Ich beugte mich tief über den Hals meines Rappens, um mich so gut es ging vor der Kälte zu schützen. Der Wind peitschte mir unentwegt entgegen und ich zog mir meine Kapuze tiefer ins Gesicht. Meine Lippen waren bestimmt schon blau und ich könnte meine Hände nicht mehr spüren, die verkrampft die Zügel hielten. Wir flogen fast lautlos durch den Wald und hinterließen nicht die kleinste Spur. Die Bäume rasten an mir vorbei und hier und dort konnte ich ein paar leuchtende Augen erkennen, die mich aber nicht weiter interessierten. Ich musste zusehen, dass ich so schnell wie möglich von hier fort kam, die Wache war mir bestimmt schon auf den Fersen und sollten sie mich schnappen würde ich vermutlich kein Morgen mehr erleben.
Das aber auch ausgerechnet dieser Plan fehlschlagen musste. Genervt schüttelte ich den Kopf, ich hätte mich am liebsten geohrfeigt. Mit zusammen gebissenen Zähnen konzentrierte ich mich wieder auf meinen Weg und spitzte die Ohren, ich konnte nichts Verdächtiges hören, kein Hufgetrampel einer Gruppe Krieger die mir vielleicht folgte. Jedoch lies ich mich nicht täuschen, wie viele tapfere Männer waren schon gestorben, weil sie sich in Sicherheit gewogen hatten. Nein, mir würde das nicht passieren, nicht nachdem ich schon so weit gekommen war. Ich wagte einen kurzen Blick über die Schulter und musste lächeln. In etwa dreißig Meter Entfernung sah ich drei Wachen des Herzogs, die mir in rasantem Tempo auf ihren Streitrössern folgten.
Als ich mich wieder noch vorne drehte lehnte ich mich noch weiter nach unten, sodass ich den mir so vertrauten Duft von Heu und Pferdehaar riechen konnte. „Na mein Großer, geht da noch was?“, flüsterte ich Alano zu und trieb ihn leicht voran. Wir wurden immer schneller und schon bald wurde der Abstand der Krieger zu mir immer größer und mein Grinsen immer breiter.
Sie hätten sicher nicht damit gerechnet, dass eine Frau schneller reiten könnte, als sie selbst. Ich würde nur zu gerne ihre grimmigen Blicke sehen, aber ich konnte es mir nicht leisten weiter zu trödeln. Ich trieb meinen Wallach weiter an und als die ersten Sonnenstrahlen durch die Äste drangen erreichten wir den Waldrand und preschte über die Wiese auf das alte Steinhaus zu. Es stand ganz einsam ein Stücken abseits des Dorfes, was für mich im Moment sehr geschickt war, da ich von niemandem gesehen werden wollte. Erst kurz vor dem kleinen Stall, an der rechten Hauswand lies ich Alano in einen gemütlichen Trab fallen, dann sprang ich ab und brachte den Wallach in die Scheune.
Dort wartete auch schon Marko auf mein Eintreffen, er sprang von seinem kleinen Holzhocker in der linken Ecke des Raumes auf und kam zu mir gerannt. Das Holzstück an dem er gerade geschnitzt hatte schmiss er ohne einen weiteren Blick darauf ins Stroh. Schnell drückte ich ihm die Lederzügel in die Hand, lächelte ihm kurz zu, während ich ihm durch die dunklen Haare wuschelte. Er war der Sohn des Gerbers, dem dieses Haus gehörte, und er wusste wie man mit Pferden umzugehen hatte. Mit einem kurzen Blick zurück auf den vor Schweiß tropfenden Rappen verschwand ich durch die Hintertür in das eigentliche Wohngebäude.
Ich durfte keine Zeit verlieren, der Rat musste so schnell es ging alle Neuigkeiten erfahren, bei denen sie sich sicher nicht über alle freuen würden. Sobald sie dann über die Situation im Bilde waren, würden sie anfangen zu diskutieren und zu beratschlagen. Alle würden durcheinander reden und jeder wird seine Idee, des weiteren Vorgehens, als die beste verkaufen wollen. Ich werde die ganze Zeit über an der Wand lehnen, mich langweilen und abwarten, bis sie zu einem gemeinsame Beschluss kommen werden, was, wie ich aus Erfahrung wusste, auch mehrere Tage dauern könnte.
Mit wenig Begeisterung, auf das mir Bevorstehende, stieß ich die Tür zum Wohnzimmer auf, das zu einem Versammlungsraum umfunktioniert worden war. Man hatte den größten Tisch in die Mitte des Zimmers gestellt, um ihn herum die Stühle aufgereiht und die Vorhänge vor die Fenster gezogen. An der Stirnseite des Tisches saß Olaf, Markos Vater, welcher die Treffen für gewöhnlich leitete.
Als ich eintrat und die Tür hinter mir schloss, war er der Erste der aufsah, erwartungsvoll bohrte sich sein Blick in den meinen, und ich hielt ihm wie immer stand, ich war seine Musterungen bereits gewohnt und wir waren gut darin im Gesicht des Anderen zu lesen, auch wenn es nach außen hin kühl wirkte. So vermittelte ich ihm heute, dass nicht alles nach Plan gelaufen war. Er nahm dies mit einem kurzen Schließen der Augen zur Kenntnis. Kurz darauf bemerkten auch die anderen, dass ich eingetroffen war und wandten sie sich ebenfalls mir zu. Alle Blick lagen nun hoffend auf mir und irgendwie tat es mir weh ihnen von diesem weiteren Schlag erzählen zu müssen. Zu oft schon hatte ich in der letzten Zeit schlechte Nachrichten überbringen müssen und ein Erfolg würde uns wieder neuen Ehrgeiz schenken, doch diese so sehr erhoffte Treffer blieb bis jetzt aus.
Der Raum sah aus wie immer und dieselben Leute hatten sich versammelt, Bauer Leo, seine Frau die energische Amanda, vier Wachen des Grafen, darunter auch Max, dem ich kurz zu grinste, Herbert unser Schmied und Albrecht der Pferdehändler. Olaf hatte einen Hammer neben sich liegen, mit dem er immer versuchte für Ruhe zu sorgen, wenn es wieder einmal zu laut wurde.
Als ich allen flüchtig zunickte fiel mir ein unbekanntes Gesicht in der Reihe auf. Ein hochgewachsener junger Mann saß neben dem alten Gerber, welcher sich nun kurz zu ihm herüber beugte und ihm etwas zuflüsterte, worauf der Mann nickte und mich musterte. Mir gefiel die Art wie er mich ansah keineswegs, so durchbohrend und gar misstrauisch. Wobei ich ihm letzteres nicht übel nehmen konnte, da ich Fremden auch immer so gegenüber stand. Obwohl ich mir seiner Blicke immer noch bewusst war wandte ich mich von ihm ab und sah zu den Versammelten.
„Es ist leider nicht alles nach Plan verlaufen.“, begann ich, während ich langsam zu meinem gewöhnlichen Platz an der Wand schlenderte. „Es gab einige“, ich hielt kurz inne und sah mich um. „unerwartete Hindernisse. Der erste Wachposten an der Mauer bestand nicht aus drei Männern sondern aus sechs, so wie es aussieht, hat der Herzog seine Wachen verdoppelt.“ Kaum das ich diesen Satz ausgesprochen hatte begannen Einige zu murmeln und die Stirn zu runzeln, ich jedoch fuhr unbeirrt mit meinem Bericht fort. Ich hatte mir zu diesem Thema bereits Gedanken gemacht, welche ich aber nicht vorhatte laut auszusprechen, zumindest nicht vor all den Leuten. „Auf dem Gelände selbst patrouillieren in abwechselnder Reihenfolge weitere sechs Männer in Gruppen von je zwei Leuten. An den Eingängen in die Burg waren auch Männer postiert und auf den Balkonen standen ebenfalls Wachen, die mit Pfeil und Bogen ausgerüstet waren. Im Innenhof erwarten einen vier Soldaten.“ Mein Blick huschte kurz zu Olaf, der jedoch keine Reaktion zeigte, lediglich eine kleine Zornesfalte zwischen den Augenbrauen, die für ihn so typisch war. „Bis zum Innenhof verlief alles ohne Zwischenfälle.“, fuhr ich fort. „Leider hatte ich nicht mit den beiden Wachhunden des Herzoges gerechnet, vor denen ich nicht gewarnt worden war.“ Vorwurfsvoll sah ich abermals zum Tischende, wo Olaf angefangen hatte an seinem bereits ergrautem Bart zu zupfen, sein Blick ging nachdenklich ins Leere. Die Augen der anderen Ratsmitglieder wurden immer größer, nur der Neuling zuckte nicht einmal mit der Wimper. Im Allgemeinen sah er sehr entspannt und ruhig aus, ein Gefühl in mir sagte mir, dass ich noch einige Probleme mit ihm haben würde. Ehe ich mir noch mehr Gedanken darüber machen konnte lenkte ich meine Konzentration wieder auf die Berichterstattung. Es fiel mir immer schwerer alles zu schildern, meine Augen waren außerordentlich schwer und ich musste mich sehr anstrengen keine wichtigen Details zu vergessen. Ich war bereits seit mehr als 24 Stunden wach und der Kampf mit den Wachen und das reiten hatte meinen Zustand nicht gerade verbessert. „Bevor ich die Wachen ausschalten konnte wurden die Hunde auf mich aufmerksam und begannen zu bellen, woraufhin die Wachen mich entdeckten und Alarm schlugen. Mit Müh und Not konnte ich aus der Burg fliehen und davon reiten, auf meinem Weg hierher musste ich außerdem noch drei Wachen abschütteln.“ Als ich mit meinem Bericht fertig war verschränkte ich müde die Arme vor der Brust, ich hatte meine Arbeit getan, nun waren die anderen an der Reihe zu entscheiden, was als Nächstes zu tun war. Und schon fing das Geplapper an genervt schloss ich meine Augen und verlagerte mein Gewicht so, dass ich bequemer an der Wand stand. Endlich konnte ich mich wenigstens ein bisschen entspannen, langsam lies ich meinen Kopf kreisen, da mein Nacken ziemlich versteift von der Reise war. Mit geschlossenen Augen fiel es mir immer leichter die anderen Leute im Raum auszublenden, langsam atmete ich aus und schreckte im nächsten Moment auch schon wieder auf. Jemand hatte mir seine Hand auf den Arm gelegt und nun sah ich mit gereiztem Blick in die mit kleinen Fältchen umringten Augen von Olaf. Verschmitzt grinste er mich an, was ihn gleich viel jünger erscheinen lies und deutete auf die Person neben sich. Der ungekannte Mann sah mich mit kühlem Blick an, bevor er sich zu einem Lächeln zwang und sich vorstellte.
„Ich bin Lucas Bertram's Sohn.“ Ebenso wie er mich vorhin gemustert hatte, sah ich ihn nun von oben bis unten an. Er war noch größer als ich ihn eingeschätzt hatte und überragte mich um einen guten Kopf. Von seiner Statur her war er nicht so schlaksig wie ich angenommen hatte, da er sein Hemd bis über die Ellenbogen hochgekrempelt hatte konnte ich eindeutig seine Muskeln an Ober- und Unterarm erkennen. Von seiner Haltung her strahlte er ein starkes Selbstbewusstsein aus, er stand gerade und hatte die Schulter gestrafft, ohne dabei aber verkrampft auszusehen, so wie es die meisten an seiner Stelle tun würden. Das Lächeln war bereits wieder aus seinem Gesicht verschwunden und so sah er mich emotionslos an. Er hatte hohe Wangenknochen und seine dunkelbraunen, ja fast schwarzen Augen wurden von einigen Strähnen seiner haselnussfarbenen Haaren umspielt. Im allgemeinen sah er ziemlich hochnäsig aus und ich hatte das starke Bedürfnis ihn in seine Schranken zu weißen.
„Sein Onkel hat einen kleinen Landsitz und ist ein guter Freund und Vertrauter des Herzogs.“, meinte Olaf und sah ich mahnend an um mir zu bedeuten, dass ich freundlich sein und diesen Mann nicht verärgern sollte. „Lucas ist mit einigen Geschäften von Caspar vertraut und kann uns somit einige wichtige Informationen anvertrauen.“
„Vorausgesetzt ich befinde euren“, er hielt kurz inne und sah etwas abwertend zu den anderen. „Rat, als tauglich.“ In Gedanken stellte ich mir nun schon in den wildesten Fantasien vor, wie ich diesem Kerl ordentlich zeigen würde, was ich von seiner Meinung hielt, noch nahm ich mich aber zurück.
„Darum möchte er unter anderem deine Fertigkeiten vorgeführt bekommen.“, schaltete sich der alte Mann wieder ein und legte mir den Arm auf die Schulter und schob mich in Richtung Ausgang zum Stall.
„Muss das den wirklich jetzt sein?“, zischte ich. „Ich hab seit einer halben Ewigkeit nicht mehr geschlafen und hab Hunger!“
„Ja muss es.“, knurrte Olaf zurück und verstärkte den Griff an meinem Arm. Der Mann folgte uns schweigend in einigem Abstand, hinter ihm lief Max und zwinkerte mir zu. Er war aufgestanden als wir den Raum verlassen hatten, ich vermutete das er meinen Gegner darstellen sollte.
Als wir im Stall ankamen stellten sich der Gerber und Lucas zu Marko in die Ecke, damit Max und ich genügend Platz für den Übungskampf hatten. Wir stellten uns auf, sodass wir uns in die Augen sahen, zogen unsere Schwerter und auf Olafs Zeichen hin begannen wir. Zu anfangs umkreisten wir nur einander und warteten darauf das der andere begann. Als mir das warten zu lästig wurde, überwand ich den Abstand zwischen uns mit einigen kurzen Schritten und als ich ihn seiner Reichweite war begann ich den Kampf mit einigen schnellen Schlagfolgen, die Max nur mit Anstrengung und Glück parieren konnte. Ich machte einen Schritt nach rechts und setzte meinen nächsten Schlag an, ich schwang die Klinge auf seine Schulter herab und er brachte sich gerade noch mit einem hastigen Sprung nach hinten in Sicherheit. Schelmisch grinste ich ihn an und begann wieder ihn zu umkreisen. Als er zum Angriff ansetzte wehrte ich sein Schwert mit einem leichten Schlag meinerseits ab. Er versuchte mit einem mürrischen Blick abermals zuzuschlagen, verlor aber die Balance als ich ihm auswich und er ins Leere schlug. Stolpernd fing er sich wieder und drehte sich schnell zu mir um. Die Schweißperlen glänzten bereits auf seiner Stirn und seine Wangen schimmerten leicht rot, sein Atem ging hastig. Trotz meiner Anstrengungen, an diesem Tag hatte ich immer noch die ausreichende Kraft um ihn gut in Schach zu halten, dieser Gedanke entlockte mir ein kleinen Lächeln.
Nun kam er abermals auf mich zu, er führte sein Schwert nun mit beiden Händen um mehr Schlagkraft zu haben. Mit aller Wucht stieß er zu und als sich unsere Klingen trafen stoben einige Funken. Ruckartig riss ich meinen Arm nach links, sodass er beinahe sein Schwert hätte fallen lassen. Diesen Moment nutzte ich nun voll aus, mit einer schnellen Drehung schlug ich ihm das Schwert endgültig aus der Hand und hielt ihm meine Klingen an die Kehle.
Immer noch schwer atmend streckte er mir kurz die Zunge raus und schob mit dem Zeigefinger mein Schwert beiseite.
„Besiegt.“, meinte ich grinsend. „Wiedereinmal.“ Zufrieden wandte ich mich zu unseren Zuschauern um. Olaf sah mich zufrieden an, Marko wie immer total bewundernd und der Fremde einfach mit dieser, mir jetzt schon verhassten Kühle.
Tag der Veröffentlichung: 12.12.2011
Alle Rechte vorbehalten