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Die unerwartete Hilfe

Eugen konnte gut von der Straßenbahn abspringen, nicht zuletzt durch die Hilfe des Straßenbahnführers. Er hatte sogar ein verschmitztes Lächeln bemerkt, denn es gab für ihn keinen Grund die Fahrt so konsequent abzubremsen. Die darauf folgende Erhöhung der Geschwindigkeit begünstigte ihn auch, denn es hinderte die Kontrolleurin daran ihn zu verfolgen. Er hörte auch das laute Geschrei, dass diese von sich gab. „Halten sie die Bahn an, wir müssen ihn verfolgen. Es ist bestimmt ein Jude“. Für Eugen machte es sich bezahlt, dass er ein guter Sportler war. Er rannte was er konnte und brauchte keine Angst zu haben, dass ihn irgendjemand einholen würde. Aus der Ferne hörte er immer noch das Schreien der Kontrolleurin, „haltet ihn fest er ist ein Jude“! Gott sei dank machte auch keiner der Straßenpassanten Anstalten ihn Aufzuhalten. Nachdem er ca. drei km gerannt war blieb er erstmal stehen, um Luft zu holen. Jetzt bemerkte er, dass einige Leute ihn sehr verwundert ansahen. Da er sehr gediegen angezogen war, machte er nicht gerade den Eindruck seinen Frühsport zu tätigen. Um den neugierigen Blicken zu entfliehen, verschwand er erst mal in einen Hausflur. Das Tor war gerade sperrangelweit geöffnet. Er lief sofort auf den Hof und setzte sich auf eine Bank die einladend an der Hauswand stand. Obwohl er keine Nerven für Schönheitsbetrachtungen hatte, stellte er doch fest, dass es sich um einen äußerst gepflegten Hof handelte. Er hatte sich noch gar nicht richtig erholt, da hörte er eine laute sonore Stimme hinter sich, „was suchen sie hier in unserem Haus? Wollen sie hier jemanden besuchen? Oder sind sie irgendein Herumtreiber, Zigeuner oder etwa Jude“. Er griff nach seinen Arm um ihn zu ergreifen. „Wir gehen jetzt gemeinsam auf die Straße, dort werde ich sie einem Schutzmann übergeben. Der wird schon feststellen was mit Ihnen los ist“. Eugen riss sich los, wobei der alte Herr unsanft auf die Bank fiel. Schmerzschreie und Fluche erregte sofort die Aufmerksamkeit der Hausbewohner. Eugen bemerkte nur noch, dass diverse Fenster geöffnet wurden. Er verschwand langsam gehend aus dem Haus, beschleunigte seinen Gang aber nur so weit, wie es ohne Aufmerksamkeit zu erregen möglich war. Er benutzte Querstraßen, wobei er im Zickzackkurs unaufhörlich die Richtung änderte. Obwohl er die Gegend um den Prenzlauer Berg gut kannte, wusste er nicht mehr, wo er sich befand. „Es macht nichts aus, wenn du nicht weißt wo du bist, denn du weißt auch nicht, wo du hin willst. Warum hast du dir nicht die Adresse von Margarete geben lassen. Ohne Adresse wirst du den Garten von ihrer Cousine nicht finden“, dachte er. Er machte sich Vorwürfe. Zurück in die Ebersstraße konnte er nicht gehen, denn der Hausobmann hatte ihn dort entdeckt. Vermutlich hatte ihn dieser nicht angesprochen, weil er erforschen wollte wo er hingehörte. Um Margarete nicht in Schwierigkeiten zu bringen, verließ er das Haus und versteckte sich im Nebenhaus. Er beobachtete den Hausobmann wie er Richtung Innsbrucker Platz ging. Er vermutete, dass Eugen den kurzen Weg in der Zeit zurückgelegt hatte. Eugen konnte so, schnell unbemerkt zu Margarete gelangen. Margarete war in aufgeregter Hektik, deshalb konnte er keine Zeit finden, über das Debakel zu berichten. Da sie auch während der Fahrt nicht miteinander reden konnten, beabsichtigte er ihr das in Weißensee zu erzählen. Dazu ist es dann leider nicht gekommen. Ein Besuch bei Margarete war schon deshalb widersinnig, weil sie vermutlich in Weißensee auf ihn wartete. Sie wird denken, dass ihm die Adresse bekannt ist.

Eugen sagte sich, „genieße die letzten Stunden in Freiheit. Sie bekommen dich auf jeden Fall, aber Kampflos wirst du das Feld nicht räumen“. Während er seinen Gedanken nachhing, hörte er plötzlich laut seinen Namen. Er drehte sich erschrocken um, in der Hoffnung nicht gemeint zu sein. Es war nicht zu übersehen, er war gemeint. Es war eine Schulkameradin aus seiner Klasse, die er verlassen musste, weil er Jude war. Eugen war erfreut und gleichzeitig erschrocken. Sie hieß Annegret Heisler. War er am Ende seiner Flucht? Würde jetzt die Verhaftung folgen? Nein. Sie war offensichtlich froh ihn zu sehen und fiel ihm auch gleich um den Hals. „Wir haben uns ja eine Ewigkeit nicht gesehen. Ich dachte du bist umgezogen, der Lehrer hat uns erzählt, dass allen Juden jetzt eine neue Heimat zugewiesen wird. Ich glaube, er wollte uns nicht mehr sagen. Ich hatte das Gefühl, dass er die ganze Entwicklung der letzten Zeit nicht besonders gut fand. Er ist ein guter Lehrer und ich glaube, er mochte dich sehr gut leiden. Aber was ist los mit dir, was machst du hier? Komm wir gehen in die Eisdiele um die Ecke, dort kannst du mir alles erzählen“! „Annegret, wo lebst du? Ich als Jude darf

keine Gaststätte, keine Bahn, keinen Autobus und keine öffentlichen Gebäude betreten. Wenn du mit mir sprichst, machst du dich schon strafbar. Hitler macht wahr, was er in seinen „Mein Kampf“ geschrieben hat. Alle Juden, alle Sozialdemokraten, alle Kommunisten und alle die nicht seiner Meinung sind, sind Ungeziefer und müssen vernichtet werden. Dieser größenwahnsinnige Zwerg will die Welt regieren. Er sieht nicht gerade wie ein blonder Germane aus, hat aber den Spleen aus Deutschland einen arischen Staat zu machen. Natürlich müssen die dann auch der NSDAP angehören. Ich kann mir nicht vorstellen, dass intelligente Menschen einem solchen Rattenfänger auf Dauer folgen. Er hat das Recht der Deutschen auf Meinungsfreiheit aufgehoben. Es gibt nur eine Partei. Opposition und andere Parteien sind verboten und ihre Anhänger werden verhaftet. Annegret, Die haben meine Mutter abgeholt und haben sie mit den Stiefeln getreten. Meine kranke Großmutter wurde über den Bürgersteig geschleift. Alle Leute haben zugeschaut. Keiner hat etwas unternommen oder auch nur etwas gesagt. Sie schauten weg, als wäre es das Normalste, was es auf der Welt gibt. Ich kam gerade von der Schule, weil ich bettelte, wieder zum Unterricht gehen zu dürfen. Ich hatte keine Chance, bin aber dadurch nicht abgeholt worden. Ich bin geflüchtet, weil ich Angst hatte. Ich hätte ihnen auch nicht helfen können“. „Eugen sei nicht verzweifelt“. Annegret hatte Tränen in den Augen. Sie mochte Eugen und war auch wohl etwas oder auch sehr in ihn verliebt. Sie schwärmte für ihn und war immer enttäuscht, dass er zu schüchtern war, sich mit ihr zu verabreden. „Ich werde dir helfen. Du sollst sehen, dass nicht alle Deutschen für dieses unmenschliche Regime sind. Du musst dich verstecken, irgendwann wird hoffentlich dieser Spuk vorbei sein. Mein Stiefvater gehört leider auch zu dieser Bande, anders kann ich das nicht bezeichnen. Er ist zum Leiter der Bankfiliale befördert worden. Seinen jüdischen Chef haben sie fristlos entlassen. In dem ich dir helfe, breche ich gleichzeitig mit meiner Familie. Ich werde dich in unserem Schrebergarten verstecken, bis wir etwas Besseres gefunden haben. Momentan kommen die jetzt selten dort hin“. Eugen war ihr unendlich dankbar. Allerdings empfand er es als beschämend, unschuldig in eine so ausweglose Situation gekommen zu sein. Wie lange konnten sie gemeinsam dieses Versteckspiel durchhalten? Es war ein Alptraum, der aber leider

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 10.01.2015
ISBN: 978-3-7368-7012-3

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Allen Menschen,die wegen ihrer Rasse, Hautfarbe, Religion oder Sexualität verfolgt werden.

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