Tiefer Schnee begrub die Welt unter sich. Dicke Schneeflocken rieselten hinab und erhellten die Nacht. Der Himmel war bedeckt von dunklen, riesigen und schwer wirkenden tiefgrauen Wolken, die so die strahlenden Sterne verdeckten.
Es war tiefste Nacht, sodass jegliches Leben tief schlummern sollte, doch verborgen hinter dicken Steinwänden brannte ein wärmendes Feuer in einem Kamin. Nur ein einzelnes Fenster verriet der Außenwelt das sich in dem kalten Gemäuer das Leben regte.
Vor Schmerz erfüllte Schreie einer Frau drangen hinaus und durchbrachen so die Stille der Nacht. Kurz drauf lösten die eines Neugeborenes die Schreie der Frau ab.
Zwei Gestalten blickten durch das Fenster in das Innere. „Was ist es?“, fragte die eine, eine Frau, mit glockenheller Stimme. Ihr Gesicht lag tief in den Schatten der Kapuze ihres Mantels verborgen, der wild im Wind flatterte. Ihre langen blonden perfekt gelockten Haare ragten unter der Kapuze heraus. Die andere Gestalt sah genauer durch das Fenster. „Ein Mädchen wie es scheint.“ Es war die tiefe Stimme eines Mannes. Auch sein Gesicht lag verborgen hinter einer Kapuze.
„Trägt sie es?“, fragte die Frau. Erst sagte der Mann nichts, es schien als habe er ihre Frage nicht verstanden, doch dann nickte er. „Es ist das Mal des Tigers.“ Sie blickte ihn an. Ihre Augen leuchteten wie zwei goldene Flammen, durch die Schatten der Kapuze in die Nacht hinaus. „Sie ist die Letzte.“
„Ja“, bestätigte er. „Tiger, Wolf, Drache, Schlange, Bär und Adler, alle sind geboren. Das Ende naht. So früh also schon.“ Auch seine Augen leuchteten golden in die Nacht. „Ja, doch noch sind sie nicht soweit“, sagte die Frau und der Mann nickte. „Sie brauchen noch Zeit.“
Eine Windböe wehte Schnee, von den Dächern der Häuser, an ihnen vorbei und schon waren sie verschwunden. Nichts wies noch daraufhin das sie dort gewesen waren.
Sirana saß vor ihrem, mit dunklem Holz umrahmten, Spiegel und kämmte sich ihre schwarze Mähne, die in Wellen über ihren Rücken fiel. Ihre vollen Lippen hatte sie gerötet, ihre Wimpern geschwärzt und ihre silbernen Augen, die in ihrem Spiegel so unmenschlich erschienen, waren schwarz umrandet. Sie trug ein leichtes dunkelblaues Kleid, dass an den Seiten mit Schnüren zusammen gehalten wurde die sich leicht öffnen ließen, was den Vorteil besaß, dass sie es schnell ausziehen konnte. Ihre Beine waren nackt, sie wurden kaum von dem Stoff des Kleides bedeckt, und Schuhe trug sie keine, es war auch nicht nötig.
Obwohl der tiefe Winter mit seiner tödlichen Kälte einem armen Menschen nach dem anderen, egal ob jung ob alt, die Kräfte raubte, sie so auszehrte das sie die ersten Sprossen die aus der Erde wuchsen nicht mehr erlebten, war es in ihrem Zimmer mollig warm, was daran liegen könnte das ein Feuer im Kamin knisterte.
Sirana war allein. Das war sie in den letzten Tagen öfters, was ihr jedoch ganz recht war. Es lag an dem Winter, es war zu kalt, selten kamen Kunden, weshalb sie diese Jahreszeit in vollen Zügen genoss. Sie hasste es hier zu sein, aber sie konnte nicht weg. Wohin sollte sie denn auch gehen? Sie war allein auf der Welt.
Ihre Mutter starb bei ihrer Geburt. Sie hatte hier gearbeitet, als Hure, genau wie Sirana nun auch, hier, im Freudenhaus. Ihren Vater kannte sie nicht, wie denn auch? Fast jeder Mann im Adel kam als Erzeuger in Frage. Ihre Mutter war zu ihren Lebzeiten beliebt bei den hochrangigen, angeblichen Edelmännern gewesen, die mit Geld dachten alles kaufen zu können.
Noch vor zwei Jahren hatte sie eine ältere Schwester gehabt. Die beiden waren wie Tag und Nacht gewesen. Im Gegensatz zu Sirana hatte sie schöne lange blonde Haare, lebendige tiefgrüne Augen und meist war sie in guter Laune, trotz ihres düsteren Lebens, das benetzt war mit einem dunkelgrauen undurchdringlichen Schleier, den alle anderen Frauen hier ihre Jugend raubte und sie zu benutzten alten Schabracken machte. Doch vor zwei Jahren hatte einer ihrer Kunden sie erwürgt, aus dem banalen Grund das sie ihn „Herr“ statt „Meister“, wie er es eigentlich verlangt hatte, genannt hatte.
Plötzlich klopfte es an der Tür, sodass Sirana vor Schreck zusammenfuhr. „Ja?“, fragte sie zögerlich. Die Tür schwang auf und eine ältere Frau mit ledriger faltiger Haut trat ein. Ihr braunes strohiges Haar das durchzogen war von grauen Strähnen, war bedürftig hochgesteckt. Ihr hängender Busen fiel schon beinah aus ihrem viel zu engen Kleid. Ihre braunen Augen waren trüb und ihr Gesicht stark geschminkt. Früher einmal mag sie vielleicht eine schöne Frau gewesen sein, doch nun war davon nichts mehr zu erkennen. „Mach dich bereit“, sagte sie mit einer tiefen rauchigen Stimme. „Wir haben Kundschaft.“ Dann verschwand sie wieder.
Seufzend blickte Sirana in ihr Spiegelbild. Ein gequälter Ausdruck huschte über ihr Gesicht. Warum konnte sie sich nicht in Luft auflösen, einfach verschwinden? Die Schöpfer hätten nicht zulassen sollen, dass sie dieses Leben voller Schmerz, Pein und Schmach leben musste. Doch wieso sollten die Schöpfer sich um eine unwichtige Hure Gedanken machen? Sie hatten besseres zu tun, unter anderem dabei zuzusehen wie die Welt immer weiter verkam. Das Paradies das sie einst erschaffen hatten, war zu einer Hölle heran gewachsen. Das Schlechte regierte, es befiel die Menschen und und setzte sich in ihnen fest wie ein Parasit, einer von der Sorte die nicht mehr loszuwerden war.
Langsam stand Sirana auf. Wie betäubt zog sie an den Schnüren ihres Kleides. Sie öffneten sich und der Stoff fiel zu Boden. Sirana schlang die Arme um sich, grub ihre Nägel in ihre Haut und zitterte. Nicht weil ihr kalt war, sondern weil sie sich vor sich selbst ekelte. Sie verabscheute sich.
Einige Herzschläge stand sie so da, dann ließ sie ihre Arme wieder sinken und blickte ein letztes mal in den Spiegel. Ihr langes schwarzes Haar hob sich von ihrer hellen Haut ab, die noch jung und faltenlos war, doch es würde nicht mehr lange dauern bis sie genau so verbraucht war wie die der anderen Frauen hier. Ihr Busen war straff und es gab keine Spuren einer Schwangerschaft auf ihrem Körper, sie war noch eine der wenigen die noch nie ein Kind erwartet hatte, glücklicherweise. Es würde ihr das Herz brechen wenn ihr eigen Fleisch und Blut ein so elendiges Leben leben müsste.Doch das was sie am meisten von den den anderen Frauen hier, wohl auf der ganzen so schlechten Welt, abhob waren außer ihren Augen ein silbernes Mal an der Stelle wo sich ihr Herz befand.
Sie wusste nicht was es bedeuten könnte. In ihren Augen war es ein verwirrendes Gewirr aus Linien, dass für sie keinen Sinn ergab. Niemand hatte ihr sagen können was es damit auf sich hatte. Aus irgendeinem Grund war es da, schon seit ihrer Geburt, und würde wohl auch niemals verschwinden.
Sirana löste sich von ihrem Spiegelbild. Gegenüber von dem Kamin, stand ein Bett das groß genug war um alle Wünsche ihrer Kunden erfüllen zu können. Schweigend setzte sie einen Fuß vor dem anderen bis sie die Bettkante erreichte. Sie legte sich auf die Seite, schlug ihre Beine aufeinander, legte eine Hand auf ihren Oberschenkel und ließ die Tür nicht mehr aus den Augen.
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Vielleicht würde sie heute ja doch keinen Kunden haben. Es könnte doch sein das sich keiner für sie sondern für die anderen Frauen entschied.
Doch dann öffnete sich die Tür und ihre Hoffnung zersprang in tausenden von Scherben. Vorsichtig steckte ein junger Mann, ungefähr in ihrem alter, höchstens ein zwei Jahre älter als sie selbst, den Kopf in ihr Zimmer.
„Komm nur herein“, sagte sie mit einer sinnlichen Stimme. Sirana hatte schon genug Übung darin sich zu verstellen. Wenn sie eines Tages ihrem leben hier entkommen sollte, hatte sie möglicherweise eine Zukunft im Theater. Zögernd setzte der junge Mann einen Fuß in den Raum. „Warum so schüchtern?“, fragte sie. „Dazu gibt es doch keinen Grund.“ Wie schmutzig sie sich jetzt schon fühlte, sie könnte sich in Schlamm wälzen und sie würde nicht so dreckig sein wie jetzt.
„Ich... also...“, stammelte er. „Das ist mein erstes Mal... überhaupt meine ich...“ Sirana war erleichtert. Männer die noch keine Erfahrung hatten, verlangten in der Regel keine außergewöhnlichen Dinge. Das machte es für sie ein wenig leichter.
„Das Macht doch nichts“, sagte sie während sie sich aufsetzte. Mit ihrer Hand wies sie neben sich. „Komm her, ich verspreche dir, ich werde ganz vorsichtig sein.“ Er zögerte noch einen Moment, dann trat er ganz in das Zimmer, schloss die Tür hinter sich und begab sich neben Sirana auf das Bett.
Sanft strich sie ihm über die Brust, dann griff sie seine Hand und legte sie auf ihren Busen. „Na, wie fühlt es sich an?“ „Gut“, antwortete er noch immer Schüchtern. Er war nicht der Typ Mann hierfür, dass wusste Sirana. Was machte er also hier? Er sollte sich lieber eine Frau suchen, dass passte besser zu ihm.
„Ich bin übrigens Ivar“, sagte er plötzlich. Irritiert blinzelte sie. „Ich finde man sollte zumindest den Namen desjenigen kennen mit denen man das Bett teilt“, fügte er hinzu als er ihr verständnisloses Gesicht sah und fragte dann noch, ein klein wenig leiser: „Findest du nicht?“
„Nein“, gab Sirana zu. „Es ist besser wenn ihr unbekannte Gesichter bleibt.“ Sie wusste nicht warum sie das zu ihm sagte. Er war ein Kunde, um den sie sich zu kümmern hatte. Sie hätte es einfach hinnehmen und weiter machen sollen. „Also, wirst du mir deinen Namen nicht nennen?“, fragte der junge Mann. Sirana schüttelte den Kopf, dass würde sie nicht, genau so wenig wie sie ihn bei seinem Namen nennen würde. Er schien enttäuscht über ihre Entscheidung, was sie ein wenig verwunderte.
„Vergessen wir das ganze doch einfach“, sagte sie dann. „Entspann dich.“ Sie ließ ihre Hand in seine Hose gleiten. „Oh, du wirst eine Frau später sehr Glücklich machen.“ Sein Gesicht rötete sich leicht und er blickte verlegen in ihr Gesicht. Sirana beugte sich vor, flüsterte ihm anzügliche Dinge in sein Ohr und fuhr leicht mit ihren Lippen über seine Haut.
So langsam schien er in Stimmung zu kommen, sie sah die Lust in seinen Augen aufblitzen. Sie brauchte nur noch seine Hand zwischen ihre Schenkel zu führen, ihm die Kleider vom Leib zu streifen und schon stürzte er sich auf sie.
Im Grunde waren alle Männer gleich, egal wie verschieden ihr Charakter oder ihre Herkunft auch sein mag, jeder von ihnen gingen ihren Trieben nach.
Tag der Veröffentlichung: 18.11.2013
Alle Rechte vorbehalten