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„Das Einzigste,
was ich in meinem Leben kontrollieren kann,
ist das Essen.“




Ich siege tagtäglich über meinen Körper…

Es ist ein Machtkampf… Körper vs. Psyche…

Es ist ein schönes, berauschendes Gefühl, über den Körper zu siegen, es macht stark und glücklich..
Es ist eine Willensstärke.

Eine Willensstärke, die den Körper kaputt macht und manchmal sogar tödlich endet.

Ich bin nicht stolz darauf, aber es gibt mir Sicherheit und Konstanze, die ich sonst nicht habe.

Ich will auch damit keine Aufmerksamkeit erwecken oder haben. Ich verstecke sie.

Es geht nämlich nur um mich…

Mittlerweile…. Vielleicht wollte ich es zu Anfang, ein Lob, etwas beweisen, irgendetwas… Doch gab es nie eins… und ich begann, es mir selbst zu beweisen…

Denn der Beginn wurde durch Fremde hervorgerufen.
Meine Familie..

Ich wollte ihnen beweisen, dass ich diszipliniert sein kann, und auch so dünn sein kann, wie sie damals, obwohl ich immer Normalgewicht hatte- BMI um die 20…

Ich war einfach nicht perfekt genug..
Nicht perfekt genug für diese Familie…
Egal welche Leistungen ich brachte, wie sehr ich mich bemühte, nie reichte ich aus… Ich wäre disziplinlos… nicht ehrgeizig genug….

Ich habe angefangen, mein Leben zu hassen, mich zu hassen, und das abgrundtief…

Stets gab ich mehr als ich eigentlich konnte, und doch gab es nie ein Wort des Lobens…
Das kannst du besser

, das waren die Worte, oder du bist meine Tochter, die muss besser sein als alle anderen, unsere Familie ist besser und stärker als alle anderen



Ich gab mehr als ich konnte, immer auf der Suche nach Anerkennung, nach Lob, nach Liebe…

Aber nie hat es ausgereicht….
Nie habe ich gereicht…

Deshalb kann ich auf die Dinge, die ich schon erreicht habe und jeden Tag erreiche, nicht stolz sein…
Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, nichts besonderes…

Wenn mich jemand lobt, ich kann damit nicht umgehen…
Ich sage zwar Danke, aber ich kann es nicht annehmen… Ich habe es nicht gelernt, Lob zu bekommen.. Woher soll ich dann wissen damit umzugehen?

Es kann immer besser sein, als ich es mache bzw. gemacht habe…

So habe ich es gelernt, irgendjemand ist immer besser als ich, und den muss ich „schlagen“..

Denn auch wenn ich danke sage, ich kann es nicht glauben, dass es demjenigen genug ist, was ich getan habe…

Doch es geriet aus dem Ruder… Ich stecke in einem Teufelskreis… Es ist wie ein Gefängnis…


"Ich habe die Kontrolle verloren, aber wiederum gibt es mir Kontrolle."




Es erscheint paradox…

Aber so ist es…

Meine Gedanken drehen sich nur ums Essen:

Wie viel Kalorien etwas hat, und wie ich sie schnell wieder loswerde..


„Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich nicht mich.

Ich finde mich hässlich und dick…

Nicht liebenswert!“




Jahrelang habe ich diese Worte gehört, und ich fing an, ihnen zu glauben.

Ich aß immer weniger, war nur unterwegs…

Nach einer Zeit gab es abends nur noch einen Apfel und einen Joghurt…

Bis ich begann, gar nichts mehr zu essen.

Aufgefallen ist es niemandem zu hause… Jeder lebte dort sein eigenes Leben, und eine Struktur im Essen war nie da…


„Jeden Tag stellte ich mich vor den Spiegel…
Jeden Tag stellte ich mich auf die Waage…
Nur um eine Bestätigung zu bekommen,
dass ich mich kontrollieren kann!“




Und ich war so stolz auf mich,
wenn die Waage wieder weniger anzeigte, es wurde zu einem Sport!
Mein Ehrgeiz war geweckt!

Ich unterdrückte den Hunger….

Irgendwann fühlte ich keinen Hunger mehr (so ist es heute noch)…. Mein Körper hatte sich daran gewöhnt… Essen tat ich nur noch, wenn ich kurz vorm Umfallen war.


„Wenn mein Leben außer Kontrolle gerät,
wenn mir die Kontrolle fehlt,
dann bleibt mir nur noch die Kontrolle über meinen Körper,
denn da hat kein anderer die Kontrolle drüber!“




In der Klinik wurde ich gezwungen zu Essen…

Von meinen Mitpatienten, von den Schwestern, von meiner Ärztin und Therapeutin.

Mit 23 bekam ich meinen ersten Essensplan, die erste Struktur, den habe ich bis heute noch…

Manchmal hat es geklappt, aber auch nur aus Angst, zwangsernährt und damit verlegt zu werden.

Spontane Wiegemaßnahmen gehörten für mich zum Klinikalltag… Oft habe ich auch geschummelt...

Ich weiß, es war nicht richtig, auch beim Essen im Speisesaal, so zu tun als ob… Aber es war ein Schutzmechanismus, der mich bestimmte…

Viele Gespräche mit den Schwestern folgten, verständnisvolle, bittende, aber auch strenge. Wir handelten Deals aus, die ich manchmal auch nicht hielt, weil es einfach nicht ging, die Konsequenz folgte dann.

Ich weiß, dass sie Recht hatten und auch immer noch haben.
Ich wollte so sehr, normal essen können, aber wie oft saß ich vor dem Teller mit Tränen in den Augen, weil ich nicht essen konnte, ich ekelte mich…

Die Schwestern versuchten wirklich mit allem, mich zum Essen zu bewegen. Ihre Reaktionen wechselten.
Von:
Bitte, ess doch was, denk an deinen Körper mit den ganzen Medikamenten!


Bis hin zu:
Du bleibst solange sitzen, bis du was gegessen hast.



Es war ein täglicher Kampf, 3 mal am Tag.

Wenn ich was aß, dann auch oftmals nur für sie, damit sie beruhigt waren, und auch um ihnen eine Freude zu bereiten..

Mit Belohnungen versuchten sie es, mit Bestrafungen.

Heute sehe ich es so, dass sie meine Schutzengel waren, und die sind sie bis heute geblieben!!!

Denn zum ersten Mal habe habe ich Fürsorge erlebt! Mit 23 Jahren....

Irgendwann hat es funktioniert, auch aufgrund des neuen Medikamentes. Ich war in dem Moment auch stolz auf mich. Doch lange hielt es nicht vor, weil wieder mich irgendetwas aus der Bahn warf….

Zum Teil plagten mich auch Alpträume, wenn ich z.B. wusste, ich muss frühstücken, sonst wär ich net raus gekommen, oder wenn ich etwas versprochen hatte, um meine Bitte erfüllt zu bekommen.

Manchmal habe ich es mit dem Essen im Griff, und fühle mich dann auch gut, aber noch zu oft gerate ich in diese Mühle…


„Ich weiß auch nicht, ob es irgendwann aufhört…

Ich weiß, dass ich meinem Körper nur schädige.

Ich muss lernen, auf die Bedürfnisse meines Körpers zu hören und ihnen nachzugeben.

Ich muss lernen, eine Struktur in meinen Alltag zu bekommen, und das Essen darin einzubinden.

Ich muss lernen, dass Essen nichts Schlimmes ist…

Ich muss es mir selbst beibringen, weil andere es verpasst haben…

Ich muss lernen, mich selbst so zu akzeptieren, wie ich bin…

Mich lieben zu können, mich ansehen zu können… Meinen Körper richtig wahrzunehmen..

Es ist ein langer Weg, den ich noch zu gehen habe…
Mit vielen Höhen und Tiefen…

Aber ich will und werde es eines Tages schaffen, davon bin ich überzeugt…“




Weil heute bin ich nicht mehr allein…



Heute habe ich „Meine Klinik“, alle miteinander…
Sie sind für mich da, egal ob die stationären oder ambulanten Kräfte… Egal in welchem Bereich ich mich aufhalte.

Heute habe ich Freunde, die mich lieben und mir das Gefühl geben, so wie ich bin, so wie ich aussehe, vollkommen zu sein.

Ich bin etwas Besonderes…



Niemand hackt mehr auf mir herum, oder nörgelt, so wie ich aussehe, weil ich diese Menschen aus meinem Leben ausgeschlossen habe.

Kommt es doch einmal dazu, dann habe ich Antworten parat, die ich in meiner Therapie gelernt habe.


„Ich versuche es so zu sehen,
dass die Menschen, die so etwas zu mir sagen,

einfach mit sich selbst unglücklich sind,
und es nur auf mich übertragen wollen.“




Ich versuche es nicht auf mich zu beziehen,
und es abzuschütteln,
nicht an mich herankommen zu lassen.

Nicht immer klappt es…

Aber es kann ja nicht direkt alles klappen…


„Auch kleine Schritte sind Schritte nach vorne!!
Egal wie groß sie sind!“




Ich werde es schaffen,
ich möchte nicht mehr in diesem Kreis gefangen sein!




Und zur Klarstellung:

Anorexia nervosa, genannt Magersucht, ist nicht immer eine Modeerscheinung!

Die Ursachen können weit bis in die Kindheit zurückliegen!

Verurteilt mich nicht und auch keine anderen, die an dieser Krankheit leiden, wie gern würde ich tauschen!!

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.10.2009

Alle Rechte vorbehalten

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