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Ein Unbekannter sagte einmal: "Freude dauert sieben Tage, Traurigkeit aber ein Leben lang."

... ich würde sagen, man muss ein Gleichgewicht zwischen den beiden finden.
(Iris Deitermann)


Auf der Lichtung war es ruhig. Nichts störte die Stille des Waldes, die nur vom leisen Rauschen des Windes in den Baumwipfeln begleitet wurde.
Lyra saß auf einem Baumstamm, ließ Kopf und Schultern hängen, seufzte und baumelte lustlos mit den Beinen. Das sie traurig war, konnte man ihr schon von Weitem ansehen.
„Was ist denn mit dir los?“, platzte da die Fröhlichkeit in die Stille hinein, weil sie sich einfach nicht erklären konnte, warum sie plötzlich der Traurigkeit Platz machen sollte.
Lyra hob den Kopf und seufzte noch einmal. „Ich fühle mich so allein!“
Die Fröhlichkeit sah sich um. Es war also doch die Einsamkeit gewesen, die sie vorhin hinter einem Busch hatte sitzen sehen.
„Wie kannst du einsam sein, wenn du so viele Freunde und eine so große Familie hast?“
„Die Antwort darauf ist doch einfach!“, mischte sich da das Verständnis ein. „Es kommt ganz auf die Person an, die man braucht, um glücklich zu sein.“
„Hmmmm...!“, überlegte die Fröhlichkeit und setzte sich neben Lyra auf den Stamm. „Dann fehlt dir also eine einzelne Person so sehr, dass du dich trotz so viel anderer Gesellschaft alleine fühlst?“
Lyra nickte mit dem Kopf. „Sinya, meine beste Freundin, ist von hier weggegangen. Sie und ihre Familie kommen nicht mehr zurück!“ Mit Tränen in den Augen sah sie die Fröhlichkeit an, die sich plötzlich seltsam berührt, fast schon unwohl fühlte und deshalb aufstand, um der Traurigkeit ihren Platz zu überlassen. Diese legte fürsorglich den Arm um Lyra.
„Wenn so etwas passiert, darf man ruhig traurig sein. Ganze Tränensturzbäche darf man weinen und sich dabei entsetzlich einsam fühlen.“
„Genau so ist es!“, bekräftigte die Einsamkeit die Worte der Traurigkeit.
„Bei allem Verständnis!“, rief die Weisheit dazwischen. „Die Traurigkeit darf niemanden zu fest im Griff haben. Irgendwann muss mit dem Traurigsein auch wieder Schluss sein.“ Mahnend sah sie in die Runde. „Wenn ein Freund weggeht, muss man die Tür schließen, sonst wird es kalt.“
Einen Moment murmelten alle Anwesenden nur vor sich hin. Entweder zustimmend, oder, wie im Falle der Traurigkeit und der Einsamkeit, eher murrend.
„Ja, man muss etwas gegen die Kälte tun, die ins Zimmer weht, wenn man die Tür offen lässt. Genauso wie man etwas gegen die Traurigkeit tun muss, um wieder fröhlich zu sein!“ Die Fröhlichkeit, die sich nun auf die andere Seite neben Lyra auf den Baumstamm setzte, grinste sie an, während sie böse Blicke von der Traurigkeit erntete.
„Du wirst in deinem Leben noch viele tolle Freunde finden, Lyra!“, mischte sich eine sanfte neue Stimme ein. „Einige werden bleiben, andere werden gehen. So manche wirst du im Laufe deines Lebens fast vergessen. Aber so lange es Menschen gibt und so lange du du selbst bleibst, wirst du immer und überall Freunde finden!“
Jetzt war es Lyra klar. Es war eindeutig die Freundschaft, die da zu ihr sprach.
„Vielleicht hast du recht!“, rief Lyra, schüttelte die Arme der Traurigkeit ab und sprang auf. „Tanu und Maya sind auch meine Freunde und ich kann viel Spaß mit ihnen haben!“
„Jetzt hast du es begriffen!“, sagte die Weisheit, während die Traurigkeit und die Einsamkeit sich langsam von der Lichtung entfernten. Sie hatten hier nichts mehr zu tun. Die Tür war gerade ins Schloss gefallen und hatte die Fröhlichkeit und die Freundschaft mit Lyra eingeschlossen. Lyra konnte wieder lachen, während ihr der Wind spielerisch durchs Haar fuhr und so die eben noch nassen Wangen trocknete. Ein kleiner Schmerz war geblieben. Lyra dachte kurz an Sinya und wusste, dass sie sich würde überlegen müssen, wie man noch das Schlüsselloch und die Türritzen stopfte. Vielleicht übernahmen das ja Tanu und Maya.

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Tag der Veröffentlichung: 21.10.2012

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