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"Zeit für Liebe und Gefühl,
heute bleibt es draußen kühl.
Kerzenschein und Apfelduft -
es liegt Weihnachten in der Luft."

(Unbekannt)

... in ein paar Tagen ist es schon soweit.

(Iris Deitermann)


Tap, tap, tap machte es auf den Holzbohlen des Hauses der Familie Zwickelwichtel. Das Geräusch war so leise, dass man gleich wusste, dass hier jemand auf Zehenspitzen unterwegs war. Trotzdem blieb dieser Jemand immer wieder stehen und lauschte in die Dunkelheit, ob ihn vielleicht doch jemand gehört hatte. Tap, tap, tap machte es dann immer wieder – bis der Tapverursacher vor der großen, roten Wohnzimmertür stand, um die kunstvoll eine leuchtende Weihnachtsgirlande drapiert worden war.
In dem Moment, in dem der Tapverursacher nun einen Blick durchs Schlüsselloch auf den Raum dahinter erhaschen wollte, wurde er jäh von einem weiteren Tappen unterbrochen, das sich allerdings weit weniger Mühe gab, ungehört in der Nacht zu verklingen.
„Willi Zwickelwichtel!“, erklang eine strenge Stimme aus der Dunkelheit. „Wieso bist du nicht in deinem Bett?“
Willi erschrak furchtbar. Hatte man ihn doch tatsächlich erwischt. Dabei hatte er sich doch solche Mühe gegeben.
„Ich-ich-ich...!“, stammelte er vor sich hin. „Ich bin so aufgeregt. Ich kann nicht schlafen. Ich kann nicht mehr länger warten. Ich halte es einfach nicht mehr aus!“ Der kleine Wichtel ließ die Schultern hängen. Die Tapschritte der strengen Stimme kamen näher zu ihm heran, knipsten ein kleines Licht an und standen schließlich vor Willi.
„Mein lieber kleiner Zwickelwichtel. Nur noch ein einziges Mal schlafen, dann ist es doch schon so weit. Du hast jetzt so viele Nächte gewartet, da ist eine Nacht doch gar nicht lang.“
Behutsam strich eine Hand über Willis verwuschelte quietschgrüne Wichtelhaare und ein lächelndes Gesicht schob sich in sein Sichtfeld. Willis Vater hatte ja gut reden. Er wartete nicht auf das wundervollste, tollste, größte, spannendste und coolste Geschenk von allen.
„Doch Wichtelpapa, gerade diese eine Nacht ist so lang, wie noch nie eine vor ihr gewesen ist. Ich glaube, sie dauert schon hundert Jahre an.“ Der Wichtelpapa grinste und unterdrückte ein Lachen. Er wusste besser als jeder andere, wie sein kleiner Wichtelsohn sich gerade fühlte.
„Hundert Jahre, das ist aber eine lange Zeit. Das ist so lange, wie es gedauert hat, bis du endlich deine Wichtelschuhe, dein Wichtelhemd, deine Wichtelhose, den Wichtelgürtel, den Wichtelkragen, die Wichtelhandschuhe und die Wichtelglöckchen hattest. Glaubst du wirklich, diese eine Nacht ist soooooooo lang?“
Willi kniff die Augenbrauen zusammen. Was war denn das für eine Frage?
„Ich schwöre, Wichtelpapa, die Zeit hat an der Uhr gedreht und zwar immer rückwärts. Vielleicht ist sie aber auch kaputtgegangen und einfach stehengeblieben!“
„Rufen wir sie doch einfach an, und fragen nach!“ Das Telefon stand ganz in der Nähe, sodass Willi Zwickelwichtels Wichtelpapa ganz einfach danach greifen konnte. Schon wählte er auch schon die Nummer, bevor Willi Zeit hatte, etwas dagegen einzuwenden.
„Hallo Zeit?“, sprach der Wichtelpapa in die Hörmuschel. „Kannst du mich hören? Ich möchte gerne wissen, ob alle Uhren noch richtig gehen?“ Willi rutschte ganz nah an seinen Vater heran, um zu hören, was die Zeit zu sagen hatte. Schnell war klar, dass alle Uhren ihren ganz normalen Rhythmus tick-tackten.
„Aber wieso fragst du mich das eigentlich mitten in der Nacht? Wieso wartest du nicht bis morgen damit?“ Die Zeit war mehr als verdutzt über das nächtliche Telefonat.
„Weil Willi dachte, dass du vielleicht rückwärts an der Zeit drehst oder sie gar angehalten hast!“
Auf der anderen Seite des Hörers konnte man es kurz rascheln hören.
„Aha!“, brummte die Zeit in den Hörer. „Morgen ist Weihnachten. Das erklärt natürlich alles! Geschenkewartezeit – da laufen die Uhren anders, obwohl sie weiterticken, wie an jedem anderen Tag.“
Wäre es nicht so dunkel vor der Wohnzimmertür gewesen und das Licht nur ein bisschen heller, hätte man sehen können, wie Willi Zwickelwichtel ganz rot wurde im Gesicht. Sein Vater bedankte sich kurz für die Auskunft und legte auf.
„Willi Zwickelwichtel, ich weiß, dass morgen ein großer Tag für dich ist. Trotzdem musst du jetzt schlafen gehen, sonst hast du morgen gar keine Geschenkeauspackenergie. Und was machen wir dann mit dem Päckchen für dich? Am Ende muss es jemand anderes auspacken.“
Willi zog die Augenbrauen hoch und stand stocksteif da. Nein, ein anderer durfte sein Geschenk nicht auspacken. Dafür hatte er zu lange darauf gewartet. Tap, tap, tap machte es in atemberaubenden Tempo, als er in sein Wichtelbett flitzte. Tap, tap, tap machte es noch einmal, als der Wichtelpapa schmunzelnd die Treppe zu seinem Schlafzimmer hinaufstieg.

Am nächsten Morgen hielt es Willi aber nur gerade so lange in seinem Bett, bis die Wintersonne mit ihren ersten Strahlen seine Nase kitzelte. Schon sprang er heraus, zog seine Wichteluniform an und rannte ins Schlafzimmer seiner Eltern. Die waren aber gar nicht mehr in ihren Betten. Flugs machte er auf dem Absatz kehrt und sprintete die Treppe hinunter. Da warteten auch schon Wichtelmama und Wichtelpapa vor der Wohnzimmertür auf ihn. Lächelnd öffneten sie die Tür einen Spalt breit, dann immer weiter, während Willi mit glänzenden Augen darauf wartete, endlich den Weihnachtsbaum zu sehen, den die Türen verbargen.
Als er ihn endlich sehen konnte, hielt ihn nichts mehr. Mit drei kurzen Sätzen war er schon bei seinem Geschenk. Stolz sahen seine Eltern ihm dabei zu, wie er ganz langsam die Schleifen vom Paket entfernte, langsam das Papier abwickelte und schließlich den Deckel von der Schachtel nahm, in dem sein Geschenk auf ihn wartete.
„Jetzt bin ich ein endlich ein richtiger, echter Weihnachtswichtel!“, flüsterte Willi ehrfürchtig, als er seine rote Wichtelmütze auf den Kopf setzte, die in seinem Paket gelegen und die er sich sooooooo sehr gewünscht hatte. „Da hat sich das Warten und ganze Jahr artig sein wirklich gelohnt!“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.12.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle Weihnachtswichtel dieser Welt

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