Auf Stufe 'Drei' stellen, ist doch recht kühl hier. Da hat es mir im Urlaub daheim in den vergangen Tagen aber besser gefallen. Dort ist es wärmer als in diesem Raum, in dem kaum geheizt wird und in dem mein Kollege gern rücksichtslos das Fenster aufreißt.
Es ist immer noch frisch, der Sommer lässt leider noch auf sich warten, überlegte Gabi und drehte an dem Thermostat der Heizung, die an der Wand ihres Büros angebracht war. Öffnete das Ventil komplett und warf einen prüfenden Blick auf ein kleines Thermometer an der Wand. Bewegt sich die Anzeige denn gar nicht mehr, bleibt sie bei achtzehn Grad stehen?, fragte sie sich. Fröstelnd rieb sie sich ihre Hände und knöpfte auch den obersten Knopf ihrer warmen blauen Strickjacke zu.
Die habe ich selbst gestrickt, ach, wie bin ich stolz darauf! Habe mich durch ein verworren aussehendes Strickmuster gekämpft und die Jacke hergestellt. Und habe anschließend auch die Knöpfe selbst angenäht, dachte sie und strich langsam mit der Fläche ihrer rechten Hand über die weiche Wolle. Sitzt ausgezeichnet, ich habe es sogar geschafft, die Ärmel zu stricken, ohne dass sie wie verformte Schläuche wirken.
Dabei weiß ich kaum, wie man Maschen aufnimmt. Das erledigt meist meine ältere Nachbarin, bevor ich dann die restliche Arbeit an der Jacke übernehme. Tja, die alten Frauen haben früher das Stricken noch gelernt. Meine Oma schaffte es sogar, Strümpfe anzufertigen, erinnerte sie sich. Geschickt und mit fünf Nadeln gleichzeitig! Alle Achtung, wie hab ich sie bewundert, wenn sie eifrig damit klapperte. Ohne Hinzusehen!
Ich würde mich hoffnungslos verheddern. In meinen Händen befände sich schließlich nur noch ein vollkommen verwirrtes Garnknäuel. Vollkommen verwirrt. Das wäre ich dann ebenfalls, haha.
Ein breites Grinsen machte sich auf Gabis rundlichem Gesicht breit und verdrängte die traurige Miene, die sie bei den Gedanken an ihre geliebte und inzwischen längst verstorbene Großmutter unbewusst gemacht hatte.
Kalt ist es hier. Elendig kalt! Verdammter Winter, immer noch nicht vorüber, zieht sich in die Länge wie Kaugummi. Was für ein grässliches Wetter. Dauernd grau, trübe, dazu meist noch Regen und schon Nachmittags Dunkelheit. Schnee und Eis überall. Ausrutschen, sich kaum auf den Beinen halten können auf glatten Wegen.
Ich hasse die Wintermonate! Wie schnell meine Urlaubstage doch verflogen sind. Kaum hatte ich mich über den ersten gefreut und ein geruhsames Frühstück genossen, da war schon der letzte angebrochen.
Jetzt bin ich wieder in meinem elenden Job eingesperrt. Ich verbringe täglich viele Stunden in einem schäbigen Gebäude in einem tristen Gewerbegebiet, sitze dort in der Buchhaltung und rühre im Zahlenbrei herum. Mit Aussicht auf einen ungepflegten Hinterhof und vertrocknete Sträucher. Waschbecken und Kloschüsseln stellt die Firma her. Wie spannend. Ein echter Sch … Job eben, haha.
Grau und deprimierend wie der Himmel draußen ist alles, dachte sie und schaute auf das hübsche Landschaftsbild auf dem Kalender an der Wand. Dort scheint wenigstens die Sonne! Hier nur selten und wenn, dann nur für wenige Minuten. Jedenfalls sehr kurz. So kurz, dass sie schon wieder hinter einer Wolke verschwindet, wenn ich noch nicht einmal meine warme Winterjacke angezogen habe und mir den Schal um den Hals gebunden habe. Und auf Spaziergänge in einem Schneesturm kann ich gut verzichten. Die finde ich nicht romantisch, sondern nur nervtötend. Dauernd fliegen mir dicke Flocken ins Gesicht.
Und bald kommt das Osterfest: Sch … auf den ganzen Ostertrödel, diesen verlogenen Konsumwahnsinn, dachte sie und betrachtete den Korb mit dem hübschen Ostergesteck, der bereits auf der Fensterbank stand. Wenigstens ist das Geböllere zu Silvester überstanden, das schlimmste Spektakel des gesamten Jahres! Dieser unerträgliche Lärm und der ekelhafte Gestank nach Schwefel, der sich über die gesamte Straße legt. Wie aus dem Höllenschlund. Ja, wenn es nur die hübschen bunten Raketen wären, okay, die sehe ich mir gern an. Aber die schauderhaften Kanonenschläge! Jedesmal schrecke ich zusammen. Lasst mich bloß damit zufrieden!
Das Wetter zu Ostern, naja … Ist meist erträglich, es wird allmählich schöner draußen. Dauert aber dieses Jahr offenbar noch ein wenig. Diese kalte Jahreszeit, wie sehr ich sie verabscheue und den Sommer herbeisehne - die noch weit entfernten Wochen mit wärmenden Sonnenstrahlen und munter zwitschernden Piepmätzen. Mit üppig blühenden Blumen. Leichter Kleidung. Unbeschwertheit.
Endlich Mittagspause!, dachte Gabi erleichtert. Die von stundenlanger Arbeit erschöpfte Frau lehnte sich auf dem neuen, ergonomisch perfekt gestalteten Stuhl zurück, der an ihrem Schreibtisch stand. Was für eine Erleichterung im Gegensatz zu dem früheren Wackelstuhl, dachte sie mal wieder. Auf dem tat mir mein Rücken schon weh, wenn ich ihn nur anschaute. Kürzlich hat mein Arbeitgeber meinem Meckern endlich nachgegeben und mir ein neues Sitzmöbel spendiert. Mein Kollege Thorsten ist neidisch darauf, der muss nach wie vor auf seinem alten Schemel hocken. Weshalb wurde eigentlich nicht unser Büro mit zwei neuen Stühlen ausgestattet?, fragte sie sich. Die da oben sparen, wo sie nur können, anstatt uns die Arbeit so angenehm wie möglich zu machen. Zufriedene Arbeitnehmer sind bessere Arbeitnehmer!
Gabi breitete eine selbstgebratene Frikadelle sowie eine Portion Kartoffelsalat aus dem Supermarkt auf einem Teller aus und stellte ihn auf die Tischplatte. Die übereinander gestapelten vier Ablagekörbe mit den darin einsortierten Belegen – ganz unten ein blauer Korb für die Rechnungen von Lieferanten, darüber ein roter für die Mahnschreiben, dann ein grüner für die Saldenlisten und ganz oben ein gelber für sämtliche Briefe – all diese Körbe schob sie ein wenig zur Seite, um auch noch Platz für ihren Joghurt zu haben.
Sie zog den Deckel von dem Joghurtbecher ab, schleckte ihn genüsslich sauber und warf ihn danach in den Abfall. Himbeergeschmack, hm, dachte sie. Ist zwar recht lecker, aber die fiesen kleinen Kerne da drin bleiben meist zwischen meinen Zähnen hängen! Dann geht das Prokeln mit der Zunge oder mit dem Zahnstocher los, denn solange die Dinger in meinem Gebiss sitzen, kann ich mich auf nichts anderes konzentrieren. Leider konnte ich diesmal im Supermarkt nicht meine Lieblingssorte Kirsch finden, die Angestellten dort waren noch mit dem Einräumen der Ware beschäftigt. Und an den Sachen auf der Palette im Gang mochte ich mich nicht vergreifen, außerdem war die noch mit einer Plastikfolie umwickelt. Da wäre ich nicht rangekommen, ohne ein scharfes Messer zu benutzen.
Bist doch selbst Schuld, sagte sie sich. Warum gehst du denn nicht ein wenig später zum Einkaufen? Was treibt dich denn schon so früh aus dem Haus, du musst doch nicht schon morgens um sieben Uhr losrennen! Als ob eine halbe Stunde später die Regale wieder leer wären. Lächerlich. Außerdem ist es noch dunkel draußen, wenn du dich auf den Weg machst.
Gabi wandte ihre Gedanken dem Problem zu, dass ihre Füße erbärmlich froren. Sie steckten in mit Fell gefütterten Stiefeln, außerdem in zwei Paare flauschiger Socken, die sie übereinander trug. Wie idiotisch, dachte sie jedesmal, wenn sie sich ankleidete. Wieviele Socken soll ich denn noch tragen? Irgendwann passen meine Füße nicht mehr in die Stiefel hinein.
Doch es bringt alles nichts. Die Körperteile, die da in meinen Schuhen stecken, gleichen Eisklumpen, dachte sie. Verdrossen wackelte sie ein wenig mit ihren Zehen und warf einen Blick auf das Thermometer. Die Temperaturanzeige darauf hat sich ja kaum verändert, stellte sie resigniert fest.
Herrje, hoffentlich kommt das Ding bald in Wallung!, hoffte sie und strich dabei ungeduldig mit ihrer Hand über den altmodischen Rippenheizkörper. Nein. Das dauert. Der ist noch nicht einmal lauwarm. Verdammtes Teil, irgendwann hol ich mir was weg in dieser Eishöhle!
Wofür bekommt der lahme Hausmeister in dieser Firma nur sein Geld? Kann der nicht endlich mal dafür sorgen, dass diese elende Heizung besser funktioniert? Lässt die sich nicht anders einstellen? Entlüften oder so – ich hab davon keine Ahnung, überlegte Gabi. Aber unser Facility Manager bestimmt, den Job macht der schon seit Jahren, da muss er doch wissen, was zu tun ist! Aber mehr als ausgiebig die Tageszeitung zu studieren und mit frechen Sprüchen um sich zu werfen kann der wohl nichts. Der schafft es ja kaum, mal eine defekte Glühbirne gegen eine neue auszutauschen. Der ist langsamer als eine Schnecke nach der Einnahme einer Schlaftablette, haha. Er ist allerdings erstaunlich schnell, wenn es darum geht, täglich die Zeitung zu stibitzen, die am Empfang ausliegt und die eigentlich für Besucher gedacht ist!
Aber dagegen sagt niemand etwas, sind alle zu feige, grollte sie und wünschte dem Mann eine Situation, wie sie selbst eine erlebt hatte, nämlich hilflos eine Weile auf dem stillen Örtchen verbringen zu müssen.
Am besten noch bei einem klemmenden Türschloss, das dich daran hindert, rauszukommen, dachte sie. Da kannst du dann lange über all deine Versäumnisse nachdenken. Hoffentlich hast du zuvor gerade dein 'großes Geschäft' erledigt, dann darfst du den Duft in der Kabine genießen! Gabi musste grinsen bei der Vorstellung. Ach, wie bin ich doch wieder gemein!
Warum sollte es ihm besser ergehen: Kürzlich durfte ich im Dunkeln auf dem Damen-WC sitzen und nach dem Klopapier tasten, denn dummerweise wird das Licht für den gesamten Sanitärraum von außen ein- und ausgeschaltet. Eine Funzel direkt in der Kabine gibt es nicht. Man ist also auf die allgemeine Beleuchtung an der Decke angewiesen und wehe, jemand betätigt den Lichtschalter, weil er meint ich geh ja raus, daher muss dort nicht länger das Licht brennen!
Schon hockt man plötzlich im Finstern auf der 'Brille' und beschwert sich lautstark, bis der Depp umkehrt und erneut auf den Taster drückt. Wenn einen derjenige überhaupt noch hört …
Kürzlich war die Person bereits gegangen, ohne etwas von meiner Anwesenheit zu ahnen. Ich hatte dann das Problem, nach einer Klorolle tasten zu müssen, um mich um
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 23.01.2021
ISBN: 978-3-7487-7262-0
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