"Mutti, erzähl mir von den Sternen, Warum sind es so viele? Wo kommen sie her?"
Diese Taktik kannte Regina bereits. Nadja wollte noch nicht schlafen, also kramte sie aus ihrem kleinen Kopf eine Frage hervor, die unbedingt
vorher noch geklärt werden musste.
Regina setzte sich zu ihrer kleinen Tochter auf die Bettkante, stopfte die mit Pferden gemusterte Decke nochmal fest und setzte ihr Erklärgesicht auf.
"Weißt du, mein Schatz. Dort oben, im Himmel, dort wo die Englein wohnen, leuchtet für jeden Menschen auf dieser Welt in jeder Nacht ein Stern!"
Mit großen, weit aufgerissenen Augen sah Nadja ihre Mutter an.
"Und woher weiß der Himmel, wann er ein neues Sternchen anknipsen muss?"
Das war eine berechtigte Frage, auf die Regina aber schnell die passende Antwort fand.
"Nun, all die Englein dort oben führen genau darüber Buch, wie viele Kinder hier unten bei uns geboren werden und wie sie heißen. Jedes Mal also, wenn sie einen weiteren Namen aufschreiben, flitzt ein anderer Engel los, um ein neues Licht leuchten zu lassen!"
Nadja antwortete ihrer Mutter nicht gleich. Sie zog ihre Stirn und Nase kraus, während sie über die gehörten Worte nachdachte.
"Wie sehen sie denn aus, diese Lichter?"
"Kerzen sind es nicht!", antwortete Regina. "Sie würden sofort erlischen, wenn es windig wird, regnet oder schneit!"
"Aber Mama," warf Nadja entrüstet ein, "im Himmel gibt es doch gar kein schlechtes Wetter!"
Regina musste über das Gesicht ihrer Tochter lachen.
"Woher willst du das denn wissen? Hast du den Himmel jemals besucht?"
Zerknirscht sah Nadja ihre Mutter an und schüttelte den Kopf.
"Na siehst du! Weil es dort aber vielleicht doch schlechtes Wetter gibt, ist der Nachthimmel vollgepflanzt mit riesigen Glühbirnen!" Mit den Armen deutete sie einen Kreis an, um zu zeigen, wie groß sie waren.
"Man kann Glühbirnen anpflanzen?" Zweifelnd sah Nadja ihre Mutter an.
"Nicht richtig anpflanzen, wie wir es hier bei uns auf den Feldern tun natürlich. Sonst würden all die Lampen ja in geraden Reihen am Himmel leuchten. Sie wachsen einfach. So lange, wie ein Baby Zeit hat auf die Welt zu kommen, hat das Lichtlein Zeit zu wachsen, damit das zuständige Englein es auch erst zum richtigen Zeitpunkt leuchten lassen kann."
So war das also mit den Sternen. Nadja stellte sich vor, wie ihr Lichtlein wohl aussehen würde. Jetzt wollte sie mit ihren Gedanken lieber allein sein. Regina gab ihrer Tochter noch einen Kuss, wünschte ihr eine gute Nacht, löschte das Licht und verließ das Zimmer. An der Decke klebten zweihundertachtundzwanzig Sterne, die Nadja mit ihrem Vater dort oben angebracht hatte. Sie hatte ganz vergessen ihre Mutter zu fragen, ob die Lichter wieder ausgeknipst wurden, wenn man starb. Dann brauchte man es ja nicht mehr, weil man selbst ein Engel wurde.
"Papa, pass gut auf mein Licht auf!", flüsterte sie in den Raum, bevor sie ihre Augen schloss und ins Land der Träume versank.
In ihrem Traum sah sie ihren Vater. Er stand vor ihr, im gleichen blauen Pullover, wie beim letzten Mal als sie ihn gesehen hatte. Sie mochte diesen Pullover. Er war so schön kuschlig, wenn er sie in die Arme genommen hatte und überhaupt nicht kratzig. Auf seinem Rücken hatte er nun zwei riesengroße, wunderschöne weiße Flügel. Nadja konnte es kaum erwarten sie anzufassen.
"Komm Nadja, ich zeige dir dein Licht!", sagte er und streckte die Hand nach ihr aus, die sie ohne zu zögern ergriff.
Im nächsten Moment flogen sie durch die Nacht. Um sie herum leuchteten die Sterne durch die Dunkelheit zu ihnen hinüber. Nadja hatte überhaupt keine Angst.
Dann erschien vor ihnen etwas wie ein kleiner, runder Planet, etwa so groß wie ihr Zimmer. In der Mitte schien ein Licht, das immer größer wurde, je näher sie kamen. Als sie gelandet waren, konnte Nadja sehen, dass es wirklich eine riesige Glühbirne war, die aus dem Boden herauswuchs. Sie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, während sie die Birne umrundete - so unglaublich war das alles.
"Die Wurzeln reichen tief in die Erde und sind dort fest verankert!", vernahm sie die Stimme ihres Vaters. Sie berührte eine der Wurzeln, die ein Stück aus dem Boden herausragte und konnte spüren, dass er Recht hatte.
Ihr Vater kam zu ihr, nachdem sie stehengeblieben war und die Glühbirne ganz aus der Nähe betrachtete.
"Du musst dich jetzt aber ausruhen Kleines. Komm, ich werde dich die ganze Nacht halten, während du die schönsten, buntesten und abenteuerlichsten Träume durchlebst."
Gähnend ließ sie sich in seinen Schoß sinken, sog tief seinen Duft ein, kuschelte sich in seine Arme und schloss auch im Traum die Augen.
Am nächsten Morgen kam sie zu ihrer Mutter in die Küche, setzte sich auf ihren Schoß und sah sie ernst an.
"Mama, Papa passt ganz gut auf unsere beiden Lichter auf, bis wir sie nicht mehr brauchen. Er hat wunderschöne weiße Flügel und mir heute Nacht meinen Stern gezeigt. Du hattest Recht, im Himmel wachsen wirklich Glühbirnen!"
Texte: Coverfoto von: "artistic-surreal-photomanipulation-by-sarolta-ban-01" von jdxyw: http://www.flickr.com/photos/jdxyw/5168514923/
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2011
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Widmung:
Für reggi67 und littledream