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Es war heiß. Definitiv sehr heiß. Ich schätzte es auf die 35°C, als ich die Tür hinter mir schloss. Aber es war nicht diese drückende, schwere Hitze. Trockener Föhn blies meine Haare zurück und sie tanzten im Wind. Als ich die Straße erreichte, dröhnten gewohnte Bässe über den Platz. Jungs können echt so kindisch sein. Muss wohl an dem zusätzlichen Y-Chromosom liegen. Ich seufzte. Aber es gehörte einfach dazu.
Heute waren viele Menschen auf den Straßen. Umgeben von schreienden Müttern und noch lauter schreienden Kindern wanderte ich bedächtig die lange Einkaufsstraße entlang. Die Luft schien stehen zu bleiben, als ich den Fuß auf das erste Pflaster der Fußgängerzone setzte. So fühlte sich Urlaub an, für mich jedenfalls. Es war nicht ruhig und schon gar nicht perfekt, aber es war so wie ich es kannte und liebte. Es war mein zweites Zuhause. Von Schaufenster zu Schaufenster priesen die Verkäufer immer unnötigere Dinge zu noch unnötigeren Preisen an. Italien – geliebtes teures Italien, hast du mich vermisst? Lächelnd ging ich weiter, mein Blick streifte den Park. Wie gestern fühlte es sich an, als ich damals noch die Rutsche oder die Schaukel unsicher gemacht hatte.
„Ciao Bambini“ haben sie gerufen während sie uns freudestrahlend anlächelten. Weder meine Schwester noch ich kannten diese Leute, aber sie schienen uns zu kennen. Ich lächelte zurück. Meine Schwester schaute böse. Ich hatte damals nicht begriffen, dass es dort ziemlich ungewöhnlich ist, wenn man so hell war wie wir. Hell im Sinn von blondhaarig und hellhäutig. Dass uns alle Einwohner dort anstarrten, als wären wir wertvolle Porzellanvasen aus der Ming-Dynastie. Dass wir angelächelt wurden, wenn wir spazieren gingen oder uns wildfremde Menschen ansprachen oder uns winkten.
Zurück im Hier und Jetzt wanderte ich weiter. Die Schatten der riesigen Palmen überzogen mich, als ich den nächsten Abschnitt erreichte. Einem Mangel an Eis wird man hier wohl nicht zum Opfer fallen. Gezählte 20 Geschäfte weiter – 10 davon waren Eissalons – blieb ich stehen. Andere wären wohl weitergegangen, weil sie hier nichts sehen würden, dass sie erstaunen ließ. Mich schon. Es plätscherte und platschte, als ich immer näher kam. Ein großer, etwas alt wirkender Springbrunnen war der Mittelpunkt des Kreisverkehrs, in dem ich gerade stand. Untertags war er geöffnet, aber am Abend, als die Lichter die Wasserfontänen erhellten und sie wirkten wie flüssige Diamanten, war er gesperrt. Er war immer fixer Teil unserer abendlichen Route gewesen und trotzdem so oft unbeachtet. Ja, er wirkte alt, wie er so erhaben an diesem Platz stand. Aber er war eine Konstante in dieser lebhaften und viel zu schnelllebigen Stadt. Sentimental, ja das wirst du schön langsam, sagte mein Verstand. Ich lachte wieder. Ein paar Leute neben mir schauten mich verwundert an, als ich ihrem Blick begegnete lächelten sie. Italien – wie sehr hatte ich dich vermisst.
Sattgesehen von den Verkäufern und ihren Waren, verließ ich kurzerhand die Einkaufsstraße und wanderte südwärts weiter Richtung Meer. Der erste Blick nach einem Jahr voller Sehnsucht, in dem die Seele hungerte für diesen Moment, konnte mir niemand nehmen. Es war wie das Heimkehren nach einer langen, anstrengenden Reise. Wie die Tür zu öffnen und seine Liebsten wiederzusehen. Das Gefühl, wieder da zu sein, wo man hingehörte. Vergessen waren die anstrengenden Monate in überhitzten Klassenräumen, mit anstrengenden Lehrern und nervenaufreibenden Aufgaben. Vergessen all die Quälerei, die hinter mir lag. Ich sah nach vorne. Langsam löste sich aus dem Horizont eine Linie, die Erde und Himmel trennte. Die Sonne stand am Zenit, als ich das dunkelblaue Ende der Welt sah. Vergessen war die Straße unter mir und die Leute um mich. Ich sah nur das Nass. Die Realität ließ ich mit dem Verstand hinter mir zurück und begann zu laufen. So schnell ich konnte rannte ich zur Strandpromenade. Es war kein Auto in Sicht, falls doch, dann hätte ich es sowieso nicht gesehen oder gehört. Es gab nur mich und den Strand.
„Attenzione, Ragazza! Attenzione!“, schrie ein Mann und ich sprang gerade noch rechtzeitig zurück. Ein pfeilschneller Radfahrer flog an mir vorbei und sah mich erschrocken an. Nicht die Autos waren das Gefährlichste in Italien, es waren die Radfahrer. Die nahmen das mit ihrem Fahrradweg wirklich zu ernst. Leute, da DÜRFEN Fußgänger AUCH drüber! Erholt und mit flatternden Herzen sprang ich über die kleine Betonmauer, die den Strand vom Gehsteig abgrenzte und schlüpfte sofort aus meinen Flip Flops. Sand. Endlich Sand.

* * * * * * * * * *



Was hatte ich auch erwartet? Ganz plötzlich kamen mir meine Vorstellungen und Hoffnungen abstrus und vollkommen absurd vor. Ich schüttelte den Kopf. War es nicht von Anfang an klar gewesen? War dieser Ausgang nicht vorherbestimmt gewesen? Du musst blind gewesen sein, rief mein Verstand. „Und du warst ja um so viel besser“, antwortete ich ihm zornig. Ich merkte erst Momente später, dass ich einer Stimme in meinem Kopf geantwortet hatte, und hätte mich dafür wieder Ohrfeigen können.
„Dear? What’s wrong?“, fragte er mich. Ich Idiot. Steh jetzt sofort auf und geh. Egal wohin. Mach schon!
„No, everything’s okay!“, antwortete ich und blieb sitzen. Er lächelte dieses verschmitzte, eigenartige, süße Lächeln, als er mich umarmte und zu sich her zog. Warum bin ich nicht einfach gegangen? Ich wusste doch ganz genau, wie das enden würde. Ich seufzte. Bevor mein nachdenklicher Blick seinen treffen konnte, erstickte er meine aufkeimenden Worte mit einem Kuss. Ein Kuss so leidenschaftlich, dass sogar Casanova eifersüchtig geworden wäre. Deine Landsmänner stehen dir um nichts nach, dachte ich, als er mich fest an sich drückte. Wehren war zwecklos, weglaufen unmöglich. Ach, ist doch egal, meinte mein Verstand und gab den Widerstand auf. Ein Widerstand, der mich vor dem bewahrt hatte, was jetzt kam. Er setzte sich auf sein Bett und zog mich mit sich. Es war als würde er in sich hinein lächeln, als er mich an meiner Taille nahm und zu sich zog.

(Fortsetzung in Arbeit)

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Tag der Veröffentlichung: 22.07.2011

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