Das ist sie. Die Nacht, auf die wir so lange hingearbeitet haben. Der Lichtkegel ist auf das Schlüsselloch gerichtet. Sebastians rechte Hand, die den kleinen Drahtstift hält, zittert. Sie dreht und wackelt, zieht und drückt und mit einem leisen Klick springt die Haustür auf. Sebastians Chef ist geizig. Zu geizig, sich eine Alarmanlage anzuschaffen. Lautlos treten wir ein, hinter uns fällt die Tür leise ins Schloss.
Sebastian sieht sich um. Der runde Lichtkegel fällt auf eine Kommode. Zwei Vasen stehen dort, daneben liegt das Telefon. Eine Garderobe, ein Stuhl, sonst ist der Flur leer. Leise schleicht Sebastian über den Kokosläufer. Ein Schwenk nach unten verrät mir, dass er rot ist. Die Zimmertüren rechts und links sind geschlossen. Sebastian drückt die Klinke der rechten. Es knarrt, er bleibt stehen. Seine rechte Hand fährt zu der Waffe, die am Gürtel unter seiner dunkelgrünen Militärjacke hängt. Wir lauschen. Es ist totenstill. Die Tür führt in die Küche. Uninteressant. Wir drehen uns um. Links geht es ins Wohnzimmer. Der dicke Teppich verschluckt jedes Geräusch. Alles was wir hören ist Sebastians Herzschlag. Schnell, ein bisschen unregelmäßig. Und das Ticken einer Uhr. Eine schöne Uhr. Groß und dunkel. Ein verschnörkelter Holzkasten und ein elfenbeinfarbenes Ziffernblatt mit goldenen Zeigern. Der Lichtkegel scheint so hell, als sei es Tag. Er zittert ein wenig, genau wie Sebastians Hand. Doch er gibt ihm Kraft und macht ihm Mut. Wir verlassen das Wohnzimmer. Leise und sehr langsam schleichen wir die Treppe hinauf. Sebastian hat Holz vermutet, das knarrt und uns verrät. Doch die Stufen sind aus Stein. Wieder treffen wir auf geschlossene Türen. Sebastian drückt den kleinen Plastikknopf. Der Lichtkegel erlischt und wir stehen im Dunkeln. Vorsichtig legt er sein Ohr an eine der Türen. Lauscht. Nichts. Unendlich langsam drückt seine rechte Hand das Metall der Klinke. Auch die Finger seiner linken umfassen Metall. Krampfhaft. Dann atmet Sebastian erleichtert auf. Sein Daumen drückt erneut den kleinen Knopf. Den Bruchteil einer Sekunde später fällt das Licht auf einen Schreibtisch. Wir sind dem Ziel so nahe.
Sebastians Hände durchwühlen die Schubladen. Schnell und leise. Er kennt seinen Chef. Weiß, wie der tickt. Wenige Minuten später hält er ein dickes Bündel in die Luft. Unfassbar viel Geld in der Hand, Triumph im Gesicht. Wir verlassen das Arbeitszimmer. Beschwingt, um so viele Kilos leichter, weil so viele Euro reicher. Hinter uns schließt Sebastian die Zimmertür.
„Heben Sie ihre Hände hoch und drehen Sie sich langsam um.“ Sebastian steht wie erstarrt. Langsam dreht er sich in die Richtung, aus der die Stimme kommt. Sein Chef zeigt mit einer Waffe auf uns. Ich weiß sofort, dass wir verloren haben. Sebastian hat es noch nicht verstanden. Hektisch schaut er sich um, leuchtet mal hierhin, mal dorthin. Und plötzlich erinnert er sich. Mit einer schnellen Bewegung zuckt seine rechte Hand an den Gürtel, zieht die Waffe. Es knallt. Sebastians Pistole fällt zu Boden, sein Chef war schneller. Die Finger der linken Hand lösen den Griff, geben mich frei. Polternd falle auch ich auf die Dielen, als seine Hand zur rechten Schulter saust. Sie drückt fest zu, trotzdem tropft Blut auf den Boden. Ich rolle. Zur Treppe. Wieder poltert es, als ich die erste Stufe hinunter falle. Die zweite. Ich drehe mich um mich selber, drehe und rolle. Auf der Hälfte der Treppe bleibe ich liegen. Mein Licht flackert noch einmal kurz auf. Dann erlischt es. Ich bin tot
Tag der Veröffentlichung: 22.12.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Meinem Sohn dessen Mittagspause mal wieder zu kurz war, um den ganzen Text zu schreiben...