BLUTROT
Blutrot stieg die Sonne im Osten über den Rand der Erde. Und blutrot glänzte die Rüstung des Königs. Ausgestreckt lag er am Boden, kein Leben regte sich in ihm. Nie wieder, niemals wieder würde er sich rühren, dass wusste sie. Ihr langes, weißen Kleid streifte am Boden, als sie sich seinem reglosen Körper näherte. Langsam, bedächtig waren ihre Schritte. Vorsichtig kniete sie neben ihm nieder. Ihre Hände zitterten, als sie den Riemen seines Helms löste und ihn von seinem schönen Kopf zog. Sein blondes, schulterlanges Haar fiel auf den Boden. Sie lächelte, als sie ihn ansah. Er sah noch immer aus, wie damals, als sie ihn zuletzt gesehen hatte, ihn angefleht hatte mitzukommen, aufzuhören... Er hatte ihr den Wunsch nicht gewährt, hatte sie zurück gedrängt, bis ihr Körper an die eisige Wand gestoßen war und sie nicht anders gekonnt hatte als anzugreifen... Eine Träne rann über ihr Gesicht, während ihre Hand zärtlich über sein Gesicht strich. So zärtlich, wie schon seit langem nicht mehr. Seit... seit dem Tag als er entstanden war... Für einen kurzen Moment wandte sie sich ab, musterte die golden gepanzerte Leiche, die nur unweit des Königs lag. Dann sah sie wieder ihn an, den Bruder, den Geliebten. Sie hatte den Sohn, den ihr eigener Bruder ihr geschenkt hatte, nie so heiß, so innig geliebt wie ihn. Den König. Den Christ, der doch anders war. Ein Fremder. Einer aus Avalon. Tränen rannen über ihre Wangen, fielen und zerschellten Wie Glaskugeln am Boden. „Wieso du, Bruder, wieso du? Weshalb konntest du uns nicht einfach respektieren? Wo du selbst doch einer von uns bist...“ Sie zitterte, als sie sich dem Leichnam näherte, zitterte am ganzen Leib. Sie schloss die Augen, ihre Hand packte die seine, kalte, dann küsste sie ihn ein letztes Mal, der Abschiedskuss, den sie ihn zu jeder Trennung gegeben hatte. Doch dieses Mal war er endgültig, das wusste sie. Mit einem Ruck wandte sie sich ab und stand auf. Sie hatte keine Zeit zu trauern. Sie musste sich um ihr Reich kümmern. Sie musste zurück in ihr eigenes Reich, zurück nach Avalon. Keiner Außer ihr, der Herrin vom See, vermochte das Reich jetzt noch betreten oder verlassen. Und doch: Nichts und niemand, ob tot oder lebend, würde sie daran hindern können zurück zu kehren. Nicht einmal, wenn er König Arthur hieß. Nicht einmal, wenn der Tod ihres über alles geliebten Bruder würde sie zurückhalten können...
Texte: (c) 2008, Lillith VanDeviles
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2008
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