Hans hatte mich nach sieben Jahren verlassen. Von heute auf morgen Schluss gemacht.
Doch was mir anfangs den Boden unter den Füßen weg reißen wollte, war komischerweise nach nur einer tränenreichen Woche halbwegs verarbeitet.
Ich hatte viel nachgedacht in den letzten Tagen. Hans und ich hatten uns damals viel zu früh kennen gelernt. Seit der neunten Klasse waren wir ein Paar. Eine Jugendliebe die begrenzt sein sollte.
Wir waren noch jung, viel zu jung und hatten keinerlei Erfahrungen mit anderen in Liebesdingen. Es musste eines Tages auf eine Trennung hinaus laufen.
Vor dreißig Jahren hätten wir wahrscheinlich gute Chancen gehabt für immer zusammen zu bleiben. Damals war es so üblich, doch in der heute so schnell lebigen Zeit schafften das nur noch die wenigsten.
Hans und ich hatten uns immer gut verstanden. Es kam äußerst selten vor, dass wir Streit suchten und wenn, dann auch nur über banale Sachen.
"Das Kapitel Hans ist ab heute für mich Geschichte!" begann ich die Überschrift in meinem neuen Tagebuch.
Es sollte ein ganz besonderes Tagebuch werden, denn ich hatte große Pläne geschmiedet in der letzten Woche.
Mein trister Alltag war langweilig geworden. Ich wollte ausbrechen und so kam es, dass ich im Internet auf eine Seite namens "Work & Travel" stieß.
Schon oft hatte ich gehört, dass es heut zu Tage fast Gang und Gebe sei nach dem Abitur erst mal ein Jahr im Ausland Erfahrungen zu sammeln.
Ich war damals allerdings noch glücklich mit meinem Hans zusammen und wäre im Leben nicht auf die Idee gekommen ein Jahr ohne ihn weg zu gehen.
Doch jetzt war ich frei wie ein Vogel und konnte alles nach holen was ich in jungen Jahren verpasst hatte.
Im Netz meldete ich mich auf der Work & Travel Seite an, doch als ich die Voraussetzungen las musste ich erst mal schlucken. Man musste nämlich nachweisen 5000 Euro auf dem Konto zu haben.
Ich druckte akribisch Seite für Seite aus und heftete erst mal ordentlich ab.
Gleich morgen früh würde ich die Beantragung des Visums in Angriff nehmen. Wenn ich meinen fast neuen Golf verkaufte, müssten wir nach Abzug der Raten noch gute 5000 Euro über bleiben und das Problem wäre auch gelöst.
Am Abend weihte ich meine Eltern ein die mich für verrückt erklärten.
Ich glaube sie nahmen nicht richtig ernst, doch ich hatte nur noch Australien im Kopf und würde es durchziehen.
Über zwei Monate gingen ins Land bis das Visum kam. Nun war ich schon einen großen Schritt weiter und in 1 1/2 Monaten sollte meine große Reise starten. Selbst meine Eltern hatten sich mittlerweile daran gewöhnt, ihre Tochter für 1 Jahr in die weite Welt zu lassen.
Ansonsten hatte ich es weitgehend für mich behalten. Nur mein Chef und meine beste Freundin Pia waren noch eingeweiht.
Ich hatte den besten Chef der Welt. Er war doch tatsächlich bereit mich für 1 Jahr freizustellen und hinter durfte ich in der kleinen Anwaltskanzlei weiter arbeiten. Er war der Meinung er würde mit Sicherheit auch von meinem Auslandsaufenthalt profitieren.
In den kommenden Wochen hatte ich noch einiges zu erledigen. Angefangen vom Gedanken machen, was ich für 1 Jahr alles in meinen Koffer bekommen musste, bis hin zu Zahnarzt-, Frauenarzt- und Hausarzt-Terminen. Alle drei Termine waren Pflicht, jedoch zögerte ich sie noch ein wenig hinaus.
Erst mal wollte ich mich groß feiern lassen bei einer angemessenen Abschiedsparty.
Diese fand einen Monat vor Abflug statt und es wurden nun endlich auch alle Freunde, Bekannte und Verwandte aufgeklärt.
Die einen beneideten mich, andere konnten es gar nicht fassen.
Die Party war ein voller Erfolg.
Wir feierten bis fünf Uhr morgens und als ich am nächsten Tag um elf mit dickem Schädel aus meinem warmen Bettchen kroch, hatten meine Freunde das Chaos schon wieder beseitigt.
Ich war froh so tolle Freunde zu haben und der Abschied wurde zunehmend schwerer.
In der kommenden Woche waren meine Arzt-Termine, ich alle mit Bravur meisterte.
Eine Woche vor meiner Abreise klingelte meine Telefon und meine Frauenärztin gab mir zu verstehen ich solle dringend vorbei kommen.
Sie wollte mir perdu am Telefon nicht sagen worum es ging.
Mit mulmigem Gefühl im Bauch und Schweißperlen auf der Stirn schwing ich mich auf meinen Drahtesel und radelte in ihre Praxis.
Dort angekommen durfte ich mich erst mal eine halbe Stunde im Wartezimmer Platz nehmen.
"So schlimm kann es nicht sein" versuchte ich mich zu beruhigen, "sonst hätten man mich ja bevorzugt rein gebeten".
Ich nutze die halbe Stunde zum träumen von meinem neuen Leben in Australien, als die Schwester meinen Namen rief. Sie riss mich zurück in die Realität.
Fr. Dr. Theis gibt mir freundlich die Hand und murmelt: "Alles halb so schlimm".
"Was ist denn los?" entfährt es mir.
Als sie die drei Worte über ihre Lippen bringt trifft mich fast der Schlag. Mein Körper zittert, ich muss mich setzen. Ich stand unter Schock. Australien löste sich gerade vor meinen eigenen Augen in Luft auf.
Frau Dr. Theis merkte meine Unruhe sofort und nahm mich tröstend in den Arm.
Ich erklärte ihr weinend meine Situation und sie versuchte zu verstehen, erklärte mir aber auch, dass es für eine Abtreibung längst zu spät war. Ich war bereits in der 16. Schwangerschaftswoche und hatte nichts von alledem bemerkt. Frau Dr. Theis bot mir weitere Unterstützung an.
Ich merkte ihr an, dass sie Mitleid mit mir hatte.
Jetzt hatte ich mich gerade gefangen und wollte endlich mal was wagen und dann sowas. Schwanger von Hans!
Es kam mir noch immer alles sehr unrealistisch vor. Gerade hatte ich noch eine riesige Abschiedsparty veranstaltet und nun sollte ich alles wieder abblasen weil ich schwanger war?
Ein absurder Gedanke, der sich allerdings nicht so einfach verdrängen ließ. Ich würde dieses Kind bekommen ob ich wollte oder nicht.
Mein erster Anruf ging an Hans. Ich rechnete mit dem schlimmsten.
Doch Hans war wie verändert. Total liebevoll sprach er mit mir und bot an sofort vorbei zu kommen. Verwirrt willigte ich ein.
Eine halbe Stunde später saßen wir auf dem übrig gebliebenen Sofa meiner Wohnung und lagen uns im Arm. Hans hatte zugegeben, dass er sich immer innigst ein Baby von mir gewünscht hatte und er hätte mich unendlich vermisst. Als er dann noch erfahren hatte, dass ich nach Australien gehe war er tot unglücklich.
Einen Moment lang sagte niemand was von uns beiden. Wir lagen uns einfach nur in den Armen. Und es war so ein vertrautes, angenehmes Gefühl dass ich plötzlich wusste, dass genau das hier meine Welt war.
Mein Hans und zur Krönung unser gemeinsames Baby!
Tag der Veröffentlichung: 15.02.2012
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