allein lassen wollte. Sie sagt mir auch, dass die schon seit einer Stunde versucht, mich zu wecken.
Ich habe das Gefühl, dass irgendetwas fehlt. Ich hebe meine Arme, um zu gucken, ob noch alles von mir da ist. Mein Ärmel rutscht dabei hoch und ich sehe das getrocknete Blut auf meinem Arm und meiner Hand. Die tiefen Schnitte haben aufgehört zu bluten und sich von einer dicken Kruste überzogen. Langsam kommen meine Erinnerungen wieder, obwohl ich darauf gut verzichten könnte. Meine Liebste starrt mir auf die mit Blut verkrusteten Narben auf meinem Arm. Jetzt kann sie ihre Tränen nicht mehr unterdrücken. Sie fängt an zu heulen. Das hätte sie nicht tun sollen…
All meine Aggressionen und all meine Wut brennen auf einmal in mir auf. Ich fange an, sie zu schlagen. Nach drei oder vier Schlägen, rennt sie um die Tische, ich rennte ihr nach, aber ich komme nicht weit. Meine Beine sind viel zu schwach und mit Drogen vollgepumpt, um mir zugehorchen und so komme ich gerade mal zwei Schritte voran. Dann liege ich auf dem Boden. Meine Göttin stelle sich neben mich und sagt etwas. Sie sagt irgendwas, das sie einen Arzt ruft, sonst müsste ich sterben oder so ähnlich…
Ich probiere aufzustehen und nach dem dritten Versuch, schaffe ich es auf die Beine. Ich entschuldige mich bei ihr und verlasse den Raum. Ich habe sie geschlagen. Ich habe meine Göttin, meine Schönste, meine Liebste, meine einzig wahre Liebe geschlagen!
Ich wanke auf den Hof raus auf die beschissene Straße. Ich laufe einfach los. Erst nach einigen Straßenecken weiß ich, wohin ich laufe. Kurz darauf stehe ich vor dem Wald. Ich laufe rein und versuche soweit wie möglich zu kommen. Irgendwann geben meine Beine nach.
Ich krame in meinem Rucksack, mit großem Kraftaufwand, die Tabletten raus, öffne die Dose und spüle so viele Tabletten wie möglich, mit großen schlucken Alkohol runter. Ich brauche drei oder vier Anläufe, bis ich mein Messer aus meiner Hosentasche bekomme. Als ich es endlich geschafft habe, lasse ich die Klinge rausspringen und schneide mir die Pulsadern auf. Ich lasse mich auf den Rücken fallen und sehe zwischen den Bäumen den Himmel rauf. Ich bin bereit zum Sterben. Langsam wird mir schwarz vor Augen und irgendwie fühle ich mich glücklich. Mit letzter Kraft sage ich noch:
„Mein Engel, ich liebe Dich!“
Texte: Text und Foto fallen unter mein Copyright!
© Lily Turner
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieser Text ist meiner verfluchten ersten, nicht erwiderten Liebe gewidmet. Irgendwie fehlst Du mir nach all den vielen Jahren immer noch...