Als ich mich heute auf den Weg in die WG mache, rechne ich nicht damit ewig zu bleiben. Es ist bereits um Sieben, als ich mich auf den Weg mache. Ich schlendere zur Bahn und schreibe ihm, ich sei auf dem Weg. Als ich sitze stöpsele ich meine Kopfhörer ans Handy an. Der Deutschrock dröhnt in meinen Ohren und ich wippe mit meinem Kopf im Takt des Liedes und freue mich darauf, mal wieder einen Abend halbwegs abzuschalten. Auch wenn ich eigentlich total müde bin und weiß, das ich wahrscheinlich vor um elf nicht ins Bett komme. Die Bahn bleibt plötzlich stehen, irgendein Problem. Es kümmert mich nicht. Ich freue mich nur darauf wieder etwas Zeit mit den Bekloppten zu verbringen, auch wenn sie nicht mehr da ist und nur er und ihr Mitbewohner bleiben. Gegen halb Acht bin ich dann endlich da und ziehe die Kopfhörer durch meine Tunnel, wickele sie sorgfältig auf und stecke sie wie immer in meine Jackentasche. Ich suche nach den Namen auf dem Klingelschild "L. , S. , V." Als ich klingele und nach 5 Sekunden seine Stimme erklingt sage ich "Ich bins." "Glaub ich nicht." sagt er zurück und schon haben wir Lächeln Nummer Eins des heutigen Abends. "Du bist wirklich bescheuert." Ist meine Begrüßung, als ich die WG betrete. Er lächelt nur und umarmt mich zur Begrüßung. Sein Mitbewohner sitzt bereits mit einer geöffneten Flasche Bier in seinem Zimmer. Er bietet mir ebenfalls ein Bier an, was ich natürlich annehme. Ich mache es mir auf seiner Schlafcouch bequem und lausche ihrem Gespräch über Computerspiele, von denen ich ohnehin nichts weiß und konzentriere mich auf das flimmernde Bild des Fernsehers. Mein Laptopproblem, weswegen ich eigentlich hier bin, scheint zur Nebensache zu werden und als es irgendwann um Let's Play's und YouTuber geht klinke ich ich in das Gespräch ein, um nicht nur sinnlos rumzusitzen. Wir philosophieren über gute und schlechte YouTuber und ob es sich wirklich lohnt als Laie ein Let's Play aufzunehmen, wenn darin eigentlich nicht viel passiert. Irgendwann verabschiedet sich der Mitbewohner und lässt ihn, meinen Laptop und mich allein. Er beginnt irgendwelche Fragen über Programme zu stellen, etwas zu deinstallieren und zu installieren. Nebenbei erzählt er von der Wohnungssuche und das sich doch keiner der anderen Jungs wirklich um eine Wohnung bemüht. Er berichtet von der Ersten missglückten Wohnungsbesichtung in seiner neuen Stadt und lässt sich über die Nachlässigkeit eines Kumpels aus. Die Stadt sei ja gar nicht so toll, und so weiter. Ich nicke einfach nur und erwiedere wenig, denn ich genieße den Klang seiner Stimme. Es ist einer der wenigen Momente wo er etwas von sich aus erzählt. Irgendwann fährt er den Laptop runter und wieder hoch um Updates zu installieren, es dauert ein Stück, alsosetzt er sich wieder auf seinen Bürostuhl und schaut mich an. "Was hast du eigentlich nach deiner Ausbildung vor?" Geduldig erzähle ich den Plan den ich mir mittlerweile zusammengebastelt habe. Ein sicherer, guter Plan der funktionieren kann. Hier bleiben, weiter dort arbeiten, wo ich jetzt bin. Die Weiterbildungsmöglichkeiten meines Unternehmensnutzen, die Auffstiegschancen nutzen, gutes Geld verdienen. Als ich fertig bin, sieht er mich mit einem komischen Blick an. Sein Gesichtsausdruck wird ernst. "Ist es wirklich das, was du willst?" Boom. Dahin der Plan. Ich druckse ein "Ja." herraus, Herr Gott nicht einmal ich selbst bin jetzt noch überzeugt davon. Eine kurze Frage und er wirft alles über den Haufen. "Du bist so jung, hast so viele Möglichkeiten. Du kannst dein Abi noch machen, kannst besseres Geld verdienen." Aber ich höre schon gar nicht mehr zu, in meinem Kopf kreiseln die Gedanken. >Ist es wirklich das was ich will?< >Was ist mit dem großen Plan, den ich in der Schule immer hatte?< >Würde ich es schaffen, wieder von Null zu beginnen?< Ich antworte knapp und ohne eigentliche Aussage. Ich weiß nicht wie, aber er fängt an von seinen Freunden zu sprechen. Er hat nicht viele, aber sie würden ihm immer helfen, wenn er etwas bräuchte. Wieder sieht er mich an, ich sehe zurück in braune Augen. Bei ihm kann ich den Augenkontakt nicht lange halten, habe Angst das er in meinen blauen Augen lesen könnte wie in einem offenem Buch. "Weißt du, ich bin mir bei dir nicht sicher ob du unterscheiden kannst, was wirkliche Freunde sind oder nur Bekannte." meint er. Neue Fragen in meinem Kopf. >Hast du je richtige, wahre Freunde gehabt?< >Wer wäre jetzt da und würde dir auf der Stelle helfen?< Ich gehe Namen durch, denke nach und komme enttäuscht zu dem Schluss, dass ich keine wahren Freunde habe. Ich bin den Tränen nahe, er bringt alles durcheinander. Er redet weiter, ich weiß nicht mehr was er sagt. Mein ganzer Kopf ist voller Fragen. Ich bin müde. Er ist noch nicht fertig mit meinem Laptop. Er bietet mir an Morgen wiederzukommen und weiter daran zu arbeiten, da er ständig mein Passwort benötigt. Wir veruchen es irgendwie auszuschalten, aber es ist kompliziert und ich zu müde und verwirrt um noch etwas auf die Reihe zu kriegen. Schlussendlich gebe ich ihm mein Passwort. Er könnte sich alles auf meinem Laptop ansehen. All die Vlogs in denen ich auch über ihn rede, sein Verhalten mir gegenüber. Das es manchmal nicht wie nur freundschaftlich gemeint rüberkommt. All die Geschichten, Bilder. Er hätte sich alles anschauen können. Ein voller Einblick in meine Gedanken und Gefühle. Aber ich habe keine Angst, dass er es macht. Ich vertraue ihm. Es ist ein ungewohntes Gefühl, das gegenüber eines Kerls zu empfinden. Wir wechseln wieder zu normalen Gesrpächsthemen zurück. Lachen und machen Scherze. Es ist bereits kurz nach Zehn und eigentlich müsste ich gehen, schließlich muss ich morgen früh raus um auf Arbeit zu gehen. Er sieht mich an und sagt es sei meine Entscheidung ob ich bleibe und noch ein Bier trinke oder gehe. Ich habe keine Ahnung ob es wirklich meine Entscheidung ist oder sein Blick. Für manche vielleicht ausdruckslos und wie immer, aber ich bilde mir ein irgendetwas anderes in seinem Blick zu sehen, etwas wie Traurigkeit, dass sagt "Bleib doch noch ein bisschen.". Ich beschließe noch eine halbe Stunde zu bleiben. Wir reden weiter. Über meine Mutter, meine Probleme. Er bringt mich zum nachdenken und ich bin oft den Tränen nahe. Warum erzähle ich ihm so viel? Wieso kann ich überhaupt in seiner Nähe und mit ihm allein sein ohne eine Panikattacke zu bekommen? Wieso er? Wieso ich? Schlussendlich ist es fast um Elf, als ich beschließe zu gehen um wenigstens um Zwölf im Bett zu liegen. Diesmal täusche ich mich nicht, er schaut mich an wie mein Hund, wenn ich wieder zurück in meine Wohnung fahre. Ich umarme ihn, ein wenig länger als es vielleicht nötig gewesen wäre und verlasse die WG. Mir geht sein Blick nicht aus dem Kopf, als wollte er das ich bleibe. Aber vielleicht bilde ich mir das ja auch nur alles ein, schließlich bin ich nur ein Kumpel für ihn. Auf dem Heimweg schießen mir viele Fragen durch den Kopf. Ich komme zu dem Schluss, dass ich keine Ahnung habe was in diesem Kerl vorgeht. Wenn ich ohne Grund frage, ob ich vorbeikommen kann, hat er nie Zeit. Selbst wenn ich einen Grund habe, kostet es Mühe ihn zu überreden. Aber wenn ich da bin, kommt es mir vor als wöllte er gar nicht das ich gehe. Das war im Dezember auch so, als in meine Wohnung eingebrochen wurde. Erst fragte er wo ich sei und als ich ihm schließlich nach 3 Tagen in der WG gestand, ich habe Angst nach Hause zu gehen, meinte er nur ich könne auch bleiben, es mache ihm nichts aus. Ich solle mich melden, wenn irgendwas sei. Ein paar Tage später erhielt ich die Nachricht das er sich Sorgen um mich mache. Ich sage, dass er das nicht braucht. "Doofi. Das brauchst du mir nicht immer sagen, ich mach es trotzdem." war die Antwort. Die Wochen danach bis heute, schreibt er nichts mehr dahingehend. Als ob es verboten wäre, falsch. In dieser Nacht träume ich von ihm. Ich bin nicht nach Hause gefahren, ich bin in der WG geblieben. Wir liegen auf seiner Schlafcouch und ich bin schon fast eingeschlafen, als er murmelt "Ach scheiß drauf." Er dreht mich um, legt sich auf mich und küsst mich. Es ist kein Vergleich zu meinen bisherigen Kussversuchen, mit Pokemon oder dem Sabberkönig. Es war nicht geplant, es war einfach perfekt. Wie als wäre er wie für mich geschaffen. Ich vergaß alles um mich herum, lebte den Moment und hatte vor nichts und niemandem Angst. Ein Sprung zum Morgen. Sein Mitbewohner klopft an, er geht zur Tür. Ich schnappe nur ein paar Fetzten des Gespräches auf. Ich wach auf. Alles ist noch so real, anscheinend, nach der Bemerkung des Mitbewohners warum es denn gestern noch so laut gewesen wäre, hatten wir Sex. Den Teil hat der Traum allerdings übersprungen, auch nicht schlecht. Aber das darf nicht sein. Ich denke oft an ihn, viel zu oft. Denke, wie es wohl wäre, wenn er hier wäre oder ich bei ihm. In seinem Arm liegen und entspannen, mich zu Hause fühlen. Aber das geht nicht, es würde nicht funktionieren. Unsere Tage sind gezählt, er zieht bald weg. Dann ist er weg, für immer. Und diese Gedanken, diesen Traum werde ich mit ins Grab nehmen. Ich bin zu jung für ihn und nur ein Kumpel, nie werde ich mehr sein. Und um nichts in der Welt würde ich, die Freundschaft riskieren. Ich frage mich ob er mich vermissen wird, ob er an mich denkt so wie ich an ihn. Und irgendwann, während eines Tagtraumes, in dem ich an ihn denken muss - Er sitzt auf meiner Couch, ich habe die Füße auf seinem Schoß und lese ein Buch, bin in meiner eignenen Welt. Er weiß das ich gerade nicht wirklich anwesend bin, er sieht mich einfach nur an und lächelt. Ich sehe auf und lächle zurück. Denn kein Buch kann besser sein, als der Moment in dem er mir meinen Freiraum gewährt und mich sein lässt wie ich bin. - frage ich mich "Ist es wirklich das, was ich will?"
Bildmaterialien: Michelle Wo
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2015
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