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Leises Flüstern drang durch die Nacht, sprang von einer Wand zur anderen und schlüpfte schließlich durch eines der geöffneten Fenster im Obergeschoss in die Dunkelheit.
Marie lag lächelnd unter ihrer dünnen Decke und lauschte den Worten, die sie nicht verstand, die aber leise an ihr Ohr drangen.
Ihre Eltern lagen nur eine Kammer weiter in tiefem Schlaf versunken und träumten von einer besseren Zeit. Marie wusste, dass sich das Träumen lohnen würde.
Die feinen Stimmen verstummten gerade in dem Moment, als ein wohliger Seufzer ihren Lippen entschlüpfte. Dann schlief sie auch schon ein.

"Meinst du, sie hat uns gehört?" Der kleine Brownie sah seinen noch kleineren Wichtelfreund aus großen Augen an. Die freundlichen Hausgeister mochten es überhaupt nicht, wenn man sie entdeckte.
"Und wenn schon!", meinte der Wichtel. "Sie ist noch ein Kind, aber sie kommt nach ihrem Großvater. Stellt sie dir nicht jeden Tag eine kleine Schüssel Milch aufs Fensterbrett?"
Da hatte der Wichtel recht. Das tat Marie wirklich. Bevor ihr Großvater gestorben war, von dem ihre Eltern das Haus mit der schönen Fachwerkarbeit und dem großen Haupttor geerbt hatten, hatte ihr Großvater ihr erzählt, dass er einen ganz besonderen Hausfreund hatte, der ihm des nachts im Haushalt half. Und auch, dass dieser Hausfreund es sehr schätzte, wenn man ihm ein paar Süßigkeiten und etwas Milch für die Nacht hinstellte. Das hatte Marie bisher an keinem Abend vergessen. Nur Süßigkeiten gab es fast nie, da Maries Eltern ziemlich arm waren.
"Los, lass uns an die Arbeit gehen!", riss der Wichtel seinen Browniefreund aus seinen Gedanken. "Marie braucht unsere Hilfe. Sonst hat sie bald kein Zuhause mehr."
Maries Eltern hatten hohe Schulden. Ihr Vater war ein Schneider, doch warf sein Laden, in dem seine Frau für ihn die Waren verkaufte, kaum noch etwas ab. Ein neuer Schneider mit neuer Mode war in die Stadt gekommen und hatte ihm nach und nach die Kunden genommen. Jetzt stand Maries Familie kurz vor dem Ruin und würde das Haus, das ihnen so sehr am Herzen lag, nicht mehr lange halten können. Marie war zwar noch ein Kind, aber dass das Geld fehlte, merkte auch sie. Seit Wochen gab es nur noch dünne Suppe und seit gestern gab es kein Brot mehr im Haus. Da hatte Marie den Anweisungen aus dem letzten Brief ihres Großvaters Folge geleistet.

Meine geliebte, kleine Marie!

Eines Tages wird es passieren, dass du morgens aufwachst und kein Brotkrümel mehr im Haus ist, weil ein neuer Schneider dafür sorgt, dass deinem Vater das Geld fehlt. Erinnerst du dich an die Geschichte, die ich dir erzählt habe, als mir das passiert ist? Sie ist wahr, kleine Marie. Kein Wort davon war gelogen und du kannst dafür sorgen, dass sich die Geschichte wiederholt.
Nimm das kleine glänzende Nähset, dass ich dir zum Geburtstag geschenkt habe und bringe es in den Wald zu dem Baum, auf deren Wurzeln wir so oft gesessen haben. Lege eine Nadel mit Faden an den Stamm und bitte um Hilfe für deinen Vater. Dann warte die Nacht ab.
Wenn du ein Flüstern hörst, weil du vor lauter Spannung nicht einschlafen kannst, stehe auf keinen Fall auf. Bleibe ruhig liegen und denk an mich.

Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt, mein kleines Mädchen.

In Liebe dein Großvater

P.S: Kümmere dich gut um unseren kleinen Hausfreund. Ich weiß, dass er dich gern hat.



Am nächsten Morgen erwachte Marie durch einen lauten Aufschrei ihrer Mutter. Sie sprang aus dem Bett und lief in die Wohnstube, wo ihr Vater hektisch von links nach rechts lief und ihre Mutter mit vor den Mund geschlagenen Händen unbeweglich dastand. Dann machte auch Marie große Augen.
"Das kann nicht wahr sein!", sagte ihr Vater immer wieder kopfschüttelnd. "Das kann einfach nicht wahr sein!"
Über Stühlen, auf den Tischen, an den Lampen - überall hingen wunderschöne, neugeschneiderte Kleidungsstücke.
Röcke, Blusen, Kleider, Hosen, Hemden - sogar elegante Schals waren dabei. Jemand hatte die Stoffe des Schneiders völlig neu kombiniert und bearbeitet.
"Papa!" Marie deutete aufgeregt auf eine Ecke des Tisches. Fein säuberlich zusammengefaltet lag dort ein Stapel Papier mit den Schnittmustern und ein kleiner Zettel auf dem stand:

Wir danken für Nadel und Milch

Maries Vater weinte vor Glück. Er nahm seine Frau in die Arme und presste sie an sich.
"Vater hatte recht. Er hatte immer recht. Es ist alles wahr. In diesem Haus wohnt wirklich das Glück."

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Tag der Veröffentlichung: 07.02.2013

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