Cover

Sie weiß, was sie will.
Aber was noch entscheidender ist: Sie weiß, wie sie es bekommt.



Klick, klack, klick, klack. Das schnelle Klackern der Absätze auf dem edlen Marmorboden ist das einzige vernehmbare Geräusch weit und breit. In Gedanken geht sie ihre eigens für diesen Anlass erstellte Checkliste durch. Geputzte Fenster, saubere Böden, schlichte Vorhänge und natürlich alle Informationen in ihrem Kopf. Ein zufriedenes Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus und sie bleibt am oberen Treppenabsatz stehen. Ihre rechte Hand ruht auf dem polierten Geländer während ihre Linke eine Mappe und ein Klemmbrett umschließt.
Das melodische Klingeln ist der Startschuss für ihr neues Leben.
Brust raus, Bauch rein.
Langsam steigt sie die leicht geschwungene Treppe hinunter und öffnet einem jungen Pärchen die Haustür. „Hereinspaziert!“
Die beiden treten ein und begrüßen sie freundlich.
„Willkommen in meinem bescheidenen Häuschen“, sagt sie mit einem Lachen und das Pärchen lacht ebenfalls.
„Wollen wir beginnen?“ Beide nicken und sie führt sie in das geräumige helle Wohnzimmer. Anschließend folgen die Küche, das Esszimmer, ein Kaminzimmer, drei Bäder und ein halbes Dutzend weitere Räume, allesamt luxuriös und gepflegt.
„Nun, sagen ihnen die Räume zu?“
Für einen Moment herrscht völlige Stille und ihre Hand schließt sich vor Nervosität fester um die Unterlagen.
Nur nicht die Nerven verlieren, Clara, ganz ruhig.
„Wir wollen ehrlich sein, Frau Ahrens, uns gefällt es hier wirklich sehr gut.“, beginnt der junge Mann. Seine Freundin nickt bestätigend. „Ja, das stimmt, es ist wunderbar.“
Claras Lächeln gefriert auf ihrem Gesicht zu einer verzerrten Maske und sie nestelt aufgeregt an ihrem Rockende herum. Wieso wollen sie es nicht? Es ist doch perfekt!
„Wir fragen uns nur“, fährt der Mann fort, „wieso sie verkaufen wollen?“
Sie kann sich ein hysterisches Lachen nicht verkneifen, doch als die Beiden sie verwirrt ansehen, beherrscht sie sich.
Wieso sie verkaufen will? Nun, das ist wirklich eine lange Geschichte …


Es begann, als sie auf das Gymnasium kam. Damals trug Clara geblümte Pullover, oder solche, mit Pferden. Sie hatte eine lockere Zahnspange, der schon bald eine Feste folgen sollte, und sie trug ihre dunkelblonden Haare meist zu einem geflochtenen Zopf gebunden.
Ihre Oma machte ihr jeden Morgen ein Wurst- oder Käsebrot und eine Gemüsebox für die Schule.
„Damit du nicht vom Fleische fällst.“, hatte sie jedes Mal gesagt und ihrer Enkelin Augen zwinkernd in die Wange gekniffen.
Bis zur 10. Klasse nahm Clara dankend ihr Vesper entgegen und kümmerte sich nicht um die Anderen, die sich lieber am Kiosk oder in der Cafeteria etwas kauften. Sie hatte ihre Freundinnen Laura und Kathi und glaubte, dass der frühe Tod ihrer Mutter, der im Grunde genommen schon längst in Vergessenheit geraten war, der einzige schlimme Moment ihres jungen Lebens sein würde. Doch sie lag falsch.
Von einem Tag auf den anderen veränderte sich Claras Welt.
Es war ein Freitagnachmittag. Sie fuhr mit dem Bus in die Stadt, um ihren letzten Kieferorthopäden-Termin wahrzunehmen, als es passierte.
Weil sie noch genügend Zeit für einen Burger hatte, ging sie in das Fast-Food-Restaurant, welches sich fast direkt neben der Praxis befand. Während sie aß, schrieb ihr Kathi eine SMS in der stand, dass sie mit Jakob gehen würde. Kathi war schon ewig in diesen Typen aus der 12. verliebt, und nachdem sie Monatelang alles versucht hatte, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hatte er sie also endlich erhört. Als Clara ihr Handy aus ihrer Tasche heraus gekramt und die SMS gelesen hatte, musste sie zugeben, dass sie ein bisschen neidisch war. Kathi hatte einen Freund. Auch Laura war seit einiger Zeit an einen Jungen aus der Parallelklasse vergeben. Clara war solo. Während ihr Burger vor ihr lag und nur darauf wartete, von ihr gegessen zu werden, dachte sie über ihre Beziehungen nach.
Doch so sehr sie auch grübelte, ihr fiel lediglich die 1-wöchige ‚Beziehung‘ mit Tom ein. Aber das war in der 8. Und lief eindeutig unter der Überschrift: Händchenhalten als höchstes Maß der Dinge.
Eingeschnappt tippte sie „Freut mich für dich.“, schnappte sich ihr Tablett mit dem halb aufgegessenen Burger und brachte es weg. Dann zog sie ihren Schal fest und trat ins Freie. Beiläufig schaute sie auf ihr Handy, doch Kathi hatte noch nicht geantwortet. Der Blick auf die Uhrzeit ließ ihr die Röte ins Gesicht schießen. „Scheißeee!“, brüllte sie, während sie sich durch die Menschenmasse, die gerade aus dem Bus ausgestiegen war, zu ihrem Kieferorthopäden kämpfte.
Kurz vor der Tür stieß sie mit einem jungen Mann zusammen, der sie unfreundlich anschnauzte: „Kannst du nicht aufpassen, Kleine!“
Sie entschuldigte sich, ohne dem Mann in die Augen zu sehen, und ging dann die kleine Seitenstraße weiter in Richtung Eingang. Gerade als sie die Tür aufgestoßen hatte, ertönte erneut die Stimme des Passanten: „Hey, du bist doch Kathis Freundin Clara, oder?“
Sie drehte sich um und schaute dem Kerl nun zum ersten Mal ins Gesicht. Es war Jakob.
„Oh, hi.“, sagte Clara peinlich berührt und hob die Hand zum Gruß.
„Hast du es eilig?“
Sie nickte. „Kieferorthopäde.“, sagte sie gequält.
„Du Arme. Dann wünsch ich dir viel Spaß!“ Er lachte.
Sie spürte, wie ihr warm wurde, als beim Lachen eine Reihe perfekte weiße Zähne zum Vorschein kamen. „Danke.“
„Man sieht sich.“ Jakob grinste, drehte sich um und ging.
Er sah gut aus. Clara hatte ihn davor noch nie so wirklich angeschaut. Das wurde ihr erst hier und jetzt, in einer kleinen Seitengasse vor einer kieferorthopädischen Gemeinschaftspraxis bewusst.
Sie wusste nicht wie lange sie dort stand und dem Engel zu ihrer Linken und dem Teufel zu ihrer Rechten zuhörte. Sie diskutierten über Jakob und die Tatsache, dass sie in hübsch fand, er aber gleichzeitig der Freund ihrer besten Freundin war.
Erst als es zu schneien begann, setzte sie sich in Bewegung und trottete auf die Praxis zu.

Impressum

Texte: meins
Tag der Veröffentlichung: 22.02.2011

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