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Das Meer war fast tiefschwarz und erstaunlich ruhig, während ich auf sie wartete. Sie hatte es versprochen! Sie musste kommen!
Ich erinnerte mich an den Tag zurück, als wir uns kennengelernt hatten...

Meine Sandburg war eindeutig die beste Sandburg, die es je gegeben hatte! Groß und prachtvoll, glänzte sie in der untergehenden Sonne. Ich war zehn Jahre alt und lebte mit meiner Mutter am Strand in einem kleinen Kaff namens: Mirrow!
„Was machst du da?“, fragte eine Mädchenstimme hinter mir. Ich drehte mich um. Das Mädchen hinter mir schien ungefähr in meinem Alter zu sein. Sie hatte sich zu mir heruntergebeugt und lächelte freundlich. Ihre blonden Haare wurden ihr ins Gesicht geweht und ihre meeresgrünen Augen funkelten in der Abendsonne.
„Ich baue eine Sandburg!“, erwiderte ich stolz.
Das Mädchen grinste. „Kann ich dir helfen?“
Ich nickte. „Klar!“
Sofort setzte sie sich neben mich und betrachtete die Sandburg genauer.
„Wie heißt du?“, fragte ich sie.
Sie sah mich lächelnd an. „Nanami, und du?“
„Jeremy“, antwortete ich. „Nanami ist ein komischer Name. Bedeutet er irgendetwas?“
Nanami nickte heftig, so dass ihre blonden Locken wild umherflogen.
„Es ist japanisch und heißt ‚sieben Meere’!“
Ich zog eine Augenbraue hoch. „Warum haben dich deine Eltern so genannt?“
Sie sah mich mit großen Augen an, dann sah sie zu Boden. „Ich weiß nicht!“, nuschelte sie.
„Okay!“, sagte ich achselzuckend. „Nanami und weiter?“
„Weiter?“, fragte sie verwirrt.
„Du wirst doch wohl nicht nur Nanami heißen?“
Sie überlegte, schließlich lächelte sie. „Nanami Midori Kazumi!“
Ich starrte sie verständnislos an.
„Nanami bedeutet ‚sieben Meere’! Midori heißt ‚Grün’ und Kazumi bedeutet ‚Harmonie und Schönheit’!“
Ich lächelte. „Also, der letzte Name....der passt am besten zu dir!“
Sie wurde ein wenig rot, doch nach einer kleinen Weile lächelte sie mich nur strahlend an und half mir bei meiner Sandburg.
Als die Sonne schon fast untergegangen war, stand sie auf.
„Was ist los?“, fragte ich verwundert.
„Ich muss jetzt gehen“, sagte sie bedrückt. „Wollen wir uns morgen nochmal hier treffen?“
Ich nickte. „Ja!“ Dann erhob ich mich ebenfalls. „Du hast recht! Ich denke ich muss auch gehen!“
Sie drehte sich lächelnd um. „Bis morgen dann! Zur gleichen Zeit am gleichen Ort!“
Ich grinste ihr nach. „Ja, bis morgen!“



...Seit dem waren nun schon fünf Jahre vergangen. Wir trafen uns still und heimlich. Sie hatte mir erzählt, dass ihr Familie niemals wissen dürfte, dass sie sich mit mir treffen würde.
Also kam sie auch nicht zu mir. Wenn ich nach dem Grund fragte, antwortete sie mir nicht, deshalb hatte ich beschlossen ihr einfach zu vertrauen.
Wir waren immer abends am Strand.
Immer saßen wir an der selben Stelle zwischen den Dünen und sahen auf das Meer hinaus oder spielten Streiche oder jagten uns einfach nur gegenseitig umher.
Ich mochte sie.
Ich mochte sie sehr.
Heute hatte sie mir eine Überraschung versprochen. Ich fragte mich, was das wohl war, denn ich hatte auch eine Überraschung für sie. Schon von weitem sah ich ihre Gestalt auf mich zukommen.
Ich grinste ihr entgegen.
„Hallo, Schönheit!“, begrüßte ich sie lächelnd.
Sie grinste zurück und setzte sich neben mich. „Hallo, Macho!“
Ich lachte.
Eine Weile schwieg sie. Sie schien nervös zu sein.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte ich sie mitfühlend.
„Jaja!“, erwiderte sie schnell. Zu schnell. Ich zog eine Augenbraue hoch.
Sie stöhnte. „Jeremy, hör auf mich so anzuschauen! Ich hasse diesen Blick!“
„Sorry!“, sagte ich und sah sie mit einem selbstgefälligem Grinsen an. “Besser so?“
Sie lachte. „Nicht wirklich!“
„Was ist denn das jetzt für eine Überraschung?“, fragte ich sie neugierig.
Sie sah auf das Meer hinaus, dann lächelte sie mich schwach an. „Komm mit!“, sagte sie und stand auf.
Verwirrt folgte ich ihr.
Ich würde ihr blind vertrauen. Ich würde alles für sie tun!
Wir liefen eine Weile am Strand entlang bis wir bei den Klippen ankamen. Ich schluckte. „Wohin gehen wir?“
Sie gab keine Antwort, steuerte jedoch zielstrebig auf die Klippen zu.
„Nanami!“, sagte ich und blieb trotzig stehen. „Ich gehe nicht zu den Klippen!“
„Wieso nicht?“, fragte sie stichelnd. „Hast du Angst?“ Sie grinste mich an.
„Nein, aber...“ Ja, was aber?? Ich überlegte. „Wir dürfen da nicht hingehen! Das ist verboten!“
„Also doch!“, erwiderte sie. „Hab ich mir doch gedacht, dass du Schiss hast!“
„Ich hab keine Angst!“
„Hast du wohl!“
„Nein!“
„Ich sehe ja jetzt schon wie du schlotterst, Jeremy!“
Ich ballte die Fäuste. „Was willst du denn da, Nanami? Es ist verboten zu den Klippen zu gehen! Dort wimmelt es nur so von...von diesen...“, ich sah wütend auf den Boden, „Fischweibern!“, spuckte ich das Wort schließlich aus.
Nanami zuckte kurz zusammen, dann sah sie traurig aus. Einfach nur unendlich traurig. Ihr meeresgrünen Augen wechselten zu blau. Das war bei ihr immer so je nach dem ob sie glücklich wütend oder traurig war.
„Hey?“, fragte ich vorsichtig. „Ist alles in Ordnung!“
Sie schluckte und sah mir tief in die Augen. Das blau in ihnen änderte sich nicht, doch trotzdem zuckte ich zurück. Ihre Augen waren fast so klar wie ein Spiegel und furchtbar hellblau.
„Jeremy!“, sagte sie ernst. „Wenn du die Überrachung sehen willst, dann musst du mir jetzt vertrauen!“
Ich zwinkerte verblüfft.
„Vertraust du mir?“, fragte sie fast ängstlich.
„Ja!“ Ich nickte erstickt.
Nanami nickte beruhigt, drehte sich um und lief weiter.
Ich folgte ihr zögernd. Was hatte sie nur vor?
Wir liefen an den Rand der Klippen. Die Wellen brachen kreischend an den Felsen. Seemänner meinten, dass hier das Meer weinte. Es gefiel mir gar nicht. Als wir an eine seichte Stelle kamen, zog sich Nanami das T-Shirt aus. Sie hatte einen Bekini darunter. Was hatte sie vor?
„Hör zu!“, sagte sie fest. „Du musst mir jetzt bedingungslos vertrauen, okay?“
Ich nickte. „Okay!“
Sie lächelte und striff sich ihre blaue Strandhose von ihren Beinen. Im Bekini watete sie nun in die Wellen und plötzlich hörten sich die Wellen nicht mehr so an, als würden sie weinen. Es war als würden sie singen. Ein trauriger und doch wunderschöner Gesang.
Die Sonne verschwand gerade hinter dem Horizont.
Nanami stand in dem pechschwarzen Wasser. Sie hatte den Kopf gen Himmel erhoben und die Arme von sich gestreckt.
Ihre Augen waren geschlossen.
Auf einmal drang ein lautes, durchdringendes Kreischen, durch die Nacht.
Mit einem Schrei presste ich mir die Hände auf die Ohren.
„Nanami!“, rief ich über das Kreischen hinweg. Was auch immer sie vorhatte, sie musste sofort aus diesem verfluchten Klippenwasser.
Nanami hatte sich nicht bewegt, das Kreischen wurde lauter und ging immer weiter in die Höhe. Als ich das Gefühl hatte meine Ohren würden wegen den hohen Tönen platzen, wurde Nanami plötzlich nach unten gezogen und verschwand unter der Wasseroberfläche. Kaum war sie verschwunden hatte auch das Gekreische aufgehört.
„Nanami!“, schrie ich verzweifelt. Es war ruhig. Noch nicht einmal die Wellen machten Geräusche. „Scheiße!“, fluchte ich. Schnell zog ich mir mein T-Shirt und meine Hose aus und lief in Boxershorts ins Wasser.
„Nanami!“, schrie ich wieder. „Wo bist du? Nanami!“ Verzweifelt versuchte ich durch das tiefschwarze Wasser irgendetwas erkennen zu können.
„Jeremy!“
„Nanami! Wo bist du?“
Ich wartete ängstlich auf eine Antwort.
„Hier!“, hörte ich Nanami rufen. Schnell drehte ich mcih zum offenen Meer von wo die Stimme gekommen war.
Nanami kam auf mich zugeschwommen udn winkte wild mit den Armen.
Erleichtert schwamm ich auf sie zu. „Lass uns gehen, Nanami! Ich will hier nicht bleiben!“
„Jeremy!“, rief sie. Verwirrt blieb ich stehen und schwamm auf der Stelle. Irgendetwas in ihrer Stimme schreckte mich ab.
Ich warf einen zweiten Blick auf sie. Das Gesicht sah aus wie immer.
Doch da hob sie zaghaft eine Hand – und ich erstarrte.
„Nein!“, flüsterte ich.
Zwischen ihren Fingern waren Schwimmhäute.
„Nein!“ Verzweifelt versuchte ich so schnell wie möglich ans Ufer zu kommen.
„Jeremy, warte!“, schrie sie mir hinterher. „Bitte, warte!“
Doch ich hörte nicht auf sie. Ich hatte das Ufer erreicht, doch ich war immer noch nicht sicher.
„Jeremy!“ Ihr verzweifelter Ruf ließ mich inne halten. Ich drehte mich um.
Sie schwamm langsam auf mich zu.
„Hör mir zu!“, bat sie.
Ich schwieg.
Sie kam langsam noch näher. „Ich will dir nichts...“
„Sei still!“, rief ich wütend. „Du hast mich belogen! Du....Mit dir kann ich nicht befreundet sein!“
Sie zitterte. „Jeremy, bitte! Ich will nur...“
„Was?“, fuhr ich sie an. „Was willst du? Mein Augenlicht, stimmt’s? Du willst mein Augenlicht stehlen und wenn ich Pech habe auch noch meine Stimme!“
„Nein!“, rief sie verzweifelt. „Nein, ich bin nicht so wie die anderen! Ich will dein Augenlicht nicht!“
„Wie kann ich mir da sicher sein! Ihr Schuppengeschöpfe habt doch sicher allerlei Tricks, um an die Menschen ran zu kommen! Aber ich hätte es nie für möglih gehalten, dass du so ein Geschöpf bist!“
„Ich brauche nichts von dir! Nichts außer deine Freundschaft, bitte!“
Freundschaft? Ich schluckte. Ich wollte mehr. Mehr als Freundschaft, aber jetzt?
Ich vertraute ihr, doch ich bekam ebenfalls Angst. Viele Geschichten rankten sich um die schönen, gefährlichen Meerjungfrauen und jeder, der behauptet hatte, eine gesehen zu haben, wurde danach nie wieder gesehen.
„Hör mal“, fing ich an. „Du und ich können nicht miteinander befreundet sein!“
Meine Worte taten mir schon im Hals weh. Auch sie starrte mich fassungslos an.
„Aber...Jeremy...ich...“
„Ich kann dir einfach nicht vertrauen, Nanami!“
Sie schluckte. Ich sah wie sich eine einzelne Träne in ihrem Auge bildete.
„Ich kann es dir beweisen!“, sagte sie leise. „Ich kann es dir beweisen!“
„Und wie?“
Sie schwieg. Die Träne rollte ihre Wange herunter. Mit einem verzweifelten Schluchzer und einem unmenschlichen Kreischen verschwand sie mit einem majestätischem Sprung, in dem ich ganz kurz ihre Flosse erhaschen konnte.
Sie war ziemlich lang. Viel länger als ihre menschlichen Beine und sie glänzte in einem unvergleichlichen grün.
Ich sah noch einmal ihre Flosse irgendwo aufblitzen, als sie schließlich ganz verschwand.
Ich atmete tief ein. Dann drehte ich mich um und rannte davon.




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Tag der Veröffentlichung: 10.06.2011

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