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Langsam öffnete ich die Augen. Die Sonne schien mir direkt ins Gesicht. Ich drehte den Kopf langsam zur Seite und versuchte, meine Umgebung in mich aufzunehmen. Weiß gekachelte, kalte Wände. Ich lag auf einem Bett mit rötlich-weißer Bettwäsche; neben mir stand ein Apparat, der unaufhörlich piepte. Oh dieses Piepen, dieses ständige Piepen. Ich drückte mir meine Hände auf die Ohren, schloss wieder die Augen und versuchte, das Geräusch auszusperren. Wo bin ich? Was war passiert?

"Hannah, wo bleibst du denn?"
Meine beste Freundin Anna schaute mich vorwurfsvoll an. Wir kannten uns seit den Kindertagen und ich denke, die Ähnlichkeit unserer Namen musste uns einfach unweigerlich zusammenführen.
"Ich bin doch schon längst da."
Lachend legte ich meiner Freundin den Arm um die Schultern und wir marschierten Richtung Auto, wo die Jungs schon auf uns warteten. Es war ein herrlicher Tag. Viel zu warm für den Winter. Daher beschlossen wir, den Tag am See zu verbringen. Faul im Gras liegen und die Sonne aufs Gesicht scheinen lassen.
"Das Wetter ist wie in einem Bilderbuch", flüsterte mir Anna ins Ohr, "und ich denke, heute werden wir noch andere bilderbuchmäßige Dinge mit den Jungs anstellen."
Ich drückte mir meine Hand auf den Mund und versuchte, ein Kichern zu unterdrücken.
"Hey Joe, James!", begrüßte ich die beiden Brüder, die mir so vertraut waren, wie meine eigenen Brüder. "Alles klar bei euch?"
"Aber klar doch Baby, jetzt komm und steig ein. Wir wollen langsam los, bevor die Sonne wieder weg ist."
Am See war echt ne Menge los, dennoch hatten wir Glück und konnten einen halbwegs guten Platz in der Sonne ergattern. Wir breiteten unsere mitgebrachte Decke aus und legten uns mit dem Gesicht zur Sonne.
"Wer hätte gedacht, dass es im Winter so schön sein kann?"
Anna kuschelte sich in James Arme, zwinkerte mir zu und fragte: "Wollen wir nachher noch eine DVD schauen?"
"Klar, das können wir bei uns machen!" Joe streichelte meinen Arm. "Wir können ja nachher an die Tanke ranfahren und noch Knabberzeug holen."
Als der Tag sich neigte, sammelten wir die Decke ein und gingen zum Auto. Der Weg zur Tankstelle war nicht weit und so waren wir in 10 Minuten dort.
"Kommt Mädels, lasst uns mal schauen, was die so Leckeres haben." Joe und James stiegen zuerst aus und hielten uns die Türen auf. Ich prustete vor Lachen los, als Anna den Hochzeitsmarsch summte. Die Jungs schüttelten verwirrt den Kopf und gingen voran in den Laden.
Wir begrüßten den Tankstellenwart und ich bemerkte, dass wir die einzigen Kunden waren.
"Hier ist doch schon mal was!"
James kramte in den Chipstüten rum und versuchte seine Lieblingssorte zu finden. Joe und Anna erkundeten die anderen Knabberwaren. Im Augenwinkel sah ich einen weiteren Kunden den Laden betreten und erschrak. Der Mann trug eine Skimaske, die sein ganzes Gesicht bis auf die Augen verdeckte; in der Hand hielt er eine Pistole, die er jetzt auf den Tankstellenwart richtete.
"Kohle her oder ich erschieß dich, du Penner!"
Bei dem Geschrei hob James den Kopf.
"Was zum Geier ist hier los?"
Der Mann mit der Maske wirbelte zu uns herum, schrie auf und rannte auf uns zu. Ich erstarrte und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Mit Grauen konnte ich nur zusehen, wie der Mann meine Freunde erschoss.

Erst James.

Dann Anna.

Dann Joe.

Das letzte, was ich spürte, war ein schrecklicher Schmerz, bis mich die schwarze, friedliche, schmerzfreie Dunkelheit umschloss.

"Hannah? Hanna? kannst du mich hören?"
Ich öffnete die Augen und sah direkt vor mir einen Mann im weißen Kittel. Vorsichtig nahm ich die Hände von den Ohren und versuchte mich daran zu erinnern, was ich gerade gedacht hatte. Ich konnte es nicht mehr.
"Hannah. Mein Name ist Dr. Kulich. Weißt du wo du bist?"
Ich schüttelte den Kopf. Hannah? Wer war Hannah? War ich das? Ich konnte mich nicht erinnern, den Namen schon einmal gehört zu haben. Und was sind das für Personen vor meinem Bett?
"Du liegst in einem Krankenhaus, Hannah."
Ich versuchte zu sprechen, bekam aber nur ein Krächzen raus. Verstohlen betrachtete ich die Frau, die sofort auf mich zugelaufen kam, mir half mich aufzurichten und mir ein Glas Wasser einflösste. Vorsichtig ließ ich mich zurück fallen und sah sie an.
"Liebling, weißt du, wer ich bin?"
Ich schüttelte den Kopf und versuchte, mich tiefer ins Bett sinken zu lassen. Die Frau fing an zu weinen. Dr. Kulich nahm die Frau an der Hand und ging mit ihr zu dem Mann, der am Ende meines Bettes stand und den Kopf sinken ließ. Flüsternd hörte ich den Doktor reden.
"Machen sie sich keine Gedanken um ihre Tochter, Frau und Herr Mieros. Hannah leidet an einer vorübergehenden Amnesie. Das ist ganz normal bei Patienten, die nach einem so schrecklichen Trauma ins Koma gefallen sind."
Ich versuchte, den Worten einen Sinn zu geben.
Amnesie? Koma? Trauma? Von was redet er?
Ich drehte meinen Kopf zum Fenster, wieder der Sonne entgegen. Ein Bilderbuchwetter, dachte ich. Kurzzeitig zuckte mir das Bild eines blonden Mädchens, dem ich den Arm um die Schultern legte, durch den Kopf. Doch so schnell wie es da war, war es auch wieder weg. Ich lächelte. Bei dem Wetter werde ich nachher mal rausgehen, denke ich bei mir und schliesse die Augen.

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Tag der Veröffentlichung: 16.03.2012

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