„Kannst du dich noch an den Gesichtsausdruck der lieben Mutter erinnern, als ich ihr das Messer in den Bauch gerammt habe? Sie war so fassungslos. Aber dabei hat sie es selber herbei beschwört. Sie hatte gesagt, dass du nicht gut für mich wärst! Was weiß sie schon, du bist doch meine beste Freundin. Jetzt schau mich nicht so anklagend an. Du wolltest es doch selber. Wer hat denn die ganze Zeit gerufen, >>mach es, mach es<<?! Ich habe uns wieder zusammen gebracht. Ja, du hast recht, die Sauerei danach war nicht sehr schön, aber ich denke, wir haben es gemeinsam sehr gut wegbekommen. Die liebe Mutter, sie hat es einfach nicht verstanden.
Weißt du noch, als sie uns mal zur Nachbarin gegeben hatte? Sie sollte auf uns aufpassen. Erst war es ja ganz nett, aber dann war da ihr kleiner Sohn. Ich glaube, der war 8 Monate alt. Wie der an deinem schicken Kleid gezogen hat. Wie du geschrien hast, ich musste einfach was tun. Warum hast du dich überhaupt von ihm anfassen lassen? Eigentlich bist du selber Schuld! Ach was hat die Frau bitterlich geweint, als sie gemerkt hat, dass ihr Baby an Kindstod gestorben ist. So was kann ganz schnell bei kleinen Kindern passieren. Und erst meine liebe Mutter, wie hat sie mit der Nachbarin geweint, denn sie selber hatte genau das gleiche Schicksal erlebt. Ihr kleines Baby ist ebenfalls am Kindstod gestorben. Was schaust du mich mit deinen großen Augen an? Hat dich das Geschrei nicht auch gestört? Tagtäglich dieses Geheule und dann auch noch nachts. Ich musste einfach was tun, damit wir endlich wieder Ruhe haben. Die Idee mit dem Kissen aufs Gesicht drücken war eine sehr gute von dir. Es ging schnell und war gar nicht so schwer. Und danach diese himmlische Ruhe - herrlich. Das die liebe Mutter danach einen Schock erlitten hatte, war gar nicht so schlimm, denn da hatten wir erst mal unsere Ruhe und konnten ungestört spielen.
Was meinst du? Der liebe Vater hat es nicht verdient? Also wirklich! Wer hatte sich denn den Plan ausgedacht?! Ich bestimmt nicht. Das war doch alles deine Idee. Nur weil er der Ansicht war, dass ich schon zu groß wäre, um mit dir noch in einem Bettchen zu schlafen. Er hat dich mir aus den Armen gerissen und auf einen Stuhl gesetzt. Gesetzt! So konntest du die ganze Nacht nicht schlafen. Und das sollte nun jeden Abend so sein? Zum Glück hattest du die wunderbare Idee mit den Schlaftabletten. Ich wusste, dass Mom immer welche im Schrank hatte. Durch den Tod ihres Zweiten Kindes musste sie versuchen, die Nächte ruhig zu verbringen. Also habe ich die ganze Packung genommen und meinem Vater abends einen Tee gemacht. Hast du gesehen, wie er sich gefreut hat? Ich glaube, der Tee hat ihm nicht geschmeckt, aber er hat ihn fleißig ausgetrunken, da ihn ja seine liebe Tochter gemacht hat.
Und was ist jetzt? Sie haben uns in eine Anstalt für Bekloppte gebracht. Hast du gehört, was sie gesagt haben? Das Kind hätte ein Trauma durch den Verlust der beiden Eltern erlitten. Sie wollten mich dir wegnehmen, aber ich habe das nicht zugelassen. Ich habe geschrien, gekratzt und dem einen Mann in den Arm gebissen, bis das Blut floss! Und nun sitzen wir beide hier und spielen zusammen. Jedenfalls denken das die Pfleger. Denn was sie nicht wissen: wir haben schon einen Plan, wie wir hier wieder raus kommen. Ich freue mich drauf.“
Die Tür des Zimmers öffnete sich nach einem kurzen Anklopfen. Der behandelnde Arzt kam zur täglichen Visite und sah, wie das Kind auf dem Boden saß und mit seiner Puppe sprach.
Texte: Stefanie Lempe
Tag der Veröffentlichung: 13.09.2012
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