Cover

Prolog






»Warum willst du mir das antun?«, fragte sie. Ihre Stimme zitterte. Er grinste das dreiste Grinsen, das sie einst so gemocht hatte. »Weil ich dich liebe!« Er kam näher. Verzweifelt schrie sie: »Wenn du mich wirklich liebst, dann lass mich gehen!«
Er lachte. Kalt und freudlos, als wäre seine fröhliche Seite mit ihrer Liebe für ihn gegangen. »Wenn du mir nicht geben willst, was ich begehre, dann muss ich es mir mit Gewalt holen!« Er stand jetzt so nah von ihr, dass sie seinen Atem auf der Haut spüren konnte. »Aber ich liebe dich nun mal nicht mehr. Daran kannst auch du nichts ändern!« Sie war froh, dass ihre Stimme ein wenig sicherer klang, als sie sich fühlte. Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen.
Einen Moment lang glaubte sie, durch seine harte Fassade hindurch sehen zu können, auf den Menschen, der er früher gewesen war. Doch dann schrie er: »Auf dass du für immer und ewig an mich gebunden bist und deinen Nachkommen das selbe Leid zu tragen haben wie ich!« Er riss den Mund auf und schlug seine Zähne in ihren Hals.
Das einzige Geräusch waren ihre Schreie, die wie scharfe Messer die Stille der Nacht durchdrangen.

Eins






Der Schein des Vollmondes fiel wie das Licht eines riesigen Scheinwerfers auf das schlafende London. Alles war still bis auf ein paar Clubs, die noch hell erleuchtet waren und aus deren Richtung immer noch laute Musik zu mir herüber drang. Ich saß auf der Fensterbank in meinem Zimmer und konnte nicht schlafen.
Doch nachts fühlte ich mich wohl.
Durch das geöffnete Fenster beobachtete ich vorbeilaufende Passanten und bildete mir lächelnd eine Meinung zu der grauenhaft ausgewählten Popmusik, die in solchen Clubs immer gespielt wird. Ich begutachtete die Menschen, die dazu tanzten. Die so waren wie ich. Die die Nacht zum Tage machten. Ich würde ja auch in die Disco gehen, um eine dieser schlaflosen Nächte herumzubekommen. Aber erstens würden meine superspießigen Eltern das nie erlauben (obwohl es mich ja sonst auch herzlich wenig interessierte, was sie erlaubten und was nicht) und zweitens - und das war das viel größere Problem – war ich erst 15. Noch. Wenigstens hatte ich dann für diese Nacht eine Ausrede, um nicht schlafen zu müssen.
Ich saß hier und wartete darauf, dass ich 16 wurde. Ich war unglaublich nervös. Das lag nicht etwa daran, dass der sechzehnte Geburtstag für jedes Mädchen etwas Besonderes war (nicht, dass mir das an Nervosität nicht ausgereicht hätte), sondern auch, weil ich Angst hatte. Jawohl, ich hatte Angst davor, sechzehn zu werden. Denn dann würde auf mehr oder weniger unschöne Weise etwas geschehen, das den gesamten Lauf meines Lebens verändern würde. Wenn es denn geschah. Ich hoffte noch auf die eine, winzig kleine Chance, die noch bestand. Es durfte einfach nicht passieren.
In diesem Moment hörte ich wie die Turmuhr einer Kirche anfing zu schlagen. Mitternacht…
Eins. Ich wurde abrupt aus meinen Gedanken gerissen. Zwei. Gleich würde ich es wissen. Drei. Ich starrte auf die vom Mondlicht schwach beleuchtete Zimmertapete. Vier. Ich will nicht… Fünf. Was wäre, wenn ich mich tatsächlich in ein Monster verwandelte? Sechs. Ich würde damit leben müssen. Sieben. Aber ich wollte gar nicht damit leben. Acht. Vielleicht gab es eine kleine Chance, eine Hintertür, aus der ich mich leise davonstehlen und von der Entscheidung drücken konnte? Neun. Vielleicht… Zehn. Ich hielt den Atem an. Elf. Würde es schlimm sein? Zwölf.
Eigentlich hatte ich eine große Veränderung erwartet, doch ich spürte gar nichts. Hatte sich meine Vorahnung etwa doch nicht bestätigt? Mir war schleierhaft, wie, aber offensichtlich war mein ganzer weiterer Lebenslauf gerettet. Ich hätte jetzt Freude oder zumindest Erleichterung empfinden sollen, aber ich konnte es einfach nicht recht glauben. »Ich bin kein Vampir.«, sagte ich leise zu mir selbst.
Da war es. Das Wort. Vampir. Das Wort, das ich mich die kompletten sechzehn Jahre meines Lebens nicht getraut hatte zu sagen. Jetzt war die Angst davor weg, weil ich mir sicher war, keiner zu sein. »Oh Grandma… Ich habe deine Gene wohl doch nicht geerbt.«
Ich schmunzelte. Dann musste ich lachen. Hatte ich wirklich sechzehn lange Jahre damit verbracht, Panik vor etwas zu schieben, was nicht passiert war? Das war schon fast albern.
Ich warf das Kissen, das ich auf dem Schoß hatte auf mein Bett und sprang von der Fensterbank. Unruhig lief ich in meinem Zimmer auf und ab, Schlafen konnte ich jetzt sowieso nicht mehr. Schließlich blieb ich stehen und betrachtete mich im sanften Schein des Mondes im Spiegel.
Meine Augen glänzten merkwürdig. Und auch die Farbe sah irgendwie anders aus. Es war nicht dieses tiefe Blau wie sonst, sondern ein eisiges Graublau. Es gefiel mir komischerweise. Ich tat es einfach als Lichtreflexe ab und lächelte meinem Spiegelbild zu. So sah also jemand aus, an dem gerade die größte Katastrophe seines Lebens vorbeigegangen war. Ich wandte mich ab und setzte mich auf mein Bett. Plötzlich war ich furchtbar müde. Ich fühlte mich, als hätte ich nächtelang nicht geschlafen (hatte ich auch nicht) und musste meinen Kopf auf die Arme stützen, damit ich nicht in mich zusammensank. Ich ließ mich auf das Kissen fallen und kuschelte mich in die Decke. Doch außer der Erschöpfung (deren Ursprung mir immer noch nicht klar war) spürte ich noch etwas anderes. Da war endlich die Erleichterung, die ich vorhin erwartet hatte. »Vielleicht braucht es einfach ein Weilchen, bis man sich darauf einstellt«, dachte ich laut. Oder eigentlich eher nicht… Denn es ist ja nichts passiert…fügte mein Gewissen hinzu, doch blöderweise ignorierte ich das.
Ich schloss die Augen und döste vor mich hin. Als ich mich schon fast ins Land der Träume verabschiedet hatte, wurde mir auf die Schulter getippt. Ich schreckte hoch und saß sofort senkrecht im Bett. »Was? Wer? Wo?« Hysterisch fuchtelte ich dämlich herum. Dann hörte ich Avril lachen. »Oh. Lynn, du bist köstlich amüsant« Mir schoss das Blut in den Kopf. Meine Beste Freundin grinste. »Sorry…«, murmelte ich. Dann schaltete sich mein Gehirn ein. Ich sah meine Freunde an. »Wartet, wie seid ihr hier rein gekommen? Es ist mitten in der Nacht, meine Eltern hätten euch nie rein gelassen! Und überhaupt, woher wusstet ihr, dass ich noch wach bin?«
Jetzt war Sharon mit lachen an der Reihe. Daran merkte ich, dass mir ein riesiges Fragezeichen im Gesicht stand und dass das Ganze vermutlich ziemlich bescheuert aussah. Während ich versuchte, mir einen Reim darauf zu machen, wie die drei es geschafft hatten, an meinen Eltern (Hmpf.) vorbei zu kommen, sagte Chris: »Na ja… Das Fenster stand offen!« Er grinste dämlich. »Haha. Was sind wir heute wieder lustig.«, sage ich genervt. Ich rieb mir die Augen. »Ich hab fast geschlafen…«
Avril sah mich an. »Nun mach mal halblang. Du hättest sowieso nicht schlafen können. Ich kenne dich doch!« Dann nahm sie mich in den Arm. »Alles Gute zum Geburtstag, Süße!« Ihre Haare kitzelten mich im Gesicht, als ich sie an mich drückte. Es war zwar eigentlich so etwas wie Hausfriedensbruch, aber es war schön, sie bei mir zu haben.
Also fragte ich einfach nicht weiter nach. So wie ich die drei kannte, hätte ich so oder so keine Antwort bekommen. Ich musterte sie. »Also, warum seid ihr hier?«
Chris sah mich verständnislos an. Dann grinste er. »Ach, weißt du, wir haben uns nur aus Langeweile umständlich mitten in der Nacht hier getroffen. Wir haben ja sonst nichts zu tun. Ich meine, wer muss schon schlafen?« Ich verzog keine Miene. »Nicht lustig.« Ich wandte mich an Avril. »Also, warum seid ihr wirklich hier?« Sie erwiderte meinen Blick. Dann setzte sie sich neben mich aufs Bett.
»Lynn, du hast Geburtstag. Wir sind deine Freunde. Und überhaupt ist heute der bedeutendste Geburtstag deines Lebens!« Sie lächelte, doch dann erstarb der freudige Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Wie fühlst du dich?« Sie sah besorgt aus. Ich überlegte kurz. Dann antwortete ich wahrheitsgetreu: »Normal.« Glaube ich zumindest... Sie nahm meine Hand und grinste mich schief an. »Lynn, wir sind wirklich nicht aus Spaß hier. Du musst uns nichts vormachen.«
Ich sah sie etwas verdattert an. Glaubte sie wirklich, dass ich sie anlügen würde? »Mir geht es wirklich gut!«, beteuerte ich und war mir da plötzlich gar nicht mehr so sicher.
Sharon seufzte und ließ sich zu meiner anderen Seite auf dem Bett nieder. »Lynn, ohne dich verletzen zu wollen: Das ist doch so was von eindeutig! Du liebst die Nacht, kannst abends nie einschlafen, deine Eckzähne sind von Natur aus spitzer als die von anderen Leuten - «
»Hey, das ist das Klischee!«, unterbrach ich sie.
Entweder sie tat so, als hörte sie mich nicht, oder sie war so in ihren Redeschwall vertieft, dass sie meinen Einwurf wirklich nicht bemerkte.
»- du siehst im Dunkeln total gut und mal ehrlich, wir wissen alle, was mit deiner Grandma ist. Ich meine, wenn schon nicht bei deiner Spießer-Mom, irgendwo müssen die Gene ja durchschlagen! Und außerdem haben Avril und ich uns danach auch nicht anders gefühlt als vorher«
Ich riss fassungslos die Augen auf. » Moment mal! Soll das etwa heißen, ihr seid auch -«
Mir erstarben die Worte im Mund. Sharon war vor beinahe einem halben Jahr sechzehn geworden, Avril vor knapp zwei Monaten. Wenn sie wirklich –
»Ja, sind wir.«, ließ Sharon verlauten. Ich wandte mich an Avril. »Wirklich?«, fragte ich unsicher.
Sie nickte heftig, wobei ihre vielfarbigen (aber nur natürliche Haarfarben wie blond und braun, dafür aber stark vermischt, und blau), langen Harre wild herumwirbelten.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.01.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /