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Langsam trete ich zur Türe hinaus. Mein Blick schweift über die Straße. Gemütlich zieht sie ihre Bahn um dann schwungvoll in einer Kurve zu verschwinden.
Die Laterne blendet mich. „Guten Abend, Melanie“, höre ich die Nachbarin sagen, die gerade aus ihrem Auto gestiegen war. „Guten Abend, Lotte“, antworte ich freundlich. „Na, wieder mit dem Hund im Wald spazieren gewesen?“ - „Ja, eine herrliche Ruhe ist das da auf dem Land. Einfach nur göttlich. Fernab des Strassenlärms und der Hektik.“ Zustimmend nicke ich, wünsche ihr noch einen schönen Abend, mit Grüßen an den Mann, und gehe weiter.
Nach zwei Minuten begegne ich einer Frau die nur ein paar Häuser weiter wohnt. Ich habe sie schon des öfteren gesehen. Freundlich und grüßend lächle ich sie an. Doch sie geht stumm an mir vorbei. Den Blick nicht erwidernd.
Hektisch und geschäftigt hasten weitere "Nachbarn" an mir vorbei. Kein Gruß, kein nettes Wort, kein freundlicher Blick.
Mir wird klar, wie anonym doch eine Großstadt, selbst die Nachbarschaft, sein kann. Zwei Häuser weiter und die Menschen kennen sich schon nicht mehr. Weder ihren Namen, noch auf welcher Etage sie wohnen.

Wir zogen beruflich bedingt einen Stadtteil weiter.
Eines Morgens gehe ich alleine spazieren um mir die Gegend etwas anzusehen. Eine Gegend, die beim Vorbeifahren verborgen bleibt.
Eine ältere Frau begegnet mir. Ich senke den Blick. Ich bin neu hier. Keiner kennt mich. Plötzlich bleibt die Frau stehen: „Guten Morgen wünsche ich ihnen. Ist das nicht ein schöner Wintertag?“ Erstaunt sehe ich sie an. „Auch ihnen einen schönen guten Morgen. Ja, es ist eine herrlich reine Luft.“ Die Frau lächelt mich an und streckt mir ihre Hand entgegen: „Mein Name ist Hermanns. Ich wohne dort drüben in dem rot verklinkertem Haus. Mein Mann arbeitet sicherlich schon in seinem Schuppen am neuesten Modellschiff, was ich ihm zu Weihnachten geschenkt habe.“ Ich nenne meinen Namen, erwähne kurz, wo ich wohne und dass wir gerade erst vor einer Woche hergezogen sind. „Ach, dann kennen sie sich hier ja noch gar nicht aus. Haben sie ein bestimmtes Ziel, oder möchten sie sich nur die Gegend ansehen?“ - „Gerne sehe ich mir die Gegend etwas an und lasse mich überraschen, wo der Weg mich hinführt.“ - „Dann wünsche ich ihnen noch einen schönen Tag. Sollte ihr Rückweg sie an meinem Haus vorbeiführen, klingeln sie ruhig, ich wollte gleich einen Apfelkuchen backen. Kommen sie doch herein.“ Dankbar über soviel Freundlichkeit lächle ich sie an und antworte: „Mal sehen, aber vielen Dank schon mal.“ Nun trennen sich unsere Wege.
Frau Hermanns habe ich an dem Tag nicht mehr besucht, aber eine Woche später. Sie hat sich sehr über meinen Besuch gefreut. Lange haben wir zusammen gesessen, geredet und die Modellschiffe ihres Mannes bewundert.
Eine Frau, die ich beim Spazieren gehen kennen gelernt habe. Fernab der Straße. Und trotzdem inmitten der Großstadt.

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Tag der Veröffentlichung: 26.04.2009

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