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Charlotte

Freitag, 4. März 1921


Liebe Charlotte,

seitdem ich dich kenne, empfinde ich sehr viel für dich. Ich weiß nicht, ob mir diese Aussage jetzt gestattet ist, aber ich verspüre einfach den Drang, dir dies mitzuteilen. Meine Empfindungen für dich gehen weit über Freundschaft hinaus. Ich verstehe meine Gefühle selbst nicht, dennoch finde ich diese höchst interessant. Ich hoffe, du verstehst mich nicht falsch. Ich finde dich einfach umwerfend. Ich liebe deine schönen dunklen Haare, deinen einzigartigen Duft, deine Warmherzigkeit und dein niedliches Lächeln. Ein Blick in deine wundervollen Augen zu mir ist jedes Mal schöner als ein Sonnenaufgang bei Morgen und bezaubernder als die Sterne am Nachthimmel. Ich würde alles für dich tun. Ich hoffe, du empfindest genauso.
Ich liebe dich.

Deine Romy-Lucia



Charlotte las den Brief jetzt schon zum zweiten Mal. Er berührte sie sehr. So sehr, wie kein Brief es jemals getan hatte. Sie musste an Stefan denken. Auch er hatte ihr vor zwei Jahren einen Liebesbrief geschrieben. Dieser war sehr romantisch und gefühlvoll gewesen, aber eben nicht so romantisch und gefühlvoll, wie der von Romy-Lucia. Nicht im entferntesten. Sie kramte in ihrer Schachtel und entdeckte ihn schließlich. Sie hatte ihn aufbewahrt. Sie las ihn noch mal. Da stand etwas von Hochzeit, seiner Liebe zu ihr und von Kindern, die sie in der Zukunft sicher haben werden. Was fehlte war sie. Sicher, sie wurde dort drin erwähnt, aber es kümmerte ihn nie, wie sie fühlte. Männer konnten wohl schreiben, was sie wollten und gelangten trotzdem zum Ziel. Frauen waren da wohl eher anders und anspruchsvoller, wenn es um Liebesbriefe ging. Mittlerweile war sie mit Stefan verheiratet. Das Kinderglück blieb jedoch aus. Sie wusste nicht, ob sie glücklich oder traurig darüber sein sollte. Es war schließlich der Traum jeder Frau viele Kinder zu haben. Mindestens sechs oder sieben sollten es sein. Sie wusste nun nicht mehr, ob es ihr Traum war. Mit einem Mann, für den sie ihr Gefühle nicht kennt, und mindestens sechs Kindern. Sie legte den Liebesbrief wieder in den Umschlag und versteckte ihn in ihrem Buch, Dr. Mabuse – Der Spieler, welches sie gerade las. Dann ging sie zu ihrem Grammophon und legte ihre Lieblingsplatte von Bessie Smith auf. Sie begab sich wieder auf ihrem Schreibtischstuhl und überlegte.

Romy-Lucia

Romy-Lucia saß auf einer Parkbank und las „Die Freundin“. Es war eine ganz neue Zeitschrift, die genau über das erzählte, was sie fühlte. Die Liebe zu einer Frau. Sie fragte sich, ob Charlotte den Brief schon gelesen hatte. Charlotte, das klang so schön. Jedes Mal, wenn sie diesen Namen hörte, schmunzelte sie und hatte ein seltsames Kribbeln im Bauch. Eins, welches sie noch nie zuvor gehabt hatte. Romy-Lucia war nicht verheiratet, aber sie hatte ein Kind. Eine Tochter. Sie hieß Louise. Mittlerweile wurde sie zwar als unverheiratete Mutter akzeptiert, doch Louise und sie wurden trotzdem oft ausgegrenzt. Alle dachten, sie hätte sich einen Spaß daraus gemacht mit siebzehn fremde Männer zu verführen, doch ganz so war es nicht. Niemand kannte Louises Vater, nicht einmal sie selbst. Es passierte vor fünf Jahren. Romy-Lucia war zu den Festlichkeiten ihrer damaligen besten Freundin Magdalena eingeladen. Dort sprach sie mit einem jungen Herrn, mit dem sie auch tanzte. Nach ein paar Whiskys küssten sie sich oder eher gesagt er küsste sie. Sie ließ es einfach geschehen. Danach gingen die beiden in ein Schlafzimmer, welches sich auf der zweiten Etage befand. Ab diesem Moment erinnerte sich sie an nichts mehr. Als sie wieder bei klarem Bewusstsein war, lag sie bei sich zu hause im Bett. Den jungen Herrn sah sie nie wieder. Nach vier Monaten nahm sie an Gewicht zu, was sie nicht verstand. Außerdem machte sie sich Sorgen um ihre monatliche Periode, wie sie es nannte. Diese kam einfach nicht. Einen Monat danach wurde ihr klar warum. Sie hatte ein Kind unter dem Herzen. Sie wusste genau woher, doch sie erzählte es niemandem. Ihre Eltern dachten wohl auch, dass Romy-Lucia fremde Männer verführt und schmissen sie raus. Sie wusste nicht wohin und ging zum Potsdamer Platz. Dort traf sie zum ersten Mal auf Charlotte. Romy-Lucia fand sie direkt auf den ersten Blick einzigartig und so schön, wie kein anderer. Charlotte fiel das bestimmt auf, denn sie kam auf sie zu und fing ein Gespräch an. Sie kamen auf das Schwangerschaftsthema zu sprechen und Romy-Lucia erzählte ihr, was passiert war. Charlotte war die einzige Person, die den wahren Grund für die Schwangerschaft kannte, aber sie erzählte es niemandem. Kurzerhand wurde Romy-Lucia von ihr aufgenommen.
Das war schon eine heikle Sache, dachte Romy-Lucia nun. Wenn sie Charlotte nicht getroffen hätte... Sie wollte es sich noch nicht einmal ausmalen, was dann passiert wäre. Nun saß sie auf dieser Parkbank und dachte über die wahre Liebe nach. Gibt es sie überhaupt? Kann man als Frau mit einer verheirateten Frau glücklich werden. Sie wusste es nicht und machte sich auf den Weg zu Charlotte. Sie wollte es herausfinden.


Charlotte

Charlotte öffnete die Tür. Sie wusste schon vor dem Öffnen, wer davor stand. Es war Romy-Lucia. Sie ließ sie herein, war aber trotzdem irritiert als sie sie sah. Sie hatte einen Stich in der Magengegend, der aber nicht unangenehm war. Sie freute sich sogar innerlich als sie Romy-Lucia sah. Dennoch wusste sie nicht, wie sie auf sie reagieren sollte. Der Liebesbrief, die ganze Situation erschien ihr in dem Moment sehr eigenartig. Sie ging ein wenig zur Seite, um Romy-Lucia herein zu lassen. „Romy-Lucia, komme doch herein.” „Hallo Charlotte.“ „Was führt dich denn zu mir?” „Ich muss mit dir reden.“

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Romy-Lucia

Romy-Lucia stand in Charlottes Hausflur und wartete, wartete, dass sie etwas sagte, aber da kam nichts. Schließlich sagte sie selbst etwas.
„Ich weiß, es ist unhöflich, was ich getan habe, aber lass es mich doch erklären.“
„Nicht hier“, sagte Charlotte kühl. „Gehen wir ins Wohnzimmer.“ Die Platte von Bessie Smith lief noch immer, doch Charlotte machte sie aus und holte ihr silberfarbenes Zigarettenetui von der Kommode und legte es auf den kleinen Kaffeetisch, der zwischen dem Sofa und den Sesseln stand. Sie machte es auf, nahm ihre Spitze aus Perlmutt heraus und steckte sich eine Zigarette hinein.
„Willst du auch eine?“, fragte sie Romy-Lucia.
„Gerne, danke.“
Charlotte zündete sich ihre Zigarette an und redete weiter.
„Also, über was willst du reden?“
„Ja, also...“
„Du hast mir einen Liebesbrief geschrieben.“
„Ich weiß, dass es nicht richtig war ihn zu schreiben, aber...“
„Es war deiner Meinung wichtig ihn zu schreiben, ich sehe es dir doch an.“
Charlotte nahm einen tiefen Zug an ihrer Zigarette und starrte an die Decke. Vielleicht wäre es doch besser Charlotte offen zu sagen, was sie für sie empfindet, dachte Romy-Lucia.
„Also?“
„Ich, Charlotte, ich liebe dich.“
„Du...“
„Es tut mir Leid, es ist mir nicht gestattet dir so etwas zu sagen. Entschuldige vielmals, es wäre jetzt besser, wenn ich gehe.“ Romy-Lucia drückte ihre Zigarette aus und verschwand nach draußen. Jetzt war es vorbei, dachte sie.

Charlotte

Es war Abend und Charlotte saß noch immer in ihrem Sessel. Sie starrte den Rauch an, der an ihrer Zigarette empor stieg. Der Kamin verbreitete angenehme Wärme. Wie konnte eine Frau sie lieben. Es war unfassbar. Nach etlichen weiteren Minuten ging sie zu ihrem Bücherregal und nahm ihr Buch, Dr. Mabuse – Der Spieler, heraus. Sie nahm den Liebesbrief und wollte ihn in den Mülleimer werfen, aber ein Gefühl in ihr hinderte sie daran. Stattdessen legte sie ihn auf den Wohnzimmertisch und las weiter in ihrem Buch. Sie dachte sich abzulenken würde ihr helfen, doch das tat es nicht. Auf einmal ging die Tür auf. Stefan war von der Arbeit nach hause.
„Was ist das für ein Brief, der da liegt?“
„Ach der, der ist von Ludovika.“
„Ach so, was schreibt sie denn so?“ „Sie fragt nur, wie es mir geht und erzählt über ihren Urlaub in Frankreich.“
„Das ist ja toll. Hast du denn schon das Essen gemacht?“
„Nein, ich hatte keine Zeit. Es tut mir aufrichtig Leid.“
„Was bist du für eine Frau, kannst mich noch nicht einmal etwas zu Essen zubereiten geschweige denn servieren! Außerdem müssen meine Schuhe geputzt werden!“
„Das mache ich gleich, ich verspreche es.“
„Ja, ja und warum liest du wieder diese kitschigen Bücher, anstatt deinen Pflichten nachzugehen. Ich hatte dir doch verboten so was zu lesen!“
Charlotte antwortete nicht, sondern verließ den Raum und zog sich ihren Mantel an.
„Du kommst auf der Stelle zurück!“
„Ich gehe spazieren, auf der Theke steht etwas zum Aufwärmen.“
Mit diesen Worten verließ sie das Haus.
Sie ging in ein Café am Potsdamer Platz und nahm einen Brief aus ihrer Tasche. Es war nicht der von Romy-Lucia, sondern der von Stefan, den er ihr vor zwei Jahren geschrieben hatte.

Donnerstag, 17. Juli 1919


Liebe Charlotte,

schon vor geraumer Zeit habe ich viel für dich empfunden. Ich möchte mit dir zusammen sein, mein Leben verbringen. Du könntest mich glücklich machen, wenn du mich beachten würdest. Ich möchte dir nichts vorwerfen, aber es ist ein bisschen so, wie ich es schreibe. Du zeigst kein Interesse an mir, obwohl ich alles für dich tue. Ich liebe dich einfach. Du siehst wundervoll aus und deine Art ist bezaubernd. Ich würde mich auf ein Treffen freuen.



Liebe Grüße, dein Stefan



Das war der Brief, den sie damals so schön fand, der sie gerührt hat? Hätte sie doch zwei Jahre gewartet, auf Romy-Lucia. Sie wusste gar nicht, was sie da dachte. Eine Beziehung mit einer Frau? Das war wenig bekannt. „Die Freundin“ berichtete unter anderem davon. Diese Art von Sexualität wird Homosexualität genannt, hatte sie einmal gelesen. Auch wenn diese Zeitschrift darüber sprach; das änderte noch lange nichts daran, dass das nicht normal war, so wenig wie zwei sich liebende Männer. Lebenslanger Aufenthalt im Zuchthaus war die Folge solch einer Liebe. Sie wollte das nicht riskieren. Nicht jetzt.

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Romy-Lucia

Im Raum war es dunkel, die Gardinen waren zugezogen, es war still. Das einzige Geräusch, was es gab war die Traurigkeit. Wenn auch sehr leise, hörte man sie sehr deutlich. Einen Blick weiter sah man Romy-Lucia auf einem Sessel. Sie weinte. Sie verachtete sich dafür, Charlotte die Wahrheit gesagt und danach einfach weggelaufen war. Wie armselig musste man sein, dachte sie nur. Nach einiger Zeit nahm sie ihren Mantel und verließ ihr Haus. Sie ging zum Potsdamer Platz in ihr Lieblingscafé. Als sie eintrat, bemerkte sie Charlotte, die weiter hinten bei ihrem Kaffee genüsslich rauchte. Sie konnte noch verschwinden, Charlottes Blick hatte sie noch nicht getroffen. Es sah sowieso so aus, als würde Charlotte im Moment im Allgemeinen vor sich hin träumen und niemanden beachten, außer ihren Kaffee. Gerade als sich Romy-Lucia umgedreht hatte, um wieder zu gehen rief jemand sie mit einer exzentrisch lauten Stimme, die nicht zu überhören war. Romy-Lucia erstarrte. Es war nicht Charlotte, die sie rief, sondern, wenn sie sich nicht recht entsinnte, war es Magdalenas Stimme. Magdalena, ihre ehemalige beste Freundin. Was sollte sie denn von ihr wollen. Sie drehte sich zu ihr um.
„Wie geht es eigentlich Louise bei so einer wie dir?“
„Du hast kein Recht, so etwas zu fragen!“
„Doch, habe ich schon, es ist die Pflicht eines guten Bürgers, Kinder vor schlechten Eltern zu schützen.“
Magdalena ging ein paar Schritte auf Romy-Lucia zu und lächelte.
„Ich werde es nicht zulassen, dass Louise einer so schlechten Erziehung unterliegt.“
Sie ging noch ein paar Schritte auf sie zu und zog einen stumpfen Gegenstand aus ihrer Tasche.
„Nun mach schon Magdalena! Richte sie!“, rief jemand aus dem Café und alle Gäste stellten sich hinter Magdalena, um das Geschehen mitzuverfolgen.
„NEIN!“, rief eine Stimme. Es war Charlotte, die sich auf Magdalena geworfen hatte.

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Charlotte

Charlotte hatte es sich auf Magdalenas Rücken bequem gemacht. „Was sollte das denn?“, fragte sie.
„Ich muss Louise schützen.“
„Du musst gar nichts. Romy-Lucia ist eine sehr gute Mutter und kann Louise alleine beschützen. Sie ist eine tolle Frau. Warum sieht immer jeder ihre Jugendsünde in ihr?!“
Charlotte sagte das mit einem so wütenden Ton, wie es für sie normalerweise nicht üblich war. Sie bevorzugte den eher kühlen, aber auch sanften Ton.
„Romy-Lucia, komm wir gehen, lassen wir diese armselige Gesellin hier liegen, sie hat es nicht besser verdient.“
Das hörte sich jetzt wieder eher nach Charlotte an.
„Wir können zu mir gehen“, sagte Romy-Lucia.
„Wie du willst.“
Zu hause angekommen gingen die beiden ins Esszimmer. „Möchtest du etwas essen?“, fragte Romy-Lucia.
„Gerne“, antwortete Charlotte.
Sie lächelte und setzte sich auf einen Sessel, der nahe am Kamin war. Dann nahm sie ihr Zigarettenetui heraus und zündete sich eine Zigarette an. Sie blickte zu Romy-Lucias Bücherregal und ging prompt dorthin. Daraufhin holte sich ein Buch heraus und versank direkt in die Welt des Buches hinein.


Romy-Lucia

Romy-Lucia bereitete das Essen vor. Sie fand es eine schöne Vorstellung, dass sie und Charlotte für immer hier wohnen würden. Es wäre so schön Charlotte jeden Abend am Kamin lesen zu sehen, dachte sie. Leider würde das niemals geschehen. Sie trug das Essen ins Esszimmer und rief Charlotte zu Tisch. Diese kam und setzte sich weit hinweg von Romy-Lucia. Doch je mehr Wein die beiden tranken, desto mehr rückten sie aneinander bis sie fast auf einem Stuhl saßen. Sie steckten sich hinterher sogar die Nudeln gegenseitig in den Mund. Schließlich küssten sie sich ganz sanft. Romy-Lucia streichelte sie am Arm. Beide standen auf und gingen auf das große Sofa zu. Charlotte ließ sich darauf fallen und zog Romy-Lucia mit sich. Sie küssten sich weiter bis Charlotte wegen der Unbequemlichkeit wieder aufstand. Sie nahm Romy-Lucia an der Hand und ging mit ihr die Treppen des Flures hinauf. Sie führte sie in einen Raum mit einem schönen verschnörkelten Bett. Beide zogen sich gegenseitig langsam aus, indem sie sich küssten und krabbelten gemeinsam unter die Decke...
„Du bist so süß“, sagte Charlotte.
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich so leicht verführt bekomme.“, antwortete Romy-Lucia zurück. Charlotte lachte laut auf.
„Danke deinem Zauberwein.“.
Sie zogen die Decke noch mehr hoch, bis man nur noch die Form ihrer Körper unter der Decke sehen konnte.

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Charlotte

Die Tür öffnete sich langsam und Charlotte kam herein.
„Schatz, wo bist du gewesen? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht“, sagte Stefan.
„Ich war noch zu Romy-Lucia etwas essen und quatschen, du weißt ja, wie das ist.“
„Oh ja, das weiß ich, aber dass du erst um drei Uhr morgen wieder hierher findest finde ich schon ein bisschen erschreckenswert.“
„Wie auch immer ich bin müde, ich gehe schlafen.“
„Gut, mach das.“
Stefan machte Anstalten sie zu küssen, aber sie ging einfach an ihm vorbei. Als sie sicher im Bett lag, traute sie sich an das Geschehene zu denken. Sie hatte Unzucht mit einer Frau getrieben, aber dennoch schöne Unzucht, dachte Charlotte. Es war wirklich wundervoll gewesen. Aber niemand durfte es erfahren. Niemand. Sie hoffte, dass Romy-Lucia das genauso sah.

Romy-Lucia

Am nächsten Morgen wachte Romy-Lucia glücklich auf. Sie hatte von ihrem Erlebnis mit Charlotte geträumt. Heute würde sie sie mit einem schönen Candle-Light-Dinner überraschen. Sie wollte eine Zitronengrassuppe kochen. Zitronengras war zwar sehr schwer zu bekommen, was wohl auch daran lag, dass erst drei Jahre her waren, seit der Weltkrieg zu Ende war, aber für Charlotte würde sie sich jede Mühe machen. Sie ging zum Marktplatz und schaute sich um. Sie hatte Glück. Es gab noch ein wenig Zitronengras, doch dieses war sehr teuer, was sie jedoch nicht davon abhielt, es zu kaufen. Außerdem kaufte sie einen saftigen Rinderbraten, der auch nicht billiger war. Wieder zuhause angekommen, bereitete sie alles vor. Überall waren Kerzen aufgestellt. Es war eine sehr ruhige und wunderschöne Atmosphäre. Als Charlotte dann kam, änderte sich die Stimmung. Sie sah traurig aus, als ob sie stundenlang auf dem Sofa gesessen und geweint hätte.
„Schatz, was ist denn los?“
„Das fragst du noch? Das mit gestern hätte niemals geschehen dürfen. Ich fühle mich wie eine Verräterin. Gut, für meinen Mann bin ich auch nicht die Einzigste, aber er hat eben andere Rechte. Es ist einfach so.“
„Nein Charlotte, so ist es nicht. Er ist ein Verräter. Du willst es nur nicht sehen.“
Charlotte sagte daraufhin nichts und starrte nur vor sich hin.
„Ich gebe dir ja in einem Punkt Recht. Das was wir getan haben, war gegenüber deines Mannes nicht in Ordnung, aber wir haben auf unser Herz gehört.“
„Wie kannst du so etwas behaupten?“
„Ich behaupte das nicht, es ist so. Ich habe doch gespürt, dass es dir genauso gefallen hat, wie mir. Wir hätten uns doch niemals aufeinander eingelassen, wenn wir nicht Gefühle füreinander hätten.“
Es schoss plötzlich alles aus Romy-Lucia heraus. Sie war nicht mehr das ängstliche Mädchen, dass sich nie traute zu sagen, was sie wirklich über diese Situation dachte.
„Charlotte, ich liebe dich, wie ich noch nie jemanden davor geliebt habe.“
Auf Charlottes Gesicht erschien ein ganz kurzes Lächeln, welches aber sofort wieder verschwand als hätte sie Angst vor dieser Beziehung.
„Ich gehe jetzt lieber.“
„Aber, bleib doch bitte. Ich habe extra eine Zitronengrassuppe für uns beide gekocht.“
„Na gut, aber nur, wenn nichts mehr zwischen uns geschieht.“
Schweigen breitete sich aus.
„Nur, wenn du es wirklich willst, dass nichts mehr passiert.“
Charlotte wirkte noch trauriger über diese Aussage.
„Ja, ich will es wirklich nicht mehr“, sagte sie dann.
Wieder breitete sich Stille aus.
„Komm, sonst wird das Essen noch kalt“, sagte Romy-Lucia nach einer Weile.
Es wurde ein trauriger Abend. Man sah den beiden die depressive Stimmung sogar schon an.
„Es war schön“, sagte Charlotte, als Romy-Lucia alles wegräumte und die Kerzen ausblies.
„Ja, das war es wirklich.“
„Ich kann verstehen, dass du enttäuscht bist, aber ich will nun mal bei Stefan bleiben.“
„Wenn du meinst.“
„Ich geh dann jetzt mal.“
Nachdem Charlotte die Tür hinter sich zugemacht hatte, konnte Romy-Lucia ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.

6




Charlotte

Charlotte riss die Tür zu ihrem und Stefans Schlafzimmer auf und warf sich heulend und schluchzend auf das große Bett. Wie hatte sie nur so gemein und abweisend zu Romy-Lucia sein können.
„Ich bin eine so unausstehliche Person“, sagte sie laut vor sich hin.
„Was sollst du sein? Eine unausstehliche Person?“
Es war Stefan, der sprach.
„Ja, weißt du.“
„Verkaufe mich nicht für blöd, du bist doch meine kleine Katze.“
Stefan grinste so blöd dabei, das Charlotte ihn, wenn sie es gekonnt hätte, in die Klapse gesteckt hätte.
„Was hast du eigentlich? Und wo warst du wieder?“
„Ich habe nichts und war nur bei Ludovika.“
„Ludovika? Ist die nicht noch in Frankreich?“
„Nein, sie ist gestern zurückgekommen.“
„Ach so und das soll ich dir glauben?“
„Ich war bei ihr!“
„Das meinte ich gar nicht. Du hast doch irgendetwas. Meinst du, ich sehe dein verheultes Gesicht nicht. Es ist selten, dass du überhaupt Gefühle zeigst, also was ist los?“
Anstatt etwas zu sagen ging Charlotte auf Stefan zu und fing an ihn zu küssen. Sie musste ihn unbedingt ablenken, damit er nicht noch Fragen stellte. Stefan nutzte die Chance aus und tat, was er nicht lassen konnte. Am nächsten morgen fühlte sich Charlotte total leer. So leer, wie sie sich noch nie in ihrem Leben gefühlt hatte. Neben ihr lag noch Stefan der ein wenig schnarchte. Nach einer Weile stand sie auf und ging ins Bad. Indem sie ihre Wellen wieder in Form brachte überlegte sie, was sie gestern getan hatte. Das ist doch echt das Letzte, was ich Romy-Lucia angetan habe. Andererseits, er ist mein Mann. Ich bin ihr keine Rechenschaft schuldig. Oh je Charlotte, du läufst wieder vor deinen Problemen weg.

Sie schämte sich wegen dieser Gedanken.
„Morgen Schatz“
Es war Stefan, der hinter ihr stand. Schnell zog sie sich das schwarze Kleid an, als ob sie nicht wolle, dass er sie halbnackt sah. Stefan merkte dies wohl, denn er fragte was das solle.
„Stefan, es ist alles in Ordnung, ich bin nur aufgeregt, wegen des Auftritts morgen mit dem Chor.“
„Das habe ich aber noch nie bei dir erlebt, dass du deswegen aufgeregt bist. Du erinnerst mich an früher.“
„Wieso das denn?“
„Du warst die ganze Zeit so komisch, wie jetzt, zu deinen Eltern als wir uns ineinander verliebt hatten.“
„Wenn du meinst, ich gehe jetzt.“
„Wohin...?“
Er sprach den Satz nicht zu Ende, denn Charlotte verließ das Badezimmer, ohne ihm zuzuhören. Stefan ließ sich das dieses Mal nicht gefallen und lief ihr hinterher. Im Flur griff er nach ihrem Arm und schlug auf sie ein.
„Ab heute hörst du mir zu! Ich weiß nicht was es ist, aber du verheimlichst mir etwas! Ich will es nun wissen!“
Charlotte sagte nichts sondern war damit beschäftigt sich mit ihrem Armen vor ihm zu schützen. Als er aufhörte, fiel sie zu Boden und krümmte sich vor Schmerz. Stefan jedoch zeigte keine Gnade und trat mit seinem Fuß gegen ihren Körper. Charlotte nahm in einem Moment, indem er von ihr abließ, ihren Schwefelrevolver und drückte ab. Stefan schrie vor Schmerz und knallte gegen den kleinen runden Tisch, der neben ihm Stand. Charlotte ergriff die Chance und rannte so schnell, wie sie konnte hinaus. Dann fuhr sie per Anhalter zu Romy-Lucia. Dort angekommen, fiel sie ihr in die Arme und weinte sich ihr Seele aus.

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„Charlotte Liebes, was ist denn los? Nun sag doch etwas.“
„Romy-Lucia, du bist die Einzige, die ich noch habe.“
„Wie meinst du das?“
„Es tut mir Leid, was ich gesagt habe, natürlich empfinde ich etwas für dich.“
„Ich bin doch immer für dich da.“
„Kann ich heute bei dir bleiben?“
„Natürlich, aber willst du mir nicht erzählen, was los ist?“
„Doch.“
„Na komm rein. Willst du eine Zigarette?“
„Ja gerne. Du bist so eine wundervolle Person. Ich habe es nicht verdient, dass du mich liebst.“
„Charlotte, du hättest jede verdient. Glaube mir.“
Charlotte näherte sich ihr und küsste sie zärtlich auf den Mund. Diesmal lag es nicht am „Zauberwein“. Romy-Lucia erwiderte den Kuss und berührte sanft ihre Brust. Charlotte ließ es zu und knöpfte Romy-Lucias Jacke auf. Diese öffnete dann Charlottes Kleid und schmiss es auf den nächstgelegenen Stuhl. Dazu kamen noch Romy-Lucias Jacke und ihr langer Faltenrock. In Unterwäsche legten sie sich dann auf Romy-Lucias neues Sofa. Sie streichelten ihre Körper und sahen sich dabei in die Augen. Irgendwann ergriff Romy-Lucia die Initiative und öffnete Charlottes Büstenhalter. Diese machte es ihr gleich und ging noch einen Schritt weiter. Als beide völlig nackt unter der Decke, bei Kerzenschein, lagen, sagte Romy-Lucia etwas.
„War er das?“
Sie deutete mit ihrer Hand auf die Blauen Flecken und Wunden auf Charlottes Körper.
„Ja, aber es ist nicht so dramatisch, wie es aussieht. Lass und lieber nicht über ihn reden, sondern über uns.“
Ihr schien die Frage unangenehm zu sein.
„Ja du hast Recht.“
„Wie soll es jetzt eigentlich mit uns weitergehen?“
„Ich denke mal, dass du bei mir bleibst oder?“
Charlotte sagte dazu nichts.
„Was ist denn? Willst du gar nicht bei mir bleiben?“
‚Doch natürlich, aber du weißt doch, wie das ist. Wir leben keine gewöhnliche Liebe.“
„Ich weiß, aber ich halte es nicht aus ohne dich. Du bist mein ein und alles, dass ich niemals verlieren will.“
„Du bedeutest mir so viel, aber du weißt, was das heißt. Wir werden das unser Leben lang verschweigen müssen.“
„Wahrscheinlich schon, aber wir können ja noch lange darüber nachdenken. Eine Entscheidung muss nicht heute getroffen werden.“
Nach diesen Worten wendeten sie sich wieder zärtlich einander zu. Romy-Lucia küsste ihre Liebste den Hals entlang bis hin zum Bauch. Charlotte stöhnte leise auf und fühlte sich seit langem wieder richtig wohl. Sie verschwendete keinen Gedanken mehr an ihren gewalttätigen Ehemann.

Charlotte

Am nächsten morgen lag Charlotte mit Romy-Lucia im Bett. Sie schien noch zu schlafen. Das war ein guter Moment nach hause zu gehen und ihre Sachen zu holen. Charlotte stand so leise auf, wie möglich, zog sich an und fuhr per Anhalter nach hause. Dort angekommen ging sie in ihr Schlafzimmer zum Schrank und holte ihre Kleidung, Schuhe samt Schmuck heraus und steckte alles in eine große Reisetasche. Stefan war nicht da. Er war wahrscheinlich noch zu einer seiner „anderen Frauen“. Jedenfalls konnte sie diese Situation jetzt sehr gut ausnutzen. Als sie jedoch fertig war und gehen wollte, hörte sie die Tür ins Schloss fallen. Was sollte sie nun machen? Sich verstecken oder sich ihm stellen? Sie entschied sich dafür einfach an ihm vorbeizugehen als sei er gar nicht da. So leicht ließ er sie aber nicht davon kommen.
„Charlotte, bitte, du musst bei mir bleiben.“
Sie drehte sich zu ihm um. Er sah fürchterlich aus. Der Schwefelrevolver hatte ihm offensichtlich sehr zugesetzt.
„Nein, das werde ich nicht.“
„Wo willst du überhaupt hin?“
„Das lasse mal meine Sorge sein.“
„Wo warst du denn die ganze Nacht?!“
„Wo warst du die ganze Nacht?“
„Geht dich das etwas an?“
„Wenn mich das nichts angeht, dann geht es dich auch nichts an, wo ich die Nacht verbracht habe. Und jetzt entschuldige mich, ich möchte bitte gehe.“
Charlotte versuchte so höflich, wie möglich zu bleiben, aber Stefan wollte sie nicht gehen lassen und packte sie am Arm, doch sie war schneller. Sie hielt den Schwefelrevolver in der Hand. Jetzt war es das mit der Ehre. Zweimal einen Mann bedroht ist einmal zu viel

, dachte sie. Stefan ließ sie beim Anblick des Schwefelrevolvers automatisch los, woraufhin Charlotte ihren eleganten Schritt fortsetzte und verschwand.

Romy-Lucia

Die Haustür ging mit einem Knarren auf. Wie vermutet, stand Charlotte da. Sie musste schon zugeben, dass sie Angst gehabt hatte, dass Charlotte, wieder zu Stefan zurückkehrt, nachdem sie sie am Morgen, als sie aufgewacht war, nicht mehr hatte finden können. Jetzt war sie glücklich, dass sie da war und das sogar mit Koffern. Charlotte kam dann auf sie zu, küsste sie zärtlich auf den Mund und fragte, wo sie ihr Gepäck hinbringen sollte.
„Du kannst es in unser Schlafzimmer bringen Liebes“, sagte Romy-Lucia träumerisch.
Ihr Traum, dass Charlotte nun jeden Abend bei ihr vor dem Kamin sitzt, genüsslich raucht und liest würde also wahr werden.
„Mochtest du vielleicht auch noch etwas essen“, schlug sie vor?
„Gerne, mein Liebling, aber du brauchst nicht zu kochen. Ich lade dich in das gute Restaurant am Alexanderplatz ein.“
„Das ist nett, danke.“
„Keine Ursache, ich habe immerhin auch nochein paar Mark.“

Nach einer halben Stunde saßen sie im Restaurant „Nellie’s“ gemütlich an einem eckigen Tisch, der an den Fenstern stand. Charlotte bestellte ein Schnitzel mit etwas Kartoffeln und Romy-Lucia einen „Salad Amaricano“.
„Wollen die Damen noch ein Getränk dazu?“, fragte der Kellner.
„Bringen Sie uns bitte eine Champagnerflasche“, antwortete Charlotte schnell.
„Du bist ja eine richtige Charmeurin“, sagte Romy-Lucia.
„Danke. Das war Roland.“
„Roland? Wer?“
„Der Kellner eben. Ich besuchte zusammen mit ihm die Grundschule. Also nur die ersten drei Klassen. 1907 ist er mit seiner Familie von Kreuzberg nach Köpenick umgezogen.“
„Und wie ich sehe erkennt er dich nicht mehr.“
„Nein, schon damals hatte er keine guten Augen. Alle haben ihn Blindschleiche genannt. Ich weiß, dass das echt gemein war, aber wir waren eben alle mal klein.“
„Ja, ich kenne das. Jeder wurde ausgegrenzt der nicht mithielt. Einmal sogar hatten sich alle gegen mich verschworen und das nur, weil ich keine Spieluhr hatte.“
„Das war wohl auch echt mies von den anderen.“
„Das Essen Madame“, sagte der Kellner zu Charlotte.
„Ihres kommt natürlich unverzüglich.“
„Danke Roland.“
Roland schaute nur ein bisschen verwirrt und trottete gleich darauf wieder in die Küche.
„Romy-Lucia, ich hatte mir da was überlegt. Ich will arbeiten gehen.“
„Wirklich, bist du dir sicher. Wir haben doch mit vierhundert Mark genug für einen Monat.“
„Ich weiß, aber wir könnten uns dann noch mehr leisten.“
„Na gut, an mir soll es ja nicht liegen. Wo hattest du denn vor dich zu bewerben?“
„Bei Linas Hutladen. Sie sucht noch eine weibliche Assistentin. Dafür bekomme ich einhundert Mark pro Monat.“
„Das wäre ja super. Sollen wir gleich mal hin?“
„Gerne, machen wir das.“
„Hier ist noch ihr essen Fräulein“, sagte der Kellner. „Ach ja, woher kennen sie eigentlich meinen Namen?“
„Sie gingen zusammen mit meiner Freundin auf die Grundschule in Kreuzberg. Sie erinnern sich?“
„Wie heißt ihre Freundin denn?“
„Charlotte Schneider.“
„Ah ja, Charlotte. Natürlich, du hattest doch damals so ein Mädchen geküsst. Dafür hattest du großen Ärger bekommen. Ja ja, dass waren noch Zeiten.“
Der Kellner lachte und ging wieder weg.
„Charlotte? Hast du das echt getan?“
„Ja, was meinst du, wieso ich mich gegen diese Beziehung gewehrt hatte. Mein Vater hat mich damals so sehr zusammengeschlagen, dass ich zwei Wochen nicht zur Schule gehen durfte.“
„Oh, das tut mir Leid. Ich hatte ja keine Ahnung.“
„Dir muss es nicht Leid tun. Ich hatte Stefan sowieso seit langem nicht mehr geliebt. Es war nur die Angst, die du mir jetzt genommen hast.“
Die beiden küssten sich auf den Mund, doch niemand schien es zu bemerken.
„Sollen wir jetzt gehen?“
„Ja, gehen wir noch zu Linas Hutladen.“

8


Charlotte

Charlotte stand vor der Vitrine zu Linas Hutladen. Sie war noch etwas unsicher einzutreten doch Romy-Lucia stand ihr bei und ermutigte sogar zu diesem Job. Stefan hätte ihr eher verboten arbeiten zu gehen oder sie ausgelacht, aber zum Glück war das mit ihm vorbei. Nach ein paar weiteren Minuten entschied sie sich hinein zu gehen. Von draußen sah man, dass Lina gerade einen prächtigen Hut mit einer Schleife dekorierte.

„Hallo, ich wollte mich für einen Job erkundigen“, sagte Charlotte.
„Guten Tag Charlotte, Sie wollen hier also arbeiten?“, sagte Lina.
„Ja, das ist richtig.“
„In welchem Bereich würden Sie sich denn am ehesten vorstellen?“
„Also, ich dekoriere gerne. Aber, das Weben macht mir auch sehr viel Spaß.“
„Gut, dann würde ich vorschlagen, dass Sie mir ins Büro folgen. Wollen Sie Ihre Freundin dabei haben.“
„Ja, natürlich.“

Lina holte ein Formular aus dem Schrank und griff nach einem beliebigen Kugelschreiber vor ihr.
„Also ich müsste Ihren Namen, Adresse, Geburtsdatum- und Ort und Ausbildungsplatz haben.“
Mein Name ist Charlotte Schneider und ich wohne in der Tiergartenstrasse Hausnummer 67 in Berlin. Geboren bin ich am 17. Januar 1898 in Berlin.“
„Und der Ausbildungsplatz?“
„Ehrlich gesagt, habe ich keinen. Die einzige Arbeit, die ich bis her getätigt habe, war die bei einem sehr vermögendem Ehepaar.“
Und als was haben Sie dort gearbeitet, wenn ich fragen darf?“
„Ich war dort als Dienstmädchen tätig.“
„Und wann war das?“
„Von 1912 bis 1919.“
„Gut, dann vermerke ich das schon mal. Ich denke, ich werde Ihnen eine Chance geben.“
„Danke, ich weiß das sehr zu schätzen.“
„Wenn Sie denn hier bitte noch unterschreiben könnten?“
„Ja natürlich.“
Lina begleitete Charlotte und Romy-Lucia zur Tür und verabschiedete sich.
„Bis morgen dann. 7 Uhr und keine Minute später. Pünktlichkeit wird bei uns sehr hoch angesehen.“

Am Nachmittag saß Charlotte einmal wieder in einem von Romy-Lucias Sesseln und blätterte in einem Hochzeitskatalog, den sie unter dem ganzen Stapel Zeitschriften gefunden hatte, die sich auf der Kommode befanden. Dort waren wunderschöne Kleider abgebildet, fand sie. Besonders das auf Seite 9 hatte es ihr angetan. Wenn sie Romy-Lucia heiraten sollte, dann in diesem Kleid. Nach einer Weile hörte sie die Haustür knarren. Romy-Lucia war zurück. Sie trat in das Zimmer ein mit ein paar Zigarettenschachteln, Filtern und natürlich mit „Der Freundin“, ihrer Lieblingszeitschrift.
„Tut mir Leid, dass ich so lange weg war, aber die Telefonzelle war dauernd besetzt.“
„Hast du denn deine Tante erreichen können?“
„Ja, sie bringt Louise noch heute Abend hier her. Auch wenn diese nicht besonders darüber erfreut war, dass ihre Ferien bei <<Tante Astrid>> schon beendet sein sollen.“
„Ach, dass geht doch jedem Kind so. Ich weiß noch, wie ich damals immer geweint hatte, als die Ferien bei meiner Großmutter beendet waren.“
Plötzlich klingelte das Telefon.
Charlotte nahm den Hörer ab und lauschte hinein. Dann machte sie Romy-Lucia ein Zeichen , dass bedeutete still zu sein.
„Ja, also, ich habe keine Ahnung, wo sie sein könnte. Hast du es denn schon mal bei Magdalena versucht?“
„Ja? Also bei mir ist sie nicht.“
Charlotte ahnte schon, wer am Apparat war.
„Euhm, also weißt du, ich habe noch sehr viel zu tun. Bis dann.“
Romy-Lucia legte auf und schaute ängstlich zu Charlotte hinüber.
„Es war Stefan oder?“
„Ja, er sucht dich überall.“
„Verdammt, was soll ich nun machen?“
„Charlotte, sei nicht so verzweifelt, wir finden schon eine Lösung.“
„Na gut, ich hoffe es. Denn wenn uns findet, wird seine Wut unberechenbar.“


Romy-Lucia

Es musste doch eine Lösung geben. Charlotte und sie konnten sich doch nicht bis ans Ende ihrer Tage hier verstecken.

„Wo ist denn dieses verflixte Ding?“, sagte sie zu sich selbst.
„Ah da ist es ja.“
Sie ging zu dem Kaffeetischchen und nahm das Zigarettenetui in die Hand, welches ihr aber aus der Hand glitt, als sie über ein Buch von Louise stolperte, welches auf dem Boden lag.
„Mist, wo ist das Etui denn jetzt hin?“
Ihr Blick glitt langsam über den Boden bis zu den Büchern hin. Und da lag es auch, direkt vor dem Regal. Anstatt es jedoch aufzuheben starrte, sie wie angewurzelt auf das Regal. Es schien als wäre ihr eine gute Idee in den Sinn gekommen. Und tatsächlich, sie griff nach einem roten Buch mit der Aufschrift „London, Großbritanniens Metropole“. Das war doch die Idee. Ihre Kusine wohnte doch in London. Dort könnten sie im Notfall unterkommen. Trotzdem wollte sie Charlotte erst nichts davon erzählen. Sie würde sonst wieder alles überstürzen.

Charlotte

Es war abends. Charlotte war gerade von ihrer Arbeit nach hause gekommen. Romy-Lucia hatte im ganzen Wohnzimmer Kerzen aufgestellt, was sehr romantisch aussah. Charlotte verspürte sofort ein Kribbeln im Bauch. Sie ging auf Romy-Lucia zu, die auf dem Sofa saß und küsste sie sanft. Dann zog sie sich ihren Mantel aus und knöpfte vorsichtig Romy-Lucias karogemusterte Jacke auf. Als sie sich gegenseitig die Röcke ausgezogen hatten, sich im Kerzenschein küssten und streichelten hörte Charlotte ein leises Geräusch, dass dennoch zu hören war.
„Liebste, hast du das gehört?“
„Nein, was ist denn?“
„Ach, wahrscheinlich gar nichts, ich dachte nur ich hätte Schritte gehört.“
„Es war wahrscheinlich nur der Wind. Es ist ja sehr stürmisch draußen.“
„Ja, ich habe es gemerkt, meine Frisur sieht schlimm aus.“
„Ach Liebes, du siehst einfach umwerfend aus und die Frisur steht dir ganz gut.“
Die beiden beendeten ihr Gespräch küssten sich weiter. Charlotte streichelte Romy-Lucias Brust und verwöhnte sie mit dem Mund. Charlotte war wieder endlos glücklich und sah an Romy-Lucias Augen, dass auch sie es war. Doch dann wurde die liebevolle Stimmung arg gestört. Die Wohnzimmertür wurde aufgeschlagen und Stefan stand da. Er kochte vor Wut. Da bestand kein Zweifel.
„Du Schlampe, ich habe alles für dich getan und nun, wo du ausgezogen bist, schnappst du dir direkt die Nächste?“
„Stefan, das ist nicht so, wie du denkst.“
„Ach nein, wie ist es dann, du machst mit dieser Hure herum und sagst mir dann auch noch, dass es nicht so ist, wie es aussieht.“
„So Stefan, verlasse mein Haus, du hast kein Recht hier zu sein.“
„Bald schon, wenn ich der Polizei erzähle, dass du mit meiner Frau Unzucht betreibst. Und halte dich aus Charlottes und meinen Angelegenheiten heraus.“
„Du bist so widerlich und das nur, weil du eifersüchtig bist?“
„Ich und eifersüchtig? Ha, das wäre doch gelacht! Ich kenne nur meine Pflichten! Und nun zu dir Charlotte! Ich hätte nie gedacht, dass du es mit einer Frau treibst! Dass du so was tust, wenn du weg bist, war mir echt nicht bewusst!“
Stefan stürmte auf Charlotte zu und schlug sie, bis Romy-Lucia dazwischen ging und ihm ihre Fäuste sein Gesicht knallte.
„Das werdet ihr bereuen. Ich zeige euch beide an. Und Charlotte, lass dich nie wieder bei mir blicken.“
Mit diesen Worten rannte er zur Tür hinaus.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.01.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An Aylin

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