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Aladin - Das Leben in Marikud


Kapitel 1

Laya versuchte sich alles genau einzuprägen. Der Geruch von frischem Gras und dem violetten Flieder, der neben dem Gatter der Koppel, an dem sie lehnte, in die Höhe schoss. Sie hörte das Wiehern und Schnauben der Pferde. Hörte sie über die Wiese galoppieren. Sie schloss die Augen und versuchte all die Eindrücke genau voneinander zu unterscheiden. Was machte jeden Einzelnen von ihnen so einzigartig? Das frische Gras erinnerte sie an Ferien und Glück. Bei dem Geruch des Flieders musste sie an Aladin denken, ihren rabenschwarzen Araber, der ausgelassen über die Wiesen sprintete. Na gut, er gehörte noch nicht ganz ihr. Doch nach dem Sattelfest würden sie für immer zusammen bleiben.
Aber dafür muss ich erstmal zugelassen werden!
Sie seufzte und öffnete die Augen wieder. Die Sonne verschwand hinter den Unebenheiten der Wiese. Wind kam auf und zauste Layas weißblonde Haare. Man hielt sie für einzigartig wegen ihrem fast strahlend weißen Haar. Niemand im ganzen Königreich besaß in ihrem Alter solch eine eigenartige Haarfarbe.
„Du wirst nicht teilnehmen dürfen!“, hatte Kellan gemeint. „Du bist ein Mädchen und dazu erst sechzehn!“
„Jungen ab sechzehn Jahren dürfen auch am Sattelfest teilnehmen!“, hatte sie gesagt, ohne ihn dabei anzusehen.
„Aber das sind Jungen!“ Kellan hatte versucht es ihr zu erklären.
Er hatte leicht reden. Er war neunzehn und hatte die Prüfung schon lange bestanden. Dabei war er einer der Besten gewesen und seine Stute Nuria gehörte nun ihm. Sie war das schnellste Pferd, das Laya jemals gesehen hatte.
„Mann, Laya!“, hatte er geseufzt, als er gemerkt hatte, dass sie auf seine Äußerung nichts antwortete. „Eigentlich dürftest du noch nicht einmal reiten! Wenn das König Salumid herausbekommt, gibt’s mächtigen Ärger!“
Laya schwieg. Nun war Kellan weg. Er musste kämpfen, um das Königreich zu verteidigen. Er war mit den anderen Pferdekriegern in den Kampf geritten und Laya hatte sich noch nicht einmal von ihm verabschieden können. Sie hatte nur eines Morgens einen Brief auf ihrem Kopfkissen gefunden. Das war nun schon über einen Monat her. Seit dem versuchte sie, alles aufzuschnappen, was über den Krieg gesprochen wurde. Sie wollte wissen, ob Kellan noch lebte.
„Laya!“
Sie seufzte. Kaum hatte sie mal etwas Ruhe wurde sie auch schon wieder gestört.
„Laya! Wo bist du?“
„Ich bin hier!“, erwiderte sie laut. Schon kam ihr kleiner Bruder um die Ecke der Stallungen geflitzt. Er war acht Jahre alt und hatte kohlschwarze Haare. Er wird ein starker Krieger werden. Ein Pferdekrieger. Er wird seine Feinde in die Flucht schlagen. Er wird in die Fußstapfen seines Vaters treten. Schweigend sah Laya ihn an. Deshalb verabscheute sie ihn! Marcus war das Lieblingskind ihres Vaters. Ihr Vater erwartete viel von ihm. Allerdings schien er Laya gar nicht wahrzunehmen. Manchmal hatte sie das Gefühl, ihr Vater hasste sie. Er sprach nicht mit ihr. Er sah sie nicht an. Er fragte nicht, ob es ihr gut gehe. Er ignorierte sie. Warum? Weil er sich einen Jungen gewünscht hatte? War es das? Sie konnte doch nichts dafür, dass sie ein Mädchen war! Eine Frau konnte in ihrer Welt überhaupt nichts erreichen.
„Es gibt Essen! Hast du nicht gehört?“, fragte Marcus und zupfte an ihrem neuen Hemd.
„Lass mich los!“, fauchte sie. Es war schärfer als beabsichtigt. Erschrocken ließ ihr Bruder sie los und starrte sie aus großen Augen an. Ohne ein weiteres Wort an ihn zu richten, schritt sie hocherhobenen Hauptes an ihm vorbei.
„Laya?“, hörte sie ihn vorsichtig sagen. Mit dem Rücken zu ihm blieb sie stehen. „Was?“
Ihr kleiner Bruder schluckte. „W...Warum bist du immer so gemein zu mir?“
Laya schwieg. Vielleicht war sie zu hart zu ihm. Er konnte ja auch nichts dafür, dass ihr Vater ihn bevorzugte.
„Was habe ich dir getan?“
Sie seufzte. „Nichts, Marcus! Komm her!“ Sie streckte die Hand nach ihm aus. Verwundert sah er sie an. Diese Geste hatte er von ihr noch nie gesehen.
„Na, komm schon!“, sagte Laya und lächelte ihn an. Zaghaft ging er auf sie zu und griff nach ihrer Hand.
Dann sah er zu ihr auf und lachte. „Das ist schön!“
Laya lächelte gezwungen. „Lass uns essen gehen!“
Sie war nicht immer schroff zu ihrem Bruder. Nur ab und an...wenn sie sich an diese Ungerechtigkeit erinnerte. Wenn sie sich daran erinnerte, dass Aladin bald jemand anderem gehören könnte. Klar, es waren tausende von Pferden, aber Aladin war das schönste. Wie gut, dass er niemanden auf sich reiten ließ. Niemanden außer ihr. Seit er ein Fohlen war, hatte sie sich um ihn gekümmert, hatte ihn eingeritten und dressiert.
Er gehört mir! Nur mir! Ich würde ihn niemals hergeben!
Laya vertraute ihm vollkommen. Und doch hatte sie Angst, dass ihn irgendwann einer der Krieger brechen würde. Dass irgendeiner so brutal und hartnäckig vorgehen würde, dass er Aladin bändigen könnte. Jedes Mal, wenn sich ein weiterer Mann an ihm versuchte, betete sie inständig, dass Aladin es nicht zulassen würde, dass ihn jemand anders ritt als sie. Morgen war das Sattelfest. Sie war sechzehn. Sie würde teilnehmen! Ganz egal, was sie sagen würden!
Sie würde mit Aladin gewinnen und sie würde zu den Pferdekriegern zählen! Sie würde kämpfen dürfen! Sie würde ihr Land, den König und ihre Familie verteidigen können! Sie würde ein Held sein!


Kapitel 2

Sie war fast die ganze Nacht wach geblieben und hatte kaum schlafen können. Das Mädchen erhob sich und strich die Bettdecke glatt. Die ganze Nacht hatte Laya sich Pläne ausgedacht. Das Ergebnis war immer dasselbe gewesen. Spätestens bei den Untersuchungen würde man sie enttarnen. Sie musste sich irgendwie durchschmuggeln. Zumindest an den Untersuchungen vorbei.
Prüfend musterte sie sich im Spiegel. Ihre weißblonden Haare fielen ihr strähnig ins Gesicht und ihre strahlend saphirblauen Augen schienen sie von so unendlich weit weg anzusehen.
Der einzige Lichtblick in dieser Sache war, dass sobald das Rennen gestartet hatte, es nicht mehr abgebrochen werden konnte. Das war ihre einzige Chance. Sie würde sich nicht einschreiben lassen. Nicht zu den Untersuchungen gehen. Sie würde als unbekannter Reiter urplötzlich an der Ziellinie auftauchen und zum Signal losstürmen. Sie würde das Sattelfest gewinnen und dann würde sie von König Salumid verlangen, dass Aladin und sie zu den Pferdekriegern gehörten. Sie schüttelte den Kopf und schlug die Hände vors Gesicht. Das war so ein kindischer Traum. Verdammt! Sie war sechzehn. Wie sollte sie das denn anstellen? Glaubte sie wirklich, sie würde nicht abgefangen werden noch bevor das Rennen startete? Glaubte sie wirklich sie würde es als erste bis über die Ziellinie schaffen? Die Chance, dass sie es überhaupt schaffen würde, war schon sehr gering. Sie seufzte und fing an sich die Haare zu kämmen. Nach einem weiteren skeptischen Blick in den Spiegel, suchte sie sich ein Outfit heraus, das ihr angemessen erschien. Eine schwarze, luftige Stoffhose, die ihr um die Beine schlabberte und ein eng anliegendes, kurzärmliges graues Top, das ihre schlanke Figur betonte. Ihre schwarze Lieblingsweste, die schon ziemlich verwaschen und ausgefranst war, zog sie schnell über. Dann flocht sie ihre langen Haare und machte aus dem geflochtenen Zopf einen komplizierten Knoten. Sie packte die Kette ihrer Großmutter, die sie ihr zu ihrem zwölften Geburtstag vermacht hatte und legte sie sich um. Ein hellgrün leuchtender, ovaler Stein umrahmt von dünnem Metall.
„Laya!“
Sie zuckte zusammen.
„Laya! Komm heraus! Wir müssen reden.“ Das war ihr Vater. Was wollte er von ihr? Er konnte sie sonst doch auch nicht gebrauchen! Gehorsam öffnete sie ihre Zimmertür und knickste kurz vor dem großen Mann mit den dunklen Haaren, der sie achtsam betrachtete.
Es war Sitte vor jedem älteren Mann zu knicksen, wenn man ihn begrüßte.
„Was hast du denn da an?“, begrüßte er sie mürrisch. „Eine Hose? Bist du denn von Sinnen?“
„Erst kürzlich wurde es Frauen erlaubt Hosen zu tragen, Vater!“ Eigentlich hätte sie den Kopf senken und sich umziehen müssen, doch sie hatte keine Lust in ein widerliches Kleid zu steigen. Ihre Stimme klang sehr mechanisch und emotionslos, doch das war immer so, wenn sie mit ihm sprach...was wirklich nicht sehr oft vorkam.
„Ich wünsche, dich nicht mehr in diesem Aufzug zu sehen!“, knurrte er unnachgiebig. Laya schwieg, doch sie senkte unterwürfig den Blick.
„Ich bekomme viel zu wenig von dir mit“, begann ihr Vater nun sanfter „mir war gar nicht aufgefallen, was für eine erwachsene und wunderschöne Frau du geworden bist.“
Verwundert sah Laya ihn an.
„Und deshalb denke ich, ist es an der Zeit...“
Gespannt hielt sie die Luft an.
„dich zu vermählen!“
Tausend Spiegel schienen in ihrem Innern zu zerbersten und die Scherben sprangen vorlaut in ihre Haut. „W...was?“
Sie hatte erwartet, dass ihr Vater so etwas sagte wie, ‚Ich glaube, wir sollten mal etwas zusammen unternehmen’ oder ‚Es tut mir leid, dass ich dich wie ein Stück Dreck behandelt habe!’.
Aber mit einer Hochzeit hatte sie nicht gerechnet. Ihr Vater strahlte vor Stolz. „Es kommt noch besser. Warte erst bis du erfährst, wer dein Verlobter ist!“
„Verlobter?“ Das Wort prickelte unangenehm auf der Zunge. Es war falsch dieses Wort auszusprechen. Alles war falsch!
Der kräftige Mann schien nicht zu bemerken, wie furchtbar diese Neuigkeit für sie war.
„Der Prinz persönlich!“
„Der Prinz“, wiederholte Laya leise. Sie starrte auf den Boden. Nein!
„Du wirst zu ihnen in den Palast ziehen! Wir werden zur königlichen Familie gehören!“ Ihr Vater lächelte versonnen.
Sie würde in den Palast ziehen?? Weg von ihrer Familie? Weg von Aladin?
Es ging nur um ihren Vater! Die ganze Zeit über dachte er nur an sich selbst. Wofür Laya sich interessierte, war ihm egal!
Sie hob den Blick und endlich stutzte der Mann, als er ihren Gesichtsausdruck sah.
„Warum?“, brachte sie kraftlos hervor.
Ihr Vater schien die Frage anders zu deuten. Er lächelte und legte ihr väterlich die Hände auf die Schultern. „Weil du einzigartig bist! Deine weißen Haare und deine strahlendblauen Augen sind im ganzen Königreich bekannt!“ Er streckte seine Hand schwungvoll zum Fenster aus. „Der Prinz will dich!“
Laya schwieg. Sie stand da und rührte sich nicht. Starrte auf einen Kaffeefleck, der sich auf das braune Jackett ihres Vaters geschmuggelt hatte. Der Mann räusperte sich. „Wie ich sehe, brauchst du einige Zeit um damit fertig zu werden. Heute Nachmittag beginnt das Rennen. Der Prinz wird ebenfalls daran teilnehmen. Ich will, dass du ihm Glück wünschst.“
Laya schüttelte leicht den Kopf. „Ich will nicht!“, stammelte sie.
Erstaunt beugte sich ihr Vater zu ihr herunter. „Was hast du gesagt?“
„Ich will nicht!“, wiederholte Laya lauter. „Ich kann ihn nicht heiraten! Ich kann es einfach nicht! Mutter braucht mich hier!“
Sie sah, wie sich der Gesichtsausdruck ihres Vaters wutentbrannt verzerrte. „Du wirst eine Königin Laya! Eine Königin! Du brauchst deiner Mutter nicht zu helfen. Ich bin doch da!“
„Du hast ihr noch nie geholfen!“, fauchte Laya. Er war nicht ihr Vater! Dafür kannte er sie zu wenig. „Ich werde den Prinzen nicht heiraten! Und Mutter muss ich helfen, weil du es nicht tust!“
Klatsch!
Durch die Wucht der Ohrfeige flog ihr Gesicht zur Seite.
„Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen?“, brüllte ihr Vater. „Bist du von allen guten Geistern verlassen? Du - wirst - heiraten! Keine Widerrede!“
Layas Mundwinkel zitterten und ihre Wange brannte, doch sie wollte ihm nicht die Genugtuung gönnen, sie zu berühren. Sie starrte auf die Holzdielen und ihr Vater drehte sich wutschnaubend um und knallte die Tür hinter sich zu.
Ihre Knie gaben nach und sie schlug auf dem harten Holzboden auf. Ihr Gesicht schmiegte sich in die Dielen. Ihr Brustkorb schmerzte bei jedem Schluchzer, den sie von sich gab. Die Tränen rannen ihr über die Nase und verklebten einzelne Haarsträhnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten. Ihr ganzer Körper schmerzte. Sie sollte heiraten? Aladin verlassen? Nein! Niemals! Sie musste zu Kellan! Sie musste ein Pferdekrieger werden und ihr Land beschützen! Sie durfte nicht heiraten! Sie spürte, wie sie bei jedem Schluchzer erbebte.
Sie würde an dem Rennen teilnehmen und den Prinzen würde sie in ihrem Staub stehen lassen, nachdem sie und Aladin gestartet hatten.


Kapitel 3
„Alle Teilnehmer bitte an den Start!“
Die dröhnende Stimme aus dem Lautsprecher, pochte in Layas Ohren. Sie hatte ihre schwarze Hose wieder an, dazu eine Reitweste und eine Mütze, die ihre weißblonden Haare verdeckte. Zur Sicherheit hatte sie sich ein Tuch bis über die Nase gezogen, sodass man von ihrem Gesicht nur ihre hellblauen Augen sehen konnte.
Aladin schnaubte aufgeregt. Sie gab ihm einen beruhigenden Stups auf die Nase und kraulte seine Stirn. Laya hatte ihm das rote Zaumzeug angezogen plus den schwarzen Ledersattel mit der roten Satteldecke. Seine Mähne hatte sie geflochten und ihn von oben bis unten gewaschen. Sie hatte sich erfolgreich durch einen kleinen geheimen Tunnel einschleichen können. Jedes Kind benutzte ihn und dennoch schien ihn keiner der Wachen zu kennen. Ihr Vorteil.
Ihr Vater dachte, sie wäre in den Zuschauerreihen, die alle um den abgesperrten Bereich herumstanden. Wenn er wüsste, dachte sie bitter.
Sie atmete noch einmal tief durch. Sie stand in einer schmalen Gasse. Es war dunkel und feucht und roch modrig, doch das war ihr egal. Ihre Hände waren schwitzig und ihr Bauch fühlte sich ganz seltsam an. Als wäre sie in einem Traum.
Wenn sie jetzt aus dieser Gasse ritt, müsste sie nur noch nach links abbiegen und über die Absperrung springen, dann war sie an der Ziellinie. Bei den Hunderten von Teilnehmern und nur einer von ihnen kann gewinnen.
„Ich weiß, dass wir das sein werden“, flüsterte sie leise. Aladin sah sie aus klugen Augen an und senkte den Kopf.
„Achtung! Achtung!“, plärrte die Stimme aus den Lautsprechern. „Letzter Aufruf! Alle Teilnehmer an den Start! In dreißig Sekunden ertönt das Signal!“
Laya holte tief Luft und schwang sich auf Aladins großen Rücken. Sie liebte es, sich an ihn zu schmiegen und seine Nähe zu spüren.
Aladin trippelte nervös und kaute auf der Trense herum. Laya gab den Zügeln nach und presste ihre Schenkel leicht in seine Flanken.
Sofort sprang der Hengst nach vorne und jagte um die Ecke.
„Noch zehn Sekunden bis zum Start!“, tönte die Stimme aus den Lautsprechern.
Aladins Hufgetrappel ließ einige Schaulustige panisch aus dem Weg rennen. Während sie an ihnen vorbeipreschte, konzentrierte sie sich ganz auf den Sprung. Schon sah sie den ein Meter dreißig hohen Zaun vor sich. Er war elektrisch geladen. Aladin durfte ihn auf gar keinen Fall berühren. Kurz vor dem Sprung lehnte sie sich leicht nach vorne und nahm die Zügel auf. Mit einer Leichtigkeit, die Laya gar nicht erwartet hatte, flog der Hengst über den Zaun und stand nun an der meterweiten Ziellinie. An der alle Pferde in einer Reihe standen.
Nun nahm Laya nichts mehr war. Sie hörte nur noch das Klopfen ihres Herzens und das Trappeln von Aladins Hufen. Das Mädchen fühlte sich furchtbar taub.
„Was ist das? Da scheint noch ein Reiter dazu zu kommen, meine Damen und Herren!“
Aladin war noch ein paar Meter von der Ziellinie entfernt.
„Aber...Moment mal! Das Pferd und der Reiter tragen gar keine Markierung. Sie sind nicht zum Rennen zugelassen...und, ist das nicht Aladin?“
Laya hörte das Raunen und Aufschreien der Zuschauer nicht. Sie konzentrierte sich auf Aladins Bewegungen. Ihr Puls dröhnte in ihren Ohren.
„Noch zehn Sekunden bis zum Start! Der Reiter ist wohl entschlossen teilzunehmen!“
Endlich musste Laya Aladin bremsen. Zwischen einem grauen Andalusier und einem vornehmen braunen Araber-Falben kam sie zum stehen. Aladin stieg auf die Hinterbeine und wieherte aufgeregt. Laya bändigte ihn mit Mühe.
„Was soll das werden?“ Der Mann, der auf dem Falben saß, sah sie fassungslos an. Laya ignorierte ihn und starrte auf die Rennstrecke, die aus einer riesigen grünen Wiese bestand und hinter einem Hügel nicht mehr zu sehen war.
„Fünf!“
„Hey! Ich rede mit dir!“ Die Stimme des Mannes klang zornig. Laya griff in Aladins dicke Mähne.
„Vier!“
„Ich verbiete dir, am Sattelfest teilzunehmen!“, fauchte er.
Laya bedachte ihn mit einem kurzen kalten Blick.
„Drei!“
„Du wirst schon sehen, was du davon hast!“
„Zwei!“
„Wage es ja nicht, mir den Sieg zu stehlen!“
„Eins! Los!“
Ein Knall ertönte und Aladin schoss los. Zusammen mit hundert weiteren Pferden. Das Gedränge war zu stark und Laya bändigte ihn, und ließ ihn zurückfallen. Aladin gehorchte widerwillig. In ein paar Sekunden waren sie unter den letzten zehn Reitern.
„Meine Damen und Herren! Das Sattelfest hat begonnen! Mögen unsere Reiter sich mit Ruhm bedecken.“
Es wurde kein Wort über den unbekannten Reiter verloren, doch Laya wusste, dass alle über sie redeten. Über denjenigen, der es geschafft hatte, Aladin zu bändigen. Nun waren sie und Aladin über den Hügel geritten und in die unendliche Ebene hinein. Nur noch Gras, soweit das Auge reichte und vor ihr einzelne Reiter.
Nun erst nahm sie alles wieder wahr und erst jetzt wurde ihr bewusst, was sie am meisten wurmte. Nur die Pferde kannten den Weg. Keinem Reiter war es erlaubt die Strecke zu kennen. Nur die Pferde wussten es. Wie und wieso wusste sie nicht und es spielte auch keine Rolle.
Laya zügelte Aladin in einen leichten Galopp.
Sie würden eine ganze Woche unterwegs sein. Es wäre unklug, sich gleich am Anfang zu ermüden. Viele Pferde vor ihr trabten nur noch und nur ganz wenige hetzten ihre Pferde in einem gestreckten Galopp weiter.
Sie hatte es geschafft! Sie hatte es geschafft! Sie war dabei!
Wind zerrte an ihr. Er riss ihr die Mütze vom Kopf und wehte sie davon. Ihre weißblonden Haare fielen ihr über die Schultern.
Jeder, der sie nun sah, wusste, wer sie war. Doch tarnen, musste sie sich ohnehin nicht mehr. Sollten sie Laya doch sehen!
Ja, sie war ein Mädchen! Und sie nahm am Sattelfest teil!


Kapitel 4
Aladins Hufe hoben sich nur noch schwerfällig. Trockene Steine kullerten zur Seite, wenn die Pferde über die trockene Steinwüste liefen. Laya nahm ihren Wasserbeutel heraus und trank ein paar Schlucke. Sehr viel hatte sie nicht mehr. Viele Pferde waren vor Erschöpfung schon umgefallen oder stehengeblieben und hatten sich geweigert auch nur einen weiteren Schritt zu laufen.
Wie lange würde Aladin es noch aushalten?
Vor Laya liefen mit hängenden Köpfen zwei weitere Pferde mit ihren Reitern. Es war der braune vornehme Araber-Falbe und ein strahlend weißer Andalusier. Irgendwann musste doch eine Oase kommen...irgendwann.
Laya fuhr sich mit der Hand über ihr schweißnasses Gesicht. Ihre Zunge fühlte sich trocken und dick an. Als hätte sie eine Maus im Mund. Da war es ganz egal, wie viel Wasser sie trank....nun fühlte es sich an wie eine nasse Maus.
Drei Tage waren sie nun schon unterwegs und Laya hatte keinen Überblick davon, wie viele Reiter noch im Rennen waren und wie viele noch vor ihr zu sein schienen. Sie musste es schaffen....Ihr Essensvorrat war leer....Sie musste es schaffen....Sie hatte bestimmt einen furchtbaren Sonnenbrand....Sie musste es schaffen. In weiter Ferne sah sie Wasser...klares, sprudelndes Wasser...
„Aladin...“, ihre Stimme war brüchig und heiser, „Zum Wasser....Aladin...lauf...“
Der schwarze Hengst bewegte sich nicht, es schien als wäre er stehen geblieben. Laya presste ihre Schenkel mit letzter Kraft an seine Flanken.
„Vorwärts“, brachte sie mühsam heraus. Doch Aladin setzet keinen weiteren Huf nach vorne.
Laya sah auf. Der Himmel erstrahlte in einem merkwürdigem Violett und die Sonne war giftgrün. Plötzlich schien sich alles um sie herum zu drehen. Wie in einem Karussell. Das Bild verschwamm vor ihren Augen.
Sie rutschte von Aladins Rücken. Kurz vor dem Aufprall verlor sie das Bewusstsein.


Kapitel 5
Sie wachte auf, weil jemand Wasser über ihr Gesicht schüttete. Sie fuhr hoch und wäre fast erneut umgekippt. Doch ein starker Arm hinderte sie daran das Gleichgewicht zu verlieren.
„Ganz ruhig“, hörte sie eine Jungenstimme an ihrem Ohr. Unter sich fühlte sie kühlen Stein und ein Plätschern. Ein weiches Maul beugte sich zu ihr herunter und knabberte an ihrem Ohr.
„Aladin“, flüsterte Laya kopflos. Mühsam öffnete die Augen und sah direkt in die Augen eines jungen Mannes.
„Geht es dir gut?“, fragte der Junge.
Laya nickte verwirrt. „Was ist passiert?“ Sie drehte den Kopf und wurde von Aladins weicher Nase angestupst.
„Du bist ganz plötzlich an mir vorbeigeprescht und dann vom Sattel gerutscht“, erwiderte der Junge.
Verzweifelt versuchte Laya sich daran zu erinnern, was passiert war. Ihr Kopf brummte. „Ich kann mich nicht erinnern“, murmelte sie. Sie wand sich aus dem Griff des Jungen und setzte sich auf.
Der Junge musterte sie skeptisch. „Hunger?“, fragte er und hielt ihr ein Stück Brot hin. Laya schüttelte den Kopf. „Nein!“
„Durst?“
„Nein!“
Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar und krallte sich in ihre weißen Strähnen. Der Schmerz tat ihr gut.
„Warum?“, fragte sie leise. „Warum hast du mich gerettet?“
Normalerweise war im Sattelfest jeder auf sich gestellt, doch dieser Junge hatte sie und Aladin hierher gebracht.
Der Junge betrachtete sie. „Ich kenne dich!“
Laya seufzte. Wer tat das nicht? Sie war im ganzen Land bekannt. Das Mädchen mit den weißen Haaren.
„Und deswegen hast du gedacht, dass du mich ja mal kurz retten könntest, oder was?“, fragte sie spitz.
Er sah sie an. Laya musste den Blick von ihm wenden. Er war der bestaussehenste, junge Mann, den sie je gesehen hatte.
Doch trotzdem! Das gab ihm nicht das Recht, sich in ihr Leben einzumischen!
„Hätte ich dich da liegen lassen sollen?“, fragte er fassungslos.
„Ich kann auf mich selbst aufpassen“, knurrte Laya und stand auf, doch sie schwankte und wäre prompt wieder umgekippt, wenn der Unbekannte sie nicht aufgefangen hatte.
„Das sehe ich“, erwiderte er mit einem frechen Grinsen.
Laya wurde rot und wand sich schnell aus seinem Griff. Eine Weile waren sie still. Der junge Mann stocherte mit einem Stock im Boden herum, während draußen ein wütender Wind wehte.
Schließlich überwand sich Laya und bedankte sich leise bei ihm.
Er sah sie an und lachte. „Ach! Jetzt bedankst du dich plötzlich?“
„Ja, das tue ich! Mir hat man nämlich Manieren beigebracht!“, antwortete sie aufgebracht darüber, dass er ihre Entschuldigung anscheinend nicht zu würdigen wusste.
„Willst du damit andeuten, ich hätte keine Manieren?“, fragte der Fremde grinsend.
„Und noch vieles mehr!“, erwiderte sie giftig.
Der Junge lachte. Es war ein so fröhliches und nettes Lachen, dass er sie ansteckte. Und obwohl ihr nicht danach war, lachte auch sie los. Layas Blick fiel schließlich auf ein weiteres Pferd. Eine Araberstute. Eine braune vornehme Araber-Falben-Stute!
„Du!“ Sie fuhr zusammen und starrte den Fremden an. „Wieso gerade du? Warum hast du mich gerettet?“
Sie erinnerte sich an den Mann, der neben ihr an der Ziellinie gewesen war und ihr gedroht hatte.
„Es scheint dich zu überraschen“, lächelte der Mann, der ihrem Blick gefolgt war. „Ich kann es dir nicht verübeln misstrauisch zu sein“, sagte er noch, als er bemerkte, wie Laya unauffällig von ihm wegrückte.
„Aber ich dachte, du wärst ein Junge“, fuhr er fort und musterte sie noch mal von oben bis unten, „Was du ganz offensichtlich nicht bist!“ Er grinste sie frech an.
Laya schüttelte mechanisch den Kopf. „Wer bist du?“, fragte sie schließlich.
Der Junge hörte auf zu lachen. „Ich hatte gewünscht, dass würdest du nicht fragen.“
„Weshalb?“
„Nun ja...zu lügen würde mir nichts bringen, denn dann würdest du es früher oder später herausbekommen. Und die Wahrheit...will ich dir nicht sagen!“
Laya legte verwirrt den Kopf schief. „Wie meinst du das?“
Der Fremde seufzte. „Nicht so wichtig! Nenn mich einfach Xen!“
Laya zog eine Augenbraue hoch. „Xen?“
Der Junge nickte.
„Und ich kann mich auch darauf verlassen, dass das dein wahrer Name ist?“, fragte sie skeptisch.
Der Junge schwieg, doch dann nickte er.
„Xen!“ Laya sprach seinen Namen leise aus. Er zerging ihr wie Honig auf der Zunge und sie lächelte unbewusst. Xen beobachtete sie achtsam.
„Was ist?“, fragte sie und das Lächeln erstarb auf ihren Lippen, als sie seinen Blick bemerkte.
Xen schwieg und wandte den Blick ab. Aladin stupste Laya aufgeregt an.
„Wir sollten weiter!“, meinte sie.
Der Junge sah sie ungläubig an. Seine Hand deutete auf den Höhlenausgang, in den der Wind nur so hineinfegte und Sandkörner aufgewirbelt wurden. „Bei dem Sturm? Keine Chance!“
Laya verzog das Gesicht. „Bist du ein Angsthase! Dann bleib hier, aber ich will das Rennen gewinnen!“
Mit diesen Worten stand sie schwungvoll auf und ging mit hocherhobenem Kopf zu Aladin, um ihn zu satteln. Sie war sehr stolz darauf, dass sie nicht schwankte und sich von diesem Jungen festhalten lassen musste. Er musste, während sie ohnmächtig geworden war, Aladin den Sattel und das Zaumzeug abgenommen haben, worüber Laya sehr überrascht war. Aladin ließ niemandem in seine Nähe.
Als sie den Sattel mit einem gekonnten Schwung auf Aladins Rücken gelegt hatte und den Sattelgurt festband, erhob sich Xen ebenfalls, ging zu ihr herüber und lehnte sich neben Aladin an die Wand.
„Es hat keinen Sinn jetzt rauszugehen“, versuchte er es noch mal, „Wie heißt du eigentlich?“
„Laya! Und es ist sehr sinnvoll nun hinauszugehen. Man kann Spähern entkommen. Keiner wäre so dumm, sich nun hinauszuwagen!“, erwiderte Laya. Sie erinnerte sich nur mit Schaudern an die Späher. Leute, die einfach alles dafür taten, um zu gewinnen und bessere Spieler wortwörtlich ausschalteten.
„Da gibt es auch einen Grund, wieso sie nicht in einen Sturm reiten!“, fuhr Xen sie an. „Es ist viel zu gefährlich. Dein Pferd wird es nicht schaffen dagegen anzukommen!“
Laya kochte vor Wut. Sie hasste es, wenn jemand Aladin als ihr Pferd beschrieb. Er war doch kein Gegenstand, den man besitzen konnte! Die tiefe Verbundenheit zwischen ihnen war einfach nicht zu erklären, aber Laya konnte das nicht auf ihm sitzen lassen.
„Er ist nicht mein Pferd!“, fauchte sie. „Ich bin viel mehr seine Reiterin!“ Sie schob Aladin, das Gebiss ins Maul und zog ihm den Riemen über die Ohren. „Außerdem haben wir nur noch drei Tage!“
Dieser Junge hatte keine Ahnung von Vertrauen. Bestimmt ritt er sein Pferd ohne auf dessen Bedürfnisse zu achten. Danach nahm sie Aladin an den Zügeln und steuerte auf Richtung Ausgang zu. Plötzlich spürte sie einen festen Griff am Handgelenk. Sie funkelte Xen wütend an, doch dann sah sie zu ihrer Überraschung, dass sein Gesichtsausdruck bittend, fast flehend war. „Bitte, Laya! Nicht.“ Doch so schnell wie dieser Ausdruck in seinen Augen gekommen war, so schnell verschwand er auch wieder. „Ich will dich nicht noch mal retten müssen!“ Ein vorsichtiges Grinsen stahl sich auf seine Lippen.
Laya war kurz davor gewesen bei ihm zu bleiben, doch nach diesen Worten riss sie sich von ihm los. „Du musst mich nicht retten! Wir sind Gegner! Verbrüderung mit dem Feind verboten! Klar? Also...probier es gar nicht erst! Ich werde auf jeden Fall gewinnen!“
„Und was wirst du dann machen? Denkst du König Salumid wird dir einfach die Belohnung geben ein Pferdereiter zu sein? Mädchen gehören nicht in den Krieg!“ Er sah sie genauso wütend an wie sie ihn, dann saß
sie auf und drückte die Schenkel gegen Aladins Flanken. Aladin verstand sofort und preschte davon. Kaum hatten sie den Höhlenausgang erreicht wurden sie von einer heftigen Sturmböe erwischt, aber Aladin hielt stand und Laya schloss die Augen und krallte sich in seine Mähne. Sie musste ihm vertrauen. Sie spürte wie Sandkörner auf ihr Gesicht einprasselten wie tausend Nadeln und vergrub es schnell in Aladins schwarzem Fell. Sie lag nun vornüber gebeugt auf seinem Hals, während er im gestreckten Galopp davon preschte. Xens Worte gingen ihr durch den Kopf, dass Aladin es nicht schaffen würde und ihr fielen wieder alle Gefahren eines Sandsturmes ein. Der Sand kann ein Pferd blind machen. In Nüstern, Ohren und Maul eindringen und innere Verletzungen hervorrufen.
Sie vergrub das Gesicht noch tiefer in seinem Fell. Nein! Nicht daran denken! Sie zwang ihn nicht zu laufen, das tat er! Er wusste, dass er jederzeit wieder umdrehen und zur Höhle zurücklaufen konnte...hoffentlich!
Da fiel ihr eine weitere Gefahr ein. Orientierungslosigkeit!
Sie betete, dass Aladin wusste, wohin er laufen musste.
Trotzdem, dachte sie bitter, Späher werden wir keine treffen.


Kapitel 6
Der Sturm hatte sich gelegt und strahlender Sonnenschein war gefolgt. Laya saß unter einem Baum an einem breiten Fluss. Endlich war die Landschaft wieder grün geworden.
Aladin graste friedlich neben ihr. Sie hatte ihm den Sattel und das Zaumzeug abgenommen und war die ganze Zeit ungeheuer Stolz gewesen. Nachdem sie in den Sturm geritten waren, war sie eine Weile später eingeschlafen und als sie erwachte, lag sie hier unter dem Baum und Aladin hatte den Kopf zu ihr heruntergebeugt und sie sachte angeblasen. Laya hatte schon befürchtet Xen hatte sie schon wieder retten müssen, aber er war nicht da und Aladin hatte seinen Sattel und die Trense noch an sich gehabt. Aber Laya bemerkte, dass sie sogar ein wenig traurig darüber war, dass er nicht da war. Denn, wenn sie ehrlich war, hatte er sie tief beeindruckt...außerdem sah er wirklich furchtbar gut aus. Sie würden hier nur kurz verschnaufen. Laya war sich sicher, dass sie sehr weit vorne waren. Es war noch kein einziger Reiter an ihr vorbeigekommen. Und ganz hinten konnte sie nicht sein. Plötzlich hörte sie Hufgetrappel und sah auf. Über zehn Pferde kamen zum Fluss. Ihre Reiter saßen ab und führten sie zur Trinkstelle. Sie hatten Laya noch nicht bemerkt und Laya hoffte, dass das auch so bleiben würde, doch schon deutete einer mit dem Finger auf Aladin und dann auf Laya.
Sie reagierte nicht. Tat so, als würden sie die Unbekannten nicht das Geringste interessieren, doch in Wahrheit hielt sich heimlich nach einem braunen Araberfalben Ausschau. Enttäuscht wandte sie den Blick ab, als sie die Stute nicht fand und schalt sich gleichzeitig als dumm. Wieso wollte sie denn, dass er dabei war? Es konnte nur einer gewinnen! Und das wollte sie sein!
„Hey, Kleine!“
Sie hatte gar nicht bemerkt, wie die Reiter auf sie zugekommen waren. Aladin wieherte wütend und legte drohend die Ohren an. Die Männer beachteten ihn nicht.
„Du bist sehr weit vorne“, sagte einer von ihnen mit einer dicken Narbe quer über dem Gesicht.
Laya schwieg und starrte auf den Boden.
„Vielleicht ist sie taub!“, mutmaßte ein anderer und die ganze Meute fing schallend an zu lachen.
Plötzlich wurde sie unsanft an den Haaren gepackt und hoch gezerrt. Sie schrie auf vor Schmerzen und Aladin versuchte nach dem Angreifer zu schnappen, doch die Männer hatten ihn abgedrängt und warfen johlend Lassos über seinen Hals. Der Mann der Laya gepackt hatte zog sie an sich und roch seufzend an ihren Haar. „Sie ist eine wahre Schönheit!“, rief er ein paar anderen Männern zu, die um ihn herum standen und lachten. Es war der Mann mit der Narbe, der Laya gepackt hatte.
Er schleuderte sie von sich und sie fiel auf den Boden. Sie versuchte wieder aufzustehen und zu Aladin zu kommen, der verzweifelt versuchte sich von den Seilen zu befreien, die um seinen muskulösen Hals geschwungen waren.
„Weißt du nicht, dass das Rennen für Mädchen verboten ist?“, fragte das Narbengesicht bedrohlich und kam wieder auf sie zu. Schnell rappelte sie sich auf und rannte auf Aladin zu, doch drei weitere Männer packten sie und hielten sie grölend fest.
„Du kannst nicht entkommen!“ Das Narbengesicht blieb vor ihr stehen und strich ihr mit dem Finger langsam über die Wange. „Weißt du nicht, dass es gefährlich für dich ist?“
Die Männer lachten und Laya spürte wie ihr heiße Tränen der Scham über ihre Wangen rollten.
„Und weißt du nicht, dass man Frauen kein Leid zufügen darf?“, rief eine Stimme voll Wut.
Laya sah auf. Ihr Herz machte einen Satz und suchte verzweifelt nach dem Jungen, dem diese Stimme gehörte.
Das Narbengesicht drehte sich mit verblüfftem Gesicht um und bekam einen Faustschlag mit solcher Wucht ins Gesicht, dass er aufschrie und zusammenbrach.
„Xen“, flüsterte Laya und konnte den Blick nicht von ihm wenden.
Xen stand über dem Narbengesicht und sah zu, wie er schrie und sich die gebrochene Nase hielt. Es sah zu den Männern, die Laya immer noch festhielten und starrte sie wütend an. „Lasst sie los!“, knurrte er gefährlich leise. Die Männer traten zurück und ließen Laya los, die zu Boden fiel und versuchte sich aufzurappeln.
Die Männer konnten den Blick nicht von Xen wenden und auch Laya sah ihn verwirrt an. Er schäumte vor kalter Wut und sie hatte das Gefühl, dass es ihm Spaß machen würde, die Köpfe der Männer zu zermalmen.
Doch sie dachte nicht weiter, darüber nach und rannte zu Aladin, der noch immer von den anderen Männern festgehalten wurde, doch als Laya auf sie zu rannte, sahen sie sich verwundert nach ihrem Anführer um, der immer noch gekrümmt am Boden lag. Aladin nutzte die Gelegenheit und riss sich los. Die Männer liefen in alle Richtungen davon und Laya half Aladin sich von den Seilen zu befreien und ihn zu beruhigen, damit er den Männern nicht nachlief.
Währenddessen hatte sich Xen neben das Narbengesicht gekniet. „Es ist besser du verschwindest jetzt!“, flüsterte er leise, sodass ihn niemand hören konnte. „Wenn du dich ihr noch einmal nährst, werde ich persönlich dafür sorgen, dass du nie wieder auf ein Pferd steigen wirst...und du weißt, wozu ich noch fähig bin!“
Der Mann stöhnte, rappelte sich schnell auf und seinen Begleitern nach.
Laya, die es inzwischen geschafft hatte Aladin zu beruhigen, sah Xen beeindruckt an. Als er ihren Blick bemerkte, drehte er sich zu ihr.
„Hallo Laya!“


Kapitel 7
Sie schwiegen, während sie nebeneinander her ritten. Schon eine ganze Weile hatte keiner etwas gesagt. Schließlich atmete Laya tief durch.
„Danke“, murmelte sie undeutlich und war froh dieses Wort nun überhaupt schon zum zweiten Mal herausgebracht zu haben.
„Ich hatte dir gesagt, dass du in der Höhle bleiben sollst!“, fuhr er sie an.
Laya wunderte sich über seine Gereiztheit, konnte sich aber nicht verkneifen zu sagen, dass sie den Sturm ja gut überstanden hatte.
„Das ist doch vollkommen egal“, rief er, doch dann beruhigte er sich schnell wieder, „Ich wollte dich nicht noch mal retten, Laya!“
Sie schwieg. Was wollte sie von ihm? Sie ritten im Trab nebeneinander her. Sie könnte einfach vorpreschen, doch ... sie tat es nicht. Wieso?
„Es tut mir leid“, nuschelte sie und sie wunderte sich, dass sie diese Worte überhaupt je herausgebracht hatte.
Xen schnaubte und schwieg. Laya bekam das ungute Gefühl, dass er sie gar nicht bei sich haben wollte.
„Warum rettest du mich andauernd?“, fragte sie schließlich. Xen wandte den Kopf und seine strahlend blauen Augen bohrten sich in ihre. Laya betrachtete, dass Gesicht des Jungen während er überlegte. Seine braunen Haare fielen ihm zum Teil ins Gesicht, doch er sah so...perfekt aus...so schön...
Schnell wandte sie den Blick ab und wartete.
„Weil...weil ich es nicht ertragen könnte, wenn dir etwas passieren würde“, brachte er schließlich heraus. Laya sah ihn mit offenem Mund an. Xen sah wieder nach vorne. „Komm, wir beeilen uns! Du hast ein Rennen zu gewinnen!“ Er grinste sie so wunderbar an, dass sie ihn am liebsten geküsst hätte. Doch dann jagte seine Stute schon davon und Laya ließ Aladin die Zügel lang, damit er ihr hinterher preschen konnte.
Ihr fiel plötzlich auf, dass Xen ein begabter Reiter war und, dass er sein Pferd nicht zwang zu rennen, so wie sie es gedacht hatte. Sie sah wie gleichmäßig ihre beiden Bewegungen waren und sie sah wie sehr aufeinander abgestimmt waren.
Innerhalb des nächsten Tages musste sie immer wieder an seine Worte denken. War er in sie verliebt? Bei dem Gedanken flatterte ihr Herz wie ein junger Vogel. Nein, das musste er anders gemeint haben und dann schoss ihr plötzlich Kellan durch den Kopf und sie fühlte sich schuldig.
Es gab sehr viele Mädchen, die Kellan liebend gerne zum Mann haben würden und Laya war insgeheim auch immer in ihn verliebt gewesen. Sie hatte es geschafft seine beste Freundin zu werden. Doch dann hatte er gehen müssen und sie wollte nichts anderes, als bei ihm zu sein. Doch nun war sie sich ihrer Gefühle nicht mehr so sicher.
Sie hielten an. Es war schon lange dunkel geworden und die Pferde waren erschöpft. Sie legten sich zwischen die Einzigen paar Bäume, die ihnen auf dem Weg begegneten, ins Gras.
Nachdem sie die Pferde abgesattelt hatten und ihnen das Zaumzeug abgenommen hatten, legte sich Laya zum Schlafen hin und dachte, auch Xen würde nun schlafen. Aber das tat er nicht. Er saß neben ihr und starrte angespannt in die Dunkelheit.
„Was ist?“, fragte Laya und setzte sich verwundert auf.
„Ich halte Wache“, erwiderte er mit einem hinreißenden Lächeln, „Ich will nicht, dass dir etwas passiert.“
„Wieso bin ich dir so wichtig?“, fragte Laya verständnislos.
Er atmete tief durch. Dann sah er plötzlich sehr verletzlich aus, doch im nächsten Moment wieder stark...und auch gefühlskalt.
„Ich erzähle es dir! Weißt du...mein Vater hat mir gesagt, dass ich ein Mädchen heiraten werde. Es soll das schönste Mädchen im ganzen Land sein. Ich sträubte mich. Ich wollte nicht gegen meinem Willen heiraten.“ Er verstummte und sah sie kurz an. Layas Brust zog sich zusammen. Das schönste Mädchen des Landes? Es tat weh und plötzlich musste sie an ihre vorbereitete Heirat denken und an den Prinzen. Sie hatte ihn noch nie gesehen und wusste noch nicht einmal wie er hieß. Nur, dass ihn alle den Prinzen nannten und die dummen adligen Mädchen von ihm schwärmten. Laya war klar, dass sie diesen Prinzen hassen würde und sie schwor sich, wenn sie ihn wirklich heiraten müsste, wollte sie ihn irgendwann mitten im Schlaf mit einem Messer erstechen.
„Doch mein Vater ließ mir keine Wahl!“, fuhr Xen fort. „Ich versuchte mich herauszureden. Ich habe ihn gefragt, was wäre, wenn ich das Sattelfest gewinnen würde. Er meinte, wenn ich das schaffen würde, wäre e ihm egal, ob ich dieses Mädchen heirate oder nicht, aber ich soll es danach wenigstens unter meine Obhut nehmen und auf es Acht geben. Deshalb versuche ich das Sattelfest zu gewinnen.“
Laya schwieg. Sie verstand. „Du willst dieses Sattelfest nicht heiraten, weil du eine andere liebst?“, fragte sie und ihre Brust zog sich schmerzhaft zusammen.
Wieder schwieg er. Dann riss er sich zusammen und sah sie an.
„Ich bin Prinz Salumid!“
Kapitel 8
Laya galoppierte und galoppierte. Sie wusste, dass er immer hinter ihr war und sie wusste auch, dass ihr Herz nun in zwei Hälften brach.
Sie hatte gestern nichts dazu gesagt, hatte sich schlafen gelegt und war dann am Morgen los, ohne auf seine Fragen zu antworten.
Er hatte ihr gestern Abend versucht zu erklären, dass er sie nur beschützte, weil er es seinem Vater versprochen hatte. Sie spürte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen und hasste sich selbst dafür.
Auf einmal tauchte er neben ihr auf und sah fragend an. „Laya?“
„Was ist?“, fauchte sie und wischte sich schnell mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht.
„Ich habe nicht gelogen. Mein Name lautet dennoch Xen.“
Laya lachte bitter. Wie konnte er nur glauben, dass es um seinen bescheuerten Namen ging.
„Was hast du?“, fragte er gereizt und packte Aladins Zügel, um ihn zum Stehen zu bringen.
„Lass mich in Ruhe, Xen!“, schrie sie und versuchte seine Hand von den Zügeln zu bekommen, ohne in Aladins Maul herumzureißen, der schon nervös trippelte.
„Erst, wenn du es mir erklärst!“, erwiderte er und sah sie fragend an.
Laya ließ einen gedämpften Schrei hören. „Gut!“, fauchte sie. „Ich sage es dir! Ich hab mich in dich verliebt, okay?“
Geschockt ließ Xen Aladins Zügel los, der nun endgültig zum Stehen gekommen war und fragend mit den Ohren zuckte. Laya wusste, dass sie nun wirklich weinte und es auch nicht mehr verstecken konnte.
„Und ich weiß auch, dass du ... für mich unerreichbar bist.“ Ihre Stimme wurde von unkontrollierbaren Schluchzern unterbrochen, doch sie erwiderte seinen Blick und wollte sich auch nicht von ihm lösen.
„Du bist mindestens vier Jahre älter und du hast in deinem Palast bestimmt ein Mädchen, dass du lieber heiraten würdest. Und das tut weh! Zu wissen, dass...“ Sie brach ab und schluchzte. Sie schloss die Augen und legte eine Hand auf ihr zerbrechendes Herz. Sie spürte nur, wie sie jemand aus dem Sattel hob. Eigentlich wollte sie sich wehren, aber sie war zu erschöpft und zu verzweifelt. Sie wusste noch nicht mal, ob sie sich überhaupt je wieder bewegen könnte.
Dann spürte sie plötzlich wie zwei starke Arme sie umschlossen und sich weiche Lippen auf ihre legten. Verwirrt öffnete sie die Augen. Sie sah nur Xens wundervolles Gesicht und seine schmerzverzerrten, geschlossenen Augen. Sie spürte, wie ihr Herz wieder zusammenwuchs. Spürte, wie es wieder neu anfing mit voller Kraft zu schlagen.
Als er sich von ihr löste, sah er liebevoll in ihr Gesicht und wischte ihr eine Träne weg. „Mein Vater hatte recht. Du bist das schönste Mädchen auf der ganzen Welt.“ Während er redete, strich er ihr, die von Tränen verklebten Haarsträhnen zur Seite. Ein paar Sekunden später wurden sie von lautem Pferdegetrappel aufgeschreckt.


Kapitel 9
Sie galoppierten im gestreckten Galopp vor dem Mann mit dem Narbengesicht und seinen Leuten her.
Xen hatte ihr erklärt, was sie tun würden und sie war einverstanden gewesen. Die Ziellinie war schon in Sicht. Sie sah die Stadt und die Menge jubelnder Leute.
Jetzt ging es nur noch um den Sieg.
Aladin flog über den Boden hinweg. So schnell, wie kein anderes Pferd war und doch hielt Xen mit.
Genau gleichzeitig galoppierten sie über die Ziellinie. Dann hielten sie an. Völlig außer Atem, umjubelt von allen anderen. Doch sie sahen sich nur an.
Laya hörte nicht, was der Sprecher von sich gab und es war ihr auch egal. König Salumid kam auf sie zu. Er sah streng aus.
Xen stieg ab und half Laya von Aladin, dann nahm er ihre Hand und lief mit ihr seinem Vater entgegen. Auch als sie vor ihm stehen blieben, ließ er ihre Hand nicht los.
„Mein Sohn?“, fragte König Salumid und zog eine Augenbraue hoch, al er ihre ineinander verschränkten Hände sah. Er war fast genauso prachtvoll wie sein Sohn. „Sie hat gegen das Gesetz verstoßen!“
Laya schwieg und starrte betroffen zu Boden. Sie wollte immer noch ein Pferdekrieger werden. Kellan war wie ein Bruder für sie.
„Das ist mir egal, Vater!“, sagte Xen eindringlich. „Sieh dir an, wie tapfer sie ist.“
Der König betrachtete Laya kurz, dann wurde sein Gesichtsausdruck hart. „Sie muss hingerichtet werden!“
„Nein!“ Xens Stimme war scharf wie ein Messer. Laya spürte, wie er ihre Hand fester umgriff. „Das werde ich nie zulassen! Eher bringe ich mich selbst um!“
Der König sah die umstehenden Leute an, die alle schwiegen, damit sie auch ja jedes Wort verstehen konnten.
„Was willst du mein Sohn?“, fragte der König mit sanfter Stimme.
Xen holte Luft. „Ich will, dass wir beide Pferdekrieger werden!“
Der König runzelte die Stirn. Schließlich nickte er nur.
„Wir haben zwei Sieger!“, verkündete er dem Volk. Das Volk jubelte und stürmte heran, um die Sieger zu feiern. In kürzester Zeit wurde Laya von Xen getrennt und schüttelte Hände und ergatterte Lobpreisungen.
Irgendwann schaffte sie es sich aus diesem Tumult zu befreien. Sie sah Aladin, auf sich zutraben und saß schnell auf, um der Meute zu entkommen. Schon galoppierte Xen an ihr vorbei.
Laya folgte ihm schnell. Sie ritten den ganzen Tag. Nun würden sie ihr Land beschützen!
„Ich weiß nicht, wie man kämpft!“, brachte Laya schließlich heraus.
„Ich werde es dir beibringen!“ Er lächelte. Sie waren schon fast bis zum Abend durchgeritten und die Pferde waren erschöpft.
Das war nun ihr Leben. Sie waren frei! Frei!
Laya bemerkte erst nun, was das für ein Gefühl war. Sie konnten sich fern von allen Städten halten und konnten, wo auch immer sie waren helfen. Niemand mehr, der ihnen sagte, was sie tun und lassen sollten.
Sie stiegen ab und legten eine Pause ein. Laya setzte sich ins Gras und Xen legte sich neben sie. Sie lächelte, während sie die letzten Sonnenstrahlen abbekam.
Xen beobachtete sie. Dann setzte er sich auf und küsste sie.
„Das schönste Mädchen auf der ganzen Welt!“, flüsterte er leise.
„Mein Prinz“, erwiderte sie lächelnd.
Sie hörte eine Möwe kreischen, spürte Xens Atem in Gesicht. Hörte Aladin vergnügt schnauben.
Sie war frei! Frei!
...wie ein Vogel.

Impressum

Texte: lillianwaving
Bildmaterialien: bookrix
Tag der Veröffentlichung: 11.06.2012

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