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Die Vision



Ihre Finger strichen leicht, sanft über die grüne Bank. Der Atem kondensierte vor ihr, sodass sie das Hafenbecken nur leicht verschwommen wahrnahm.
Der Hafen...
Sie wusste noch nicht einmal wieso sie hier her gekommen war...
Hafenbecken an Hafenbecken, Doggstelle an Doggstelle und Maschine an Maschine, mehr war der Hamburger Hafen ja eigentlich nicht...
Und doch...
Er gehörte irgendwie dazu, zu ihrer Welt, ihrer Heimat...
Sie stand auf.
Noch einmal sah sie zurück.
Der Wind zerzauste ihr dunkles Haar wie eine liebevolle Hand, die ihr durch die Locken strich.
Die Möwen kreisten wie immer dort oben, doch kamen sie ihr auf einmal seltsam vertraut vor. Wie ein Mensch, der ihr sehr nahe stand...
Mit einem Ruck wandte sie sich um. Langsam trugen ihre Fü゚e sie zurück zu ihrem Haus, nach Hause, langsam nachdenklich.

Ihre Hand suchte in der Hosentasche nach dem Schlüsselbund, fand ihn und schloss sich um ihn. Sie zog ihn hervor, betrachtete ihn. Selbst dieser Schlüsselbund erinnerte sie jetzt an Hamburg... Ihre Heimat...
Was war nur los mit ihr?
Sie sperrte die Tür auf, langsam, nachdenklich.
Wozu war sie dort gewesen?
Sie ging zur Garderobe und hängte ihre Jacke auf.
Hatte es überhaupt einen Sinn gehabt?
Sie gähnte leise. Erst jetzt merkte sie wie müde sie war...
Wieso war sie dort gewesen...? ... Wieso...?
Sie ging zum Sofa, legte sich darauf, schloss die Augen.
... Der Hafen... wieso...
Sie gähnte noch einmal zog die Decke über sich.
Dann übermannte der Schlaf sie endgültig.

Stockfinster war es und kalt, als wären alle Lichter der Erde und des Himmels erloschen und sie stand da.
Stand auf dem Wasser.
Das Wasser peitschte um sie herum, wütend.
Sie nahm es kaum wahr.
Ihr Blick war starr nach vorne gerichtet.
Dort vorne im Wasser, sie kannte es... hatte es erst vor ein paar Minuten am Hafen gesehen... Am Hafen...
Aber jetzt ragte nur noch die Spitze aus der Brandung des Meeres.
Es war eine dieser riesigen Kräne... Ein Kran...
Eine Träne rann über ihr Gesicht fiel nach unten und vereinigte sich dort mit den tobenden Wellen.
Sie wollte sich umdrehen, laufen, einfach nur weg, weg, von alle dem. Sie wollte es nicht mehr sehen. Sie wollte nichts mehr sehen.
Es ging nicht.
Sie konnte nicht davon laufen.
Das war ihre Heimat.
Das war IHR Hamburg...
Ein Strom aus Tränen lief über ihre Wangen.
Hamburg.
Ihr Hamburg.
Verschlungen von den eisigen Klauen des Meeres...
Es durfte nicht wahr sein.
Nicht ihre Heimat.
Sie öffnete den Mund, wollte vor Verzweiflung schreien.
Sie schrie nicht.
Sie konnte es nicht.
Niemand sah sie und ihre Verzweiflung.
Ein Schrei gellte durch die Nacht. Und es war nicht ihr Schrei.
Sie drehte sich um, ihr Blick ging in der Dunkelheit unter.
Sie kannte diese Stimme. Sie kannte diesen Schrei.
Ein Zittern durchlief ihren Körper.
Das konnte nicht wahr sein.
Das durfte einfach nicht wahr sein.
Sie presste die Lippen aufeinander, versuchte mit aller Macht die Tränen zurück zu halten.
Dann rannte sie, rannte über das Wasser.
Rannte einfach nur. Wohin war ihr egal. Sie wollte einfach nur weg, möglichst weit...
Dann irgendwann blieb sie stehen.
Ihr Körper war wie betäubt, als hätte eine Glaskappe sich über sie gestülpt. Schmerz pochte in ihrer Seite.
Hamburg, ihr Hamburg...
Das konnte nicht wahr sein, es ging einfach nicht...
Sie hob den Kopf.
Und erstarrte.
Sie sah sich selbst, auf dem Dach eines Hauses kniete sie. Das Gesicht totenbleich, und auf ihren Scho゚ gebettet lag ...
Sie wurde wei゚ im Gesicht.
Eine einzelne Träne rann über ihr Gesicht.
Es war ihr Mutter, das begriff sie in dem Moment, da sie es sah.
Alles drehte sich um sie.
Ihre Mutter, Hamburg, Alles, Alles tot...
Sie ging in die Knie, schrie.
Alles verschwamm um sie herum, ein Wirbel aus grau und Schatten.
Dann war gar nichts mehr da, nur noch die Schwärze, sie, der Schrei und... Schmerz, unendlicher Schmerz. Tief schnitt er ihr ins Herz.

Sie öffnete die Augen.
Sie merkte, dass sie zitterte. Ihr Gesicht war feucht und ihre Augen brannten.
Ihre Mutter... Hamburg...
Sie erinnerte sich nur zu gut an das was sie im Fernsehen gesagt hatten... Klimaerwärmung... Hamburg wird überschwemmt werden...
Hamburg, ihr Hamburg.
Aber noch war nichts geschehen, noch konnte man das Unheil aufhalten, oder etwa nicht?
Sie stand auf, ihr blick glitt aus dem Fenster, über die Häuser Hamburgs.
Sie würde Kämpfen.
Für Hamburg, ihre Heimat.
Und für ihre Mutter.
Sie ging zur Garderobe und zog ihre Jacke an.
Dann verlie゚ sie das Haus um zu tun, was sie sich vorgenommen hatte.

Impressum

Texte: (c) 2007, Sabrina Hofmann
Tag der Veröffentlichung: 19.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für all jene die schon aufhören zu strampeln obwohl der wahre Kampf noch gar nicht begonnen hat.

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