Cover

Vorwort


Liebe LeserInnen,

viele sagen mir immer wieder das ich ja ein sehr kreativer Kopf sein muss, weil ich schreibe. Das man dafür viel Fantasie und auch Talent benötigt.
Talent habe ich vielleicht ein wenig, nur die Fantasie ist mir bereits vor Jahren abhanden gekommen.
Ich finde es nämlich nicht sonderlich kreativ oder fantasiereich Tagträume und Wünsche aufzuschreiben. Aber genau daraus sind meine Geschichten mittlerweile gemacht.
Ich schreibe nur noch um meinen Kopf frei zu bekommen und eventuell ein anderen Blickwinkel auf vergangene Situationen zu erhaschen.
In „Briefe an dich“ (Michelle Wo; April 2017) durftet ihr das schon genauer erfahren. Wart dabei als ich mit einem großen Kapitel meines Lebens abgeschlossen habe.
In den Jahren bis heute (Mai 2020) ist sehr vieles passiert.
Ich wurde mental klein gemacht, bin aus alten Mustern ausgebrochen, nur um mich danach wieder zu verändern und alles über Bord zu werfen, was gesund für mich wäre. Ich habe strikt nach Regeln gelebt. Habe Menschen in meinem Leben sortiert und auch einige Filter dafür entwickelt. Denn ich habe im Laufe der Jahre gelernt, das es für mich und mein Herz besser ist bestimmte Dinge strikt zu trennen.
Ich bin zu einem absoluten Kopfmensch geworden, der nur ungern auf sein Herz hört. Ich weiß was richtig und was falsch ist, treffe generell vernünftige Entscheidungen, auch wenn sie mich verletzen.
Und ich habe gelernt das mein Herz mich immer wieder - verzeiht mir die Ausdrucksweise - in die Scheiße reitet.
Ich bin ein sehr misstrauischer Mensch geworden, der alles hinterfragt, immer nach einem Haken sucht und alles zerdenkt.
Ich möchte schönen Worten Glauben schenken, weil sie mich beflügeln. Weil sie mich glauben lassen, dass auch ich ein Mal glücklich sein darf ohne auf die Nase zu fallen. Das auch ich irgendwann ankommen werde und mich sicher und geborgen fühlen kann.
Aber mein Kopf zieht dann immer die Notbremse. Denn in dem Moment, wenn ich diesen Worten glauben schenken will, hat nicht er das Kommando.

Was genau passiert aber, wenn plötzlich das, was man am liebsten ausgeschaltet hätte, die Steuerung übernimmt?
Ihr könnt es gleich lesen.

Auch diese Geschichte sind bloße Tagträume von mir, Wünsche. Ausgelöst durch eine Person, die gut und gerne mein Gegenstück hätte sein können, aber niemals werden wird.

—Kleiner Eintrag, für diejenigen die wissen um was es geht—

Bitte spart euch die Standpauken, ihr wisst ich bin bescheuert und unbelehrbar.
Und ich weiß, dass ihr mich trotzdem liebt :)


Bitte schlagt mich nicht, wenn weder Rechtschreibung noch Grammatik hinhauen. Euer nervöses Augenzucken wegen der Verwechslung von „als“ und „wie“ behaltet ihr auch bitte für euch.
Ich bin und bleibe Hobbyautorin, die das alles hier gerade auf ihrem Handy schreiben muss, weil der Laptop vollends den Geist aufgegeben hat.

Viel Spaß beim lesen!

Schwarz und Weiß

I'm so tired of lovesongs,  tired  of love songs, tired of love

Just wanna go home, wanna go home Wanna go home, whoa“

                                                                                   -  Lauv & Troye Sivan

 

Summend stehe ich vor meiner Kaffeemaschine und sehe sie verträumt an. Ich hätte nie gedacht das man einen Gegenstand so lieben kann, auch wenn die Geräusche Ohrenbetäubend sind und eher dem Start eines Flugzeugs gleichen. Ich kann das Lied im Radio kaum hören, aber summe die mir bekannte Melodie vor mich hin. Ella, mein kleines und lautes Goldstück, brüht mir gerade das Lebenselixier das mich nicht mehr ganz so nach einem „The Walking Dead“ - Statisten aussehen lässt. Vielleicht eher wie das Mädchen aus „The Ring“, nur noch mit ein paar üblen Augenringen vom wenigen Schlaf.
Punkt 1: Ja, ich gebe Gegenständen Namen. Mit wem soll ich sonst allein in dieser Wohnung reden?
Punkt 2: Ob das etwas psychologisch bedenklich ist? Vielleicht. Aber immerhin reden andere auch mit ihren Haustieren. Warum sollte ich also keine enge Bindung zu meiner Kaffeemaschine haben?
Punkt 3: Faszinierend das ich weiß, wie das Mädchen aus „The Ring“ aussieht. Ich schaue solche Filme nicht. Normalerweise verstecke ich mich da immer hinter einer Kissenmauer oder wahlweise der Popcorn-Tüte.
Immer noch über Punkt drei rätselnd setze ich mich mit meiner Tasse Kaffee an meinen üblichen Platz am Fenster. Ich kuschele mich in meinen Pulli ein und genieße die ersten Sonnenstrahlen des Tages. Es ist erst sieben Uhr morgens, das ich an einem freien Samstag jemals freiwillig so früh aufstehe hätte ich auch nicht für möglich gehalten. Der Spatz auf meinem Fensterbrett hat damit vermutlich auch nicht gerechnet, denn so wie er mich sieht verliert er die Balance und fällt runter. Mag daran liegen, dass ich ihn erschreckt habe oder an der Tatsache das ich noch immer Aussehe wie Godzilla höchstpersönlich. Ich habe diese Werbungen, die einem vermitteln das Frauen morgens taufrisch aussehen und gut gelaunt sind, schon immer gehasst.
Absoluter.
Bullshit.
Freunde.
Die Haare sind zerzaust, das Gesicht ist zerknautscht vom Feinsten - womöglich noch mit Make-Up Resten nach dem Feiern verziert. Man sieht also eher aus wie Pennywise, wenn man dann noch versucht zu lächeln. Den Legenden zufolge soll es dennoch Männer geben, die genau diesen Anblick lieben. Und einen ansehen als wäre man das schönste Geschöpf dieser Erde. Ich würde zwar auch sehr gern mal so angesehen werden, aber das passiert mir nicht mal wenn ich mir wirklich Mühe mit meinem Äußeren gebe.
„Aus einer Krähe macht man keinen Paradiesvogel“ pflegt eine alte Verwandte von mir immer zu sagen. Recht hat sie, und so werde ich auch heute darauf verzichten in meinen Malkasten zu greifen. Verschwendete Liebesmüh, denn dieses Wochenende oder besser dieser Ausflug dreht sich sowieso nur um eines: Sex.
Ich werde also so oder so zerstört aussehen, wofür sollte ich mir die Mühe machen?
Doch da ist immer wieder dieser kleine, miese, fiese Funken Hoffnung in meinen Kopf. Ich meine: Wer betreibt schon so einen Aufwand nur für Sex?

Klar, er kennt solche Arrangements im Gegensatz zu mir nicht.
Trotzdem irgendwie seltsam, aber ich versuche das Ganze nicht schon wieder zu sehr in meinem Kopf routieren zu lassen. Das letzte Mal, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, hat er nämlich schon ein ziemliches Chaos in meinem Kopf angerichtet. Ich kannte mich so nicht, wie ich mich an diesem Abend verhalten habe. Ich habe aber auch zuvor immer streng meine Regeln eingehalten, von denen ich genau wusste das sie mich beschützen. Und nein, ich rede hier nicht nur von Kondomen, auch wenn man das vielleicht meinen könnte.
Ein sehr guter Freund meinte aber mal zu mir, dass ich aufhören solle immer so streng zu sortieren. Das ich einfach mal die Zeit genießen und sehen soll wohin mich das alles führt. Klang für mich, zumindest in diesem Moment, ziemlich schlüssig. Das „Versuchskaninchen“ dafür war schnell gefunden.
Aber ob er da die richtige Wahl war? Ich habe noch nie jemanden kennengelernt der mir so ähnlich ist. Habe noch nie jemanden kennengelernt mit dem ich so viele Gemeinsamkeiten habe. Egal welches neue Thema wir angesprochen haben, man konnte davon ausgehen das wir die gleiche Meinung hatten. Ich habe mich auch noch nie so wohl bei jemandem gefühlt. Aber ich möchte nicht schon wieder anfangen darüber nachzudenken, ich brauche einen klaren Kopf für dieses Wochenende.
Eine große Herausforderung für mich.  

Ich darf mich nicht auf meinen Kopf verlassen, denn er würde jede schöne Minute zerstören. Ich darf aber auch nicht zulassen, dass mein Herz die Überhand gewinnt, denn ansonsten werde ich vermutlich wieder ein mal mehr verletzt werden.
Es geht nur um den Sex. Richtig guten Sex und eben einen kleinen Ausflug um mal wieder hier raus zu kommen.
Ich hatte mir immer jemanden gewünscht, der mich einfach schnappt und sagt „Pack deine Sachen, wir fahren weg“, wenn ich mal wieder durchdrehe oder einfach Fernweh habe.
Dieser Vorschlag kam von ihm fast aus dem Nichts. Er hat einen Bus zum Camper umgebaut und das Bett müsse noch eingeweiht werden. Jajaja, jeder weiß von was ich rede. Aber eigentlich wollte ich nicht nur davon erzählen.
Wie ich so meinen Gedanken nachhänge stelle ich fest, dass ich mich langsam wirklich mal anziehen sollte, denn er wird gleich da sein um mich abzuholen. Ich hoffe nur, dass das Wetter so schön bleibt und wir viel sehen können. Ich weiß nicht wohin es geht und er vermutlich auch nicht. Einfach ins Auto setzen und sehen wohin es uns verschlägt. Es ist irgendwie aufregend und spannend jemanden gefunden zu haben, der diese Leidenschaft mit einem teilt und da genauso denkt wie man selbst. Beängstigend, aber auch unheimlich schön.
Sex. Es geht um den Sex. Es ist nur Sex.
Während ich dieses Mantra vor mich hin murmele hält er draußen schon an. Ich habe nicht viele Sachen eingepackt, Klamotten sind – vermute ich mal – die meiste Zeit ohnehin überflüssig. Meine roten Haare habe ich zu einem unordentlichen Knoten auf meinem Kopf zusammengebunden. Er mag sie zwar lieber offen, aber mich stört das die meiste Zeit und da ich nicht weiß wie lange wir fahren habe ich mich für gemütliche Sachen entschieden. Unter anderem ein schwarzer Oversize Pullover, kombiniert mit einer schwarzen Jeans und weißen Turnschuhen. Ja, auch sonst bin ich ein farbenfroher Mensch.
Grinsend werfe ich meinen Rucksack ins Auto und springe auf den Beifahrersitz.
“Na guten Morgen, Sonnenschein“ begrüßt er mich und zieht mich direkt zu einem Begrüßungskuss zu sich herüber. Auch so etwas, dass ich vorher nie zugelassen hätte und mir jetzt ein dümmliches Grinsen beschert.

Wir fahren einfach ohne Ziel die Landstraßen entlang. Sehen Felder, weite Wiesen auf denen Kühe weiden und ein paar Wälder. In der Ferne sind Berge zu sehen und ich genieße es am Fenster zu lehnen und zu sehen wie die Landschaft an mir vorrüber fliegt. Das Radio spielt plötzlich die ersten Töne von  „This Love“ von Maroon 5. Ein Song den ich schon immer laut im Auto mitgesungen habe und so lasse ich mich auch jetzt dazu hinreißen mit Adam Levine einzustimmen. Ich singe nicht vor anderen, es ist mir unangenehm. Aber ich fühle mich so wohl, dass ich seine Anwesenheit in diesem Moment vollständig ausblenden kann. Ich sehe auf die endlose Straße vor und gebe alles beim mitsingen.
Kurz verwirrt bin ich allerdings als auch er miteinstimmt. Jap, singen können wir beide.
Die eine mehr oder weniger richtig, der andere laut und falsch. Kurz erinnert es mich an die Szene aus „Mit dir an meiner Seite“ und es könnte kaum kitschiger sein. Vor allem nicht, als dann auch im Anschluss noch „Sugar“ läuft und wir jetzt beide laut und falsch singen. Als er versucht die hohen Töne zu treffen halte ich mir amüsiert die Ohren zu. Es tut so gut so sein zu können wie man ist ohne sich verstellen zu müssen. Ich kann kaum beschreiben wie gut ich mich in diesem Moment fühle.

„Du hast mir nie gesagt, dass du so gut singen kannst.“
“Du hast mir auch nie verraten, dass du offenbar einen Gehörschaden hast“ ist meine Antwort. Ich war mal ganz gut, aber bin es bei Weitem nicht mehr.
Darauf sagt er nichts, grinst nur leicht und so fahren wir weiter Richtung unbekannt, mit der Musik im Hintergrund. Immer wieder laufen ein paar Songs die wir beide kennen und laut und falsch mitgröhlen. Andere Autofahrer müssen uns für ziemlich bescheuert halten, aber das ist mir egal. Ich habe beim Auto fahren schon immer meine eigene Show abgezogen.
Ab und an sehe ich verstohlen zu ihm herüber, nur um mich von seinem wissenden Grinsen ertappen zu lassen und wieder schnell wegzusehen. Man könnte fast meinen ich sei schüchtern. Jeder der mich kennt würde über diese Aussage vermutlich lauthals lachen, denn ich bin alles nur ganz bestimmt nicht schüchtern.
Ich weiß nicht wie lange wir gefahren oder wo wir genau sind, aber der Himmel draußen ist dunkel als wir in einen Waldweg einbiegen.
“Warst du hier schon mal?“ frage ich verwirrt und versuche mir ein Bild davon zu machen wo wir gerade sind.
Ich sollte vermutlich meinen Standort einschalten, sonst kommt bald der Panik Anruf meiner besten Freundin, die vermutet dass er mich im Wald verscharren möchte. Wenn ich mir die Umgebung so ansehe.. gut möglich. Unauffällig fische ich mein Handy aus dem Rucksack und aktiviere meinen Standort. In dieser Gegend war ich noch nie und er ist ziemlich still geworden. Irgendwie vertraue ich ihm, aber das sagt bei mir nichts.. Meine Menschenkentnis ist grottig.
“Nein, aber ich hab das vorhin von der Straße aus gesehen. Dachte hier wäre gut.“
Er erwähnt das so beiläufig, dass ich mir allmählich wirklich Gedanken mache, dass er ein Axt-Mörder ist und mich nur eingelullt hat um mich gleich umzulegen.
“Hat dich irgendwas gebissen? Oder ist hier irgendeine imaginäre Spinne, die nur du siehst? Du sitzt da, als wärst du jeden Moment bereit aus dem Auto zu springen.“
Jap, bin ich auch, du Psycho. Gott, wie bescheuert bin ich eigentlich? Hätte er mich umbringen wollen wäre das auch ganz schön viel Aufwand. Außerdem weiß man wo ich bin, danke Whatsapp Live Standort. Du wirst zumindest meinen Freunden verraten wo sie mich suchen müssen.
“Okay, du brauchst nichts sagen. Dein Kopf dreht grad seinen eigenen Film. Komm her du kleines Nervenbündel.“ Ich stoße einen spitzen Schrei aus, als er meinen Gurt löst, mich auf seinen Schoß zieht und mir in den Nacken beißt. Das wir stehen ist mir gar nicht aufgefallen. Was mir gerade aber wieder aufällt ist die Hitze die in mir hochsteigt, als ich seinen Atem an meinem Hals fühle. Er küsst die Stelle an der er mich kurz vorher gebissen hat. Unglaublich wie sehr ich auf seine Nähe reagiere, ich könnte ihn hier und jetzt bespringen. Und so wie seine Hände auf Wanderschaft gehen, weiß er das auch.
Aber dann fällt mein Blick auf die Landschaft vor uns. Wir stehen an einem See, umgeben von dem Wald durch den wir gefahren sind. Es ist mir ein Rätsel wie er das von der Straße aus hatte sehen konnte. Scheinbar gibt es mehrere Wege zu diesem See, denn überall kann ich weitere kleine Strände sehen, an denen sich vereinzelt ein paar Angler platziert haben. An unserem Abschnitt gibt es sogar einen kleinen Steg. Es ist traumhaft schön hier und es wäre ganz sicher noch schöner, wenn der Himmel nicht so dunkel von den Wolken wäre. Ich rutsche wieder auf meinen Sitz, steige aus und zünde mir eine Zigarette an.
Die Luft riecht bereits nach Regen und es wird nicht mehr lange dauern bis es wie aus Eimern gießt. Man hört bereits den Donner aus der Ferne immer näher kommen. Mit geschlossenen Augen lege ich meinen Kopf in den Nacken und genieße den Moment, als ich den ersten Tropfen auf meinem Gesicht fühle. Ich höre leise im Hintergrund das Radio spielen, lausche dem Cover von A Day To Remember von „Over My Head“ und singe leise mit.
„Willst du nicht wieder rein kommen? Es wird gleich richtig anfangen zu regnen.“ Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er neben mir stand.

Und wie auf sein Kommando beginnt es richtig zu schütten. 

Binnen von Sekunden bin ich völlig durchnässt und die Haare, die sich aus dem Knoten gelöst haben, kleben mir am Kopf.
“Angst Potter?“ frage ich ihn lachend während ich in den strömenden Frühlingsregen renne. Ich drehe mich mit ausgestreckten Armen im Kreis und genieße dieses Gefühl.
„Was? Vor dem bisschen Wasser? Na warte!“ ruft er und rennt auf mich zu. Auch sein weißes T-Shirt ist in wenigen Sekunden komplett durchnässt und zeigen so die Tattoos auf seinem Oberkörper, die sonst nicht sichtbar wären.
Als er bei mir angekommen ist legt er seine Arme um mich, nimmt mich hoch und wirft mich über seine Schulter.  
“Lass mich runter, du Idiot!“ lache ich während meine Hände auf seinem Hinterteil herumtrommeln. Er gibt mir einen Klaps auf den Po, während er Richtung Steg läuft.
“Du bist vorhin einfach aus dem Auto obwohl ich noch lange nicht mit dir fertig war. Das war nicht nett. Und du hast gefragt ob ich Angst vor ein bisschen Regen hätte. War auch nicht besonders nett. Das verdient eine kleine Bestrafung.“
Ich sehe förmlich wie ihm die Teufelshörner wachsen, auch wenn ich die Worte durch den strömenden Regen kaum hören kann.
“Das machst du jetzt ...“
Ich kann den Satz nicht ein Mal beenden, weil ich schon im hohen Bogen in das kalte Wasser fliege.
Nicht.
Sein.
Ernst.
Vollidiot!
Wie ein begossener Pudel tauche ich auf und versuche den bösesten Blick aufzusetzen, den ich parat habe.
“Hast du einen Fisch verschluckt? Du schaust so grimmig.“
Dieser Arsch kriegt sich vor Lachen gar nicht mehr ein. Na warte.. Er ist nicht der Einzige hier, der mit Lucifer verwandt ist. Ich täusche vor einen Wadenkrampf zu haben und spiele, vermutlich sehr schlecht, das ich kurz vor dem ertrinken bin. Woher ich weiß, dass ich schlecht schauspielere? Der Idiot über mir lacht sich noch immer schlapp, versteht aber was ich damit bezwecken möchte. Mit einem großen Platschen landet er direkt neben mir im Wasser. Irgendwie hatte er den Lucifer besser drauf, ich sollte dringend an meiner Performance arbeiten.
“Vortäuschen das du ertrinkst ist auch nicht sehr nett.“ Flüstert er mir dunkel in mein Ohr und umschlingt meinen Körper mit seinen Armen. Das Wasser ist nicht tief, wir können stehen. Und ich vergesse beinahe wie kalt es ist, als er seine Hände auf Wanderschaft schickt und seine Lippen meinen Hals erfroschen. Genießerisch lege ich den Kopf in den Nacken um ihm einen besseren Zugang zu verschaffen. Mein Körper steht ohnehin schon in Flammen, dafür braucht er sich kaum Mühe geben. „Ich denke wir sollten die nassen Klamotten los werden, sonst werden wir beide krank.“ Ich kann sehen wie seine Augen in ein dunkleres blau gewechselt sind und so der gelbe Kranz um seine Pupille nur noch mehr strahlt. Ich weiß genau auf was er anspielt, aber ja der Punkt mit den Klamotten ist auch ein gutes Argument.

 


Der Regen hat bereits vor einigen Stunden aufgehört, es war nur ein kurzer aber kräftiger Schauer. Währenddessen haben wir uns im Bus ein wenig aufgewärmt und das Bett gebührend eingeweiht. Lagen dann eng aneinandergeschlungen da, kuschelten und redeten über alles Mögliche. Es ist erstaunlich wie sehr ich seine Nähe genießen und vor allem auch zulassen kann. So habe ich mich noch nie zuvor bei jemandem gefühlt.
Mittlerweile haben wir uns trockene Klamotten angezogen und sitzen nebeneinander an der Feuerschale. Unsere durchnässten Sachen tropfen auf der improvisierten Leine zwischen zwei Bäumen vor sich hin. Ich bin zusätzlich noch in eine Decke eingekuschelt, denn es ist bei weitem noch nicht so warm, wie es in ein paar Wochen sein wird.

„Sag mal, kannst du eigentlich tanzen?“ frage ich ihn während ich die Feuerschale vor mir angrinse.
Der Himmel ist nach diesem Regenguss völlig klar und gibt den Blick auf die Sterne frei. So weit weg von einer Stadt scheinen sie noch heller und sind neben einer kleinen Lichterkette am Bus und dem Feuer unsere einzige Lichtquelle.

Im Hintergrund läuft leise Musik im Bus und ich habe mich noch nie so gut gefühlt. So frei, glücklich und so sicher.
“Sicherlich nicht so gut wie du, aber wir werden ja sehen“ antwortet er. Steht

 auf, dreht eine Runde um das Feuer und verbeugt sich vor mir.
“Darf ich bitten, Madame?“
Lachend nehme ich seine Einladung an und stehe ebenfalls auf.

Seine Hand berührt meinen Nacken und gleitet langsam an meiner Seite hinab, bis sie an meiner Hüfte angelangt ist. Er bringt uns in die übliche Tanzhaltung und ich muss beinahe lachen, weil es so gekünstelt scheint. Zu Justin Timberlakes „Mirrors“ wirbelt er mich umher, völlig frei vom Takt. Die paar Angler, die uns vielleicht von der anderen Seite des Ufers sehen können, müssen denken, dass wir vollständig den Verstand verloren haben. Oder sie denken wir sind ein junges verliebtes Paar.
Das sind wir aber nicht.

Hier gibt es gerade nur einen verliebten Trottel, mich.

So ein verdammter Mist. Nein, ich bin nicht verliebt.
Es geht hier um Sex. Sex. Es ist nur Sex. Oder etwa doch nicht?
Es fühlt sich so dermaßen gut an in seinen Armen zu liegen, den Moment zu genießen und zu lachen. 
Auch wenn es mich wirklich fuchst, dass er nicht den Takt halten kann. Das Radio wechselt zu „Sex on Fire“, ein Lied das ich schon immer mit solchen Nächten verbunden habe. Lagerfeuer, Sternenhimmel, ein oder zwei kühle Bier.. Lediglich die Begleitung dazu habe ich mir nie erträumen lassen.

Habe ich schon mal erwähnt, dass ich mich noch nie so frei gefühlt habe? Und noch nie so derart angekommen? Ich kann es wahrscheinlich nicht oft genug sagen. 
Andere kommen gut mit sich alleine klar, sind glücklich und zufrieden mit dem was sie haben. Mich hat es schon immer aus diesem Alltagstrott herausgezogen, aber ich fand nie wirklich die Motivation das allein auch anzugehen. Ich wollte immer jemanden mit dem ich all das, was ich erlebt habe, auch teilen kann.
Und in ihm habe ich diese Person gefunden.
Aber vermutlich denkt er da nicht so wie ich. Das hätte er doch schon gesagt oder? Oder ist er auch einfach genauso verwirrt wie ich über diese ganze Situation? Hat auch er gerade seinen Kopf einfach abgeschaltet um den Moment zu genießen?
Sagt auch er sich immer wieder, dass es hier ausschließlich um Sex geht? Und merkt dabei, dass es schon lange nicht mehr so ist?
Oder hat er noch zehn weitere in der Hinterhand und bemüht sich um jede so? Wie gerne ich eine Antwort auf diese Fragen hätte. Aber ich traue mich nicht sie zu stellen, viel zu viel Angst habe ich vor der Antwort. Aber am Ende denkt er sowieso nicht darüber nach, hat seinen Kopf viel besser im Griff als ich. Schließlich ist er ein Mann und Männer denken ja bekanntlich nicht so viel nach. Sie machen einfach das, wonach ihnen gerade der Sinn steht.

Jep, ich bin ein verknallter Volltrottel. Das passiert, wenn man den Kopf ausschaltet und seine Regeln vergisst.
Ich sollte das eigentlich Hier und Jetzt beenden, bevor es für mich am Ende nur noch schlimmer wird.
Ich darf mich nicht von schönen Worten zu etwas hinreißen lassen, weiß genau wohin es führt.
Und trotzdem tue ich es.

Trotzdem habe ich eine kleine Schwäche für diesen Mann, der mich noch immer in seinen Armen hält, entwickelt. 

Wir tanzen schon lange nicht mehr wirklich, schaukeln nur noch hin und her. Eng umschlungen und sein Kinn auf meinem Kopf. Es ist so vertraut und fühlt sich so natürlich an. Scheinbar hängen wir beide gerade unseren ganz eigenen Gedanken nach, denn keiner sagt nur einen Wort. Vielleicht aus Angst diesen schönen Moment zu zerstören, denn vermutlich haben wir beide mittlerweile begriffen, dass das schon lange nichts mehr mit „Nur Sex“ zu tun hat.

Ich zittere, weil die Luft immer kühler wird und ich nur einen Pullover und eine kurze Hose trage. Eng beeinander setzen wir uns wieder ans Feuer und schauen wie gebannt in die Flammen vor uns.
“Was waren eigentlich deine Regeln vor mir?“ beginnt er plötzlich. Und diese Frage bringt mich tatsächlich ein wenig aus dem Konzept. Normalerweise würde ich ihm antworten, dass ihn das nichts anginge. Und eigentlich ist das ja auch so, aber wie schon gesagt.. Ich für meinen Teil bin über diesen Punkt mit „Nur Sex“ schon lange hinweg.
Also erzähle ich ihm, wie das Ganze vor ihm abgelaufen ist. Wie es auch bei uns gelaufen wäre, hätte ich nicht diesen Versuch gewagt.
Das ich nie über etwas persönliches geredet habe, es kein kuscheln, kein Übernachten und, um Himmels Willen, kein Küsschen zum Abschied, mit dem Versprechen sich wieder zu treffen, gab. Es war einfach nicht nötig sich vorzugaukeln wie ach so schön denn alles war, denn es war ja nur Sex. Das wäre alles nur reine Höflichkeit, die man sich bei solchen netten Arrangements auch getrost schenken kann, meiner Meinung nach.

„Also einfach nur der Sex?“ fragt er, als ich alles erzählt habe.
Kleinlaut zucke ich mit dem Schultern und begreife selbst wie kalt und herzlos das alles klingt.
“Ich kann mir das garnicht vorstellen sowas zu machen.“

Und ich weiß nicht ob in diesem Moment meine Luftblase, die den ganzen Tag über gehalten hat, gerade geplatzt ist.

Tja.. Sex ohne Gefühle. Geht das überhaupt ? Jap, geht. Hab’s ja vor ihm ausprobiert. Wenn man so oft wie ich verletzt wurde, auch außerhalb von Beziehungen dann geht das. Dann kann man mit bestimmten Regeln, die auch ich mir selbst auferlegt hatte, die Gefühle ausschalten und den Sex einfach nur auf das reduzieren was er letztendlich immer ist: Körperliche Befriedigung. Reine Befriedigung des natürlichen Triebes des Menschen. Egal wie abgestumpft und kalt das klingt. Einfach den Rausch genießen, dann verschwinden und die Zigarette danach alleine rauchen. Und sich schlussendlich fragen, was für eine Bitch man eigentlich ist. Obwohl.. eine Bitch bin ich nicht.
Ja, ich habe gerne und oft Sex, aber jeder einzelne Typ weiß wie das ganze bei mir läuft. Beziehungsweise gelaufen ist.
Wir reden nicht mehr besonders viel miteinander, sitzen da und hängen wieder unseren eigenen Gedanken nach. Als wir schließlich in den Bus gehen um zu schlafen, weiß ich schon irgendwie das es unsere letzte gemeinsame Nacht werden wird.
Und auch als wir am nächsten Morgen diesen Platz am See verlassen, weiß ich das sich etwas geändert hat. Die Unbeschwertheit von Gestern ist fort. Heute ist die Stille nicht mehr ganz so angenehm und auch zum Abschied gibt es keinen Kuss. Ich weiß nicht, ob ich enttäuscht darüber sein soll.
Es vergehen ein paar Tage in denen wir nicht miteinander schreiben, aber ich musste mit irgendjemandem über all das reden. Ich kann froh sein, Freunde zu haben die gern immer wieder das gleiche Thema mit mir diskutieren.
Die es nie müde werden mir immer wieder das gleiche zu sagen. Und immer hinter mir stehen und auch immer hinter mir stehen werden, egal welche Entscheidungen ich treffe.
Ich hatte nicht ein Mal mit einer Nachricht von dir gerechnet, aber das was du schriebst brachte mir die Gewissheit die brauchte.
“Ich hatte die letzten zwei Nächte echt Gewissensbisse. Wir verstehen uns gut und haben viele Gemeinsamkeiten, aber Sex ohne Gefühle zu haben ist nicht das Richtige für mich. Der Sex ist zwar gut, aber fühlt sich falsch an. Weißt du was ich meine?“
Ja, ich weiß was du meinst.
Nur das es sich für mich nicht falsch angefühlt hat. Einfach alles mit dir hat sich absolut richtig für mich angefühlt.
Und nur Zugern hätte ich gesehen wo mich, beziehungsweise uns, dieser neue Weg hinführt.
Doch du bist von diesem Zug abgesprungen und so fahre ich weiter in eine unbekannte Richtung und schaue welcher Wegbegleiter es vielleicht doch mal mit mir aushalten kann.
Ich will keine Option mehr sein.
Ich will ein Für Immer sein und ich will auch ein Für Immer haben.
Aber wer weiß? Vielleicht beende ich diese Reise alleine und habe nur ein Stückweit immer einen Begleiter.
Am Anfang hat es mich so verwirrt wie wohl ich mich bei dir gefühlt habe. Habe angefangen es zu zerdenken.
Aber weist du was ?

Es hat mir etwas ganz, ganz wichtiges gezeigt.
Ich kann das alles. Ich kann Nähe zulassen, zulassen mich wohl zu fühlen. Mich fallen zu lassen und den Kopf ein Stück weit auszuschalten. Und dafür danke ich dir. Und hoffentlich hat auch dir das alles etwas deutlich gemacht.
Ich weiß jetzt jedenfalls auch mehr als vorher.
Punkt 1: Das du ein Mensch bist der so etwas eben nicht kann.
Punkt 2: Ich ich werde das jetzt auch nicht mehr können.
Ich würde gern dorthin zurück wo alles angefangen hat.
Irgendwas anders machen, etwas ändern. Bevor es zu spät ist. Bevor du mich zu sehr in deinen Bann ziehst. Mich faszinierst und aus dem Konzept bringst, einfach weil du mein Gegenstück bist. Doch leider weiß ich nun, das du nicht das Gleiche fühlst. Oder zumindest vermute ich es. Woher will ich es denn schon wissen? Aber deine Aussage ganz am Anfang, dass du keine Beziehung willst, unterstreicht das ganze nur.
Ich wollte auch keine Beziehung, mich nicht wieder in Ketten legen lassen. Aber mit dir hatte ich das Gefühl auch so Frei sein zu können.
Freiheit heißt für mich losfahren, sehen wohin es einen führt. Und wunderbare Orte mit einem Menschen zu entdecken, mit dem man sich immer daran erinnern kann. Dieser Mensch hättest du für mich sein können, doch ich scheinbar nicht für dich. Wahrscheinlich bin ich nicht gut genug, wie für alle anderen, die ich sehr mochte, auch nicht. Und deswegen zeige ich mich kalt und abgebrüht. Aber weist du was ?
Diese wenige Zeit mit dir hat genügt und meine Denkweise wieder ein Mal über den Haufen zu werfen und das hat vorher nur einer geschafft.

Ich möchte nicht mehr nur belanglosen Sex haben.
Ich werde sehen wohin mich dieser neue Weg führt, denn jetzt habe ich meine Richtung geändert. Ich denke nicht mehr in Schwarz und Weiß wie davor.
Aber wie genau ich das jetzt alles angehen werde, weiß ich auch noch nicht.

Fraglich wie lange ich den nächsten Abschnitt auf meinem Weg alleine fahren muss. Und wie oft ich wieder ein Mal falsch abbiege.
Aber wenn ich meine Reise nicht fortsetze werde ich es nie rausfinden, also entschuldige... aber ich muss los, mein Leben leben und neue schöne Orte entdecken.

 

 

Oder wie ein guter Freund von mir mal meinte: Weitere viele leckere Burger essen, bevor ich mir einen Lieblingsburger aussuche den ich bis an mein Lebensende essen möchte. Und dabei gerne fett werde.

                    Ende

Danksagung

Ich hoffe euch hat diese kleine Geschichte gefallen. Und natürlich auch vielen lieben Dank für’s lesen!
Es ist eine Zusammenfassung meiner Tagträume der letzten zwei Wochen, weil ich tatsächlich so ein Einhorn von Mann kennenlernen durfte.
Ein paar dieser Gespräche haben tatsächlich so stattgefunden, die anderen fanden lediglich in meinem Kopf statt. Legt also bitte nicht alles davon auf die Goldwaage.
Mir geht es gut und auch das hier war nur ein weiterer Schritt um mit etwas abzuschließen, dass mir den Kopf vernebelt hat.
Irgendwann wird mich schon einer über den Haufen rennen und ich werde mir „Du Arschloch!“ denken.. und am Ende wird es mein Arschloch sein.

Ich hoffe es hat euch gefallen und wir hören uns bald wieder!

Eure Michelle

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 02.05.2020

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diese Geschichte all jenen, die mich stets dazu ermutigt haben alles aufzuschreiben, was in meinem wirren Kopf umher geht. Und vor allem meiner lieben Vany, die unbedingt "neuen Stoff" brauchte :D

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