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Die sinkende Sonne bringt Wolken zum Leuchten.

(Ernst Ferstl)


... ich halte das für ein Gerücht.


"Ich wünschte, ich könnte mir für einen Tag die Farbpalette des Himmelsmalers ausleihen!", sagte Tess seufzend zu Leon und ließ sich rücklings ins Gras fallen. Dann verschränkte sie die Hände hinter dem Kopf und sah in den Himmel.
"Wenn es denn wirklich Farben sind. Ich glaube, er malt mit purem Licht!", war Leons Antwort darauf, während er im Schneidersitz sitzend ebenfalls den Himmel betrachtete.
"Niemandem hier unten ist es jemals gelungen das Abendrot oder die Morgendämmerung in diesen Farben darzustellen. Ich kenne kein Bild, das diese Atmosphäre auch nur im Ansatz widerspiegelt. Diesen Himmelszauber kann man einfach nicht einfangen!", stellte Tess fest und starrte nachdenklich die rosastrahlende Wolkenformation über sich an.
Sie liebte es, auf den Wiesen zu liegen und das Farbspiel zu betrachten, dass die Sonne auf die Welt zauberte.



Während Leon und Tess im Gras saßen und den Himmel bestaunten, hielt einer der Himmelsmaler seufzend seine Farbpalette in der Hand. Bald würde die Nacht hereinbrechen und sein Kunstwerk hinter dem Sternenzeltvorhang verbergen. Dann stand ihm die schwere Wahl des morgigen Wetters bevor. Leider arbeitete er zur Zeit nicht in einem Schönwettergebiet, wie etwa der Sahara oder einem anderen Ort, an dem fast immer die Sonne schien. Zu seinem Job gehörte es auch, hin und wieder in Gebiete zu wechseln, die abwechslungsreiches Wetter boten. Genau da lag das Problem.
Der Himmelsmaler liebte die strahlenden Farben des Sommers und die zarten Töne des Frühlings. Wenn er zu diesen Jahreszeiten erst einmal die bunten Farbtöpfe aus den flauschigen Wattewolken gezogen und die Pigmente aus gebrochenem Licht miteinander vermischt hatte, wie es kein anderer zu tun vermochte, flitzte sein Pinsel in atemberaubender Geschwindigkeit über die Himmelsleinwand und schuf dabei die schönsten morgenddämmerungsleuchtenden und abendrotschimmernden Wolkenformationen die es gab. Auch mit schneeweißen Zuckerwattewolken konnte er dienen. Die Wahl ein besonders intensives Blau für einen Sommertag zu wählen, der sein in der Nacht entstandenes Sonnenaufgangsbild ablöste, fiel ihm stets leicht. Leuchtendes Rosa , ein sanftes Rot oder strahlende Orangetöne für die Abenddämmerung auszusuchen, lag ihm ebenfalls im Blut. Das Lächeln auf seinem Gesicht, verriet, wie viel Freude ihm die Arbeit an solchen Tagen machte.
Jetzt aber ging es auf den Herbst zu und der Wettermacher hatte ihn erst vor zwei Tagen an seine Pflichten und die notwendigen Regentage erinnert. So saß der Himmelsmaler nun jeden Tag in der Abenddämmerung vor seinen Farbtöpfen und musste sich überlegen, wie er den nächsten Tag gestalten wollte. Würde er auch das schlechte Wetter mögen, fiele ihm die Wahl nicht gar so schwer. Regen und dergleichen schlugen ihm jedoch jedes Mal aufs Gemüt. Die Farbeimer mit den Grautönen musste er mit beiden Händen tragen. Das Schwarz, dass er für die Mischung verwenden musste, war so schwer, dass er den Behälter kaum bewegen konnte. Schweißtreibende Arbeit war das, ein federndes Weiß mit einem drakonischen Schwarz zu vermengen. Seine Farbpalette befüllte er nie vollständig mit diesen tristen Farben, da ihm sonst schon nach kurzer Zeit der Arm wehtat. Unwetterfarben waren dickflüssig, dunkel und schwer. Kein Wunder also, dass er die leichten, hellen, wasserartigen Farben viel lieber mochte. Schwer und dickflüssig mussten die Regen- und Gewitterwolken allerdings auch sein, denn sonst konnten sie nicht so tief über den Unwetterorten hängen. Obwohl auch die Sturmwolken zu den Unwetterwolken gehörten, waren diese jedoch leichter als seine Geschwister. Schließlich mussten sie vom Wettermachen über den Himmel gepustet werden können.
Steile Falten zeigten sich nun auf der Stirn des Himmelsmalers, während er über sein schweres Los nachdachte und, seiner Pflicht gemäß, hier ein bisschen grau zum Rot oder ein bisschen schwarz ins Weiße mischte. Die ersten Schweißperlen gesellten sich zu den Falten, während die Palette schwerer wurde. Dann hielt er inne. Ob es okay wäre, wenn er es nur ein wenig tröpfeln lassen würde? Traurig schaute er auf die Töpfchen mit seinen Lichtfarbpigmenten für die hellen Farben. Warum gab es keinen Schlechtwettermaler? Dann könnte er umherziehen und die Welt mit seinen wunderschönen Bildern begeistern, während die menschlichen Schmollmünder auf die Kappe eines anderen gingen. Der Himmelsmaler erhob sich, ging hinüber zu den schönen Wolken, die Tess und Leon von der Wiese unter ihm bestaunten und fing an, seinen Zuckerwattewolken einen grauen Stich zu verpassen. Würde er es leicht regnen lassen, könnte er seine schönen Farblichter noch für einen Regenbogen verwenden. Seine endgültige Wahl würde er treffen, wenn der Sternenvorhang das Gemälde für den nächsten Tag verbergen würde.

"Ich glaube, heute Nacht fängt es an zu regnen!", meinte Leon zu Tess und deutete in den Himmel.
"Hmmm... Ich glaube, dass, wenn es überhaupt regnet, der Regen noch bis morgen auf sich warten lässt!" Tess legte ihren Kopf schief. "Wie es aussieht, mischt der Himmelsmaler gerade erst seine Farben neu!"



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Texte: Alle Rechte liegen beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 06.05.2012

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