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Die Tore Fíalas

 

 

 

 

 

Die
T
ore
F
íalas

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Buch Eins:

 

Das silberne Tor

»Fantasie heißt nicht,
sich etwas auszudenken
Es heißt, sich aus den Dingen
etwas zu machen. «


(Thomas Mann)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-1-

-Eine fremde Welt-

 

Der Mond schien hell am Himmel, als Daniel erwachte. Er blickte um sich her und erkannte schließlich, dass er sich auf einer Lichtung mitten in einem Wald befand. „Was zum…“ dachte er. Er schluckte. Wie war er hierher gekommen? Er versuchte aufzustehen, doch sein Kopf begann davon fürchterlich zu dröhnen. Er stöhnte. Wenn er sich doch nur an irgendetwas erinnern könnte, doch es war nichts in seinem Kopf, als das dumpfe Klopfen von Schmerz. Da sah er auf einmal ein Licht. Ein Licht, dass sich langsam aber sicher auf ihn zu bewegte. War er nun komplett verrückt geworden? Er wusste, dass es wohl das Klügste wäre, sich zu verstecken, irgendwo, irgendwie. Die Frage war nur, wie er aufstehen sollte, mit seinen fürchterlichen Kopfschmerzen und ohne gesehen zu werden. “Na schön, ich denke hinlegen ist auch nicht schlecht“, dachte Daniel. Er schluckte und duckte sich tiefer in das feuchte Gras. Das seltsame Licht kam näher, zusammen mit… Glockengeläut? Daniel spitzte seine Ohren. Ja, es war eindeutig Glockengeläut. Und dann hörte er eine Stimme sagen: „Du brauchst dich nicht zu verstecken, Daniel. Ich werde dir nichts tun.” Daniel keuchte. Was für eine wunderschöne Stimme! Zart wie der Wind und klar wie die See. Daniel drehte sich um und setzte sich wieder auf. Und sah endlich, wo das geheimnisvolle Licht herkam. Direkt vor seiner Nase schwebte ein kleines Mädchen. So klein wie ein Kieselstein, mit Flügeln, so schön wie der schönste Schmetterling sie nicht hätte haben können. „Eine Fee!” dachte Daniel und die Fee fing an zu lachen. “Ja, in der Tat, ich bin eine Fee. Mein Name ist Melody und ja, ich kann deine Gedanken lesen. Das ist nicht sonderlich schwer, du denkst nämlich in einer unglaublichen Lautstärke.” Melody fing wieder an zu lachen. Daniel konnte nichts tun, außer die Fee mit offenem Mund und aufgerissenen Augen anzustarren. “So, und nun wird es Zeit, dich hier weg zu bringen. Bevor… Ich erzähle dir alles unterwegs. Steh auf, schnell!” Daniel zwang sich, seine Kopfschmerzen zu unterdrücken und stand auf. Die Fee schwebte vor seinen Augen und sagte dann: “Jetzt folge mir. Wir müssen nicht weit, nur bis in den Wald, trotzdem solltest du dich beeilen.” Melody blickte nervös um sich und flog davon. Daniel rannte hinter ihr her, keuchend, mit Seitenstechen und den, immer noch hämmernden, Kopfschmerzen. Nach einer halben Ewigkeit hielt die Fee endlich an und setzte sich auf einen Ast über Daniels Kopf. “Jetzt sei still, beweg dich nicht, atme durch den Mund und sei nicht nervös”, flüsterte Melody und kroch hinter ein Blatt. „Wenn sie mein Leuchten sehen, sind wir verloren”, fügte sie hinzu und Daniel sah, dass sie am ganzen Leib zitterte. Was war das hier? Langsam aber sicher bekam er es mit der Angst zu tun. Und dann hörte er etwas. Stimmen. Laute, grausame Stimmen. „Er war hier, ich kann Ihn noch riechen. Ich wette, die verdammten Elfen haben Ihn zuerst gefunden. Oh wehe ihnen, wenn Sturlogh Ihn bei ihnen findet. Los, wir gehen!” „Sind sie weg?” fragte Melody und kam hinter ihrem Blatt hervor. „Ich… Ich denke mal. Wer waren die überhaupt? Und wer ist dieser Sturlogh?” antwortete Daniel mit leiser Stimme. „Sturlogh ist böse. Er ist das Böse selbst. Ich weiß keine bessere Beschreibung für ihn”, sagte eine Stimme hinter Daniel. Er fuhr herum und sah in die Augen eines Pferdes. Eines Pferdes mit einem Horn auf dem Kopf und Flügeln. Ein Einhorn? Ein Pegasus? Das Pegasus-Einhorn-Pferd beugte seinen Kopf hinunter zu Daniel und fragte dann: „Du fragst dich was ich bin, nicht wahr?” „Nein, ich frage mich was ich hier zu suchen habe, in einer Welt mit Feen und… sprechenden Pferden.” entgegnete Daniel. „Nun, es gibt eine logische Erklärung dafür, aber tu mir vorher einen Gefallen und steig auf das ‚sprechende Pferd‘ damit wir dich so schnell wie möglich an einen sicheren Platz bringen können”, sagte Melody und wies auf den Rücken des Pferdes. Daniel tat, wie ihm geheißen und hörte die Fee nur noch rufen: „Und halt dich gut fest!”, bevor das Pferd in einem unglaublichen Tempo lospreschte. Daniel griff in einer verzweifelten Bewegung in seine elfenbeinfarbige Mähne und krallte sich darin fest, dass seine Hände schmerzten. Und dann geschah es. Das Pferd machte einen langen Satz, breitete seine Flügel aus und hob ab in die kühle Luft. Daniel bekam beinah einen Herzinfarkt, so sehr hatte ihn das Flugmanöver erschreckt. Dann hörte er von vorne: „Ich bin übrigens Faya! Und ich bin ein einhörniger Pegasus. Ziemlich selten hier. Meistens findet man eben nur Pegasusse oder Einhörner. Langweilig wenn du mich fragst.” Faya fing an zu lachen und rief dann: „Na los Melody, wo bleibst du?” Melody flog neben Faya her, ihre kleinen Flügelchen schlugen hektisch auf und ab. Dann entschied sie sich, dass sie es auf Daniels Schulter wohl bequemer haben würde und setzte sich ebendort hin. Es ging eine wohltuende Wärme von ihr aus und sie sprach mit ihrer hellen Stimme, die von zartem Glockengeläut begleitet wurde, in Daniels Ohr: „Also, Faya ist manchmal etwas… nun, aufbrausend, aber du darfst dich daran nicht stören. Sie hat eben eine ordentliche Menge Temperament. Wir werden bald Rast machen. Dann kannst du dich ausruhen und ich kann mich um deine Wunden kümmern.“ Daniel drehte seinen Kopf und sah ihr direkt in die goldgesprenkelten Augen. „Wunden? Welche Wunden?“ Melody lachte leise. „Oh, die sind von außen nicht sichtbar, mein Liebling.“ Mein Liebling? Daniel dachte, er habe sich verhört, doch Melody lachte wieder. „Hab keine Angst, und vertrau mir einfach.“ Eine kurze Weile später beugte sich Faya langsam aber sicher vornüber, rief: „Festhalten da hinten!“ und stürzte sich in die nachtschwarzen Tiefen unter ihr. Daniel wollte schreien, doch der Schrei blieb ihm im Hals stecken, mit solcher Stärke überflutete die eiskalte Nachtluft seine völlig überforderten Lungen. Als Faya dann etwas zu heftig landete, hatte Daniel zu allem Überfluss zu den ohnehin erschlagenden Kopfschmerzen nun auch noch Halsschmerzen bekommen und war alles in allem wirklich nicht mehr gut gelaunt. „Verrückter Traum…“, murmelte er vor sich hin, als Melody wieder neben sein Ohr flog und mit ihrer klingenden Stimme sagte: „Kein Traum, mein kleiner Prinz.“ Daniel war genervt. Mein Liebling, mein kleiner Prinz? Als nächstes würde die Fee ihm wohl noch einen Heiratsantrag machen. Er hörte Melody neben sich lachen. Er hatte für einen Moment vergessen, dass sie seine Gedanken lesen konnte. Dann sagte sie: „Du kannst dich jetzt hier im Moos zum Schlafen legen. Faya und ich werden deinen Schlaf bewachen und Morgen kannst du dann mit neuer Kraft auch eher verstehen, warum du hier bist.“ Das lies Daniel sich nicht zweimal sagen. Er bettete seinen Kopf in das merkwürdig weiche Moos das, seltsamerweise, einen angenehmen Duft nach Minze verströmte. „Schlaf, mein kleiner Prinz, schlaf.“ Und das war das Letzte, das Daniel hörte, bevor er in einen tiefen, traumlosen Schlaf versank.

 

Als Daniel wieder erwachte, kitzelte der Morgen seine Augen mit goldenen Sonnenstrahlen. Er blinzelte ein paar Mal und setzte sich dann auf. War es also doch kein Traum gewesen… Er stand auf und blickte sich um. Er war mitten in einem Wald. Doch dieser Wald bestand aus Bäumen, deren Blätter warme Farben hatten und leise raschelten, während sich die Bäume sanft hin und her wiegten. „Seltsam“, dachte Daniel. „Es ist doch vollkommen windstill.“ Da hörte er wieder die glockengleiche Stimme an seinem Ohr. „Die Bäume in diesem Wald leben nach anderen Gesetzen als wir.“ Daniel drehte seinen Kopf leicht nach links. Da saß Melody und lächelte ihn an. „Sie…leben?“ „Ja, sicher leben sie. Wenn du gut zuhörst, dann hörst du sie reden. Doch seit Jahren erzählen sie nur noch Geschichten von Trauer und Schmerz. Von Krieg und Gewalt und von Sturloghs quälenden, alles vergiftenden Machtgier, die Angst und Schrecken in Fíala verbreitet. Er nimmt keine Rücksicht, auf nichts und niemanden. Seine Schergen morden und brandschatzen und niemand scheint etwas dagegen unternehmen zu können.“ Melodys grüne Augen mit den goldenen Sprenkeln zeigten puren Schmerz. Daniel hatte Mitleid mit ihr, doch er wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. „Kann man denn nichts gegen diesen Typen tun? Ich meine, es muss doch etwas geben, irgendeine Schwäche an ihm.“ Schon begann Daniel eifrig zu überlegen, wie man den Tyrannen Sturlogh stürzen konnte. Er murmelte allerlei Ideen vor sich her, doch Melody schüttelte nur immer wieder ihren kleinen Kopf. „Wir können nicht hier bleiben, Daniel. Dieser Wald ist nicht mehr sicher. Nicht, dass er es je gewesen wäre. Immerhin ist er das Zuhause der Dunkelelfen.“ „Ganz genau. Und ihr seid hier unerwünscht!“

 

-2-

 

-Die Dunkelelfen-

Daniel hatte kaum noch die Gelegenheit, sich umzudrehen, um zu sehen, wer da gesprochen hatte, schon wurde er von einer Hand grob am Arm gepackt und eine andere Hand presste sich fest auf seinen Mund. Er konnte sich nicht gegen den Griff seines Angreifers wehren, denn dieser war mindestens doppelt so stark wie er.

Daniel wusste nicht, was mit Melody und Faya geschehen war, denn er konnte sich nicht einen Zentimeter bewegen, während er durch den Wald gezerrt wurde. Das orange-goldgelbe Blätterdach flog nur so über ihm dahin und wäre er nicht auf eine so unverschämte Weise herum bugsiert worden, hätte er den Anblick sicher genossen. Doch so konnte er nur gedämpfte Protestlaute von sich geben, die durch das Rascheln seiner Turnschuhe auf dem Laub fast untergingen. Doch er meinte auch leises Hufgetrappel zu hören. „Zumindest ist Faya dann noch hinter mir“, dachte Daniel erleichtert. Die Reise nahm ein abruptes Ende und die barschen Stimmen redeten leise und hektisch miteinander. Dann wurde Daniel unsanft in die Mitte eines inzwischen gebildeten Kreises gestoßen und fand sich gegenüber von mindestens 20 Pfeilspitzen. Messerscharf und im, durch das Blätterdach fallende Sonnenlicht, blitzend. Dann trat einer der großgewachsenen, dunkelhaarigen Männer nach vorne und sprach mit einer scharfen, aber gleichzeitig seltsam klangvollen Stimme zu Daniel: „Wer seid ihr und was habt ihr in unserem Wald zu suchen?“ Daniel stotterte: „Ich äh, äh wir… also ich bin Daniel Miller und das sind Melody und Faya.“ „Und euch geht das einen feuchten Kehricht an!“, rief da auf einmal Melody und flatterte mit, in ihren Hüften eingestützten Ärmchen, auf den Mann zu. Dann drehte sie sich zu Daniel um und sagte: „Immer unverschämt, diese Dunkelelfen. Wissen einfach nicht, wie sie sich gegenüber anderen Lebewesen zu benehmen haben!“ „Also DAS sind die Dunkelelfen?“, fragte Daniel mit einem erstaunten Blick in Richtung des Elfenringes. Und jetzt konnte er es auch erkennen: Die breiten Schultern, die langen Beine, die langen, schimmernden dunklen Haare, die braunen Augen, die hervorstehenden Wangenknochen, die spitzen Ohren und die braune Haut, so perfekt, als würden sie den halben Tag auf der Sonnenbank verbringen. Die langen Finger, spinnengleich um die Bögen gelegt und die muskulösen Brustkörbe, allesamt angespannt vor gezügelter Energie, die jede Sekunde hätte ausbrechen können. Der Anführer der Gruppe blickte Daniel wütend an und entgegnete dann: „Ja das sind wir. Wir sind die Dunkelelfen, Wächter des Waldes und ihr seid ungefragt in unser Territorium eingedrungen. Dieses Verbrechen wird in unserem Reich mit dem Tode bestraft! Ihr werdet noch heute unserem König vorgeführt.“ Melody, die zurück auf Daniels Schulter geflogen war flüsterte in sein Ohr: „Auweh, das sieht schlecht für uns aus…“ Der Kreis der Elfen schloss sich und wieder einmal war es, als hätte jemand Daniels Licht ausgeknipst.

 

Als er wieder zu sich kam, befand er sich in einer Art Kerker. An den Wänden aus unbearbeitetem Stein hingen schwere Stahlketten und die einzige Möblierung waren zwei Pritschen aus Holz an der Wand und ein verstaubter Krug auf dem Boden, auf dem Daniel saß. In seinem Schoß lag die kleine Fee und war offensichtlich noch bewusstlos.

Faya stand mit dem Rücken zu Daniel vor dem eisernen Tor, dass die einzige Verbindung zur Außenwelt war. „Faya?“, flüsterte Daniel. Faya drehte sich zu ihm um: „Na, auch schon wach, Schlafmütze?“ Faya wieherte belustigt. „Jetzt ist nicht die Zeit für Scherze, Faya. Wir sollten lieber überlegen, wie wir hier rauskommen.“ Faya seufzte: „Hier rauskommen? Mein lieber Daniel, ich weiß ja nicht, ob du völlig verblödet bist, oder einfach nur blind, aber hier gibt es keinen Weg nach draußen. Diese Tür ist vollkommen sicher und die Wände auch. Es gibt keine Fenster und wir können noch vom Glück reden, dass sie uns nicht angekettet haben.“ Daniel nahm Melody in seine Hand und stand auf. „Also werden wir sterben…“ „Nicht, wenn ich es verhindern kann“, ertönte auf einmal eine Stimme hinter Daniel. Blitzschnell drehte er sich um, um zu sehen, woher die Stimme kam, und erstarrte in der Bewegung. Vor ihm stand, offensichtlich, eine Dunkelelfe. Doch war diese Dunkelelfe so wunderschön, dass sie alle anderen mit Leichtigkeit in den Schatten stellte. Sie hatte rabenschwarzes Haar, das ihr bis zu den Hüften ging und ohne einen einzigen Lichtstrahl, der es hätte bestrahlen können, glitzerte, als hätte jemand Millionen kleinster Diamanten in es eingearbeitet. Ihre Haut war viel heller, als die der anderen Elfen gewesen war und ihre Lippen waren voll und kirschrot. Doch das aller verwunderlichste an ihr, waren ihre Augen; Groß und blau wie der Ozean, mit geschwungenen Wimpern, die bis zu ihren Augenbrauen reichten. Daniels Mund stand offen und er konnte ihn nicht schließen. Die Elfe legte ihren Kopf schief und fragte dann: „Was starrst du eigentlich, als hätte dich ein Moular umgerannt?“ Daniel schluckte und antwortete dann: „Entschuldige bitte, ich bin noch ein wenig durcheinander.“ „Das merkt man“, lachte die Elfe und zeigte ihre blitzend weißen Zähne. „Erlaubt mir, dass ich mich vorstelle: Ich bin Élira von Dun Willéad und ihr?“ Daniel stellte schnell sich und seine zwei Begleiter vor und fragte dann: „Du sagtest eben, du könntest verhindern, dass wir hingerichtet werden. Wie willst du das machen?“ Élira lächelte verheißungsvoll und sagte dann: „Kein Problem, wenn man die Tochter des Königs ist.“ Daniels Mund klappte zum zweiten Mal herunter und seine Augen weiteten sich zu einer Größe, die Éliras Augen Konkurrenz hätte machen können. „Die Tochter des Königs? Du bist also eine Prinzessin, ja?“ Élira zuckte mit den Schultern und ihr Kleid, das allem Anschein nach aus Blättern des goldenen Waldes gefertigt war, raschelte leicht unter ihrer Bewegung. „Ich mache mir nicht viel draus. Ich bin nicht gerne Prinzessin. Ständig diese Regeln, so viel, an das man sich halten muss, oder das man nicht tun darf. Wüsste mein Vater über all die Dinge, die ich hinter seinem Rücken mache, Bescheid, so würde er mich sicherlich nie wieder unbewacht durch Dun Willéad streifen lassen.“ „Dun Willéad?“ fragte Daniel. „So nennen die Elfen diesen Wald“, meldete sich eine glockenähnliche Stimme zu Wort. Melody war aufgewacht. „Ich sehe, mein kleiner Prinz hat Freundschaft mit einer Dunkelelfe geschlossen!“ Neugierig flatterte Melody um Éliras Kopf herum und begutachtete sie von allen Seiten. „Nicht irgendeine Dunkelelfe, Melody“, entgegnete Daniel. „Die Prinzessin der Dunkelelfen!“ Melody schien wenig beeindruckt von der Tatsache, dass sie eine waschechte Prinzessin vor sich hatte. Sie flatterte weiterhin um Élira herum und ihre kleinen Flügel bewegten sich in einer Geschwindigkeit, dass sie zu einem einzigen leuchtenden Wirbel verschwommen.
Dann mischte sich Faya ein: „Wir verschwenden wertvolle Zeit mit diesem Gerede! Ich habe die Wachen sagen hören, dass wir heute um Mitternacht hingerichtet werden sollen. Auf den Glockenschlag genau wollen sie unsere Köpfe rollen sehen. Ich wusste ja, dass die Dunkelelfen eine etwas raue Sippschaft sind, aber dass sie so brutal sind, das war mir nicht bewusst.“ Élira drehte sich um und zischte: „Ich bin vielleicht nicht mit allen Riten meines Volkes einverstanden, aber ich will nie wieder hören, dass irgendjemand so herablassend von uns spricht! Es ist nicht unsere Schuld, dass wir sind, wie wir sind. Das ist ganz allein die Schuld von Bétrandir. Er hat uns erst zu dem gemacht, was wir sind! Er hat sich von Sturlogh um den Finger wickeln lassen, ohne zu erkennen, was dieser eigentlich im Schilde führte. Und nun, sind wir zu willenlosen Sklaven dieses Tyrannen geworden. Ich hasse es!“ Tränen bildeten sich in Éliras Augenwinkeln und flossen still über ihre Wangen. Dann hörte sie urplötzlich auf zu weinen und erstarrte in ihrer Bewegung. „Wir müssen hier weg und zwar so schnell es geht!“ flüsterte sie dann eindringlich und presste ihre langen Finger an die stählerne Tür der Kerkerzelle. Daniel hörte sie Worte in einer Sprache raunen, die er nicht verstand und erstaunte, als sich die Kerkertür ohne ein Geräusch öffnete und den Weg in die Freiheit freigab. Éliras Schritte waren schnell und präzise und da sie barfuß lief, geräuschlos. Auch Daniel konnte relativ stille Tritte ins Freie tätigen und von Melody war ebenfalls nichts zu hören, da sie flog. Doch ein jeder Tritt Fayas war zu hören und hallte an den Steinwänden wider, als wäre eine ganze Herde Pferde unterwegs. Zwar hätte Faya fliegen können, doch die Decke in den Gängen war so niedrig, dass sie selbst laufend ihren Kopf und die großen Schwingen einziehen musste, um sich nicht irgendwo zu verletzen. Umso schneller Élira lief, um den Wachen zu entkommen, deren Schritte bereits in den Gängen hinter der Gruppe zu hören waren, umso lauter krachten Fayas Hufe auf den Boden, verräterisch. Dann endlich war ein Licht zu sehen, der Ausgang war nah. Élira drehte sich um, ohne stehenzubleiben. „Wir müssen die Grenzen Dun Willéads passieren. Dort hört die Macht meines Volkes auf und ihr seid frei. Von hier aus ist es nicht weit, doch überall in den Bäumen sind Ciuín. Sie nutzen die Bäume als Wachtürme und bleiben dabei für jedes Auge unsichtbar, das nicht selbst elfischer Abstammung ist. Die Ciuín sind gefährlich und attackieren geräuschlos, ohne Vorwarnung. Ihre Augen sind schärfer als die des Wanderfalken, ihre Ohren immer wachsam. Es ist kaum möglich unerkannt an ihnen vorbeizukommen. Doch macht euch keine Sorgen, ich habe eine Lösung.“ Und schon begann Élira wieder zu rennen.
Faya, Daniel und Melody folgten, so schnell sie konnten. Die Wipfel der Bäume wiegten sich im Wind, den man weder hören, noch fühlen konnte und nachdem Daniel von Élira über die Ciuín (was in der Sprache der Elfen ‚lautloser Wächter‘ hieß), informiert worden war, ergriff eine innere Angst Besitz von ihm und immer wieder schaute er in die Baumkronen hinauf oder warf nervöse Blicke über seine Schultern.
Nachdem sie einige lange Minuten so weitergerannt waren, bemerkte er zusätzlich noch ein grauenhaftes Seitenstechen. „Ich bin einfach nicht für solche langen Strecken gedacht“, dachte er, während er immer schwerer atmete. Doch dann, endlich, hielt Élira an. Vor einem großen Baum, dessen Umfang kaum beschrieben werden konnte und der leise knarzte, während seine Äste hin und her schwangen. Élira legte ihre Hände an den Stamm und murmelte wieder Worte in der eigenartigen Sprache, die Daniel nicht verstand. Und dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hätte. Der Baum senkte seine starken Äste zu Boden und Élira kletterte flink und geschwind auf einen von ihnen und nahm Platz. „Na los, Daniel. Rauf auf den Baum!“ Also kletterte auch Daniel auf eine, der ihm angebotenen Astgabeln, wobei er allerdings nicht halb so behände wirkte, wie Élira vor ihm. Melody flog zurück auf Daniels Schulter und Faya rief mit einem entsetzten Blick auf die Äste: „Ein einhörniger Pegasus klettert nicht auf Bäume! Ich fliege euch lieber hinterher.“ Éliras Antwort war knapp und barsch: „Du kannst uns nicht hinterher fliegen. Du bist zu schwer für ihn. Fliege an die Nordgrenze Dun Willéads und warte dort auf uns.“ Und kaum eine Sekunde, nachdem sie dies gesagt hatte, bogen sich die Astgabeln in einer irrsinnigen Geschwindigkeit zurück an ihre angestammten Plätze und zwangen Daniel, sich festzuklammern, wie einst beim Rodeo auf dem Jahrmarkt in seiner Heimatstadt Clatter-Springs. Er rief über das Rauschen und Ächzen der uralten Eiche hinweg zu Élira: „Wie lange werden wir noch so unsicher reisen?“ Doch die Elfe antwortete nicht. Nach nur wenigen Sekunden fand die wahnwitzige Fahrt ein jähes Ende und mit einem letzten angestrengten Knarzen bog sich der Baum zurück in seine Ursprungsposition. Der Blick der sich Daniel nun bot war unglaublich. Während des Horrortrips auf den Astgabeln der Eiche hatte er nur ein Meer von herbstlichen Farben erkennen können, doch nun, in den Wipfeln des höchsten und anscheinend ältesten Baumes des gesamten Waldes, konnte er nicht nur den endlos scheinenden Wald, sondern auch die Umgebung um ihn herum sehen, die sein Herz wie wild pochen lies. Im Norden war ein Gebirge zu sehen, welches so weit in den Himmel hinauf ragte, dass es Daniel unmöglich war, seine Gipfel auch nur zu erahnen. Im Westen glitzerte eine saphirblaue Ebene, von der Daniel annahm, dass sie ein Meer war. Im Süden breitete sich das Land in einem frischen grün aus, soweit das Auge reichte und im Osten war außer einem Schleier aus grauschwarzem, dunstigem Nebel nichts zu erkennen. Élira verfolgte Daniels Blick aufmerksam und schließlich sagte sie: „Hier siehst du nun die grenzenlose Welt Fíalas.“ Daniel schluckte und entgegnete: „Es ist… wunderschön. So… majestätisch.“ „Ja, das ist es… noch. Siehst du die Nebel im Osten? Dahinter liegt das Land An Scanradh, in welchem Sturlogh seinen Sitz hat. Schon lange kämpfen wir Fílianer Seite an Seite gegen ihn. Doch unsere Truppen werden schwächer. Zuviel Krieg hat die Anzahl der Männer so weit reduziert, dass wir nur noch Boten nach An Scanradh aussenden können. Doch diese kehren nie zurück… Die meisten haben die Hoffnung aufgegeben, dass sich noch irgendwann etwas ändern wird. Sturlogh hat einige der freien Völker unterworfen und das Bündnis wird kleiner und kleiner. Sein Plan ist aber nicht allein, ganz Fíala zu unterwerfen, um es mit Tod und Schrecken zu überziehen, nein, er plant schon längst in weitaus größeren Dimensionen. Und das, Daniel, ist der Grund, warum Du hier bist.“ Daniel war sich nicht sicher, was Élira meinte. „Was meinst du mit ‚größeren Dimensionen‘?“ Die Elfe blickte tief in Daniels Augen und in den Ihren war nunmehr nichts als Schmerz zu lesen. „Er will die Welt der Menschen.“

-3-

 

-Eine Entscheidung-

 

„Die Welt der Menschen?“ fragte Daniel entsetzt. „Du meinst die Erde?“ Élira nickte und sagte dann: „Bis vor kurzem wussten wir Fílianer nicht, dass es außer unserer Welt noch andere Welten gibt. Doch dann fand Sturlogh das silberne Tor. Durch dieses Tor kann man in jede Welt reisen, die es gibt. Und genau das hat Sturlogh getan. Er reiste in die Welten und eine nach der anderen fiel in den Schatten. Nun sind gerade noch zwei Welten frei und noch nicht von Sturloghs Gefolgsleuten besetzt, aber es ist nur eine Frage der Zeit, dass auch diese Welten in seine Schreckensherrschaft geraten werden.“ „Welche Welt ist denn außer der Erde noch frei?“ fragte Daniel. „Die Welt heißt Arraxeja. Und meine Aufgabe war es eigentlich, ein Mädchen aus Arraxeja zu finden und zum Großen Rat zu bringen, damit entschieden werden könne, was zu tun sei. Doch ich habe versagt…“ Élira begann wieder, lautlos zu weinen und lehnte sich an den starken Ast, der sie trug. Der Baum raschelte mit seinen Blättern und umfing die Elfenprinzessin mit seinen Zweigen. „Wie meinst du das, du hast versagt?“ wollte Daniel wissen. Doch ehe Élira antworten konnte, ergriff Melody das Wort: „Éliras Vater ist kein Freund des Großen Rates, soweit ich das weiß. Und ich wurde vom Großen Rat beauftragt, dich zu ihm zu bringen, mithilfe von Faya. Wenn Élira wirklich eine Beauftragte wäre, dann hätte der Rat mir das gesagt!“ „Oh Melody, musst du denn jetzt so misstrauisch sein? Ich wusste auch nicht, dass du mit der Suche nach Daniel beauftragt warst. Ich wusste nur, dass sich die Beauftragten beim dritten Vollmond auf Schloss Xarxes treffen sollten. Ich hätte ein Mädchen aus Arraxeja dorthin bringen sollen. Ihr Name ist Morag und eigentlich hätte sie schon gestern an der Ostgrenze Dun Willéads erwachen sollen, doch sie war nicht dort. Ich habe die furchtbare Angst, dass Sturloghs steinerne Reiter sie zuerst gefunden haben. Wenn dem wirklich so ist, dann haben wir verloren. Denn Sturlogh wird sie foltern, bis sie ihm die Schwachstelle Arraxejas preisgibt und er dort einfallen kann, wie eine Seuche.“ „Dann müssen wir Morag finden!“ meinte Daniel und als weder Melody noch Élira darauf reagierten, rief er: „Oh, um Himmels Willen! Seht ihr denn überhaupt keine Chance, dass Morag vielleicht noch lebt? Vielleicht sogar nicht einmal in Gefangenschaft ist? Es kann doch sein, dass sie einfach losgelaufen ist. Weil sie Panik bekommen hat oder aus sonst einem Grund. Lassen wir sie jetzt einfach im Stich?“ „Du hast Recht“, entgegnete Élira endlich. „Wir dürfen sie nicht im Stich lassen. Doch wenn die steinernen Reiter sie schon gefunden haben, wäre eine Rettungsaktion Selbstmord. Jedoch können wir das Orakel der Hijanwey befragen, ob sie noch lebt und wenn ja, wo sie ist.“ „Das Orakel befragen? Bist du jetzt völlig übergeschnappt?“ rief Melody mit zornesroten Wangen. „Ja, das Orakel befragen. Wie willst du Morag sonst finden? Hast du vergessen, dass die Grenzen Fíalas unendlich sind? Sich immerfort verändern und sich an einem Tag an einem völlig anderen Ort befinden können, als am Tag zuvor? Die steinernen Reiter brauchen keine Pause. Sie müssen nicht essen, trinken oder schlafen. Morag ohne Hilfe finden zu wollen, ist Wahnsinn!“ Melody war noch immer zornig, ihre Augen blitzen empört, doch Élira sagte: „Lassen wir Daniel entscheiden.“ Daniel schnappte überrascht nach Luft. „Mich… mich entscheiden lassen?“ „Ja“, entgegnete Élira kurz angebunden. Daniel sah von der regungslosen Elfenprinzessin hinüber zu der kleinen Fee, welche noch stets die Nase gerümpft hatte und demonstrativ in die, der Elfe entgegengesetzte Richtung blickte. Er meinte ein leises: „Hmpf“ zu vernehmen, doch er war sich nicht sicher. Schließlich seufzte er und sagte: „Wenn Fíalas Grenzen wirklich unendlich sind, sollten wir jede Hilfe beanspruchen, die wir bekommen können.“ Und somit stand der Entschluss fest. Am nächsten Morgen wollten sie sich also auf den Weg in das Mirgelmoor machen, die Heimat der Hijanwey. Doch in dieser Nacht machte Daniel sich noch keine Gedanken darüber, was die Hijanwey waren. Und auch nicht darüber, dass ein Moor wohl kaum ein freundlicher oder einladender Ort war.

 

Daniel schlief in dieser Nacht erstaunlich gut, dachte er daran, dass er in den Wipfeln einer uralten Eiche nächtigte. Doch der Baum hatte sich Daniels Bewegungen im Schlaf angepasst, wie eine zweite Haut und die vielen dichten, goldenen Blätter waren eine angenehme Matratze gewesen. So erwachte er, herrlich ausgeruht wie schon seit Tagen nicht mehr und sah sich nach Melody und Élira um. Jedoch war von beiden keine Spur zu entdecken. Er erhob sich langsam und kroch in eine der vorderen Astwurzeln, um einen besseren Überblick zu bekommen. Und da entdeckte er die beiden. Sie saßen einige Meter über ihm und schienen schon wieder heftig zu streiten. Doch der Wind blies unerbittlich laut, so dass er nicht hören konnte, worüber sie sich diesmal in den Haaren hatten. Also kletterte er vorsichtig zu ihnen hinauf und machte mit einem lauten Räuspern auf sich aufmerksam. Die Elfe und die Fee verstummten urplötzlich und sahen peinlich berührt zu Boden.
„Was ist denn nun schon wieder los?“ fragte Daniel und blickte erst zu Élira, dann zu Melody, bekam jedoch weder eine Antwort, noch eine brauchbare Reaktion. „Jetzt hört mir mal zu“, begann er nun „ich weiß ja, dass ihr zwei euch nicht sonderlich gut leiden könnt, aber es wäre schön, wenn ihr zumindest für die Zeit, die wir miteinander verbringen müssen, Waffenstillstand schließen könntet. Ich verlange nicht von euch, beste Freundinnen zu werden, denn ich seh schon, das wird nichts, aber diese ständigen Streitereien nerven nur und sind hinderlich. Was meint ihr?“ Melody runzelte die Stirn und meinte dann: „Na, wenn es unbedingt sein muss…“ Élira zuckte mit den Schultern und sagte: „Von mir aus.“ Ein wenig später verließ die Truppe den Baum und begab sich wieder durch das Dickicht des Dun Willéad. An seiner nördlichen Grenze trafen sie wieder auf Faya, die es sich auf einem bemoosten Flecken bequem gemacht hatte. „Na endlich seid ihr auch angekommen. Es war ziemlich langweilig hier, muss ich zugeben. Auch wenn die Truppe Kampfzwerge, die vor drei Stunden hier vorbeigezogen ist, ein wenig Abwechslung in die Ödnis gebracht hat.“ „Kampfzwerge?!“ rief Élira und sah alarmiert aus. „Ja, so ein paar bärtige kleine Burschen, mit muskulösen Armen und schwer bewaffnet. Allesamt rothaarig. Das war wirklich merkwürdig! Ich hatte ja keine Ahnung, dass alle Zwerge rothaarig sind. Wenn es auch unterschiedliche Rottöne waren.“ Murmelte Faya zur Antwort. „Kampfzwerge an den Grenzen Dun Willéads... Das kann nichts Gutes bedeuten. Sie sind eigentlich ein sehr zurückgezogenes Volk, sie verlassen das Donnergebirge nie und Gastfreundschaft ist auch nicht gerade ihre Stärke. Irgendetwas muss sie aufgebracht haben, wieso sonst würden sie sich so weit von ihrer Heimat entfernen? Zudem hat mein Vater einst einen Vertrag mit ihrem König, Burgar, geschlossen. Dieser besagte, dass die Zwerge Dun Willéad fernbleiben müssten. Im Gegenzug versprach mein Vater ihnen Unterstützung vor dem Großen Rat. Du musst wissen, Daniel, der Große Rat ist kein Freund der Zwerge, da sie gierig sind und linke Geschäfte mit den Riesen betreiben. Niemand vertraut einem Riesen!“ Éliras Blick verdunkelte sich. „Wieso, was ist mit den Riesen?“ wollte Daniel wissen. Nun meldete sich Melody zu Wort: „Riesen sind furchtbare Wesen. Sie morden, nur so zum Spaß, entführen andere Wesen, brennen Waldstücke nieder… Kurz gesagt; Sie sind Barbaren!“ Daniel konnte nun verstehen, warum die anderen Bewohner Fíalas keinen großen Wert auf eine Freundschaft mit den Riesen legten. „Jetzt haben wir aber wirklich genug Zeit mit Gruselgeschichten vergeudet!“ rief Faya und begab sich auf ihre Hufe. „Wie sieht der Plan aus?“ Daniel sah Faya an und sagte dann: „Wir gehen ins Mirgelmoor und befragen das Orakel der Hijanwey nach einem verschwundenen Mädchen aus der Welt Arraxeja.“ Fayas Augen wurden groß wie Tischtennisbälle, als sie stotterte: „Ins Mirgel-Mirgelmoor? Welcher Lebensmüde hatte denn diese Idee?!“ Élira seufzte. „Es war meine Idee und Daniel war einverstanden. Können wir also aufhören zu diskutieren und uns endlich auf den Weg machen? Wir verschwenden nur unnötige Zeit, in der das Mädchen möglicherweise in Lebensgefahr steckt.“ Faya senkte beschämt den Kopf und beteuerte, das habe sie nicht gewusst. Also schwang Daniel sich wieder auf ihren Rücken, klemmte seine Beine zwischen ihren Flügeln fest und meinte dann: „Lasst uns ins Mirgelmoor fliegen!“ Melody flatterte auf Daniels Schulter und grinste Élira dann hämisch an: „Für dich ist wohl kein Platz mehr hier oben, Prinzessin!“ Élira drehte sich zu Melody und antwortete: „Nicht nötig, ich habe ein anderes Fortbewegungsmittel.“ Dann pfiff sie eine kleine Melodie und wartete. Nur ein paar Sekunden später hörte man lautes Hufgetrappel. Fayas Ohren stellten sich auf und sie fragte: „Ein Pferd? Ich hoffe sehr, es ist ein wilder Hengst!“ Ihre Augen wurden träumerisch vernebelt. „Nein, kein Pferd. Ein Zentaur.“ Melody raschelte nervös mit den Flügeln, als sie in Daniels Ohr flüsterte: „Wie hat sie es nur geschafft, einen Zentauren zu bändigen?“ Dann stand der Zentaur schließlich vor ihnen. Er hatte einen muskulösen menschlichen Oberkörper, ein kluges Gesicht und weißblondes, schulterlanges Haar. An der Hüfte verwuchs sein menschlicher Oberkörper mit einem weiß-grauen Schimmel-Unterkörper. Er senkte seine grauen Augen auf Élira und sagte: „Prinzessin Élira. Ihr habt mich gerufen?“ „Ja, Diabolon, das habe ich. Ich bräuchte einen Ritt in das Mirgelmoor. Schnell und unerkannt. Kannst du mir diesen Gefallen tun?“ Diabolon legte seinen Kopf schief. „In das Mirgelmoor? Seid ihr sicher, dass ihr dorthin wollt. Ihr wisst, wer im Mirgelmoor herrscht und dass es kaum Berichte darüber gibt, weil die wenigsten ihre Reise dorthin überlebten?“ Élira nickte und sagte: „Ich bin mir sicher Diabolon.“ „Nun dann, soll es sein, wie ihr bestimmt.“ Diabolon senkte sein Haupt und ließ Élira aufsteigen. Nun endlich konnte die Reise in das Mirgelmoor, die Heimat der Hijanwey beginnen.

 

 

 

-4-

 

-Die Hijanwey-

 

Endlich standen sie vor den Grenzen des Mirgelmoors. Gelbliche Rauchschwaden hingen schwer darüber. Ein ekliger Gestank nach Schwefel durchzog die Luft, doch man konnte nicht viel erkennen. Daniel atmete tief durch. „Also… da wollen wir rein, ja?“ Élira stellte sich neben ihn und nahm seine Hand. „Keine Angst, bleib nur dicht bei mir.“ Daniels Herz klopfte so laut, dass er Angst hatte, dass Élira es hören konnte. Sie hatte seine Hand genommen! Er meinte ein kleines, verstohlenes Lächeln über ihre Lippen huschen zu sehen, doch schon war es wieder verschwunden. Dann gingen sie los. Élira drehte sich zu Faya um und sagte: „Faya, sei vorsichtig, wo du hintrittst. Diese Erdplatten schwimmen und könnten unter deinem Gewicht wegbrechen.“ Melody schwebte nur ein paar Zentimeter über Daniels Kopf und ließ Élira dabei nicht aus den Augen. Je tiefer sie in das Moor hineingingen, desto dichter hing der Nebel über dem Boden und desto heftiger wurde der Schwefelgestank. Der Boden machte schmatzende Geräusche mit jedem Schritt, den die Gruppe ging. Dann stellte Daniel endlich die Frage, die ihm schon so lang auf den Lippen lag: „Was sind eigentlich die Hijanwey?“ Élira drückte seine Hand fester und sagte dann: „Naja, manche nennen sie auch ‚Irrlichter‘. Sie leben im Moor, locken Leute in das Wasser und ertränken sie. Sie lassen die Leichen im Wasser so lange liegen, bis sie… wie mumifiziert sind. Und irgendwann werden die mumifizierten Körper zu ihrem Festmahl… Niemand weiß, wie viele es von ihnen gibt, oder wie viel sie verspeisen. Doch Fakt ist, dass wenn man sich aufmerksam umsieht… man die Leichen im Wasser liegen sehen kann, Schicht, auf Schicht, auf Schicht… seit Jahrhunderten.“ Daniel erschauerte. Irrlichter also. Irrlichter wurden auch in menschlichen Gruselgeschichten oft als Hauptfiguren benutzt, um den Lesern eine Gänsehaut zu verschaffen. Doch die Vorstellung, sich nun in einem Moor zu befinden, in dem echte Irrlichter lebten, die dieses Moor zu einem nassen Grab für die Wesen werden ließ, die sich hierher verliefen, machte jeden Schritt für Daniel zu einem einzigen Horrortrip. Als der Geruch endgültig kaum noch zu ertragen war, tauchten vor ihnen zwei Lichter auf. Sie schwebten geräuschlos knapp einen halben Meter über dem Boden und näherten sich langsam der Gruppe. „Das sind sie“, flüsterte Élira neben Daniel und presste ihre Hand noch fester in seine. „Das sind die Hijanwey.“ Daniel fühlte sich unangenehm. Nicht nur, weil die mörderischen, hinterlistigen Irrlichter sich immer weiter auf ihn zubewegten, sondern auch, weil seine Hand vor lauter Nervosität klebte und der Gedanke, Élira könnte merken, dass er schwitzte, war für ihn fast noch schlimmer, als der nahende Tod durch Ertrinken. Wieso nur machte er sich die ganze Zeit Gedanken darüber, was die Elfe von ihm halten könnte? Die Irrlichter waren jetzt nur noch wenige Zentimeter von der Gruppe entfernt und endlich konnte man erkennen, WAS sie waren. Die Hijanwey waren nicht, wie Daniel erwartet hatte, gruselige Wesen, sondern ganz im Gegenteil; Sie sahen aus wie kleine Feen, nur dass ihr Licht heller strahlte, als das von Melody. Sie hatten goldblonde Haare, die ihnen bis zu den nackten Füßen gingen, weiße Haut und zarte Finger und Füße. Sie trugen weiße Hemdchen, mit Spitzenbesatz und lächelten fortwährend. Élira rückte einen Schritt näher zu Daniel und flüsterte: „Glaube nicht, was du siehst. So sind sie nicht. Sie versuchen nur, dich zu täuschen, um dich in den Morast zu locken.“ Und tatsächlich fühlte Daniel sich zu den beiden Hijanwey hingezogen. Wie sollten so wunderschöne, unschuldig blickende Wesen so durch und durch böse sein können? Nein, er glaubte nicht, was Élira ihm erzählt hatte. Die Hijanwey wollten ihn nicht in das moorige Wasser locken, um ihn irgendwann zu verspeisen, sie wollten nur helfen. Daniel wollte seine Hand aus Éliras ziehen, doch sie hielt die seine verbissen fest und ihr Griff war unerbittlich stark. „Bleib bei mir, Daniel…“ Éliras Stimme war fest, doch irgendwie auch verzweifelt. So als hätte sie Angst, ihn zu verlieren. Und dann griff sie nach etwas. Daniels Aufmerksamkeit war plötzlich wieder auf die Elfe gerichtet, denn diese hatte ein Schwert hervorgezogen und hielt es von sich gestreckt, in Richtung der beiden Hijanwey. „Ihr lasst ab von dem Jungen!“ sagte sie dann mit ihrer klangvollen Stimme. Die Hand, die das Schwert hielt, zitterte nicht einmal unter dem Gewicht der Klinge. Da kreischten die Hijanwey auf eine Art und Weise, die Daniel das Blut in den Adern gefrieren ließ. Laut und Herzzerreißend. Faya wieherte, die Augen panisch aufgerissen und bäumte sich auf. Melody stürzte aus der Luft ab und krümmte sich, unter scheinbar furchtbaren Schmerzen am Boden. Daniel riss beide Hände an die Ohren, ungeachtet dessen, dass Élira ihm gesagt hatte, er solle ihre Hand nicht loslassen. Und dann knickten seine Knie weg und auch er lag auf dem Boden. Wellen von Schmerz durchströmten ihn. Sie waren eiskalt und durchstachen ihn, wie Messer. Nur Élira stand, scheinbar unberührt durch die furchtbaren Schreie der Irrlichter, noch immer am selben Fleck und hielt das Schwert in der Hand. „Ich bin Élira von Dun Willéad und das sind Melody, Faya und der Mensch Daniel Miller und wir sind hier um euer Orakel zu befragen.“ Da endlich hörten die beiden Hijanwey auf zu kreischen und sahen Élira an. Dann sagten sie in einer schrecklichen, raschelnden, keuchenden Stimme: „Folgt uns!“ Élira half Daniel auf die Beine und auch Faya hatte sich beruhigt. Melody flatterte ein wenig unsicher wieder neben Daniels rechtem Ohr und sagte dann: „Das Orakel der Hijanwey befragen… Ich WUSSTE einfach, dass das eine Schnapsidee ist. Aber nein, die tolle Prinzessin wusste ja wieder alles besser. Und oh, wieso hatte sie eigentlich keine körperlichen Schmerzen, als diese furchtbaren Kreaturen geschrien haben?“ Sie stütze ihre kleinen Ärmchen in ihre Hüften und flatterte auf Éliras Nase. „Nur zu deiner Information; Keiner von euch hatte wirklich körperliche Schmerzen. Das Kreischen der Hijanwey manipuliert Hirnbahnen und täuscht körperliche Schmerzen vor. Ich konnte das beeinflussen, weil ich gelernt habe, meine Gedanken so zu lenken, wie ich es will. Wenn du also endlich aufhören könntest, mir für alles die Schuld zu geben und von meiner Nase runterkommen könntest, dann könnten wir den Hijanwey folgen und ihr Orakel zu Morag befragen.“ Also flatterte Melody eingeschnappt wieder neben Daniels Ohr. Nicht, ohne Élira noch einen letzten, vernichtenden Blick zuzuwerfen. Dann folgte die Gruppe den Irrlichtern, so wie diese es befohlen hatten. Nachdem sie eine Weile gegangen waren, merkte Daniel, dass Élira seine Hand nichtmehr hielt. Er wollte fragen, warum, doch dann kam er sich peinlich vor. Wieso sollte sie seine Hand auch noch halten? Die Irrlichter zeigten ihnen jetzt den Weg. Es gab keinen Grund, ihn noch zu leiten. Daniel senkte seinen Blick und er merkte nun schmerzhaft, dass er Éliras Hand in der seinen vermisste. Eine Träne bildete sich in seinem Auge und tropfte zu Boden. Still und unbemerkt.

 

Der Weg durch das Mirgelmoor war lang und beschwerlich. Stechmücken malträtierten Daniel und Faya. Melody und Élira blieben seltsamerweise von ihrem störenden Sirren und den schmerzhaften Stichen außen vor gelassen. Daniel bemerkte außerdem, dass das Moor sehr belebt war. Überall schienen Augen die Gruppe anzusehen, doch wenn sie sich näherten verschwanden sie, schnell und geräuschlos. Daniel erinnerte sich an den Satz den Diabolon zu Élira gesagt hatte: „Ihr wisst, wer im Mirgelmoor herrscht?“ Nun endlich war ihm klar, dass selbst die Bewohner des Mirgelmoors die Hijanwey fürchteten. Daniel wusste nicht, wie lange sie schon gegangen waren, denn sogar die Sonne schien vor den Irrlichtern zu fliehen. Und da ohne Sonne auch kein Mond zustande kommen konnte, war es immer dunkel im Mirgelmoor. Dunkel, kalt, stickig und stinkend. Nein, dieses Moor war wirklich kein einladender Platz. Plötzlich hielten die Lichter vor ihnen an. Sie drehten sich zu der Gruppe um und sagten: „Hier ist es.“ Élira sah sich um und sagte dann: „Ich kann nichts sehen, wo ist das Orakel? Wehe euch, wenn ihr uns gelinkt habt!“ Da flogen die beiden Irrlichter auf Élira zu und zeigten endlich ihr wahres Gesicht. Sie entblößten zwei Reihen scharfer Zähne, große, fischartige Augen und etwas, das aussah wie Kiemen unter ihren Ohren. Nasen schienen sie nicht zu besitzen. Ihre Haut war aschgrau und an Füßen und Händen hatten sich Schwimmhäute gebildet. Tatsächlich, sie hatten nur ein Bild von Schönheit und Unschuld vorgespielt. In Wirklichkeit waren die Hijanwey Monster! Und nun begannen sie wieder in der schrecklichen, kreischenden Stimme zu sprechen, die sich anhörte, als würde jemand mit den Fingernägeln über eine Tafel kratzen: „Das Orakel wird nicht gefunden, das Orakel findet!“ Und dann verschwanden sie. „Und was machen wir jetzt?“ fragte Daniel. „Wir warten“, war Éliras kurz angebundene Antwort. So warteten sie scheinbar eine Ewigkeit, bis sich endlich etwas änderte. Der Morast unter ihnen warf auf einmal riesige Blasen, es schmatzte und dann war ein Geräusch zu hören, das klang, als hätte jemand den Stöpsel einer riesigen Badewanne gezogen. Und endlich war es da: Das Orakel der Hijanwey. Es war ein besonders großes und besonders abstoßendes Irrlicht, dass schwer atmete und dessen Haarpracht aussah, wie Algen. Es hatte größere Glubschaugen als die beiden anderen, lange spinnenartige Finger und… einen Unterkörper der nicht in Füßen mit Schwimmhäuten, sondern in einer riesigen Schwanzflosse endete. Aus seinen großen Fischaugen starrte das Orakel die Gruppe an und sprach dann in einer saugenden, röchelnden Stimme zu der Gruppe: „Was ist euer Verlangen?“ „Orakel“, begann Élira. „Kannst du uns sagen, ob das Mädchen Morag aus Arraxeja noch lebt, und wenn ja, wo es sich jetzt befindet?“ Die Lid losen Augen auf Élira gerichtet antwortete das Orakel: „Das Mädchen Morag lebt. Sie befindet sich in den obersten Höhen des Donnergebirges. Bewacht wird sie von den Riesen. Doch ihre Kraft schwindet. Wenn ihr sie nicht binnen zwei Tagen erreicht und befreit, wird sie sterben.“ Dann stürzte sich das Wesen zurück in die Tiefen des Morasts. „Was war DAS denn?!“ wollte Daniel wissen. Élira sah ihn an und sagte: „Sie war einst eine Meerjungfrau. Sie lebte in den Tiefen des Kristallblauen Meeres, dass du von Dun Willéad aus gesehen hast. Doch sie wurde verkauft. Die Piraten hatten sie in ihrem Fischernetz gefangen und da Meerjungfrauen hellseherische Fähigkeiten besitzen, haben sie sie an die Hijanwey verkauft, weil deren eigentliches Orakel, die Hexe Nemesis, unter mysteriösen Umständen verschwunden war. Sie kann sich daran nichtmehr erinnern, ist ein Sklave der Hijanwey. Deswegen hat sie sich auch teilweise in eine verwandelt. Doch die Schwanzflosse wird sie immer behalten.“ „Ich dachte immer, dass Meerjungfrauen schön sind. Aber sie war einfach… einfach abstoßend!“ Daniel erschauerte. „Sie war einst schön. Hatte langes, rotgoldenes Haar, elfenbeinfarbene Haut und kristallblaue Augen. Doch dieses Aussehen wird sie nie wieder erlangen. Es ist ihr Schicksal, für immer im Mirgelmoor zu bleiben. Für immer an den Willen der Hijanwey gekettet zu sein.“ Élira sah traurig zu der Stelle, an der die Meerjungfrau verschwunden war. Daniel wusste nun, dass es ein wirklich schreckliches Schicksal sein musste, das die Meerjungfrau ereilt hatte, aber es war nicht Daniels Aufgabe, sich darüber Gedanken zu machen. Doch er schwor sich, dass er eines Tages zurückkommen würde, und der Meerjungfrau ihre Freiheit zurück geben würde. Koste es, was es wolle.

 

 

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-Morag-

 

Nach dem Gespräch mit dem Orakel, war ein Durchqueren des Mirgelmoors problemlos möglich. Kein Wesen ließ sich blicken, nicht einmal mehr die Augen waren zu sehen, die sie sonst beobachtet hatten. Und so waren sie bald darauf endlich wieder auf trockenem und vor allem sicherem Boden angelangt. Daniel schwang sich wieder auf Faya und Melody nahm wieder auf seiner Schulter Platz. Élira sah sich das kurz an und meinte dann: „Fliegt ihr ruhig, ich gehe zu Fuß.“ „Zu Fuß?!“ fragte Daniel mit ungläubigem Blick. „Ich bin eine Elfe, Daniel. Ich kann mich schnell und unbemerkt fortbewegen. Die Bäume und die Tiere sind meine Freunde. Sie helfen mir, den sichersten und schnellsten Weg zu finden. Mach dir keine Sorgen, ich werde da sein, wenn ihr am Donnergebirge ankommt.“ Und mit diesen Worten begann sie zu laufen. Sie wurde schneller und schneller und war bald mit der Umgebung verschwommen. „Dann lasst uns fliegen!“ rief Faya und erhob sich in die Luft. Es dauerte nicht lang und das Donnergebirge tauchte vor ihnen auf. Es war riesig und schien unbezwingbar. Schwere Regenwolken hingen über den Gipfeln und ein starker Wind zog herauf. Die Wolken wurden von grau zu schwarz und in der Ferne begann es zu grollen, wie der Höllenhund persönlich. Blitze zuckten über den Himmel, gefolgt von einem heftigen Regenschauer. „Haltet euch fest! Das könnte ein etwas stürmischer Ritt werden!“ Melody piepste und flog von Daniels Schulter hinauf in seine Ohrmuschel. Dort kauerte sie sich hin und er konnte spüren, dass sie sich mit ihren kleinen Händchen festklammerte. Auch Daniel griff jetzt tiefer in Fayas Mähne und presste sich an ihren Hals. Der grollende Donner wurde stärker und der Regen hatte Daniel inzwischen komplett durchnässt. Seine Ohren schmerzten von dem eiskalten, erbarmungslosen Wind, der um sie pfiff und es kam Daniel fast so vor, als versuchte der Wind gezielt, sie davon abzuhalten, sich dem Gebirge weiter zu nähern. Doch Faya ließ sich von dem Wind nicht beeindrucken und flog weiter auf die Felswand zu, die sich vor ihnen aufbaute. Und endlich beugte sie sich hinab. „Da unten ist ein Höhleneingang. Ich versuche, dort zu landen und dann warten wir auf Élira!“ So schraubte sie sich weiterhin hinab und landete schließlich auf einem Felsvorsprung direkt vor der Höhle. Daniel stieg ab und sah sich um. Der Felsvorsprung war schmal und sie befanden sich in schwindelerregender Höhe. Faya passte kaum auf den Vorsprung und meinte deshalb: „Lasst uns in die Höhle gehen. Da ist es trocken und sicherlich ist dort auch mehr Platz als hier draußen.“ Daniel konnte ihr nur zustimmen. Denn der Wind war hier oben noch schneidender, als er in der Luft gewesen war und er hatte das Gefühl, dass er immer weiter an den Abgrund geschoben wurde. So gingen sie also in die Höhle hinein und endlich traute sich auch Melody wieder aus ihrem sicheren Versteck. In der Höhle war es stockduster, doch als sie um eine Ecke kamen, loderte vor ihnen ein warmes Feuer und sie sahen jemanden dahinter vortreten. „Na, auch schon da?“ fragte eine glockengleiche Stimme. Élira! „Du bist schon hier?! Aber… wie?“ wollte Daniel wissen. „Naja, die Bäume haben mich vor dem Sturm geschützt, der gewütet hat, so war ich schneller als ihr. Ich habe noch ein bisschen Feuerholz in meinen Beutel gepackt und als ich diese Höhle hier entdeckt habe, habe ich etwas Weißes auf mich zu segeln sehen, da war mir klar dass ihr genau dieselbe Idee hattet.“ Faya legte sich in eine Ecke und schloss die Augen. Sie schien total erschöpft zu sein. Auch Daniel merkte jetzt, dass er müde war und seine Glieder schmerzten. Er setzte sich im Schneidersitz vor das Feuer und genoss die Wärme. „Willst du deine Kleider vielleicht ausziehen? Du siehst doch ziemlich durchnässt aus. Und dann hilft das Feuer auch nichts.“ Élira sah ihm direkt in die Augen. Ein Schauer durchzog seinen ganzen Körper und dieser kam sicher nicht von den nassen Kleidern. „Ja, ich denke, das sollte ich machen…“ Langsam schälte Daniel sich aus den nassen Klamotten und legte sie zum trocknen nahe an das Feuer. Schließlich hatte er nur noch seine Boxershorts an. Doch tatsächlich war ihm nun doch weniger kalt als vorher und das Feuer wirkte Wunder. Und dann kam Élira näher zu ihm und er merkte, dass auch sie nur noch Unterwäsche aus Wildleder trug. Sie setzte sich neben Daniel und nahm wieder seine Hand. „Körperwärme hilft am besten…“ meinte sie und rutschte noch ein Stück näher. Daniels Herz klopfte bis zum Hals. Er drehte seinen Kopf zu ihr und sah, dass sie ihn ansah. Ihre Blicke trafen sich und es war, als wäre ein Feuerwerk ausgebrochen. Daniels Finger zitterten, als er noch ein Stück näher zu der Elfe ruckte. Éliras Augen glitzerten im Licht des Lagerfeuers. Dann hielt er es nichtmehr länger aus. Er nahm Éliras Gesicht in seine Hände und presste seine zitternden Lippen auf ihre. Panik pulsierte durch seinen Körper, denn was würde die Elfe jetzt tun? Doch alle Angst war umsonst, denn Élira erwiderte den Kuss mit brennender Leidenschaft. Allerdings war dieser Moment nur von kurzer Dauer, denn Melody meldete sich lautstark zu Wort: „Hey! Moment mal! Was soll das denn? Daniel, sie ist eine ELFE! Und du, Élira, wie kannst du nur einen MENSCHEN küssen!“ Das hysterische Gepiepse der Fee klingelte in Daniels Ohren und brachte ihn dazu, sich von Élira zu lösen. Die Elfe schaute beschämt zu Boden und sagte dann: „Unsere Kleider sind trocken, hier.“ Und sie reichte ihm seine Jeans und das T-Shirt. Daniel klaubte seine Socken vom Boden und begann sich anzuziehen. Élira war in eine Ecke verschwunden. Melody schwirrte gut gelaunt über Daniels Kopf und meinte dann: „Na, mein Liebling. Jetzt bist du aber froh, dass ich dich vor einem riesigen Fehler bewahrt habe, nicht wahr?“ Daniel war gerade dabei, seine Sneakers zu binden, doch er drehte sich in der Bewegung um und zischte: „Nein, Melody. Denn das war kein Fehler. Du hast gerade den schönsten Moment meines Lebens kaputt gemacht!“ Dann stand er auf und ließ die Fee verwirrt in der Luft stehen.

 

Die Nacht verbrachte die Gruppe in der Höhle. Das Lagerfeuer verstrahlte noch immer eine angenehme Wärme. Daniel hatte seinen Kopf auf Fayas Hals gebettet, Melody hatte es sich in ihrer Mähne gemütlich gemacht. Nur von Élira war noch immer nichts zu sehen. Doch am nächsten Morgen war sie als erstes wach und weckte die anderen mit ein paar Nüssen und Früchten von den Bäumen, die im Donnergebirge wuchsen. Zudem hatte sie jedem ein Büschel Zitronenmelisse zum kauen mitgebracht, das wie das morgendliche Zähneputzen war. „Lasst uns losgehen, wir haben nur noch den heutigen Tag, um Morag zu finden und zu befreien.“ Daniel schluckte ein paar Früchte und knackte zwei große Nüsse mit den Zähnen. Dann schob er sich die Zitronenmelisse zwischen die Zähne und folgte der Elfe aus dem Höhleneingang auf den Felsvorsprung. Élira war gerade dabei, ihr Schwert zu putzen und merkte erst nicht, dass Daniel hinter ihr stand. „Ich hoffe, ich habe jetzt nicht alles kaputt gemacht…“ sagte Daniel leise. Da drehte Élira sich um, ließ ihr Schwert fallen, schlang ihre Arme um ihn und küsste ihn. Zuerst auf den Mund, dann folgten Nasenspitze, Wangen, Ohren und Stirn. „Nein, das hast du nicht“, hauchte sie und löste sich wieder von ihm. Dann hob sie ihr Schwert auf und steckte es zurück in seine Scheide. Endlich kamen auch Melody und Faya durch den Höhleneingang und die Gruppe begann mit dem schwierigen Aufstieg auf den Gipfel des Donnergebirges. Auf ihrem Weg trafen sie auf Geißböcke, Gnomen und sogar eine Gruppe Kampfzwerge. Faya bemerkte, dass das wahrscheinlich sogar die Gruppe war, die sie an den Grenzen Dun Willéads gesehen hatte. Doch die Zwerge schienen sich nicht für die seltsame Gruppe zu interessieren, die ihren Weg kreuzte. Sie liefen stur geradeaus, schauten nicht nach links oder rechts. Auch Élira lief forsch vorwärts und achtete nicht auf das, was um sie herum geschah. Sie schien sich noch immer die Schuld an Morags Verschwinden zu geben. Ob sie nun entführt worden war, oder nicht. Daniel schloss zu der Elfe auf und sagte: „Es wird ihr gut gehen. Mach dir keine Sorgen, wir befreien sie und dann können wir vor den großen Rat treten, so wie es geplant war.“ Élira sah Daniel kurz an, nahm wieder seine Hand und flüsterte leise: „Danke.“ Daniel meinte ein leises: „Ekelhaft“ von hinter sich zu vernehmen. Doch er drehte sich nicht um, um zu sehen, wer es war. Als die Sonne begann, unterzugehen, hatten sie den Gipfel erreicht. Faya raunte schlecht gelaunt: „Pferde klettern nicht auf Berge.“ Da drehte Élira sich um und meinte erstaunt: „Pferde? Du legst doch sonst solch einen Wert darauf, dass du ein einhörniger Pegasus bist, Faya.“ Doch es war nicht Faya, sondern Melody, die antwortete: „Die Höhenluft macht Faya zu schaffen. Deswegen kann sie nicht fliegen, ergo fühlt sie sich nur wie ein Pferd und nicht wie ein einhörniger Pegasus.“ Daniel schaute sich während des Gesprächs auf dem Gipfel um. Irgendwo hier sollte Morag sein. Aber wo? Es gab hier nichts, außer Schotter und Geröll. Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Élira“, rief er hektisch. „Wo in diesem Gebirge hausen die Riesen?“ Élira drehte sich um und antwortete: „In einem Dorf, direkt hinter diesem Bergkamm. Aber warum willst du… oh… du meinst, Morag ist dort?“ „Ja, und deshalb lasst uns jetzt keine Zeit mehr verlieren, die Sonne geht bereits unter!“ Da setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung. Sie überquerten den Bergkamm, so schnell sie konnten und standen endlich vor den Toren des Riesendorfes.

Die Tore standen weit offen, was merkwürdig war, da die Riesen normalerweise keinen Wert auf Besuch legten. Und dann sahen sie es; Das Dorf der Riesen stand in Flammen. Rauchsäulen stiegen über den Hütten auf und die Bewohner des Dorfes schienen in panischer Angst geflohen zu sein. Ein Riese lag, scheinbar tot, vor Faya auf der Erde. Die Luft war stickig und schmerzte in den Lungen. Doch plötzlich hörten sie ein Geräusch. Ein Wimmern, dass aus der größten der Hütten zu kommen schien. Schnell liefen sie darauf zu, stießen die Tür auf und sahen ein Mädchen auf dem Boden sitzen. Die Beine hatte sie an die Brust gezogen und weinte hemmungslos. Ihre Arme waren auf dem Rücken gefesselt. „Morag?“ fragte Élira. „Morag Didiani?“ Da blickte das Mädchen auf und nickte. Sie hatten sie gefunden.

 

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-Morags Geschichte-

 

Das Mädchen Morag trug ein weißes Hemdchen, das voller Schmutzflecken war. Sie hatte dunkle Haut, welche übersät war von Schrunden und Dreck. Nur im Gesicht waren einige hellere Stellen zu erkennen, dort, wo die Tränen über ihre Wangen gelaufen waren. Ihr schwarzes Haar war kurz und zottelig. Sie zitterte am ganzen Körper. „Wer… wer seid ihr? Was wollt ihr von mir? Woher wisst ihr, wer und wo ich bin? Und was… was mache ich hier?“ Morag blickte mit ihren schokoladenbraunen Augen ängstlich um sich. Élira setzte sich zu ihr und löste ihre Fesseln. „Du bist in Fíala. Genauer gesagt, im Donnergebirge, im Dorf der Riesen. Das war allerdings nicht geplant. Eigentlich hättest du an der Ostgrenze des goldenen Waldes erwachen sollen. Ich hätte dich dort abgeholt und du wärst vor den Großen Rat gebracht worden, so wie auch Daniel hier, der aus der Welt Erde kommt.“ Morags Augen zeigten Unverständnis und Zweifel. „Aus der Welt Erde? Dann… ist Fíala auch eine Welt? Und was ist mit Arraxeja? Und wieso hätten wir vor den Großen Rat gebracht werden sollen?“ „Nun, weißt du, hier in Fíala herrscht ein furchtbarer Tyrann, Sturlogh. Sein Plan war es, die anderen Welten zu unterdrücken und zu beherrschen. Mit den anderen Welten ist ihm das bereits gelungen. Doch Arraxeja und Erde sind bis jetzt frei geblieben, da es ihm nicht gelungen ist, den Schwachpunkt der beiden Welten herauszufinden. Ihr seid hier, um gemeinsam mit dem Großen Rat zu beratschlagen, wie man verhindern kann, dass Sturlogh eure Welten unterwirft.“ Antwortete Élira. „Moment mal… Noch mehr Welten?!“ Morag schien das alles zu viel zu werden. „Okay, egal. Ich denke, ich werde mich damit schon irgendwann zu Recht finden.“ Élira nickte und sagte dann: „Kannst du uns erklären, wieso das Dorf in Flammen steht?“ Morag schluckte und antwortete: „Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier bin. Auch nicht, was die Riesen eigentlich von mir wollten. Sie sprachen in einer Art Grunzen, die ich einfach nicht verstehen konnte. Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich genau hierher gekommen bin. Ich kann mich nur noch erinnern, dass ich aufgewacht bin und eine rothaarige Frau vor mir gestanden war. Sie klang nett und sie hat mit mir geredet… von da an fehlt mir jede Erinnerung. Bis zu dem Punkt, an dem ich wieder aufwachte. Durch ein heftiges Ruckeln. Ich befand mich in einer Art hölzernem Käfig auf Rädern. Dieser Käfig bewegte sich wie von selbst. Ich hatte furchtbare Angst. Und dann war auf einmal wieder die Frau da. Sie sagte ihr Name sei Nemesis und dass sie mich an einen Ort bringen werde, den ich nie wieder verlassen werde. Dann lachte sie und war wieder verschwunden. Und ich bin wieder eingeschlafen, bis ich hier in diesem Dorf aufwachte. Eine Weile lang haben die Riesen versucht, mit mir zu reden. Sie wollten wohl irgendwas von mir, aber… ich weiß immer noch nicht, was es war. Irgendwann haben sie aufgegeben und mich hier in dieser Hütte gefesselt. Und dann, vor ein paar Stunden, als die Sonne hoch am Himmel stand, kamen sie…“ Morags Stimme brach weg und sie schluckte erneut. „Wer kam?“ wollte Daniel wissen. „Es waren furchtbare Wesen aus Stein… Sie ritten auf Pferden aus Stein und hatten grausame Stimmen. Sie wollten, dass die Riesen mich ihnen übergaben. Doch… ich schätze, die Riesen haben sich geweigert. Da verschwanden die steinernen Reiter und… nur wenige Augenblicke später kamen drei große, feuerspeiende Drachen. Sie brannten die Hütten nieder… Sie ermordeten den Riesenanführer. Der Rest der Riesen floh. Mich vergaßen sie in ihrer Panik wohl. Und seitdem sitze ich hier.“ Da sprang Élira panisch auf. „Wenn die steinernen Reiter den Drachen befohlen haben, das Dorf nieder zu brennen, dann werden sie wiederkommen, um dich mitzunehmen. Wir müssen hier weg und zwar so schnell wir können! Faya, kannst du zwei Menschen tragen?“ Faya wieherte und ließ Daniel und Morag aufsteigen. Melody flatterte auf ihren Lieblingsplatz, Daniels Schulter, und Élira begann zu laufen. Schon hörten sie hinter sich die grausamen Stimmen der steinernen Reiter, Sturloghs treuem Gefolge. „Sie fliehen! Ihnen nach!“ Daniel sah hinter sich und entdeckte eine Wolke aus Staub. Die steinernen Pferde mussten so schnell galoppieren, dass sie hinter der Staubwolke nicht mehr zu erkennen waren. „Faya, mach schneller!“ Der einhörnige Pegasus schnaubte: „Ich bin ein einhörniger Pegasus, ich fliege schneller, als die Adler des Donnergebirges, aber den steinernen Pferden kann ich im Galopp nichts entgegenbringen. Wir müssen in die Luft, anders geht es nicht!“ Doch wie sollten sie abheben, mit zweifachem Gewicht, das Faya belastete und Élira, die nun wirklich keinen Platz mehr auf Faya finden konnte? „Faya, kannst du Élira auch noch tragen?“ Faya wieherte leise und sagte: „Nicht weit, nicht lang. Aber vielleicht so lang, dass wir uns vor den steinernen Reitern verstecken können.“ Éliras Elfenohren hatten das Gespräch hinter sich gehört und so verlangsamte sie ihren Schritt, ließ sich hinter Faya abfallen, um dann noch einmal zu beschleunigen und mit einem Sprung auf dem Rücken des einhörnigen Pegasus zu landen. „Hoch, Faya. Hoch!!“ Und endlich hoben sie ab. Die Bäume unter ihnen wurden kleiner und kleiner und sie hörten die steinernen Reiter noch lange fluchen.

 

Nachdem sie ein paar Minuten geflogen waren, beugte Élira sich zu Morag vor und fragte: „Du sagtest, die Frau habe sich als Nemesis vorgestellt. Stimmt das?“ „Ja“, antwortete Morag, verdutzt über die Frage. „Sieht so aus, als würde die Hexe nun mit Entführungen und Geschäften mit den übelsten Kreaturen Fíalas ihr Geld verdienen.“ Élira verstummte wieder. Da meldete sich Daniel zu Wort: „Du sagtest doch, die Hexe Nemesis wäre das Orakel der Hijanwey gewesen, bevor sie auf mysteriöse Weise verschwand?“ „Ja, das war sie auch. Aber es scheint, als hätte sie keine Lust mehr auf das Mirgelmoor gehabt. Nun, wen wundert das. Der Zauber der Hijanwey hatte auf sie keinen Einfluss, schließlich ist sie eine Hexe. Nicht so, wie die arme Meerjungfrau, die für immer dort bleiben muss.“ Dann hörte man von vorne ein Keuchen und Faya sagte: „Ich muss landen. Einen von euch kann ich stunden- ja tagelang durch die Lüfte transportieren. Auch mit zwei würde es wohl eine Weile gehen, aber drei? Tut mir Leid, aber mir geht die Puste aus.“ Damit setzte sie zur Landung auf einer Lichtung an, die sich direkt unter ihnen befand. Wasser eines Sees glitzerte auf der einen Seite, ein kleiner Wald mit dunkelgrünem Laub raschelte auf der anderen Seite. Faya landete, etwas forscher als sonst, auf der Lichtung und schleppte sich zu dem kleinen See, um einen Schluck zu trinken. Auch Élira begab sich zu dem See und füllte ihre Feldflasche. Und Morag stürzte sich komplett in die Fluten, um Dreck und Schmutz von sich zu Waschen und die Wunden zu säubern, die ihr zugefügt worden waren. Daniel nahm auf der Lichtung Platz und legte sich in das saftige grüne Gras. Es duftete herrlich, wie der frisch gemähte Rasen im Garten seiner Eltern in Clatter-Springs. Erst jetzt bemerkte er, wie sehr er sie vermisste. Seine Mutter Fiona, die ihn Morgens mit frischen Pfannkuchen mit Sirup weckte, seinen Vater Frank, der jeden Samstag den Rasen mähte, und dessen Lachen in ganz Clatter-Springs bekannt war und sogar seine kleine Schwester Sophie, die ihm normalerweise mit ihrer piepsigen Stimme und den, im ganzen Haus verteilten Barbiepuppen auf die Nerven ging. Eine kleine Träne bildete sich in Daniels Auge und rollte über seine Wange ins Gras. Doch es war nur ein kleiner Moment der Schwäche. Élira setzte sich neben ihn, schaute ihn an und streichelte mit ihren zarten Fingern über sein Gesicht. „Ist alles okay?“ wollte sie wissen. Daniel nickte und drehte sich zu ihr um. Sie lächelte. Sie war wirklich das schönste Mädchen, das er jemals gesehen hatte. Und dann fiel ihm wieder ein, dass sie ja gar kein Mädchen war. Nein, sie war eine Elfe, eine Unsterbliche und gebunden an Fíala. Wenn dieses Abenteuer vorbei war, würde er zurück zur Erde reisen und sie würde hier bleiben und es würde sein als hätte es sie nie gegeben, oder als wäre sie nur ein wunderschöner Traum gewesen. Endlich kamen auch Faya und die durchnässte Morag zu ihnen zurück. Melody hatte es sich in einer Butterblume bequem gemacht und schien zu dösen. Auch Faya war ein wenig schläfrig. Morag zitterte. Es war zwar ein warmer Tag, aber das nasse Hemdchen hing wie ein nasser Sack an ihr herunter. Ihre Haare hatte sie ausgeschüttelt und sie standen schon wieder verstrubbelt in alle Richtungen ab. Élira stand auf und begab sich in den Wald. Kaum zwei Minuten später war sie mit einem Arm voll Feuerholz zurück und nur fünf Minuten später loderte ein prasselndes Lagerfeuer inmitten der Lichtung. Morag hatte ihr Hemdchen ausgezogen und es sich um die Brust gebunden. Ihre braunen Augen blickten traurig in die Flammen. Daniel setzte sich neben sie: „Hey, was ist los mit dir?“ Da sah sie ihm in die Augen und sagte: „Ich wünschte, ich wäre niemals hierher gekommen. Ich will das hier nicht, ich will nach Hause…“ Daniel konnte sie nur zu gut verstehen. Zwar war der Gedanke, sich auch nur einen Tag von Élira zu trennen, zu schmerzhaft, um überhaupt daran zu denken, doch auf der anderen Seite vermisste er seine Familie und seine Freunde in Clatter-Springs.

 

Die Nacht verbrachte die Gruppe auf der Lichtung. Früh am nächsten Morgen weckte Élira sie. Sie hatte aus Baumrinde zwei weitere Feldflaschen gemacht, die sie nun Daniel und Morag überreichte. Zudem hatte sie essbare Wurzeln und dicke blaue Beeren aus dem Wald mitgebracht. So stärkte die Gruppe sich, das Feuer wurde ausgetreten und mit Wasser aus dem See gelöscht. Morag zog ihr Hemdchen wieder an, das nun Fleck los weiß war. Dann machte sich die merkwürdige Gruppe wieder auf den Weg.

 

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-Der Große Rat-

 

Daniel und Élira liefen Hand in Hand. Die Elfenprinzessin lächelte dabei ständig vor sich hin. Morag folgte ihnen, etwas unbeholfen, da sie barfuß war und der Waldboden sich durch Tannennadeln und kleine Steinchen nicht gerade angenehm für sie anfühlte. Élira war zwar ebenfalls barfuß, doch ihre Elfenfüße schienen nicht zu spüren, wenn der Boden sich änderte. Faya merkte, dass Morag sich beim Gehen quälte und bot ihr an, auf ihr zu reiten. So stieg das Mädchen auf und wurde schon bald von Melody begleitet, die es sich nun auf ihrer Schulter bequem machte. Dann fragte Daniel: „Wohin gehen wir jetzt?“ „Zum Großen Rat“, antwortete die Elfe. „Sie erwarten uns schon.“ Danach verlief der Rest des Marsches schweigend. Am Morgen des dritten Tages, nach Aufbruch von der Lichtung, erreichten sie ein großes Tor. Élira legte ihre Hände auf das Tor und dieses schwang auf. Geräuschlos. Einer nach dem anderen traten sie ein und befanden sich nun in einem riesenhaften Irrgarten. Daniel war sprachlos. „Das ist ein Labyrinth. Wie sollen wir hier den Ausgang finden?“ „Keine Sorge, Daniel. Ich kenne den Weg“, sagte Élira. Dann mischte sich Melody ein: „Hey, du Angeberin. Nicht nur du kennst den Weg! Hast du vergessen, dass der Rat mich und Faya bestimmt hatte, um Daniel hierher zu bringen? Aber nein, du musst natürlich immer alles wissen und alles an dich reißen! Weißt du was, du nervst mich tierisch!“ Die kleine Fee hatte sich so in Rage geredet, dass ihr Köpfchen dunkelrot angelaufen war und sie schließlich vor lauter Anstrengung vergaß, mit den Flügeln zu schlagen. Sie stürzte auf den Boden und blieb liegen. Daniel hob sie auf, schüttelte kurz den Kopf und legte sie dann in Morags offene Hände. Faya sagte leise: „Sie ist ein wenig impulsiv, manchmal.“ Dann liefen sie weiter, immer Élira hinterher, die sich von dem Auftritt der Fee nicht beeindrucken lassen hatte. Und endlich standen sie vor einem Gebäude. Es sah aus, wie ein Schloss. Herrschaftlich, ragte hoch in den Himmel und war aus einem elfenbeinfarbigen Gestein. Sie traten ein, in eine Halle, deren Decke so hoch war, dass sie nur noch zu erahnen war. Inmitten dieser Halle stand eine Tafel, an der sich die verschiedensten Gestalten niedergelassen hatten. Da war ein Zwerg, mit einem langen Bart und feuerroten Haaren, ein Elf, mit Weißblondem Haar, das ihm bis über die Ellbogen hing, ein Gnom, der so klein war, dass er kaum über den Tisch ragte, ein Dunkelelf, mit schwarzbraunem Haar, der Élira einen vernichtenden Blick zuwarf, eine Fee mit rosarotem Haar, ein Zentaur, der etwas abseits aller anderen saß und am Tischende saß, so sah es zumindest aus, ein Menschenmann mit langem weißen Haar, der lächelnd auf die Gruppe Neuankömmlinge zeigte und sagte: „So seid ihr also doch noch gekommen, Élira von Dun Willéad und Gefolge.“ Élira ging vor dem Mann auf die Knie und sagte: „Wir sind gekommen, König Zirion.“ Da erhob sich der Dunkelelf, ging auf Élira zu und sagte: „Soso, Prinzessin Élira. Habt ihr es also doch geschafft, das Mädchen hier her zu bringen.“ Seine Worte klangen freundlich, doch seine Augen glühten von purem Hass. „Ja, das habe ich, Bétrandir!“ Daniel atmete hektisch ein. Bétrandir, der Verräter, ein Mitglied des Großen Rates? Wie konnte das sein? „Lasst uns keine Zeit mit sinnlosem Geschwätz verschwenden“, meldete sich nun der Zwerg zu Wort. Zirion sah auf ihn herab: „Ihr habt Recht, Burgar. Wir sollten beginnen.“ Nun erhob sich der Elf. „Im Namen der Lichtelfen möchte ich eines feststellen: Wenn die Entscheidung des Großen Rates gefallen ist, müssen die Menschen Fíala verlassen!“ Dabei sah er verstohlen zu Élira. Daniel sah seinen Blick und wusste sofort, was der Lichtelf erreichen wollte. Also ging er neben Élira auf die Knie und nahm wieder ihre Hand in seine. Dabei ließ er den Lichtelfen nicht aus den Augen. „Diese Entscheidung habt nicht ihr zu treffen, Larian von Ézeland.“ Sagte Zirion. Daniel flüsterte Élira zu: „Ein Mensch ist der König Fíalas? Wie geht das denn?“ Doch er bekam keine Antwort zu hören. Zirion löste die angespannte Stimmung mit nur einem Satz: „Ich denke, es ist Zeit, schlafen zu gehen. Morgen werden wir eine Entscheidung treffen.“ Kaum hatte er das gesagt, kam eine Schar kleiner Wesen mit großen Köpfen und Fledermausähnlichen Ohren in die Halle geströmt und führten den Rat und die Neuankömmlinge in gemütlich eingerichtete Schlafgemächer. Dabei verloren sie kein Wort und piepsten nur zum Abschied ein: „Wir wünschen eine angenehme Nacht.“ Daniel lag lange wach in dem großen Himmelbett, mit den schweren Decken und den kuschligen Kissen. Es war wundervoll, endlich wieder in einem Bett zu nächtigen, doch er konnte nicht aufhören, an Élira zu denken. Schließlich erhob er sich, schlüpfte aus dem Bett und betrat die Treppe, die von seinem Gemach in eine Art Wohnzimmer hinab führte. Ein Feuer prasselte im Kamin, vor dem eines der kleinen Wesen leise schnarchte. Was es noch dort zu suchen hatte, wusste Daniel nicht und er wollte es auch nicht wissen. Das einzige, das ihn interessierte, war Élira zu finden. So schlich er sich aus dem Wohnzimmer hinaus und auf den Gang. Er fror, denn er hatte nur eine Boxershorts an und hier war es eiskalt. Eine Zimmertür nach der anderen schob er auf, nur um sie enttäuscht wieder zu schließen. Denn er fand den Zwerg Burgar, Zirion und den Gnom vor. Doch von Élira keine Spur. Als er die vierte Tür leise aufdrückte hörte er Stimmen, die zu diskutieren schienen: „Es ist mir egal, was mein Vater dir versprochen hat, Larian. Ich empfinde nichts für dich und heiraten werde ich dich erst recht nicht!“ Daniel hielt die Luft an, als er Larian antworten hörte: „Glaubst du tatsächlich, du hättest eine Wahl, Élira? Unsere Väter haben uns einander versprochen, als wir noch keine dreihundert Jahre alt waren. Sie wollen damit den Krieg zwischen den Dunkel- und den Lichtelfen beenden. Du willst doch auch, dass die sinnlosen Kämpfe ein Ende haben, die viele unserer Art auslöschten. Wir könnten gemeinsam regieren und es würde nie wieder Streit zwischen unseren Sippen geben.“ „Natürlich will ich das und das weißt du auch. Aber ich kann und werde dich nicht heiraten, sieh es endlich ein!“ Dann hörte Daniel Schritte und versteckte sich schnell hinter einem Wandteppich, der glücklicherweise eine hohle Stelle in der Wand bedeckte. Er hörte, wie der Lichtelf leise fluchte und sich weiter von ihm entfernte. Als er die Tritte des Liebeskranken Elfen nicht mehr hören konnte, trat er aus seinem Versteck und eilte zurück zur Tür. Er drückte die Türe auf und trat in das Zimmer, in dem Élira vor dem Kamin saß. „Was willst du noch, Larian, ich hab dir gesagt, dass ich dich nicht will!“ Sie drehte sich um und ein leises „Oh“ entwischte ihren Lippen. Daniel grinste und sagte: „Ich bin aber nicht Larian.“ Da stand Élira auf und kam auf Daniel zu. Sie nahm seine Hand und zog ihn die Treppenstufen in ihr Schlafgemach hinauf. Oben angekommen drehte sie sich zu ihm um und küsste ihn. Eine Welle von Gefühlen durchströmte Daniel und ließ ihn die Welt um sich herum vergessen. Er griff in Éliras Haar und zog sie näher zu sich. Gemeinsam taumelten die Verliebten durch das Zimmer und landeten schließlich auf dem Himmelbett. Daniel griff nach Éliras Kleid und riss es ihr vom Körper. „Oh, nein, nein, das ist… so falsch…“, hörte er sie keuchen. Doch er nahm keine Rücksicht darauf. Alles was er in diesem Moment wollte, war sie. Die Elfe, die Unsterbliche, die schönste Frau dieser und jeder anderen Welt.

 

Als Daniel am nächsten Morgen erwachte, lag er neben Élira. Sie hatte ein kleines, unschuldiges Lächeln auf den Lippen und nun musste auch er lächeln. Er küsste sie auf die Stirn und sagte: „Aufwachen, Prinzessin.“ Élira schreckte hoch, sah Daniel mit aufgerissenen Augen an und blickte dann an sich herunter. Sie tastete mit ihren Händen über ihren Körper und stotterte zusammenhangloses Zeug. „Was ist denn los?“ wollte Daniel wissen, doch seine Angebetete sprang aus dem Bett und suchte nach ihrem Kleid. Sie schlüpfte hinein und sagte dann: „Ganz toll, ein Riss.“ Dann stürmte sie aus dem Zimmer. Daniel war völlig perplex. Mit so einer Reaktion hatte er nicht gerechnet. Enttäuscht stieg er aus dem Bett und klaubte seine Boxershorts vom Boden. Er zog sie an und folgte Élira aus der Tür.

 

Der Große Rat sollte wieder in der Halle tagen. Zirion, der Zwerg Burgar, Larian, der Gnom, der Zentaur und die Fee mit dem rosaroten Haar waren bereits da. Faya lag in einer Ecke und schien zu dösen. Melody unterhielt sich angeregt und scheinbar untergeben mit der anderen Fee, doch von Élira fehlte jede Spur. Als Zirion Daniel erblickte, lächelte er und sagte: „Guten Morgen, Daniel.“ Daniel nahm Platz, seine Wangen erröteten. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass Zirion wusste, was zwischen ihm und Élira passiert war. Während der Rat auf Élira wartete, hielt Daniel seinen Blick gesenkt. Endlich tauchte die Dunkelelfe auf. Auch ihre Wangen waren gerötet, ihre Haare wirr und ihr Kleid an der Stelle, an der Daniel es zerrissen hatte, mit ein paar Stichen genäht. Sie setzte sich auf den letzten noch verfügbaren Platz und Zirion sagte: „Dann lasst uns anfangen.“ Larian blickte von Élira zu Daniel und wieder zurück. In seinem Kopf verknüpften sich das Bild von Daniels und Éliras Händen, vereint, am Abend zuvor. Und nun war ihm klar, was passiert war. Er erhob sich und sagte: „König Zirion, ich habe eine Anklage zu machen. Und zwar gegen den Menschen Daniel!“ Daniel zuckte zusammen. Der verdammte Lichtelf wusste Bescheid! Der gesamte Rat verstummte und blickte auf Larian. Der Lichtelf grinste triumphierend und öffnete den Mund, um Luft zu holen für seine Anklage, doch Zirion hob die Hand und unterbrach ihn damit. „Larian, wir haben keine Zeit für irgendwelche Anklagen. Wir müssen endlich entscheiden, wie wir verhindern können, dass Sturlogh sich Zutritt zu Arraxeja und der Erde verschafft. Hat jemand einen Vorschlag?“ Nun folgte eine Flut wilder Ideen, die Zirion immer wieder ablehnte und von denen Daniel sowieso nichts verstand. Denn was bitte bedeutete ‚einen Moular erscheinen lassen‘? Doch dann erhob sich Zirion und sagte: „Nun, ich glaube, wir brauchen die Hilfe von Morag und Daniel. Schließlich wurden sie hierher gebracht, da es um ihre Welten geht, in denen sie eine großartige Zukunft erwartet, sollten wir verhindern können, dass Sturlogh sie sich zueigen macht.“ Daniel sah auf, der König sah ihm direkt in die Augen. Doch er schüttelte seinen Kopf. Er wusste keine Lösung. Und dann meldete Morag sich zu Wort. So leise, dass es kaum zu hören war: „Wir müssen gegen Sturlogh kämpfen und ihn besiegen.“ Daniel keuchte und sah das Mädchen an. Sie sah ernst aus und hatte den Blick auf Zirion gerichtet. Der König sah mit einem Mal alt und erschöpft aus. Er nahm Platz, legte die rechte Hand an seine Schläfe und sagte: „Mein liebes Kind, glaubst du wirklich, wir hätten dies noch nicht versucht? Doch keiner, der in das Land An Scanradh hineingeht, kommt jemals wieder heraus. Niemand.“ Doch Morag schien von ihrer Idee überzeugt und sie antwortete: „Ja, das hat man mir auch erzählt. Doch hat schon jemand einmal tatsächlich dem Tyrannen Sturlogh in die Augen gesehen? Weiß jemand, wie er aussieht? Nein, weil ihr immer nur Truppen nach An Scanradh entsendet habt, Sturlogh jedoch niemals aus seinem Land heraus gekommen ist. Oder?“ Daniel schluckte. Morag hatte Recht! Und das schienen auch die anderen Ratsmitglieder zu sehen. Zirion nickte. „Du hast Recht“, begann er. „Wir haben versucht, Sturlogh zu besiegen, ohne zu wissen, wer oder was er tatsächlich ist. Wir haben Truppen nach An Scanradh entsendet, in dem Wissen, dass sie keine Chance gegen Sturloghs Schergen haben würden, die sie hinter den Toren erwarteten. Doch niemals hat sich Sturlogh vor die Tore An Scanradhs gewagt.“ „Dann müssen wir ihn herauslocken!“ rief Daniel voller Enthusiasmus. Doch es war natürlich Larian, der etwas dagegen hatte. „Und wie wollt ihr das anstellen? Sturlogh lässt sich nicht einfach so aus seiner sicheren Festung herauslocken!“ „Dann müssen wir ihm eine Falle stellen…“ Élira war es, die das gesagt hatte.

 

 

 

-8-

 

-Eine Stimme-

 

Am Ende der Sitzung standen alle auf und gingen schweigend durch das Tor und das Labyrinth und dann durch den Wald. Daniel schloss zu Élira auf und fragte: „Was machen wir? Wo gehen wir hin?“ Élira sah ihn nicht an und sagte nur: „Daniel, du musst jetzt eine Weile Abstand von mir halten…“ Dann ging sie davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Der Gnom war es, der als nächstes etwas zu Daniel sagte: „Mein Name sein Godial, Anführer von Gnomen. Gnome sein starkes Volk.“ Daniel nickte und sagte: „Werden die Gnome in den Krieg ziehen?“ Godial sah ernst aus, als er sagte: „Gnome werden für Freiheit kämpfen.“ Dann ging auch er davon. Die Gruppe ging weiter schweigend durch den Wald, überquerte die Lichtung mit dem See und das Donnergebirge und hielt erst an, als sie kurz vor dem Mirgelmoor waren. „Wir schlagen hier unser Lager auf und warten auf die Verstärkung.“ Zirion stand in der Mitte des weiten Feldes und sah zu, wie der Rest die Zelte aufstellte. Daniel konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Nicht nur, weil ständig Neuankömmlinge ankamen, sondern auch, weil er sich nicht erklären konnte, warum Élira so kalt zu ihm war. Die Gnome waren die Ersten, die die Gruppe verstärkten. Gefolgt wurden sie von einer Gruppe Lichtelfen, deren Bögen bis zum Zerreißen gespannt waren und die nur darauf zu warten schienen, die Pfeile durch die Luft Sirren zu lassen. Als nächstes erschien ein Bataillon Feen, die in allen nur erdenklichen Farben leuchteten. Melody und die rosahaarige Fee gesellten sich zu ihnen und ihr Lachen erfüllte die Luft. Sogar die großköpfigen Wesen aus dem Schloss erschienen zahlreich. Ein Trupp bewaffneter Zentauren schlug ihr eigenes Lager am Waldrand auf und Daniel meinte Diabolon zu erkennen. Über dem Feld zogen die Adler des Donnergebirges weite Kreise. Schließlich kamen auch einige Dunkelelfen. Nicht viele, denn schließlich standen die meisten dieser Elfen Art auf der Seite des Tyrannen Sturlogh, doch es gab noch immer Dunkelelfen, die dem König treu ergeben waren. Der Rest jedoch hatte sich von Sturlogh verführen lassen. Und Bétrandir war daran schuld. Nur, wieso gehörte gerade dieser Dunkelelf dann zum Großen Rat? Élira hätte sicher die Antwort gewusst, doch sie wollte ja nichts mehr mit Daniel zu tun haben. Als nächstes erschienen an die dreihundert Kampfzwerge, schwer bewaffnet und mit grimmigem Blick. Einige Einhörner und zwei Pegasusse hatten sich zu Faya gesellt, die stolz ihr Horn und die Flügel präsentierte. Und dann erschien ein Trupp Wölfe. Doch es waren keine normalen Wölfe. „Werwölfe!“ dachte Daniel und hielt den Atem an. Die Gruppe Werwölfe blieb für sich und schien nichts mit den anderen zu tun haben zu wollen. Daniel ging zu Morag, die alleine dasaß und leise weinte. „Hey, kann ich mich zu dir setzen?“ Morag nickte und so setzte Daniel sich neben sie auf den Boden. „Du liebst Élira, ich kann das sehen. Wieso gehst du nicht zu ihr?“ Morags Augen funkelten wissend. „Ach ich… ich weiß nicht, was mit ihr ist. Sie ist manchmal irgendwie eigensinnig.“ Daniel verstummte und sagte dann: „Komisch, dass die Werwölfe sich zu uns gesellt haben, oder? Ich hätte erwartet, dass sie zu Sturlogh halten.“ Morag zuckte mit den Schultern. Und wie als Antwort, löste sich einer der Werwölfe von der Gruppe und kam auf Daniel und Morag zu. Er setzte sich auf Morags linke Seite und sah sie an. Lange und durchdringend. Endlich drehte Morag sich zu ihm um. „Kann ich… dir irgendwie helfen?“ Der Werwolf legte den Kopf schief und winselte. Dann legte er sich hin, bettete den Kopf auf die Pfoten und schloss die Augen. Morag legte ihre Hand auf seinen Nacken und begann ihn zu kraulen. Daniel wurde die ganze Sache zu komisch und er erhob sich und begab sich auf die Suche nach Élira. Er musste unbedingt nochmal mit ihr reden. Mit der Zeit füllte sich das Feld mit weiteren anderen Wesen, von denen Daniel bei mehr als der Hälfte nicht einmal den Namen wusste. Élira konnte er nicht ausfindig machen und so begab er sich irgendwann in sein Zelt und schlief nach langer Zeit endlich ein. Am nächsten Morgen erwachte er früh. Er trat aus dem Zelt und begab sich zu dem riesigen Lagerfeuer, über dem ein paar Gnome etwas Fleisch rösteten. Die gesamte Truppe schien ausgelassen, was Daniel merkwürdig fand, da die Schlacht nun kurz bevor stand. Daniel nahm Platz und bediente sich an ein paar Nüssen, die eine kleine Fee ihm anbot. Und dann kam Morag mit einem jungen Mann zum Lagerfeuer und setzte sich neben Daniel. „Hey Daniel, hast du gut geschlafen?“ Sie grinste und ihr Hemdchen wehte im Wind. Der junge Mann neben ihr ließ sie bei keinem ihrer Worte aus den Augen. Er hing förmlich an ihren Lippen. „Wer ist dein… Freund?“ fragte Daniel und sah den Kerl von oben bis unten an. „Oh, das ist Rasmus. Du kennst ihn schon, von gestern.“ Da fiel es Daniel wie Schuppen von den Augen. Rasmus war der Werwolf, den Morag gestern so liebevoll hinter den Ohren gekrault hatte. Er war ziemlich muskulös, hatte Dreadlocks und haselnussbraune Augen. Seine Haut war sonnengebräunt und an vielen Stellen mit Narben übersät. Und dann erschien Élira. Sie nahm neben Daniel Platz und nahm seine Hand in ihre, als wäre es nie anders gewesen, als hätte sie ihn nie um Abstand gebeten. Doch Daniel zog seine Hand zurück und schaute Élira nicht an. Morag hatte alles mitgekriegt und meinte dann: „Komm, Rasmus, wir gehen. Die zwei brauchen Zeit für sich.“ Als die beiden verschwunden waren, sagte Élira: „Es tut mir Leid, Daniel. Ich habe mich furchtbar verhalten. Aber weißt du, du bist ein Mensch… du gehörst nicht nach Fíala. Ich hatte einfach Angst, wie es weiter gehen würde. Wenn wir es wirklich schaffen sollten, Sturlogh zu besiegen, dann wirst du gehen und ich… werde allein sein. Tausend Leben lang.“ Élira weinte stille Tränen in ihren Schoß. Daniel drehte sich zu ihr um. „Ich kann hier bleiben, bei dir.“ Élira schüttelte ihren Kopf. „Nein, das kannst du nicht. Du musst zurück in deine Welt. Und selbst wenn du hier bleiben würdest, irgendwann würdest du sterben und ich wäre wieder allein. Es war nie geplant, dass ich mich in dich verliebe. Ich war für Larian bestimmt. Unser Gesetz sagt, dass Elfen nur einen anderen Elf heiraten können. Seit Generationen ist unsere Zukunft durch unsere Eltern vorbestimmt. Es ist nicht unsere Art, selbst zu entscheiden.“ Daniel wusste nicht, wie er sie beruhigen sollte. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Da saß seine Angebetete und weinte, weil sie ihn liebte. Doch obwohl er sie auch liebte, konnten sie nicht zusammen sein. Es war sinnlos zu versuchen, irgendetwas schön zu reden. Er musste der Wahrheit ins Gesicht sehen. „Wenn diese Sache hier durchgestanden ist, werde ich zur Erde zurückkehren. Aber ich werde dich niemals vergessen, niemals.“ Daniel nahm Éliras Gesicht in seine Hände und küsste sie. Sie schmeckte salzig, von den Tränen, die sie geweint hatte. Und dann zog auf einmal ein Sturm herauf und aus den schwarzen Wolken sprach eine grausame Stimme zu den Wesen, die sich auf dem Feld versammelt hatten: „Ihr glaubt also tatsächlich, ihr hättet eine Chance gegen mich? Seid ihr wirklich so naiv?“ Der Kreis der um das Lagerfeuer saß, schreckte auf. Jedem einzelnen Wesen schienen die Nackenhaare zu Berge zu stehen, die eiskalte Stimme bohrte sich einem durch Mark und Bein. „Ihr denkt also, dass ich es nötig habe, mich hinter den Toren meiner Festung zu verstecken, ja? Nun, ich werde euch das Gegenteil beweisen.“ Ein Donnerschlag, so laut, dass die Gruppe Feen entsetzt aufschrie, durchzog die Luft, dann war alles still. „War das… Sturlogh?“ fragte Daniel Élira. Sie nickte und sagte: „Das ist es also… Der Krieg hat begonnen.“ Zirion rief nun alle zusammen, sich um ihn zu versammeln. „Liebe Freunde, ich weiß, viele von euch haben Angst. Doch was wir tun, tun wir für die Freiheit Fíalas. Wenn wir kämpfen, kämpfen wir für unsere Kinder und Kindeskinder. Und wenn wir den Morgen nicht mehr erleben, dann wissen wir, dass wir für die richtige Sache gestorben sind. Wir alle sind Kinder Fíalas.“ Niemand wusste etwas darauf zu sagen. Alle standen, die Waffen auf Anschlag und warteten auf den Sturm. Der König stand auf einer Erhöhung. Sein Schwert hatte er noch immer nach vorne gestreckt, die weißen Haare wehten im Wind. Er war völlig regungslos. Noch immer fragte Daniel sich, wieso ein Mensch König Fíalas war. War er auch einst hier erwacht, ohne Erinnerung, wie er hierher gekommen war? Oder hatte er selbst den Eingang zu dieser magischen Welt gefunden? Und wie war er König geworden? Dann dachte Daniel, dass alle diese Fragen in diesem Moment völlig unwichtig waren, denn in genau diesem Moment waren die Kriegstruppen Sturloghs auf dem Weg, um ein jedes Wesen, dass sich ihnen in den Weg stellte, dem Erdboden gleich zu machen.

 

-9-

 

-Sturlogh-

 

In der Ferne hörte man Trommeln, erst leise, unregelmäßig, dann immer lauter und rhythmisch. Es war schrecklich einfach dazustehen und auf den eigenen Tod zu warten und dabei das Gefühl zu haben, dass man nichts dagegen tun konnte. Daniel sah sich um. Reihe um Reihe standen sie da. Regungslos. In der ersten Reihe stand König Zirion. Die Trommeln wurden lauter, hektischer. Panik pulsierte wie heißes Wachs durch Daniels Blutbahn und lies seinen Körper zittern. Élira nahm seine Hand. Er drückte sie. Wenn er heute sterben sollte, dann war es ein gutes Gefühl, neben ihr zu sterben. Élira sah ihn an und lächelte. Und er lächelte zurück. Die Trommeln waren jetzt so nah, dass der Boden bei jedem Schlag vibrierte. Und dann konnte Daniel sie sehen. Trolle, mit monströsen Trommeln um die dicken Bäuche gespannt. Die hässlichen Gesichter zu einem hämischen Grinsen verzogen. Hinter ihnen mindestens ein duzend Reihen der steinernen Reiter. Gesichtslos und trotzdem angsteinflößend. Hinter den steinernen Reitern folgte Reihe um Reihe von Goblins. Diese dümmlichen Wesen, die in Erdhöhlen hausten und deren Gehirn die Größe einer Erbse hatte, waren für das Töten wie gemacht. Sie dachten nicht darüber nach, warum sie kämpften, sie taten es einfach. Sturlogh hatte es sogar geschafft, einige Riesen dazu zu bewegen, für ihn zu kämpfen und das, obwohl er dafür verantwortlich war, dass ihr Dorf dem Erdboden gleich gemacht worden war. Auch einige Reihen Dunkelelfen war zu erkennen und ein Bataillon Werwölfe. Und oben in der Luft schwebten drei Drachen. Sie waren riesig, hatten lange Schnauzen und Augen, deren Pupillen Schlitze waren. Sturloghs Heer war mindestens zehnmal so groß, wie das der freien Völker Fíalas. Doch wo war der Tyrann? War er wieder einmal feige in seiner Festung in An Scanradh geblieben und hatte andere für sich vorgeschickt? Daniel war sich sicher, dass es so sein musste. Doch dann teilte sich das Heer der Schergen Sturloghs und nun konnte man ihn sehen. Er saß auf einem schwarzen Pferd, das keine Augen hatte. Er trug eine stählerne, schwarze Rüstung und war ungefähr so groß wie ein menschlicher Mann. Doch was war er? Durch die Rüstung, die er trug, konnte man nur raten. „Ist er ein Mensch?“ fragte Daniel Élira. „Niemand weiß das. Es gibt ihn, seit es Fíala gibt. Er kam, wie aus dem Nichts. Wir nennen ihn nur den Schrecken aus der Finsternis…“ Und dann sprach Sturlogh: „Oh, wie dumm ihr doch seid, Bewohner Fíalas. Ihr stellt euch mir entgegen und glaubt, ihr könntet mich besiegen? Meine H

Heerschar ist eurer zahlenmäßig um ein Vielfaches überlegen. Es schmerzt mich in meinem Herz, zu sehen, dass ihr so sinnlos sterbt, wenn ihr euch einfach mir anschließen könntet und überleben würdet.“ Da sprach Zirion: „Ihr habt kein Herz, Sturlogh. Und eure Seele ist so schwarz wie eure Rüstung.“ Sturlogh lachte. Es war ein freudloses, eiskaltes Lachen. „Oh, König Zirion. Ihr seid alt und die besten Tage eurer Herrschaft sind lange vorbei. Es wird Zeit, dass ihr den Thron jemandem überlasst, der Fíala in eine neue Blütezeit führen kann.“ „Ich soll den Thron dir überlassen, Sturlogh? Wo du mir mein einziges Kind genommen hast?“ Zirions Hand, die das Schwert hielt, zitterte. „Was meint er damit?“ fragte Daniel. Élira sagte: „Zirions Sohn, Zeylon wurde einst von Sturloghs Schergen nach An Scanradh entführt. Seine Frau, die Elfe Ayla, ist durch die tiefe Trauer um ihr einziges Kind gestorben. Niemand weiß, was Sturlogh mit Zeylon getan hat, doch keiner glaubt, dass Sturlogh den Jungen am Leben gelassen hat. Zirion ist damals nicht auf Sturloghs Forderung, ihm den Thron zu überlassen, eingegangen. Es gab also für Sturlogh keinen Grund, den Jungen am Leben zu lassen…“ Sturlogh lachte wieder und dann nahm er sein Schwert und rief: „Genug geredet! Ich will Blut fließen sehen!“ Der Trupp auf Sturloghs Seite setzte sich in Bewegung. Die Trolle begannen wieder, zu trommeln. Zirion pfiff und ein Einhorn löste sich von den anderen und ließ ihn aufsteigen. Dann setzte sich auch Zirions Gefolge in Bewegung. Daniel hielt das Schwert, das er aus dem Waffenzelt bekommen hatte in seiner Hand. Er wusste nicht, wie man mit einem Schwert kämpfte und er hatte Angst. Er hatte entsetzliche Angst. Doch das konnte er nicht zeigen. Nicht vor Élira.

 

Und dann begann die Schlacht. Es war nicht so, wie Daniel es in Actionfilmen gesehen hatte. Die dramatische Musik fehlte, und auch die Nahaufnahmen, wenn die Verletzten oder Getöteten von ihren Rössern fielen. Es spritzte auch kein Blut in alle Richtungen und niemand schrie. Nein, es war wie ein riesenhaftes Schachspiel. Einer nach dem anderen fielen die Gefolgsleute Zirions. Reihe um Reihe fielen sie. Fast schon geräuschlos, als hätte jemand den Stecker aus der Box gezogen, die für die Geräusche zuständig war. Sturloghs Gefolge kam immer näher, es hatte sich kaum reduziert. Zirion kämpfte mit Sturlogh. Verbissen, aber stumm. Nur die Klingen waren zu hören, wenn sie aufeinander trafen. Daniel fühlte nichts, während er sein Schwert in die Bauchhöhle eines Goblins rammte und danach ein steinernes Pferd mit einem einzigen Hieb gegen die Beine zum einknicken brachte. Das Pferd lag auf dem Boden und rührte sich nicht mehr, doch der Reiter kam auf Daniel zu. Daniel hob sein Schwert und schlug dem Reiter den Kopf ab. Der Kopf rollte über das Schlachtfeld, bis er nicht mehr zu sehen war. Daniel sah sich um. Élira bewegte ihr Schwert so geschickt, dass sie mit einer Handbewegung drei Goblins erledigte und ihr Schwert dann in den gesichtslosen Kopf eines steinernen Reiters bohrte. Doch schon bald war klar, dass Zirions Gefolge keine Chance gegen die Schergen Sturloghs hatte. Einer nach dem anderen fiel ihnen zum Opfer. Die Sonne ging unter und die Nacht legte sich über das Feld, auf welchem noch immer ein unerbittlicher Kampf tobte. Als der Mond hinter den Bäumen aufging, verwandelten sich Rasmus und die anderen Männer in Werwölfe. Doch obwohl nun blutrünstige Wölfe auf Zirions Seite kämpften, und gleich vier Reihen Goblins dem Erdboden gleich machten, war es offensichtlich, dass Zirions Männer untergehen würden, wie es die Sonne vor ihnen getan hatte.

 

Doch dann geschah etwas, mit dem niemand mehr gerechnet hatte. Aus der Dunkelheit des Waldes traten riesige Schatten hervor und gingen brüllend auf Sturloghs Gefolgsleute los. Und nun waren es selbige, die fielen, wie die Schachfiguren. „Das sind die Riesen!“ rief Élira neben Daniel und erledigte einen weiteren Goblin, der sich auf sie gestürzt hatte. Und tatsächlich, es waren die Riesen, die aus ihrem brennenden Dorf geflohen waren und die nun Rache an dem Mann nehmen wollten, der ihnen ihr Zuhause genommen hatte.

 

Daniel wusste nicht, wie viele Goblins er erschlagen hatte, doch seine Arme schmerzten. Der Morgen zog grau und kalt über das Feld, auf dem Tote jeder Art neben- und übereinander lagen. Daniel suchte zitternd nach Élira, die er irgendwann in dem Chaos der Schlacht verloren hatte. Er fand Morag am Waldrand sitzend, Rasmus Kopf in ihren Schoß gebettet und seine Wunden versorgend. Er sah den Zwerg Burgar, der eine klaffende Wunde an der Stirn trug und seine Streitaxt hinter sich her schleifte. Auf der Erhöhung in der Mitte des Feldes standen noch immer Zirion und Sturlogh. Sie kämpften, als wäre nichts geschehen, doch ihre Rösser lagen blutend neben ihnen. Daniel ging langsam und erschöpft auf die beiden Erzrivalen zu. Die Augen hatte er auf Sturlogh gerichtet, der eindeutig noch mehr Kraft in den Armen zu haben schien, als Zirion. Dann griff jemand von hinten nach seiner Hand. „Was tust du da?“ zischte Élira. Daniel sah sich nicht nach ihr um, sondern ging weiter auf den Schrecken aus der Finsternis zu, wie Fíalas Bewohner Sturlogh nannten. „Daniel, hör bitte auf.“ Éliras Stimme wurde immer verzweifelter. Da drehte Daniel sich zu ihr um, küsste sie und sagte: „Geh zu Morag und bleib dort. Ich komme nach.“ „Nein, bitte, du darfst das nicht tun…“ Élira weinte. „Geh jetzt, Élira.“ Und das war das Letzte, das Daniel sagte, bevor er seine Hand der ihren entzog und die letzten paar Schritte auf den Tyrannen Sturlogh zuging.

 

Sturlogh hatte Zirion in die Knie gezwungen. Seine Klinge lag am Hals des Königs. „Wie konntest du nur so dumm sein, zu glauben, dass du mich besiegen könntest?“ Zirion sah erschöpft aus. Daniel stand schweigend hinter Sturlogh. Der Tyrann war so von sich überzeugt, dass er nicht einmal merkte, dass er nichtmehr alleine mit Zirion war. Daniel legte seinen Zeigefinger auf seinen Mund, um Zirion klar zu machen, dass er leise zu sein hatte. Dann legte er beide Hände an den Helm des Tyrannen und zog daran. Der Helm löste sich und entblößte einen jungen, gutaussehenden Mann, mit dichtem schwarzen Haar und schwarzen Augen. „Zeylon?!“ keuchte Zirion. Daniel war geschockt. Sturlogh war in Wirklichkeit der Sohn des Königs? „Vater“, antwortete Zirion und seine Stimme war voll von blankem Hass.

 

 

-10-

 

-Das silberne Tor-

 

Daniel hatte den Helm losgelassen und schnell nach den Armen Zeylons gegriffen. Nun hielt er sie hinter dessen Rücken fest, so gut er es konnte. Zirion stand auf, seine Knie zitterten. „Mein eigener Sohn will mich töten?“ Seine Stimme war noch immer schwach. Zeylon antwortete nicht, er blickte seinen Vater nur aus seinen schwarzen Augen an. Burgar der Zwerg kam nun hinzu und fesselte Zeylons Arme. Daniel bedankte sich, denn viel länger hätte er den muskulösen Mann nicht in Schach halten können. Die Überlebenden versammelten sich nun, um dem merkwürdigen Schauspiel beizuwohnen, das sich auf dem Hügel abspielte. Die letzten Gefolgsleute Zeylons waren geflohen, als sie merkten, dass ein Sieg nicht mehr möglich war. Die Riesen waren zurück in das Donnergebirge gegangen, ohne sich noch einmal umzuschauen.

Morag kam nun auch, zusammen mit Rasmus, den sie stützte und Élira, die Daniel voller Bewunderung ansah. Dann begann Zeylon zu reden: „Wundert dich das, Vater? Mutter ist gestorben, weil du zu eitel warst, auf Sturloghs Forderung einzugehen. Du hast mich in An Scanradh zurückgelassen und du hast keinen Versuch unternommen, mich zu retten. Ich war in Sturloghs Kerker gefangen, an der Wand angekettet. Irgendwann kam er und sagte, dass du dich weigerst, auf seine Forderungen einzugehen und dass ich nun für ihn nicht mehr von Wert sei. Er wollte mich am nächsten Morgen hinrichten lassen. Da… ist etwas mit mir geschehen… ich wollte Rache nehmen, an dem Mann, der für mein Schicksal verantwortlich war. Und das, Vater, warst du.“ Zirion hatte eine Träne in den Augen. Doch Zeylon sprach weiter, erbarmungslos. „Bevor ich aber Rache an dir nehmen konnte, musste ich Sturlogh loswerden. Das war schwer, denn ich war gefesselt und geknebelt. Doch ich wusste, dass Sturlogh Wert auf Rituale legte. Also wartete ich. Dann kam einer seiner Diener und fragte mich, was ich mir als Henkersmahlzeit wünschte. Ich sagte irgendetwas, denn es war mir egal und dann… fragte er mich nach meinem letzten Wunsch. Ich antwortete, dass ich mir wünschte, meine Henkersmahlzeit selbst zu mir nehmen zu können, in Sturloghs Festsaal. Danach war alles ein Kinderspiel. Sturlogh kam, um sich an meinem Schicksal zu ergötzen und ich erwürgte ihn, mit den Fesseln, die noch an meinen Händen befestigt waren. Ich entsorgte die Leiche und nahm Sturloghs Platz ein. Niemand hat jemals nachgeforscht, ob ich wirklich er war, denn zu meinem Glück trug er immer diese Rüstung. Ich wusste, dass Sturlogh geplant hatte, die anderen Welten zu unterdrücken, doch das war mir egal. Ich tat zwar so, als wäre dies noch immer mein Ziel, aber nur, um dich endlich aus dem Schloss zu locken. Und es ist mir gelungen, nicht wahr? Und wäre nicht dieser verdammte Junge gekommen, wäre mein Plan auch aufgegangen!“ Die letzten paar Worte schrie Zeylon seinem Vater ins Gesicht.

 

Der König weinte noch immer und sagte dann: „Mein Sohn, wie konntest du nur glauben, dass ich keine Versuche unternommen hätte, dich zu befreien? Ich habe alles daran gesetzt, dich zu mir zurück zu holen. Deine Mutter lag auf dem Totenbett und dann erlag sie ihrer Trauer. Beinah hätte die Sorge um dich auch mich mein Leben gekostet. Doch ich musste weiterleben, stark bleiben, für mein Volk. Ich dachte, du wärst tot…“ Zirions Tränen benetzten seine Wangen und tropften zu Boden. Doch die Worte seines Vaters schienen Zeylon nicht zu rühren. Hasserfüllt starrte er seinen Vater an. „Ich hasse dich, Vater. Ich hasse dich!“ Dann riss Zeylon seine Hände aus den Fesseln frei und er griff nach seinem Schwert, das noch neben ihm auf dem Boden lag. Burgar der Zwerg stürzte sich vor seinen König, um ihn vor der Klinge Zeylons zu retten. Doch Zeylon stieß das Schwert nicht nach vorne, um seinen Vater hinzurichten, nein, er drehte die Klinge in seiner Hand und rammte sich das Schwert direkt in sein eigenes Herz. Zirion brüllte: „Mein Sohn! Mein Sohn!“ Er stieß Burgar von sich weg und sank neben Zeylon zu Boden. Blut tropfte aus Zeylons Mund und dem Vater in den Schoß. „Wieso, wieso Zeylon?“ Zirions Tränen tropften auf Zeylons Wangen, während er seinen Sohn in den Armen hielt. Zeylons Augen füllten sich mit grauem Nebel und mit einem letzten Röcheln griff Zeylon nach Zirions Rüstung. „Vater… vergib mir…“ Dann sank seine Hand zu Boden und sein restlicher Körper erschlaffte.

 

Zeylon wurde auf dem Hügel beerdigt, auf dem er sich selbst hingerichtet hatte. Die Feen streuten Blumen und Dunkel- und Lichtelfen sangen ein trauriges Lied. König Zirion blieb noch lange dort sitzen. Der Hügel wurde ‚Zeylons Hügel‘ genannt und Zirion legte jeden Tag frische Blumen auf das Grab seines Sohnes.


Die Tage in Fíala vergingen und Daniel hatte schon fast vergessen, dass er hier nicht hingehörte. Doch dann kam der Tag, an dem Élira ihn wieder daran erinnerte.

 

„Daniel?“ fragte die Elfe und küsste ihn auf die Stirn. Daniel erwachte und sah zu seiner Angebeteten. Er lächelte. „Was ist los, Élira?“ Élira sah auf die Bettdecke hinunter, die aus Elfenseide gesponnen und so leicht war, dass sie kaum zu spüren war. „Ich habe mit Vater geredet. Der Große Rat hat beschlossen, das silberne Tor zu schließen…“ Éliras Augen waren feucht von Tränen. Daniel richtete sich auf und sagte dann: „Das können die nicht ernst meinen, oder? Es kann doch nichts mehr passieren, Sturlogh und Zeylon sind tot!“ Élira nickte. „Ja, aber was, wenn wieder einer durchdreht? Man kann nie wissen, was passiert. Die Gefahr ist zu groß.“ Dann drehte die Elfe sich zu ihm um. „Du musst dich entscheiden, Daniel. Ob du nach Hause gehst, oder hier bleibst.“ Daniel wusste, wie er sich entscheiden würde. Doch der Gedanke, die Elfe verlassen zu müssen tat zu sehr weh. Er wollte ihren Duft einatmen, ihn aufnehmen, wie ein Schwamm, um ihn für immer zu konservieren. Also schob er die Bettdecke zur Seite und begann, Élira zu küssen. Normalerweise erwiderte sie seine Küsse, doch dieses Mal blieb sie regungslos. Dann schob sie ihn von sich und stieg aus dem Bett. Sie schlüpfte in ihr Kleid und ging aus dem Raum. So wie sie es auch damals auf dem Schloss getan hatte. Daniel folgte ihr und er wusste, wohin sie gehen würde.

 

 

 

Sie standen vor dem silbernen Tor. Eigentlich war es gar kein Tor sondern viel mehr eine Art silberner Rauch. „Ist es das?“ fragte Daniel und Élira nickte. Er sah die Elfe an. Ihre Augen waren vor lauter Weinen gerötet, die Haare glanzlos und wirr. Doch trotz allem war sie noch immer wunderschön. Daniel nahm ihre Hand und sagte dann: „Ich werde dich niemals vergessen, Élira. Dich nicht und auch Fíala nicht.“ Dann beugte er sich vor und küsste sie zum allerletzten Mal. „Ich werde dich auch nie vergessen, Daniel von der Erde. In tausend Leben nicht.“ Dann ließ Daniel Éliras Hand los und ging durch das silberne Tor.

 

-ENDE-

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Buch Zwei:

 

Das versteinerte Tor

 

»Des Liebenden Herz
ist angefüllt mit einem Ozean.
In seinen rollenden Wogen
wiegt sich sanft das All. «

(Rumi, Das Lied der Liebe)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-1-

-Nur ein Traum?-

 

„Daniel! Du musst aufstehen, sonst kommst du zu spät!“ Daniels Mutter stand am Treppenabsatz. Ihre Küchenschürze war voller Teigflecken, denn es war Daniels Geburtstag und seine Mutter stand schon den ganzen Morgen in der Küche, um für Daniel dessen geliebte süße Pfannkuchen mit Sirup zu zaubern. Fiona Miller war eine Übermutter. Ihre Kinder gingen ihr über alles und das ließ sie die beiden täglich spüren. Zwei Minuten später platzte Daniels kleine Schwester Sophie in sein Zimmer. Sie kletterte auf sein Hochbett, sprang wild auf ihm herum und kreischte: „Daniel, du bist jetzt ein alter Mann!“ Dann lachte sie laut und sprang mit einem behänden Satz vom Bett. Stöhnend drehte Daniel sich um und erhob sich. Sein Kopf pochte schmerzhaft. Während er seine Klamotten zusammenklaubte und ins Bad ging, um sich anzuziehen, drehten sich die Gedanken in seinem Kopf schwindelerregend schnell. Was für einen irren Traum er gestern Nacht gehabt hatte! Er konnte sich zwar kaum mehr an etwas erinnern, alles war irgendwie verschwommen und zusammenhanglos, doch ein Bild war wie festgeschweißt in seinem Kopf und war nicht wegzukriegen. Das Bild eines wunderschönen jungen Mädchens, mit langen schwarzen Haaren und übergroßen Kristallblauen Augen.

 

Müde stapfte Daniel die Treppe hinunter und ging in die Küche. Er gähnte, rieb sich die Augen und sagte dann: „Morgen, Mum.“ Er gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange, welchen diese mit ihrem strahlendsten Zahnpasta lächeln quittierte. Fiona hatte bereits drei Gedecke auf der Küchentheke platziert und half Sophie gerade auf einen der Barhocker, die davorstanden. Der Duft von Pfannkuchen mit Ahornsirup erfüllte den Raum und ließ Daniel das Wasser im Munde zusammenlaufen. Er hatte das Gefühl, als hätte er seit Wochen - nein Monaten nichts Richtiges mehr gegessen. „Nüsse, Beeren und Melisse...“ murmelte er und konnte sich selbst nicht erklären, wie er darauf kam. „Bitte was?“ entgegnete seine Mutter und schob ihre Brille gerade. Daniel seufzte und antwortete: „Ach nichts, Mum. Ich hatte nur einen wirklich verrückten Traum. Als würde ich mich direkt in einem Fantasy Film befinden.“ „Na, dann ist es ja gut, dass du wieder in der Realität angekommen bist“, lachte Fiona.

 

Die nächsten Wochen zogen sich hin, wie Käse. Der Sommer in Clatter Springs hatte seinen Höhepunkt erreicht, die Schnaken waren eine Plage und die Luft war so schwül, wie schon lange nicht mehr. Die Natur sehnte sich nach einem Gewitter. Man konnte regelrecht spüren, wie die Bäume und der Boden nach Wasser lechzten. Einzig der Garten von Mrs. Sandy Cooper war so grün, wie er sonst nur im Frühling war. Das war kein Wunder, denn Mrs. Cooper war eine verrückte Frau in den Mitt-Fünfzigern und glaubte wohl, die wieder geborene Marilyn Monroe zu sein. Sie lief stets in Pink und auf Stöckelschuhen durch die Gegend und gab mehr Geld für Schönheitsoperationen, als für sonst irgendetwas aus; abgesehen von der Wasserrechnung natürlich. Und ausgerechnet um diesen Garten musste Daniel sich kümmern. Rasen mähen und dabei von dem, sich vierundzwanzig Stunden drehenden Rasensprenger durchnässt werden, Rosen stutzen und Hecken schneiden, gehörten zu seinen Aufgaben. Doch es half nichts. Mrs. Cooper zahlte gut und Daniel brauchte das Geld dringend. Schließlich hatte das letzte Jahr der High-School angefangen und er sparte bereits sowohl auf das College, als auch auf ein eigenes Auto. Es sollte nichts besonderes sein. Ein alter VW Polo war schon ausreichend. Er hatte bereits einen in Aussicht, doch dieser kostete immerhin noch 1200 Dollar und diese hatte Daniel nicht auf der hohen Kante. Daniel war gerade dabei, Mrs. Coopers Amor-Busch in Form zu bringen, welcher tatsächlich ein übergroßer Engel Amor in einem schweren Marmor Topf war, als selbige durch den Garten gestapft kam und rief: „Daniel! Daniel, möchtest du ein Stück Kuchen?“ Daniel kannte Mrs. Coopers Backkünste und am liebsten hätte er sich jetzt heimlich, still und leise aus dem Staub gemacht, doch Mrs. Coopers lange, pink lackierte Fingernägel bohrten sich bereits in seine Schultern.

 

Es war bereits nach zehn Uhr, als Daniel wieder nach Hause kam. Sein Vater saß schon vor dem Fernseher und sah sich ein Footballspiel an. „Na, mein Junge, wo warst du denn so lang? Ist da ein Mädchen im Spiel?“ Frank grinste seinen Sohn an. „Nein Dad, nur Mrs. Cooper.“ Daniel verzog das Gesicht. Frank lachte: „Oh je, die ist nun wirklich schlimmer als jede Folter.“ Daniel blieb noch eine halbe Stunde bei seinem Vater sitzen und sah sich teilnahmslos das Spiel an. Dann murmelte er: „Nacht, Dad“, und ging ins Bett.

 

Es war Oktober, als Daniel endlich aus Mrs. Coopers Dienst entlassen war. In den vier Monaten, in denen er bei ihr gearbeitet hatte, hatte er 1600 Dollar verdient. So konnte er sich endlich seinen lang ersehnten VW Polo kaufen und hatte sogar noch vierhundert Dollar übrig, um seine Eltern bei den College Gebühren zu unterstützen. An dem Tag, an dem er sein Auto holte, gab es an der Fawkes Universität in Dillingham einen Tag der offenen Tür, an dem Daniel Teil nehmen wollte. Dillingham war 150 Kilometer von Clatter Springs entfernt und so konnte er sein neu erworbenes Auto gleich mit einer Spritztour einweihen.
Er war schon kurz vor Dillingham, als sein Auto plötzlich zu stottern anfing. Obwohl er beständig auf das Gaspedal drückte, wurde der VW immer langsamer. Er ruckelte gewaltig und ließ sich plötzlich nicht mehr steuern. Daniel wollte bremsen, an die Seite fahren, doch es war zu spät. Das Gaspedal klemmte, der VW heulte auf und beschleunigte innerhalb kürzester Zeit auf eine tödliche Geschwindigkeit. Verzweifelt klammerte Daniel sich an das Lenkrad. „Verdammt, tu mir das nicht an!“ Doch er konnte nichts mehr tun. Die Autobahnbrücke vor ihm kam immer näher und er hielt beständig auf deren Mauer zu. Das Auto durchbrach die Seitenbegrenzung und krachte gegen die steinerne Mauer der Brücke. Daniels Kopf knallte gegen das Lenkrad, der Airbag war nicht aufgegangen und Daniel verlor sofort das Bewusstsein.

 

-2-

 

-Die Myrdos-

 

Daniel schlug die Augen auf. Sein Kopf pochte schmerzhaft und er konnte seinen Arm nicht bewegen. Er dachte, er wäre im Krankenhaus, denn um ihn herum schien ein seltsam grelles Licht. Er konnte nichts, überhaupt nichts erkennen. „Ohh“, stöhnte er. Er versuchte, sich umzudrehen, sich irgendwie zu bewegen, doch es war zwecklos. So blieb er liegen und strengte sich an, seine Augen an das grelle Licht zu gewöhnen. Und endlich erkannte er, wo er war. Er war nicht in einem schönen, weichen Bett in einem Krankenhaus, nein, er befand sich in schwindelerregender Höhe auf einem dünnen Felsvorsprung inmitten eines Gebirges. Nun spürte er auch die Böen, die um ihn herum wehten und ihm die Tränen in die Augen steigen ließen. Das grelle Licht kam von der Sonne, die direkt über ihm durch die Wolkendecke schien. Verzweifelt versuchte Daniel wieder, sich zu bewegen, von dem Vorsprung wegzukriechen. Mit aller Anstrengung gelang es ihm schließlich auch. Stöhnend lehnte er sich gegen die Felswand, die hinter ihm aufragte und griff nach seinem Arm. Mit der Zeit hatten sich Daniels Augen an das Licht soweit gewöhnt, dass er seine nähere Umgebung genauer unter die Lupe nehmen konnte. Knapp vierzig Zentimeter vor ihm ragte der Abgrund in die Tiefe und den Boden konnte man nicht sehen. Das gesamte Tal war durch dichten Nebel verhangen. An der Felswand neben ihm klammerte sich ein kahler Busch an die Steine. Behangen war er lediglich mit ein paar bläulichen Beeren, die kaum die Größe einer Erbse hatten. Ein brauner Vogel, vermutlich ein Spatz, flog heran und pickte sich eine der Beeren. Dann sah er Daniel mit schief gelegtem Kopf an. „Du fragst dich wahrscheinlich auch, was so einer wie ich hier oben zu suchen hat, was? Leider kann ich dir das auch nicht sagen.“ Daniel hatte den Satz kaum beendet, da war der Vogel auch schon aufgeflogen und stürzte sich kopfüber in den Abgrund. „Fliegen müsste man können…“ murmelte Daniel leise. Und dann entdeckte Daniel sie - eine Öffnung in der Felswand. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schob er sich näher an sie heran und sah, dass es tatsächlich der Eingang einer Höhle war. Ein wenig Hoffnung flammte in ihm auf, dass er doch nicht würde sterben müssen. Denn schließlich bot eine Höhle Schutz vor Wind und Wetter. Mühsam zog Daniel sich dann auf die Füße und begann, auf wackeligen Beinen die Höhle zu erkunden. Die Sonne ging bereits unter und ließ durch ihr fahles, orangenes Licht kaum etwas erkennen. So zog Daniel sein Feuerzeug aus der Hosentasche und trat tiefer in das Dunkel der Höhle.

 

Die Höhle schien anfänglich recht schmal zu sein, doch mit der Zeit wurde sie immer breiter und breiter, bis sie schließlich in einer größeren, rundlichen Kammer endete. Daniel tastete sich an der Wand entlang und suchte nach einem geeigneten Schlafplatz, als er eine leichte Erhöhung inmitten der Kammer entdeckte. „Eine Feuerstelle!“ hörte er sich selber rufen. Tatsächlich lag dort ein Aschehaufen mit einigen verkohlten Ästen, die wie Skelette aus ihm hervorragten. Doch die Feuerstelle schien seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden zu sein. „Einen Versuch ist es jedenfalls wert“, sagte Daniel sich und versuchte, mit seinem Feuerzeug einen Funken zu erzeugen. Wie lange er bereits versucht hatte, das Feuer in Gang zu bringen, wusste Daniel nicht. Doch nach einer langen Zeit sprang ein Funke über und entzündete den kläglichen Rest der Feuerstelle. Und während Daniel so da saß und in die Flammen starrte, schoss ein Bild in seinen Kopf. Er sah SIE. Das Mädchen aus seinem Traum. Sie lächelte ihn an, ihre Augen glänzten im Licht des Feuers. Und nun wurde Daniel schlagartig klar, dass er schon mal hier gewesen war! Hier, in dieser Höhle. Mit dem Mädchen. Nur wann, wozu und warum er sich nicht daran erinnern konnte, das wusste Daniel nicht.
Irgendwann musste er eingeschlafen sein, denn als er erwachte, war das Feuer aus und das Licht der Sonne schien von außen in die Kammer. Es war nur ein schmaler Streifen, doch er zeigte, dass ein neuer Tag angebrochen war. Daniels Arm war inzwischen zur Größe eines Baseballschlägers angeschwollen. Die Schmerzen waren unerträglich. Also zog Daniel sein langes T-Shirt aus und band seinen Arm hinein. Die Ärmel des Longsleeves knotete er an seiner Schulter fest. Dann beschloss er, dass er einen Weg, hinauf oder hinunter von dem Berg finden musste. Denn hier sitzen zu bleiben, ohne Wasser und irgendwelche Vorräte, würde auf Dauer auch den Tod bedeuten. Daniel trat an den Rand des Abgrunds heran und sah vorsichtig nach unten. Der Nebel hing noch stets dort, so war die Höhe, in welcher Daniel sich befand, nicht zu bestimmen. Er drehte sich um und sah nach oben. Die Felswand schien kilometerweit in den Himmel aufzuragen und durchbohrte schließlich die Wolkendecke. „Nein, so macht das keinen Sinn“, sagte Daniel leise. Er trat also wieder von dem Abgrund zurück und untersuchte den Felsvorsprung nach einer Art Weg. Schließlich musste er ja irgendwie von hier weg kommen! Nach einer Weile entdeckte er einen schmalen Pfad, der sich rechts von der Höhle an der Felswand sowohl hinauf, als auch hinunter schlängelte. Daniel beschloss, den Weg hinunter zu versuchen. Nicht, weil er dabei ein besseres Gefühl hatte, sondern einfach weil der Pfad so steil war, dass das hoch Marschieren um einiges anstrengender werden würde.

 

Daniel kletterte bereits seit drei Tagen abwärts, ohne einem anderen Lebewesen begegnet zu sein. Immer wieder mal hatte er ein paar karge Büsche mit den bläulichen, manchmal auch mit dicken roten Beeren gefunden, an welchen er sich sättigte. Und zu seinem Glück, floss ein Bergquell gerade neben dem Pfad daher, so dass Daniel sich zumindest um das Verdursten keine Sorgen machen musste. Doch warum es hier kein einziges Anzeichen von Leben gab, noch nicht einmal Mücken, war für Daniel unerklärlich und beunruhigend zugleich. Zudem hatte er die letzten zwei Nächte auf schmalen Vorsprüngen verbringen müssen, da sich keine Höhle oder auch nur ein besserer Felsspalt mehr hatte finden lassen. Deshalb war an ein wirklich tiefes Einschlafen nicht zu denken gewesen. Der Gebirgspfad führte weiter stetig abwärts, der an keiner Stelle breiter als zwei Meter maß und zu allem Unheil war da noch Daniels gebrochener Arm, der mit jedem Schritt stärker schmerzte. Die Sonne senkte sich bereits wieder, als Daniel zu einem sehr breiten Felsvorsprung kam, welchen er für die Nacht nutzen wollte. Doch dann sah er einen Höhleneingang – und dieser Höhleneingang hatte gigantische Ausmaße. Er ragte circa fünfzehn Meter in die Höhe und sicherlich fünf Meter in die Breite. Konnte die Natur eine solch monströse Höhle erschaffen haben? Und wenn nicht, was für ein Wesen war so groß und auch so stark, um ebendies zu tun? Daniel beschlich ein unangenehmes Gefühl. Zu gerne würde er weitergehen, doch die Sonne hatte bereits den tiefsten Punkt erreicht und würde in den nächsten paar Minuten verschwunden sein. Im Dunkeln einem fünfzig Zentimeter breiten Pfad folgen zu wollen, ohne abzustürzen, war unmöglich. Was blieb ihm also anderes übrig, als hier draußen, oder aber im Inneren der Höhle zu verweilen. Der klare Menschenverstand sagte ihm, dass das Innere der Höhle mehr Schutz bot und somit ein geeigneterer Schlafplatz wäre, doch sein Herz sagte ihm etwas ganz anderes. Es pochte in einem unregelmäßigen Rhythmus und einer immensen Lautstärke. Das Blut pulsierte schnell und fühlte sich kochend heiß an. Daniels Augen waren geweitet, die Ohren gespitzt. Sein gesamter Körper war auf Flucht eingestellt. Trotzdem trugen ihn seine Füße stetig weiter und tiefer in die Höhle. Jeder Schritt, den er tat, fiel ihm schwerer, die Luft war stickig und verbraucht, Tränen stiegen ihm in die Augen, um sie vom Austrocknen zu bewahren.

 

Mit seinem Feuerzeug leuchtete Daniel sich den Weg, was schier unmöglich war, da die Flamme kaum ein paar Zentimeter weit reichte. Doch schließlich fand er eine Ausbuchtung an der Wand, in welche er sich zwängte. Was auch immer hier drinnen hauste, er wollte sich nicht gleich selbst auf dem Silbertablett servieren. So saß er da, in einer unbequem gehockten Position, zwischen zwei Mauern gezwängt. An Schlaf war so jedenfalls auch nicht zu denken. Doch irgendwann siegte die Müdigkeit. Daniel döste ein und wurde von unruhigen Träumen geplagt. Geweckt wurde er durch ein grausam scharrendes Geräusch. So laut und durchdringend, dass es ihm das Blut in den Adern erstarren ließ. Es klang fast, als würde Stein über Stein geschoben. Und dann sah Daniel es: Einen riesigen Schatten, der stetig näher kam, begleitet von diesem grauenerregenden Geräusch. Daniel presste die Hände auf die Ohren und versuchte, zu erkennen, was da auf ihn zukam. Der Schatten teilte sich in drei Schatten, doch diese waren noch immer erschreckend groß. Und endlich erkannte Daniel, was die Schatten waren. Drei gigantische Schlangen aus Fels. Sie krochen über den Boden aus Geröll und verursachten dadurch den Lärm, der kaum auszuhalten war. Ihre Mäuler waren aufgesperrt und entblößten blanke Reißzähne, silbern glänzend. Ihre Augen waren bloße Schlitze, rubinrot und bösartig blitzend. Eine jede der abartigen Kreaturen war mindestens zehn Meter lang und so breit wie der Baumstamm einer alten Eiche. Daniel war vor Entsetzen wie gelähmt, doch gleichzeitig wuchs in ihm der Wunsch, aus seinem Versteck heraus zu treten und den Schlangen in die Augen zu sehen. Obwohl sich sein ganzer Körper dagegen sträubte, wurde Daniel wie an unsichtbaren Fäden in den Bann der Monster gezogen und, ohne es zu wollen stolperte er aus seinem sicheren Versteck und direkt in Sichtweite der Riesenschlangen.

 

Diese hielten in ihrer Vorwärtsbewegung nur eine Sekunde inne. Das Rot in ihren Augen wurde umso bedrohlicher, je näher sie Daniel kamen. Doch so sehr dieser auch versuchte, einen Schritt zu tun, zu fliehen, es gelang ihm nicht. Er konnte sich keinen Millimeter bewegen. Die Augen schienen eine Anziehungskraft auf ihn auszuüben, aus der es kein Entrinnen gab. Die letzte Möglichkeit, die Daniel sah, war die eigenen Augen zu schließen und blind den Ausgang zu suchen. Es war fast schon irreal, wie aussichtslos die Situation für ihn war. Die Augen zu, nichts sehend tastete Daniel sich vorwärts. Das grausame scharrende Geräusch war direkt hinter ihm. In dem Wissen, dass er aus seiner Paralyse befreit war, öffnete er die Augen wieder und rannte weiter. Das Dunkel der Höhle war kaum heller, als die Blindheit davor. Doch immerhin konnte er nun den Ausgang sehen. Das Licht der Sonne schimmerte hinein. Doch die steinernen Schlangen waren schneller. Gierig öffnete die Größte ihr Maul und ließ sich mit rasender Geschwindigkeit auf den Boden nieder krachen. Daniel sah noch ihre silbernen Zähne blitzen, wissend, dass er die Sonne nie wieder sehen würde.

 

Der Kopf der Schlange zerschellte in dem Moment, als ihre Zähne den Boden berührten. Und darauf folgte auch der Rest ihres Körpers. Jede einzelne Schuppe zerbrach wie Glas. Die beiden anderen Monster sahen dies und hielten inne. Dann zischten sie bösartig, krochen zurück in die Höhle und ließen Daniel zitternd zurück. Er saß zwischen Schotter und Geröll und konnte noch immer nicht fassen, dass er den Angriff dieses Monsters überlebt hatte. Die Schlange hatte scheinbar ihre eigene Kraft nicht bedacht. Etwas Silbernes glitzerte im Licht der Sonne. Es war der Reißzahn der Schlange. Daniel konnte sich selbst nicht erklären, wieso, doch er steckte den Zahn in die Hosentasche und stand auf. Sein Körper bebte noch immer und der gebrochene Arm schien nun endgültig zertrümmert. Doch Daniel spürte das alles kaum. Er lebte! Und das war schon fast ein Wunder.

 

-3-

 

-Wiedersehen und Abschied-

 

Es dauerte noch weitere zwei Tage, ehe Daniel wieder festen Boden unter den Füßen hatte und das Gebirge endlich hinter ihm lag. Er befand sich nun auf einer kargen Steppe, die nur mit ein paar trostlosen Büschen, ohne Blätter oder Früchte, bewachsen war. Hier schien seit Jahren kein Tropfen Regenwasser mehr gefallen zu sein. Der Boden war ein kahles gelbbraun, das an einigen Stellen fast schon so versandet war, dass es eher einer Wüste glich. Der einzige Unterschied zu einer Wüste bestand darin, dass die Temperatur wohl etwas über 25 Grad betrug und keine fünfzig. Daniel blickte hinter sich und sah die Nebel, die das Gebirge verhingen. Weit vor sich, bestimmt mehr als einen Tagesmarsch entfernt, sah er einen seltsamen gräulich schwarzen Dampf aufsteigen. Doch blickte er nach links und rechts, so sah er so weit das Auge reichte nichts als die gelbbraune Fläche. Der Dampf war also der einzige Anhaltspunkt den Daniel hatte und auf diesen er nun zuhielt.

Einige Stunden waren bereits vergangen und Daniel merkte langsam, dass der Hunger und der Durst nicht mehr zu ertragen waren. Doch die Büsche trugen keine Beeren und seit dem Bergquell hatte Daniel nichts mehr gesehen, das im Entferntesten an trinkbares Wasser erinnert hätte. Auch seinen zertrümmerten Arm konnte er nun wieder spüren. Dieser pochte unangenehm in seiner sporadischen Stützvorrichtung und ließ bei jedem Schritt einen beißenden Schmerz von den Fingerspitzen bis zur Schulter zucken. Sein größtes Problem war aber die unglaubliche Müdigkeit. Daniel hatte seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen und sein ganzer Körper protestierte gegen diesen Zustand. Er würde nicht mehr weiter laufen können, ganz gleich, wie sehr er es auch wünschte. Doch die Steppe bat keinerlei Schutz und Daniel war es unangenehm, sich mitten auf einem Feld, auf dem man weit und breit nichts anderes zu sehen bekam, für jedes andere Wesen sichtbar hinzulegen. Erst recht nicht nach seiner Begegnung mit den steinernen Schlangen. Doch es half alles nichts. Er musste endlich schlafen, sich endlich erholen, soweit das irgendwie möglich war.

 

Geweckt wurde er durch ein Gefühl – dem Gefühl, dass er beobachtet wurde. Erschreckt setzte er sich auf und sogleich schossen ihm Schmerzen durch den Arm. „Verdammter Mist“, entfuhr es ihm, alle Vorsicht vergessend. Da hörte er ein zuckersüßes Lachen und eine glockenklare Stimme sagte: „Daniel, mein kleiner Prinz, ich fasse es nicht, dass ich dich hier wiedersehe.“ Daniel sah nun, was vor ihm schwebte. Eine Fee! Und plötzlich, als wäre es gestern gewesen, konnte er sich an alles erinnern. An Melody, die gerade vor ihm schwebte, an Faya den einhörnigen Pegasus, an den König und seinen Sohn und vor allem an Élira, die Prinzessin der Dunkelelfen, die er geliebt hatte und die ihn liebte und der er versprochen hatte, sie niemals zu vergessen. Und dieses Versprechen hatte er gehalten, auch wenn er all die Zeit nicht mehr gewusst hatte, wer sie war. „Melody! Dann bin ich wieder in Fíala?“ „Ja, natürlich bist du das. Was dachtest du denn, wo du bist?“ fragte die kleine Fee und zeigte keinerlei Verständnis für Daniels Amnesie. „Ich… ich wusste bis eben nicht, besser gesagt, ich konnte mich nicht mehr an Fíala erinnern, verstehst du?“ entgegnete Daniel. „Wie? Dann bist du gar nicht aus freien Stücken hier? Dann bist du nicht gekommen, um uns zu helfen?“ Melody hatte Tränen in den Augen. „Nein, ich hatte einen Autounfall und dann bin ich hier im… ich nehme an, es war das Donnergebirge, wieder aufgewacht. Euch helfen? Wieso, was ist passiert? Sturlogh ist doch tot und Zeylon ebenfalls.“ Daniel war verwirrt und besorgt. „Ach Daniel, das ist doch alles schon weit über hundert Jahre her! Heute haben wir ganz andere Probleme, als machtlüsterne Tyrannen und abtrünnige Söhne.“ Melodys Blick war wie der einer Grundschullehrerin, die sich über nicht gemachte Hausaufgaben entrüstete. Daniel konnte nicht glauben, was Melody da sagte. „Schon über hundert Jahre? Das kann nicht sein! Bei mir in Clatter Springs sind seit dem Tag, an dem ich Fíala verließ und dem Tag des Autounfalls gerade mal vier Monate vergangen!“ Melody seufzte und sagte: „Ja, so etwas dachte ich mir schon, da du dich kaum verändert hast, seit dem Tag. Doch in Fíala hat sich so gut wie alles verändert.“ Ihre Stimme war kaum mehr ein Flüstern. Dann schüttelte sie ihren kleinen Kopf und sagte: „Zuerst bringen wir dich hier weg und ich erzähle dir alles und dann sollten wir den König aufsuchen, um herauszufinden, wie du hier her kommen konntest und wie wir dich wieder zurück bringen können.“ Dann pfiff sie eine leise Melodie und setzte sich auf Daniels Schulter. „Was ist mit deinem Arm passiert und woher hast du all diese Schrammen?“ Daniel erzählte ihr genauer von dem Autounfall, bei welchem er sich den Arm gebrochen hatte und von dem Zusammentreffen mit den steinernen Schlangen, von dem die Schrammen stammten und was dazu geführt hatte, dass der gebrochene Arm zertrümmert worden war. „Myrdos“, hörte Daniel Melody sagen, oder glaubte er zumindest. „Was?“ fragte er verdutzt. „Diese Schlangen. Das sind die Myrdos. Uralte Kreaturen, die schon seit Jahrtausenden im Gebirge hausen. Doch die meisten haben sie für eine Legende gehalten, da es nur wage Erzählungen über sie gibt. Sie sind unglaublich stark und fräsen Tunnel in den Stein. Man sagt, sie seien die Hüter der Edelsteine, die tief im Gebirge zu finden sind. Sie trinken und fressen nicht. Doch wenn man in ihr Territorium eindringt, verteidigen sie es bis zum Tod. Wobei ich mich an keine Erzählung erinnern kann, die jemals den Tod einer Myrdo protokollierte.“ Melody hielt in ihrer Ausführung inne und zeigte in den Nachthimmel. „Sie nur, wer da kommt!“ Daniel sah hinauf und sah die weiten Schwingen von Faya. Elegant landete sie, wieherte leise und stupste Daniel mit ihren warmen, weichen Nüstern an. „Faya!“ rief dieser und schlang einen Arm um Fayas gelenkigen Hals. „Daniel, ich kann es nicht glauben. Du bist wieder hier!“

 

Während Daniel auf Faya saß, hatte Melody es sich wieder auf seiner Schulter bequem gemacht. Faya flog zügig, aber behände durch die Nacht und Melody erzählte Daniel, was in Fíala vor sich ging. „Angefangen hat alles damit, dass der König schrecklich krank wurde. Heiler aller Arten haben versucht, herauszufinden, woran Zirion litt, doch keinem gelang das. Inzwischen liegt er auf dem Sterbebett. Keiner weiß, wie lang er noch durchhält, doch die meisten geben ihm keinen Monat mehr. Nun ist Zeylon tot und Ayla ebenfalls, es gibt keinen Thronfolger und Zirion hat auch niemanden bestimmt, der die Thronfolge antreten soll. Dabei gibt es durchaus Einige, die einen Anspruch darauf haben. Da wäre zum einen der Sohn von Burgar, Bregor, der die Erbschaft des Zwergenreichs übernehmen wird, dann meine Oberfee, Mimraly und zuletzt Larian von Ézeland, Prinz der Lichtelfen und… Verlobter von Élira von Dun Willéad.“ Melodys Stimme brach und sie sah Daniel vorsichtig an. Daniel fühlte einen Wirbel von Gedanken und Stimmen in seinem Kopf, die alle durcheinander schrien und schließlich zu einem ohrenbetäubenden, eintönigen Rauschen wurden. Sein Herz klopfte wild und unrhythmisch, es fühlte sich an, als drohe es zu zerbersten. Ihm war schlecht, so schlecht, er wollte sich erbrechen, doch noch immer schwebte Faya durch die Luft und machte keine Anstalten, zu landen.

„Ihr… Ihr Verlobter??“ Daniel keuchte. „Ja, sie werden noch in diesem Jahr heiraten“, hörte Daniel nun Faya rufen. „Aber liebt sie ihn denn? Wie kann sie diesen grässlichen, arroganten, aufgeblasenen Kerl nur heiraten wollen?“ Daniels Stimme wurde mit jedem Wort lauter, so wie auch seine Wut wuchs. „Daniel, ich verstehe ja, dass dich das verletzt, aber du musst es mal aus ihrer Perspektive sehen. Hier sind hundert Jahre vergangen, seit sie dich kennen lernte und ihre Liebe zu dir war so stark und ungetrübt wie eh und je. Doch du warst weg und für uns bestand keinerlei Hoffnung, dass du jemals wieder nach Fíala zurückkehren würdest. Währenddessen tobte der Krieg zwischen den Dunkel- und Lichtelfen. Tausende starben in sinnlosen Gemetzeln. Sie hätten sich fast gegenseitig ausgerottet! Und das, obwohl sie eigentlich verwandte Arten sind. Die Väter von Larian und Élira haben die beiden einander versprochen, um die Feindschaft zu beenden, als sie noch Babys waren. Dann starb Éliras Vater und sie musste ihm auf dem Sterbebett versprechen, dass sie Larian heiraten würde. Élira hatte nun eine unglaubliche Verantwortung, denn schließlich war sie nun die Königin der Dunkelelfen und für derer aller Schicksal verantwortlich. Sie konnte nicht zulassen, dass ihr Volk ausstirbt, nur weil sie sich weigert, Larian zu ehelichen. Verstehst du jetzt, in was für einer schwierigen Lage sie sich befindet?“ Ja, Daniel verstand es, doch akzeptieren konnte und wollte er es nicht. Zu gerne würde er Élira wiedersehen, ihr zeigen, dass er zurück gekommen war, doch zuerst würde sein Weg zu König Zirion führen.

 

Das Schloss selbst wies auch eine seltsame Veränderung auf. Der Irrgarten, der einst mit undurchschaubaren, saftig grünen Hecken den Blick auf das Schloss erschwerte, schien wie ausgedorrt. Die Hecken waren kahl und an den Stellen, an denen überhaupt noch Blätter zu sehen waren, gelblich braun. Dieser Farbton, so schien es, hatte sich über ganz Fíala ausgebreitet. Teils waren schon gesamte Wälder und Wiesen betroffen, an anderen Stellen schien sich die Natur noch dagegen zu wehren. Doch was auch immer mit Fíala geschah, es schien unaufhaltbar. „Melody, woher kommt diese… Dürre?“ fragte Daniel und meinte damit das Welken der Blüten und Blätter. „Ach Daniel, wir wissen es nicht genau. Doch es fing an, als der König krank wurde. Nach und nach erkrankte auch Fíala. Und es scheint keine Rettung zu geben. Niemand weiß, was den Pflanzen fehlt, denn es regnet nach wie vor und es ist auch nicht übermäßig heiß. Es muss etwas mit Zirions Krankheit zu tun haben, doch was, können wir nur erraten.“ Traurig sah Melody auf den einst prächtigen Irrgarten.

Schließlich gelangten sie an das Schlosstor und wurden von einem Diener zu Zirion geführt. Dieser lag in einem riesigen Himmelbett aus dunklem Kiefernholz, gebettet in elfenbeinfarbene Elfenseide. Er sah furchtbar aus. Bleich und ausgemergelt, die Lippen waren aufgesprungen und er hatte dunkle Schatten unter den Augen. Trotzdem lächelte er Daniel matt an. „Daniel, mein Junge. Ich habe gehört, dass es dich wieder nach Fíala verschlagen hat und ich war wirklich erstaunt. Schließlich haben wir das silberne Tor verschließen lassen. Wie ist es dir gelungen, einen anderen Weg zu finden?“ Daniel stotterte erst etwas unverständliches, bevor er sagte: „Das war nicht beabsichtigt, eure Majestät. Ich war zurück auf der Erde und um ehrlich zu sein, hatte ich keine Erinnerung mehr, an Fíala. Dann hatte ich einen Autounfall und als ich erwachte, befand ich mich im Donnergebirge. Selbst zu diesem Zeitpunkt, wusste ich nicht, dass ich mich in Fíala befand. Meine Erinnerung kehrte erst zurück, als Melody mich fand.“ „Du hattest keinerlei Erinnerung? Oder gab es doch etwas, an das du dich erinnertest?“ Zirions Blick war forschend und wissend zugleich. „Nun… ich – ich erinnerte mich an Élira…“ sagte Daniel mit leiser Stimme und senkte den Kopf. Er wagte keinen Blick mehr in die goldenen Augen von Zirion, der durch ihn durchzublicken schien. „Ja, dann ist es nur verständlich, dass du einen Weg gefunden hast. Oder besser gesagt, dass dein Herz einen Weg gefunden hat. Es gibt mehrere Tore nach Fíala, jedoch nur eines, das auch wieder zurück führt. Dieses war das silberne Tor, das nun nicht mehr existiert. Du, Daniel, warst durch deine Liebe zu Élira stets mit Fíala verbunden. Auch wenn dein Kopf sich nicht erinnern konnte, so wusste dein Herz genau, wo es hingehörte. Daniel, ich muss dir leider sagen, dass es für dich keinen Weg zurück gibt. Du bist mit Fíala verbunden, so lange dein Herz schlägt, oder Fíala existiert.“ Zirion seufzte und sagte dann: „Fíala stirbt, Daniel. Es ist nicht aufzuhalten. Lass mich dir erklären, warum. Auch ich war einst ein Erdenbürger, nicht ahnend, dass es noch etwas anderes gab, andere Welten, so wie Fíala. Doch es war mein Schicksal, eines Tages das silberne Tor zu entdecken, Fíala zu entdecken, mit all seinen Wundern. Ich war noch jung und unerfahren, als ich Ayla begegnete. Sie war eine Elfe, keine Dunkel- oder Lichtelfe, sondern eine Elfe der ersten Generation, ein echtes Kind Fíalas. Ich verliebte mich unsterblich in Ayla und sie erwiderte die Liebe zu mir, was uns mit einander verband und mich mit Fíala. Zu dieser Zeit war Fíala selbst noch jung und viele Arten waren noch nicht einmal geboren. Doch Fíala hatte niemanden, der sich um die Sorgen und Probleme seiner Völker kümmerte. Ich nahm mich ihrer an und reiste viel durch jede Region, um Frieden zu stiften und Probleme zu lösen. Fíalas Volk begann mich zu achten, zu ehren und vor allem, zu lieben. Sie ernannten mich zum König, sie bauten mir ein Schloss, Fíalas Blütezeit begann. Doch je tiefer ich mit diesem Land verbunden war, umso tiefer trieben die Wurzeln, bis Fíala mit meinem Herzen im Einklang schlug. Dann wurde Zeylon geboren. Und er war ein Zeichen für die Völker Fíalas, dass Liebe nicht nur zur eigenen Art möglich ist. Neue Arten wurden geboren und Fíala wuchs. Doch Zeylon war noch etwas anderes; er war der Thronerbe, sollte ich eines Tages sterben. Denn sterblich würde ich bleiben, wenn ich auch ein überirdisch langes Leben genießen sollte. Aber mein Thronfolger wurde mir genommen, genommen von Sturlogh, der sein Herz vergiftete und ihn wahnsinnig machte. Ayla, meine geliebte Ayla, ertrank in ihrem Kummer. Sie aß nicht, sie trank nicht, sie starb.“ Zirion brach seine Geschichte ab und Tränen flossen über sein altes, weises Gesicht. Dann sammelte er sich von neuem und erzählte weiter. „Fíala war jedoch bereits mit Zeylons Herz verbunden, als dieser sich selbst erdolchte. Ja, er erdolchte einen Teil Fíalas und dieser begann, krank zu werden. Leise, schleichend, wie ein Tumor. Niemand merkte etwas, nicht einmal ich. Doch die Trauer um meine Frau und meinen Sohn, raffte auch mich mehr und mehr dahin. Ich bin krank, Daniel, und ich werde sterben. Und wenn ich sterbe, so stirbt auch Fíala.“ Daniel fiel vor Zirions Bett auf die Knie und flehte ihn an: „Aber eure Majestät, gibt es nicht irgendeinen Weg, dies aufzuhalten? Sagt mir nur was ich tun muss, und ich werde es tun!“ Zirions goldene Augen drangen tief in Daniels Herz, als er sagte: „Daniel, ich verlange nicht von dir, eine solche Bürde auf dich zu nehmen. Es gibt einen Weg, Fíala zu retten, doch dieser bedeutet für dich einen Abschied von der Erde – für immer. Du wirst niemals wieder zurück kehren können und deine Familie wird deinen Körper, deine Hülle, begraben. Ja, du wirst tot sein. Gestorben bei dem Autounfall. Willst du deinen Eltern das wirklich antun?“ Daniels Hände krampften sich in das Himmelbett und er antwortete: „Ich habe eine Bestimmung. Und ich weiß, dass es nicht meine Bestimmung ist, auf der Erde zu leben. Ich kann dort nicht glücklich werden, weil ich nach Fíala gehöre. Ich weiß, dass es meinen Eltern das Herz brechen wird, doch ich muss mich dieser Verantwortung stellen.“ Zirion nickte und sagte dann: „Dann, Daniel, bestimme ich dich hiermit zu meinem Thronfolger. Mögest du Fíala ein gütiger und weiser König sein und mögen deine Jahre, Freudenjahre sein.“ Der König erhob sich, so gut es ging aus seinen Daunenkissen und nahm seine Krone ab. Die Diamanten funkelten im Sonnenlicht, als er sich zu Daniel hinab beugte und ihn krönte. Dann legte er seinen Kopf zurück in seine Kissen und sagte: „Viele werden diese Entscheidung nicht verstehen, denn viele wollten selber König werden. Du musst ihnen sagen, was mit Fíala geschehen ist, und meine Entscheidung erklären. Du wirst den Namen König Damian tragen, Daniel von der Erde.“ Zirion lächelte noch einmal schwach. „Zirion, darf ich eine letzte Frage stellen?“ fragte Daniel unsicher. „Sicher, mein Junge.“ „Was war ihr Name, bevor sie nach Fíala kamen?“ „Mein Name war Zacharias. Zacharias von der Erde.“ Und das waren Zirions letzte Worte, bevor er die Augen schloss und starb.

 

 

 

-4-

 

-Der König, die Königin und der Prinz-

 

Sie begruben Zirion inmitten des Irrgartens und pflanzten einen roten Rosenbusch auf seinem Grab. Auf seinem Grabstein stand in leuchtenden goldenen Buchstaben:

Hier liegt Zirion, König aller Völker, auf ewig in Liebe mit Fíala verbunden.

Der schwere Teil begann für Daniel nun aber erst. Er berief den großen Rat in das Schloss und wollte dort den Vertretern aller Völker die neue Situation erklären. Zudem bestand noch immer das Problem, dass Fíalas Zustand sich einfach nicht änderte. Nein, es schien fast noch schlimmer geworden zu sein, seitdem Zirion gestorben war. Daniel wusste nicht, wie er das den Ratsmitgliedern erklären sollte. Und letztendlich sorgte vor allem eine Sache ihm Bauchschmerzen, denn den Rat einzuberufen bedeutete, auf Élira und Larian zu treffen. Wie würde Élira reagieren, wenn sie ihn wiedersah? Schließlich wusste sie noch nicht, dass Daniel zurückgekehrt war. So saß Daniel auf König Zirions Thron und fühlte sich nicht wohl in dieser Situation, wusste nicht, was ihn nun alles erwartete. Er war erst achtzehn! Und sollte jetzt schon König sein?

 

Melody kam am nächsten Tag ganz früh in Daniels Zimmer. Er hatte das Zimmer für sich herrichten lassen, in welchem er damals die Nacht mit Élira verbracht hatte. Obwohl es erst kurz nach sechs Uhr war, war bereits das gesamte Schloss auf den Beinen. Die kleinen Gnom artigen Bediensteten wuselten hierhin und dorthin und piepsten sich gegenseitig Befehle zu. Es war ein heilloses Durcheinander. Doch irgendwie schienen die Diener damit wunderbar zu Recht zu kommen. „Was ist denn bloß los?“ fragte Daniel verschlafen und fror noch in der morgendlichen Kühle. Melody sah sofort, dass ihrem kleinen Prinzen, wie sie ihn gern nannte, etwas fehlte und sie herrschte den nächstbesten Diener an: „König Damian friert! Los, macht ein Feuer im Kamin und holt ihm seinen Morgenrock! Husch, husch!“ Der kleine stolperte fast über seine eigenen Füße, so eifrig war er, im Gehorchen. „Diese Wesen, die Diener, was sind das eigentlich für Wesen?“ wollte Daniel dann von ihr wissen, denn als er das letzte Mal in Fíala gewesen war, hatte er diese Frage niemandem gestellt. „Das sind die Winzlinge. Ein Volk, das eigentlich unterhalb der Erdoberfläche haust. Sie bewohnen ein riesiges Arsenal gleich unterhalb des Schlosses und kommen zum Helfen hier hoch. Keine Sorge, sie machen das freiwillig und gerne. Du bist ihr König, vergiss das nie.“ Melody lächelte. Trotzdem fühlte Daniel sich nicht gut dabei, die Winzlinge durch das Schloss zu jagen, nur damit er es möglichst angenehm hatte. Melody sah seine Zweifel und sagte dann: „Sie bereiten alles für den großen Rat vor. Du solltest jetzt ins Bad gehen und dich zu Recht machen. Wenn du Hilfe brauchst, sag ruhig Bescheid.“

 

Das Bad im Schloss war ein Traum. Es befand sich in einem riesigen runden Raum, mit Platten aus weißem Marmor und goldenen Wasserhähnen. Eine ominöse Badewanne stand inmitten des Raumes auf einem hölzernen Podest aus dunkler Buche. Die Badewanne war rund, wie der Raum und hatte insgesamt sieben Wasserhähne. Wozu, konnte Daniel nicht erahnen. Also öffnete er kurzerhand alle und gab einige Badezusätze dazu, die sich in einem großen hölzernen Schrank befanden. Bald war das Badewasser voll und duftete nach Rosenblättern und Minze. Große Blasen waberten über die Oberfläche, der Schaum war eigenartig fest. Daniel entkleidete sich schnell und stieg in die Wanne. Die Temperatur des Wassers war perfekt. Daniel genoss die wohlige Wärme und döste bald darauf ein. Er träumte von Élira. Sie saß vor ihm in der Badewanne und bespritzte ihn mit Wasser. Ihr Lachen erfüllte den Raum. „Eure Majestät! Eure Majestät! König Damian!“ hörte er dann eine aufgeregte Stimme piepsen. Erschrocken fuhr er hoch und öffnete die Augen. Da stand ein Winzling mit hochrotem Kopf und stotterte hektisch: „Ich wollte sie nicht stören, eure Majestät, aber die Ratsmitglieder werden in einigen Minuten eintreffen und sie antworteten nicht auf mein Klopfen und sie müssen sich doch noch abtrocknen und ankleiden und…“ Daniel unterbrach den Winzling und sagte: „Es ist schon in Ordnung, ich werde gleich kommen.“ Damit deutete er dem Winzling zu gehen und dieser entfernte sich mit einigen tiefen Verbeugungen. Daniel stieg aus dem, inzwischen kalten Wasser und kleidete sich in die Kleider, die man ihm auf einen Hocker neben der Badewanne gelegt hatte. Wie viele Winzlinge waren noch hier drin gewesen und hatten ihm beim Schlafen zugesehen? Als er fertig war, musterte Daniel sich in dem großen, goldgerahmten Spiegel. Er trug nun eine dunkle Hose aus Leder, ein Leinenhemd mit goldenen Knöpfen, die das Siegel des Königs trugen, darüber einen dunklen Mantel, knöchellang mit Fellbesatz und Wildlederstiefel. Die Krone lag auf dem Waschbecken. Vorsichtig setzte er sie auf und sah erstaunt, dass er viel älter wirkte, seit er sich das letzte Mal im Spiegel betrachtet hatte. Der drei Tage Bart tat wahrscheinlich auch seine Wirkung, doch auch ohne diesen schienen die letzten Wochen ihn verändert zu haben.

Daniel ging die Treppe hinab, vorsichtig und doch mit festem Gang, aufrecht und stolz wie ein König, nein wie der König.

 

Er kam durch das schwere Eichentor in die große Halle, in der der Rat auch schon das letzte Mal getagt hatte. Viele bekannte Gesichter sah er wieder, doch es waren auch neue dazu gekommen. Er sah den Zwergenfürsten Burgar, dessen langes graues Haar ihm wellig auf die Schulter fiel und dessen noch längerer Bart bis auf den steinernen Boden reichte. Durch seine alten, braunen Augen mit den buschigen Augenbrauen sah er König Damian an. Neben ihm saß ein junger Zwerg. Er hatte dunkelbraunes, glattes Haar und eine krumme Nase. Seine Augen waren wie die eines Adlers; aufmerksam und stolz. Zur rechten Seite Burgars saß der Anführer der Gnome, Godial. Er hatte sich verändert. Eine riesige Narbe klaffte mitten in seinem Gesicht, sein linkes Auge fehlte. Die Fee mit den rosaroten Haaren, Daniel nahm an, dass es die Oberfee Mimraly war, und Melody schwebten nah am Tisch und unterhielten sich leise. Man hörte nur ab und zu das Geräusch von Glockengeläut. Diabolon, der Zentaur, der einst Élira zum Mirgelmoor getragen hatte, war ebenfalls anwesend. Und auch Bétrandir, der Verräter, dessen Mitgliedschaft am Rat für Daniel noch immer unerklärlich war, saß an der großen, runden Tafel. Sein Blick war eine Mischung aus Neugier und Verachtung. Faya hatte sich zu Daniel gesellt und sagte leise: „Sei nur nicht zu nervös. Der König hat dich zu seinem rechtmäßigen Nachfolger bestimmt, doch die meisten werden es nicht akzeptieren können. Aber du bist im Recht und noch bevor dieser Rat endet, werden sie es begreifen.“ Dann entfernte Faya sich wieder. Zuletzt fiel Daniels Blick auf die beiden Elfen, die nebeneinander saßen. Der goldblonde Lichtelf, Larian und die schwarzhaarige Dunkelelfe, Élira. Larian hielt Éliras Hand so fest, dass seine Fingerknöchel weiß erschienen. Sein Blick durchbohrte Daniel wie ein giftiger Pfeil. Doch viel schlimmer war, dass Élira nicht aufsah, ihn nicht ansah, sondern nur auf ihre linke Hand starrte, die verkrampft in ihrem Schoß lag. Daniel ging langsam auf die Tafel zu und setzte sich auf den letzten noch freien Platz. Dann begann er zu reden: „Verehrte Mitglieder des großen Rates von Fíala. Ich spreche heute zu euch in großer Trauer, aber auch voller Tatendrang. Trauer über König Zirion, der uns, der Fíala für immer verlassen hat. Nach langem Leiden musste er sich seiner Krankheit ergeben. Diese Krankheit konnte nicht geheilt werden, da sie nicht nur eine Ursache, nicht nur eine Wurzel hatte. Ich weiß nicht, wie viele von euch die alte Geschichte Fíalas so gut studiert haben, dass sie wissen, dass Fíala lebt. Fíala besitzt ein Herz, das schlagen muss, um zu überleben. Hört dieses Herz auf, zu schlagen, so stirbt Fíala und alle Pflanzen und Lebewesen die Fíala bewohnen mit ihr. Wie ihr seht, war Fíalas Herz also mit König Zirions Herz verbunden und um Fíala zu retten, kämpfte König Zirion Tag für Tag gegen den Tod. Doch es gab ein Problem. König Zirions einziger Sohn und Thronerbe, Zeylon, erlag seinem eigenen Schwert. Und als Zeylon sich selber tötete, erdolchte er auch den Teil Fíalas, der bereits mit seinem Herzen verbunden war. Dieser Teil Fíalas ist unheilbar krank. Man könnte die Krankheit mit einem Tumor vergleichen, der wächst und seinen Wirt mit der Zeit, ganz langsam dahinrafft. Es ist also auch unsere Aufgabe, zu entscheiden, was mit diesem Teil Fíalas geschehen soll. Doch dies ist erst der letzte Punkt. Wichtiger ist, zu erklären, weshalb ich euch all dies erzähle, weshalb der König mich krönte, um endlich in Ruhe sterben zu können.“ Daniel pausierte und in dem Moment erhob sich ein Gemurmel am Tisch, das pulsierte, immer lauter wurde und schließlich in lautem Protestgebrüll endete. Ein jeder schien etwas einzuwenden zu haben und Daniel konnte nichts tun, als zuzuhören und zu warten, bis die Flut abebbte.
„So, das ist ja wirklich ungeheuerlich, dass König Zirion einen Fremden zum König krönen sollte. Das ist doch eine riesige Lüge. Wahrscheinlich hat er ihn selber umgebracht, um sich den Thron zu erschleichen.“ Es war Bétrandir, der dies sagte und es hörte sich an, als würde er Daniel nicht wiedererkennen. Doch irgendetwas in Daniel warnte ihn, dass Bétrandir ganz genau wusste, wen er da vor sich hatte. „Ja, das ist wahr! Es gab hier einige, die einen Anspruch auf den Thron hatten! Fürsten, Prinzen, Adlige! Wohl kaum ein dahergelaufener Mensch. Wahrscheinlich ist er einer von den Waldbürgern aus Haevelsteen. Die kamen mir schon immer komisch vor!“ rief der junge Zwerg dazwischen. Burgar brummte leise: „Nur nicht so stürmisch, Bregor, nur nicht so stürmisch.“ Mimralys Flügel peitschten aufgebracht durch die Luft, als sie piepste: „Und Oberfeen! Vergesst die Feen nicht!“ Godial der Gnom sah belustigt von einem zum anderen und schien sich köstlich zu amüsieren. Élira war noch immer stumm und blickte nicht auf. Doch Larian, der Prinz der Lichtelfen, erhob sich und ging auf Daniel zu. „Ich kenne dich doch irgendwo her, du unverschämter Bengel. Das ist kein Waldbürger aus Haevelsteen, das ist nicht einmal ein Bewohner Fíalas! Das da, ist der Kerl, der im Kampf gegen Sturlogh hierher beordert worden war, der Kerl, der durch das silberne Tor gekommen war. Sag, Bürschchen, wie ist es dir gelungen, das Tor erneut zu öffnen? Du hättest umkommen müssen, bei dem Versuch!“ Dann drehte er sich zu den anderen um und sagte: „ Er ist bestimmt ein Hexer!“ Daraufhin begann das Gemurmel von neuem, doch dieses Mal erschien es angstvoll und misstrauisch. Daniel seufzte und sagte dann: „Nein, Larian von Ézeland, ich bin kein Hexer. Ich bin König Damian und du, ja ihr alle hier, habt dem König Treue geschworen. Ich weiß, dass viele hier dachten, sie selbst hätten einen Anspruch auf den Thron Fíalas, doch Fíala sucht sich seinen König selber aus! Mein Herz war mit Fíala verbunden, all die Zeit, in der ich zurück in meiner Welt war. Ich hatte keine Erinnerung mehr an Fíala, noch an irgendeinen von euch. Doch ich träumte – von Fíala. Dass ich zurückgekommen bin, ist kein Zufall, doch es war auch nicht meine Absicht. Mein Herz hat mich geleitet. König Zirion wusste das und er krönte mich, weil mein Herz bereits mit Fíala verbunden ist. Das ist bei euch anders. Ihr seid hier geboren, hier aufgewachsen. Natürlich, ihr liebt dieses Land, doch für euch ist Fíala selbstverständlich. Nicht so für König Zirion und auch nicht für mich. Das unterscheidet uns von euch.“ Der große Rat schwieg nun still, doch ein Großteil der Mitglieder schien immer noch mürrisch. Élira sah noch immer nicht auf. Daniel wusste nicht genau, was sie so sehr bedrückte, was ihr Herz so schwer sein ließ und warum sie nicht einen einzigen Blick für ihn übrig hatte. Erinnerte sie sich nicht an ihn? Doch das konnte nicht sein. Er selbst hatte ja zugegeben, dass er ER war und der Rest des Rates schien ihn ja auch wiedererkannt zu haben. Doch die Elfe blickte nicht auf, sah ihn nicht an. Sie schien überhaupt nicht anwesend zu sein. Und dann bemerkte Daniel, dass sich etwas an seiner Geliebten verändert hatte. Éliras Gesicht schien wie ausgemergelt. Ihre Wangenknochen waren hohl und fahl, dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, die ihr Strahlen verloren hatten. Ihr Haar, sonst schimmernd und glänzend, war abgestumpft und zottelig. Was war nur mit ihr los? Schmerzende Stiche fuhren Daniel ins Herz, denn er konnte nicht ertragen, sie so zu sehen. Der Rest des Rates schien noch immer nicht glücklich über den neuen König, doch der größte Widerstand war gebrochen. Sie bezweifelten Daniels Anspruch auf den Thron nicht mehr. Nicht einmal Bétrandir, der aus irgendeinem Grund ständig ein süffisantes, ja spöttisches Lächeln auf den Lippen zu haben schien.

 

Der Rat sollte in dieser Nacht im Schloss bleiben. Die Winzlinge machten jedem Ratsmitglied ein Zimmer zurecht und schon bald war im Schloss Ruhe eingekehrt. Nur Daniel wanderte einsam durch die Gänge und erinnerte sich an die letzte Nacht, die er auf Schloss Xarxes verbracht hatte, mit Élira, der Königin der Elfen.

 

 

 

-5-

 

-Éliras Schwur-

 

Der Morgen kam mit schweren Regenwolken und kündigte einen kalten, ungemütlichen Tag an. Die Ratsmitglieder frühstückten an der langen Tafel und nahmen dann von König Damian Abschied. Auch Faya und Melody mussten ihn wieder verlassen. Als letzte kamen Larian und Élira. Larian nickte Daniel kurz zu, was wohl ein gequälter Versuch einer Verbeugung sein sollte und grummelte ein kurzes „Majestät“, dann trat er aus der Tür. Élira blieb allein zurück. Sie sah Daniel wieder nicht an, knickste kurz vor Daniel und wollte schnell zur Tür hinaus, doch Daniel hielt sie fest. Nicht stark, doch so entschlossen, dass sie seinem Blick nicht länger würde ausweichen können. „Élira, sieh mich an“, verlangte er mit ruhiger und sanfter Stimme. Élira zitterte am ganzen Körper, als sie langsam die Lider hob und Daniel zum ersten Mal, seit dem Abschied vor dem silbernen Tor, in die Augen sah. Daniels Herz schlug sofort höher, sein Puls raste. Éliras kristallblaue Augen schwammen in Tränen, doch sie sagte nichts. „Élira, was ist mit dir? Wieso hast du mich nicht angesehen? Hast du vergessen, dass du mir versprochen hast, mich nie zu vergessen? Wolltest du mich vielleicht sogar vergessen, wegen Larian? Du kannst ehrlich zu mir sein.“ Daniels Worte waren gefasst, doch innerlich ertrank er in Verzweiflung. Éliras Stimme war dünn, als leide sie unter einer schweren Krankheit. Sie hauchte: „Glaubst du wirklich, ich hätte dich vergessen, überhaupt vergessen können? Ich habe dich nie, niemals vergessen, seit dem Tag, an dem du durch das silberne Tor zurück in deine Welt gingst. Tagein, Tagaus, dachte ich an nichts anderes als an dich und hoffte, du würdest zurückkommen. Irgendwie, irgendwann. Doch die Jahre vergingen, hundertzweiunddreißig Jahre, um genau zu sein, und du kamst nicht zurück. Mein Vater lag im Sterben, getroffen von einem Pfeil aus der Waffe eines Lichtelfen von Ézeland und ich musste ihm auf dem Totenbett versprechen, den Krieg zwischen den Dunkel- und den Lichtelfen zu beenden. Ich musste ihm versprechen, Larian zu heiraten. Und ich habe es ihm versprochen, Daniel. Eine Elfe kann keine Versprechen brechen. Ich bin mit meinem Leben an diesen Schwur gebunden…“ Sie senkte ihren Kopf wieder und dicke Tränen tropften auf den Boden aus Marmor und zerplatzten, wie in Zeitlupe. Élira war völlig entkräftet und man sah ihr an, dass das Versprechen, an das sie sich hatte binden lassen, sie dahinraffte. Sie liebte Larian nicht und musste ihn doch ehelichen. Und mit einem Mal brach Élira plötzlich zusammen und lag weinend und verzweifelt auf dem kalten Marmorboden. Daniel kniete sich sofort neben sie und nahm ihr Gesicht in seine Hände. Es war kalt wie Eis. „Ich hole einen Heiler, Élira. Du bist krank, man muss sich um dich kümmern. Du kannst hier im Schloss bleiben, bei mir.“ Da stand Élira, in ihrer elfischen Geschwindigkeit auf und alle Tränen waren wie weggewischt. Ihr Gesicht war jetzt selbst hart wie Marmor. Nur ihre Augen waren Spiegel ihrer Seele und zeigten, wie die Verzweiflung sich durch ihr Herz fraß. „Ich kann nicht hier bleiben, bei dir. Verstehst du das nicht? Hast du mir gerade überhaupt zugehört, Daniel? Es geht hier nicht um dich oder mich, es geht um die Elfen!“ Und damit stürmte sie aus der Tür und war bald aus Daniels Sichtweite verschwunden.

 

Für Daniel begannen nun einsame Zeiten im Schloss. Sehnsüchtig tigerte er durch die Gänge, immer in der Hoffnung, Élira würde doch zu ihm zurückkehren. Doch die Tage vergingen und von der Elfe gab es kein Lebenszeichen. Die Winzlinge wuselten ab und zu um Daniel herum, doch meistens taten Sie ihre Arbeit still und heimlich, sodass sich Daniel bald noch einsamer fühlte. Auch von Faya und Melody hatte er seit dem Tag nach der Sitzung des großen Rates nichts gehört. Die Botschafter, die er in alle Landesteile Fíalas ausgesendet hatte, um ihm Bericht über die Krankheit zu erstatten, waren noch nicht zurückgekommen. Doch als er eines Abends wieder einmal in seinem Schlafgemach vor dem Kamin saß, und sich fragte, ob seine Entscheidung die richtige gewesen war, kam eine kleine Winzling Frau zu ihm und piepste hektisch: „Ihre Majestät, einer der Boten ist zurückgekehrt!“ Dann verbeugte sich das Wesen bis zu den Zehenspitzen und Daniel eilte aus dem Zimmer.

 

Er kam in den großen Saal, in dem der Bote bereits wartete. Es war einer der treuesten Gefolgsleute König Zirions, ein Waldmensch aus Haevelsteen. Sein Name war Meinhard. Er trug eine Hose aus Wildleder, dazu einen Wamst und einen langen, grauen Mantel. Seine Stiefel waren morastig und sein Gesicht vernarbt und wettergegerbt. Er nickte Daniel kurz zu und sagte: „Eure Majestät“, was Daniel ebenso mit einem kurzen Nicken quittierte.
„Bitte Meinhard“, sagte Daniel dann „setzen sie sich. Und erzählen sie mir, was sie auf ihrer Reise erlebt haben.“ Meinhard wollte jedoch lieber stehen und begann dann, zu berichten: „Meine Reise führte mich zunächst wieder zurück in meine Heimat, nach Haevelsteen. Dort in der Hauptstadt, Waldau, wartete bereits das halbe Volk auf mich, das sich große Sorgen machte. Sie sagten, Sie hätten gehört, dass der König gestorben sei und nun waren Sie in großer Angst. Ich beruhigte Sie und sagte, dass der neue König bereits gekrönt worden sei und dass es ein Mensch sei. Eure Majestät müssen wissen, dass die Menschen aus Haevelsteen ein zurückgezogenes Leben leben. Wir mischen uns nicht in Politik oder Kriege, weshalb wir auch nicht gegen Sturlogh in den Krieg zogen. Menschen gehören nicht zur ursprünglichen Bevölkerung Fíalas, was die Anderen mit Abneigung und Misstrauen quittieren. Sie wissen nichts von uns Menschen und dieses Unwissen nährt ihre Angst vor uns. Dabei ist die Antwort auf unsere Herkunft eigentlich offensichtlich. Seht Ihr es?“ Meinhard musterte Daniel mit den Augen eines Adlers und Daniel fiel es wie Schuppen von den Augen; Die Menschen aus Haevelsteen waren durch das silberne Tor gekommen! Genau wie er und König Zirion einst vor ihm. „Ihr kamt durch das silberne Tor, nicht wahr?“ Meinhard nickte und sagte: „Es war einst gar nicht schwer, durch das Tor zu kommen. Wenn man nur genug Fantasie hatte und nicht so verbohrt war, zu glauben, dass die Welt Alles ist. Am Anfang waren wir zu siebt. Sieben Menschen, die eine Stadt gründeten und dann auch Familien. Wir vermehrten uns und Waldau wurde zu klein. Wir bauten Dörfer und Städte im weiten Wald und so entstand Haevelsteen. Doch für die Völker Fíalas sind wir keine Fíalaner. Sie dachten sogar, wir würden Söldner für Sturlogh bereitstellen“, er schnaubte verächtlich. „Ich hätte niemals auch nur einen Menschen aus Haevelsteen zu Sturlogh geschickt. Ich war und bin dem König treu. Ich wollte nur mein Volk nicht in einen Krieg schicken, der uns möglicherweise ausgerottet hätte. Und König Zirion verstand mich. Als einziger.“ Daniel verstand Meinhard auch und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich verstehe euch auch, Meinhard.“ Meinhard nickte wieder nur kurz und fuhr dann mit seinem Bericht fort: „Nun, mein Volk war auch wegen etwas anderem beunruhigt. Die Krankheit, die Fíala befallen hat. Sie breitet sich immer weiter aus und der weite Wald ist bereits komplett befallen. Kein Reh, kein Kauz wurde mehr gesichtet und Wolf und Maus scheinen wie vom Erdboden verschluckt. Zuerst wurden die Blätter gelb, dann grau und fielen schließlich von den Bäumen. Diese stehen nun wie Skelette, schwarz in einem Meer aus grauen Blättern, das aussieht, wie Asche. Als hätte der weite Wald gebrannt. Doch kein Feuer wütete in ihm. Es ist diese Krankheit, die sich keiner erklären kann. Mein Weg führte mich weiter bis zum Kristallblauen Meer. Doch auf der gesamten Strecke war das Bild das Selbe. Gelb oder grau war alles. Nur vereinzelt gab es noch grüne Flecken, an denen sich Fíala noch zu wehren schien. Eure Majestät, König Zirion wollte mir die Ursache für die Krankheit nicht nennen, doch ich sah, dass er sie kannte. Euch als seinem Thronfolger hat er sie doch sicherlich genannt. Was geschieht mit Fíala?“ Daniel war beunruhigt. Zirion hatte gesagt, dass die Krankheit mit seiner Krankheit zusammenhing und Fíala nur ein gesundes Herz bräuchte, um zu heilen. Nun hatte Fíala einen neuen König, ein gesundes Herz und war noch immer krank. Daniel wusste keine Antwort auf Meinhards Frage, doch er wollte ehrlich sein. „Fíala erkrankte, weil König Zirion erkrankte. Fíalas Herz schlägt mit dem Herzen des Königs. Weil König Zirions Herz immer schwächer wurde und er immer kränker, konnte sich die Krankheit ausbreiten. Doch König Zirion sagte, Fíala müsse nicht sterben, wenn er stirbt, wenn Fíala nur ein gesundes Herz bekommt. Ein Herz, das an Fíala gebunden ist, so wie meines es war, seit ich Fíala vor über hundert Jahren verlassen hatte. Ich willigte ein und König Zirion krönte mich zu König Damian. Ich bin davon ausgegangen, dass Fíala sich erholt. Nun, ausgenommen von An Scanradh, denn dieser Teil ist bereits mit Zeylons Tod gestorben, der es sich zuletzt zu Eigen gemacht hatte. Ich verstehe nicht, wieso die Krankheit sich weiter ausbreitet und um ehrlich zu sein, finde ich es genauso beängstigend wie alle anderen auch.“ Meinhard musterte Daniel wieder eingehend und sagte dann etwas, das sich in Daniels Kopf einbrannte, wie ein Brandzeichen: „Seid ihr sicher, dass euer Herz gesund ist?“

 

An den folgenden Tagen kamen auch die anderen Botschafter. Doch sie alle hatten dieselben schlechten Nachrichten. Die Krankheit breitete sich unaufhaltsam aus und hatte schon fast ganz Fíala im Griff. Dann kamen eines Tages Faya und Melody ins Schloss. Faya hatte Blumen in ihrer Mähne und im Schweif und Melody trug ein prächtiges, glitzerndes Kleidchen und Blüten waren in ihr Haar eingeflochten. Sie schienen verdutzt, Daniel im Morgenmantel anzutreffen. „Mein kleiner Prinz! Wieso bist du noch nicht angezogen?“, zeterte Melody los und Faya wieherte belustigt. „Ich glaube nicht, dass er darüber informiert ist.“ „Was, worüber informiert? Was ist denn nur los?“ Daniel verstand die Aufregung nicht. „Heute ist der Tag, an dem der Krieg zwischen den Dunkel- und Lichtelfen beendet werden soll. Die Hochzeit von Élira von Dun Willéad und Larian von Ézeland.“ Daniel traf dieser Satz wie eine Faust in den Magen. Er hatte verdrängt, dass dieser Tag kommen würde. Doch er hatte erwartet, dass er darüber informiert worden wäre, wenn es so weit sein sollte. „Wieso wusste ich davon nichts?“ fragte er und glaubte, die Antwort bereits zu kennen. „Nun, ich nehme an, man hat dir keine Einladung zugeschickt, weil…für Élira es so schon schwer genug ist, auch ohne dich noch dabei zu haben. Aber wir, Faya und Ich, finden, dass du ein Recht darauf hast, dabei zu sein. Deswegen sind wir gekommen, um dich abzuholen.“ Melody schickte nun einen Winzling los, um Kleidung für König Damian zu holen. Alsbald war der Winzling zurück, mit einem Tross von anderen Winzlingen, das Daniels Mantel, Schuhe und Krone trug. Schnell kleidete Daniel sich an und schwang sich auf Faya.

 

Sie hoben ab und ließen das Schloss schnell hinter sich. Unter ihnen flogen Wälder und Täler dahin, die in grau und gelb verschwammen. Bald kamen Sie zu einem weiten Feld mit einer Erhöhung in der Mitte, auf der wilde Blumen wuchsen. Es war Zeylons Hügel, das Grab des Königssohnes. Und obwohl rund um den Hügel das Gras gelbbraun und verdorrt war, war der Hügel saftig grün und die Blumen schillerten in allen Farben des Regenbogens. Rund um die Erhöhung standen die Hochzeitsgäste. Dunkel- und Lichtelfen, Feen, Zentauren, Pegasusse, Einhörner, Zwerge, Gnome, einige Werwölfe und sogar zwei Riesen. Über den Gästen zogen die Adler des Donnergebirges weite Kreise. Oben auf dem Hügel standen Larian und ein weiterer Lichtelf. „Das ist Luzian, Larians Vater“, sagte Melody. Larian hatte eine Tunika aus elfenbeinfarbenem Leinen an und sein Haar war an den Seiten kunstvoll geflochten. Luzian trug ebenfalls eine helle Tunika, jedoch mit einem goldfarbenen Band um die Hüfte und einer Krone auf dem Kopf. Nicht so prunkvoll, wie die, die Daniel krönte, doch man konnte sehen, dass er der König der Lichtelfen war. Von Élira war weit und breit nichts zu sehen. Faya landete behutsam und Daniel stieg ab. Er stellte sich hinter alle Gäste, um möglichst nicht gleich entdeckt zu werden und wartete. Erst geschah eine Weile nichts. Dann begann ein Bataillon Elfen, sowohl dunkel gekleidete, als auch hell gekleidete, zu singen. Daniel bekam eine Gänsehaut. Der Gesang war wunderschön. Schließlich teilte sich die Menge der Gäste und endlich kam die Braut. Sie trat durch den Gang aus Hochzeitsgästen. Élira sah wunderschön aus. Sie trug ein schlichtes, bodenlanges, weißes Kleid, das über ihren perfekten Körper wallte, wie eine zweite Haut. Die Ärmel lagen direkt am Körper an und endeten in weiten Enden. Das Kleid verlief bis zur Hüfte hauteng und endete in mehreren Schichten eines leichten, flatternden Stoffes, der das Kleid, bei jedem Hauch von Wind um Éliras grazile Beine wehen ließ und ihre nackten Füße zeigte. Es war Elfenseide. Éliras wunderschönes schwarzes Haar glitzerte wieder im Licht der Sonne. In ihr Haar war ein Diadem eingearbeitet und strahlende, weiße Blumen in einem Netz von geflochtenem Deckhaar. Sie sah atemberaubend aus und Daniel verschlug es die Sprache. Er konnte sich nicht rühren, so sehr musste er seine Angebetete ansehen, einfach nur ansehen. Élira trat zu Larian und Luzian und sah ihre Hochzeitsgäste an. Intuitiv stellte Daniel sich hinter einen Riesen. Er wollte nicht, dass Élira ihn sah. Noch nicht. Luzian begann nun zu sprechen: „Meine lieben Gäste, wir sind heute hier zusammengekommen, um zwei liebende Herzen miteinander zu vereinen. Larian und Élira haben sich endlich dazu entschlossen, den Bund der Ehe einzugehen und damit die Verbundenheit der Elfen aufs Neue zu besiegeln. Wir wollen nicht länger kämpfen, uns nicht länger bekriegen. Wir entstammen alle dem gleichen Geschlecht, und nur weil ein Teil sich von Sturlogh verlocken ließ, um an mehr Macht zu kommen, bedeutet das nicht, dass wir nicht trotzdem eine Familie sind. Ich mache niemandem hier einen Vorwurf, auch dir nicht Bétrandir. Sturlogh hat dir viel versprochen, auch Éliras Vater Éreband. Er versprach Sicherheit für euch, Freiheit und Macht. Nichts davon hat er euch gegeben. Das einzige was geschah war, dass wir einander als Feinde gegenübertreten mussten, uns gegenseitig töten, für den Machtplan eines Wahnsinnigen. Doch Sturloghs Zeiten sind vorbei und neue Zeiten sollen kommen. Zeiten des Friedens, des Vertrauens und der Freundschaft. Zeiten, in denen die Elfen wieder vereint werden.“ Die Gäste klatschten Beifall. Auch Daniel klatschte, um nicht aufzufallen. Larian nahm Éliras Hände in die seinen und sah ihr in die Augen. Auf Éliras Gesicht zeigte sich kein Anzeichen von Freude, kein Lächeln war auf ihren Lippen. Dann sprach Luzian wieder: „Larian von Ézeland, nimmst du Élira von Dun Willéad zu deiner Frau?“ Und Larian antwortete mit „Ja“. „So frage ich auch dich, Élira von Dun Willéad. Nimmst du Larian von Ézeland zu deinem Mann?“ Élira blieb erst still und sagte dann ganz leise „Ja“. „Und wenn nun niemand der hier Anwesenden etwas gegen diesen Bund einzuwenden hat, seid ihr nunmehr rechtmäßig verbunden.“ Mit diesen Worten stieg ein Licht zwischen den Händen der beiden Elfen auf und legte sich leuchtend darum. Es schien wie ein Käfig aus goldenen Strahlen. „Und ich wünsche mir einen Erben des Elfenreiches. Einen echten Elfen, einen Elfen der ersten Stunde!“ rief Luzian und wieder fingen alle an zu applaudieren und die Stimmung war ausgelassen. Daniel wusste nicht, warum er nicht gesprochen hatte, keinen Einwand erhoben hatte, doch dann dachte er wieder daran, was Élira ihm gesagt hatte: „Ich bin mit dem Leben an diesen Schwur gebunden.“ Und allein die Vorstellung, dass Élira sterben müsste, nur weil Daniel nicht verzichten konnte, tat zu sehr weh, um weiter darüber nachzudenken. Der Tag neigte sich dem Ende zu und die Sonne malte einen goldroten Rand auf dem weiten Feld. Die Elfen zündeten bunte Lampions an und tanzten in einem Reigen. Auch die Feen tanzten in ihrer Mitte in der Luft. Sie schillerten in allen nur erdenklichen Farben. Alle Gäste waren ausgelassen und man hörte Sie lachen. Die Riesen und die Adler waren weitergezogen und auch die Zwerge waren bereits gegangen. Die Zentauren standen am Waldrand und redeten leise miteinander. Faya saß mit Daniel etwas abseits. Daniel hatte seinen Kopf an Fayas Hals gelegt. „Nun ist es also passiert. Élira hat Larian geheiratet und ich bin vergessen. Ich weiß nicht, ob ich darüber jemals hinwegkommen werde.“ „Das wirst du nicht“, wieherte Faya leise und Daniel wusste, dass sie Recht hatte. Larian tanzte mit Élira auf Zeylons Hügel. Er hatte sie ganz fest umschlungen und wiegte sie sanft hin und her. Doch Élira schien stocksteif und bewegte sich kaum. Sie war unglücklich. Totunglücklich. Dann fingen die beiden an, zu sprechen und Élira stieß Larian von sich. Daniel konnte nicht hören, was sie dann sagte, doch sie schien wütend und verzweifelt und begann, den Hügel hinunter zu rennen. Daniel stand auf, legte seine Krone neben Faya und folgte ihr. In der Dunkelheit sah niemand seinen Schatten zwischen den Ästen verschwinden.

Daniel musste nicht lange nach ihr suchen, denn ihr Weinen war deutlich zu hören. Der Waldboden raschelte durch das Kleid, das über den Boden streifte. Daniel folgte dem Rascheln, bis es nicht mehr zu hören waren. Élira musste nun ganz in der Nähe sein. Endlich konnte Daniel sie sehen. Sie saß auf einem großen Baumstumpf, die Beine an die Brust gezogen, ihr Körper wurde von Schluchzern geschüttelt. „Élira?“ fragte Daniel leise und behutsam. Die Elfe schreckte auf, wie von einer Peitsche geschlagen. „Was willst du? Bist du mir etwa gefolgt? Wieso kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Wieso musst du es mir noch extra schwer machen? Ich wollte dich nicht bei dieser Hochzeit dabeihaben, weil ich es nicht ertragen kann. Ich kann es nicht ertragen, dich zu sehen, zu wissen, dass du da bist und ich trotzdem nicht bei dir sein kann, nie wieder. Ich habe dich geliebt, ich habe dich so sehr geliebt, auch nachdem du gegangen warst und ich… ich liebe dich immer noch!“ Daniel schlang die Arme um die Elfe und ließ sie sich an seiner Schulter ausweinen. Und als sie keine Tränen mehr hatte, sagte er: „Ich weiß das, Élira. Glaubst du, für mich wäre es einfacher? Ich habe das alles mit angesehen und ich habe nichts gesagt, weil ich nicht will, dass du mit deinem Leben dafür bezahlen musst, weil du deinen Schwur brichst. Aber ich will und kann nicht ohne dich sein. Auch nicht, wenn du jetzt verheiratet bist und… zu Larian gehörst. Wir können trotzdem zusammen sein. Heimlich.“ Élira sah ihn lange und eindringlich an und sagte dann: „Ich wünschte, es wäre so einfach. Aber wenn es jemand herausfindet, bin ich vogelfrei. Und du, du bist der König! Sie würden dir das nie verzeihen. Sie wissen nicht, wie das ist. Jemanden so sehr zu lieben, dass das Herz ganz langsam zu sterben beginnt, solange man nicht bei ihm ist.“ „Das ist mir egal, Élira. Ich bin mit Fíala verbunden, so wie ich mit dir verbunden bin. Fíala stirbt, weil Fíala ein gesundes Herz braucht, um zu leben. Aber mein Herz ist nicht gesund. Nicht, solange ich dich nicht habe. Und wenn Fíala stirbt, so sterben wir alle auch. Das müssen Sie einfach verstehen!“ Élira war geschockt, als sie dies hörte. Kein Fíalaner hatte die Ursache von Fíalas Krankheit gekannt und zu wissen, dass Sie stets mit dem Zustand des Königs Herzen zu tun hatte, war erschreckend und beängstigend zugleich. „Ich liebe dich, Élira und ich will mit dir zusammen sein, ganz gleich, was auch geschieht.“ Dann küsste Daniel die Elfe zärtlich auf ihren kirschroten, samtweichen Mund. Élira erwiderte den Kuss mit einer nie da gewesenen, zurückgehaltenen Leidenschaft und Daniel konnte nicht anders, als sie an sich zu ziehen und zu beginnen, ihr das Kleid von den Schultern zu streifen. Sein Herz pochte wild, denn er hatte nicht vergessen, wie Élira manchmal reagierte. Doch die Elfe schien alle Vernunft vergessen zu haben. Sie griff unter Daniels Leinenhemd und riss es dann auf. Die Knöpfe sprangen und verteilten sich leise prasselnd auf dem Waldboden. Bald lagen Daniel und Élira auf dem graugelben Untergrund und wälzten eine Schneise durch die verwelkten Blätter. Sie gaben erstickte Laute von sich, die sie zu unterdrücken versuchten und schliefen irgendwann eng umschlungen ein.

Der Morgen kam mit strahlendem Sonnenschein, der sich durch die grauen Blätter schob und den Wald in ein gespenstisches Licht versetzte. Als Daniel erwachte, drehte er sich um, um Élira wach zu küssen, doch die Elfe war verschwunden. Wieder einmal war ihr Verhalten für ihn unerklärlich. Sie hatte keine Nachricht zurückgelassen und so blieb Daniel nichts anderes übrig, als seine Hose und das Hemd wieder anzuziehen, das sich nicht mehr schließen ließ und den Weg zurück zu Zeylons Hügel zu suchen. Auf seinem Weg begegnete er keinem anderen Lebewesen und das Feld war ebenso verlassen. Von dem Hochzeitsfest war keine Spur zurückgeblieben. Faya und Melody waren auch verschwunden. „Na super“, dachte Daniel bei sich. „Und wie soll ich jetzt den Weg zurück zum Schloss finden?“ Dann dachte er daran, dass er diesen Weg bereits einmal gegangen war, zwar vom Schloss zum Hügel, um gegen Sturlogh in den Krieg zu ziehen und nicht andersherum, doch irgendwie würde er sich schon zu Recht finden.

 

-6-

 

-Die Wurzel des Leids-

 

Sein Weg führte Daniel durch das Mirgelmoor. Doch selbst hier schien die Krankheit zugeschlagen zu haben. Das Moor schien ausgetrocknet, es gab keinen Morast, nur noch stinkende Tümpel, auf denen dicke Blasen waberten, die mit einem lauten Krachen platzten. Glücklicherweise war es Tag und so war die Chance auf Irrlichter zu treffen auch gleich kleiner, denn obwohl es im Moor nie hell war, da die Sonne hier nicht zu scheinen schien, konnte man zumindest noch irgendetwas sehen. Daniel ging vorsichtig, denn er misstraute dem eingetrockneten Morast. Wer wusste schon, ob nicht doch eine Stelle untergründig noch so feucht war, dass Daniel hineingeraten könnte? Der Gestank war schier unerträglich und machte Daniel schreckliche Kopfschmerzen. Er irrte durch das Moor und wusste nicht einmal, ob er überhaupt in die richtige Richtung ging. Die Dämpfe, die aus den Tümpeln aufstiegen, nahmen ihm jede Sicht. Und dann kam die Nacht und er war noch immer tief im Moor. Er suchte sich einen mickrigen Strauch als Orientierungspunkt und setzte sich auf die einzige trockene Stelle, die er finden konnte. An Schlaf war jedenfalls nicht zu denken, denn die Hijanwey ertränkten auch gerne schlafende Wanderer. Die Nacht war so schwarz wie Pech und bald brannten Daniels Augen vor Müdigkeit.

Irgendwann musste er doch eingeschlafen sein, denn er erwachte von einem gurgelnden, schmatzenden Geräusch, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Sofort riss er seine Augen auf und versuchte, in der Dunkelheit etwas auszumachen. Das Gurgeln wurde lauter und Daniel glaubte dicke, wabernde Blasen auszumachen, die aus einem der noch wässrigen Tümpel aufstiegen. Und Daniel war sich fast sicher, was jetzt kam; das Orakel der Hijanwey. Nur, was wollte es von ihm und woher wusste es, dass er hier war? Und dann erinnerte Daniel sich an das, was die Hijanwey über das Orakel gesagt hatten: „Das Orakel wird nicht gefunden, das Orakel findet.“ Daniel versuchte angestrengt, die Dunkelheit mit seinen Augen zu durchdringen, um etwas mehr, als nur schattenhafte Umrisse zu erkennen, doch es schien zwecklos. Dann sah er, wie ein riesiger Schatten sich immer weiter in die Luft hob und er konnte die großen, fischartigen Augen des Orakels schimmern sehen. Das Orakel begann zu sprechen, in seiner röchelnden, saugenden Stimme und atmete dabei schwer: „Ihr seid hier her gekommen, König Damian, in den Tagen des Leids und der Angst. Euer Volk steht vor dem Abgrund, denn Fíala stirbt.“ Daniel wusste, dass das Orakel Recht hatte und so wollte er wissen: „Orakel, was kann ich tun, um mein Volk zu retten, um Fíala zu retten?“ Das Orakel holte wieder tief Luft und sprach weiter: „Die Wurzel des Leids liegt in Euch, König Damian. Ihr wisst, was ich meine. Euer Herz ist krank und so bleibt auch Fíala krank. Hier im Moor ist es bereits im Endstadium. Die Hijanwey sind geflohen, um sich ein anderes Moor zu suchen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist hier alles trocken und ich werde sterben, denn ich kann nicht ohne Wasser leben.“ Dann war es, als würde die Luft um das Orakel zu flimmern beginnen und für einen kurzen Moment, sah Daniel die wahre Gestalt des Orakels – die Meerjungfrau aus dem Kristallblauen Meer. Sie hatte wallendes, rotgoldenes Haar, das ihren Körper bis zu den Hüften umspielte, elfenbeinfarbene Haut und kristallblaue Augen. Ihr Oberkörper war nackt und nur von ihren Locken bedeckt und ihr Unterkörper steckte in einer riesigen, schillernden Fischflosse. Und dann erinnerte Daniel sich daran, was er sich einst geschworen hatte; er hatte die Meerjungfrau retten wollen, sie zurück zum Meer bringen wollen. Er konnte jetzt nicht einfach gehen und sie hier verenden lassen. „Orakel“, sagte er dann „ich werde die Krankheit bekämpfen. Mein Herz hängt an einer Elfe, an Élira. Ich liebe sie und sie liebt mich. Kann das mein Herz gesund machen?“ „Nein, König Damian, denn solange Élira noch an einen anderen gebunden ist, werdet ihr niemals richtig vereint sein können. Niemals.“ Das Orakel röchelte. „Aber sie ist verheiratet! Sie kann ihren Mann nicht einfach verlassen, denn dann wäre sie vogelfrei und Sie würden sie verfolgen und töten! Die Elfen haben ihre eigenen Gesetze, was Ehebrecher angeht…“ Daniel wurde immer verzweifelter. Er hatte gedacht, dass es reichen würde, wenn er und Élira sich liebten. Doch dem war nicht so. „Es gibt nur eines, was zwei liebende Herzen auf ewig verbindet; Zwei Herzen schlagen in einer Brust.“ Mehr wollte das Orakel nicht sagen. Es war ein Rätsel, das es Daniel aufgegeben hatte und dieser musste es nun lösen. „Orakel, ich werde dich zum Meer zurück bringen. Du musst hier nicht sterben, hier an diesem abscheulichen Ort.“ Das Orakel lachte leise und zum ersten Mal waren da kein Röcheln und auch kein Saugen. „Ihr könnt mich nicht retten, König Damian. Ihr könnt mich nicht transportieren, denn ohne Wasser sterbe ich und laufen kann ich auch nicht. Ich bin an diesen Ort gebunden, auch wenn meine Sklavenhalter bereits geflohen sind.“ Daniel überlegte Fieberhaft und begann in seiner Verzweiflung dann einfach zu rufen: „Faya! Faya! Melody?!“ Eigentlich war es hoffnungslos. Die beiden waren ohne ihn abgeflogen und bestimmt schon längst viele Kilometer weit weg. Wäre er jetzt in Clatter Springs, so hätte er einfach sein Handy herausholen können und… aber hier hatten Sie ja nicht einmal Telefone. „Seid nicht traurig, mein König. Ich habe das Meer geliebt. Es war meine Heimat. Doch seht, wie ich nun aussehe. Ich hätte im Meer keine Zukunft mehr gehabt, denn ich bin keine Meerjungfrau mehr. Sie hätten mich verstoßen. Nein, es ist mein Schicksal hier zu bleiben, bis die Krankheit vorüber ist, oder ich mit dem Mirgelmoor vertrockne.“ Daniel wusste, dass das Orakel Recht hatte. Er konnte die Meerjungfrau nicht transportieren, denn sie war zu schwer und er hatte kein Wasser, um sie zu benetzen. Ohne Wasser würde sie genauso elendig verenden und hier hatte sie zumindest noch die verschwindend geringe Chance, dass das Moor die Krankheit überlebte und sie mit ihm. „Orakel, kannst du mir vielleicht den Weg hinaus weisen? Ich glaube, ich habe mich verirrt und ich muss zurück zum Schloss. Auf Worte müssen Taten folgen und ich habe Verantwortung für alle hier.“ Das Orakel lächelte und wieder sah Daniel hinter dem Flimmern das Abbild der Meerjungfrau, die es einst gewesen war. „Ja, ich weise euch den Weg. Folgt mir.“ Dann tauchte es ab in den gurgelnden Schlamm und tauchte einige Meter weiter vorne wieder auf. Daniel folgte langsam und mit Bedacht. Der Weg war mühsam, doch schon bald war das Weideland hinter dem Mirgelmoor zu sehen und weit in der Ferne die Nebel des Donnergebirges. Er war auf dem richtigen Weg. Daniel bedankte sich bei dem Orakel, dass ihm zum Abschied ein Lächeln zuwarf, das schmerzhaft und gequält schien und zu sagen schien: „Bitte rette dieses Land, rette mich.“

Die Sonne begann endlich aufzugehen und vertrieb die Kälte der vorangegangenen Nacht. Daniel merkte allmählich, dass er Hunger bekam. Doch auf der weiten Steppe gab es keine Beeren und auch kein Tier, das zu jagen sich lohnte. Einzig ein paar vereinzelte Eidechsen huschten über den sandigen Untergrund und verkrochen sich unter den Steinen und Büschen. Zumindest hatten ihm die Winzlinge eine gefüllte Feldflasche mitgegeben. So setzte er die Feldflasche an seinen Mund und benetzte seine ausgetrockneten Lippen. Dann orientierte er sich und lief weiter in Richtung Donnergebirge. „Es ist wirklich unglaublich, dass ich jetzt schon wieder zu Fuß über dieses Gebirge gehen muss. Steinerne Schlangen, Riesen, Kampfzwerge und ich will nicht wissen, welchen Kreaturen man dort sonst noch begegnen kann. Und wenn man Faya und Melody braucht, sind diese natürlich nicht da.“ Daniel war mürrisch und allmählich schlecht gelaunt. Da ertönte eine Stimme hinter ihm: „Ach, sind wir also immer weg, wenn man uns braucht? Das wäre mir allerdings neu!“ Es war Faya und sie klang verärgert aber auch amüsiert. „Faya!“ rief Daniel und war einfach nur noch erleichtert, dass ihm kein kilometerlanger Fußmarsch über das Gebirge bevorstand. „Wo warst du nur? Wir haben dich gesucht! Plötzlich warst du verschwunden. Selbst am nächsten Morgen haben wir dich nicht gefunden. Wir dachten, du wärst vielleicht bei Élira, doch diese war bei Larian und du warst wie vom Erdboden verschluckt.“ Daniel errötete leicht bei Fayas Worten und murmelte dann: „Ich war bei Élira…“ „Was? Bitte sag, dass das nicht wahr ist!“ Ertönte nun die aufgeregte Stimme von Melody und keine Sekunde später, saß die Fee auf Daniels Nasenspitze. „Du bist vielleicht der König, kleiner Prinz, aber das heißt nicht, dass du die Regeln der Elfen oder anderer Arten einfach ignorieren kannst! Élira ist an ihren Schwur gebunden, also ist sie auch an Larian gebunden und außerdem droht ehebrechenden Elfen die Todesstrafe!“ Die Welle von Anschuldigungen rollte über Daniel hinweg und er wäre kleinlaut geworden, wenn er nicht die passende Antwort parat gehabt hätte: „Jetzt hör mir mal zu, Melody. Ich habe mit König Zirion geredet, als dieser auf dem Totenbett lag. Er sagte mir, dass Fíalas Existenz an das Herz ihres Königs gebunden ist. Hat der König ein gesundes Herz, so geht es auch Fíala gut. Ist dies nicht der Fall, so stirbt Fíala langsam aber sicher. Ich dachte, mein Herz wäre gesund, doch es ist nicht gesund! Kannst du dir denken warum? Ganz einfach, weil ich Élira liebe und trotzdem nicht mit ihr zusammen sein kann. Ich hatte mir überlegt, mich heimlich mit ihr zu treffen und sie war auch einverstanden, doch das Orakel der Hijanwey sagte mir letzte Nacht, dass das nicht ausreicht, weil Élira noch an einen anderen gebunden ist. Und dann gab mir das Orakel ein Rätsel auf. Es sagte mir die Lösung, doch ich komme nicht dahinter, was es damit meinen könnte…“ Daniels Stimme brach in Verzweiflung und er sank auf den Boden. Melody hatte ihm die ganze Zeit mit offenem Mund zugehört und dann sagte sie: „Dann lass uns das Rätsel hören!“ Und Daniel wiederholte, was das Orakel gesagt hatte: „Es gibt nur eines, was zwei liebende Herzen auf ewig verbindet; Zwei Herzen schlagen in einer Brust.“ Melodys Stirn legte sich in Falten und auch Faya sah ratlos aus. Doch plötzlich schrie Melody auf und rief: „Es ist ganz einfach! Überleg doch nur einmal! Zwei Herzen schlagen in einer Brust!“ „Ich kenne diesen Satz bereits, Melody und ich verstehe ihn trotzdem nicht, auch wenn du ihn noch ein dutzendmal wiederholst!“ Daniel wurde wütend. „Oh Daniel, das Orakel meint ein Kind!“ Dieser Satz traf Daniel mit der Wucht eines Baseballschlägers. Er rang nach Luft und fragte: „Was?!“ „Nur ein Kind kann euch auf ewig verbinden, weil ein Teil eines jeden von euch an das Kind weitergegeben wird. Eure beiden Herzen werden zu einem in dem Kind, so ist das gemeint!“ Daniel verstand natürlich, was die Fee meinte, doch es zu akzeptieren fiel ihm schwer. Wie sollte er Élira davon überzeugen, ein Kind von ihm auszutragen? Das würde sie einer entsetzlichen Gefahr aussetzen, denn eine Schwangerschaft konnte nicht auf ewig verborgen werden. Und Larian würde seinen Anspruch auf Élira niemals aufgeben. Lieber würde er akzeptieren, dass Élira getötet würde, dessen war Daniel sich sicher. Doch wenn es die einzige Möglichkeit war, Fíala zu retten, dann musste er es einfach wagen.

 

Der Tag war inzwischen so weit fortgeschritten, dass die Sonne Daniels vor Kälte starren Körper aufwärmte. Er saß auf Faya und genoss die Sonnenstrahlen, die seine Nase kitzelten. Für einen kurzen Moment waren alle Ängste und Sorgen vergessen. Doch dann rief Faya von unten plötzlich etwas, das Daniels Herz für einige Sekunden aussetzen ließ: „Daniel! Das Schloss, es brennt!“ Daniel sah alarmiert nach unten und sah Schloss Xarxes, oder das, was noch davon übrig war. Dicke Rauchwolken waberten über dem Schlossgrund hin und malten bizarre Gestalten in den Himmel. Die Flammen züngelten aus jeder Öffnung. Aus Fenstern und Türen brachen Sie hervor wie riesige, orangerote Zungen, die nach Daniel greifen wollten. „Faya, du musst wieder höher steigen! Es ist zu gefährlich hier unten!“ Das ließ Faya sich nicht zweimal sagen. Sie hob die Nüstern in die Luft und preschte weiter nach oben. Melody war so verängstigt, dass sie überhaupt nichts mehr sagte, sondern sich nur an Daniels Ohr festklammerte während sie am ganzen Leib zitterte. Faya segelte weit und landete schließlich an den Grenzen von Dun Willéad. Traurig sah Daniel, dass selbst der goldene Wald von der Krankheit fest im Griff gehalten wurde. „Daniel, Schloss Xarxes… ich sage dir das nicht gern, aber es gab in der letzten Zeit kein Gewitter, somit auch keine Blitze und die Winzlinge würden niemals ausversehen einen Herd anlassen. Das war Brandstiftung.“ Faya sah Daniel lange an. Doch dieser dachte zuallererst an die, von denen Faya soeben geredet hatte: „Die Winzlinge! Wir müssen zurück, Faya! Wir müssen sie retten oder zumindest versuchen, zu retten, was zu retten ist! Ich kann sie nicht einfach bei lebendigem Leib verbrennen lassen!“ Tränen der Wut und Verzweiflung stiegen in Daniels Augen auf. Faya war zwar nicht begeistert, zu dem Feuer zurück zu fliegen, denn es bedeutete, dass sie Sie alle in Gefahr brachte. Doch Daniel hatte es gesagt und letztendlich, auch wenn Sie Freunde waren, war Daniel noch immer der König. So ließ sie ihn wieder aufsteigen und flog, so schnell der Wind sie trug zurück zum Schloss.

 

-7-


-Bétrandirs Verrat-

 

Als Faya vor dem Schloss landete, zog Daniel seinen Mantel über seinen Kopf und stürzte sich in die Flammen. Der Rauch schloss sich um seine Nase und seinen Mund, drückte immer weiter in seine Atemwege. Er war wie eine Hand, die ihn würgte, um ihm die Luft zu rauben. Seine Augen brannten und die Hitze stieg von Minute zu Minute, die er im Schloss verbrachte. Durch den schwarzen Rauch war kaum die eigene Hand vor Augen zu sehen, und so konnte Daniel auch keinen einzigen Winzling entdecken. Seine Suche wurde immer verzweifelter und hektisch schlug er mit der Hand in den Rauch, um ihn zu vertreiben. Da sah er einen kleinen, winzigen Körper auf dem Boden liegen. Daniel stürzte nach vorne und hob den Winzling auf. Er schlug ihn in seinen Mantel und setzte die Suche fort. Der Winzling hing in seinen Armen und regte sich nicht. Er war schlaff und es war kein Puls zu spüren. Doch dann sagte das kleine Wesen ein einziges Wort, röchelnd, kaum verständlich und so leise, dass Daniel sich nicht sicher war, ob er es überhaupt richtig verstanden hatte. Aber es war die einzige Hoffnung, die er hatte - „Küche“. Daniel beschleunigte seinen Schritt, rannte die Marmortreppe zur Küche hinab und stoß die schwere Türe auf. Da sah er Sie; an die hundert Winzlinge lagen gefesselt und geknebelt auf dem Boden. Einige wehrten sich noch verzweifelt gegen die Fesseln, andere lagen reglos, wie tot auf dem Boden. Tränen der Wut stiegen Daniel in die Augen, denn er konnte nicht begreifen, wie jemand so grausam sein konnte, das Schloss anzuzünden und den Winzlingen absichtlich die Chance zu nehmen, ihr Leben zu retten. Die Winzlinge waren die harmlosesten und treuesten Wesen, die Daniel kannte und er konnte sich nicht erklären, weshalb jemand sie hätte umbringen wollen.

Mit Fayas und Melodys Hilfe, gelang es Daniel, die bewusstlosen Winzlinge in den Schlossgarten zu bringen. Im Erste Hilfe Kurs der Fahrschule hatte er die Mund-zu-Mund Beatmung gelernt und versuchte nun, dieses Wissen abzurufen, um die Sauerstoffversorgung der Kleinen zu gewährleisten. Nach und nach kamen die Winzlinge wieder zu sich, doch für Sieben von Ihnen, einschließlich dem, der das Leben der anderen gerettet hatte, war die Hilfe zu spät gekommen – ihre Lungen hatten den giftigen Rauch nicht länger ertragen und ihr Herz-Kreislauf System war kollabiert. Wieder rannen Daniel die Tränen über das Gesicht, als er allein mit den Händen ein Grab für die Winzlinge aushob und Sie dann behutsam in seinen schönen Mantel einschlug und in das Loch bettete. Dann schüttete er das Grab wieder zu, das sich direkt unter einem Busch voller roter Rosen befand, der den Kampf gegen die Krankheit noch nicht aufgegeben hatte. Er blieb noch eine Weile vor dem Grab stehen und ging dann zurück zu den anderen Winzlingen, Melody und Faya. Er sah in den Kreis der Winzlinge, die noch ganz benommen schienen und sagte dann: „Ich weiß, wir alle sind geschockt und verstehen nicht, wie das geschehen konnte und ich weiß auch, dass die Trauer euch gerade übermannt. Doch wenn Ihr mir sagen könnt, wer euch das angetan hat, wer das Schloss angezündet hat, dann bitte, sagt es mir und ich verspreche euch, dass ich den Verantwortlichen finden und zur Verantwortung ziehen werde.“ Die Winzlinge blieben stumm und sahen Daniel mit vor Angst geweiteten Augen an. Nur ein einziger traute sich nach vorne und sprach mit zitternder Stimme: „Wir waren in der Küche und wollten das Abendessen vorbereiten, denn wir hatten gehört, dass Majestät auf dem Heimweg sei. Plötzlich hörten wir von draußen laute Geräusche und eine Stimme brüllte: „Brennt alles nieder! Ich sorge dafür, dass diese Stiefelleckenden, kleinen Erdlochkriecher den Morgen nicht mehr erleben!“ Einer von uns war nach draußen gerannt, um zu sehen, wer da war und sah… und sah die Drachen. Da waren drei riesige Drachen und auf einem von Ihnen ritt ein Dunkelelf. Seine Haare waren schwarzbraun und er hatte grausam blitzende schwarze Augen und eine Stimme, die zischte wie ein giftiger Pfeil.“ Der Winzling hielt inne und Daniel keuchte: „Bétrandir! Dieser elende Verräter!“ Der Winzling schluckte und meinte dann: „Dann kam unser Bruder zurück und erzählte uns, was er gesehen hatte. Er sagte, er wolle den König warnen gehen und wir sollten uns in Sicherheit bringen. Doch er… er kam nicht mehr zurück… und dann kam dieser Elf herein und er packte uns und er fesselte unsere Körper und steckte uns schmutzige Lumpen in den Rachen. Dann lachte er bösartig und sagte, dass dies der Preis dafür sei, dass wir einem dreckigen Heuchler und Lügner dienen würden.“ Die Stimme des Winzlings brach und er schluchzte leise. Ein anderer von Ihnen beendete die Erzählung indem er flüsterte: „Und dann kam das Feuer…“

 

Daniel wusste nicht, was er sagen sollte. Der Schock über das, was den Winzlingen widerfahren war, saß noch zu tief. Die Ruine von Schloss Xarxes schwelte noch immer, während giftige, schwarze Rauchwolken den Himmel verdeckten. Sie konnten unmöglich hier sitzen bleiben, schutzlos, während Bétrandir der Verräter ihnen nach dem Leben trachtete. „Ich weiß, am liebsten würdet Ihr hier sitzen bleiben, euch ausruhen, den Schmerz verdauen. Doch wir müssen von hier weg. Schloss Xarxes ist nicht länger ein sicherer Ort, für keinen von uns. Glaubt mir, es wird eine Zeit kommen, um zu trauern – doch diese Zeit ist nicht jetzt. Zuerst müssen wir uns in Sicherheit bringen.“ Daniel sah Melody und Faya an und fühlte sich plötzlich dumm und unwissend, als er fragte: „Weiß eine von euch, ob König Zirion eine Art Zufluchtsort hatte? Wir können hier nicht bleiben.“ „König Zirion hat eine Festung im weiten Wald, nicht fern von Haevelsteen. Diese Festung wird von einigen Waldbürgern bewacht. Ihr Anführer ist Meinhard.“ Daniel war erleichtert. Zu wissen, dass Meinhard diese Festung, den Fluchtort bewachte, gab ihm ein Gefühl der Sicherheit. „Gut, dann werden wir uns noch jetzt auf den Weg zu der Festung machen. Wir müssen schnell gehen und leise. In den Schatten der Nacht und der frühen Morgenstunden. Wenn die Sonne hell am Himmel scheint müssen wir verborgen bleiben. Dann können wir schlafen.“ Daniel erhob sich und der Trott der Winzlinge setzte sich in Bewegung. Immer hinter ihrem König her, voller Zuneigung, voller Vertrauen. Daniel wusste, dass kein Winzling ihm einen Vorwurf machte, dass er nicht da gewesen war, als Bétrandir Feuer und Tod über Sie gebracht hatte. Doch in Daniel brodelten Schuldgefühle, wie Vulkane, die kurz vor dem Ausbruch standen.

 

Die Nacht neigte sich dem Ende zu und die ersten Strahlen der Sonne küssten das kranke Fíala wach. Daniel hatte Faya voraus geschickt, um einen geschützten Ort zu finden, an dem das Gefolge den Tag verbringen konnte. Als sie endlich zurück kam, blickte sie wohlwissend zu Daniel. „In circa zwei Kilometern kommen wir an einen großen Baum, mit ausladenden Wurzeln, die großflächig oberhalb der Erde liegen. Dort finden die Winzlinge den optimalen Schutz und auch wir liegen einigermaßen blicksicher.“ Faya schien zufrieden und stolz auf ihre Arbeit. „Gute Arbeit Faya.“ Daniels Stimme spiegelte all seine Anerkennung und seine Zuneigung zu Faya wider. Faya wieherte leise und stupste Daniel mit den Nüstern an seine Schulter, als wolle sie sagen: „Für dich ist mir kein Weg zu weit.“ Die Winzlinge schienen müde und erschöpft von dem weiten Weg, den Sie bereits zurückgelegt hatten und Sie sehnten sich nach Schlaf. Zudem hatten viele noch immer mit den Folgen ihrer Rauchvergiftung zu kämpfen, was das Atmen schwer machte. Doch endlich kam vor ihnen die große alte Buche in Sicht, die den Schlafplatz stellen sollte. Die Winzlinge fielen sofort in einen Erschöpfungsschlaf, zusammengepfercht unter einer besonders wuchtigen Wurzel. Faya legte sich ganz in die Nähe des Stammes, Daniel bettete seinen Kopf auf ihren Rist und Melody kuschelte sich in Fayas rechtes Ohr. „Schlaf nur, Daniel. Ich übernehme die erste Wache“, sagte Faya und Daniel ließ sich das nicht zweimal sagen. Auch ihn hatte der lange Marsch zermürbt und seine Glieder sehnten sich nach Schlaf.

 

Er schien noch keine halbe Stunde zu schlafen, als Faya sich wieder meldete: „Es tut mir Leid, dich wecken zu müssen, Daniel. Aber mir fallen die Augen zu und schlafend bin ich kein guter Wachposten.“ Sie schien ihre Müdigkeit wirklich zu bedauern, doch Daniel konnte sie verstehen und machte ihr keinen Vorwurf. Als er schließlich Melody weckte, die ihn ablösen sollte, war die Sonne bereits orange und senkte sich dem Boden zu. „Melody, du übernimmst die letzte Wache. Ich sehe mich in der Gegend ein wenig um und versuche, etwas Essbares aufzutreiben.“ Melody nickte kurz, krabbelte an den Rand von Fayas Ohrmuschel und flatterte dann auf die Wurzel, unter der die Winzlinge noch schlummerten. Daniel erkundete die nähere Umgebung, immer auf der Suche nach einem Strauch, der vielleicht ein paar Beeren oder Nüsse trug. Doch wohin er seinen Blick auch lenkte, da war nur öde Steppe und weit, weit in der Ferne, der schwarze Schatten des weiten Waldes. Sie hatten noch mindestens einen ganzen Tagesmarsch vor sich. Ohne Nahrung würden Sie das nicht schaffen. Die Winzlinge waren schon jetzt viel zu ausgelaugt, als dass Daniel ihnen überhaupt solch einen weiten Weg zumuten wollte, doch es blieb ihm nichts anderes übrig. Irgendwo da draußen trachtete Bétrandir nach ihrer aller Leben. Ohne etwas Essbares in den Händen und mit trotzig knurrendem Magen kam Daniel zurück zu der großen Buche. Er wusste nicht, wie er den Nahrungsnotstand seinem Gefolge erklären sollte. Doch da sah er, dass Faya kaute und auch die anderen hatten etwas in den Händen. „Da bist du ja!“ piepste Melody völlig aufgeregt. „Als Faya erwacht ist, hat sie mir erläutert, dass die Rinde dieser Buche essbar ist! Probier ruhig mal, es schmeckt wirklich hervorragend und sättigend ist es auch noch!“ Daniel beschwerte sich nicht über den unnötigen Fußweg, sondern setzte sich im Schneidersitz auf den staubigen Boden, nahm ein dünnes Stück der Rinde und biss vorsichtig hinein. Sofort explodierten in seinem Mund alle Geschmacksnerven. Die Rinde schmeckte nussig, zimtig, fast wie die Pfefferkuchen seiner Mutter. Sie schmeckte süß und würzig, mild und scharf zugleich. Sie erfrischte und sättigte, stillte Hunger und Durst und brachte das Rot in Daniels ausgehungerte Wangen zurück. Auch die kleinen Winzlinge waren nach einem ausgedehnten Frühstück wieder besser auf den Beinen und hatten neuen Mut gefasst. Jeder Winzling nahm einen Schluck Wasser aus Daniels Feldflasche und da Sie so klein waren, dass jeder Schluck praktisch nur einen Tropfen ausmachte, blieb auch noch genug für Daniel. Er wies jeden Winzling an, sich die Taschen mit Rinde zu füllen und dann machte sich die Gruppe wieder auf den Weg.
Die Euphorie der frühen Nacht erlosch jedoch schon nach wenigen Stunden. Es schien, als gingen Sie auf der Stelle. Der Anblick um Sie herum änderte sich nicht, es gab nirgends auch nur ein Anzeichen eines Unterschlupfes und der Tag rückte immer näher. „Faya, weißt du, wie weit es noch bis zu der Festung im weiten Wald ist? Wenn die Sonne aufgeht und wir sind noch auf dieser öden Steppe, ohne Unterschlupf und für jeden sichtbar – das wäre verhängnisvoll.“ Sorgenfalten lagen auf Daniels Gesicht, als er Faya diese Frage stellte. „Nun, ich nehme an wir könnten den weiten Wald in einer Stunde erreichen.“ Daniels Gesicht erhellte sich, doch Faya musste seine Freude bremsen. „Nur, wenn wir fliegen.“ Faya sah Daniel lange und intensiv an und er wusste, was sie ihm damit sagen wollte. „Okay, wir fliegen.“ Daniel mochte die Vorstellung nicht, durch den Himmel zu fliegen, ungeschützt vor neugierigen Blicken, mit der Sonne, die sich bereits über den Waldrand schob. Doch es war die beste Lösung. Er setzte sich also auf Faya und half dann den Winzlingen auf ihren Rücken. Sie kletterten an Daniels ausgestrecktem Arm empor und setzten sich dann in Fayas Mähne, die kleinen Händchen in ihre Mähne gekrallt. Und endlich hoben Sie ab. Die Morgenluft streichelte sanft über Daniels Gesicht, tröstlich und doch so scheinheilig. Als wäre Fíala nicht dem Tode geweiht.

 

-8-

 

-Irmhild-

 

Nach etwas mehr als einer Stunde hatten sie tatsächlich den weiten Wald erreicht, oder besser das, was von ihm noch übrig war. Seine Bäume reichten weit in den Himmel, doch ihre schwarzen, blattlosen Stämme glichen verkohlten Skeletten. Das aschgraue Laub ringsum zerbrach krachend in tausend Teile, wenn man auf es trat und hinterließ nichts, als eine graue Sandschicht auf dem Boden zurück. Noch war die Festung nicht zu sehen und so mussten Sie stetig weiter gehen. Das Krachen des Laubes hallte unwirklich im weiten Wald wieder. Vervielfacht durch die vielen Füße, verräterisch. Und plötzlich rief Faya: „Da vorne kommt jemand! Da kommt jemand auf einem großen Tier geritten, aber es ist kein Pferd.“ Daniel griff nach seinem Schwert, bereit sein Gefolge gegen das, was da kam, zu verteidigen. Und schließlich sah er sie. Es war eine junge Frau oder vielmehr ein Mädchen, das auf einem schwarzen, riesigen Wolf ritt. Es hatte rotes Haar, das in einem wilden Afro von seinem Kopf ab stand und dessen Locken bei jedem Tritt des Wolfes von seinen Schultern absprang, wie Sprungfedern. Ihre Augen waren Blattgrün und um die Nase hatte sie dutzende Sommersprossen. Gekleidet war das Mädchen in einer dunklen Lederhose und einer hellblauen Tunika, über der sie eine Fellweste trug. Ihre braunen Stiefel waren abgenutzt. Auf ihrem Rücken erahnte Daniel einen Bogen und einen Dolch an ihrer linken Seite. Sie schien zu den Menschen aus Haevelsteen zu gehören, doch Daniel ließ sein Schwert nicht sinken. Schließlich stand sie vor der Gruppe, ihr Wolf hechelte und wedelte mit dem Schwanz. Es war dieser Anblick, der Daniel das Schwert sinken ließ. Der Wolf schien so neugierig und freundlich gesinnt, wie er seinen Kopf schief legte und die Ohren spitzte. „Na, ihr seid mir ja ein König“, sagte das Mädchen plötzlich und klang dabei ziemlich belustigt. „Ich soll euch hier freundlich empfangen und ihr bedroht mich mit eurem Schwert.“ Daniel musterte sie nochmal genauer und erwiderte dann: „Es tut mir Leid, doch ich kann nicht wissen, was mich hier erwartet. Mein Gefolge wurde angegriffen und wir wissen nicht, ob uns nicht jemand gefolgt oder sogar zuvorgekommen ist. Willst du mir nicht erst mal deinen Namen verraten? Wer ich bin, hast du ja schon ganz treffend erkannt.“ Das Mädchen grinste und sagte dann mit einer klitzekleinen Neigung des Kopfes: „Ich bin Irmhild. Zu euren Diensten, Majestät.“ „Also gut, Irmhild. Und wer hat dich beauftragt, uns abzuholen?“ entgegnete Daniel und kniff die Augen zusammen. „Na wer wohl? Mein Papa!“ rief Irmhild und lachte laut los. Ob sie sich über Daniel lustig machte oder einfach nur einen sehr seltsamen Sinn für Humor hatte, konnte Daniel nicht sagen. „Und wer bitte ist dein Papa?“ fragte Daniel und wurde langsam zornig. „Mein Papa ist Meinhard, der Herr der Burg Brandstein.“ Irmhild wickelte eine ihrer wilden Locken um ihren Finger und grinste Daniel weiter wissend an. Meinhard! Daniel war so erleichtert, dass er diesem kleinen Nervenbündel ihr Gehabe sofort verzieh. „Dann bitte ich dich, Irmhild, führe uns zur Burg Brandstein und zu deinem Papa.“

 

Meinhard empfing Daniel und seine Gefährten herzlich an der Pforte der Burg. Auf seinem wettergegerbten Gesicht lag ein Strahlen, dass Daniel für einen Moment alle Sorgen vergessen ließ. Meinhard führte die Gruppe in die Burg und ließ das Tor schließen. „Wie ich sehe, hat Irmhild euch wieder gefunden“, sagte er dann und geleitete Daniel an einer Schmiede vorbei zum großen steinernen Burgfried. „Wieder gefunden? Ich habe eure Tochter eben zum ersten Mal gesehen“, entgegnete Daniel verdutzt. „Irmhild ist oft draußen unterwegs und erkundet die Gegend, sie hat Augen wie ein Luchs und euch daher schon von Weitem gesehen. Trotzdem hat sie sich erst noch meine Erlaubnis geholt, bevor sie euch entgegen geritten ist. Glaubt mir, das tut sie nicht immer. Sie ist schon sehr selbstständig mit ihren fünfzehn Jahren. Selbstständiger als es mir lieb ist.“ Meinhard lächelte traurig und wies dann auf eine große hölzerne Tafel, die bereits gedeckt war. Faya hatte sich in eine Ecke des Saales zurückgezogen und sich auf die Decke gelegt, die man ihr angeboten hatte. Die Winzlinge hatten darauf bestanden, außer Sichtweite des Königs zu bleiben und den Mägden zur Hand zu gehen. So saß nur Daniel, mit Melody auf der Schulter an dem ihm zugewiesenen Platz. Nach und nach füllte sich der Saal mit den Bewohnern der Burg. Das waren zum Großteil Männer, die die Festung bewachten. Die einzigen Frauen, die nicht Mägde waren, waren Irmhild und Meinhards Frau Jonata. Jonata sah ihrer Tochter sehr ähnlich, doch ihre Locken waren weniger stark und ihr Haar war blond. Doch auch sie hatte grüne Augen und Sommersprossen im Gesicht. Sie war eine sehr schöne Frau und hatte ihre Schönheit an ihre Tochter vererbt. Diese saß nun gegenüber von Daniel und sah plötzlich so anders aus. Sie trug nun ein hellgrünes Kleid, das mit dunkelgrünen Blumen bestickt war und hatte ihre Haare zu einem kunstvollen Knoten im Nacken gebunden, in den Margeritenblüten eingeflochten waren. Wie sie so dasaß sah sie wirklich aus, wie eine junge Frau und nicht wie ein fünfzehnjähriges Mädchen. Doch sie schien sich in ihrem Outfit gänzlich unwohl zu fühlen. Sie saß keine zwei Minuten still und zupfte ständig an ihrem Kleid herum, ihr Gesicht schien genervt und abwesend. Als das Mahl sich dem Ende näherte, sprang Irmhild als erste auf und marschierte zielstrebig aus dem Saal, ohne ihre Eltern noch eines Blickes zu würdigen. Jonata richtete ihre Smaragdgrünen Augen auf Daniel und sagte: „Es tut mir sehr leid, Majestät. Unsere Tochter befindet sich in einer schwierigen Phase. Sie ist kaum zu bändigen.“ Jonata lächelte traurig, wie es zuvor auch schon Meinhard getan hatte und Daniel sah einen tiefen Schmerz in ihren Augen. Dann erhob sich auch Jonata, knickste vor Daniel und ging aus dem Saal. Auch die Wachposten gingen an ihre Stellungen zurück und so waren am Ende nur noch Daniel und Meinhard im Raum. Meinhard goss Daniel noch einen Krug Met ein und fragte dann, was genau geschehen war. Daniel erzählte von Bétrandirs Verrat, von dem brennenden Schloss und den gefesselten Winzlingen und war so froh, in der warmen Burg Brandstein zu sein. In Sicherheit.

 

Der Mond schien hell und ließ die Burg in einem unheimlichen Licht leuchten, als Meinhard Daniel mit einer Fackel auf sein Zimmer geleitete. Dort angekommen, entzündete er eine Fackel an der Wand, wünschte Daniel eine gute Nacht und verschwand. Daniel entkleidete sich und schlüpfte unter die dicke Decke. Er träumte wirre Dinge, träumte vom Krieg, von Zeylon und von Zirion und schließlich, wie in jeder Nacht, von Élira. Élira, die neben ihm lag, den Kopf auf seiner Brust. Élira, die lachte und ihn anstrahlte. Élira, als Braut des falschen Mannes. Élira, schwanger, am Pranger. Élira. Tot.

 

Schweißgebadet erwachte Daniel. Sein Herz klopfte wild und unrhythmisch. Er musste an die frische Luft. Also nahm er seine Hose und sein Hemd, schlüpfte hinein und ging hinaus. Er konnte kaum etwas sehen und folgte nur dem Lufthauch auf seiner Haut, der ihm den Weg nach draußen weisen sollte. Doch da hörte Daniel etwas und blieb stehen. Leises Schluchzen drang aus einem Zimmer ganz in Daniels Nähe. Er folgte dem Geräusch und kam schließlich an eine Tür, die einen Spalt breit offen stand. Er schob sie leise auf und sah Irmhild. Sie kauerte vor dem Ofen ihres Zimmers, doch dieser hatte nur noch einen winzigen Rest Glut übrig. Daniel trat hinein und sagte leise: „Irmhild? Bitte erschrick nicht, hier ist Dan… Damian. König Damian.“ Irmhild schreckte auf und ihre Augen weiteten sich. Sie wich an die Wand zurück, wie ein verschrecktes Tier. Sie schien völlig verängstigt, ja verstört. Und dann sah Daniel es. Ihr weißes Nachthemd war Blutbefleckt und auch ihre Hände, die sie nun schützend vor ihr Gesicht hielt waren braun von getrocknetem Blut. Daniel erblickte ihr Bett. Es sah aus, wie ein Schlachtfeld. Das Laken, die Decken, alles voller Blut. Was, um alles in der Welt, war hier passiert? „Geht weg. Bitte. Geht weg.“ Irmhild begann erneut zu weinen und Daniel wusste, er konnte das Mädchen in ihrem Zustand unter keinen Umständen alleine lassen. Vorsichtig näherte er sich ihr und setzte sich dann neben sie. Er streichelte ihren Kopf und sagte: „Du musst mir nichts erzählen, aber sieh – so kannst du ja nicht weiter schlafen. Komm, wir machen dir ein frisches Bett und dann brauchst du ein neues Nachthemd.“ Irmhild schüttelte den Kopf und ihre Locken peitschten in Daniels Gesicht. „Nein, bitte. Ich will nicht, dass eine von den Mägden sieht, wie es hier aussieht.“ In Daniels Gehirn arbeitete es. Irmhild würde ihn keine Magd rufen lassen, soviel stand fest. Aber vielleicht würde sie sich zumindest dazu überreden lassen, ein frisches Nachthemd anzuziehen. „Okay, hör zu. Du nimmst dir jetzt ein frisches Nachthemd aus dem Schrank und dann gehen wir in das Bad. Du wäschst dich und dann kannst du in meinem Bett schlafen. Ich schlafe dann auf dem Fell vor dem Kamin. Das macht mir nichts. In Ordnung?“ Nur zögernd nickte Irmhild und ging schließlich zum Schrank, um sich ein neues Nachthemd zu holen.

 

Als Irmhild fertig mit dem Bad war, geleitete Daniel sie in sein Gemach. Er nahm eine der Decken aus dem Bett, klopfte das Kissen auf und zeigte Irmhild, dass sie sich hinlegen solle. Schließlich wollte er sie zudecken und sich mit der zweiten Decke auf das Fell zurückziehen, doch plötzlich hatte Irmhild seinen Arm in ihrer Hand, fest wie ein Schraubstock. „Könnt ihr… könnt ihr nicht hier bei mir schlafen?“ „Hör zu, Irmhild. Ich bin der König und du bist die Tochter meines treuesten Mannes. Ich kann mich nicht zu dir ins Bett legen, ohne böse Zungen zu riskieren. Vor allem nicht, wenn die Mägde sehen, wie es in deinem Bett aussieht. Das musst du verstehen.“ Daniel streichelte Irmhild über die Wange und auf einmal wusste er, dass in dieser Nacht aus dem Mädchen eine Frau geworden war und dass es das war, was sie so verunsichert hatte. Er deckte das Mädchen zu, legte sich auf das Fell und fiel endlich in einen traumlosen Schlaf.

 

 

-9-

 

-Ein Herz, so süß und kalt-

 

Der Morgen kam mit einer bitteren Kälte. Daniel wusste nicht, wie lange der Ofen schon keine Glut mehr hatte, doch er musste lang genug aus gewesen sein, um Daniels Körper in einen Eisklotz zu verwandeln. Er konnte sich kaum regen, nur seine Zähne klapperten pausenlos aufeinander. Endlich sah er vor sich drei Winzlinge wuseln, die wie die Bienen um ihn herum schwirrten. Zwei der drei machten den Ofen an und der vierte half Daniel in seine steifgefrorenen Socken. „Guten Morgen, Majestät“, piepste der Kleine ganz aufgeregt, und schien völlig von der Rolle, weil ihm die Ehre zuteil geworden war, des Königs Füße anzukleiden. „Das Frühstück ist bereits aufgetischt, wenn Majestät danach ist. Aber wieso nur haben Majestät nicht im warmen Bett geschlafen?“ Verlegen sah der Winzling nach oben. Daniel drehte sich um und sah, dass Irmhild aus seinem Bett verschwunden war. Immerhin konnte nun niemand auf falsche Gedanken kommen.

Als Daniel den großen Saal zum Frühstück betrat, kam ihm die warme Luft des großen Kamins entgegen, wie eine Wand. Endlich war es warm! Doch aus einem, ihm nicht ersichtlichen Grund, schienen die Bewohner der Burg besorgt zu sein. Meinhard kam mit großen Schritten auf ihn zu und sagte: „Mein König, es ist gut, dass ihr erwacht seid. Wir machen uns große Sorgen. Es scheint, dass über Nacht der Winter über den weiten Wald gekommen ist. Wir wissen nicht, wie das passieren konnte. Gestern waren es noch über zwanzig Grad, es war Sommer und jetzt…“, Meinhard brach ab und eine Sorgenfalte zog sich quer über seine Stirn. Auch Daniel wusste nicht, wie dieser Zustand zu erklären war. Er sah aus dem Fenster. Dicke Schneeflocken wirbelten davor umher und an den Rändern der Fenster hatten sich Eiskristalle gebildet. Schön und doch grausam. Nun kam auch Jonata auf Daniel zugelaufen. Sie knickste elegant vor ihm und sagte dann: „Das größte Problem, Majestät, ist nicht der Winter an sich, sondern dass das Holz des weiten Waldes kaum zum heizen zu gebrauchen ist. Die Krankheit hat das Holz so geschädigt, dass es nicht mehr als ein paar Minuten brennt und dann sogleich zu Asche zerfällt, so wie das Laub der Bäume. Wir haben rund um die Burg schon etliche Bäume fällen lassen, doch damit lässt sich gerade mal dieser Saal hier für ein paar Stunden beheizen. Wir können doch nicht den gesamten Wald niederholzen! Bitte, Majestät, sagt, dass ihr eine Lösung für dieses Problem habt.“ Jonatas Augen schwammen in Tränen. Daniel wollte ihr so gern sagen, dass er wusste, weshalb der Winter so plötzlich Einzug erhalten hatte, doch er konnte es nicht. Traurig senkte er den Blick und schüttelte den Kopf.

 

Schweigend aßen die Bewohner der Burg ihr Frühstück und Daniel zermarterte sich das Hirn nach einer Lösung. Hatte der Winter mit Fíalas Krankheit zu tun? Doch dann war er, König Damian die Ursache! Oder besser sein krankes Herz. Melody flatterte zu Daniel und setzte sich auf seine Schulter. Dann flüsterte sie in sein Ohr: „Mein kleiner Prinz, du bist eiskalt. Ich mache mir große Sorgen um dich.“ Sie streichelte mit ihrer kleinen Hand über Daniels Wange. Die liebevolle Berührung fühlte sich an, wie Eis, das in der Sonne schmolz. Nur war Melody nicht das Eis und Daniel war nicht die Sonne. Nein, Daniel, König Damian war das Eis, der grausame Winter, kalt, erbarmungslos. Daniel blinzelte die Tränen weg, die sich ihren Weg in seine Augen bahnen wollten und entgegnete: „Melody, ich glaube, dass ich die Ursache für den Winter im weiten Wald bin. Wir müssen weg von hier, bevor die Waldmenschen meinetwegen erfrieren. Ich hoffe, dass dann der Sommer zurück kommt.“ Melody sah ihn verständnisvoll an und flatterte dann zu Faya zurück.
Nach dem Frühstück bat Daniel Meinhard um ein Gespräch. Sie zogen sich in Meinhards Zimmer zurück und Daniel unterbreitete Meinhard seinen Entschluss. „Dann wollt ihr sagen, dass ihr der Grund seid, weshalb der Winter so plötzlich gekommen ist?“ Daniel nickte und sagte: „Nicht ich -nur mein krankes Herz.“ „Das ist nicht gut, König Damian. Wenn euer Herz so krank ist, dass es eine solche Kälte hervorbringen kann, dann bedeutet das doch, dass wo immer ihr auch hingehen werdet, der Winter euch auf dem Schritt folgen wird. Wenn euer Herz so kalt ist, dann weiß ich nicht, ob es noch gerettet werden kann.“ Meinhard blickte zu Boden. Er wusste, was er da gerade gesagt hatte. Wenn es für Daniels Herz keine Rettung mehr gäbe, so wäre Fíala verloren.

 

Meinhard und Daniel gingen zurück in den Saal und Daniel verkündete Meinhards Gefolge seine Entscheidung. Er verschwieg jedoch, dass er die Ursache für den Winter war. Er wollte nicht, dass sich die Bewohner der Burg unnötige Sorgen machten. Jonata brachte Daniel einen schönen, dicken Fellmantel von Meinhard und ein paar gefütterte Stiefel. Auch für Faya hatte sie eine große Satteldecke mit bunten Flicken. Melody brauchte nichts, denn die kleine Fee trug ihre Wärme in sich. Temperaturunterschiede konnten ihr nichts anhaben. Eine Winzlingfrau brachte Daniel seine frisch gefüllte Feldflasche und Versorgung für den Weg. Frisches Brot, getrockneter Schinken, Nüsse und Beeren. Daniel hatte beschlossen, dass die Winzlinge auf Burg Brandstein bleiben sollten. Es war ihre Veranlagung, den Menschen zur Hand zu gehen und er wollte, dass sie sich wohl fühlten. Daniel verabschiedete sich von Meinhard und Jonata, dankte den Wachposten für ihre Mühe und trat aus dem Tor.
Im Burghof stand Irmhild. Ihre Haare flatterten im Wind, im Gleichklang mit ihrem schönen weißen Mantel. Hermelinfell, dachte Daniel. Sie ging auf Daniel zu und nahm seine Hände in Ihre. „Ich weiß, dass ihr geht, weil ihr euch hierfür verantwortlich haltet. Euch und euer kaltes Herz. Doch ich weiß genau, dass ihr in euch so viel Liebe besitzt. Die Frau, der diese Liebe gehört, ist der Schlüssel. Das spüre ich. Manchmal ist das Leben nicht einfach und manchmal ist es auch die Liebe nicht. Doch wenn ihr Fíala damit retten könnt, dann bitte ich euch: Sucht sie, liebt sie, rettet euch, uns und euer süßes, kaltes Herz.“ Sie erhob sich auf ihre Zehenspitzen und hauchte Daniel einen Kuss auf die Wange. Dann ging sie durch das Tor in den Burgfried.

 

Daniel hatte mit seiner Vorahnung Recht gehabt. Wo auch immer er hin ging, das Eis und die Kälte ging mit ihm mit. Wo immer er seinen Fuß hinsetzte, erstarrte die Welt unter ihm zu einer unwirklichen Eislandschaft. Bäume und Büsche, oder das, was nach der Dürre von ihnen übrig war, standen wie gespenstische Eisstatuen vereinzelt auf der Steppe oder klammerten sich an Felswände. Doch die schlimmste Kälte war die Kälte in Daniels Innerem, die sein Herz umklammert hielt und ihm den Brustkorb abschnürte. Bei jedem Schritt schien es ihm, als würden Blitze aus Eis zwischen seine Rippen fahren. Dieser Schmerz ließ ihn alle paar Meter zusammenzucken und seine Augen schließen. Das Gehen war mühsam, er war müde und ihm war kalt. Doch Gehen musste er, wenn er nicht erfrieren wollte. Melody musterte ihn mit sorgenvollem Blick und sagte schließlich: „Nicht weit von hier beginnt Dun Willéad. Wenn wir Glück haben, ist die Krankheit dort noch nicht so weit fortgeschritten, dass wir ein Feuer anzünden und unser Lager aufschlagen können.“ Faya wieherte zustimmend und meinte dann: „Ich kann nicht mehr mit ansehen, wie du leidest, Daniel. Steige bitte auf und lass uns den letzten Rest des Weges fliegen. Ich verstehe sowieso nicht, weshalb du die ganze Zeit darauf bestehst, zu laufen. Wir können alle sehen, dass du dich mit jedem Schritt quälst.“ Sie hatte Recht. Bisher waren sie keinen Meter weit geflogen. Doch Daniel hatte Angst. Er hatte Angst, dass Faya unter ihm zu Eis erstarren würde, sie abstürzen würden, ihr Leben verlieren. Daniels Sicherheit, dass alles gut werden würde, schwand, so wie seine Kraft schwand. Er seufzte und sagte: „Und was ist, wenn du erfrierst, weil du mir zu nahe gekommen bist? Das kann und will ich nicht verantworten.“ Melody lachte ihr glockenklares Lachen und erwiderte: „Aber mein kleiner Prinz. Ist bisher irgendjemand erfroren, nur weil du ihm zu nahe gekommen bist? Nein. Also nun spring bitte über deinen Schatten und lass Faya dich tragen. Wenn du weiterhin läufst, erreichen wir Dun Willéad nicht mehr vor der Nacht.“ Daniel hörte auf, zu protestieren. Er hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Der Kampf gegen die Kälte in seinem Herz kostete ihn alles. Mit dem letzten Willen, den er aufbringen konnte, zerrte er sich über Fayas Rist. Faya knickte ihre vorderen Beine ein, um dem geschwächten König den Aufstieg zu erleichtern. Und endlich saß, oder besser hing Daniel auf Faya. Seine Arme hingen schlaff an ihrem Hals hinunter, der Kopf war ihm auf die Brust gesunken. Melody wusste nicht, was sie tun sollte. Daniel starb! Er starb und sie konnte nichts tun, um es zu verhindern.

 

Als Daniel seine Augen wieder aufschlug, lag er auf weichem Moos. Vor ihm prasselte ein Feuer und er war in Fayas Satteldecke eingeschlagen. Noch immer war ihm kalt, doch zumindest hatte er wieder etwas Kraft getankt. „Daniel!“ rief Melody vor ihm und Tränen der Erleichterung glitzerten in ihren Augen. Faya stupste Daniel an. Sie lag, um ihn zu wärmen hinter ihm. „Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht“, sagte sie leise. „Leider ist dein Zustand immer noch schlecht. Deine Körpertemperatur ist kaum gestiegen, obwohl wir alles getan haben, um dich zu wärmen. Das Feuer hat sogar verhindert, dass der Boden um dich herum gefriert. Aber es scheint wohl nicht genug zu sein.“ Frustriert setzte Melody sich auf Fayas vorderen Huf. „Ihr habt alles für mich getan, was in eurer Macht stand. Ihr habt versucht, mich von außen zu wärmen und das hat mir das Leben gerettet. Aber gegen die Kälte in meinem Herzen gibt es nur ein Heilmittel. Élira. Ich muss sie sehen. Ich muss sie spüren, muss sie lieben. Und sie muss mich lieben. Ich hoffe nur, es ist noch nicht zu spät dafür.“ Daniel wusste, dass es nur diese Lösung gab. Er musste so schnell wie möglich zu Élira. Aber wie sollte er ihr erklären, dass sie ein Kind von ihm austragen musste, um Fíala zu retten? Und wie sollte er dies vor allem den Lichtelfen erklären, die so stolz waren, dass sie nur ihre eigenen Gesetze achteten? Würde er einen erneuten Krieg zwischen den Elfen provozieren? Doch es blieb ihm ja nichts anderes übrig. Es gab nur diese eine Möglichkeit. Er hatte lange genug versucht, Élira aus dem Weg zu gehen. Ihr Leben nicht zu gefährden. Doch durch dieses Verhalten hatte er sein Leben und das Leben Fíalas aufs Spiel gesetzt.
Melody nickte langsam. Sie wusste, dass Daniel Recht hatte. Doch sie wusste nicht, wo Élira sich zu diesem Zeitpunkt befand. Höchst wahrscheinlich war sie in Ézeland, bei Larian. Doch es gab noch die verschwindend geringe Hoffnung, dass sie hier geblieben war, bei ihrem Volk, in Dun Willéad.

 

Melody beschloss, alleine nach der Königin der Dunkelelfen zu suchen. Alleine war sie schneller, als mit dem kranken Daniel im Schlepptau, der sich kaum bewegen konnte. Sie musste Élira dazu bringen, Daniel in das Schloss zu bringen. Dort könnte er dann alles Weitere erklären und hätte vor allem ein weiches, warmes Bett und seine geliebte Elfe um sich. Melody flog bis in die Wipfel der Bäume und darüber hinaus, um sich zu orientieren. Sie waren zwar am Waldrand, des goldenen Waldes, doch der Wald war groß, und wo genau das Schloss war, konnte Melody aus dem Gedächtnis nicht wissen. Das letzte Mal, dass sie hier gewesen war, war über hundert Jahre her. Damals waren sie, Faya und Daniel in den Kerkern des Schlosses eingesperrt gewesen und während ihrer hektischen Flucht, hatte keiner von ihnen einen Blick zurück gewagt. Endlich erblickte sie die Dächer des Schlosses vor sich. Es war perfekt in seine Umgebung integriert. Das Blatt aus dichtem, goldenen Laub, zusammengehalten von Grünen Flechten. Das Schloss selbst war zusammengefügt aus mehreren großen, alten Bäumen, deren Äste so miteinander verwoben waren, dass sie eine ebene Oberfläche bildeten. Die Stämme der Bäume standen so dicht aneinander, dass sie einen perfekten Halbkreis bildeten. Und in der Mitte dieses Kreises befand sich das Tor des Schlosses. Es setzte sich aus zwei miteinander verschlungenen Ästen mit raschelnden goldenen Blättern zusammen, die einen eleganten Bogen bildeten. Dieses Wunder der Natur, das Schloss der Dunkelelfen, erhob sich über mehrere Ebenen, bis in die Wipfel der Bäume hinein. Melodys Herz klopfte wild, als sie die Wachen am Tor erblickte. Wie nur sollte sie die beiden, grimmig dreinblickenden Dunkelelfen dazu bringen, ihr den Weg freizugeben? Die Dunkelelfen waren im allgemeinen nicht gut auf die Feen zu sprechen und Melody wusste, dass sie mit ihren eleganten Bögen, die kleine Fee so schnell ins Jenseits befördern konnten, wie diese das Wort „Schnell“ sagen konnte. Nervös flatterte sie auf die Elfen zu und die beiden Wachen zückten sofort ihre Bogen und legten Pfeile ein. „Bitte, nicht schießen. Mein Name ist Melody und ich gehöre zum Gefolge König Damians. Der König und sein Reittier befinden sich an den westlichen Grenzen des Waldes. Der König ist sehr krank und er erbittet Kost und Unterkunft von den Dunkelelfen.“ Der rechte Elf runzelte die Stirn und sagte dann: „Wir können dies nicht einfach gewähren. Das muss unsere Königin entscheiden. Warte hier.“ Und er verließ seinen Wachposten und ließ Melody mit dem anderen Elfen allein. Melody versuchte ein gezwungenes Lächeln, dass ihm beim Anblick des, noch immer bewaffneten Dunkelelf sofort wieder verging.

 

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der andere Elf zurückkam. Im Schlepptau hatte er einen Trupp weiterer Elfen, die eine Trage zwischen sich trugen. „Königin Élira gewährt dem König und seinem Gefolge Zutritt zu ihrem Schloss und hat uns beauftragt, ihn zu holen. Zeige uns den Weg.“ So setzte sich der Elfentrupp in Bewegung und folgte der kleinen Fee die zügig vor ihnen her schwebte.
Als Faya und Daniel endlich in Sichtweite kamen, sah Melody, dass das Feuer schon wieder aus war. Daniel war aschfahl im Gesicht. Seine Lippen waren blau angelaufen, er hatte Schatten unter den Augen. Melody war in Alarmbereitschaft. Der König stand schon wieder kurz vor dem Erfrierungstod!
„Schnell, beeilt euch! Der König braucht die Hilfe von Élira!“ rief die kleine Fee und der Elfentrott begann zu traben.

 

-10-

 

-Der wahren Liebe echter Wert-

Daniel träumte einen weißen Traum. Es war ihm, als schwebte er auf Wolken aus Zuckerwatte durch ein gleißendes Licht. Wenn das der Tod ist, dann ist er gar nicht so übel, dachte Daniel. Doch dann hörte er eine klare, leise Stimme und ihm wurde klar, dass er doch nicht tot war. „Daniel, oh Daniel. Du darfst nicht sterben, du darfst nicht gehen. Bitte, das darfst du mir nicht antun. Bitte, ich kann doch nicht ohne dich sein. Daniel…“ Schluchzer begleiteten die Worte und dann spürte Daniel etwas Warmes, Nasses seine Wange entlanglaufen. Er öffnete die Augen und sah Élira. Sie saß an seiner Seite, hielt seine Hand und weinte Tränen der Verzweiflung über ihn. „Élira, ich bin nicht tot. Ich bin hier, hier bei dir und ich verspreche dir, ich werde nie wieder von deiner Seite weichen. Weil ich es nicht will und weil ich es nicht kann. Weil es mich umbringt, ohne dich zu sein!“ Daniel richtete sich in seinem Bett auf, so gut er konnte und zog Élira an sich. Die Elfe schien erst verunsichert, doch dann presste sie ihre schönen Lippen auf seine und die Zeit blieb stehen. Er öffnete seine Lippen und ihre Zungen fanden und umschlangen sich in einem Anflug verliebter Verzweiflung. Daniel spürte, wie die Wärme in sein Herz zurück kam. Er merkte, wie seine Finger und Fußspitzen kribbelten, als jagten sich duzende Ameisenvölker durch seinen Körper. Er spürte, wie sein Blut schneller durch seine Venen floss und schließlich sein krankes Herz endlich mit dem nötigen Sauerstoff versorgte. Sein Herz schlug schneller, fester. Es wollte leben!

Nach einer gefühlten Ewigkeit lösten sich die beiden voneinander. Die Wangen gerötet, die Haare zerzaust. Dann fing Élira wieder lautlos an, zu weinen. „So kann das nicht weiter gehen, Daniel. Ich halte diesen Zustand nicht aus. Und du kannst auch nicht bei mir bleiben. Wenn die dich hier finden, dann bringen die mich um!“ Sie zitterte am ganzen Körper, sie musste furchtbare Angst haben. Daniel nahm ihre Hand fester in seine und sagte dann: „Hör zu, Élira. Dass ich nun schon zweimal kurz vor dem Erfrierungstod stand, hängt mit dem Zustand meines Herzens zusammen. Mein Herz ist krank, krank vor unerfüllter Liebe. Und deshalb ist es kalt geworden. Weil ein Herz ohne Liebe nicht funktionieren kann. Und wenn mein Herz aufhört zu schlagen, so stirbt Fíala. Ich dachte, es würde reichen, wenn wir uns lieben, uns heimlich treffen. Doch das Orakel hat mir gesagt, dass das nicht reicht. Solange du noch an Larian gebunden bist, können wir – können unsere Herzen niemals vereint sein. Es gibt nur eines, was zwei Herzen für immer aneinander bindet. Eine einzige Möglichkeit, Fíala zu retten.“ Daniel sah Élira lange und intensiv in die Augen. Dann schien sie zu begreifen. „Du meinst… ein Kind? Aber das können wir nicht machen, das geht nicht! Larian und sein Gefolge, sie würden es töten, so wie sie mich töten würden. Und danach würden sie dich vom Thron stoßen, um ihn für sich einzunehmen! Du weißt nicht, wozu Larian fähig ist. Du weißt nicht, wie … böse er ist…“ Mit einem Schaudern brach Élira ab und entblößte dann ihren Körper vor Daniel. Und was er da sah, gab ihm einen schmerzhaften Stoß, mitten ins Herz.
Éliras Körper war übersät von Narben. Dicke, dunkle Striemen, die sich wie hässliche Brandzeichen quer über ihren Rücken, die Arme, Beine und den Bauch zogen. Was um alles in der Welt, hatte Larian mit ihr gemacht? Élira blickte zu Boden und sagte leise: „Er behandelt mich, wie eine Sklavin. Er macht sich mich gefügig und sagt dann, es wäre sein Recht als mein Mann, als mein König. Damit ich niemals vergesse, dass ich ihm gehöre.“ Tränen tropften vor ihr zu Boden, platzten und bildeten einen kleinen See. Einen See der Verzweiflung. Daniel konnte vor Zorn kaum noch atmen, er konnte nicht begreifen, wie Larian Élira das antun konnte. Er erhob sich mit einem Ruck aus dem Bett und war mit zwei großen Schritten bei seiner Angebeteten. Er schloss sie in seine Arme, presste ihren Körper an sich, atmete ihren Duft ein und küsste sie auf ihr Haar. „Und dieser Dreckskerl schimpft sich Lichtelf“, schnaubte er verächtlich. Dann nahm er Élira auf seinen Arm und trug sie zum Bett zurück. Er bettete sie in die Elfenseide und zog ihr die Decke bis unter das Kinn. Dann küsste er sie auf die Stirn und sagte: „Versuch, zu schlafen. Ich bin gleich wieder zurück.“ Dann ging er aus dem Zimmer und schloss die Tür. Er durchstreifte das Schloss auf der Suche nach Faya und Melody, doch das Schloss schien wie ausgestorben. Wieso war keiner da? Nicht einmal seine besten Freunde? Doch dann kam ihm ein anderer Gedanke: Sie waren allein! Élira und er waren wirklich allein. Es war niemand da, der sie stören, der sie inflagranti erwischen könnte. Diese Chance mussten sie nutzen. Auch wenn es vielleicht nicht sehr romantisch war, es würde wahrscheinlich für lange Zeit die letzte Chance bleiben. Also machte Daniel sich auf die Suche nach der Küche. Eventuell konnte er die Situation doch noch romantischer gestalten, wenn er nur etwas fand, dass sie etwas entkrampfte. Endlich fand er die Küche. In einem Weidenkorb lagen verschiedene Früchte. Er nahm eine Hand voll Kirschen und Erdbeeren und wickelte diese in ein Tuch. Dann nahm er den Krug mit Honigmet und klemmte ihn unter seinen Arm. Nun fehlten nur noch Kerzen. Irgendwo hier mussten sich welche finden lassen. Und tatsächlich; in der Vorratskammer fand er, was er suchte. Mit klopfendem Herzen machte er sich auf den Weg zur Liebe seines Lebens.

 

Als er das Zimmer betrat, schlief Élira tief und fest. Sie bemerkte sein Eintreten nicht, auch nicht dass er das Zimmer abdunkelte und die Kerzen anzündete. Er breitete das Picknick auf dem Boden aus, nahm sich eine Erdbeere und schlich zum Bett. Da lag sie und sah in ihrem tiefen Schlaf aus, wie Schneewittchen. Der Schein der Kerzen ließ ihr Licht leuchten und durch Daniels Brust zog sich ein feiner Schmerz, als wollte sein Herz platzen. Er entkleidete sich leise und kroch dann zu Élira unter die Bettdecke. Ihr Körper war wunderschön warm, ihre Haut so weich, wie Seide. Daniel schmiegte sich an sie und flüsterte in ihr Ohr: „Sonne meines Lebens, ich bin zurück.“ Langsam öffnete Élira ihre Augen und sah direkt in die seinen. Daniel lächelte sie an und sagte dann: „Öffne deinen Mund.“ Élira schien verwirrt, doch sie öffnete den Mund voller Erwartung. Daniel schob ihr die Erdbeere hinein und als sie merkte, was es war, lachte sie ihr unvergleichliches Lachen. Als sie fertig war, fragte sie: „Was sollte das denn werden?“ Daniel schluckte nervös und antwortete dann: „So machen wir das auf der Erde wenn… wenn wir es besonders machen wollen.“ Dann lief er rot an. Élira entgegnete nur „Oh…“ und dann küsste sie in liebevoll. Sie beide wussten, was passieren sollte, was passieren würde und dass sie nach dieser Nacht nicht mehr die Gleichen sein würden. Élira malte Kreise um Daniels Bauchnabel, bis er ihre Hand nahm, und sie auf sich zog. Die Kerzen erloschen, wie auf Geheiß und als ihre Körper miteinander verschmolzen, bildete sich um sie herum ein Ring aus funkelndem Licht. Aus dem Ring wurden mehrere, die ineinander griffen und eine Art Käfig um Daniel und Élira formten. Ein Käfig aus goldenen Strahlen, fast wie der, den Daniel an Éliras Hochzeit gesehen hatte. Nur dass der Käfig jetzt viel größer und intensiver war. Und während der Käfig immer weiter wuchs, wuchs auch die Leidenschaft zwischen den beiden Geliebten, die sich schließlich in einer Flut von Gefühlen erbrach in der auch der Käfig aus Licht in tausende bunte Einzelteile explodierte, die sich dann zu einer einzigen schimmernden Kugel zusammenzogen. Diese Kugel schwebte noch ein paar Sekunden über dem Paar und senkte sich dann hinab. Sie verschwand in Éliras Körper und durch ihre Bauchdecke konnte man noch ein paar Minuten lang das Leuchten der Kugel sehen. Daniel küsste Élira lange und sagte dann: „Bedeutet das, dass wir ein Baby bekommen?“ Élira nickte vorsichtig und man konnte ihr die Unsicherheit über das, was dies für sie heißen würde, anmerken. „Du brauchst keine Angst haben, Élira. Ich werde euch mit meinem Leben schützen. Dir wird niemand zu nahe kommen. Ich werde morgen früh nach Ézeland reisen und Larian auffordern, deinen Schwur zu lösen. Es muss eine Möglichkeit geben, das zu tun, denn es ist die einzige Möglichkeit, Fíala zu retten. Er wird es einsehen, auch wenn er es nicht gern tun wird.“ Élira schien noch immer nicht wirklich beruhigt, doch sie legte ihren Kopf auf Daniels Brust, zog sich so fest sie konnte an ihn und schlief ein. Daniels Gedanken kreisten noch eine Weile, bevor auch er dem Schlaf erlag.

 

Der nächste Tag kam mit strahlendem Sonnenschein. Vom Winter der vergangenen Tage war nichts mehr übrig. Daniel schlug die Augen auf und wollte Élira einen Kuss aufdrücken, doch diese war bereits verschwunden. „Ich werde aus dieser Elfe wohl niemals schlau werden“, seufzte Daniel, erhob sich und schlüpfte in seine Hose. Als er sich fertig angezogen hatte, trat er vor den Spiegel, um seine Haare zu kämmen und konnte nicht glauben, was er sah. Um seinen Mund war ein richtiger Bart gewachsen! Ein Vollbart. Daniel gluckste belustigt und fragte sich dann, wie er dem Bartwuchs Einhalt gebieten konnte. Einen Rasierapparat hatte er schließlich nicht parat. Seufzend beschloss Daniel, den Bart nun eben doch erst mal Bart sein zu lassen und sich auf die Suche nach Élira zu machen. Im Schloss war bereits ein geschäftiges Treiben. Elfen liefen hierhin und dorthin, mit den unterschiedlichsten Aufgaben beauftragt. Nur von der Elfenkönigin war nichts zu sehen. Daniel ging die Treppe aus Wurzeln hinab und trat aus dem Schlosstor. Dort sah er endlich Faya und Melody und ging schnell auf die beiden zu. „Hört zu; wir müssen heute Morgen noch nach Ézeland fliegen. Wie ihr sehen könnt, bin ich so gut wie vollständig genesen. Das verdanke ich Élira und vor allem dem Baby in ihrem Bauch. Meinem Baby. Unserem Thronerbe.“ Melody presste ihre kleine Hand auf ihren Mund und riss ihre Augen auf. „Oh Daniel, was gedenkst du, zu tun?“ „Ich werde Larian sagen, dass er Élira von ihrem Schwur lossagen soll. Dann werde ich sie zur Frau nehmen und wir werden gemeinsam über Fíala regieren. Fíala wird eine neue Blütezeit erleben. Doch zuerst muss Larian seinen Anspruch auf Élira aufgeben.“ Daniels Stimme war fest vor Entschlossenheit. Faya wieherte aufgeregt und sagte dann: „Also los, worauf warten wir noch? Lass uns fliegen!“ Doch Daniel musste sie bremsen. „Ich muss zuerst Élira finden und ihr Bescheid sagen. Als ich heute Morgen erwacht bin, war sie nicht mehr im Bett.“ „Nun gut, kleiner Prinz. Dann warten wir solange hier.“ Melody lächelte Daniel ermutigend an und setzte sich auf Fayas linkes Ohr.

 

Als Daniel Élira endlich erblickte, stand sie mit dem Rücken zu ihm. Sie stand in einem kleinen, runden Raum, dessen Wände mit bunten Blumen bewachsen waren. Daniel trat an sie heran und schloss seine Arme um sie. Nun konnte er sehen, was sie ansah: Es war eine kleine Wiege aus Elfenbein. „In dieser Wiege habe ich schon geschlafen. Sie soll unserem Kind den tiefsten Schlaf und die schönsten Träume bringen“, sagte Élira leise. Daniel legte seine Hände auf ihren Bauch, küsste sie auf den Hals und flüsterte in ihr Ohr: „Ich werde nun nach Ézeland fliegen und ich will nicht eher zurückkommen, bevor Larian dich nicht von deinem Schwur befreit hat. Du bist hier in Sicherheit. Ihr seid in Sicherheit.“ Élira drehte sich um und drückte sich fest an Daniel. Dieser legte seinen Finger unter ihr Kinn, hob ihr Gesicht an und küsste sie voller Zärtlichkeit. „Ich liebe dich“, hauchte er dann in ihr Ohr und verließ den Raum, bevor sie etwas entgegnen konnte.

 

-11-

-Das Ende des Leids-

 

Faya segelte ruhig durch die Luft. Daniel auf ihrem Rücken war in Gedanken versunken. Er wusste nicht, wie er Larian überzeugen konnte, Élira freizugeben. Dieser verdammte Lichtelf war so unsäglich stolz, dass Daniel fast sicher war, dass für ihn keines seiner Argumente genug sein würde. „Arroganter Schnösel“, murrte Daniel leise und Melody fragte verdutzt: „Was? Hast du mit mir geredet?“ Daniel seufzte und sagte: „Nein, ich dachte nur gerade an Larian.“ „Na dann“, lachte die Fee und schwieg dann wieder. Die Landschaft unter ihnen änderte sich kaum. Braungelbe Steppen mit Felsbrocken und verdorrtem Gestrüpp, waren alles, was weit und breit zu sehen war. Doch endlich sah Daniel einen Unterschied. Vor ihnen erstreckte sich eine weite, grüne Fläche, mit Bachläufen und einigen, mächtigen Laubbäumen. Über die Wiesen tollten lachende Elfenkinder. Sie hatten Ézeland erreicht und es schien fast, dass dies der einzige Fleck Fíalas war, der noch unberührt von der Krankheit geblieben war. Faya ging langsam in einen Landeanflug und setzte schließlich vor einem besonders großen Baum auf. Daniel sah sich um, konnte jedoch keinen erwachsenen Elf erblicken. Also ging er auf die Gruppe spielender Kinder zu und fragte: „Wo finde ich euren König?“ Ein kleiner, weißblonder Elf in einer grünen Hose, der Daniel nur knapp bis zum Bauchnabel ging konterte trotzig: „Wer will das wissen?“ Daniel seufzte. „König Damian, Herr über Schloss Xerxes und König aller Lebewesen Fíalas.“ Da verstummte das Lachen der Elfenkinder und sie sahen ihn mit großen Augen an. Dann sagte der kleine, der schon vorher gesprochen hatte: „Unser König befindet sich in seinem Pavillon. Da hinten“, und er zeigte in die Ferne hinter dem Baum. Daniel und sein Gefolge setzten sich in Bewegung. Nach kurzer Zeit erblickte Daniel einen riesenhaften Pavillon, der schon eher einem Schloss glich und wahrscheinlich auch diese Funktion erfüllte. Der Pavillon war zusammengesetzt aus verschiedenfarbiger Elfenseide, die zwischen strahlend hellem Weiß, Elfenbeinfarben und sandigem Beige variierte. Innerhalb des Pavillons hingen bunte Lampions, die die Einrichtung aus hellem Holz beleuchteten. Auf einem Thron aus ebendiesem, saß Larian. Sein Vater Luzian saß auf einem etwas weniger imposanten Stuhl zu seiner Rechten. Als Larian Daniel erblickte, blitzten seine Augen hasserfüllt und seine Mundwinkel zuckten. „Was willst du… was wollen eure Majestät hier in Ézeland?“ Es schien ihn zu quälen, Daniel mit seinem Titel anzusprechen, doch mit seinem alten, weißen Vater neben sich, schien Larian sich kein falsches Wort zu getrauen. Daniel beschloss, gleich zur Sache zu kommen und sagte: „Larian, ich weiß, du bist mit Élira verheiratet. Sie hat dir den Eheschwur gegeben und ist mit ihrem Leben daran gebunden. Ich sehe, hier in Ézeland scheint die Krankheit noch nicht zugeschlagen zu haben, doch wenn wir nichts unternehmen, wird auch Ézeland befallen werden und Fíala wird sterben. Fíalas Gesundheit hängt mit der Gesundheit des Königs Herzen, also mit dem meinem zusammen, das erläuterte ich ja bereits vor dem Großen Rat. Doch wie sich herausstellte, ist mein Herz nicht gesund. Es kann nicht gesund sein, solange ich eine Frau liebe, die an einen anderen gebunden ist.“ Daniel hielt inne und wartete auf Larians Reaktion. „So, und jetzt wollt ihr mir sagen, dass ich mein Anrecht auf Élira euch zugunsten aufgeben soll? Ha! Das hättet ihr wohl gern, König Damian!“ Mit den letzten Worten, stand Larian auf und spuckte Daniel direkt vor die Füße. Und als hätte es in dieser Situation nicht noch schlimmer kommen können, öffnete sich der Vorhang des Pavillons und Bétrandir trat herein. Dieser erblickte Daniel, sah von Larian zu ihm und wieder zurück, erkannte die Situation und lächelte süffisant. „So so, unser König ist hier.“ Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen. Dann knickste er ironisch und fragte: „Und was wollen ihre Majestät?“ Daniel lief vor Zorn Rot an. Was für eine Chance hatte er gegen zwei Sturköpfe, die es sich zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hatten, ihm ins Handwerk zu pfuschen? „Ich wüsste nicht, was das dich an geht, Bétrandir! Du bist ein Verräter und ein Brandstifter und du wirst deine gerechte Strafe bekommen, dafür werde ich sorgen!“ Bétrandir begann zu lachen. Und es war ein Lachen, dass Daniels Nackenhaare zu Berge stehen ließ. „Deine Gesetze sind hier nichts wert, Mensch. Du tätest gut daran, Ézeland zu verlassen und deine schmierigen Finger von der Königin zu lassen, wenn du nicht für ihren Tod verantwortlich sein willst.“ Bétrandirs Augen funkelten bösartig. Und plötzlich fiel es Daniel wie Schuppen von den Augen. Der Angriff auf das Schloss war durch Larian beauftragt gewesen, der ihn aus dem Weg hatte räumen wollen, um sich selbst die Krone aufzusetzen und Bétrandir in seiner Gier nach Macht, hatte sich für ihn die Finger schmutzig gemacht. „Schluss jetzt, mit diesem sinnlosen Gerede! Sorg dafür, dass dieser Kerl verschwindet!“, schrie Larian und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf Daniel. Bétrandir gehorchte aufs Wort und kam mit großen Schritten auf Daniel zu. Daniel trat zur Seite und wich an die Wand zurück. Larian gesellte sich nun zu Bétrandir, um sich an Daniels Schicksal zu ergötzen. Die Häme stand ihm ins Gesicht geschrieben, als sein böses Lächeln plötzlich erlosch. Blut rann ihm aus den Mundwinkeln und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Dann knickten seine Knie ein und er brach zusammen. Hinter ihm erblickte Daniel nun Luzian. Der alte Elf mit den weißen Haaren hatte ein breites Schwert in der Hand, das Blutbeschmiert war. Er musste es Larian von hinten in sein Herz gerammt haben. Auch Bétrandir hatte sich nun umgedreht und starrte Luzian an. Er hob seine Arme vor sein Gesicht, um sich zu schützen, doch es war zu spät. Luzian holte aus und schlug dem Dunkelelf den Kopf ab. Bétrandirs Schädel rollte über den Boden und blieb vor dem Thron liegen, das Gesicht zu einem entsetzten Schrei verzerrt.

Luzian selbst schienen die zwei Hinrichtungen die letzte Kraft gekostet zu haben. Er sank vor Daniel zu Boden und atmete schwer. Daniel selbst war von dem eben gesehen noch völlig paralysiert. Er kniete sich neben Luzian und nahm dessen Kopf in seinen Schoß. Luzian quälte sich zu einem Lächeln und sagte leise: „Das Leben Fíalas stand auf dem Spiel und mein Narr von Sohn hat es nicht akzeptieren wollen. Ich kann nicht zulassen, dass Fíala stirbt. Doch ein Elf ist mit seinem Leben an einen Schwur gebunden, das wisst ihr, König Damian. Larian hätte den Schwur nicht aufheben können… nur durch seinen Tod.“ Luzians Blick wurde trüb, als er sagte: „Ihr seid ein guter König. Lasst Fíala neu erblühen und bitte, gebt dem Volk der Elfen neuen Halt, denn Sie haben ihren Weg verloren und brauchen Einen, der Sie führt.“ Dann wurden Luzians Augen dunkel und der Elf starb.

Daniel konnte noch immer nicht fassen, was eben geschehen war. Luzian, ehemals König der Lichtelfen und stolzer Vater Larians, hatte seinen eigenen Sohn gerichtet um ihn und Fíala zu retten. Nie, niemals würde Daniel ihm das vergessen.

 

 

Die Wochen und Monate gingen ins Land und nach und nach erholte Fíala sich von seiner Krankheit. Neue Bäume und Blumen sprossen und auch neue Arten schienen sich zu entwickeln. Schloss Xarxes war wieder errichtet worden und wirkte größer und mächtiger als jemals zuvor. König Damian hatte die schwangere Königin Élira unter Beisein von Vertretern des gesamten Volkes geehelicht und sie waren gemeinsam in das Schloss gezogen und auch die Winzlinge waren zurückgekehrt, um dem Königspaar zu dienen. Es war nicht mehr weit, bis zur Geburt des Kindes und das ganze Volk schien aufgeregt. Daniel und Élira indes hatten beschlossen, erst nach der Geburt zu heiraten, doch auch hierfür liefen bereits die Vorbereitungen.

Als Élira und Daniel dem Volk endlich ihre Thronerbin präsentierten, löste dies einen wahren Freudentaumel aus.

 

Die kleine Prinzessin war ein Wunder. Sie war das schönste Kind, das Fíala je gesehen hatte und das Volk war völlig außer sich, vor Freude. „Prinzessin Lorelie, Prinzessin Lorelie!“ riefen die Fíalaner und tanzten, bis die Sonne unterging.

 

 

-Ende-

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.08.2011

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